Volume 17, No. 3, Art. 10 – September 2016



Illegalisierte Migrationsverläufe aus biografietheoretischer und figurationssoziologischer Perspektive: die Landgrenze zwischen Spanien und Marokko

Gabriele Rosenthal, Eva Bahl & Arne Worm

Zusammenfassung: In diesem Artikel möchten wir den Gewinn einer biografietheoretischen und figurationssoziologischen Perspektive für das Verstehen und das Erklären von (illegalisierten) Migrationsverläufen verdeutlichen sowie einige methodische Implikationen dieser Perspektive diskutieren. Der Beitrag beruht auf unserer gemeinsamen Forschung zur "sozialen Konstruktion von Grenzgebieten", die wir in den spanischen Exklaven Melilla und Ceuta durchführen. Wir konzentrieren uns in diesem Beitrag insbesondere auf die Rekonstruktion der Erfahrungen und Perspektiven jener MigrantInnen, die die Grenze Marokkos zu den Exklaven nicht auf "legale" Weise überqueren konnten. Auf der Grundlage eines kontrastiven Vergleichs von drei sehr divergenten Migrationsverläufen von Menschen aus unterschiedlichen geografischen Regionen und gesellschaftlichen Kontexten (Syrien, Mauretanien und Kamerun) geht es uns darum, Prozessstrukturen illegalisierter Migration zu rekonstruieren.

Die Einbettung von Migrationsverläufen in die Gesamtgestalt einer Biografie (in ihrer Wechselwirkung mit kollektivgeschichtlichen Prozessen bzw. soziohistorischen Rahmenbedingungen) ermöglicht analytisch zu fassen, so unsere These, wie Illegalisierung konstituiert, erfahren und bearbeitet wird. Wir wollen dabei auch zeigen, inwiefern Konstruktionen von Zugehörigkeiten, als Machtmittel und -effekte in gesellschaftlichen Verflechtungszusammenhängen, und ihr Wandel auf diese Verläufe bezogen sind. Die Rekonstruktion dieser Verläufe und der Dynamik von Zugehörigkeiten erfordert wiederum eine genaue historische Kontextualisierung der untersuchten Fälle in Bezug auf lokale im Verhältnis zu transnationalen und globalen Gegebenheiten und Prozessen.

Keywords: Biografieforschung; Figurationssoziologie; Methodenkombination; Ethnografie; Gruppendiskussion; narratives Interview; Migration; Flucht; Grenzräume

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Zur sozialen Konstruktion von Grenzgebieten

2.1 Fragestellung und Untersuchungsdesign

2.2 Zum Verlauf und den Methoden unserer Untersuchung

2.3 Zu den Grenzregionen der spanischen Exklaven

3. Zum Vergleich von drei Migrationsverläufen

3.1 Die transnationale Familiengeschichte von Mohammed und das Erleben von Rassismus in Mauretanien

3.2 Die Ressourcen Bildung und Mobilität in Franklins Familie und das Scheitern des familialen Bildungsauftrags

3.3 Das Erleben von ethnopolitisch bedingter Diskriminierung aus einer innerfamilialen Außenseiterposition – der Migrationsverlauf des syrischen Kurden Maruf im Kontext des syrischen Bürgerkriegs

4. Resümee

Danksagung

Anmerkungen

Literatur

Zu den Autorinnen und zum Autor

Zitation

 

1. Einleitung

Die Grenzen zwischen Marokko und den beiden spanischen Städten Melilla und Ceuta in Nordafrika sind die einzigen Landgrenzen zwischen der Europäischen Union und dem afrikanischen Kontinent. Viele Menschen überqueren sie täglich zu sehr unterschiedlichen Zwecken und schreiben ihnen sehr unterschiedliche Bedeutungen zu: Während KleinhändlerInnen diese Grenzen regelmäßig in beide Richtungen überschreiten, reisen andere zu Urlaubszwecken nach Marokko und wieder andere sind auf der Flucht aus Bürgerkriegsgebieten oder vor Verfolgung oder versuchen, aus anderen schwierigen Situationen zu entfliehen. Diejenigen, denen ein legaler Grenzübertritt verwehrt wurde, riskieren oft ihr Leben, um nach Europa zu gelangen. [1]

In unserem Beitrag, der auf unserem gemeinsamen Forschungsprojekt "Die soziale Konstruktion von Grenzgebieten. Ein Vergleich von zwei geopolitischen Fällen"1) beruht, werden wir uns auf die Lebensgeschichten und Migrationsverläufe jener Menschen konzentrieren, die – zumindest gemäß der derzeit vorherrschenden Rechtsauffassung in der Europäischen Union – auf nicht zugelassenen Wegen nach Melilla und Ceuta gelangten. Exemplarisch werden wir für drei sehr unterschiedliche Migrationsverläufe und -routen die Biografien von Maruf2), einem Kurden aus Syrien, Mohammed, einem Angehörigen der Schwarzen3) Gruppierung der Soninke aus Mauretanien und Franklin, einem anglophonen Kameruner, vorstellen und vergleichen. Alle drei Männer lebten etliche Zeit im sogenannten CETI4) (Zentrum für den temporären Aufenthalt von Immigranten) in Melilla und befinden sich mittlerweile in West- bzw. Südeuropa. [2]

Maruf, Mohammed und Franklin sind zwischen 20 und 26 Jahre alt, haben sich ohne weitere Familienangehörige allein auf die Migrationsroute begeben, verfügen über eine verhältnismäßig gute Schulbildung – die jedoch zumindest teilweise in Westeuropa nicht anerkannt und somit entwertet wird – und sind mit Bildungsaspirationen nach Europa gekommen. Wir haben die Interviews mit diesen drei Männern für einen Vergleich ausgewählt, da sie in einigen Merkmalen wie Geschlecht, Bildung und Alter gewisse Ähnlichkeiten aufweisen, sich aber bereits durch ihre Sozialisationsbedingungen in ihren drei Herkunftsländern und durch ihre Migrationsroute erheblich voneinander unterscheiden. Die unterschiedlichen lebensgeschichtlichen Erfahrungen und kollektiv- sowie familiengeschichtlichen Hintergründe bedingen ganz wesentlich ihre Erfahrungen und vor allem auch ihre biografischen Optionen im spanisch-marokkanischen Grenzraum. Außerdem stehen wir mit allen dreien weiterhin in Kontakt und können damit auch ihre gegenwärtigen (auch in rechtlicher Hinsicht) unterschiedlichen Lebenssituationen in Europa vergleichen. [3]

Mit der Diskussion der Migrationsverläufe dieser drei Männer werden wir versuchen, exemplarisch zu verdeutlichen, inwiefern die Rekonstruktion und der Vergleich ihrer Familien- und Lebensgeschichten in Verbindung mit einer prozess- und figurationssoziologischen Perspektive gewinnbringend für das Verstehen und Erklären dieser Migrationsverläufe sein kann5). Die Einbettung dieser Migrationsverläufe in die Gesamtgestalt ihrer Biografie (in ihrer Wechselwirkung mit kollektivgeschichtlichen Prozessen bzw. soziohistorischen Rahmenbedingungen), so unsere These, ermöglicht analytisch zu fassen, wie Illegalisierung6) konstituiert, erfahren und bearbeitet wird. Wir wollen dabei auch zeigen, inwiefern Konstruktionen von Zugehörigkeiten (als Machtmittel und -effekte in gesellschaftlichen Verflechtungszusammenhängen) und ihr Wandel auf diese Verläufe bezogen sind. [4]

Die Mehrheit der illegalisierten MigrantInnen im Grenzraum von Ceuta und Melilla sind junge Männer, die auch deshalb im Unterschied zu den migrierenden Frauen7) im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen. Das Bild, das von diesen jungen männlichen Migranten in Medien gezeichnet wird, ist ein sehr homogenisierendes. Mit der Vorstellung der biografischen Verläufe von Mohammed, Franklin und Maruf werden wir versuchen, dieses homogenisierende Bild aufzulösen, und dabei vor allem die Unterschiede in ihren Herkunftskontexten und Migrationsrouten aufzuzeigen. Dabei gehen wir den Fragen nach, welche geplanten und ungeplanten Prozesse dazu führten, dass sie zunächst ihre Familie, ihr Herkunftsmilieu oder/und ihre Ortsgemeinden und dann ihr Land verlassen haben, sich für eine bestimmte Migrationsroute, die für manche zunächst nicht auf Europa abzielte, entschieden haben bzw. auf diese gelenkt wurden, welche Bedeutung für sie die Grenze zwischen Marokko und Spanien hat und mit welchen Zukunftsperspektiven sie heute in Europa leben. Die Beantwortung dieser Fragen bedarf einer Berücksichtigung der kollektiv- und familiengeschichtlichen Kontexte, in denen sie sozialisiert sind und zudem einer Rekonstruktion der sequenziellen Gestalt ihrer jeweiligen Migrationsroute. Nur damit ist zum Beispiel zu verstehen, weshalb uns die MigrantInnen immer wieder vermitteln, dass sie – vor allem am Ende ihrer Route – sehr bewusst das Risiko eingegangen sind, auf dem Weg nach Europa zu sterben oder weshalb Flüchtende aus Syrien oft ihr gesamtes Familienkapital für den Weg nach Europa ausgeben und nicht versuchen, damit in arabischsprachigen Ländern auf ihrer Route – wie z.B. Algerien oder Marokko – eine neue Existenz aufzubauen. [5]

Zunächst jedoch in Abschnitt 2 einige Anmerkungen zu unserem Forschungsprojekt und -design, zu unserem theoretischen und methodologischen Ansatz und zu den Besonderheiten dieser Grenzregion. In Abschnitt 3 stellen wir dann die Rekonstruktion von drei Migrationsverläufen vor und diskutieren sie vergleichend. [6]

