Volume 11, No. 2, Art. 20 – Mai 2010

Rezension:

Renate Buber

Dominik Schrage & Markus R. Friederici (Hrsg.) (2008). Zwischen Methodenpluralismus und Datenhandel. Zur Soziologie der kommerziellen Konsumforschung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften; ISBN 978-3-531-15470-1; EUR 29,90

Zusammenfassung: Die Beiträge in dem Sammelband "Zwischen Methodenpluralismus und Datenhandel" diskutieren die Rolle der kommerziellen Konsumforschung aus soziologischer Sicht. Dabei stehen nach einer einleitenden Diskussion zur Situierung der kommerziellen Konsumforschung Fragen zum Methodenpluralismus und zum Handel mit Daten im Zentrum der Betrachtung. Neben der Validität als Prestigewert der kommerziellen Konsumforschung werden Transfers zwischen akademischer und kommerzieller Forschung anhand von praktischen Beispielen und einer umfassenden empirischen Untersuchung erläutert. Die Rolle des Internet in der Konsumforschung wird anhand des personalisierten Massenkonsums und der Transparenz von Märkten thematisiert.

Keywords: Marktforschung: Methodologie; Methodenpluralismus; qualitative Methoden; kommerzielle Konsumforschung; Internet

Inhaltsverzeichnis

1. Soziologische Reflexion der Markt- und Konsumforschungspraxis

2. Konzeption des Sammelbandes – Die Beiträge

3. Kritische Würdigung

Literatur

Zur Autorin

Zitation

 

1. Soziologische Reflexion der Markt- und Konsumforschungspraxis

Der zu besprechende Sammelband ist eine der Publikationen, die aus den Tagungen der AG Konsumsoziologie, die im Herbst 2002 von Kai-Uwe HELLMANN und Dominik SCHRAGE gegründet wurde, hervorgegangenen sind. Um eingangs die Relevanz konsumsoziologischer Forschung – insbesondere aus der Perspektive der Marktforschung und der Erforschung der Verhaltensweisen von Konsument/innen – zu unterstreichen, sei auf die Sammelbände "Konsum der Werbung. Zur Produktion und Rezeption von Sinn in der kommerziellen Kultur" (HELLMANN & SCHRAGE 2004) und "Das Management der Kunden. Studie zur Soziologie des Shopping" (HELLMANN & SCHRAGE 2005) verwiesen. Hingegen widmet das bislang umfassendste und mittlerweile in der 9. Auflage erschienene Lehrbuch von Werner KROEBER-RIEL, Peter WEINBERG und Andrea GRÖPPEL-KLEIN (2009), das sich in der akademischen Marketingforschung als Standardwerk zur Untersuchung des Konsument/innenverhaltens etabliert hat, der soziologischen Perspektive vergleichsweise wenig Raum. [1]

In dem nun hier vorliegenden Band "Methodenpluralismus und Datenhandel" erfahren die Lesenden vom methodischen und methodologischen Handwerkszeug der kommerziellen Konsumforschung, also der Auftragsforschung, und sie werden bei der Reflexion des Wirkungsgrades von Erhebungsinstrumenten und der Tiefenschärfe ihrer Erkenntnisse genauso begleitet wie bei der Vorstellung der Friktionen und Gegensätze zwischen der kommerziellen und akademischen Forschung und deren Restriktionen (Vorwort, S.7). [2]

Wie im Einleitungsbeitrag von Dominik SCHRAGE "Zur Soziologie der kommerziellen Konsumforschung" festgehalten (S.11), zeigen die Beiträge in diesem Band spezifische Problemstellungen und Verfahrensweisen der Auftragsforschung auf, die sich wissenschaftlicher Denkweisen, Konzepte und Methoden bedient, und die Einblicke in das sich rasch verändernde Konsumgeschehen ermöglichen. Demnach wird "nach einer besonderen Art von sozialwissenschaftlichem Wissen gefragt, das im Rahmen der kommerziellen Konsumforschung produziert und angewandt wird und das eine Soziologie des Konsums zur Kenntnis nehmen sollte" (S.11). Ergänzend dazu betrifft die zweite Fragestellung, die in diesem Sammelband verfolgt wird, die Stellung der Auftragsforschung selbst innerhalb des Konsumgeschehens (S.12). [3]

