Volume 12, No. 1, Art. 8 – Januar 2011

Rezension:

Alexander Schnarr

Petia Genkova (Hrsg.) (2008). Erfolg durch Schlüsselqualifikationen? Heimliche Lehrpläne und Basiskompetenzen im Zeichen der Globalisierung. Lengerich: Pabst; 329 Seiten; ISBN 978-3-89967-453-8; 30 Euro

Zusammenfassung: Welche Qualifikationen müssen Führungskräfte besitzen? Welchen Beitrag können Schulen und Hochschulen zur Entwicklung dieser Qualifikationen leisten? Sind Qualifikationen tatsächlich messbar, können sie erlernt werden? Diesen und weiteren Fragen widmet sich der von Petia GENKOVA herausgegebene Tagungsband "Erfolg durch Schlüsselqualifikationen? Heimliche Lehrpläne und Basiskompetenzen im Zeichen der Globalisierung". In den fünf Themenblöcken "Schlüsselqualifikationen und Leistungsgerechtigkeit", "Verankerung und Veränderung von Mustern bei der Sozialisation und Selbstsozialisation", "Diversity und interkulturelles Lernen", "Grundfragen an Bildung, Selbstentwürfe und Autonomie in neuen Lehr- und Lernkonzepten" und "Bewältigungsstrategien in der Berufsbiographie" werden die dem Tagungsband zugrunde liegenden Fragestellungen in jeweils vier Beiträgen aus verschiedenen Blickwinkeln und Wissenschaftsdisziplinen heraus diskutiert. Dem Aufbau des Tagungsbandes folgend werden die Beiträge in dieser Besprechung einzeln vorgestellt und von einführenden Bemerkungen zur Thematik, dem Versuch einer Differenzierung der Begriffe "Kompetenz", "Qualifikation" und "Schlüsselqualifikation" sowie abschließenden, zusammenfassenden Betrachtungen gerahmt.

In dem interdisziplinären Ansatz ist eine besondere Stärke des Bandes zu sehen. Gleichzeitig macht die Einbindung sehr unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen seine Rezeption unter einer übergreifenden Fragestellung schwierig. Dennoch eignet er sich sehr gut für interessierte LeserInnen, die in einem multidisziplinären Zugriff einen ersten Überblick über die dem Tagungsband zugrunde liegenden Fragestellungen erhalten möchten.

Keywords: Schlüsselqualifikation; Kompetenz; Qualifikation; heimliche Lehrpläne; Diversity; Berufsbiografie; Sozialisation; Lehr- und Lernkonzepte; Bildung; Organisationsentwicklung

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Kompetenz, Qualifikation, Schlüsselqualifikation – Versuch einer begrifflichen Abgrenzung

3. Zum Tagungsband – Themenblöcke und Beiträge

3.1 "Schlüsselqualifikationen und Leistungsgerechtigkeit"

3.2 "Verankerung und Veränderung von Mustern der Sozialisation und Selbstsozialisation"

3.3 "Diversity und (inter)kulturelles Lernen"

3.4 "Grundfragen an Bildung, Selbstentwürfe und Autonomie in neuen Lehr- und Lernkonzepten"

3.5 "Bewältigungsstrategien in der Berufsbiographie"

4. Schlussbetrachtungen

Literatur

Zum Autor

Zitation

 

1. Einleitung

Schlüsselqualifikationen und Kernkompetenzen werden in der heutigen Zeit nicht nur in der Arbeitswelt gefordert, sondern gelten auch als erklärte Ziele in der allgemeinen und beruflichen Bildung. Allerdings erfolgt die Abgrenzung der Begrifflichkeiten "Qualifikation" und "Kompetenz" oft nicht trennscharf, sodass in der öffentlichen Wahrnehmung schnell ein Eindruck der Beliebigkeit entsteht und die genannten Begriffe zu "Buzzwords" oder Modebegriffen in Stellenanzeigen und Aus- und Weiterbildungsplänen aufgeweicht werden. Qualifikationen und Kompetenzen – alle reden darüber, jede/r, egal ob Fach- oder Führungskraft, sollte sie besitzen, aber was verbirgt sich eigentlich hinter den genannten Begriffen? Dieser Frage widmet sich der hier zu besprechende Tagungsband. [1]

Herausgeberin Petia GENKOVA führt im Vorwort mit dem Titel "Erfolgt die Vermittlung der Schlüsselqualifikationen über die aktuellen Heimlichen Lehrpläne (Hidden Curricula) in Bildung und Wirtschaft?" folgende Fragestellungen an, über die der Tagungsband Aufschluss geben soll:

"Dieser Tagungsband will diese Fragestellungen aus verschiedenen Perspektiven der Praxis und verschiedenen Disziplinen beleuchten" (S.12f). Zu diesem Zweck ist er in fünf Themenblöcke mit jeweils vier Beiträgen unterteilt, in denen die Themen "Schlüsselqualifikationen und Leistungsgerechtigkeit" (Themenblock 1), "Verankerung und Veränderung von Mustern bei der Sozialisation und Selbstsozialisation" (Themenblock 2), "Diversity und interkulturelles Lernen" (Themenblock 3), "Grundfragen an Bildung, Selbstentwürfe und Autonomie in neuen Lehr- und Lernkonzepten" (Themenblock 4) und "Bewältigungsstrategien in der Berufsbiographie" (Themenblock 5) diskutiert werden. [3]

Wie die Titel der Themenblöcke schon vermuten lassen, wird die zugrunde liegende Fragestellung des Tagungsbandes nach Qualifikationen und Kompetenzen von Führungskräften sehr breit gefächert und in der Tat multidisziplinär bearbeitet. Darin – so viel bereits an dieser Stelle – liegt einerseits die große Stärke, aber auch eine große Schwierigkeit seiner Rezeption. [4]

Dem Aufbau des Bandes folgend, wird in der vorliegenden Besprechung jedem Themenblock mit den entsprechenden Beiträgen einzeln Platz eingeräumt. Da allerdings bereits im Vorwort von Petia GENKOVA die Verwendung der Begriffe "Qualifikation" und "Kompetenz" diffus erscheint – mal wird von Kompetenzen, mal von Qualifikationen, mal von beidem zusammen gesprochen (siehe z.B. die aufgeführten Fragestellungen) – erscheint es sinnvoll, im nachfolgenden Abschnitt zunächst den Versuch einer begrifflichen Abgrenzung vorzunehmen. Im weiteren Verlauf werden dann die den Tagungsband strukturierenden Themenblöcke samt der in ihnen enthaltenen Beiträge besprochen, bevor ich mich in einer Schlussbetrachtung der Frage widme, ob der Tagungsband hält, was die Einleitung verspricht und für welche Leserinnen und Leser er wertvolle Impulse liefern kann. [5]

2. Kompetenz, Qualifikation, Schlüsselqualifikation – Versuch einer begrifflichen Abgrenzung

Lediglich im Beitrag von DIETRICH im vorliegenden Tagungsband (siehe Abschnitt 3.1) wird der Begriff der Schlüsselqualifikationen diskutiert und ausdifferenziert. Wie im Einleitungsbeitrag von GENKOVA wird auch in allen anderen Tagungsbandbeiträgen auf eine Eingrenzung oder Definition der dem Band zugrunde liegenden zentralen Begriffe "Kompetenz", "Qualifikation" und "Schlüsselqualifikation" verzichtet. Dies erscheint hinsichtlich der zu beantwortenden Fragestellungen zumindest problematisch, sollte doch bereits zu Beginn deutlich werden, welche der hinter den Begriffen liegenden möglichen Konzepte eigentlich diskutiert werden sollen. [6]

Nach einer Definition der Kultusministerkonferenz (KMK) können zunächst grundsätzlich Kompetenzen von Qualifikationen abgegrenzt werden. Die Handreichung, der die Definitionen entlehnt sind, bezieht sich zwar auf den Bereich der beruflichen Bildung, die Begriffsbestimmungen erscheinen mir aber auch für einen allgemeineren Kontext schlüssig. Kompetenzen werden von der Kultusministerkonferenz beschrieben als der "Lernerfolg in Bezug auf den einzelnen Lernenden und seine Befähigung zu eigenverantwortlichem Handeln in beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Situationen" (KMK 2007, S.9). Qualifikationen hingegen beschreiben den "Lernerfolg in Bezug auf die Verwertbarkeit, d.h. aus der Sicht der Nachfrage in beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Situationen" (a.a.O.). [7]