2. Zur sozialen Konstruktion von Grenzgebieten

2.1 Fragestellung und Untersuchungsdesign

Unser empirisches Forschungsprojekt befasst sich mit der sozialen Konstruktion von Grenzgebieten und Grenzaktivitäten im Kontext von deren kurz- und längerfristigen Wandlungsprozessen. Im Fokus stehen dabei die Erfahrungen von Mitgliedern verschiedener in die Grenzaktivitäten involvierter Gruppierungen, die Prozesse der Genese ihrer Perspektiven, die Figurationen zwischen diesen Gruppierungen mit ihren ungleichen Machtchancen und die konkreten alltagsweltlichen Interaktionen zwischen ihnen. Neben unseren ethnografischen Datenerhebungen zu den gegenwärtigen Erfahrungen der AkteurInnen und den Face-to-Face-Interaktionen zwischen den Angehörigen der verschiedenen Gruppierungen geht es auch darum, deren divergente kollektiv-, familien-, und lebensgeschichtliche Erfahrungen bzw. Wissensbestände mit Bezug auf unterschiedliche Grenzgebiete zu rekonstruieren. Dazu führen wir nicht nur Interviews mit MigrantInnen, sondern auch mit Menschen, die in diesen Städten oder in diesen Grenzregionen leben, mit jenen, die regelmäßig diese Grenzen überschreiten und mit Angehörigen von Polizeieinheiten (in diesem Fall der Guardia Civil; d.h. die spanische paramilitärische Polizei, die u.a. für den "Grenzschutz" zuständig ist), anderen Behörden oder von NGOs, die relativ regelmäßig mit illegalisierten MigrantInnen zu tun haben. Dabei interessieren uns neben ihren gegenwärtigen Perspektiven und alltäglichen Erfahrungen mit der Grenze und den Angehörigen anderer Gruppierungen auch die Entwicklung ihrer Perspektiven und Handlungsmuster oder deren Veränderungen im Laufe ihrer Lebensgeschichte. Außerdem versuchen wir herauszufinden, wie sich die Beziehungsgeflechte oder Figurationen von unterschiedlichen Gruppierungen an dieser Grenze mit welchen unterschiedlichen Machtchancen gestalten und je nach gegenwärtiger Situation auch transformieren. Wir verstehen unter Figuration in Anlehnung an Norbert ELIAS (1986) ein dynamisches Interdependenzgeflecht, also ein fließendes Netzwerk gegenseitiger Abhängigkeiten zwischen Menschen. Ganz wesentlich in Konzeption ELIAS' ist, dass fluktuierende (und oft asymmetrische) Machtbalancen ein integrales Element von allen Beziehungen zwischen Menschen darstellen (S.88ff.). Mit dieser Verknüpfung einer biografietheoretischen und figurationssoziologischen Perspektive versuchen wir, die Herausbildung und Etablierung der Deutungs- und Aktivitätsmuster von Angehörigen unterschiedlicher Gruppierungen im Verlaufe ihres Lebens zu rekonstruieren, in dessen verschiedenen Phasen sie mit anderen Gruppierungen in unterschiedlichen und sich wandelnden Figurationen vernetzt waren. In unserem gegebenen Forschungskontext sind hier insbesondere die ungleichen Machtchancen der einzelnen Gruppierungen hinsichtlich der Definitionsmacht und Kontrolle über Landesgrenzen oder der Möglichkeit, von diesen zu profitieren, in Betracht zu ziehen. Bei jeder nationalen, aber auch regionalen Grenze auf der Migrationsroute unterscheiden sich je nach kollektiver Zugehörigkeit die Chancen zum Grenzübertritt. Es stellen sich hierbei die Fragen, wer mit welcher nationalen oder auch anderen kollektiven Zugehörigkeit die unterschiedlichen Grenzen auf der Migrationsroute leicht(er) überqueren kann, welches Wissen über die Möglichkeiten der "illegalen" Grenzüberschreitung benötigt wird und zugänglich ist, über welches ökonomische, soziale und kulturelle Kapital im Sinne Pierre BOURDIEUs (1992) – und in Anlehnung daran durchaus auch das physische Kapital – man für die Grenzüberquerung verfügen muss und wo man auf der Route auf Gruppierungen trifft, mit denen man sich in einer günstigeren oder ungünstigeren Machtbalance befindet. Bei der Rekonstruktion der jeweiligen Migrationsrouten versuchen wir also zu entschlüsseln, in welchen Figurationen sich die MigrantInnen in ihrer Vergangenheit im Herkunftsland, in den unterschiedlichen Regionen auf der Route ihrer Migration und in ihrer Gegenwart nach Überschreiten der Grenze zur Europäischen Union bewegt haben. [7]

2.2 Zum Verlauf und den Methoden unserer Untersuchung

Wir arbeiten mit einer Methodenkombination aus ethnografischen Interviews, familien- und lebensgeschichtlichen narrativen Interviews, Gruppendiskussionen, Familiengesprächen und teilnehmenden Beobachtungen (vgl. ROSENTHAL 2012, 2015). Welche Methoden wir einsetzen, wie wir diese modifizieren, wie häufig wir uns mit bestimmten Interviewten in welchen Konstellationen treffen, an welchen Orten die Befragungen stattfinden oder mit welchen FeldassistentInnen wir je nach notwendigen Sprachkompetenzen arbeiten, orientiert sich in erster Linie an den jeweiligen, zu verschiedenen Zeitpunkten sich auch verändernden Gegebenheiten und vor allem an den Möglichkeiten des Feldzugangs. Bei unseren bisher drei Feldaufenthalten von jeweils sechs bis acht Wochen in den spanischen Exklaven Ceuta und Melilla waren wir sowohl mit einer immer wieder völlig neuen Zusammensetzung der Gruppierungen von Migrierenden konfrontiert als auch mit sich spontan ergebenden Kontakten mit Angehörigen der lokalen Bevölkerung, die uns unterschiedliche Zugänge (ob zu Angestellten aus administrativen Zusammenhängen, zu marokkanischen Haushälterinnen oder auch zu Einladungen zu historischen Veranstaltungen oder Exkursionen nach Marokko) ermöglichten. Relativ schnell mussten wir jedes Mal feststellen, dass unsere Planung nicht so funktionierte, wie wir zuvor gedacht hatten, da sich neue, nicht erwartete "Türen" öffneten und der Verlauf der Kontakte uns terminlich eher über- statt unterforderte. Eine Pause von der Forschung war kaum möglich; so ergaben sich u.a. Kontakte abends auf der Piazza beim Bier oder Wein, beim Warten auf einen Interviewten vor dem CETI in Melilla oder Ceuta, beim Strandspaziergang mit sich dort aufhaltenden subsaharischen MigrantInnen oder in Cafés nahe der CETIs, in denen wir meist auch die Interviews durchführten. Ganz wesentlich waren wir aufgrund der unterschiedlichen Sprachen, die zu einer Verständigung notwendig waren, und unserer eigenen Sprachbarrieren gefordert. Eva BAHL, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt arbeitet, spricht fließend Spanisch und so war sie es, die meist die vielfältigen Einladungen zu in spanischer Sprache stattfindenden Veranstaltungen annahm sowie auch den Kontakt zu den Behörden – wie der Guardia Civil – herstellte. [8]

Beim ersten Feldaufenthalt im Frühjahr 2014 waren im CETI in Melilla mehrheitlich junge, meist französischsprachige Männer aus Westafrika8). Da wir nicht alle Französisch und vor allem alle kein marokkanisches Arabisch sprechen, engagierten wir bei diesem und bei den weiteren Feldaufenthalten drei Interviewpartner, die neben Französisch auch fließend Englisch sprechen und einen, der neben Spanisch auch das marokkanische Arabisch spricht, kurzfristig als Feldassistenten. [9]

Beim zweiten Feldaufenthalt im Herbst 2014 waren in Melilla ca. 60% der MigrantInnen im CETI aus Syrien9) – meistens allein migrierende Männer. Darunter waren viele Kurden aus der Region Kobanê – wie auch unser Interviewpartner Maruf – die aufgrund der zu dieser Zeit in dieser Region stattfindenden Kämpfe zwischen kurdischen Einheiten und dem IS (die terroristische sunnitische Organisation "Islamischer Staat"10)) sehr in Sorge um ihre dort noch lebenden Angehörigen waren. Da wir von dieser Entwicklung aus den Medien wussten, begleitete uns (wie auch in der dritten Feldphase) unser deutsch-palästinensischer Kollege Ahmed ALBABA und übernahm in den Interviews mit Arabisch sprechenden Menschen die Rolle des Dolmetschers. Im Herbst 2015 waren im CETI in Melilla ebenfalls mehrheitlich syrische Migrierende.11) [10]

