Volume 7, No. 3, Art. 18 – Mai 2006

Rezension:

Lothar Mikos

Bettina Fritzsche (2003). Pop-Fans. Studie einer Mädchenkultur (Reihe Geschlecht und Gesellschaft, Band 31). Opladen: Leske + Budrich (jetzt VS Verlag), 289 Seiten, ISBN 3-8100-3770-2, EUR 19,90

Zusammenfassung: Im Zentrum der Studie steht die Untersuchung der Fans von Boygroups und Girlgroups als einer Mädchenkultur. Mit Hilfe der rekonstruktiven Methodologie und der dokumentarischen Methode wurden Einzelfälle daraufhin untersucht, die Fanpraktiken als kulturelle Praktiken zu deuten, die eine Auseinandersetzung mit den normativen Anforderungen an Kinder und Jugendliche darstellen. Im Zentrum steht die geschlechtsspezifische Sozialisation anhand von medialen symbolischen Ressourcen. Die Studie kann zeigen, dass den Mädchen in der Fankultur ein Freiraum zur Aushandlung von normativen Anforderungen und zur Auseinandersetzung mit dem eigenen Geschlecht, der eigenen Sexualität und dem eigenen Körper geboten wird, der er ermöglicht, Anpassung und Eigensinn zu erproben. Fanaktivitäten tragen so zur Selbstermächtigung von Mädchen bei. Die Studie liefert einen wichtigen Beitrag zur Erforschung einer spezifischen Mädchenkultur und zeigt in ausgezeichneter Weise, wie Medienrepräsentationen als symbolisches Material in alltägliche kulturelle Praktiken eingebaut werden.

Keywords: Boygroups, dokumentarische Methode, Fan, Fankultur, Geschlecht, Girlgroups, Gruppendiskussion, Handlungstheorie, Identität, narratives Interview, kulturelle Praktik, Mädchenkultur, Massenkultur, Medien, Populärkultur, rekonstruktive Methodologie, Sampling

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Fankulturen

3. Rekonstruktive Methodologie

4. Fan-Sein als Mädchenkultur

5. Fazit und Ausblick

Literatur

Autor

Zitation

 

1. Einleitung

In der öffentlichen Meinung haben Fans einen schlechten Ruf. Fans gelten als fanatische Liebhaber, die spezifische kulturelle Praktiken ausüben. Im Alltagsverständnis werden ihnen als passiven Opfern der Massenmedien quasi pathologische Züge zugeschrieben. Dabei bestimmen zwei Muster den Diskurs: das besessene Individuum (mehrheitlich männlich, z.B. der Fußball-Fan) und die hysterische Masse (mehrheitlich weiblich, z.B. Boygroup-Fans). [1]

Gewaltbereite Hooligans und kreischende Teenager werden heraufbeschworen, um stereotype Bilder zu (re-) produzieren. Doch Fankulturen und Fanaktivitäten sind bei genauerem Hinsehen sehr unterschiedlich und können verschiedene Funktionen im Alltag meist junger Menschen erfüllen. Fansein ist eine kulturelle Aktivität, die einer genaueren Untersuchung bedarf, wenn man den subjektiven Sinn, den Fans mit der Ausübung ihrer kulturellen Praktiken verbinden, erklären und verstehen will. [2]