Kompetenzen bezeichnen also Fähigkeiten, Kenntnisse und Fertigkeiten, die Personen individuell besitzen und/oder entwickeln können, während Qualifikationen formal erworben und ggf. zertifiziert werden und mithin auch vergleich- und verwertbar sind. Von dieser grundlegenden Unterscheidung weiterhin abzugrenzen ist der Begriff der Schlüsselqualifikationen, der erstmals von MERTENS (1974) eingeführt wurde und sich im Spannungsfeld von Wissens- und Berufsbezug einerseits und Handlungs- und Subjektbezug andererseits verortet. Unterschieden werden "Basisqualifikationen" (wie analytisches, logisches und kritisches Denken), "Horizont-Qualifikationen" (worunter das Gewinnen, Verstehen und Verarbeiten von Informationen verstanden wird), sog. "Breitenelemente" (wie die vier Grundrechenarten, Kenntnisse über Arbeitsschutz etc.) sowie "Vintage-Faktoren", die MERTENS als Abbau der Differenzen zwischen Jung und Alt beschreibt (vgl. ARNOLD, LIPSMEIER & OTT 1998, S.19). [8]

Der REFA-Verband (ursprünglich: "Reichsausschuss für Arbeitszeitermittlung", heute "Verband für Arbeitsstudien und Betriebsorganisation") hingegen unterscheidet elf verschiedene Schlüsselqualifikationen, nämlich analytisches, schrittweises Denken, synthetisches, planerisches Denken, Gewinnen und Verarbeiten von Informationen, selbstständiges Lernen, Problemlösungsfähigkeit, Transferfähigkeit, Teamfähigkeit, Flexibilität, Kommunikations- und Verhandlungsfähigkeit sowie Initiative und Verantwortung (vgl. REFA 1989, S.90). [9]

Betrachtet man diese Definitionsansätze und die dem Tagungsband zugrunde liegenden Fragestellungen, dann ist zu vermuten, dass er sich eher auf Kompetenzen und Schlüsselqualifikationen von Führungskräften als auf Qualifikationen im Sinne von verwertbaren, formalen Abschlüssen bezieht. [10]

3. Zum Tagungsband – Themenblöcke und Beiträge

3.1 "Schlüsselqualifikationen und Leistungsgerechtigkeit"

Manfred SEIFERT beschäftigt sich in seinem Beitrag "Changing pursuit? Konzepte der Enkulturation in das Arbeitsleben" mit der Frage, inwiefern Grundmomente eines postfordistischen Arbeitsmodells dem Arbeitsbewusstsein insbesondere jugendlicher ArbeitnehmerInnen entsprechen.

"Der Faktor Arbeit ist in jüngerer Zeit nicht nur in Deutschland zu einer gesellschaftsweit als zunehmend problematisch eingeschätzten Größe geworden. Hierfür werden vor allem der Globalisierungsdruck, eine hohe Innovationsdynamik und veränderte Managementstrategien verantwortlich gemacht. In diesem Kontext sorgt einerseits der Abbau von Arbeitsplätzen für ein wachsendes Unsicherheitsgefühl bei Arbeitenden und Auszubildenden. Andererseits entwickeln sich für die bestehenden Arbeitsplätze neue Herausforderungen an die Arbeitnehmerqualifikation. Diese Situation führt insgesamt zu einer wachsenden Prekarität des Arbeitslebens, das heißt zu zunehmend instabilen Arbeitsbiographien, die unter einem bislang ab 1945 so nicht gekannten Druck in Richtung beruflicher Flexibilität und psychophysischer Belastbarkeit stehen." (S.18) [11]

SEIFERT stellt die Hypothese auf, dass die strukturellen Veränderungen der aktuellen Arbeitswelt nicht nur von o.g. äußeren Bedingungen veranlasst, sondern dass sie auch von gesellschaftlichen Orientierungen getragen und mit veranlasst werden (S.19). Er kann aufzeigen, dass Arbeit tendenziell aus der kindlichen und jugendlichen Alltagserfahrung verschwindet und sich neue Orientierungen hinsichtlich des Arbeitsmodells z.B. auch aus neuen Vorstellungen familiärer Erziehung und weiteren Umweltfaktoren ergeben. Schließlich hält SEIFERT fest, dass durchaus von einem "heimlichen Lehrplan" bei der Einübung von Arbeitsvorstellungen und Arbeitsauffassung bei jungen Menschen gesprochen werden könne, was umso bemerkenswerter sei, als "einem solchen Lehrplan eine historisch bis ins Mittelalter zurückreichende Sozialisation in die ungeteilte Realität des Lebens- und Arbeitsvollzuges gegenübersteht" (S.24). Allerdings seien die von SEIFERT so bezeichneten "Beschränkungspotentiale und Befreiungskapazitäten" (S.24) dieser Lehrpläne für die individuelle Entwicklung nur aus dem entsprechenden Arbeitsmilieu und Lebenskontext heraus zu ermitteln. [12]

In ihrem Beitrag "Schlüsselqualifikationen – ein Schlüssel für den Eintritt in die Berufswelt?! Ein Praxisbeispiel aus der Hauptschule in Bayern" geht Claudia GUTH der Frage nach, wie die Umsetzung der in den Lehrplänen an Hauptschulen theoretisch verankerten Vermittlung von Schlüsselqualifikationen und Kompetenzen in der Praxis gelingt und ob eine sinnvolle Vermittlung von Schlüsselqualifikationen neben und im Unterricht überhaupt möglich sei. Darüber hinaus nimmt sie in den Blick, ob die Vermittlung von Schlüsselqualifikationen für die AbgängerInnen von Hauptschulen tatsächlich eine echte Chance für den Einstieg in die Arbeitswelt darstellt oder ob letzten Endes doch nur die Noten entscheiden. Diese Fragestellung bearbeitet GUTH anhand der Betrachtung von Praxisbeispielen wie der Schülerfirma "Tea Dream" an einer Hauptschule im Landkreis Landshut. Schülerfirmen sind dabei nicht als reale Firmen, sondern vielmehr als schulinterne Projekte mit pädagogischer Zielsetzung zu verstehen, im Rahmen derer die SchülerInnen u.a. unternehmerische Kompetenzen erwerben können. Im Praxisbeispiel wird die Vermittlung von Schlüsselqualifikationen als überaus erfolgreich eingestuft, auch der Übergang in die Arbeitswelt sei gelungen, nicht zuletzt auch durch die Vermittlung von Schlüsselqualifikationen wie Kreativität, Selbstbewusstsein, Kooperationsfähigkeit, Durchsetzungsvermögen, Zuverlässigkeit usw. (S.38f). Zum Abschluss spricht sich GUTH für ausführlichere Zeugnisse aus, die die Schlüsselqualifikationen, die überall gefordert werden, auch dediziert ausweisen und so z.B. Ausbildungsbetrieben stärker als bisher Aufschluss über die Fähigkeiten potenzieller Auszubildender geben könnten. "Inwieweit diese Anregung tatsächlich umgesetzt werden kann, ist noch nicht geklärt. Grundsätzlich sollte jedoch alles Nötige unternommen werden, um die jetzige Situation der Hauptschüler zu verbessern" (S.42). [13]

Almuth WÜNSCH betrachtet in ihrem Beitrag "Führung und (Selbst-) Vertrauen" Führungs- und Steuerungsinstrumente für MitarbeiterInnen und macht deutlich, dass diese oftmals genau das Gegenteil von dem bewirkten, was sie bewirken sollten – Minderleistung und Distanz der MitarbeiterInnen. Laut WÜNSCH beläuft sich der daraus entstehende wirtschaftliche Schaden jährlich auf bis zu 250 Milliarden Euro. Sie führt in diesem Zusammenhang drei Beobachtungen aus der betrieblichen Praxis an: Zunächst stellt sie einen Boom sogenannter Führungsinstrumente fest: "Besonders beliebt sind dabei alle Instrumente, die versprechen, die Motivation der Mitarbeiter zu steuern. Dazu gehören Anreizsysteme, Incentives, Zielvereinbarungen, Prämien etc." (S.44). Die zweite Beobachtung bezieht sich auf die Führungskräfte selbst, die sich auf diese Instrumente verlassen, weil sie ihnen die direkte Auseinandersetzung mit dem Mitarbeiter/der Mitarbeiterin ersparen. Als dritten Punkt hält WÜNSCH fest, dass MitarbeiterInnen ihre Führungskräfte oftmals nicht ernst nähmen. Diese Gemengelage führe zu "institutionalisierte[m] Misstrauen" (S.45) und damit zu weniger Produktivität und Leistungsbereitschaft. Hier könne die Psychologie in der Beratung von Unternehmen und Führungskräften wertvolle Unterstützung leisten, wofür WÜNSCH verschiedene Anknüpfungspunkte aufzeigt. Abschließend benennt sie, die Unternehmen und Führungskräfte ansprechend, verschiedene Vorteile, die diesen durch die Unterstützung der Psychologie zuteilwerden könnten und hält fest: "Für 250 Mrd. Euro lohnt sich das Nachdenken auf jeden Fall. Und mehr Spaß macht Arbeit so auch" (S.47). [14]