Insgesamt liegen uns neben 34 Beobachtungsprotokollen bzw. Memos zu teilnehmenden Beobachtungen12) bisher 39 biografisch-narrative und ca. 40 ethnografische Interviews13) mit Angehörigen der für den Grenzschutz verantwortlichen Polizeieinheit Guardia Civil, mit christlichen und muslimischen AnwohnerInnen, mit täglich pendelnden marokkanischen ArbeiterInnen, mit NGO-MitarbeiterInnen und mit illegalisierten MigrantInnen sowie sechs Gruppendiskussionen und zwei Familiengespräche vor. Bei den biografischen Interviews erwies es sich für die Etablierung eines längeren autonom gesteuerten Erzählflusses und vor allem für das Verstehen der Grenzerfahrungen als gewinnbringend, soweit wie möglich ohne thematische Einschränkungen um die Erzählung der Familien- und Lebensgeschichte zu bitten (vgl. ROSENTHAL 2015, Kap. 5; SCHÜTZE 1983). Besonders bei der Erforschung von Migrationsverläufen gilt es zu bedenken, dass MigrantInnen in Interviews mit deutschen bzw. europäischen ForscherInnen dazu neigen, ihre Erzählungen auf den Migrationsverlauf zu konzentrieren (und wir damit wenig über ihre Vorgeschichte erfahren) und sich bei kurzen Präsentationen bzw. bei der Beantwortung gezielter Fragen meist auf die geplanten Prozesse ihrer Entscheidungen zur Migration und auf der Migrationsroute konzentrieren. Ihre Selbstdarstellungen zeigen auch schon deutlich, wie sie beginnen, sich an ihrem neu zugeschriebenen Status in Spanien abzuarbeiten. Während sich die afrikanischen Schwarzen MigrantInnen mit der Zuschreibung ihrer Illegalität und Illegitimität als "Wirtschaftsflüchtlinge " auseinanderzusetzen beginnen, berufen sich die SyrerInnen auf die Legitimität ihres Schutzstatus als Bürgerkriegsflüchtlinge. Mit dieser unterschiedlichen Situation sind sie in einer weitaus günstigeren Lage und bedürfen auch weit weniger Strategien für ein für den Aufenthalt in Europa "geeignetes" Identitätsmanagement. Bei den Schwarzen MigrantInnen oder Flüchtenden ergibt sich neben den Erfordernissen für die Erlangung eines Schutzstatus in Europa noch ein weiteres Problem, und zwar dann, wenn sie aufgrund politischer Verfolgung aus ihrem Land geflohen sind, dies aber verschweigen, um sich im Falle einer Abschiebung ins Herkunftsland nicht zusätzlich zu exponieren. Unsere derzeitigen Analysen – insbesondere zu Flüchtenden aus Eritrea, mit denen Gabriele ROSENTHAL in Uganda sprach14) – deuten darauf hin, dass es teilweise die Angst vor dem Geheimdienst des Herkunftslandes ist, die ein offenes Sprechen über die Migrationsgründe behindert. Selbst wenn ein Zugriff des Geheimdienstes in dem Land, in dem man sich derzeitig aufhält, nicht zu befürchten ist, so muss bei einer Abschiebung in das Herkunftsland mit sehr unangenehmen bis lebensbedrohlichen Folgen gerechnet werden, sollte man sich im Ausland politisch gegen das Regime positioniert haben. Nicht selten geben die Migrierenden dann vor, sie seien aus ökonomischen Gründen migriert. [11]

Doch einmal abgesehen von diesen behindernden Bedingungen für ein offenes Sprechen über den Migrationsverlauf müssen wir generell davon ausgehen, dass die Selbstdarstellungen von Migrationsverläufen und generell von Verläufen mit weitreichenden biografischen Folgen der Tendenz unterliegen, diese als geplante Prozesse zu re-interpretieren. Migrationsrouten beruhen jedoch meist – je nach einzelnem Fall mit unterschiedlicher Gewichtung und Abfolge – sowohl auf ungeplanten Prozessen als auch auf individuell, in der Familie oder in der Gruppe geplanten Aktionen (vgl. APITZSCH & SIOUTI 2007). Insbesondere bei den von uns interviewten MigrantInnen, von denen viele aus ihren Herkunftskontexten oder auch aus lebensbedrohlichen Situationen oder Kontexten auf ihrer Route geflohen sind, wurde der Weggang vom Heimatort oder von anderen Orten auf ihrer Route zum großen oder gar vorwiegenden Teil ausgelöst durch übermächtige, die eigene Handlungsmacht außer Kraft setzende Verläufe des Erleidens, durch individuelle oder – wie im Fall der Bürgerkriege in Syrien, Sudan oder Mali – auch durch "kollektive Verlaufskurven" (vgl. RIEMANN & SCHÜTZE 1991; SCHÜTZE 2006). Durch die Hervorlockung von längeren Erzählprozessen erhöht sich die Chance, auch von diesen ungeplanten Prozessen zu erfahren, die uns auf direkte Fragen nicht benannt werden bzw. auch nicht benannt werden können, weil sie häufig ohne Wissen bzw. hinter dem Rücken der AkteurInnen wirksam sind. [12]

Um zu verdeutlichen, dass wir nicht nur an der Erzählung der Migrationsroute interessiert sind, betonten wir in den Interviews unser Interesse an der gesamten Lebensgeschichte, an ihrer Herkunftsgeschichte, ihrer Familie und ihrer Gruppierung. Soweit es möglich war, versuchten wir mehrere Interviewtermine zu vereinbaren. Wiederholte Gespräche ermöglichen nicht nur den Raum für weitere Nachfragen, die oft erst nach dem ersten Gesprächstermin und dem Schreiben des dazugehörigen Memos als relevant erscheinen, sondern erhöhen auch das Vertrauen und ermöglichen ein offeneres Sprechen. So können wir immer wieder beobachten, wie sehr die ersten Interviews noch deutlich an den in der jeweiligen Wir-Gruppe vorherrschenden Diskursen und an den uns unterstellten Relevanzen orientiert sind, während in den danach stattfindenden Interviews offener über die handlungsleitenden Motive und von Erlebnissen erzählt wird, die dem jeweils dominanten Diskurs widersprechen. Um den Migrationsprozess auch über die Begegnungen mit den Interviewten in den spanischen Exklaven hinaus zu verfolgen, haben wir zudem Nachinterviews in Deutschland und auch Telefoninterviews mit jenen derzeit in anderen europäischen Ländern lebenden InterviewpartnerInnen geführt oder sind über Facebook (einem Medium, das von den Migrierenden ohnehin stark genutzt wird) – in Kontakt geblieben. [13]

Die Auswertung aller Materialien orientiert sich an den Prinzipien eines sequenzanalytischen und rekonstruktiven Vorgehens (REICHERTZ 1986, S.54f., S.247f.; ROSENTHAL 2015; WERNET 2000). Bei der Auswertung der familien- und lebensgeschichtlichen Interviews, d.h. den familien- und lebensgeschichtlichen Fallrekonstruktionen (ROSENTHAL 1995, 2015: Kap. 6) beachten wir eine analytische Unterscheidung zwischen der erlebten und der erzählten (präsentierten) Geschichte der Interviewten. Auf der Grundlage der transkribierten Interviews und aller zur Verfügung stehenden und für den Fall relevanten Quellen wird in einem ersten Auswertungsschritt die sequenzielle Aufschichtung der Familien- und Lebensgeschichte und in einem zweiten die sequenzielle Gestalt der Wir- und Selbstpräsentation rekonstruiert. In einem dritten Schritt werden erlebte und präsentierte Lebensgeschichte miteinander kontrastiert und die Differenzen zwischen der chronologischen Aufschichtung der biografischen Erfahrungen und den temporalen sowie thematischen Verknüpfungen, die die BiografInnen aus ihrer Gegenwartsperspektive vornehmen, herausgearbeitet. Insbesondere im ersten Auswertungsschritt – der in Anlehnung an Ulrich OEVERMANN, Tilman ALLERT und Elisabeth KONAU (1980) vorgeschlagenen sequenziellen Analyse biografischer und kollektivgeschichtlicher "Rahmendaten" –, wird unter Einbezug historischer Quellen der jeweilige lebensgeschichtliche Verlauf in seiner Einbettung in die Familien- und Kollektivgeschichte, in sich wandelnde Machtbalancen und gesellschaftliche Entwicklungen rekonstruiert (vgl. RADENBACH & ROSENTHAL 2012). Dieser Schritt dient zur Vorbereitung der Rekonstruktion der erlebten Lebensgeschichte im Unterschied zur Rekonstruktion der in der Gegenwart präsentierten Lebensgeschichte. Dabei bemühen wir uns um das Verstehen und Erklären der lebensgeschichtlichen Genese unterschiedlicher Perspektiven und unterschiedlicher Deutungen des eigenen Erlebens. [14]

2.3 Zu den Grenzregionen der spanischen Exklaven

Bevor wir etwas genauer auf die verschiedenen Migrationsrouten eingehen, zunächst einige Anmerkungen zu den Regionen zwischen Marokko und Spanien, an deren Grenzen die Ungleichheit der Chancen für einen erfolgreichen Grenzübertritt und des dafür benötigten "Kapitals" bereits sehr deutlich werden. Diese Regionen sind sowohl vor dem Hintergrund der Kolonialgeschichte Spaniens als auch der geografischen Bedeutung einer Landgrenze zwischen dem afrikanischen und europäischen Kontinent, der spezifischen Sonderstellung der spanischen Exklaven im europäischen Kontext und der in den letzten Jahren immer stärkeren Absicherung der europäischen Außengrenzen gegen politisch ungewollte Migration, ein symbolisch sehr aufgeladener geografischer Raum. [15]

Die beiden Städte Melilla und Ceuta an der marokkanischen Mittelmeerküste stehen seit vielen Jahrhunderten unter spanischer Kontrolle. Diese Regionen wurden im 15. Jahrhundert im Kontext der sogenannten Reconquista15) vom spanischen und portugiesischen Königreich erobert, Ceuta ging im 17. Jahrhundert ebenfalls an Spanien. Bis Ende des 19. Jahrhunderts waren diese Gebiete zunächst v.a. Militärstützpunkte und Strafkolonien (FERRER-GALLARDO 2008, S.304f.). Erst dann entwickelten sie sich als zivile Städte und stiegen schnell zu ökonomischen Zentren des spanischen Protektorats im Norden Marokkos (1912 bis 1956) auf. Melilla war vor und während dieser Zeit Ausgangspunkt diverser Kriege gegen die Bevölkerung des die Stadt umgebenden Rif-Gebirges (FLEISCHMANN 2013, S.70ff.). Die Geschichte beider Städte ist geprägt von Konflikten und Herausforderungen der spanischen Souveränität. Seit der Unabhängigkeit Marokkos fordert dessen Regierung die beiden Städte offiziell zurück. [16]

Heute haben wir es mit zwei sehr stark frequentierten Grenzen zu tun: Täglich kommen ca. 6.000-8.000 MarokkanerInnen aus einem Umkreis von ca. 40 km über die Grenze, um mit oder ohne Arbeitserlaubnis in Ceuta oder Melilla zu arbeiten. Die Möglichkeit dazu ergibt sich daraus, dass MarokkanerInnen aus den angrenzenden Provinzen Nador und Tetouan für Melilla und Ceuta von der Visumspflicht ausgenommen sind.16) Frauen arbeiten meist in den Hotels oder als Haushaltsgehilfinnen, Reinigungs- und Pflegekräfte in Privathaushalten und Männer meistens im Baugewerbe. Des Weiteren überqueren täglich viele LastenträgerInnen im Rahmen informell geduldeter Schmuggelaktivitäten die Grenze. Sie transportieren Handelsware als Handgepäck aus den steuerbefreiten spanischen Exklaven nach Marokko (FERRER-GALLARDO 2008, S.312). [17]