In den vergangenen Jahren sind Fans verstärkt in das Interesse der Forschung gerückt. Dabei ist allerdings ein Wandel in der soziologischen Verortung zu bemerken. Ging es in den 1970er und 1980er Jahren vor allem darum, spezifische kulturelle Praktiken von Jugendkulturen als Subkulturen zu untersuchen, z.B. Punks, Rocker, Hippies usw. – eine Tradition, die sich teilweise bis heute gehalten hat (vgl. exemplarisch BREYVOGEL 2005; HITZLER & PFADENHAUER 2001; SCHMIDT & NEUMANN-BRAUN 2004) –, sind inzwischen auch die Aspekte des Fanseins im Rahmen von Konsumkulturen in den Blick geraten (vgl. etwa JENKINS 1992; LEWIS 1992; MUGGLETON & WEINZIERL 2003; REDHEAD 1997; SANDVOSS 2005). Auslöser waren hier sicherlich auch die Arbeiten des Centre for Contemporary Cultural Studies (CCCS) in Birmingham, die sich bereits in den 1970er Jahren mit den kulturellen Praktiken von Jugend- und Subkulturen befassten (vgl. CLARKE u.a. 1979; WILLIS 1979 und 1981), in deren Folge sich vor allem Cultural Studies vermehrt den kulturellen Praktiken von Jugendkulturen zuwandten. Daneben entwickelte sich auch eine Jugendforschung, die sich aber – vermutlich aufgrund von Berührungsängsten – eher selten mit Fanpraktiken beschäftigte. Seit den 1990er Jahren sind Fans immer mehr in den wissenschaftlichen Blick geraten, auch weil traditionelle Disziplinen wie die Soziologie, die Erziehungswissenschaft und die (Medien-) Pädagogik vermehrt die Bedeutung von Medien und der mit deren Nutzung verbundenen Praktiken für die Sozialisation und die Identitätsbildung von jungen Menschen entdeckten (vgl. exemplarisch die Arbeiten von BAACKE, SANDER & VOLLBRECHT 1990a und 1990b; BACHMAIR 1996; BARTHELMES & SANDER 1997 und 2001 sowie GÖTZ 1999). Die Arbeit von Bettina FRITZSCHE, die als Dissertation an der Freien Universität Berlin entstand, reiht sich in diese Tendenz ein. Allerdings geht sie über die Studien, die Fansein als ein "Phänomen der Mediennutzung" betrachten, hinaus: "Offensichtlich gehen Fans zahlreichen Praktiken nach, die sich gegenüber dem Vorgang der Medienrezeption verselbständigt haben, weshalb es sinnvoll ist, eine Untersuchung ihrer Kultur auch handlungstheoretisch zu fundieren" (S.13). Im Zentrum ihrer Studie stehen jedoch nicht Fans allgemein, sondern weibliche Fans von Boygroups und Girlgroups. Sie untersucht die Bedeutung von Fanaktivitäten im Rahmen einer Mädchenkultur. [3]

2. Fankulturen

Als Fankulturen werden Gruppen von vorwiegend jungen Menschen bezeichnet, die sich über die gemeinsame (Vor-) Liebe für Sportvereine oder Sportstars, Filmgenres oder Filmstars, Fernsehserien oder Fernsehstars und Popgruppen und Popstars definieren. Fans sind Experten und Expertinnen der gelebten Faszination für das Objekt ihrer Bewunderung. Dabei spielen die Medien eine nicht unerhebliche Rolle, sind sie es doch, die den Fans die Produkte und Images näher bringen. So wird der Medienkonsum zum Ausgangspunkt von Fankulturen. Die Arbeit von Bettina FRITZSCHE nimmt daher auch im theoretischen Teil hier ihren Ausgangspunkt, denn "Popfan-Sein bedeutet insofern MedienkonsumentIn zu sein" (S.17). Sie setzt sich kritisch mit den Konzepten zum "aktiven Rezipienten" auseinander und stellt die Rolle der Populärkultur bei der Aushandlung medialer Bedeutungen dar. Der Begriff Populärkultur bietet gerade für die Erforschung von Fankulturen nach Auffassung der Autorin große Vorteile, da

"er die Nutzung der Massenkultur als aktiven und kulturellen Akt charakterisiert und die Verwobenheit von Medienkonsum und Alltagskultur zu beschreiben vermag. Es ist jedoch sicherlich wichtig, sich sowohl der kreativen Seite dieser Kultur als auch der Grenzen dieser Kreativität stets bewusst zu sein" (S.23). [4]