Aus einer Markt- und Marketingforschungsperspektive wird zu Beginn durch das Stichwort "Datenhandel" und den Hinweis, dass die Beiträge nicht auf unmittelbaren Anwendungsbezug ausgerichtet sind (S.13), die – letztlich nach deren Lektüre erfüllte – Erwartung geweckt, dass das Spannungsfeld zwischen den "Kommerziellen", die engen zeitlichen Vorgaben unterliegen und den "akademischen Methodikern" mit ihrem "stahlharten Gehäuse, das in bezug auf Stichprobengröße, Operationalisierung von Hypothesen und Indikatorensystemen nur wenig Spielraum für Kompromisse bietet" (Vorwort, S.7f.), herausgearbeitet wird, und dass etwaige Schnittmengen identifiziert werden. [4]

2. Konzeption des Sammelbandes – Die Beiträge

Der Sammelband kombiniert Beiträge zur Soziologie der kommerziellen Konsumforschung von Praktiker/innen der Marktforschung mit denen von im akademischen Bereich tätigen Soziolog/innen. Er besteht aus vier Kapiteln, die sich in je zwei Beiträgen den folgenden vier Themenbereichen widmen:

Kapitel 1 gibt Auskunft über die Zielsetzung des Sammelbandes. Es werden "Elemente einer Soziologie der kommerziellen Konsumforschung" ausgearbeitet, und zugleich wird die Rolle der kommerziellen Konsumforschung als eine der Schlüsselindustrien der Konsumgesellschaft näher bestimmt (S.9). [6]

Dominik SCHRAGE befragt in seinem Beitrag "Zur Rolle einer Soziologie der kommerziellen Konsumforschung", der zugleich die Einleitung zum Sammelband darstellt, die Praxis der Marktforschung auf ihren Charakter als angewandte Sozialforschung und auf ihr Anregungspotenzial für die Soziologie hin. Er betrachtet die kommerzielle Konsumforschung als einen – weitgehend unbearbeiteten – Gegenstand der Konsumsoziologie (S.9). [7]

Ausgehend von der kritischen Auseinandersetzung mit der in die Jahre gekommenen Unterscheidung zwischen einer "administrativen" und einer "kritischen" Konsumforschung in Anlehnung an LAZARSFELD (1973, zitiert auf S.6) wird der Vorteil der in diesem Sammelband vorgenommenen Unterscheidung zwischen kommerzieller und akademischer Konsumforschung damit argumentativ vorgetragen, dass "die verschiedenen institutionellen Rahmenbedingungen beider Zugänge berücksichtigt werden, zugleich aber ihr gemeinsames Interesse für Phänomene des Erwerbs und Gebrauchs von Konsumgütern sowie für die gesellschaftliche und kulturelle Bedeutung des Konsumgeschehens im Blick gehalten wird" (S.16). [8]

Wie sich der Transfer zwischen kommerzieller und akademischer Forschung vollzieht, wird in dem Beitrag anhand der empirischen Lebensstilanalyse illustriert. SCHRAGE postuliert, dass der Ausgangspunkt der Lebensstilanalyse in der kommerziellen Konsumforschung lag, die sich in den 1970er Jahren einem gewandelten Verbraucher/innenverhalten gegenüber sah, für dessen Erforschung eine rein auf soziodemografischen Daten basierende Herangehensweise nicht mehr ausreichend war (S.18). Darüber sei die Etablierung von qualitativen Methoden in der kommerziellen Konsumforschung als eine Reaktion auf die starken Veränderungen im Verhalten von Konsument/innen zu verstehen (S.25). Diese methodenbezogene Entwicklung findet in der deutschsprachigen akademischen Konsumforschung, die nach wie vor von quantitativen Methoden geprägt ist, nur langsam Akzeptanz. [9]