Dieser sehr rege kleine Grenzverkehr ermöglicht es, dass Menschen, die sich rein äußerlich nicht auffallend von den in der Region lebenden MarokkanerInnen unterscheiden und vielleicht auch Arabisch sprechen – wie die Migrierenden aus Syrien und Algerien – bis zum Frühjahr 2015 verhältnismäßig leicht die Grenzen von Marokko nach Melilla und Ceuta überqueren konnten. In der Regel mussten SyrerInnen sich informell einen marokkanischen Pass kaufen, um gemeinsam mit marokkanischen ArbeiterInnen und HändlerInnen durch die Grenzkontrollen zu kommen. Zudem ist seit März 2015 auch die Bestechung von marokkanischen Grenzbeamten nahezu unumgänglich geworden17), um bis zu den spanischen Grenzbeamten bzw. den Asylbüros auf der spanischen Seite der Grenze18) vorgelassen zu werden. Dagegen müssen Schwarze Menschen wesentlich riskantere Wege nach Melilla und Ceuta auf sich nehmen. Dies war und ist meist der lebensgefährliche Weg über den Grenzzaun. Dieser wurde in den letzten Jahren mit neuen Vorrichtungen auf beiden Seiten der Grenze immer stärker gesichert. So kommt es in den letzten Jahren immer wieder zum Rückgang der erfolgreichen Grenzüberschreitungen, bis die MigrantInnen19) neue Methoden der Überwindung herausgefunden haben (z.B. kamen nach der Verstärkung des Zauns mit einem Anti-Kletter-Netz verstärkt Haken als Kletterhilfen zum Einsatz) und erneut gezielte "Angriffe" in Gruppierungen von mehreren Hundert Menschen versuchen. Mit den durch die Medien gehenden Bildern dieser Zäune und den sie überwindenden Schwarzen Männern wurden Ceuta und Melilla der Weltöffentlichkeit bekannt. Seit dem EU-Beitritt Spaniens 1986 wurden diese Grenzen für Migrierende mit dem Ziel Europa bedeutsam, und der verstärkte Versuch, sie "illegal" zu überwinden, führte dazu, dass die beiden Städte seit Ende der 1990er Jahre von zunehmend militarisierten Grenzanlagen umgeben wurden (CASTAN PINOS 2009a, S.66). Diese Grenzanlagen wurden seit ihrem Entstehen durch Migrierende massiv herausgefordert und stetig überwunden20). Heute sind die Zäune, die sich um die Gebiete der beiden Exklaven ziehen (11km in Melilla; 8,5km in Ceuta), sechs Meter hoch. Im Umfeld der Exklaven haben sich auf marokkanischer Seite sogenannte Camps – zumeist in abgelegenen Wald- und Berggegenden – etabliert, in denen die Migrierenden selbstorganisiert leben und ihre Grenzübertritte vorbereiten. Auf die extremen Lebensbedingungen, die dort herrschen, und die Gewalt, der die Camp-BewohnerInnen ausgesetzt sind21), werden wir anhand von Franklins Lebensgeschichte genauer eingehen. [18]

Ebenso gelangten die verzweifelten und oft zum Scheitern verurteilten Versuche, mit dem Schlauchboot an die spanische Küste der beiden Exklaven zu gelangen, in die Medien; ein Weg, der häufig von Frauen und Kindern genutzt wurde und nach der intensivierten Absicherung der Zäune im Laufe des Jahres 2015 auch von Männern wieder vermehrt eingeschlagen wird. Internationale Bekanntheit erhielt diese Methode der Grenzüberschreitung mit dem Tod von 15 jungen Männern infolge einer Intervention der Guardia Civil am 6. Februar 2014: An diesem Tag versuchten ca. 200 Menschen, die Grenze nach Ceuta schwimmend zu überqueren. Beamte der Guardia Civil setzten Gummigeschosse und Tränengas ein, um die Menschen abzuwehren, die mit Schwimmhilfen versuchten, an die spanische Küste zu gelangen. Weder eine Seenotrettung noch eine Rettung für die gelandeten Migranten wurde alarmiert. 15 Männer – die meisten von ihnen aus Kamerun – starben an diesem Tag.22) [19]

Eine weitere (und die teuerste) Möglichkeit ist es, in Fahrzeugen versteckt die Grenze zu überqueren. Der Einsatz von Herzschlagdetektoren bei den Grenzkontrollen durch die Guardia Civil reduziert inzwischen allerdings auch die Erfolgsquoten dieser Strategie. [20]

Die Nutzung dieser unterschiedlichen Wege ist von vielen Faktoren bestimmt: Dazu gehören neben der staatlichen oder nationalen Zugehörigkeit, die unterschiedlich zugänglichen Informationen für die Angehörigen der diversen Gruppierungen, die sich wandelnden Figurationen zwischen und innerhalb der einzelnen Gruppierungen, die sich jeweils verändernden Methoden der Grenzsicherung, das den Migrierenden zur Verfügung stehende "Kapital", die körperlichen Voraussetzungen (z.B. ob man die Kraft und das Geschick zur Überwindung des Zauns hat oder ob man schwimmen kann) oder die Hautfarbe, mit der zahlreiche rassifizierende Zuschreibungen verbunden sind. [21]

Gelingt es den illegalisierten MigrantInnen, nach Melilla oder Ceuta zu gelangen, werden sie, sofern sie nicht sofort illegal abgeschoben werden23), im lokalen Auffanglager CETI untergebracht. Auch hier lassen sich sowohl zwischen den verschiedenen Gruppierungen als auch zwischen den einzelnen Personen erhebliche Unterschiede beobachten. Gemeinsam ist den MigrantInnen im CETI, dass sie sich einer stark heteronom bestimmten Situation befinden und von Anderen homogenisiert und über Gruppenzugehörigkeiten definiert werden. Weiterhin herrscht ein stetiges Informationsdefizit über das Verfahren der Anerkennung bzw. Ermöglichung der Weiterreise aufs spanische Festland: Salida, das spanische Wort für "Ausgang", das diesen Transfer bezeichnet, ist vermutlich das bekannteste spanische Wort unter den CETI-BewohnerInnen. Die Fragen, ob die Beantragung von Asyl vorteilhaft ist24), ob alleinstehende Männer benachteiligt werden, welche Nationalitäten und Migrationsgründe bevorteilt behandelt werden etc. sind stets präsent. [22]

In den letzten Jahren waren die CETI von Ceuta und Melilla meist massiv überbelegt. Dementsprechend ist die hygienische und sanitäre Situation im und um das CETI ein häufiges Gesprächsthema gewesen. Die Wahrnehmung der Lebenssituation im CETI unterschied sich allerdings je nach Herkunfts- und Migrationskontext: Die jungen Männer – wie Franklin und Mohammed – die zuvor Monate in Waldcamps verbracht hatten und – im Fall von Mohammed – auch im Herkunftsland unter starken ökonomischen Einschränkungen litten, nahmen die Sicherheit, das eigene Bett und die regelmäßige Versorgung mit warmem Essen deutlich positiver wahr als syrische Familien, die unter der Zwangsunterbringung – getrennt nach Geschlechtern – verstärkt litten, diese eher als Freiheitsbeschränkung erlebten und sich meist außerhalb des CETI ihr eigenes Essen zubereiteten. Die provisorischen und temporären Küchen, die teilweise nur die Familie, teilweise aber auch zahlende KundInnen versorgten, sind ein Beispiel für den Versuch, in einer Situation enormer Fremdbestimmung auch Handlungsmuster aufrechtzuerhalten, die auf eigenen Entscheidungen beruhen und eine gewisse Würde und Selbstachtung ermöglichen. Zu diesen Strategien lässt sich auch das sportliche Training zählen, bei dem viele CETI-BewohnerInnen zu beobachten sind. [23]

Die Lebenssituation im CETI erfordert hohe "interkulturelle Kompetenz", da so viele Menschen aus verschiedenen Herkunftskontexten zusammenleben müssen. Hinsichtlich der komplexen Figurationen der MigrantInnen untereinander unterscheiden sich die Schilderungen stark. Während einige die gruppeninterne Solidarität – häufig entlang staatlich-nationaler, aber auch entlang ethnischer Zugehörigkeiten – und deren Notwendigkeit für den Migrationserfolg betonen, kritisieren andere beträchtliche Machtungleichheiten zwischen und innerhalb der einzelnen Gruppierungen. [24]

Konflikte, die in unseren Gesprächen Erwähnung fanden, waren z.B. die zwischen anglophonen und frankophonen AfrikanerInnen oder zwischen syrischen und afrikanischen Migrierenden im CETI. Weiterhin sorgte auch die Heterogenität der Menschen aus dem syrischen Herkunftskontext bzgl. politischer, konfessioneller, ethnischer und nationaler Verortungen für Spannungspotenzial. Diese Unterschiede sollten nicht essentialisiert werden. Sie machen die erhebliche Bedeutung z.B. von Sprache und Sprachgrenzen erkennbar. So hatten InterviewpartnerInnen von uns, die aus Mauretanien oder von den Komoren stammten und Arabisch sprachen, bessere Beziehungen zu den SyrerInnen im CETI als andere west- und ostafrikanische MigrantInnen. Am Fall Mohammeds werden wir diese Sprachkompetenzen und die damit verbundenen Möglichkeiten ausführlicher diskutieren. [25]