Uwe DIETRICH schließt den ersten Themenblock mit seinem Beitrag "Versteckte Schlüsselqualifikationen oder wie Michel aus Lönneberga Gemeinderatspräsident wurde" ab und zeigt am Beispiel der Romanfigur "Michel" von Astrid LINDGREN auf, dass Menschen bezüglich ihrer Fähigkeiten häufig über- oder unterschätzt werden können und dass wahrgenommene, vermeintlich negative Aspekte einer Person die positiven überlagern können. Im Rahmen des Beitrags begibt sich DIETRICH auf Spurensuche nach den Stärken von Michel, die es ihm schließlich ermöglichen, bis zum Gemeinderatspräsidenten aufzusteigen. Nach einer kurzen Diskussion des Begriffs "Schlüsselqualifikationen" arbeitet DIETRICH im weiteren Verlauf des Beitrages insgesamt sieben dieser Qualifikationen heraus: Ideen bzw. Neugier, Lernfähigkeit, Visionen, Handeln, Hilfsbereitschaft, Gefühl für Geschäfte und Konsequenz. Für die Förderung dieser Fähigkeiten schlägt DIETRICH vier Punkte vor, die er wiederum exemplarisch und sehr anschaulich anhand von Michel aus Lönneberga aufzeigt, nämlich Vertrauen, die Übernahme von Verantwortung, Freundschaften und Netzwerke sowie das Geben von Feedback. Im Fazit macht DIETRICH noch einmal deutlich, dass Schlüsselqualifikationen nicht immer auf den ersten Blick erkennbar sind. "Es lohnt sich aber, genauer hinzuschauen, zu beobachten, die Kompetenzen ggf. mit entsprechenden Verfahren zu messen und die Kompetenzen durch Feedback, Delegation von Verantwortung und Vertrauen weiter zu entwickeln" (S.64). Er plädiert dafür, sich im Sinne KÄSTNERs die eigene Kindheit zu bewahren, da so viele Schlüsselqualifikationen gestärkt werden könnten: "Nur wer erwachsen wird und Kind bleibt, ist ein Mensch!" (S.64) [15]

Der erste Themenblock weist also hinsichtlich der dem Tagungsband zugrunde liegenden Fragestellung erste interessante Erkenntnisse auf zum Arbeitskonzept von Jugendlichen (SEIFERT), zur Vermittlung von Schlüsselqualifikationen an Hauptschulen (GUTH), zu Führungsinstrumenten (WÜNSCH) und zur Entdeckung und Förderung von Schlüsselqualifikationen (DIETRICH). Im zweiten Themenblock mit dem Titel "Verankerung und Veränderung von Mustern der Sozialisation und Selbstsozialisation" stehen die in der Berufswelt handelnden Personen stärker im Mittelpunkt. [16]

3.2 "Verankerung und Veränderung von Mustern der Sozialisation und Selbstsozialisation"

Den ersten Beitrag im zweiten Themenblock liefert Urs RUOSS, er trägt den Titel "Mit aller Gewalt – Verhinderter Aufstieg von Frauen; ein Karrierekiller der besonderen Art". Dabei geht RUOSS der Frage nach, inwieweit sich Gewalterfahrungen oder Erlebnisse der Ungleichstellung im Privatleben von zur Führung befähigten Frauen auf den beruflichen Aufstieg oder eben Nicht-Aufstieg auswirken. Die Ausgangslage ist nach RUOSS die, dass Frauen insbesondere im deutschsprachigen Raum im mittleren und Topmanagement untervertreten sind. Ursache dafür seien unter anderem eine männlich geprägte Kultur sowie tradierte Rollenverständnisse. Missbrauch als Ursache für den Nicht-Aufstieg qualifizierter Frauen könne auf den ersten Blick nicht festgestellt werden: So führt RUOSS eine Studie aus dem Jahr 2005 an, in der Bank-Kaderfrauen über selbst verantwortete Karrierehindernisse befragt wurden, den Umstand möglicher Ungleichstellung oder gar Missbrauch im Privatleben aber nicht thematisierten. Weitere von RUOSS angeführte Studien belegen aber, dass Mädchen und Frauen verhältnismäßig häufig unter Gewalt leiden. "Wenn viel von Sozialisationsfaktoren die Rede ist, die hindernd auf die berufliche Entwicklung von Frauen wirken, dann darf die sexuelle Gewalt, aber auch generell physische und psychische Bedrohung nicht ausgespart werden" (S.71). RUOSS kommt in seinen Betrachtungen zu dem Schluss, dass sich die Entwicklung vom Missbrauch zur gescheiterten Karriere nur per Zufall nachzeichnen lasse und darüber hinaus forschungspraktisch schwierig zu fassen sei. "Letztlich ist mehr Forschung – idealerweise von Frauen – auf dem Gebiet des Frauenmissbrauchs und ihres Einflusses auf Frauenkarrieren wünschenswert" (S.73). [17]

Silke OSWALD stellt im Beitrag "Schlüsselqualifikationen und Bundeswehr – Die Notwendigkeit zur Ausbildung zum 'Staatsbürger in Uniform' und das Konzept des Zentralinstituts studium plus an der Universität der Bundeswehr in München" dar, warum die Universität der Bundeswehr München besonderen Wert auf die Vermittlung von Schlüsselqualifikationen legt und zeigt darüber hinaus auf, wie die Vermittlung dieser Qualifikationen organisiert ist. Zu diesem Zweck stellt sie zunächst Legitimation und Gründungsgedanken sowie die Charakteristika der Universitäten der Bundeswehr vor, um dann auf die Notwendigkeit der Vermittlung von Schlüsselqualifikationen an der Universität der Bundeswehr in München einzugehen. Als Faktoren hierfür führt sie das Leitbild von SoldatInnen als "Staatsbürger in Uniform" sowie die zunehmenden Auslandseinsätze der Bundeswehr und den Bologna-Prozess an, der mit seinen Zielsetzungen den Erwerb von Schlüsselqualifikationen explizit fordert. Curricular ist die Vermittlung von Schlüsselqualifikationen durch ein Begleitstudium mit dem Titel "studium plus" verankert, "das die Studierenden der Universität der Bundeswehr verpflichtend durchlaufen müssen. Das Zentralinstitut studium plus bedient also die Studierenden aller Fakultäten der Universität, quer durch alle Studiengänge" (S.80). Inhaltlich werde den Studierenden in sogenannten "Standardkursen" Horizontwissen (i.S. einer Erweiterung des begrenzten Blickwinkels des Fachstudiums), Partizipationsfähigkeit (i.S. der Förderung kompetenter Teilhabe in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen) sowie Orientierungswissen (als Voraussetzung dafür, Position zu komplexen Themen beziehen zu können) vermittelt. [18]

OSWALD betont als infrastrukturelle Besonderheiten des Zentralinstituts "studium plus" die Personalkapazität sowie die Sicherstellung der Lehrkapazität und die Nutzung eines maßgeschneiderten Webportals. Weiterhin geht die Autorin auf die strenge Überprüfung des Lehrangebots, die Verwendung effektiver Evaluationsmethoden, die stetige Weiterbildung der Dozenten und den Beirat als Kontrollorgan als Instrumentarien der Qualitätssicherung ein. Im Ausblick geht sie auf die weltweite sicherheitspolitische Lage und den damit einhergehenden veränderten Auftrag der Bundeswehr (Stichwort: Auslandseinsätze) ein und unterstreicht, dass mit diesen Veränderungen dem Zentralinstitut "studium plus" und der Vermittlung von Schlüsselqualifikationen an die Studierenden der Bundeswehr eine besondere Bedeutung zukomme. [19]

