Volume 10, No. 1, Art. 26 – Januar 2009

Transkulturalität als Perspektive: Überlegungen zu einer vergleichenden empirischen Erforschung von Medienkulturen

Andreas Hepp

Zusammenfassung: Ein Großteil der Forschung zu Medienkultur operiert in einem "national-territorialen" Paradigma: Medienkulturen werden als nationale Kulturen betrachtet und deterritorialisierte Formen von Medienkultur (beispielsweise professionelle Journalismuskulturen, Diasporas, Celebrity-Kulturen, usw.) werden nicht in ihrem "deterritorialen" Charakter untersucht. Gleichzeitig sind es gerade solche deterritorialen Formen von Medienkultur, die mit der fortschreitenden Globalisierung der Medienkommunikation an Relevanz gewinnen. Deswegen müssen diese in den Fokus einer vergleichenden Medien- und Kommunikationsforschung gerückt werden.

Ausgehend von diesen Überlegungen wird in dem Artikel eine transkulturelle Perspektive der Erforschung von Medienkulturen entwickelt. Innerhalb dieser Perspektive wird es möglich, vergleichende Forschung zu (territorialen) nationalen Medienkulturen und anderen (deterritorialen) Formen gegenwärtiger Medienkulturen zu realisieren, indem der Prozess der kulturellen Konstruktion und Artikulation in den Fokus der Analyse gerückt wird. Um ein besseres Verständnis dieses Ansatzes zu ermöglichen, werden Medienkulturen als translokale Phänomene sowohl in ihren territorialen als auch deterritorialen Bezügen gefasst. Ausgehend hiervon wird die "Semantik" einer transkulturellen Vergleichsperspektive dargelegt, was es dann möglich macht, praktische Prinzipien zur Durchführung einer transkulturell vergleichenden qualitativen Forschung zu formulieren.

Keywords: Medienkultur; interkulturelle Kommunikation; internationale Kommunikation; transkulturelle Kommunikation; Vergleich; Globalisierung der Medienkommunikation; qualitative Medienforschung; Kritik; Cultural Studies; Kulturanalyse

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Translokalität als Ansatz der Theoretisierung von Medienkulturen

3. Medienkulturen als kulturelle Verdichtungen und translokale Vergemeinschaftungen

4. Transkulturalität als Forschungsperspektive

5. Medienkulturen transkulturell erforschen

5.1 Kulturelle Muster analysieren

5.2 Vielfach vergleichen

5.3 Multiperspektivisch kritisieren

Danksagung

Anmerkungen

Literatur

Zum Autor

Zitation

 

1. Einleitung

Das Ziel dieses Artikels ist es, eine neue Perspektive von vergleichender empirischer Medienkulturforschung zu entwickeln, eine Perspektive, die ich als "transkulturell" bezeichnen möchte. Diese Perspektive erscheint deswegen als notwendig, weil ein Großteil der Medien- und Kommunikationsforschung im Feld der "interkulturellen Kommunikation" und "internationalen Kommunikation" in einer "Container-Theorie" von Gesellschaft (BECK 2000, S.23) verhaftet bleibt, in der "Medienkulturen" unhinterfragt als "national" interpretiert werden und entsprechende Forschung durch die "Container" von Nationalstaaten gebunden bleibt. Die gegenwärtigen Medienlandschaften sind jedoch durch eine größere Komplexität gekennzeichnet: Mit dem Aufkommen der Globalisierung der Medienkommunikation, d.h. mit der Zunahme kommunikativer Beziehungen bzw. Konnektivitäten über nationalstaatliche Grenzen hinweg wie auch der Adressierung von Publika in verschiedenen Staaten durch bestimmte Medienprodukte (vgl. TOMLINSON 1999; HEPP 2004), man vorsichtig sein, bestimmte kulturelle Muster der Medienkommunikation als charakteristisch für eine Nation zu konzeptionalisieren. Vielleicht sind diese vielmehr gebunden an deterritoriale Einheiten, die jenseits nationaler Kontexte liegen, wie beispielsweise bestimmte professionelle Journalismuskulturen (MANCINI 2007), transnationale Diasporas (GEORGIU 2006) oder andere Formen deterritorialer translokaler Medienkulturen (HEPP 2008a). Um es deutlich herauszustreichen: Der nationale Kontext verschwindet nicht einfach und ist – insbesondere in einer bestimmten "Banalität" (BILLIG 1995) – nach wie vor ein wichtiger Bezugspunkt für die Bedeutungskonstruktion mittels Medienkommunikation, was insbesondere im Bereich der politischen Kommunikation deutlich wird. Jedoch zeigt sich, dass – sobald Fragen der Kultur diskutiert werden – beachtet werden sollte, dass nur bestimmte Formen von Medienkultur in dem Sinne national-territorial bleiben, dass die Nation und ihr Territorium entscheidende Referenzpunkte der Bedeutungsartikulation sind. Andere Formen von Medienkultur sind in wesentlich stärkerem Maße deterritorial. Will man Medienkulturen in dieser Komplexität vergleichen, erfordert dies einen Mehrebenenansatz, d.h. eine transkulturelle Forschungsperspektive (vgl. ROBINS 2006). [1]

Um diese Perspektive zu erläutern möchte ich wie folgt vorgehen: In einem ersten Schritt möchte ich präziser theoretisieren, was "Medienkulturen" sind. Basierend hierauf geht es mir in einem zweiten Schritt darum, territoriale und deterritoriale Aspekte gegenwärtiger Medienkulturen zu reflektieren. Drittens werde ich "Transkulturalität" als eine Perspektive der vergleichenden Medienkulturforschung fassen, um schließlich viertens auf einer eher praktischen Ebene zu demonstrieren, wie eine solche Perspektive in der qualitativen Medien- und Kommunikationsforschung realisiert werden kann. [2]