3. Zum Vergleich von drei Migrationsverläufen

3.1 Die transnationale Familiengeschichte von Mohammed und das Erleben von Rassismus in Mauretanien

Bereits die Kindheit von Mohammed ist von Migrationsbewegungen, dem Weggehen und Wiederkommen, der Trennung von Familienangehörigen und ab ca. dem zehnten Lebensjahr einem Leben außerhalb der Familie bestimmt. Er wurde 1989 oder 1990 als zweiter Sohn seiner Mutter, der zweiten Frau seines Vaters, und als sechster Sohn seines Vaters in einem größeren Dorf im Süden Mauretaniens in der Provinz Sélibaby (nahe der Grenze zu Mali und zum Senegal) geboren. Die väterliche Familie besitzt in diesem Dorf größere Flächen von Land. Der Vater lebt nicht bei der Familie, sondern arbeitet teilweise im Senegal, teilweise in Mali und migrierte während Mohammeds Kindheit auch noch für drei Jahre nach Frankreich, um dort zu arbeiten. Mohammed begegnete in seiner Kindheit – entsprechend seiner Erinnerung – nie seinem Vater. Nur kurze Zeit lebte er nach seiner Geburt mit seiner Mutter und seinem Bruder auf dem Gehöft der väterlichen Familie, auf dem auch die erste Ehefrau des Vaters und deren sechs wesentlich ältere Kinder lebten. Die älteren Brüder gingen – wie auch später Mohammed – zur religiösen Ausbildung in weiter entfernt liegende Koranschulen. Zum Teil kamen sie jedoch ins Dorf zurück und arbeiteten auf den Feldern des Vaters. Später – nach ihrer schulischen Ausbildung – migrierten sie zur Arbeit in andere Länder. Die Familie lebt von der Viehzucht und Landwirtschaft, aber vor allem auch von den Geldsendungen der im Ausland arbeitenden Familienangehörigen. Noch im Kleinkindalter zog seine Mutter mit ihm und seinem Bruder (es folgten noch vier weitere Geschwister) zu oder mit dem Onkel väterlicherseits nach Mali. Der Onkel unterrichtete Mohammed sowie seinen älteren Bruder im Lesen des Korans. Ungefähr im Jahre 2000, Mohammed war ca. zehn Jahre alt, kehrten sein Onkel und seine Mutter mit ihm und seinen Geschwistern zurück auf den Landsitz der väterlichen Familie in Mauretanien. Einige Monate später wurde er auf Anordnung seines Onkels zur weiteren religiösen Ausbildung zu einem arabisch-berberischen Gelehrten in dessen Koranschule in der Provinzhauptstadt Kiffa in der an Sélibaby angrenzenden Region Assaba geschickt (Fahrzeit von Mohammeds Dorf ca. 3-4 Std.). Sein Vater war zu dieser Zeit noch in Frankreich. [26]

Diese aus einer europäischen Perspektive vielleicht ungewöhnliche Familienkonstellation ist für viele Bevölkerungsteile Nord- oder Westafrikas und vor allem für die ethnische Gruppierung der Soninke, zu der Mohammeds Familie gehört, keineswegs ungewöhnlich. Die Soninke leben in einigen Ländern Westafrikas und sind Teil der Bevölkerung Mauretaniens, der in diesem Land unter dem Begriff Soudan (arabisch für "Schwarze") zusammengefasst und von den arabisch-berberischen "Mauren", den Bidhan (arabisch für "Weiße") abgegrenzt wird. Wie die meisten Soninke stammt die Familie aus dieser bis 1958 nicht sehr durch die staatlichen Grenzen geprägten Region zwischen den Flüssen Niger und Oberer Senegal. Die Gebiete Mauretanien, Senegal und Mali gehörten bis 1958 zu Französisch-Westafrika, der "Föderation" der französischen Kolonien in Westafrika25). [27]

Auch Mohammed erlebte staatliche Grenzen – insbesondere die zwischen Mauretanien, Mali und den Maghreb-Staaten (also vor allem die drei nordafrikanischen Staaten Marokko, Tunesien und Algerien) – mehr oder weniger als durchlässig, die Grenze zwischen Marokko und Spanien dagegen als eine lebensgefährliche Grenze, die ihm den Weg nach Europa versperrte. In den zwei mit Mohammed im Herbst 2014 in Melilla geführten Interviews und den im Herbst 2015 und Frühjahr 2016 weiterhin geführten Telefoninterviews26) erfuhren wir von seiner transnationalen Familiengeschichte, vom durchgängigen Pendeln der Familie in das Nachbarland Mali (hier lebt die größte Gruppierung der Soninke), von der Geburt des Vaters im Senegal (einige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg in Dakar, während der französischen Kolonialzeit), der Ausbildung des Vaters zum Imam in Mali und später im Senegal, von der zeitweisen Arbeitsmigration seines Vaters nach Frankreich (ca. von 1999 bis 2002), der Migration seines älteren Bruders nach Saudi-Arabien sowie etlicher Verwandter seiner Generation nach Spanien und Frankreich. Für Mohammed und seine Familie gehörte der (zumindest damals) problemlose "zollfreie" Kleinhandel zwischen Mali, dem Senegal und Mauretanien und das leicht mögliche Pendeln zwischen diesen Ländern zu einer unhinterfragten Alltagswirklichkeit. Selbst nach 1999, als Mauretanien aus der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ausschied, war dieses Pendeln aufgrund eines bilateralen Abkommens zwischen diesen Ländern gesichert (vgl. DÜNNWALD 2015, S.7). Es gilt sich zu vergegenwärtigen, dass die hier bestehenden Staatsgrenzen im kollektiven Gedächtnis der Bevölkerung relativ neu sind. Die Einwanderung nach Mauretanien war – bis zu den sich immer weiter verstärkenden und zunehmend "effizienten" Maßnahmen der Europäischen Union in den letzten 15 Jahren – wie in den meisten westafrikanischen Ländern ein selbstverständlicher und staatlich nicht regulierter Bestandteil des Alltagslebens (vgl. BENSAAD 2008; DÜNNWALD 2015). Dies bedeutet allerdings nicht, dass Grenzüberschreitungen immer problemlos verliefen. Sie hingen teilweise auch mit bewaffneten Konflikten zusammen, wie im Folgenden noch ausgeführt wird. Daher müssen wir davon ausgehen, dass das durch das Weggehen und Wiederkommen im Lauf der Geschichte dieser Familie erworbene migrationsspezifische Kapital auch mit Verlusten, Schmerzen und Trauer verbunden ist. [28]

Das transnationale27) – konkreter oftmals das ethnische – Netzwerkkapital Mohammeds und seiner Familie, die Konzeption von durchlässigen Grenzen, vermutlich aber auch durch Flucht aufgrund von politischen Unruhen bestimmte Überschreitungen staatlicher und regionaler Grenzen und Mohammeds ethnische (aber keineswegs staatliche) Zugehörigkeitskonstruktion sind keine individuellen Besonderheiten dieser Familie, sondern sie sind deutlich bedingt durch die Kollektivgeschichte seiner Gruppierung der Soninke. Die Soninke gehören zu jenen Gruppierungen Westafrikas, die die höchste Anzahl von ArbeitsmigrantInnen, insbesondere nach Frankreich, aufweisen (MANCHUELLE 1989a, S.90). MANCHUELLE verweist darauf, dass es in den Dörfern der Region, aus der Mohammed stammt, nicht unüblich ist, dass an die 60% aller männlichen Bewohner dauerhaft nicht anwesend sind. Dies hat eine sehr lange Tradition. Bereits bevor diese Region von Frankreich ab Mitte des 19. Jahrhunderts kolonisiert wurde, zeigten die Soninke eine starke Bereitschaft zur Migration innerhalb Westafrikas und auch in andere afrikanische Länder. Es wird ihnen in der Literatur geradezu eine mit Migration verbundene Kultur zugeschrieben (JÓNSSON 2008; MANCHUELLE 1998). Nach dem Ende der Kolonialzeit erfolgte bis zu den Einwanderungsbeschränkungen von 1974 eine verstärkte Migration insbesondere junger Männer nach Frankreich. Die Gesellschaft und Lebensweise der Soninke "has become more and more dependent on migrants' remittances for its social reproduction" (CHASTANET 1992, S.145). [29]