Der Beitrag von Stephan VOSWINKEL nimmt Bewerbungsratgeber in den Blick und trägt den Titel "Bewerbungsratgeber: Funktionale Authentizität und Verkauf der Arbeitskraft". Als Kernproblem diagnostiziert VOSWINKEL darin ein "Authentizitätsparadox: Der Bewerber soll authentisch so sein, wie der Einsteller ihn haben will" (S.88). Zunächst wird jedoch das "Sich bewerben" als Kulturtechnik vorgestellt, und verschiedene Aspekte der Arbeitswelt und des Arbeitsmarktes werden ausdifferenziert. Daran anschließend stellt VOSWINKEL einige Thesen auf, die auf Befunden eines DFG-Forschungsprojektes mit dem Titel "Persönlichkeit in der Bewerbung" beruhen. Zum einen wird die Funktion, zum anderen die Sprache von Bewerbungsratgebern analysiert. VOSWINKEL arbeitet bezüglich der Funktion heraus, dass sie sowohl die Bewerber/innen als auch die Personalverantwortlichen dabei unterstützen sollen, die durch die Bewerbungssituation auf beiden Seiten jeweils entstehende Unsicherheit zu bearbeiten. Hinsichtlich der Sprache der Bewerbungsratgeber wird deutlich, dass hier vor allem die Schaffung "einer offenen Kommunikationssituation über das optimale Matching interessiert" (S.96) Im weiteren Verlauf geht VOSWINKEL auf verschiedene Ratgebertypen ein. Über die Unterscheidung zwischen Bewerber- und Einstellerratgebern arbeitet VOSWINKEL schließlich das bereits erwähnte "Authentizitätsparadox" heraus. Authentizität wird von ihm dabei im Bewerbungsverfahren als funktional und zugleich hochgradig unsicher bezeichnet. "Der authentische Bewerber ist beliebt, weil er Komplexität reduziert, weil er für den Einsteller gewissermaßen 'benutzerfreundlich' ist. Aber die Authentizität ist hier natürlich kein Persönlichkeitswert an sich. Es geht nicht um Aufrichtigkeit und Selbst-Identität, sondern um Stimmigkeit" (S.99). Nur dann, wenn der Bewerber bzw. die Bewerberin die "richtige Authentizität" (S.100) darstelle, habe er/sie Chancen auf eine Einstellung. [20]

Den zweiten Themenblock schließen Jörg SCHEFFER und Martin VOSS mit ihrem Beitrag "Die Privatisierung der Sozialisation – Der Soziale Raum als heimlicher Lehrplan im Wandel" ab. Sie skizzieren im einleitenden Abschnitt den Trend der sich verstetigenden Polarisierung von Arm und Reich in der Gesellschaft und führen aus, dass dieser Trend mit dem "Rückzug des Staates und der öffentlichen Hand als soziale Ausgleichsinstanz einher[geht]" (S.103). Über BOURDIEUs Vorstellungen des sozialen Raumes, der, einer seiner Grundthesen folgend, in Feldern strukturiert ist (vgl. BOURDIEU 1998), finden sie einen Erklärungsansatz einer sich selbstverstärkenden Polarisierung. SCHEFFER und VOSS gehen im weiteren Verlauf auf die Epistemologie sozialer Ungleichheit ein und thematisieren die "Naturalisierung" des Raumes und ihre Folgen. Der Begriff der Naturalisierung beschreibt dabei einen Prozess der "Umgestaltung des sozialen Raumes als dynamischer und vieldimensionaler Raum von feldspezifischen Relationen zu einem Raum von isolierten, zweidimensionalen, kodifizierbaren Teilbereichen" (S.107). Diese Veränderung sehen die Autoren in der Dynamik moderner Gesellschaften und Änderungen der Einstellungen der Menschen zu ihrer menschlichen und nichtmenschlichen Umwelt begründet. Über Betrachtungen zur Rolle des Sozialstaats und zur Privatisierung ehemals öffentlicher sozialer Räume und deren Folgen insbesondere für sozial schlechter gestellte Menschen gelangen die Autoren im Fazit zu ihrer These vom sozialen Raum als einem heimlichen Lehrplan. Im sozialen Raum werden die Akteure sozialisiert; eine zunehmende Privatisierung sozialer Räume bedingt für Akteure eine eingeschränkte Mobilität zwischen unterschiedlichen Feldern und beeinflusst damit ganz erheblich die Möglichkeit, sich in verschiedenen Feldern zu habitualisieren. Diese These ist laut SCHEFFER und VOSS allerdings sowohl forschungspraktisch als auch bildungspolitisch noch nicht ausreichend erfasst worden. So fehle beispielsweise im 2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung eine Berücksichtigung des sozialen Raumes als heimlichem Lehrplan. "Es spricht jedoch vieles dafür, dass dieser in seiner wachsenden Segmentierung immer wichtiger wird und dabei bereits Teil des Ausbildungssystems geworden ist" (S.113). [21]

Während im ersten Themenblock eher Schlüsselqualifikationen als solche im Mittelpunkt standen, werden im zweiten Themenblock, wie dargestellt, Rahmenbedingungen für die Ausbildung, Nutzung und Förderung von Schlüsselqualifikationen und Kernkompetenzen besprochen. Der dritte Themenblock "Diversity und (inter)kulturelles Lernen" greift einen weiteren wichtigen Aspekt im Zusammenhang mit dem Thema Schlüsselqualifikationen in Zeiten der Globalisierung und des gesellschaftlichen Wandels auf. [22]

3.3 "Diversity und (inter)kulturelles Lernen"

Den Anfang im Themenblock 3 macht Stefan DREßKE mit seinem Beitrag "Kippeln im Rollstuhl. Zur Sozialisation von querschnittsgelähmten Patienten während der Erstbehandlung". Grundlage bildet eine explorierende Befragung von sechs MitarbeiterInnen in Rehabilitationskliniken. Die Befragung erfolgte unter der Fragestellung, "wie querschnittsgelähmte Patienten wieder auf den Alltag vorbereitet werden, d.h. wie der gute Behinderte im medizinischen System formiert wird" (S.123). Damit folgt das Forschungsvorhaben einem Ansatz der explorativen Forschung in klinischen Kontexten, der bereits in den 1970er und 1980er Jahren u.a. von CORBIN und STRAUSS (1988) verfolgt wurde und u.a. eine Grundlage für die (Weiter-) Entwicklung der Grounded-Theory- Methodologie darstellt. Nach einer kurzen Betrachtung des Zusammenhangs zwischen Körperbehinderung und Krankenrolle arbeitet DREßKE unter Zuhilfenahme der Auswertungsergebnisse der Interviews typisch auftretende Fallkonstellationen in ihrer zeitlichen Abfolge heraus. Zu nennen ist hier zunächst ein Zustand von Schock, Resignation und der Hoffnung auf Heilung, dann das Wecken realistischer Erwartungen und das Erlernen neuer Körpertechniken, das Erlernen von Selbstsorge und einem neuen Blick auf den eigenen Körper, die Außenwirkung und Selbstdarstellung sowie die Vorbereitung auf ein Leben als fortdauernde Rehabilitation. Im Fazit spricht DREßKE schließlich – eine erfolgreiche Behandlung vorausgesetzt – von "medizinisch aufgerüsteter Identität" (S.133). "Die medizinische Idealisierung lässt sich wie folgt zusammenfassen: Der neue Platz im Leben ist der alte. Nichts hat sich geändert, wenn alles gut läuft" (S.134f). Erstbehandlung und Rehabilitation sollen schließlich erreichen, dass die PatientInnen aufgrund von Behinderungen nicht in soziale Randbereiche "ausgegrenzt" werden. [23]

Daniela WAWRA stellt in ihrem Beitrag " 'Life is a rollercoaster and time is money': Tropen als grundlegende kulturelle Episteme – eine kognitiv-semantische Annäherung" als zentrales Anliegen das Aufdecken, die Dekonstruktion und die Hinterfragung von Epistemen (als Ordnungsstrukturen des Wissens) in den Mittelpunkt. Als konkretes Beispiel dienen ihr die Metaphern, die George W. BUSH im Rahmen seiner Rede zur Nation anlässlich des fünften Jahrestags des 11. September verwendete. Zunächst geht sie einleitend auf den rhetorical turn bzw. den discursive turn ein und führt aus, wie Sprache zum Mythos wird. Anschließend erfolgt eine Klärung des Begriffs "Tropen", der laut WAWRA aus der klassischen Rhetorik stammt und dort meist als uneigentlicher, bildlicher Ausdruck definiert wird (S.138). Tropen können "generell als Mittel betrachtet werden, das eher Unbekannte bekannter und vertrauter zu machen. […] Bekannte Arten von Tropen sind z.B. Ironie, Understatement (Untertreibung), Hyperbel (Übertreibung), Euphemismus (Beschönigung), Metonymie und die Metapher, auf die ich mich im Weiteren konzentrieren möchte" (a.a.O.). Nach Ausführungen zur klassischen Metapherntheorie und der Metapherntheorie in der kognitiven Linguistik werden Metaphern als Instrumente zur Konstruktion sozialer Wirklichkeiten und als grundlegende kulturelle Episteme betrachtet. Schließlich zeigt WAWRA am Beispiel der Rede von George W. BUSH auf, wie Metaphern im politischen Diskurs eingesetzt werden. Abschließend hält die Autorin fest:

"Das konzeptuelle System des Menschen ist von Natur aus metaphorisch. Das impliziert, dass etwas durch etwas Anderes verstanden wird. Dabei ist jedoch auch unser phantasievollstes Verstehen in einem konzeptuellen System angesiedelt, das in unserem erfolgreichen Funktionieren in unserer physischen und sozialen Welt verwurzelt ist (vgl. Lakoff 2003, S.194). Es ist also nicht völlig beliebig. Dennoch kann unser Verstehen durch Metaphern subtil manipuliert werden. Metaphern beinhalten häufig eine sehr subjektive Weltsicht, die als objektives Epistem vermittelt werden soll. Dies gilt es aufzudecken und zu hinterfragen." (S.150) [24]

Der dritte Beitrag im dritten Themenblock ist ein Feldbericht und trägt den Titel "'Es sind doch ihre Freunde, nicht meine.' Strategien der Netzwerkbildung junger lernender, forschender und arbeitender Münchner Ausländerinnen und Ausländer. Ein Bericht aus der Feldforschung". Agnieszka PIETLICKA arbeitet darin anhand qualitativer Interviews, in denen die Methode der "egozentrierten Netzwerkzeichnung" eingesetzt wurde, unterschiedliche Typen von "Netzwerkern" heraus. Nach einer Einführung und Begriffsklärung geht PIETLICKA zunächst auf den Netzwerkbegriff und auf die Bezeichnung "egozentrierte Netzwerke" ein. Es folgt eine Stichprobenbeschreibung sowie eine Darstellung der verschiedenen herausgearbeiteten Typen. Dabei unterscheidet sie zunächst zwei Gruppen: "Personen, die bewusst an dem Aufbau ihrer Netzwerke gearbeitet haben (Bildung) und die ich hier als 'Strategen' bezeichne sowie Personen, deren Netzwerke 'sich eher ergeben haben' (Entstehung) und die ich hier vorläufig 'Geduldige' nenne" (S.158). Innerhalb der Gruppe der "Strategen" arbeitet PIETLICKA die Idealtypen "everybody's darling", "Stammtischler", "Kursteilnehmer" und "Barbesucher" heraus. Unter den "Geduldigen" finden sich als Idealtypen "Wohnheims-Glückspilz", "Nachzügler", "Familienersetzer" und "Kollege". Im Fazit würdigt die Autorin die Methode der "egozentrierten Netzwerkzeichnung" als gute Möglichkeit des Zugangs zur Lebenswelt der MigrantInnen. [25]

Petia GENKOVA schließt den dritten Themenblock mit ihrem Beitrag "Kulturvergleichende Psychologie – eine Herausforderung einer universellen Wissenschaft im Zeitalter der Globalisierung" ab. In einem ersten Zugang grenzt GENKOVA die kulturvergleichende von der Kulturpsychologie ab: Letztere habe "den Einfluss der Kultur auf die Individuen zum Forschungsgegenstand" (S.171), die kulturvergleichende Psychologie hingegen beanspruche darüber hinaus, diesen Einfluss in unterschiedlichen Kulturmodellen zu vergleichen. Sie sei, wie die Psychologie an sich, eine empirische Wissenschaft. Im weiteren Verlauf ihres Beitrags diskutiert GENKOVA dann den Kulturbegriff unter der Fragestellung, ob dieser ein operationalisierbares Konstrukt sei, und kommt anschließend auf Paradigmen und Perspektiven der kulturvergleichenden Psychologie zu sprechen. Als theoretische Paradigmen (im Sinne von Orientierungen) der Disziplin werden Absolutismus, Relativismus und Universalismus festgelegt. "Absolutismus setzt voraus, dass die psychologischen Phänomene in allen Kulturen in qualitativer Perspektive gleich sind. […] Im Relativismus wird das menschliche Verhalten als kulturell bedingt betrachtet. […] Das Universalismus-Paradigma fasst die beiden vorigen Perspektiven zusammen" (S.183; Hervorhebung im Original). [26]

Der konzeptionelle Rahmen der kulturvergleichenden Psychologie wird von GENKOVA zwischen der Allgemeinen, der Entwicklungs-, der Sozial- und der Persönlichkeitspsychologie verortet. Im letzten Abschnitt ihres Beitrages diskutiert sie schließlich kritische Ansätze in der kulturvergleichenden Psychologie und geht dabei besonders auf die Arbeiten von SHIRAEV und LEVY (2000) und VAN DE VJIEVER und LEUNG (1997) ein. GENKOVA erinnert abschließend daran,

"dass jede Forschung eine direkte oder indirekte Konsequenz für mehrere Mitglieder einer Gesellschaft und für weitere Forschungsvorhaben mit sich bringt, dies gilt insbesondere für die Kulturvergleichende Psychologie in Zeiten der Integration und Globalisierung, wobei der letztgenannten auch häufig das Durchsetzen von begrenzten oder nicht verbreiteten Mustern der westlichen Welt vorgeworfen wird. Der Vollzug der Integration ohne die eigene Identität oder die Kulturspezifik zu verletzten, sollte die Aufgabe der Kulturvergleichenden Psychologie sein." (S.189) [27]

Die Betrachtung der Beiträge im dritten Themenblock lässt erkennen, dass hier vor allem Forschungsprojekte und -ansätze vorgestellt wurden, die im weitesten (GENKOVA, WAWRA) und etwas engeren Sinne (DREßKE, PIETLICKA) mit der eingangs geschilderten Fragestellung nach Schlüsselqualifikationen und Kompetenzen im Zusammenhang stehen. Neue Erkenntnisse hinsichtlich der Frage des Qualifikationsbedarfs und -erwerbs von Führungskräften bzw. der Gestaltung entsprechender Trainings- und Workshopmaßnahmen werden in diesem Block nicht generiert. Diese sind aber im folgenden Themenblock mit der Perspektive auf neue Lehr- und Lernkonzepte und damit verbundene Grundfragen zu erwarten. [28]

3.4 "Grundfragen an Bildung, Selbstentwürfe und Autonomie in neuen Lehr- und Lernkonzepten"

Der Beitrag von Michael ZIEMONS mit dem Titel "Das Rumpelstilzchen-Prinzip. Informelle Themen – heimliche Lehrpläne erkennen und bearbeiten mit TZI" bildet den Auftakt des vierten Themenblocks. Im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen "heimliche" Strukturen und informelle Themen in Gruppensituationen, die, sofern mit ihnen nicht konstruktiv umgegangen wird, erhebliches Krisenpotenzial in sich bergen können. Anhand des Strukturmodells der Themenzentrierten Interaktion (TZI) in Verbindung mit Beispielen aus der Erwachsenenbildung zeigt ZIEMONS auf, wie dieser Sachverhalt in Gruppensettings nutzbringend bearbeitet werden kann. Zunächst wird das Modell der TZI nach COHN mit den in Gruppensituationen wirksamen Faktoren "Globe" (Umwelt), "Thema" (als "Anliegen/Auftrag/'Sache'“ (S.198), "Ich" (i.S. von Verhalten und Persönlichkeit des Gruppenmitglieds) und "Wir" (Interaktion, Kultur, Dynamik der Gruppe) kurz vorgestellt. Im Anschluss daran beschreibt ZIEMONS, welche Störungen in Gruppensettings jeder der Faktoren verursachen kann, indem er jeden Faktor einzeln betrachtet und mit anschaulichen Beispielen ergänzt. Der Beitrag endet mit einem Aufruf, "heimliche" Strukturen, Krisen oder Störungen zum Thema zu machen, sobald sie von KursteilnehmerInnen oder Kursleitung erkannt werden.