Der Beitrag von Kay-Volker KOSCHEL "Zur Rolle der Marktforschung in der Konsumgesellschaft" zeichnet "die historischen Entwicklungen der westdeutschen Konsumgesellschaft insbesondere von den frühen 1950er Jahren bis heute, den Wandel des Konsumentenverhaltens und die Auswirkungen auf die Marktforschung" aus der Perspektive der Marktforschenden nach (S.30). Unter Bezug auf HANSEN und BODE (1999, S.27, zitiert auf S.30) werden zunächst drei zentrale gesellschaftliche Entwicklungen für die Bedeutung des Konsums und die Entstehung einer Konsumkultur in Deutschland verantwortlich gemacht, nämlich der Wandel der Sozialstruktur, der Familienstruktur und der Konsumethik (S.30). Demgegenüber sieht KOSCHEL die randständige Beachtung des Zusammenhangs von Konsumgesellschaft und Marktforschung: "Die Marktforschung als gesellschaftliche Institution scheint kaum oder nur peripher Gegenstand von soziologisch-fundierten Meta-Analysen zu sein. Es gibt schlechthin kaum Forschung über die Bedeutung und die Wirkung von Marktforschung" (S.32). In einem Rückblick auf 60 Jahre Konsumgesellschaft erhalten die Lesenden einen umfassenden Eindruck der wichtigsten Entwicklungsstadien der Marktforschung (S.33-40): Als Beginn wird die erste große Konsumwelle ("Fresswelle") in den 1950er Jahren vorgestellt, die auch von Bluejeans, dem Auto als Statussymbol und den Nylons geprägt gewesen sei (S.33). In den frühen Nachkriegsjahren hatte die Marktforschung geringe Bedeutung; die ersten konsumkritischen Analysen der Überflussgesellschaft ortet KOSCHEL in der Motivforschung Ernest DICHTERs, die in der Mitte der 1950er Jahre eine Hoch-Zeit erlebte und überleitete zur Übernahme des American Way of Life in den 1960er Jahren (S.35). Der Autor geht schließlich auf die Freizeitwelle und die Entstehung der Freizeitindustrie ein, die die 1970er Jahre prägten, und in denen die gesellschaftlich fundierte Konsumkritik der "68er" immer mehr einer ökologisch fundierten Konsumkritik gewichen sei. KOSCHEL sieht die fortschreitenden Marktsättigungen in vielen Konsumbereichen verantwortlich für eine verstärkte Orientierung der Marktforschung an den Konsument/innenbedürfnissen (S.36f.), in deren Rahmen qualitative Methoden enorm an Bedeutung gewonnen hätten (S.37). In den 1990er Jahren seien dann neue Technologien und Medien zum Einflussfaktor der Konsumgesellschaft geworden. Online-Befragungen sowie SMS-Umfragen hätten an Bedeutung gewinnen (S.38f.), und die reale Alltagswelt der Konsument/innen sei immer näher in den Blickwinkel der Betrachtungen gerückt, was zum verstärkten Einsatz von ethnografischen Herangehensweisen (z.B. shadowing, video diaries) an die Erforschung des Konsument/innenverhaltens geführt habe (S.39f.). [10]

Die von der kommerziellen Konsumforschung erhobenen Daten über "Vorlieben" von Konsument/innen können als Strategie zur Absicherung von Entscheidungen von Unternehmern bzw. Unternehmerinnen gesehen werden. Diese Sichtweise prägt die in Kapitel 2 vorgestellten Beiträge. [11]

Felix KELLER beschreibt in "Theorie der feinen Daten. Über den Konsum von Zahlen und Tabellen" die von der Marktforschung erhobenen Daten als ein konsumierbares Gut. Über den Gebrauchswert der Ergebnisse der Konsumforschung scheint KELLERs Einschätzung zufolge Einigkeit zu bestehen. Den Lesenden werden pointiert Beispiele von Studienergebnissen zum Nachdenken über deren Verwertbarkeit angeboten, und schließlich wird unter Bezug auf VEBLEN resümiert, dass im Prozess des Konsums erst symbolischer Status, ein symbolisches Gut, eine Positionierung entstehe (S.59). KELLERs Erläuterungen zum primären Ziel von Differenzierung durch den Einkauf von Marktforschung machen deutlich, dass der Konsum von Daten nicht nur passiv ist (S.62). Mit einer Genese diagrammatischer Markträume und der kritischen Skizzierung imaginärer Märkte der Zukunft, etwa eines Weltmarktes, wird dieser Beitrag abgerundet. [12]

Thomas HEUN zeigt in "Zwischen Sein und Schein. Die Bedeutung der Marktforschung für die Werbewirtschaft und ihre Werbung" auf, dass die Fixierung der Marktforscher/innen auf Tests mit dem Kreativitätspathos der Werbefachleute durchaus in Einklang zu bringen ist (S.53). Er beschreibt, wie die "klassischen" Marktforschungsabteilungen in Agenturen in Planungsabteilungen umgewandelt wurden, in denen das Ziel der konsument/innenorientierten strategischen Planung von Kommunikationsmaßnahmen im Vordergrund steht. Hierfür sei eine entsprechende "Consumer Insight" (S.79) Voraussetzung, die "die Distanz zu den realen Lebenswelten der Zielgruppen so gering wie möglich gestaltet und diese im Sinne eines 'recipient designs' so 'authentisch' und relevant wie nur irgend möglich […] (re-) präsentieren" soll (S.80). Die Erläuterungen HEUNs von "Vox-Pop", "spontanem Straßeninterview", "Trendvideo", "Deutschlands häufigstem Wohnzimmer" und "die Thompsons" zeigen die Vielfalt der Methoden, die zur Zielgruppenforschung eingesetzt werden. Es folgt abschließend eine Diskussion, inwieweit die Methodenorientierung der Agenturforschung als Resultat der Agenturpositionierung gesehen werden kann. [13]