Bevor wir weiter auf Mohammeds Lebens- und Migrationsgeschichte eingehen, einige Anmerkungen zu Mauretanien und zur politischen Situation in diesem Land in den Jahren seiner Kindheit. Mauretanien wurde damals wie auch noch heute von den arabisch-berberischen Mauren sowohl politisch als auch ökonomisch dominiert. Neben den Bidhan, die ca. 1/3 der Bevölkerung ausmachen und den ca. 30-40% hauptsächlich im Süden des Landes lebenden Soudans lebt hier eine weitere Gruppierung, die sogenannten Haratin, die die Nachkommen von ehemaligen SklavInnen der Bidhan, aber auch der Soudan – insbesondere der Soninke – sind (vgl. BALES 2012, S.80; ZEUSKE 2013, S.332). Zur Zeit von Mohammeds Geburt war seine Heimatregion von einer von 1989 bis 1991 anhaltenden Krise zwischen Mauretanien und dem Senegal betroffen, bei der es in beiden Ländern zu Massakern kam28). Diese Krise begann im April 1989 in Mauretanien mit gewaltsamen Konflikten zwischen den Weißen Mauren und der im Süden des Landes lebenden Schwarzen Bevölkerung. Zehntausende der Soudans flohen in den Senegal, und es kam zu einer zeitweisen Schließung der Grenze29). Leider haben wir keine Kenntnis darüber, wie und vor allem wo sein Vater und andere Familienangehörige diese Zeit erlebt haben. Es kann durchaus sein, dass sein Vater damals im Senegal lebte. Auch hier kam es in der Hauptstadt Dakar zu Ausschreitungen, zu Massakern an MauretanierInnen und zu Plünderungen von Geschäften mauretanischer Händler30). Vielleicht führte diese Situation dazu, dass Mohammed bis ca. 1998 oder 2000 mit seiner Mutter und seinem Onkel in Mali lebte. Mohammed selbst erwähnte diese gewaltsamen Konflikte jedoch nicht; seine Lebenserzählung ist – wie auch bei anderen Angehörigen afrikanischer Gruppierungen31) – geradezu von der Kollektivgeschichte seiner Gruppierung und seines Landes abgelöst. Wir gehen davon aus, dass dies bedingt sein kann durch die auf Erfahrung beruhende Vorstellung, dass EuropäerInnen sowieso kaum etwas über ihre Heimatregion wissen oder nicht daran interessiert sind. Des Weiteren "verschonen" uns unsere InterviewpartnerInnen – vielleicht auch aus Höflichkeit – zunächst mit Erzählungen von mit Rassismus verbundenen schmerzhaften Erfahrungen. Auf Nachfragen wird jedoch bereitwillig über die Kollektivgeschichte, den Sklavenhandel, den erlebten Rassismus sowie über Diskriminierungserfahrungen in den Begegnungen mit "Weißen" bzw. mit "Arabern" berichtet (eine Unterscheidung, wie sie nicht nur von Mohammed, sondern auch von anderen Schwarzen AfrikanerInnen vorgenommen wird). In den Gesprächen mit Mohammed war die Zurückhaltung beim Sprechen über die bei den "Arabern" erlebte Sklavenarbeit vor allem auch der Anwesenheit des arabischen Kollegen Ahmed ALBABA geschuldet. Dies zeigte sich sehr deutlich, als unser Mitarbeiter Mahadi AHMED (der selbst Schwarz und aus dem Sudan nach Europa geflohen ist) ein weiteres Telefoninterview mit Mohammed führte, um noch etwas mehr über den Sklavenhandel und von der Kollektivgeschichte der Soninke zu erfahren. Mit diesem Gespräch wollten wir u.a. die Hypothese überprüfen, dass Mohammed – wie so viele andere Schwarze AfrikanerInnen – nur wenig von bestimmten Anteilen der Kollektivgeschichte weiß, da diese nicht zum Unterrichtsstoff der von ihnen besuchten Schulen oder zur mündlich tradierten Geschichte ihrer Gruppierungen gehören. Dies kennzeichnet auch die Interviews mit Mohammed, der in den derzeitigen Gesprächen mit Mahadi AHMED zu verstehen gibt, dass er erst in Frankreich begonnen hat, etwas über die Geschichte der Soninke zu lesen. Mit dem recht fragmentarischen Wissen über die Kollektivgeschichte sind die Befragten bei der zeitlichen Einordnung der Ereignisse unsicher und verbinden manchmal sehr weit auseinanderliegende Ereignisse thematisch und zeitlich miteinander. Als z.B. Ahmed ALBABA in einer Nachbefragung über Facebook Mohammed nach dem Konflikt zwischen Mauretanien und dem Senegal von 1989 fragte, antwortete er wie folgt:

"Hier gab es Probleme zwischen Schwarzen und Weißen, sie brachten die Schwarzen um und sie nahmen ihnen die Tiere und das Land weg, die Schwarzen flohen in den Senegal, sie nahmen die Schwarzen als Sklaven und verkauften sie an die Marokkaner, es gibt das Problem mit der Sklaverei in Mauretanien."32) [30]

Anzunehmen ist, dass sich der Hinweis auf den Verkauf von SklavInnen an die Marokkaner auf eine weiter zurückliegende Vergangenheit und nicht auf 1989 bezieht, der Hinweis auf die Probleme mit der Sklaverei in Mauretanien dagegen auf die gegenwärtige Situation in Mauretanien. Mit dieser Ausführung von Mohammed könnte nun der Eindruck entstehen, es seien nur Weiße Menschen gewesen, die Schwarze Menschen versklavten und versklaven. Dieses Bild überdeckt jenen Anteil der Vergangenheit, der sich darauf bezieht, dass es insbesondere Angehörige der Soninke waren, die in dieser Region bis zu Beginn des letzten Jahrhunderts33) hauptsächlich den Verkauf von SklavInnen betrieben haben, selbst SklavInnen für sich arbeiten ließen und deren landwirtschaftliche Produktion hauptsächlich auf Sklavenarbeit beruhte (MANCHUELLE 1989a, 1989b; ZEUSKE 2013, S.332)34). Ein Großteil der Bevölkerung in dieser Region zwischen den Flüssen Niger und dem oberen Senegal waren die SklavInnen der Soninke: "Soninke slaves at the end of the nineteenth century never seem to have numbered less than thirty per cent of the population, and they were in some regions well over fifty per cent" (MANCHUELLE 1989a, S.90). Für Mohammed – der, wie wir annehmen, von diesem Bestandteil der Geschichte nichts oder wenig weiß – war es dagegen wichtig, das Bild zu vermitteln, dass in Mauretanien die Bidhan die Schwarzen als SklavInnen arbeiten lassen – ein Bild, das dem Erleben seiner Generation entspricht. Während er gegenüber dem arabischen Interviewer derzeit in der Facebook-Kommunikation von "Weißen" schreibt, sprach er in den beiden Interviews in Melilla von "Arabern" und meinte explizit, dass es in Mauretanien zwei Gruppierungen gebe: "Es gibt Araber und Schwarze." Diese Differenz in der Begriffswahl ist nicht nur einer sprachlichen Veränderung durch sein Leben in Frankreich geschuldet, sondern eine Höflichkeits- und auch – entsprechend seiner Ausbildungserfahrungen bei den arabischen Imamen – eine Unterwerfungsgeste gegenüber dem arabischen Interviewer. Im Interview mit dem sudanesischen Mitarbeiter spricht Mohammed wieder von "den Arabern" und erzählt davon, dass er selbst die Ausbeutung durch arabische Menschen schmerzhaft erleben musste. [31]

Wie bereits erwähnt, begann für Mohammed ab dem ca. 10. Lebensjahr die Bildungskarriere in einer von einem Araber geführten Koranschule, in dessen Haushalt er für vier Jahre lebte. Als Gegenleistung für seine Ausbildung hütete Mohammed – entsprechend der bereits in der vorkolonialen Zeit geltenden Tradition (S.95) – die Schafe und Kühe des Gelehrten und arbeitete "viel für diesen Mann", wie er uns in Melilla erzählte. Sein Sprechen über diese Zeit in der Koranschule im Interview mit Mahadi AHMED verdeutlicht dann weit drastischer was diese Arbeit bedeutete:

Mohammed: "Ich habe wie ein Sklave arbeiten müssen, obwohl mein Vater ungefähr 50 Euro35) Schulgeld bezahlt hat, da kamen Araber zu unserer Schule und haben nach Schülern gefragt, die für sie arbeiten sollten, und dies hatte einen großen Einfluss auf deine Note, wenn du in der Wüste nicht wie die Hölle für sie gearbeitet hast und wir konnten dem nicht entfliehen."

M. Ahmed: "Habt ihr euch nicht beschwert?"

Mohammed: "Nein, du warst voll mit Angst, zum Beispiel ob es Haram [entsprechend der islamischen Gesetze] ist, einer Frau ins Gesicht zu sehen, du hattest zu tun was sie von dir wollten und du hattest zu lassen was sie wollten, dass du es lässt." [32]

In diesen vier Jahren lebte er in einer stärker von Arabern geprägten Gemeinschaft (es gab dort keinen Soninke, wie er uns erzählte), und seine Ausbildung war durch die arabische Sprache und den Koran geprägt. Daher ist anzunehmen, dass er wenig über die Geschichte seiner ethnischen Gruppierung erfuhr. Bei seinen kurzen Aufenthalten in seinem Dorf, in das er immer wieder in den Ferien zurückkehrte (und in diesen Zeiten die Ziegen zu hüten hatte), musste er außerdem feststellen, dass er zunehmend seine Muttersprache verlernt hatte. Ungefähr 2004 ging der nun etwa 14 Jahre alte Mohammed in die Hauptstadt Nouakchott (ca. sieben Stunden Fahrzeit vom Dorf entfernt36)), besuchte wieder eine Koranschule und danach – immer wieder mit längeren Unterbrechungen – eine islamische Schule, die auch weiterhin auf die religiöse Ausbildung konzentriert war, jedoch auch die Hochschulreife zum Ziel hatte. Für Mohammeds weiteren Lebensweg ist entscheidend, dass er neben (der Sprache der) Soninke fast ausschließlich Arabisch (die Amtssprache in Mauretanien37)) spricht und schreibt. Während ihm dies auf seiner späteren Migrationsroute von erheblichem Vorteil war, benachteiligt es ihn heute in Frankreich: Er hatte zwar in den letzten Schuljahren einmal in der Woche Französischunterricht, doch er habe sich nicht konzentriert, erzählte er uns, und damit auch nicht schreiben gelernt. 2013 scheiterte er dann an der Abschlussprüfung. [33]