Insgesamt greifen meine Argumente verschiedene theoretische Reflexionen auf, die ich an anderer Stelle teilweise zusammen mit Nick COULDRY veröffentlicht habe (vgl. u.a. HEPP 2006, 2008a; HEPP & COULDRY 2009). Jedoch ist es das Ziel dieses Artikels, wesentlich konkreter die praktische Relevanz einer transkulturellen Forschungsperspektive zu verdeutlichen. Alle methodischen Reflexionen basieren dabei auf der transkulturell vergleichenden Forschung, die wir in den letzten Jahren realisiert haben.1) [3]

2. Translokalität als Ansatz der Theoretisierung von Medienkulturen

Der Ausdruck "Medienkultur" wurde im letzten Jahrzehnt mehr und mehr zu einem relevanten Konzept der Kommunikations- und Medienwissenschaft, in der lange Zeit Medien und Kultur als separate Kategorien verwendet wurden. So nannte im Jahr 1995 Douglas KELLNER sein Buch zu Identität, Politik und Medien "Media Culture". In diesem Buch beschreibt KELLNER "Medienkultur" im Kern als die Kultur, die durch Medien als industrielle Organisationen produziert und durch die Publika angeeignet wird: "Media culture", schreibt er, "is industrial culture, organized on the model of mass production and is produced for a mass audience according to types (genres), following conventional formulas, codes, and rules." (KELLNER 1995, S.1) Diese Art von mediatisierter Konsumkultur hat einen herausgehobenen Status im Alltagsleben, indem "Medienkultur" Menschen dazu veranlasst, sich mit dominanten sozialen und politischen Ideologien, Positionen und Repräsentationen zu identifizieren (vgl. KELLNER 1995, S.3). Jedoch ist Medienkultur "highly complex and so far has resisted any adequate general theoretizations" (ibid.). [4]

Die Überlegungen von Douglas KELLNER verweisen auf zwei für das Theoretisieren von "Medienkultur" wichtige Aspekte: Auf der einen Seite macht das Konzept der "Medienkultur" Sinn, indem "die Medien" zunehmend eine zentrale Ressource der alltäglichen Bedeutungsproduktion sind. Auch wenn Douglas KELLNER das Konzept der Medienkultur für massenmediale Kultur reserviert, rechtfertigt er die Relevanz dieses Konzepts, indem er auf den herausgehobenen Stellenwert medialer kultureller Vermittlung ("mediation") in der Gegenwart insgesamt verweist. Auf der anderen Seite betont KELLNER die Komplexität einer solchen Theoretisierung, ein Aspekt, der zusätzlich ins Gewicht fällt, sobald Fragen vergleichender Medienkulturforschung methodisch reflektiert werden. [5]

Wenn man die Diskussion um Medienkultur in der Kommunikations- und Medienwissenschaft seit den 1990er Jahren betrachtet, wurde das Konzept im Vergleich zu KELLNERs eigenem Ansatz zunehmend ausgeweitet. Jonathan BIGNELL (2000, S.5) beispielsweise definiert Medienkultur als "a terrain on which communication between people in a concrete historico-economic situation takes place" – Medienkultur wird tendenziell mit der gesamten Kultur gleichgesetzt, die durch Kommunikation vermittelt ist. In einem ähnlichen Sinne wird das Konzept der Medienkultur von Siegfried J. SCHMIDT (1992), Werner FAULSTICH (1998) oder Knut HICKETHIER (2003) verwendet, die – wie Knut LUNDBY (1993) – Medienkultur als eine Kultur definieren, in der Massenmedien die zentralen Ressourcen der Bedeutungsproduktion sind. Ein solches Verständnis von Medienkultur wird weiter ausgeweitet, wenn zusätzlich digitale Medien und deren "Mediatisierung" (KROTZ 2008) im Alltagsleben fokussiert werden (vgl. THOMAS & KROTZ 2008). [6]

Nimmt man diese Überlegungen als Ausgangspunkt, können Medienkulturen als solche Formen von Kultur definiert werden, deren primäre Bedeutungsressourcen durch technische Kommunikationsmedien vermittelt bzw. zur Verfügung gestellt werden (vgl. HEPP 2008b, S.124). Eine solche Definition berücksichtigt, dass keine Kultur jemals in der Form mediatisiert ist, dass alle ihre Ressourcen exklusiv durch Medien vermittelt sind. Es ist notwendig, dies zu betonen, da der "myth of a mediated centre", wie es Nick COULDRY (2003, S.2) nennt, in all seiner Komplexität reflektiert werden muss: Während sicherlich nicht alles durch die Medien vermittelt ist (vgl. auch REICHERTZ 2008, S.17), artikulieren sich die Medien selbst in Kooperation mit anderen sozialen Institutionen in einem Prozess der "fortlaufenden sozialen Konstruktion" (COULDRY 2008, S.3) als das Zentrum der Gesellschaft. Entsprechend sind Medienkulturen nicht einfach Kulturen, die durch Mediatisierung im Sinne einer zunehmenden quantitativen Verbreitung und qualitativen Prägung von Kultur durch Prozesse der Medienkommunikation gekennzeichnet sind (vgl. HEPP 2009). Zusätzlich kann man sagen, dass Medienkulturen solche Kulturen sind, in denen "die Medien" Erfolg haben, sich selbst als diejenigen zu konstruieren, die die primären Bedeutungsressourcen zur Verfügung stellen – kurz: das Zentrum bilden. [7]