"Mitarbeit und Motivation zum Aufdecken und Bearbeiten von Krisen wird aber nur dann zu erreichen sein, wenn den Beteiligten der Gewinn deutlich ist, der durch das Aufdecken und Bearbeiten heimlicher Themen und Lehrpläne möglich wird. Professionelle Leiter von Gruppen haben deshalb die Aufgabe, diesen Gewinn, diese Chance zu propagieren" (S.205). [29]

Das Thema "Diversity Management in Organisationen" ist der Schwerpunkt des zweiten Beitrages. Kathrin TRUMP stellt unter dem Titel "Diversity Management in der Praxis – Möglichkeiten der Veränderung monokultureller Organisationen" zunächst das Thema "Diversity Management" und den Begriff "Diversity" näher vor. "Diversity" wird dabei verstanden als "die personelle Vielfalt in einer Organisation auf individueller, gruppenbezogener und organisationaler Ebene" (S.209). Die Autorin geht im weiteren Verlauf auf die Auswirkungen von Diversity in Organisationen ein und arbeitet verschiedene Formen des Umgangs mit Diversity in selbigen heraus. Über Betrachtungen zum heimlichen Lehrplan in monokulturellen Organisationen und seinen Nachteilen zeigt TRUMP weiterhin einen Weg zur multikulturellen Organisation auf, bevor sie ein im Rahmen einer Diplomarbeit entstandenes Modell zur Bewertung des Diversity Managements in Organisationen vorstellt. Zum Abschluss des Beitrags geht TRUMP zunächst auf Handlungsnotwendigkeiten in Bezug auf das Thema "Vielfalt in Organisationen" ein und bietet Gestaltungsvorschläge für ein Diversity Management unter Zuhilfenahme von Beispielen aus der Praxis an. Dabei sind aus ihrer Perspektive insbesondere Führungskräfte der Schlüssel für eine erfolgreiche Veränderung der Organisation im Umgang mit Diversity (vgl. S.225); einen weiteren wichtigen Eckpfeiler stelle das Personalmanagement dar. Auch wachse im deutschsprachigen Raum das Interesse an Diversity Management, da die Organisationen die darin liegenden Chancen und Potenziale erkannt hätten und nutzen möchten. "Homogene, d.h. monokulturelle Organisationen, muss es daher auf lange Sicht nicht mehr geben, da mit Hilfe des Diversity Managements der heimliche Lehrplan zur Verhinderung von Vielfalt in Organisationen umgeschrieben werden kann" (S.227). [30]

"Von der Sprachlosigkeit zur Gewalt. Traditionelle und moderne Erziehung der Kinder aufgrund der Werke von Frank Wedekind Frühlings Erwachen und von Norbert Niemann Schule der Gewalt" lautet der Titel des Beitrages von Czeslaw PLUSA. Darin betrachtet er anhand der im Titel genannten Werke, die in unterschiedlichen Zeiten angesiedelt sind, den Umgang mit dem Thema "Sexualität" bei Jugendlichen. Zunächst wird "Frühlings Erwachen" vorgestellt.

"Das Stück ist eine Kindertragödie und thematisiert sexuelle Probleme der Jugendlichen. […] Der thematische Hintergrund des Stückes umfasst die Fragen, die Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Europa landläufig tabuisiert waren und den Ausbruch eines Unbehagens auslösten: Was bedeutet es, erwachsen zu werden? Was ist das Geschlechtliche, was legen Körperlichkeit und Sexualität in ihrer ganzen Artikuliertheit und Tragweite offen?" (S.231) [31]

Im Mittelpunkt steht also die Frage, welche (gesellschaftlichen) "heimlichen Lehrpläne" zum Thema Sexualität und Adoleszenz in der entsprechenden Zeit vorherrschten. WEDEKIND verarbeitet diese in seinem Werk und übt somit, so PLUSA, auch Kritik an den Umständen der damaligen Epoche. Die Tabuisierung der genannten Themen führe demnach über Unwissenheit zu psychischen Problemen bei den Hauptpersonen in WEDEKINDs Werk und schließlich in die (ggf. vermeidbare) Katastrophe. Die Themen Sexualität und Gewalt werden auch im Werk von Norbert NIEMANN zentral behandelt – hier eingebettet in die moderne Konsumgesellschaft. Dabei steht die Beziehung zwischen einem 38jährigen Lehrer und seiner 17jährigen Schülerin im Mittelpunkt der Geschichte. Zwischen beiden "bahnt sich ein heimliches Verhältnis an, das sich zu einer unmöglichen Liebe entfaltet und zugleich das Bild der heutigen Gesellschaft zeigt. Als solches wird die Liebe allenfalls diskriminiert, nach den ersten anonymen Drohungen beginnt die Gewalt zu eskalieren" (S.236). Auch in NIEMANNs Werk werden somit (gesellschaftliche) "heimliche Lehrpläne" thematisiert. PLUSA argumentiert in diesem Zusammenhang, "dass die Liberalisierung und Enttabuisierung der Sexualität und die Konsumkultur [in der heutigen Gesellschaft, A.S.] das romantische Ideal der Liebe entschärfen" (S.237). [32]

In der Analyse beider Werke und unter Rückgriff auf weitere AutorInnen kommt PLUSA zu dem Schluss, dass sich sowohl für WEDEKIND als auch für NIEMANN offenbar nur zwei Möglichkeiten des Lebens ergeben hätten, die durch "heimliche Lehrpläne" jeweils gesellschaftlich vermittelt schienen: zum einen das Motto "Lieber mitlaufen" (S.245), zum anderen ein Leben auf primitivster Ebene: "versuchen, seinen eigenen Weg zu gehen, d.h. leben, ohne auf das Leben zu verzichten" (S.245). [33]

Aneke ULLRICH, Thomas KLICHE und Uwe KOCH schließen den vorletzten Themenblock des Tagungsbandes mit ihrem Beitrag zu "Kompetenzanforderungen an Kita-Fachkräfte in Prävention und Gesundheitsförderung: Politischer Erwartungshorizont, Professionalisierungsansätze und Gestaltungsmöglichkeiten" ab und stellen eine Studie über Qualifizierungsbedarf und Professionalisierungstendenzen in Kitas vor. Hintergrund der Studie sei gewesen, dass Kindertagesstätten "wichtige Aufgaben bei der Förderung gesunden Ernährungs- und Bewegungsverhaltens, bei der Stärkung von Schutzfaktoren und bei der Vermittlung von Fähigkeiten zur Stressbewältigung für die Kinder übernehmen" (S.249) sollen. Die Studie habe in diesem Zusammenhang Informationen über künftige Anforderungen an die Qualifikationen und Kompetenzen von ErzieherInnen für frühe Prävention und Gesundheitsförderung, über den verfügbaren Qualifizierungsstandard sowie über Ansatzpunkte und Schwierigkeiten unterschiedlicher Qualifizierungs- und Professionalisierungsstrategien geliefert. [34]

Eine unzureichende Qualifikation bei Kita-Fachkräften resultiert ULLRICH et al. zufolge einerseits aus Defiziten in der Ausbildung und andererseits aus Problemen der Fort- und Weiterbildung. Bezüglich der Ausbildung halten die AutorInnen unter anderem fest, dass Gesundheitsthemen im Bezug auf Stundenkontingent, Mindestanforderungen und Prüfungsrelevanz eher geringere Bedeutung haben als andere Themen im Lehrplan. Im Zusammenhang mit Fort- und Weiterbildungsfragen werden u.a. die Pluralität der LeistungsanbieterInnen sowie räumliche und inhaltliche Versorgungslücken als problematisch angesehen. Als Lösungsansatz werden "interne" und "externe" Professionalisierungsmöglichkeiten vorgestellt. "Externe Professionalisierung bedeutet, dass Professionalisierungsprozesse durch andere Akteure als die betreffende Berufsgruppe selbst initiiert und im Verlauf gesteuert werden" (S.256). Interne Professionalisierung hingegen zielt auf die Aktivierung und Regulierung von Professionalisierungsprozessen aus dem Berufsstand selbst heraus ab. In ihren Schlussbetrachtungen gehen ULLRICH et al. auf die Ergebnisse ihrer Studie zu heimlichen Lehrplänen im Arbeitsfeld Kita ein. Sie verweisen dabei einerseits auf ein stark ausgeprägtes Harmoniebedürfnis von ErzieherInnen sowohl in Bezug auf die Zusammenarbeit im Kollegium als auch hinsichtlich des Umgangs mit Eltern und Kita-Träger. Dies stehe allerdings im Konflikt mit der internen Professionalisierung, die oftmals mit Unbequemlichkeiten, Konkurrenzsituationen und Konfliktpotenzial verbunden sei. Darüber hinaus würden ErzieherInnen ihre eigenen Bedürfnisse hinter die der betreuten Kinder zurückstellen. "Dadurch werden Chancen, die Berufsgruppe im Sinne einer sich selbst tragenden Professionalisierung weiter zu entwickeln, nicht konsequent wahrgenommen" (S.260). Schließlich wird auch auf heimliche Lehrpläne auf der politischen Ebene verwiesen, verbunden mit der Frage, ob eine Professionalisierung des Berufsstandes mit den damit einhergehenden Folgen (z.B. Gehaltssteigerungen) politisch überhaupt gewollt ist. Handlungsansätze und Empfehlungen hinsichtlich der Verankerung des Themas der Frühprävention in Verbindung mit Fragen der Professionalisierung runden den Beitrag ab. [35]