Wichtig ist für Mohammed, dass er in seiner Bildungskarriere erst in den letzten Schuljahren "Schwarze" als Lehrer hatte. Er erzählte uns, dass die meisten Lehrer Fulbe (d.h. also Angehörige der Schwarzen Bevölkerung Mauretaniens) waren. Durchgängig benannte Mohammed im Interview die ethnische Zugehörigkeit der von ihm eingeführten Personen bzw. machte deutlich, ob es sich bei ihnen um Araber oder um Schwarze Menschen handelte. Dies ist im Zusammenhang der ausgesprochen ungleichen Machtchancen zwischen beiden Gruppierungen in Mauretanien nicht verwunderlich. Was seine ethnische Zugehörigkeit bzw. die Zugehörigkeit zu den Soudan bedeutet, zog sich zwischen den Zeilen durch das gesamte erste Interview mit ihm, während er im zweiten Interview sehr explizit über Sklaverei sprach und selbst erlebte Situationen erzählte. Dies war vermutlich dadurch bedingt, dass die deutsche Interviewerin zu erkennen gab, dass sie über die in Mauretanien noch herrschende Sklaverei38) informiert ist und auch Nachfragen zur Sklaverei stellte. Mohammed sprach über seine als Schwarzer Schüler erlebten Diskriminierungen bzw. versperrten Zukunftschancen, die Behinderungen in seiner beruflichen Karriere und die Ausbeutung durch unbezahlte Arbeit. Er erzählte von einer Bekannten, die – statt ihren Lohn für ihre Hausarbeit bei einem "Araber" zu erhalten – von diesem wegen Diebstahl angezeigt wurde. Als Mohammed davon erfuhr, habe ihm dies den "Rest gegeben": Er wollte unter dem Eindruck dieses Ereignisses nicht mehr in Mauretanien arbeiten, und er habe den schon länger gehegten Plan, wegzugehen, auch umgesetzt. Im ersten Interview hatte er dagegen die Version bedient, sein Land aus ökonomischen Gründen, d.h. wegen der Armut seiner Großfamilie verlassen zu haben. Die Auswertung dieses Interviews verdeutlicht dennoch, dass der erlebte Rassismus, die Unterdrückung der Schwarzen Bevölkerung in Mauretanien, ein ganz wesentliches Motiv für seinen Weggang aus Mauretanien war, obwohl dies von ihm nicht manifest angesprochen bzw. die erlebten Diskriminierungen nicht explizit im Zusammenhang mit seiner Zugehörigkeit zur Schwarzen Bevölkerung beschrieben wurden. So berichtete er z.B. im Zusammenhang seiner letzten Schuljahre: "als ich in der Schule war, haben sie uns gelehrt, es wird eine Demokratie hier geben. Ich habe mich gefreut, weil wir dann alle gleich viel wert sind." Seine letzten Schuljahre fielen in eine Phase, in der es zu einer schrittweisen Demokratisierung des Landes ab 2006 kam; im April 2007 übernahm der Präsident Sidi Ould Cheikh Abdallahi durch die ersten demokratischen Wahlen im Land die Macht. Abdallahi, selbst ein Bidhan, setzte sich für die Schwarze Bevölkerung im Land ein und initiierte u.a. ein Gesetz zur strafrechtlichen Verfolgung der bis dahin "im Inneren geduldet(en) und nach Außen geleugnet(en)" Sklaverei sowie die "Rückkehr der 1989 vertriebenen schwarzafrikanischen Mauretanier" (BAHRENBURG & RICHTER 2008, S.5). Doch bereits im August 2008 kam es erneut zu einem Militärputsch und der Absetzung dieses Präsidenten. [34]

So entsprachen dann auch Mohammeds Erfahrungen nicht dem in der Schule Gelernten; immer wieder musste er die bittere Erfahrung machen, dass er in dieser Gesellschaft nicht die gleichen Chancen hatte wie andere. U.a. führte er aus:

"trotz guter Schulbildung bekommst du auch nicht die Stelle, die dir zusteht, nur die Reichen bekommen sie ... also der Präsident39) soll auch gebildet sein, aber es gibt auch Leute, die nichts gelernt haben, und sie haben die gleiche Stelle wie du, sie haben nichts studiert, aber du schon, du eh sie, du studierst und du kriegst keine Arbeit, also ich bin aus dem Land gegangen." [35]

Entscheidend für diesen Migrationsverlauf, der nicht allein auf die Tradition der Arbeitsmigration in seiner Gruppierung zurückgeführt werden kann, sondern mitbedingt ist durch die erlebten rassistischen Diskriminierungen, ist sicherlich auch die schulische Sozialisation in einer Zeit des sich in Mauretanien öffnenden Diskurses über Menschenrechte und die Gleichheit von Schwarzen und Weißen Menschen. [36]

2013 verließ Mohammed sein Land mit dem Ziel Europa. Er begründete dies damit, dass dort die Menschenrechte geachtet würden: Es sei ihm zunehmend deutlich geworden, wie schwer es für ihn als Schwarzen Mann in Mauretanien sein würde, eine gute Arbeit zu finden und einen angemessenen Lohn zu erhalten. Er arbeitete zuletzt in einer Wäscherei und verdiente ungefähr gerade so viel Geld, um sein gemietetes Zimmer zu bezahlen. Vor allem bedrückt ihn in der Gegenwart – und dies zunehmend –, dass er seinem Vater bzw. seiner Familie kein Geld schicken kann. Die Erwartung, dass Familienangehörige, die Geld verdienen, einen Anteil an die von Subsistenzwirtschaft lebende Familie abgeben, ist nicht nur in afrikanischen Ländern meist selbstverständlich und nach der Emigration in ein anderes Land geradezu verpflichtend. Ein Scheitern der Erfüllung dieser Verpflichtung macht eine Rückkehr in ihre Heimat für viele MigrantInnen ausgesprochen schwierig. [37]

Mohammed verließ das Land mit der Zustimmung des Vaters – der ihm zuvor die Migration zu seinem älteren Bruder nach Saudi-Arabien untersagt hatte –, u.a. dank seiner Versicherung, der Familie regelmäßig Geld aus Europa zu senden40). Nach einem gescheiterten Versuch, ein Visum nach Marokko zu kaufen, wählte er den Weg über Mali und Algerien. Der Grenzübertritt nach Mali war nicht schwierig. Mohammed lebte und arbeitete dort sechs Monate. Als er wieder einiges Geld gespart hatte, fuhr er mit etlichen MigrantInnen in einem Lastwagen durch die Wüste in Richtung Algerien. Im Norden des Landes wurden sie von einer militanten Rebellengruppe aus den Reihen der Tuareg angehalten. Sie mussten aussteigen, sollten ihre Pässe zeigen, und es wurden ihnen ihr Geld und ihre Handys abgenommen. Er und ein Freund hatten wie auch die anderen keine Papiere41). Sie fürchteten, "wir werden jetzt alle umgebracht". Mit der Versicherung Mohammeds und seines Freundes, die auf Französisch bzw. Bambara (die Sprache der Bevölkerungsmehrheit Malis) mit den Rebellen sprachen, dass sie alle aus Mali seien und wegen des Krieges fliehen müssten, ließ man sie weiterfahren. Auch an der Grenze zu Algerien war es für ihn wichtig, seine Selbstdarstellung hinsichtlich der kollektiven Zugehörigkeit zu verändern. So hatte Mohammed den Rat eines Priesters erhalten, er solle den algerischen Grenzbeamten erklären, er käme aus einem Kriegsgebiet in Mali und zwar aus der Stadt Kidal: "das ist eine große Stadt, aber ich war noch nie dort, ich habe nur den Namen, das ist der Ort wo der Krieg herrscht". Damit hatte Mohammed wie viele andere MigrantInnen Erfolg. Er begründete dies damit, dass die Soninke – aufgrund ihrer vom Berberischen beeinflussten Sprache – von den algerischen Grenzbeamten als "Rifi-Leute" (Menschen aus der Region des Rifgebirges in Nordafrika) angesehen ("weil sie haben uns gesagt, ihr seid wie Rifi-Leute") und damit in gewisser Weise zur gemeinsamen Wir-Gruppe gezählt wurden. Er und die mit ihm reisenden anderen Soninke erklärten, sie seien vor dem Krieg in Mali geflohen und wollten in Algerien arbeiten. Die Grenzbeamten gewährten ihnen daraufhin problemlos den Grenzübertritt. [38]

Gleich hinter der Grenze traf Mohammed einen Schwarzen Mann, der ihn mit auf einen Bauernhof nahm. Dort arbeitet er für zwei Monate, bis er wieder etwas Geld hatte, sich auf den Weg nach Marokko machte und die Grenze mithilfe von dafür bezahlten Algeriern zu Fuß unbemerkt überquerte. Die Grenze zu Marokko war auf seinem Weg die erste Grenze, bei der für ihn – ohne Visum, das ihm im Unterschied zu seinem jüngeren Bruder und seinem Cousin nicht ausgestellt worden war – keine Chance auf einen legalen Übertritt besteht. Dennoch war sie noch relativ leicht zu überschreiten; dafür begann in Marokko eine ausgesprochen schwierige Zeit: Mehrmals wurde er von der marokkanischen Polizei geschlagen und ausgeraubt; einmal wurde er aus Nador mit anderen MigrantInnen nach Casablanca deportiert. Zuletzt lebte er für etliche Wochen im Wald auf dem Berg Gourougou. In diesem Wald sind die einzelnen Gruppierungen entsprechend ihren Herkunftsländern oder -regionen organisiert und werden jeweils von einem "Präsidenten", wie sie ihn nennen, angeführt. Der Präsident, der für seine Position bezahlt wird, verteilt Schlafplätze, und vor allem organisiert er die Angriffe auf den Grenzzaun nach Melilla. Mit Mohammed waren zu dieser Zeit nur zwei weitere Männer aus Mauretanien auf dem Gourougou, und so schlossen sie sich einer Gruppe aus Mali und deren Präsidenten an. Wie wir von anderen Interviewten erzählt bekamen, kann die Unterordnung unter einen Präsidenten, der nicht der eigenen nationalen oder regionalen Gruppierung angehört, von erheblichem Nachteil sein. Für Mohammed war diese Figuration jedoch von Vorteil, weil sowohl der Präsident als auch die meisten in dieser Gruppe den Soninke angehörten und seine Muttersprache sprachen. Im Frühjahr 2014 – aus Datenschutzgründen gehen wir hier nicht auf den genauen Zeitpunkt ein – wurde er zum "Sturm" auf die Grenze eingeteilt, der in mehreren Etappen von mehreren Hunderten Menschen durchgeführt wurde. Mohammed und vielen anderen gelang an diesem Tag die Überwindung des Grenzzauns. [39]