Die kreative Seite des Fan-Seins zeigt sich insbesondere in den performativen Akten von Fankulturen, zumal Fan-Sein generell als eine kulturelle Praktik begriffen werden kann. Allerdings zeigen sich hier geschlechtsspezifische Unterschiede, so dass Gender-Aspekte bei der Untersuchung von Fankulturen eine besondere Rolle spielen. [5]

Im Mittelpunkt der kulturellen Praktiken stehen aber gemeinschaftsbildende Prozesse, da sich Fans häufig in einem konjunktiven Erfahrungsraum (MANNHEIM 1980) bewegen. Darüber ergibt sich auch die Möglichkeit für die jugendlichen Fans, sich mit den normativen Anforderungen der Jugendphase auseinander zu setzen, vor allem auch in der sozialen Konstruktion des Geschlechts. Fanpraktiken machen insbesondere in ihren performativen Teilen den Zusammenhang von sozialen, kulturellen Praktiken und Medienkultur sinnfällig, denn häufig sind es die Performances von Fans, "die zum zentralen Bestandteil der Medienrepräsentationen der entsprechenden Stars geworden sind" (S.47). Fankulturelle Praktiken bringen daher medial vermittelte soziale Realität hervor. In diesem Sinn gehen sie auch über reine Medienrezeption hinaus:

"Praktiken von Fans, die mimetisch auf mediale oder populärkulturelle Vorbilder Bezug nehmen, sind in diesem Sinne nicht als simple Imitationen zu verstehen, sondern als notwendige Voraussetzung der Erfahrung einer Außenwelt, der Auseinandersetzung mit Sozialformen und der Ausbildung eines praktischen Körperwissens" (S.71). [6]

Dabei spielen Identifizierungs- und Begehrensformen in der sozialen Aushandlung von Geschlecht eine bedeutende Rolle. Die Autorin nimmt damit eine deutlich handlungstheoretische Perspektiven auf die kulturellen Fanpraktiken ein. [7]

3. Rekonstruktive Methodologie

Ziel der Studie von FRITZSCHE ist es, die Fankultur von Mädchen als eine Mädchenkultur zu untersuchen. Das Engagement und die Praktiken der Mädchen werden als Praxis der Verhandlung normativer gesellschaftlicher Erwartungen in den Blick genommen. Das Fan-Sein als eine jugendkulturelle Beschäftigung dient den Mädchen als eine Möglichkeit, sich insbesondere mit den Anforderungen der Geschlechtsidentität auseinander zu setzen. Um die Alltagspraxis des Fan-Seins von Mädchen detailliert zu untersuchen, wendet die Autorin die rekonstruktive Methodologie an. Sie wählt diesen methodischen Ansatz wegen seiner Offenheit und den Möglichkeiten, das Erfahrungswissen im Hinblick auf kollektive Orientierungen zu rekonstruieren, die für die Alltagspraxis von Mädchen als Fans konstitutiv sind. [8]

In die Fallauswahl wurden weibliche Fans von Boygroups und Girlgroups einbezogen, aber auch Ex-Fans, um biographische Verläufe des Fan-Seins untersuchen zu können. Es wurden 19 Einzelinterviews mit Mädchen zwischen 11 und 17 Jahren durchgeführt sowie drei Gruppendiskussionen mit insgesamt neun Mädchen. Die Auswertung orientierte sich an den Prinzipien der dokumentarischen Methode. Dabei ging die Autorin mehrstufig vor. In einem ersten Schritt wurden die für die Fragestellung der Studie relevanten Passagen aus den Interviews und den Gruppendiskussionen formulierend interpretiert, um sie auf einer Verstehensebene nachzuvollziehen. Im nächsten Schritt erfolgte eine reflektierende Interpretation, um das sich in den Passagen zeigende Erfahrungswissen der Befragten verstehen und mit anderen Interviews vergleichen zu können. Dadurch war es der Autorin möglich zu ermitteln, "welche Orientierungen sich durch unterschiedliche Themenbereiche durchziehen und insofern offensichtlich in verschiedenen Situationen der Alltagspraxis Relevanz haben und von genereller Bedeutung für den Fall sind" (S.90). Im Anschluss an die reflektierende Interpretation wurden dann die Fallbeschreibungen erstellt. Schließlich wurden die Interviews einer komparativen Analyse unterzogen, um sowohl Unterschiede im Prozess des Älterwerdens als auch Spezifika der Lebenssituationen berücksichtigen zu können. [9]