Den Rahmen für den vierten Themenblock bildet insgesamt der Aspekt der "heimlichen Lehrpläne" sowohl in Weiterbildungs-Settings (ZIEMONS) als auch im Kontext der Organisationsentwicklung (TRUMP). Darüber hinaus werden "heimliche Lehrpläne" im Zusammenhang mit dem Umgang mit Tabu-Themen (PLUSA) sowie bei der Qualifizierung und Professionalisierung von Kita-Fachkräften (ULLRICH et al.) thematisiert. Auch der Bezug zu Fach- und Führungskräften wird in den Beiträgen explizit oder implizit hergestellt. Die AutorInnen konnten herausarbeiten, dass heimliche Lehrpläne tatsächlich existieren und Schwierigkeiten, aber auch Potenziale im Umgang mit ihnen aufzeigen. Im letzten Themenblock des Tagungsbandes werden nunmehr Fragen im Zusammenhang mit der Berufsbiografie bearbeitet. [36]

3.5 "Bewältigungsstrategien in der Berufsbiographie"

Hendrik BERTH, Peter FÖRSTER, Elmar BRÄHLER, Friedrick BALCK und Yve STÖBEL-RICHTER stellen in ihrem Beitrag eine Untersuchung zum Zusammenhang von Schulnoten, Berufsbiografie und Arbeitslosigkeit vor. Dabei wird die Frage verfolgt, welchen prädiktiven Wert Schulnoten für Arbeitslosigkeit im mittleren Erwachsenenalter haben. Nach Informationen zum Hintergrund der Untersuchung gehen die Autoren zunächst auf Sampling und Design der Studie ein.

"Die Sächsische Längsschnittstudie (vgl. Förster, 2002) wurde bereits 1987 in der ehemaligen DDR begonnen. Eine Stichprobe (ursprünglich = 1.407) seinerzeit 14-jähriger Schüler aus den Bezirken Leipzig und Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz), die repräsentativ für den DDR-Geburtsjahrgang 1973 ausgewählt war, wurde über drei Jahre hinweg bis zum Frühjahr 1989 befragt. Von den Teilnehmern erklärten sich 1989, nach der dritten Befragung, N = 587 bereit, auch an weiteren Untersuchungen teilzunehmen, Die Studie konnte auch nach der Wende in der DDR bzw. in den neuen Bundesländern bis heute fortgesetzt werden. Im Jahr 2006 wurde die 20., im Jahr 2007 die 21. Erhebungswelle durchgeführt." (S.267) [37]

Schwerpunkte der Untersuchung waren bei allen Erhebungswellen politisch-gesellschaftliche Fragestellungen, z.B. zu Nachwirkungen der DDR-Sozialisation, zu dem Erleben der deutschen Einheit oder zu den Veränderungen der Lebensverhältnisse im Zuge der Wiedervereinigung. [38]

Den Ergebnissen der Studie zufolge waren im Alter von 33 Jahren mehr als 70 Prozent der teilnehmenden Personen mindestens einmal von Arbeitslosigkeit betroffen. Neben Erklärungsansätzen wie den schwierigen ökonomischen Bedingungen in den neuen Bundesländern werten BERTH et al. dies auch als Indiz dafür, "dass Zeiten von Arbeitslosigkeit heute als Bestandteil der normalen Berufsbiographie akzeptiert werden müssen" (S.273). Weiterhin wird durch die Studie deutlich, dass schlechte Noten am Ende der 10. Klasse der erweiterten Oberschule in der DDR das Risiko, arbeitslos zu werden, erheblich steigerten. Auch seien Frauen im Mittel stärker von Arbeitslosigkeit bedroht als Männer, allerdings gäben die vorliegenden Daten keine grundsätzliche Auskunft über mögliche Ursachen hierfür. Zum Abschluss weisen die Autoren kritisch darauf hin, dass es sich beim Sample um eine relativ kleine, altershomogene Gruppe junger Ostdeutscher handele, die aus dem heutigen Bundesland Sachsen stammen und alle im Jahr 1989 ihre schulische Ausbildung mit der 10. Klasse abgeschlossen haben. Auch wenn das damalige Einheitsschulsystem der DDR mit dem heutigen Schulsystem nicht vergleichbar sei und die Notengestaltung damals und heute sicher Unterschiede aufweist, argumentieren die Autoren, dass "die damaligen Zensuren geeignet [sind], Differenzen im Leistungsniveau zwischen guten und schlechten Schülern abzubilden" (S.275) und damit auch Zusammenhänge zwischen Schulnoten und Arbeitslosigkeitserfahrungen aufzuzeigen. [39]

Ralf BRODESSER zeigt in seinem Beitrag "Bildung soll Spaß machen oder Lust an Erkenntnis? Eine Kritik didaktischer Methoden in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit", dass sich die Gewerkschaften derzeit in einer Neuausrichtung ihrer Bildungsarbeit befinden und entgegen dem Ansatz in den 1970er Jahren eher subjektorientierte Herangehensweisen wählen. Es fand also ein Wechsel von "marxistische[r] Unterweisung [als] Mittel, um den Kapitalismus zu verstehen" (S.279) hin zu Ansätzen statt, die Lernende und deren Bedürfnisse und Interessen stärker in den Mittelpunkt rücken. Letztere werden von BRODESSER kritisch diskutiert, wobei er sich, wie er im einleitenden Abschnitt ausführt, wesentlich auf den "Baustein zur nicht-rassistischen Bildungsarbeit" des DGB-Bildungswerkes Thüringen e.V. bezieht. [40]

Nach einer allgemeinen Kritik an den subjektorientierten Methoden gewerkschaftlicher Bildungsarbeit geht BRODESSER im weiteren Verlauf dediziert auf die Methode des Rollenspiels sowie auf den praktizierten Erfahrungsansatz ein, bei dem die eigene Lebenssituation der Lernenden der Ausgangspunkt für jegliche Lernprozesse sein soll. Schließlich spricht er sich im Zusammenhang mit gewerkschaftlicher Bildungsarbeit für den Ansatz des expansiven Lernens aus:

"Expansiv ist eine Lernhandlung, wenn ich die Anstrengungen und Risiken des Lernens auf mich nehme, da ich das Ziel einer Erweiterung meiner Handlungsfähigkeit erkenne und antizipiere. Jede/r weiß, dass Lernen nicht immer nur Spaß macht, Lernen ist harte Arbeit, was nicht heißt, dass diese Arbeit keinen Spaß machen kann" (S.293; Hervorhebungen im Original). [41]

Barbara WASNER nimmt in ihrem Beitrag "Politikermemoiren als Medium politischer Selbstdarstellung" die Frage in den Blick, ob PolitikerInnenmemoiren einzig und allein Mittel der Selbstdarstellung sind oder ob sie auch als Datengrundlage für die Rekonstruktion politischen Handelns genutzt werden können. Dabei geht sie zunächst auf die Problematik des Datenmaterials sowie die Frage der Urheberschaft ein, da "einige Texte möglicher- oder sogar wahrscheinlicherweise nicht in Gänze von Politikern selbst, die ja selten professionelle Schreiber sind, sondern von sogenannten Ghostwritern verfasst wurden" (S.301). Im weiteren Verlauf stellt WASNER dar, dass bezüglich des Umfangs bzw. der Menge des auswertbaren Datenmaterials in Form von Memoiren und Autobiografien zwischen den Parteien und politischen Lagern Unterschiede auszumachen seien.