Die Beiträge in Kapitel 3 haben das Ziel, Transfers zwischen akademischer und kommerzieller Forschung aufzuzeigen. [14]

Edvin BABIC und Thomas KÜHN diskutieren die "Qualitative Marktforschung als Akteur in der Produktentwicklung" und unterstreichen deren Anregungspotenzial für die Techniksoziologie anhand von branchenspezifischen Beispielen. Die Frage, inwieweit Technik als Kulturprodukt gesehen werden kann und welche Logik sich dahinter verbirgt, wird am Beispiel einer Waschmaschine besprochen: "Wer seine Wahrnehmung von Reinlichkeit entsprechend verändert, ist nicht nur offen für die nächste Generation Waschmaschinen, Waschpulvern und Weichspülern, sondern ebenso für alle weiteren Produkte, die sich in diesem Bedeutungshorizont bewegen und einem helfen, alle Lebensbereiche rein zu halten" (S.99). In der Folge wird anhand der Automobil-, der Pharma- und der Dienstleistungsbranche illustriert, welche Bedeutung qualitative Methoden für ein besseres Verständnis der Bedürfnisse der Konsument/innen im Zusammenhang mit einem Produkt oder einer Dienstleistung haben. Der Beitrag ethnografischer Interviews zur Analyse von Nutzungsverhalten innerhalb sinnstiftender Kontexte und von Workshops als idealer Form, um kreative Ideen zu generieren sowie die Integration von lead usern in den Produktentwicklungsprozess werden als Methodenalternativen vorgestellt. [15]

Im Beitrag "Der 'soziale Raum' der Lebensstile und Prominenten" schlagen Andreas MÜHLICHEN und Jörg BLASIUS vor, ein von Pierre BOURDIEU inspiriertes Verfahren der Korrespondenzanalyse anstelle des in der kommerziellen Konsumforschung gebräuchlichen SINUS-Lebensstilansatzes zu verwenden. Denn hiermit sei "eine Verbindung von Lebensstilen und sozio-demographischen Merkmalen, Prominenten und Fernsehpräferenzen, sowie mit (konkurrierenden) Konsumgütern möglich" (S.113). Dies erlaube z.B., Konsument/innen von "Pepsi Cola, Coca Cola und Schweppes" anhand der genannten Kriterien voneinander zu unterscheiden (S.113). Die Planung der empirischen Studie sowie die Ergebnisse von insgesamt 872 Face-to-face-Befragungen werden ausführlich besprochen und auf ihre Anwendbarkeit in der Werbung hin erläutert. Ein Beispiel soll Letzteres illustrieren:

"Wird davon ausgegangen, daß als Werbeträger jene Personen gewählt werden sollen, welche mit den Lebensstilen der Befragten und dem jeweiligen Produkt hoch positiv assoziiert sind, dann könnten Stefan Raab oder Dieter Bohlen gut Werbung für Pepsi machen. Mario Adorf und Alice Schwarzer wären geeignete Testimonials für Schweppes, sie könnten aber auch eingesetzt werden, um distinguierte Luxusartikel bei Höhergebildeten zu verkaufen" (S.137). [16]

Inwieweit das Internet – als Werbemarkt – Unternehmen, Werbe-Agenturen und Marktforschenden vor große Probleme stellt, wird in Kapitel 4 illustriert. [17]

Stefan MEIßNER befasst sich im Beitrag "Personalisierter Massenkonsum und das Internet" in einer mediensoziologischen Perspektive mit Herausforderungen, mit denen die kommerzielle Marktforschung durch das Internet konfrontiert wird (S.141). Nach einer