In diesem Sinne können Medienkulturen als translokale Phänomene verstanden werden: In Prozessen der Medienkommunikation fußend überschreiten Medienkulturen per Definition das Lokale und artikulieren sich in einem translokalen Horizont. Der Ausdruck translokal oder Translokalität ist an dieser Stelle als ein analytisches Konzept zu begreifen, um die kommunikative Konnektivität von Medien zu betrachten. [8]

Es gibt zwei Gründe, warum dieses Konzept als angemessen erscheint, Gründe, die sich mit dem Wort "Lokalität" und seinem Präfix "Trans-" verbinden lassen. Lokalität betont, dass – auch in Zeiten der Globalisierung von Medienkommunikation – die lokale Welt nicht aufhört zu existieren. Unabhängig davon, wie weitreichend die kommunikative Konnektivität einer Lokalität auch sein mag, so wird dadurch nicht infrage gestellt, dass eine Person ihr Leben primär lokal lebt (vgl. MOORES 2000). Als ein physisches menschliches Wesen muss man sich irgendwo aufhalten. Das Präfix "Trans-" lenkt unseren Fokus von Fragen des Lokalen (auf die sich beispielsweise die Medienethnografie fokussiert) zu Fragen der Konnektivität. Entsprechend betont eine Ausrichtung von Forschung auf Translokalität auf der einen Seite, dass das Lokale nach wie vor eine große Relevanz hat, dass auf der anderen Seite aber heutige Lokalitäten in hohem Maße physisch und kommunikativ miteinander verbunden sind. Und hierin ist auch der Grund zu sehen, warum das Lokale nicht einfach verschwindet, sich gleichwohl allerdings wandelt. [9]

Daneben bezieht sich Translokalität aber auch auf ein bestimmtes Verständnis von Kultur. Vor einiger Zeit hat Jan NEDERVEEN PIETERSE (1995) zwei prinzipielle Möglichkeiten des Verständnisses von Kultur unterschieden, nämlich ein territoriales und ein translokales Verständnis. Seine Argumente zusammenfassend lässt sich sagen, dass territoriale Konzepte von Kultur innenorientiert und endogen sind, fokussiert auf Organität,2) Authentizität und Identität. Translokale Konzepte von Kultur sind außenorientiert und exogen, fokussiert auf Hybridität, Übersetzung und fortlaufende Identifikation. Ausgehend hiervon erscheint es mir generell angemessen, Medienkulturen ganz allgemein in einem translokalen Rahmen zu sehen: Alle Medienkulturen sind mehr oder weniger hybrid, müssen übersetzen, sind durch einen Wandel von Identität gekennzeichnet usw. Problematisch an einer territorialen Konzeptionalisierung von Medienkultur ist also, dass sie sich auf das bereits kritisierte nationalstaatliche Container-Denken bezieht. Mit einem solchen Ansatz werden Medienkulturen unhinterfragt als Nationalkulturen territorialer Staaten interpretiert. Sinnvoller als ein solches territoriales Grenzziehen erscheint es zu betonen, dass Medienkulturen – als die "Summe" der Klassifikationssysteme und diskursiven Formationen, auf die sich die Bedeutungsproduktion in alltäglichen Praktiken bezieht (vgl. HALL 1997, S.222; 2002) – das Lokale durchschreiten, ohne notwendigerweise Territorialität als Referenzpunkt von Bedeutungsartikulation zu haben. In diesem Sinne sind Medienkulturen eine Art von Verdichtung translokaler Prozesse der Bedeutungsartikulation. [10]

3. Medienkulturen als kulturelle Verdichtungen und translokale Vergemeinschaftungen

Mit einem Fokus auf einen solchen Ansatz wird es möglich, europäische Medienkulturen der letzten einhundert Jahre auf neue Art und Weise zu beschreiben. Hier kann auf die Arbeiten von Benedict ANDERSON, Orvar LÖFGREN oder David MORLEY verwiesen werden. [11]

Das Aufkommen nationaler Kulturen ist verbunden mit der Verbreitung sogenannter "Massenmedien". Wenn unterschiedliche Lokalitäten intensiv durch Medien miteinander konnektiert sind, werden verschiedenste Menschen in einen kommunikativen Prozess eingebunden, der auf die Konstruktion einer geteilten "vorgestellten Gemeinschaft" (ANDERSON 1983), eines "home territory" (MORLEY 2000) oder einer "kulturellen Verdichtung" (LÖFGREN 2001) zielt. Solche Überlegungen verweisen darauf, in welchem Maße Fragen der Territorialität mit solchen der Translokalität zusammenhängen. Ein Beispiel ist die Geschichte des Fernsehens: Erstens wurde das Fernsehen in den 1950er Jahren zuerst einmal als "global" vermarktet, indem es als ein "Fenster zur Welt" dargestellt wurde. Zweitens musste das Fernsehen lokal angeeignet werden, d.h. es musste seinen Platz im lokalen Leben finden. Und drittens hatte der Horizont seiner ersten Repräsentationen eine Tendenz zum National-Territorialen, indem die ersten wichtigen Fernsehereignisse nationale Feste, nationale Fußballspiele oder nationale serielle Produktionen waren, und auch die Grenzen des Sendegebiets von Fernsehanstalten waren nationale. Wie schon die Printmedien und das Radio zuvor, half das Fernsehen, eine territorialisierte "vorgestellte Gemeinschaft" der Nation zu artikulieren. [12]