4. Fan-Sein als Mädchenkultur

Im Ergebnisteil der Studie stellt FRITZSCHE zunächst mehrere Fallbeschreibungen dar, fünf Einzelfälle und zwei Gruppen. Hier ist nicht der Platz, um die beschriebenen Fälle ausführlich zu würdigen. In einer komparativen Analyse führt die Autorin dann die Fallergebnisse zusammen. Es zeigt sich, dass bei allen Fans typische Elemente von Fankulturen zu finden sind, z.B. das Sammeln von Fanartikeln, sich aber zugleich große Unterschiede zeigen. "Das jeweilige kulturelle Engagement und dessen subjektive Bedeutung variieren für die Akteurinnen, je nachdem, in welcher Lebenssituation sie sich befinden und welche Themen für sie von aktueller Relevanz sind" (S.225). In den verschiedenen Altersphasen haben die Fan-Aktivitäten für die Mädchen unterschiedliche Bedeutungen, die mit den wechselnden Anforderungen beim Aufwachsen zu tun haben. Die Objekte der Fan-Begierde sind stark an die Aushandlungen von Rollen und Mustern gebunden, die sich auf die eigene Identität und den eigenen Körper beziehen, aber auch auf die Aushandlung der Beziehungen zum anderen Geschlecht: "Offensichtlich ist die Beschäftigung mit Boygroups stark mit einer Verhandlung der Beziehung zum anderen Geschlecht verknüpft, während die Fans von Girlgroups sich eher mit der eigenen Geschlechtszugehörigkeit auseinander setzen" (a.a.O.). Fan-Sein bewegt sich je nach Alter der Fans auch zwischen der Auseinandersetzung mit den Anforderungen des Kind-Seins und den Anforderungen des Jugendlich-Seins. [10]

Es zeigt sich in allen Fällen, dass die Fanpraktiken weit über den reinen Medienkonsum von Stars bzw. Bands hinausgehen. Die medialen Repräsentationen werden oft nur in Teilen zur Kenntnis genommen und in die sozialen Praktiken der Peer-Group integriert. Dabei geht es vor allem um die Aushandlung der Geschlechtsidentität. Insgesamt zeigt sich in der Untersuchung keine milieuspezifische Differenzierung in den Vorlieben der Mädchen. Dieselbe Band kann sowohl bei Gymnasiastinnen als auch bei Hauptschülerinnen beliebt sein. Während bildungsnahe Mädchen die Fanpraktiken eher zu Zwecken der so genannten "Selbstbildung" benutzen, ist für die bildungsferneren Mädchen der gemeinschaftsbildende Aspekt dieser Praktiken von Bedeutung. Dieses Ergebnis lässt die Diskussionen zur Selbstsozialisation durch Medien (vgl. MANSEL, FROMME, KOMMER & TREUMANN 1999) in einem neuen Licht erscheinen. Selbstsozialisationsprozesse durch Medien wären dann vorwiegend milieuspezifisch gebunden und würden bei bildungsnahen Kindern und Jugendlichen eine größere Bedeutung haben, während bei den Kindern aus bildungsfernen Milieus vor allem die Gruppe der Gleichaltrigen im Sozialisationsprozess wichtig wäre – wobei allerdings in deren sozialen Praktiken symbolische Materialien der Medien eine bedeutsame Rolle spielen. [11]