"eher medientheoretischen Einführung, die die Unterschiede zwischen Massenmedien und den so genannten neuen Medien, in diesem Fall das Internet, herausstellen soll, liegt der Fokus auf dem Online-Markt und dessen Marktfaktoren: Wie unterscheiden sich Produkte, Anbieter und Konsumenten gegenüber dem Offline-Markt?" (S.144). [18]

Der Autor weist bezüglich der Produkte darauf hin, dass das Konzept des long tail (mit seiner Grundidee, dass "ein normales Geschäft allein aus Platzgründen nur eine bestimmte Anzahl von Produkten anbieten kann" und "ein Onlineshop darin überhaupt nicht beschränkt" ist, ANDERSEN 2006, zitiert auf S.149) vor allem deren Vielfalt erkläre und die Social-Networking-Plattformen, Online-Communities und Online-Foren die Möglichkeit sozialer Orientierung trotz fehlender Themensynchronisierung im Internet zeigten (S.151). Hinsichtlich der Anbietervielfalt eröffnet nach MEIßNER das Google-Adwords-System, ein Werbesystem, welches kontextspezifische Werbung anbietet, die jedoch nicht nach dem Tausender-Kontaktpreis, sondern nach dem Klickpreis abgerechnet wird, neue Einsichten (S.152). MEIßNERs Analyse ergibt, dass aus der Sicht der Konsument/innen das Internet die wichtigste Informationsquelle bei einer Produktentscheidung darstelle (S.153) und etwa durch Blog-Einträge das etablierte Machtgefälle zwischen professionellem Marketing und Unternehmenskommunikation auf der einen Seite und unzufriedenen Konsument/innen auf der anderen Seite etwas einzuebnen erlaube (S.154). Beispiele zum user-generated-content (z.B. auf Spreadshirt.com oder der Videoplattform Revver.com) zeigten, wie der Kunde bzw. die Kundin das Marketing übernehme (S.154f.). Seine Überlegungen fasst MEIßNER in drei Thesen zusammen (S.156-160): 1. Die Grenze zwischen Werbung und Inhalt verschwindet; 2. nicht Zielgruppen werden konstruiert, sondern Nutzer/innengruppen analysiert; 3. Werbung, Marktforschung und Controlling stellen Themen für jede/n und weltweit dar. MEIßNERs Schlussfolgerungen für die kommerzielle Konsumforschung:

"Entgegen der Idee, daß durch mehr Informationen über den Markt – das heißt sowohl über die Anbieter, die Produkte als auch die Konsumenten – dieser auch besser manipuliert werden könne, daß also Informationszuwächse zu Steuerungsgewinnen führen, scheint das Internet genau zum Gegenteil zu führen – nämlich zu einer Deplausibilisierung von Steuerungsmodellen überhaupt" (S.161). [19]

Andreas SCHELSKE betrachtet in seinem Beitrag "Transparente Märkte in interaktiven Wertschöpfungsprozessen. Synchrone Konsumforschung mit vernetzten Konsumenten" neuartige Kooperationsformen von Konsument/innen und Anbietenden von Gütern im Internet. Er arbeitet zwei Aspekte heraus (S.167): Einerseits würden Konsument/innen, die ihre Konsumgüter selbst produzieren (= "Prosument/innen"), als "Marktforscher/innen" in Produktionsabläufe und Werbemaßnahmen von Unternehmen eingebunden (open source, open innovation, interaktive Wertschöpfung, crowd sourcing), z.B. bei lego.de. Andererseits erlaubten Kund/innenkarten, Identifikationschips (RFID) und computerunterstützte Kund/innenkontakte vor Ort (location-based services) Datenspuren, die die Konsumpräferenzen von Individuen für die Konsumforschung transparent werden lassen und die durch den Einsatz von Data-Mining-Methoden systematisch analysiert werden könnten. Trotz allem weist SCHELSKE darauf hin, dass Märkte intransparent bleiben, wenngleich der Einsatz von consumer tracking bzw. consumer scan darauf ziele, "sich dem Ideal einer prinzipiell unerreichbaren Markttransparenz auf globalen und lokalen Märkten der Konsumgesellschaft anzunähern" (GFK 2005, zitiert auf S.169). Zusammenfassend erläutert SCHELSKE anhand des Prinzips free revealing, was Konsument/innen zur Mitarbeit motiviere (S.181-186; vgl. dazu auch VOß & RIEDER 2005). Z.B. hofften Konsument/innen auf einen Netzwerkeffekt,