David MORLEYs Metapher des "home territory" wird an dieser Stelle in einem doppelten Sinne wichtig. Auf der einen Seite verweist sie auf das Spezifische dieser nationalen Medienkulturen. Es ist möglich, nationale Medienkulturen als solche zu fassen, deren translokale kommunikative Verdichtungen in dem Sinne territorialisiert sind, dass nationale Grenzen die primären Grenzen vielfältiger kommunikativer Netzwerke und Flüsse wie auch der kommunikativen Konstruktion sind. Der Prozess der kulturellen Verdichtung einer nationalen vorgestellten Gemeinschaft erscheint territorial bezogen. Auf der anderen Seite zeigt uns David MORLEYs Metapher des "home territory" deutlich, dass diese Territorialität des medienvermittelten Zuhauses nicht mehr in einer reinen Form besteht. In Zeiten der Globalisierung werden kommunikative Konnektivitäten zunehmend deterritorialisiert. Mit der Distribution von Medienprodukten über verschiedene nationale Grenzen hinweg und dem Aufkommen des Internets nimmt eine globale kommunikative Konnektivität zu, die die Verdichtungen nationaler Medienkulturen relativiert. Man muss diese zunehmend als Teil verschiedenster Netzwerke der Medien kontextualisieren.



Abbildung 1: Translokale Vergemeinschaftungen und kulturelle Verdichtungen [13]

Das bedeutet, dass die Grenzen der kulturellen Verdichtungen, denen man sich zugehörig fühlt, nicht notwendigerweise deren territorialen Grenzen entsprechen, während gleichzeitig Territorien nach wie vor ein hoher Stellenwert als Bezugspunkt der Artikulation nationaler Gemeinschaften zukommt (siehe Abbildung 1). Nichtsdestotrotz gewinnen neben diesen deterritoriale Verdichtungen mit einer zunehmenden globalen kommunikativen Konnektivität an Relevanz. [14]

Wenn man heutige Medienkulturen betrachtet, so fällt auf, dass diese durch beide Momente gekennzeichnet sind: Auf der einen Seite bestehen nach wie vor eher territorial fokussierte Verdichtungen kommunikativer Konnektivität, weswegen es Sinn macht, von medienvermittelten "regionalen" oder "nationalen" translokalen Gemeinschaften als einem Bezugspunkt von Identitäten und Kulturen zu sprechen. Aber zur gleichen Zeit bestehen auf der anderen Seite kommunikative Verdichtungen über solche territorialen Grenzen hinweg, Verdichtungen, die den Raum für deterritoriale translokale Vergemeinschaftungen mit entsprechenden Identitäten und Kulturen eröffnen. Analytisch lassen sich vier Arten solcher deterritorialen Vergemeinschaftungen unterscheiden im Hinblick auf deren ethnischen, kommerziellen, politischen und religiösen Aspekt. Auf der Ebene von Ethnizität findet sich eine zunehmende Zahl an kommunikativen Verdichtungen von Migrationsgruppen und Diasporas. Auf kommerzieller Ebene lässt sich eine zunehmende Zahl deterritorialer populärkultureller Gemeinschaften ausmachen wie z.B. Jugendkulturen oder Jugendszenen. Auf politischer Ebene besteht eine zunehmende Zahl deterritorialer sozialer Bewegungen wie beispielsweise die globalisierungskritische Bewegung. Und auch religiöse Vergemeinschaftungen als eine historisch sehr alte Form deterritorialer Gemeinschaft haben in den letzten Jahren wieder an Relevanz gewonnen. Man kann argumentieren, dass all diese Beispiele auf eine translokale, medienvermittelte Konnektivität bzw. auf dieser entsprechende spezifische kulturelle Verdichtungen verweisen und eine zentrale Ressource für gegenwärtige Identitäten sind. Genau deswegen kann angenommen werden, dass diese kulturellen Verdichtungen so etwas wie eigenständige Medienkulturen bilden – in ihren Grundprozessen durchaus vergleichbar zu nationalen Medienkulturen. Die von Douglas KELLNER (1995) betonte Komplexität der Beschreibung von Medienkulturen gewinnt damit eine weitere Facette. [15]

4. Transkulturalität als Forschungsperspektive

Teilt man die bisher dargelegten Überlegungen, so stellt sich die Frage, wie dann eine vergleichende Forschung zu Medienkulturen vonstatten gehen sollte. Zu deren Beantwortung ist ein komplexerer Analyserahmen notwendig als der in der bisherigen vergleichenden Medienforschung favorisierte. Viele aktuelle Ansätze sind durch einen impliziten "territorialen Essentialismus" gekennzeichnet, auch wenn der Versuch unternommen wird, konsequente international vergleichende Ansätze zu entwickeln. Der Staat bleibt dennoch der prinzipielle Referenzpunkt vergleichender Forschung, d.h. die Basis, auf der Mediensysteme, Medienmärkte und Medienkulturen theoretisiert werden. [16]

Dies kann dies als internationaler und interkultureller Ansatz der vergleichenden Medienforschung bezeichnet werden (HEPP 2006, S.78-80). Mein Vorbehalt gegenüber einem solchen Ansatz ist nicht, dass ich verneinen möchte, dass Aspekte von Medienkommunikation auf den Staat bezogen sind und entsprechend in einem (territorialen) Staatsrahmen verhandelt werden müssen. Insbesondere im Feld der politischen Kommunikation mit ihrem Fokus auf national-territoriale politische Entscheidungsprozesse bleibt der Staat ein zentraler Bezugspunkt (HEPP & WESSLER 2008). Jedoch besteht in der vergleichenden Medienforschung die Tendenz, diese Beziehung zwischen Staat, (politischem) Mediensystem, Medienmarkt und Medienkultur in einem Modell des binären Vergleichs zu "essenzialisieren", weswegen hier von einer binären Vergleichssemantik gesprochen werden kann.3) [17]

