Volume 9, No. 3 – September 2008

Projektbericht: Neue Formen der gesellschaftlichen Kommunikation von Wissen – Ein videografisches Projekt1)

Roman Pernack

Kaum ein Vortrag kommt heutzutage noch ohne Bilder, veranschaulichende Tabellen und Grafiken aus. So hat sich die gesamte Konferenzkultur durch Powerpoint und ähnliche Programme verändert. Der Vortrag ist zur Präsentation geworden. Dem Körper des Redners bzw. der Rednerin kommt eine zentrale Rolle bei der Übermittlung von Inhalten zu. Um diese neuen Phänomene der Vortragskultur zu untersuchen, wurde in einem DFG-Projekt als Erhebungsinstrument die Videokamera eingesetzt. Videoanalysen eignen sich besonders zur Erfassung der "Körperlichkeit" von Interaktionsgeschehen. Der Film (2008, deutsch/englisch, 15 min, Stereo 3:4, PAL) stellt die Methode der Videografie vor und zeigt dabei einige Projektergebnisse.

1. Einleitung: Die Veränderung der Konferenzkultur



Kaum ein Vortrag kommt heutzutage noch ohne veranschaulichende Bilder, Tabellen und Grafiken aus. Vorträge mit Präsentationssoftware zu unterstützen, gehört mittlerweile zum allgemein erwarteten Standard. So hat sich die gesamte Konferenzkultur durch Powerpoint und ähnliche Programme verändert. Das Besondere an dieser Erscheinung ist, dass Präsentationen in fast alle gesellschaftlichen Bereiche eingedrungen sind. So sprechen Forschende von einem immer stärkeren kulturellen Drang zur visuellen Darstellung. Die neue Wissensgesellschaft etabliere eine neue Form der Kommunikation: die computergestützte visuelle Präsentation. [1]

Powerpoint war zunächst nur als ein Programm zur Erstellung von Folien für den Overheadprojektor gedacht. Doch seinen durchschlagenden Erfolg verdankt Powerpoint wohl dem Umstand, dass diese Folien über einen Computer direkt präsentiert werden können. [2]

2. Zum DFG-Projekt

In einem DFG-Projekt beschäftigte sich ein Forschungsteam um Hubert KNOBLAUCH und Bernt SCHNETTLER mit diesem neuen Phänomen der Vortragskultur. Nahezu 200 Powerpoint-Präsentationen wurden mit der Videokamera gefilmt, wobei rund 100 Stunden Videomaterial gewonnen werden konnten. Das Spektrum reicht von kurzen, zweiminütigen bis hin zu dreistündigen Vorträgen. Dazu gehören interne Arbeitsbesprechungen, Workshoppräsentationen und große Kongressvorträge. [3]

3. Videografie

Die Vorteile von Videoaufzeichnungen in Bereichen, in denen es um interaktive Vorgänge geht, sind gegenüber anderen Erhebungsmethoden offensichtlich. Videomaterial erlaubt es, vor- und zurückzuspulen, Details im Zeitraffer, im Vergleich oder in Vergrößerungen zu betrachten und so Begebenheiten in den Blick zu bekommen, die sonst unbemerkt geblieben wären. Die Kamera ist also der Beobachtung mit bloßem Auge überlegen. Videodaten beinhalten eine größere Fülle und Komplexität von Wahrnehmungsaspekten als dies bei rekonstruktiven Aufzeichnungsmethoden wie etwa Feldnotizen, Interviews oder Tagebüchern der Fall ist. So eignen sich Videoanalysen besonders zur Erfassung der "Körperlichkeit" von Interaktionsgeschehen. [4]

4. Erhebung im Feld

Die Videodaten wurden vor Ort von Projektmitarbeiter/innen aufgezeichnet. Diese Art von Daten werden "natürliche Daten" genannt, da die Kamera Interaktionen einfängt, die sich auch ohne dieses Aufzeichnungsmedium weitestgehend so abgespielt hätten.