"der den Wert des Produkts aufgrund häufiger Nutzung steigert und verbessert. Beispielsweise verbesserten Konsumenten systematisch im Bereich des Kite-Surfing eine Kombination, die aus einem Surfboard und einem Lenkdrachen als Segel besteht. Die Verbesserung eines Produkts für den eigenen Verbrauch – wie im Kite-Surfing – stärkt zweifelsfrei das Gefühl der Selbstbestimmung" (S.183f.). [20]

Kai-Uwe HELLMANN fast in seinem Nachwort die Kernaussagen des Sammelbandes beitragsübergreifend zusammen und geht nochmals auf die wichtige Funktion der Marktforschung (S.192) bei der Wiederherstellung einer verlorengegangenen Markttransparenz und auf ihre Brückenfunktion ein. Die abschließenden Ausführungen zu einer Theorie der Marktforschung orientieren sich an den Grundgedanken der soziologischen Systemtheorie. [21]

3. Kritische Würdigung

Dieser Sammelband kann in seiner Gesamtheit aufgrund der Vielfalt der Themen als äußerst geeignet für eine soziologische Reflexion der Marktforschungspraxis bezeichnet werden. Er bietet darüber hinaus auch zahlreiche Anregungen für die akademische Markt- und Konsumforschung zu einer disziplinübergreifenden Diskussion der behandelten Themen. Die vorgestellten methodischen und methodologischen Handwerkszeuge der kommerziellen Marktforschung ermöglichen einen interessanten Einblick in neuere Optionen. Es wird auch deutlich, inwiefern die Daten der kommerziellen Konsumforschung als Güter betrachtet und wie sie von Unternehmen eingesetzt werden können. Jeder Beitrag bietet für sich eine spannende Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Thema und ist auch als Solo-Lektüre bestens geeignet. [22]

Die Herausgeber geben den Lesenden mit ihren Zusammenfassungen vor den einzelnen Kapiteln hilfreiche Handreichungen, die einen raschen Einblick in die wesentlichen Inhalte der präsentierten Beiträge erlauben. [23]

Literatur

Andersen, Chris (2006). The long tail: Why the future of business is selling less of more. New York: Hyperion.

GfK Consumer Tracking (2005). Wer kauft was, wo, wann, wie viel, zu welchem Preis? http://www.gfk.at/sectors_and_markets/custom_research/consumer_tracking/index.de.html [Zugriff: 3.2.2010].

Hansen, Ursula & Bode, Matthias (1999). Marketing & Konsum. Theorie und Praxis von der Industrialisierung bis ins 21. Jahrhundert. München: Vahlen.

Hellmann, Kai-Uwe & Schrage, Dominik (Hrsg.) (2004). Konsum der Werbung. Zur Produktion und Rezeption von Sinn in der kommerziellen Kultur. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Hellmann, Kai-Uwe & Schrage, Dominik (Hrsg.) (2005). Management der Kunden. Studien zur Soziologie des Shopping. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Kroeber-Riel, Werner; Weinberg, Peter & Gröppel-Klein, Andrea (2009). Konsumentenverhalten. München: Vahlen.

Lazarsfeld, Paul F. (1973). Bemerkungen über administrative und kritische Kommunikationsforschung [Wiederabdruck, Orig. 1941]. In Dieter Prokop (Hrsg.), Kritische Kommunikationsforschung. Aufsätze aus der Zeitschrift für Sozialforschung (S.7-27). München: Hanser.

Voß, Günter G. & Rieder, Kerstin (2006). Der arbeitende Kunde. Wenn Konsumenten zu unbezahlten Mitarbeitern werden. Frankfurt/M.: Campus.

Zur Autorin

Renate BUBER ist Ass. Professorin an der Abteilung für Nonprofit Management der Wirtschaftsuniversität Wien. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören qualitative Methoden der Markt- und Marketingforschung sowie das Konsument/innenverhalten.

Kontakt:

Renate Buber

Abteilung für Nonprofit Management
Wirtschaftsuniversität Wien
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A-1090 Wien

Tel.: +431313364623
Fax: +43131336904623

E-Mail: renate.buber@wu.ac.at
URL: http://www.wu.ac.at/npo

Zitation

Buber, Renate (2010). Rezension: Dominik Schrage & Markus R. Friederici (Hrsg.) (2008). Zwischen Methodenpluralismus und Datenhandel. Zur Soziologie der kommerziellen Konsumforschung [23 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 11(2), Art. 20, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs1002209.

Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research (FQS)

ISSN 1438-5627

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