Die Fankultur von Mädchen zielt vor allem darauf ab, "eine selbständige Persönlichkeit zu verkörpern" (S.244), wobei vor allem die bildungsnahen Mädchen Wert auf Authentizität legen. Im Zentrum steht dabei die "gelungene Inszenierung des eigenen Körpers" (S.246) sowie die Verortung innerhalb der Gruppe der Gleichaltrigen als auch der Beziehungen zum anderen Geschlecht. Das Fan-Sein von Boygroups stellt für Mädchen eine Möglichkeit dar, sich mit der Norm der Heterosexualität auseinander zu setzen. Die Objekte ihres Begehrens, die Stars, werden vor allem in ihren symbolischen Qualitäten wahrgenommen – z.B. werden die Mitglieder von Boygroups weniger als individuelle Stars gesehen, sondern als Männer, die mit einer bestimmten Beziehungsform in Verbindung gebracht werden, wie andere Studien (GÖTZ 1999) ebenfalls gezeigt haben. Zugleich sind die Stars auch Konsumobjekte, die über Fanartikel im Alltag angeeignet werden. Das Sammeln als kulturelle Praxis gehört wesentlich zum Fan-Sein. [12]

Ein weiteres Ergebnis der Studie vermittelt eine neue Perspektive auf die "scheinbaren" Beziehungen, die Fans zu den Stars aufbauen. FRITZSCHE interpretiert diese Beziehungen als gelebte Beziehungen:

"Ich gehe davon aus, dass viele der Beziehungen von Mädchen in Kerstins Alter [12 Jahre; Anm., L.M.] (insbesondere ihre Beziehungen zu Jungen) sehr stark in der Phantasie gelebt werden, weshalb ich es nicht für sinnvoll erachte, die ebenso strukturierten Beziehungen zu Stars als besonders scheinhaft einzuordnen" (S.251). [13]

Diese imaginierten Beziehungen sind für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit und Identität sowie für die Auseinandersetzung mit den normativen Anforderungen der Erwachsenenwelt wichtig. Die Fankultur mit den ihr möglichen imaginativen Beziehungen zu Stars und ihrem konjunktiven Erfahrungsraum mit Gleichgesinnten bietet den Mädchen die Möglichkeit, sich mit den normativen Anforderungen in einem gewissen Freiraum auseinander setzen zu können. Das gilt auch für nicht-reflexive Fanpraktiken, da darüber z.B. "performative Annäherungen an verschiedene Subjektpositionen" (S.261) möglich sind oder auch die kreative Aushandlung kollektiver Normen. Denn: "Kollektive Aktionismen dienen in diesem Kontext als Weg der Kreation einer neuen Art der Sozialität, die sich über gesellschaftliche Stereotypen hinwegsetzt" (S.270). [14]

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Boygroups und Girlgroups ebenso wie andere symbolische Materialen der Medien als Ressource für die Identitäts- und Persönlichkeitsbildung in der Mädchenkultur angesehen werden können. Diese Ressourcen dienen ganz im Sinne von GROSSBERG (1992) der "Selbstermächtigung" (vgl. auch MIKOS 2002) der Mädchen. Die Fankultur eröffnet den Mädchen einen Freiraum, in dem ausgehandelt werden kann, wie sehr sie sich den normativen Anforderungen und Erwartungen anpassen oder sich ihnen widersetzen wollen. Wo die Linien zwischen Anpassung und Eigensinn verlaufen, kann nur in Fallstudien untersucht werden. [15]