"Höchst ungleich verteilt ist das Verhältnis zwischen der Zahl der Autoren und der Zahl ihrer Werke in den verschiedenen Parteien: In den meisten Parteien gibt es einige 'Stars', die viele Texte produzieren und überdurchschnittlich auf dem Buchmarkt vertreten sind. Daneben gibt es 'Gelegenheitsschreiber', die meist nur einen oder sehr wenige Texte verfassen" (S.302). [42]

WASNER differenziert weiterhin verschiedene Arten politisch-autobiografischer Texte sowie die unterschiedlichen Erfahrungshorizonte von SpitzenpolitikerInnen und "einfachen" Abgeordneten. Mit Ausführungen zur empirischen Rekonstruktion von politisch-parlamentarischem Handeln aufgrund von Memoirentexten, der Diskussion der Frage, ob PolitikerInnenmemoiren nun tatsächlich eine brauchbare Datenbasis darstellen und – gemäß der Zielsetzung des Beitrages – der Klärung des Aspektes der Selbstinszenierung schließt WASNER ihre Ausführungen. Die Autorin hält fest:

"Eine Rekonstruktion politisch-parlamentarischen Handelns ist auf der Datenbasis der Politikermemoiren nur begrenzt möglich: Bestimmte Aspekte des politischen Handelns lassen sich sehr ausführlich und umfangreich, auch anhand zahlreicher Details, beschreiben und analysieren. Andere Teilbereiche des politisch-parlamentarischen Handelns – solche, die auch sonst den Blicken der Öffentlichkeit eher entzogen bleiben – können anhand dieses Datenmaterials kaum befriedigend untersucht werden. Hier bleibt man auf andere Datenquellen angewiesen" (S.309). [43]

Den Abschluss des Tagungsbandes bildet der Beitrag von Ulrike KRIEG-HOLZ mit dem Titel "Wir können alles außer Hochdeutsch. Sprachvariationen als Ausdruck sozialer Wahl". Darin behandelt die Autorin die situations- bzw. gesprächsspezifische Variation des Sprechens im Feld Dialekt – Standardsprache und untersuchte dazu in funktionaler und sprachlicher Hinsicht spontane Gespräche mit bayrischen "Gewährspersonen" (Mitglieder einer Sprachgemeinschaft; hier: bayrische Studierende, die "bezüglich ihres ursprünglichen Dialekts einer niederbayerischen Form des Mittelbairischen zuzuordnen [sind]" [S.317]). Im Rahmen der Untersuchung ging es um folgende Fragen: "Welche Dialektmerkmale werden von bairischen Sprechern bei ihrer sozusagen hochdeutschesten Variante beibehalten? Inwieweit erfolgt der Wechsel in den Substandard [also in den Dialekt, A.S.] bewusst bzw. ist diese Variation funktional?" (S.317) KRIEG-HOLZ kann herausarbeiten, dass im Falle der StudentInnen "situationsabhängig Dialektmerkmale zurückgehen bzw. bewusst unterdrückt werden. Im Gegensatz dazu nehmen (noch) nicht-standardsprachliche, nicht-regionale Substandardmerkmale zu" (S.320). Darüber hinaus würden Substandard und Dialekt für unterschiedliche funktional-kommunikative Zwecke und Leistungen jeweils strategisch eingesetzt. [44]

Unter der Überschrift "Bewältigungsstrategien in der Berufsbiographie" werden in diesem abschließenden Themenblock von den AutorInnen sehr unterschiedliche Thematiken aufgeworfen und diskutiert. Die Bandbreite reicht vom Zusammenhang von Schulnoten mit Erfahrungen von Arbeitslosigkeit (BERTH et al.) bis hin zu Überlegungen des (strategischen) Einsatzes von Dialekt und Hochsprache (KRIEG-HOLZ). Weiterhin werden Fragen der Güte bzw. methodischen Angemessenheit der Bildungsarbeit in Gewerkschaften (BRODESSER) sowie der Nutzbarkeit von PolitikerInnenmemoiren als Basis für empirische Untersuchungen (WASNER) bearbeitet. Während die Beiträge in sich interessante und relevante Fragestellungen aufgreifen, ist der Bezug zu den dem Tagungsband insgesamt zugrunde liegenden Fragen nur äußerst schwierig zu erkennen. [45]

4. Schlussbetrachtungen

Der nun folgende Abschnitt soll dazu dienen, den Tagungsband insgesamt einzuschätzen und unter Bezug auf die eingangs aufgeworfenen Fragestellungen einzuordnen. [46]

Wie im Einleitungskapitel bereits dargestellt, formuliert Petia GENKOVA für die vorliegende Publikation folgende Fragestellungen:

Die Betrachtung aller Beiträge zeigt, dass die Beantwortung dieser Fragestellungen nur bedingt gelingt. Beiträge zu Work-Life-Balance-Konzepten fehlen, die Frage der Gestaltung von Workshops bzw. nach dem Bedarf an längeren und nachhaltigen Trainingskonzepten bleibt ebenfalls unbeantwortet. Auf (Schlüssel-) Qualifikationen von Führungskräften, aber auch von Personen auf anderen Hierarchieebenen wurde demgegenüber recht ausführlich eingegangen, während die Frage nach der Rolle von Schulen und Hochschulen bei der Vermittlung dieser Schlüsselqualifikationen für mich, abgesehen von den Beiträgen von GUTH und OSWALD, weitgehend unbeantwortet geblieben ist. [48]

Kritisch ist ebenfalls anzumerken, dass unter den Oberbegriffen "Kompetenz", "Qualifikation" und "Schlüsselqualifikation" verschiedenste Konzepte, Ansätze und Forschungsbereiche versammelt wurden, ohne jeweils zu verdeutlichen, was mit den genannten Begriffen im Kern gemeint ist (vgl. Abschnitt 2 der Besprechung). [49]

Ob das Vorhandensein von Schlüsselqualifikationen tatsächlich zum Erfolg führt und wie "heimliche Lehrpläne" und Basiskompetenzen im Zeichen der Globalisierung gestaltet sind und genutzt werden können, kann durch den Band nicht abschließend geklärt werden. Dennoch bietet er eine hohe Bandbreite sehr interessanter Beiträge aus verschiedenen Bereichen, was die Lektüre zu keinem Zeitpunkt eintönig gemacht hat. Interessieren sich Lesende für sehr unterschiedliche Blickwinkel und Dimensionen der aufgeworfenen Fragestellungen über verschiedene wissenschaftliche Disziplinen hinweg, bietet der Tagungsband einen guten Überblick und einen lohnenswerten Einstieg in die Thematik. [50]

Literatur

Arnold, Rolf; Lipsmeier, Antonius & Ott, Bernd (1998). Berufspädagogik kompakt. Berlin: Cornelsen.

Bourdieu, Pierre (1998). Praktische Vernunft. Zur Theorie des Handelns. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Corbin, Juliet & Strauss, Anselm (1988). Weiterleben lernen. München: Piper.

KMK (2007). Handreichungen für die Erarbeitung von Rahmenlehrplänen der Kultusministerkonferenz (KMK) für den berufsbezogenen Unterricht in der Berufsschule und ihre Abstimmung mit Ausbildungsordnungen des Bundes für anerkannte Ausbildungsberufe, http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2007/2007_09_01-Handreich-Rlpl-Berufsschule.pdf [Zugriff: 27.08.2010].

Mertens, Dieter (1974). Schlüsselqualifikationen. Thesen zur Schulung für eine moderne Gesellschaft. Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, 7, 36-43.

REFA-Verband für Arbeitsstudien und Betriebsorganisation e.V. (1989). Methodenlehre der Betriebsorganisation – Arbeitspädagogik. München: Hanser.

Shiraev, Eric & Levy, David (2000). Introduction to cross-cultural psychology. Boston: Pearson.

Van de Vijver, Fons & Leung, Kwok (1997). Methods and data analysis of comparative research. In John W. Berry, Ype H. Poortinga & Janak Pandey (Hrsg), Handbook of cross-cultural psychology, Volume 1: Theory and method (S.257-300). Boston: Allyn and Bacon.

Zum Autor

Alexander SCHNARR ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Berufs- und Betriebspädagogik der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der (internationalen) Berufsbildungs- und der Professionsforschung. Den Schwerpunkt in der Lehre bilden Fragen rund um die betriebliche Berufsbildung.

Kontakt:

Alexander Schnarr

Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
Institut für Berufs- und Betriebspädagogik
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E-Mail: alexander.schnarr@ovgu.de
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Zitation

Schnarr, Alexander (2010). Rezension: Petia Genkova (Hrsg.) (2008) Erfolg durch Schlüsselqualifikationen? Heimliche Lehrpläne und Basiskompetenzen im Zeichen der Globalisierung [50 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 12(1), Art. 8, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs110183.

Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research (FQS)

ISSN 1438-5627

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