Bei der Behandlung von medienkulturellen Fragen im zuvor dargelegten Sinne erscheint dieser "territoriale Essentialismus" in hohem Maße problematisch, indem bestehende Medienkulturen nicht per se in solche nationalen Container gebunden sind und entsprechend für einen solchen Vergleichsansatz nicht zugänglich erscheinen. Werden Fragen von Medienkultur im Allgemeinen fokussiert, wird man mit einer wesentlich größeren Komplexität konfrontiert: Auf der einen Seite haben Medienkulturen etwas zu tun mit "Territorialisierung" – hier verstanden als ein bestimmter Prozess der Bedeutungsartikulation oder Konstruktion – und auf der anderen Seite mit "Deterritorialisierung" in dem Sinne, dass viele der gegenwärtigen kulturellen Formen sich nicht mehr auf bestimmte Territorien beziehen lassen. Insgesamt zeigt dies, wie problematisch ein essenzialistisches territorialisierendes "Container-Denken" für einen angemessenen vergleichenden Ansatz in der Medienkulturforschung ist. [18]

Aber wo kann dann eine vergleichende Forschung ansetzen? Die Antwort auf diese Frage, die ich geben möchte, lautet: bei einer neuen Vergleichssemantik, die ich als "transkulturelle Perspektive" bezeichnen möchte. Mit dem Ausdruck "transkulturell" möchte ich nicht sagen, dass die Forschung sich nur mit kulturellen Formen befassen sollte, die "jenseits" oder "über" Kulturen "hinweg" standardisiert sind. Vielmehr entleihe ich dieses Konzept den Überlegungen von Wolfgang WELSCH (1999), der es dazu verwendet hat zu fassen, dass sich gegenwärtig wichtige kulturelle Phänomene nicht auf Fragen traditioneller Kulturen, die in bestimmten Territorien lokalisiert werden können, herunterbrechen lassen. Vielmehr zeichnen sich vielfältige gegenwärtige kulturelle Formen gerade dadurch aus, dass sie zunehmend über verschiedene Territorien hinweg generiert und kommuniziert werden. [19]

Die transkulturelle Vergleichssemantik, die ich vorschlagen möchte, nimmt die Existenz eines globalen Medienkapitalismus als Ausgangspunkt. Über verschiedene Staaten hinweg wurde der globale Medienkapitalismus in dem Sinne eine zentrale strukturierende Kraft, als in verschiedenen Regionen der Welt Medienkommunikation mehr und mehr als der "Austausch von Waren" angesehen wird und nicht nur als Prozess von Kommunikation, der auf eine bessere wechselseitige Verständigung ausgerichtet ist (vgl. HERMAN & McCHESNEY 1997; HESMONDHALGH 2002). [20]

Eine solche Aussage sollte nicht in dem Sinne missverstanden werden, dass es keinen "alternativen Gebrauch" von Medien gäbe, wie dies insbesondere beim Internet der Fall ist (beispielsweise in Form von diasporischen Webseiten oder radikalen politischen Informationsportalen). Jedoch gilt auch für solche alternativen Gebrauchsweisen, dass sie mehr und mehr durch eine kommerzielle Infrastruktur des Internets gerahmt werden, eine Infrastruktur, die heutzutage mehr als ein kommerzielles Unternehmen denn als utopisches Netzwerk der Kommunikation erscheint, um hier ein Bild aus den Anfängen des Internets zu bemühen. Ähnliches kann für öffentliche Medien gesagt werden, die gegenwärtig vor allem mit der ökonomischen Verantwortung für deren Handeln konfrontiert sind, was sich oft in der Beziehung zwischen "Gebühren" und "erreichten Öffentlichkeiten" ausdrückt. Kommerzielle Kriterien sind ein hoch relevanter Rahmen insbesondere bei einer "Investition" in nationale Grenzen überschreitende Kommunikation. [21]

Nichtsdestotrotz ist im Blick zu halten, dass dieser globale Medienkapitalismus nicht einfach global die Bedeutungsartikulation standardisiert, was an dessen "Überdeterminierung" von Bedeutung liegt (ANG 1996). Eher erscheint der globale Medienkapitalismus mit dessen Suche nach vielfältigen neuen Produkten und Bezugsmöglichkeiten eine Quelle fortschreitender kultureller Fragmentierung, Auseinandersetzung und des Missverständnisses zu sein, nicht nur zwischen Nationalkulturen, sondern auch über diese hinweg. [22]

Innerhalb des globalen Medienkapitalismus sind politische Mediensysteme die am stärksten territorial gebundenen Einheiten, indem die Legitimität politischer Entscheidungsprozesse nach wie vor zu einem hohen Maße staatsbezogen ist. Nichtsdestotrotz gilt ausgehend von meinen bisher angeführten Argumenten, dass sobald Fragen der Medienkultur in den Vordergrund rücken, kulturelle Verdichtungen tendenziell eher territorialisiert sein können (im Falle von nationalen Kulturen, die sich in einem Bezug zum Staat und dessen Territorium artikulieren) oder aber sie können Staaten und deren Territorien durchschreiten. Beispiele, die ich dafür erwähnt habe, sind Diasporas, Populärkulturen, soziale Bewegungen oder religiöse Vergemeinschaftungen. Die Artikulation dieser Vergemeinschaftungen verweist auf deterritorialisierte, transmediale Kommunikationsräume. [23]