Filmausschnitt 1: Erhebung von Videodaten [5]

5. Daten

Die Aufnahmen bildeten das primäre Datenmaterial für die spätere Analyse. Um die Datenmengen zu bewältigen, mussten sie gesichtet, inventarisiert und katalogisiert werden. Das geeignete Material wurde anschließend transkribiert und in einem nächsten Schritt in Datensitzungen sequenzanalytisch untersucht. Die Videoaufzeichnungen stellten nur einen Teil der Daten dar. Sie wurden durch direkte Beobachtungen, Materialsammlungen sowie Gespräche und Interviews mit den Akteur/innen des Feldes ergänzt. Dies ist erforderlich, um das nötige Hintergrundwissen zu erhalten, das für die spätere Datenanalyse und Interpretation erforderlich ist.

Filmausschnitt 2: Datensitzung [6]

6. Analyse

Von zentraler Bedeutung für die videografische Analyse waren die Datensitzungen, die in einer Interpretationsgruppe durchgeführt wurden. So eröffneten sich unterschiedliche Perspektiven, die gemeinsam diskutiert und überprüft werden konnten. Allmählich fokussierte sich die Beobachtung auf relevante Sachverhalte. Auf diese Weise wurden aus dem Datenkorpus, dem Rohmaterial, nach und nach analytische Kategorien gewonnen. [7]

7. Forschungsresultate

Die Videografie ist eine noch junge Methode in der Soziologie, die jedoch ein großes Potenzial in sich trägt. Exemplarisch genannt seien einige Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt, die mit Hilfe der Videografie erarbeitet werden konnten: [8]

Es wurde festgestellt, dass sich durch Powerpoint ein eigenständiger Vortragsstil herausgebildet hat. Dieser zeichne sich durch eine Dreieckskonstellation zwischen Redner/in, Folie und Publikum aus, bei dem das Zeigen als zentrale Geste hervorsticht. Bei Powerpoint-Präsentationen handelt es sich um eine komplexe soziale Figuration zwischen Redner/in, Folie und Publikum. Der Körper des Redners bzw. der Rednerin fungiert hier als eine Art Scharnier zur Steuerung der Publikumsaufmerksamkeit. Der gesamte Körper wird gewissermaßen als Lenkungspfeil eingesetzt, um die Aufmerksamkeit zwischen verbaler Information und projiziertem Bild zu leiten. Die projizierten Bilder stellen nicht einfach Wissen auf visuelle Weise dar. Die Bildinhalte produziert Redner/innen erst durch ihre Performanz. [9]

8. Schluss

Immer mehr Menschen, die zuvor nicht öffentlich auftreten mussten, sind gezwungen, sich vor einem Publikum zu präsentieren. Jeden Tag werden weltweit ca. 30 Mio. Powerpoint-Präsentationen abgehalten. Infolgedessen hat sich die Präsentation als neue Form der mündlichen Wissensvermittlung weithin etabliert. Powerpoint scheint zu einem universalen Verständigungsmittel im 21. Jahrhundert avanciert zu sein. Inwieweit die massive Ausbreitung von Powerpoint-Präsentationen eine Veränderung von Wissensstrukturen mit sich bringt, wird sich auf lange Sicht erweisen müssen. [10]

Videos

Video_1: http://medien.cedis.fu-berlin.de/stream01/cedis/fqs/3-09/pernack_data_generation.FLV (425 x 355)

Video_2: http://medien.cedis.fu-berlin.de/stream01/cedis/fqs/3-09/pernack_data_session.FLV (425 x 355)

Autor

Roman PERNACK, Studium der Soziologie und Literaturwissenschaft an der Technischen Universität Berlin: derzeit tätig als freiberuflicher Autor und Dokumentarfilmer.

Kontakt:

Roman Pernack

E-Mail: romanpernack@googlemail.com

Anmerkung

1) Der vorliegende Text ist die schriftliche Fassung des Sprechertextes zum Film "Neue Formen der gesellschaftlichen Kommunikation von Wissen – Ein videografisches Projekt". <zurück>

Zitation

Pernack, Roman (2008). Projektbericht: Neue Formen der gesellschaftlichen Kommunikation von Wissen – Ein videografisches Projekt. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 9(3), http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs0803P16.

Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research (FQS)

ISSN 1438-5627

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