5. Fazit und Ausblick

Die Studie von FRITZSCHE liefert einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis einer spezifischen Mädchen-Fankultur. Das liegt u.a. daran, dass die Autorin sehr reflektiert mit dem Stand der Forschung umgeht und über die eher medienzentrierten Fanstudien hinausgeht, da sie die alltäglichen kulturellen Praktiken der Mädchen in den Blick nimmt. Die Bands und deren mediale Repräsentationen haben so den Stellenwert von symbolischen Ressourcen für die Verhandlung von Normen, die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Anforderungen, die Ausbildung von Persönlichkeit und die Konstruktion von Identität. In der dichten Beschreibung (GEERTZ 1987) der Einzelfälle liefert die Autorin detailliertere Einblicke als bisher veröffentlichte Studien zu Boygroup-Fans (vgl. WEYRAUCH 1997). Die Studie zeigt, welche tiefen Einblicke in kulturelle Praktiken möglich sind, wenn man sich den kulturellen Praktiken mit qualitativen Methoden nähert, wie in der vorliegenden Studie mit Hilfe der rekonstruktiven Methodologie und der dokumentarischen Methode. [16]

Am Beispiel der Boygroup- und Girlgroup-Fans gelingt es FRITZSCHE nicht nur, die Bedeutung dieser Phänomene der Populärkultur für die Selbstermächtigung von Mädchen deutlich zu machen, wie dies anhand anderer Medienphänomene wie Soap Operas und populären Filmen bereits GÖTZ (2002) und WIERTH-HEINING (2004) getan haben, sondern sie kann eindrucksvoll zeigen, wie die Mädchen die Beziehungen zu den Stars nutzen, um sich mit den Normen der Heterosexualität und dem Ausdruck des eigenen Geschlechts auseinander zu setzen. Dabei zeigt sich vor allem die wichtige Rolle kreativer und performativer Akte in den kulturellen Praktiken des Fan-Seins. Generell zeigt sich die Bedeutung medialer Ressourcen für die Sozialisation von Mädchen. Allerdings – und darin hat die vorliegende Studie ihren besonderen Wert – reduziert FRITZSCHE dies nicht darauf, den Medien an sich einen sozialisatorischen Wert zuzuweisen, wie dies im Begriff der Mediensozialisation (vgl. SÜSS 2004) und in damit verbunden Studien (vgl. FRITZ, STING & VOLLBRECHT 2003) ausgedrückt wird, sondern die Fankultur, hier von Mädchen, wird als eine kulturelle Praktik konzipiert, die sehr weit über die Mediennutzung hinausgeht und im Alltag und den sozialen Beziehungen der Mädchen verankert ist. [17]

Literatur

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Autor

Lothar MIKOS, Dipl.-Soz., Dr. phil. habil., ist Professor für Fernsehwissenschaft an der Hochschule für Film und Fernsehen "Konrad Wolf" in Potsdam-Babelsberg. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Film- und Fernsehtheorie und -analyse, Sport und Medien, Populärkultur, Publikumsforschung und Qualitative Medienforschung. Publikationen (Auswahl): Film- und Fernsehanalyse (Konstanz 2003: UVK/UTB); Videoclips und Musikfernsehen. Eine problemorientierte Kommentierung der aktuellen Forschungsliteratur (zus. mit Klaus NEUMANN-BRAUN; Berlin 2006: Vistas); Qualitative Medienforschung. Ein Handbuch (hrsg. mit Claudia WEGENER; Konstanz 2005: UVK/UTB).

Kontakt:

Prof. Dr. Lothar Mikos

Hochschule für Film- und Fernsehen "Konrad Wolf"
AV-Medienwissenschaft
Marlene-Dietrich-Allee 11
D-14482 Potsdam-Babelsberg

Tel.: ++49 / (0) 331 – 6202 211

E-Mail: l.mikos@hff-potsdam.de

Zitation

Mikos, Lothar (2006). Rezension: Bettina Fritzsche (2003). Pop-Fans. Studie einer Mädchenkultur (Reihe Geschlecht und Gesellschaft, Band 31) [17 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 7(3), Art. 18, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs0603187.

Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research (FQS)

ISSN 1438-5627

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