Bezogen auf die Frage "Wie soll man vergleichen?" überwindet ein "transkultureller Ansatz" die Binarität eines "internationalen Ansatzes" ohne den Staat und die Nation als mögliche Bezugspunkte des Vergleichs auszuschließen. Konkret heißt das, ein "transkultureller Ansatz" operiert nicht mit der Vorstellung von durch territoriale Staaten gebundenen Medienkulturen, sondern mit einem Verständnis, wonach Medienkulturen spezifische Verdichtungen in einer zunehmend globalen kommunikativen Konnektivität sind. Eine solche Vergleichssemantik versucht die Spezifik solcher Verdichtungen wie auch die komplexen Beziehungen zwischen ihnen zu fassen. [24]

5. Medienkulturen transkulturell erforschen

Bis zu diesem Punkt waren meine Überlegungen eher grundlegender Natur und hatten das Ziel, den Rahmen einer transkulturellen Forschungsperspektive im Allgemeinen zu formulieren. Diese Forschungsperspektive muss als ein Ansatz verstanden werden, der methodisch sehr heterogen gestaltet werden kann. So ist es beispielsweise möglich, Umfragen zur Mediennutzung in einer transkulturell vergleichenden Weise zu realisieren, was bedeutet, dass die Daten nicht einfach in einem nationalen Rahmen aggregiert werden, sondern ein Clustering der Daten entlang unterschiedlicher, auch transkultureller Kriterien wie beispielsweise religiöser Orientierung oder populären Interessen betrieben wird. Oder es kann eine standardisierte Inhaltsanalyse durchgeführt werden, bei der die Daten nicht als typisch für nationale Medienkulturen interpretiert, sondern nach transkulturellen Spezifika angeschaut werden, beispielsweise der Repräsentation "des Anderen" in der Boulevardpresse oder der staatenübergreifenden professionellen Journalismuskulturen. Daneben lässt sich eine Vielzahl weiterer methodischer Vorgehensweisen und Forschungsprojekte in der skizzierten transkulturellen Vergleichsperspektive realisieren. In diesem Sinne handelt es sich bei ihr um ein sehr grundlegendes Prinzip der Vergleichssemantik von Daten, die mittels sehr unterschiedlicher Methoden erhoben und ausgewertet werden. [25]

Nichtsdestotrotz ist eine transkulturelle Perspektive insbesondere relevant für eine vergleichende qualitative Medienforschung. Dies liegt darin begründet, dass ein solcher Ansatz bezogen ist auf ein Vorgehen, das die kulturelle Konstruktion oder Artikulation als solche auf vergleichende Weise betrachtet. In einem gewissen Sinne führt dieser Ansatz mit Bezugnahme auf ein vergleichendes Vorgehen Nick COULDRYs (2003, 2008) Argument fort, dass Forschung sich auf die Konstruktion des "medienvermittelten Zentrums" konzentrieren sollte, anstatt die Annahme unhinterfragt zu übernehmen, dass die Medien das Zentrum der Gesellschaft sind. Das Hauptargument ist, dass es gilt, in unterschiedlichen kulturellen Verdichtungen den Status von Medien für deren Artikulation kritisch zu analysieren. Macht man dies vergleichend, so eröffnet sich ein tieferes Verständnis für solche Prozesse der kulturellen Konstruktion oder Artikulation, da das kulturell Spezifische auf wesentlich bessere Weise verstanden werden kann, wenn es mit anderen kulturellen Spezifika verglichen wird:4) Es wird der Prozess der Konstruktion des "Kulturellen" durch "die Medien" zugänglich. [26]

Hiervon ausgehend möchte ich einen dreistufigen Ansatz für eine solche qualitative Forschung zu Medienkulturen in einer transkulturellen Perspektive vorschlagen. Während die im Folgenden beschriebenen Schritte sicherlich miteinander in Beziehung stehen, erscheint es mir dennoch sinnvoll, sie als einzelne Prozeduren einer empirischen Medienforschung zu sehen. Kulturelle Muster zu analysieren, vielfach zu vergleichen und multiperspektivisch zu kritisieren impliziert jeweils einen unterschiedlichen Fokus der Forschung und bildet insgesamt einen fortschreitenden analytischen Prozess. [27]

5.1 Kulturelle Muster analysieren

Im Fokus einer Medienkulturforschung in einer transkulturellen Perspektive sind – wie bei einer Kulturanalyse überhaupt – "kulturelle Muster". Aber was ist genau unter "kulturellen Mustern" zu verstehen? Um diese Frage zu beantworten ist es hilfreich, zu dem bereits skizzierten Verständnis von (Medien-) Kultur als einer Verdichtung von Klassifikationssystemen und diskursiven Formationen, auf die die Bedeutungsproduktion in alltäglichen Praktiken Bezug nimmt, zurückzukommen. Bezieht man dieses Verständnis auf die gegenwärtige Diskussion um einen praxeologischen Ansatz in der vergleichenden Kulturforschung (vgl. RECKWITZ 2005, S.96), dann integriert es alle drei etablierten Diskurse in der Tradition des Sozialkonstruktivismus: einen mentalistischen (mit der Betonung der Relevanz von Klassifikationssystemen), einen textuellen (mit der Betonung der Relevanz diskursiver Formationen) und einen praxeologischen (mit der Betonung der Relevanz alltäglicher Bedeutungsproduktion durch Praktiken). Die damit verbundene Idee ist es, die Zentralität alltäglicher Praktiken bei der "Artikulation von Kultur" zu berücksichtigen, gleichzeitig aber auch einzubeziehen, dass sich "Kultur" nicht hierauf reduzieren lässt. "Kultur" ist ebenso präsent in diskursiven Formationen und Klassifikationssystemen, auf die wir in unseren alltäglichen Handlungen Bezug nehmen, in den meisten Fällen ohne ein "diskursives Bewusstsein" im Sinne von Anthony GIDDENS (1989) hierüber.5) Aber es muss ebenso berücksichtigt werden, dass eine solche Differenzierung heuristisch ist. Beispielsweise zeigt die Akteurs-Netzwerk-Theorie, dass "Denken" auf (auch materiellen) Wissenspraktiken basiert (vgl. LATOUR 1992). Die Diskursanalyse hat darauf hingewiesen, dass Diskurse durch Praktiken hervor gebracht werden, aber auch bestimmte Praktiken produzieren, indem sie ein bestimmtes Wissen schaffen (vgl. FOUCAULT 1994). Und Praktiken werden selbst geformt auf Basis sedimentierter mentaler Relevanzstrukturen, wie die Sozialphänomenologie zeigt (SCHÜTZ 1967). [28]

Mein Argument ist, dass eine vergleichende Medienkulturforschung nach kulturellen Mustern in jeder der drei Hinsichten schauen sollte, also nach "Mustern des Denkens", "Mustern des Diskurses" und "Mustern der Praxis" bzw. des "Handelns", während gleichzeitig deren Wechselbeziehung reflektiert wird. Der Gebrauch des Ausdrucks "Muster" ist dabei irreführend, wenn er auf etwas "Statisches" bezogen wird. Im Gegensatz dazu sollte in der Kulturanalyse gegenwärtig sein, dass es auch um Muster des Prozesses geht. Insgesamt hebt der Ausdruck "Muster" jedoch darauf ab, dass Kulturanalyse nicht einfach das singuläre Denken, den singulären Diskurs oder die singuläre Praxis beschreiben sollte, sondern auf der Basis der Analyse unterschiedlicher singulärer Phänomene die typischen "Arten" des Denkens, der Diskurse oder der Praktiken in einem bestimmten kulturellen Kontext. Mit anderen Worten ist ein kulturelles Muster eine bestimmte "Form" oder ein bestimmter "Typus", der in der Kulturanalyse herausgearbeitet wird. [29]

In diesem Sinne werden (Medien-) Kulturen als Verdichtungen von bestimmten Mustern des Denkens, des Diskurses und der Praxis analysiert. Dies ist der Punkt, an dem ein weiterer Aspekt von Verdichtung relevant wird. Viele der kulturellen Muster, die typisiert werden, sind nicht exklusiv für die je beschriebene Kultur. Genau dies ist der Punkt, an dem sich die allgemeine Hybridisierung von Kulturen manifestiert. Vielmehr zeigt sich die Spezifik einer (Medien-) Kultur als territorialisierte oder deterritorialisierte Verdichtung in der Gesamtartikulation bestimmter Konnektivitäten verschiedener kultureller Muster. Hier betont der Ausdruck Verdichtung die Spezifik einer Kultur in der Gesamtheit ihrer Muster wie auch die Offenheit einer Kultur in der Nicht-Exklusivität vieler oder der meisten ihrer kulturellen Muster. [30]

Entsprechend beginnt jede Form der Analyse von Medienkulturen mit der Analyse ihrer spezifischen kulturellen Muster. Ein im hohen Maße bewährtes praktisches Verfahren dafür ist der Kodierungsprozess, wie er in den Ansätzen der Grounded Theory und theorieentwickelnden Forschung formuliert ist (vgl. beispielsweise GLASER & STRAUSS 1967; KROTZ 2005): eine Kodierung, die mit der Suche nach Konzepten beginnt, um bestimmte Phänomene in verschiedenen empirischen Daten (Interviews, Medienprodukten, Tagebüchern, Beobachtungsprotokollen usw.) zu fassen und dann Kategorien bildet, um die gefundenen kulturellen Muster zu benennen. Und weil eine gewisse alltägliche Komplexität kultureller Muster erwartet werden kann, empfiehlt sich eine Triangulation verschiedener Datenerhebungsmethoden. [31]

5.2 Vielfach vergleichen

Aber wie kommt nun eine transkulturelle Perspektive in eine solche Forschung? Wenn ich diese Frage stelle, beziehe ich mich auf die Art und Weise, in der Vergleiche innerhalb von Forschungsarbeiten realisiert werden. Ein Vergleich in transkultureller Perspektive beginnt nicht innerhalb der binären Semantik eines nationalen Vergleichs, bei der jedes kulturelle Muster als Ausdruck einer nationalen Medienkultur verstanden wird, sondern entwickelt einen vielfachen Prozess des Vergleichs. Wie GLASER und STRAUSS (1967) erklärt haben, ist die Formulierung einer "materialbasierten Theorie" im Allgemeinen komparativ: Unterschiedliche Fälle von Interviews, Medienprodukten, Tagebüchern, Beobachtungsprotokollen usw. werden miteinander verglichen, um in einem fortlaufenden Prozess die Hauptkategorien der zu generierenden Theorie über die verschiedenen Fälle hinweg zu entwickeln. [32]

Dies ist exakt der Prozess, der auch in einer transkulturell vergleichenden Medienforschung realisiert wird, ohne dass die Daten von vornherein national aggregiert werden. Die Fälle über die unterschiedlichen kulturellen Kontexte hinweg werden miteinander verglichen, um zu einem Kategoriensystem zu gelangen, das nicht einfach nur nationale Differenzen beschreibt, sondern darüber hinaus auch transnationale Gemeinsamkeiten von kulturellen Mustern. Mit einem solchen Vorgehen wird eine größere Komplexität der Analyse möglich, die es gestattet, Zugang zu medienkulturellen Verdichtungen zu finden, die jenseits des National-Territorialen liegen. [33]

Praktisch gesehen lässt sich ein solches vielfaches Vergleichen wie folgt realisieren:

Ein solches Vorgehen des Vergleichs ermöglicht es, verschiedene Arten von kulturellen Verdichtungen jenseits eines essenzialistischen nationalen Rahmens zu untersuchen. Eine bestimmte kulturelle Verdichtung wird als eine Artikulation von verschiedenen Mustern des Denkens, des Diskurses und der Praxis zugänglich. [35]

5.3 Multiperspektivisch kritisieren

Das beschriebene Verfahren der Erforschung von Medienkulturen in einer transkulturellen Perspektive versteht sich explizit als ein kritischer Ansatz; es geht nicht nur um ein Beschreiben und Erklären bestimmter kultureller Verdichtungen, sondern zusätzlich darum, dies auf kritische Weise zu tun. Allerdings ist die oder der Forschende nicht neutral, sondern selbst Teil einer situierten kulturellen Praxis der transkulturellen Medienforschung (vgl. WINTER 2005, S.279). Wie ist es also möglich, kritisch zu sein, ohne einfach den eigenen normativen Rahmen auf selbst-zentrierte Weise zu reproduzieren? Auf diese Frage gibt es keine einfache Antwort. Jedoch erscheint es zumindest möglich, drei grundlegende Prinzipien zu formulieren, die dabei helfen, eine vergleichende Medienkulturforschung mit einer multiperspektivischen Kritik zu verbinden.

Sicherlich ist es – wie mit Douglas KELLNER (1995, S.3) gesagt werden kann – aufgrund von deren Komplexität ein höchst riskantes Unterfangen, einen allgemeineren Ansatz der Analyse von Medienkulturen für eine qualitative Medien- und Kommunikationsforschung zu formulieren. In diesem Sinne wäre es ein Missverständnis, den hier entwickelten Ansatz der Medienkulturforschung in einer transkulturellen Perspektive als den alleinig möglichen Ansatz in diesem Feld zu begreifen. Andere Ansätze betonen andere relevante Aspekte der vergleichenden Medienkulturforschung. Nichtsdestotrotz möchte ich argumentieren, dass eine transkulturelle Perspektive einen höchst produktiven methodischen Zugang eröffnet, indem sie sehr unterschiedliche machtbezogene Prozesse der kulturellen Artikulation auf kritische Weise zugänglich macht. Meine Hoffnung ist, dass dieser Artikel andere dazu anregt, Forschung in einer ähnlichen Ausrichtung zu betreiben. [37]

Danksagung

Viele Abschnitte dieses Artikels gehen zurück auf methodologische Diskussionen mit Nick COULDRY (dem ich zusätzlich dafür danken möchte, in Abschnitt drei und vier Überlegungen aufgreifen zu können, die wir zuvor gemeinsam publiziert haben), Friedrich KROTZ, Shaun MOORES, John TOMLINSON und Hartmut WESSLER. Allen möchte ich danken für deren kontinuierliche Kritik und ihr Feedback zu einer Medienkulturforschung in transkultureller Perspektive.

Anmerkungen

1) Für einen Überblick der u.a. von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und Europäischen Union (EU) finanzierten Projekte, unter anderem zu Medienevents, Diasporas und gegenwärtig zu politischen Diskurskulturen, siehe http://www.imki.uni-bremen.de/. <zurück>

2) Der Begriff der Organität hebt an dieser Stellen auf Vorstellungen von Kultur ab, die diese mit organologischen Metaphern beschreiben. <zurück>

3) Auch wenn mehr als zwei Medienkulturen, -Märkte oder -Systeme miteinander verglichen werden, wird eine binäre Vergleichssemantik in dem Sinne aufrecht erhalten, dass geschlossene Dualitäten miteinander in Beziehung gesetzt werden. <zurück>

4) Mit dieser Formulierung möchte ich nicht sagen, dass ein vergleichender Ansatz die einzige Möglichkeit ist, Einblicke in "kulturelle Differenz" zu gewinnen. Wie Andreas RECKWITZ (2005, S.93) argumentiert, ist dies beispielsweise auch durch "simulierte Fremdbeobachtung" möglich. <zurück>

5) Mir erscheint es gerade notwendig, in die Betrachtung auch Fragen von diskursiver Formation und Klassifikationssystemen einzubeziehen, wenn wir unsere Forschung auch kritisch betreiben wollen. <zurück>

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Zum Autor

Dr. habil. Andreas HEPP ist Professor für Kommunikationswissenschaft am IMKI, Universität Bremen. Seine Forschung fokussiert sich auf die Beziehung zwischen Medienwandel und kulturellem Wandel. In diesem Rahmen sind seine Hauptthemen die Globalisierung von Medienkommunikation, transkulturelle Kommunikation, Migration und Diaspora, Medien und religiöser Wandel, die Transnationalisierung von Öffentlichkeiten, Medienaneignung und Mediatisierungsforschung. Er ist Autor von vier und Mitautor von zwei Büchern, Mitherausgeber von neun Büchern und hat mehr als 90 Artikel und Beiträge für verschiedene Zeitschriften und Bücher verfasst.

Kontakt:

Prof. Dr. Andreas Hepp

Universität Bremen – FB 9
IMKI, Institut für Medien, Kommunikation & Information
Fachgebiet Kommunikationswissenschaft
Enrique-Schmidt-Strasse 7
D-28359 Bremen

Phone: +49 (0)421 218-67620

E-Mail: Andreas.Hepp@uni-bremen.de
URL: http://www.imki.uni-bremen.de/, http://www.andreas-hepp.name/

Zitation

Hepp, Andreas (2009). Transkulturalität als Perspektive: Überlegungen zu einer vergleichenden empirischen Erforschung von Medienkulturen [37 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 10(1), Art. 26, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs0901267.

Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research (FQS)

ISSN 1438-5627

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