Während ihm auf dem Gourougou seine Muttersprache Vorteile verschaffte, war es im Lager in Melilla – in dem im Herbst 2014 ca. 60% der BewohnerInnen aus Syrien kamen – seine Kenntnis des Arabischen. Mohammed, der über eine fast abgeschlossene Ausbildung zum Imam in Mauretanien verfügt und aus einer Familie von Imamen stammt, gehörte zu den wenigen im Flüchtlingslager, die die Rolle des Vorbeters in der Moschee übernehmen konnten. Diese mit erheblichem Prestige verbundene Rolle war ihm außerhalb des Lagers in der Moschee in Melilla, wie er uns erklärte, als Schwarzem Mann nicht gestattet. Im Lager verschaffte ihm diese Position hingegen bei den arabischen und kurdischen MuslimInnen Kontakte, Anerkennung und Respekt. Er erzählte uns auch: "wenn ein Syrer mit einem Afrikaner reden möchte, dann rufen sie mich zum Übersetzen". Und so überraschte nicht, dass wir ihn in mehreren Begegnungen an verschiedenen "Treffpunkten" vor dem Lager meist mit syrischen Bekannten antrafen und er auch mit unserem aus Palästina stammenden muslimischen Mitarbeiter Ahmed ALBABA sehr schnell in guten Kontakt kam. Die demonstrative Ausübung und Betonung seiner Religion muss wohl auch vor dem Hintergrund dieser Figuration gesehen werden; sie vergrößerte seine Machtchancen in seiner Lebenslage in Melilla zur Zeit der damals geführten Interviews. Wie wir an seinem biographischen Verlauf sehen, änderten sich die Figurationen mit anderen Gruppierungen und die jeweiligen Machtchancen in den unterschiedlichen Regionen und Ländern auf der Migrationsroute ständig. Sie waren zunächst weit mehr abhängig von der ethnischen als von der "nationalen" Zugehörigkeit, den Sprachkompetenzen und den jeweils zur Verfügung stehenden Informationen. Zu diesen Informationen gehörte vor allem auch die jeweils günstige Angabe über das eigene Herkunftsland. Wie Mohammeds jüngerer Bruder und sein Cousin, die später als Mohammed zunächst mit einem Visum nach Marokko ausreisten und dann ebenfalls über den Zaun nach Melilla kamen, im Gespräch mit uns im Herbst 2015 erläuterten, war es im CETI bei den MigrantInnen aus Mali üblich vorzugeben, man komme aus Mauretanien, weil man dann nicht so leicht aus Spanien abgeschoben werden könne. Dies gründet auf einem bilateralen Abkommen zwischen Mali und Spanien, das eine Abschiebung ermöglicht (vgl. DÜNNWALD 2015, S.23), wobei die MigrantInnen aus Mauretanien keineswegs davor geschützt sind, aus Spanien nach Marokko abgeschoben zu werden. [40]

Mittlerweile ist Mohammed in Frankreich wiederum in einer weitaus schwierigeren Lebenssituation. Hier sind seine schwachen Französischkenntnisse von Nachteil, die er seit Herbst 2015 mit dem eifrigen Besuch von Sprachunterricht zu verbessern sucht. Er lebt meist auf der Straße, manchmal erhält er bei Bekannten eine Übernachtungsmöglichkeit, und er schlägt sich mit Betteln durch. In einem Telefoninterview, das wir mit ihm im November 2015 führten, meint er: "Ich bin sehr müde geworden, sogar hatte ich die Gedanken gehabt, warum bin ich hierhergekommen, es gab viele Gedanken, wozu ist diese Müdigkeit und solche Gedanken". Er erzählte, dass einer seiner Cousins, der in Spanien lebte, gerade wieder zurück nach Mauretanien gereist sei, weil er keine Arbeit gefunden habe. Ein wohl ähnlicher Verlauf einer zunehmenden Desillusionierung, des Zerbrechens eines Traums, als Schwarzer Mensch in Europa "gleich wert zu sein", die Hoffnungslosigkeit und der verschlossene Zukunftshorizont deuteten sich bereits im Interview in Melilla an. Mohammed erklärte in Melilla, dass er nicht in Spanien bleiben wolle, sondern entweder zu einem Freund nach Frankreich oder zu einem anderen in Deutschland gehen wolle, und er äußerte sich dann wie folgt:

"also mir geht es in erster Linie um die Aufenthaltserlaubnis in Europa (8 Sek. Pause!), weil es jetzt kein Zurück mehr gibt, ich hab kein Geld und es ist unmöglich und eh der leichteste Weg nach Europa zu kommen ist der Weg, den ich genommen habe, es gibt keinen anderen Weg mehr für mich". [41]

Bisher hat er jedoch keine gültigen Personaldokumente erhalten können. Der Versuch, in Frankreich einen mauretanischen Reisepass zu beantragen, schlug fehl:

"Als ich in Paris war ging ich zur Botschaft von Mauretanien und ich sagte ihm, ich hatte einen Reisepass, aber ich habe den und alles auf dem Weg gelassen. Sie sagten mir 'du musst unbedingt nach Mauretanien zurückkehren damit ich die Papiere dort mache'. ich sagte danach ich sagte der Botschaft ich sagte 'weißt du warum ich aus Mauretanien rausging?' Er sagte 'warum', ich sagte 'ich hatte in Mauretanien keine Rechte, ich bin in meinem Land und in meiner Heimat als ob ich Ausländer wäre ich habe keine Menschenrechte in meiner Heimat und ich ging fort und meine Familie wir alle waren als ob wir Sklaven seien." [42]

Bei der Rekonstruktion dieser Lebensgeschichte wurden die Erfahrungen eines in der Sozialstruktur verankerten Rassismus deutlich, die dieses Leben eines Schwarzen Mauretaniers durchziehen. Sie sind neben der ausgeprägten Tradition von zeitweiser Arbeitsmigration unter den männlichen Soninke ein wesentliches Moment für Mohammeds Migration, für dessen Erleben von Grenzziehungen im Herkunftsland, auf der Migrationsroute, im Flüchtlingslager und nun auch in Frankreich. Diese Erfahrungen unterscheiden sich zum Teil von den Erfahrungen von WestafrikanerInnen aus anderen Ländern – wie z.B. der folgende Fall aus Kamerun aufzeigt –, die auf der Migrationsroute zunehmend, vor allem in Marokko, für sie unerwartete Erfahrungen mit Rassismus machten und, wie sie uns erklärten, oft auf dieser Route erstmals erlebten, dass sie aufgrund ihrer Hautfarbe diskriminiert werden. [43]

Der Verlauf der Migration bei Mohammed steht auch – ganz im Unterschied zu dem von Maruf und vermutlich auch von Franklin – für einen Verlauf, der einer typischen Arbeitsmigration in seiner Familie und seinem Herkunftsmilieu entspricht, der schon länger geplant war und der seit dem Verlassen des Herkunftslandes mit dem Ziel Europa verbunden war. [44]

3.2 Die Ressourcen Bildung und Mobilität in Franklins Familie und das Scheitern des familialen Bildungsauftrags

Bereits der erste Kontakt, den wir im Oktober 2014 mit Franklin hatten, verdeutlichte seine privilegierte Position im CETI, die er – ähnlich wie Mohammed – aufgrund seiner Sprachkompetenzen hatte. Gabriele ROSENTHAL und Arne WORM sprachen vor dem CETI mit einigen frankophonen MigrantInnen aus Kamerun und fragten diese, ob nicht jemand unter ihnen sei, der oder die Englisch sprechen könne. Man war sich gleich einig, Franklin zu rufen, der zuvor bereits wiederholt Übersetzungen bei Gesprächen mit Englisch sprechenden JournalistInnen übernommen hatte. Es kam zu einer längeren Gruppendiskussion, bei der Franklin die Beiträge der anderen übersetzte und sich auch selbst beteiligte. Die fünf jungen Männer aus Kamerun erzählten von ihrer jeweiligen Migrationsroute, über Figurationen zwischen den verschiedenen Gruppierungen von Migrierenden (z.B. über das Verhältnis zu den SyrerInnen im CETI) und zur Lokalbevölkerung von Melilla. Im Anschluss an das Gespräch wurde einige Tage später – ebenfalls von Gabriele ROSENTHAL und Arne WORM – ein Interview mit Franklin geführt. Gabriele ROSENTHAL blieb über Facebook mit Franklin in Kontakt und im Frühjahr 2016 führte unser Mitarbeiter Mahadi AHMED – selbst ein Geflüchteter aus dem Sudan – zwei Telefoninterviews mit ihm, um sich über dessen gegenwärtige Situation in Spanien zu informieren. Besonders im zweiten Telefonat enthüllte Franklin – vermutlich aufgrund des inzwischen entstandenen Vertrauens zu Mahadi AHMED und dessen Versicherung, dass man uns ForscherInnen aus Deutschland vertrauen könne – zwei sehr wesentliche biografische Bestandteile, die nochmals unsere Analyse seines Migrationsverlaufs modifizierten. [45]

Zum Zeitpunkt des ersten Interviews war Franklin 23 Jahre alt, befand sich seit ca. zwei Monaten in Melilla und wartete auf die Abreise Richtung Iberische Halbinsel. Er repräsentiert den Typus eines jungen gebildeten Mannes, dessen Migrationsprojekt bereits im Herkunftskontext auf das Ziel gerichtet ist, nach Europa zu gehen. Im Unterschied zu Mohammed strebt er – so jedenfalls seine Selbstdarstellung – vor allem eine weitere Bildungskarriere an. Bildung wird in Franklins Familie ein hoher Wert beigemessen, alle seine Geschwister und Halbgeschwister haben einen Universitätsabschluss. Franklin selbst hat sein Studium in Kamerun abgebrochen. Auf seiner späteren Reise nach Europa nutzte er – wie viele andere Migrierende – geschickt sein kulturelles und soziales Kapital. Im Unterschied zu anderen GesprächspartnerInnen konzentrierte sich seine Selbstdarstellung jedoch auf die Betonung dieses Kapitals, vor allem seine gebildete Herkunftsfamilie und die damit zusammenhängenden Kompetenzen, die ihm beim Passieren von verschiedenen Staatsgrenzen auf seinem Weg halfen. Gewissermaßen dekonstruierte er mit seiner Präsentation hegemoniale Diskurse über Geflüchtete aus Afrika, indem er sich selbst als handelnden Akteur beschrieb, der autonome Entscheidungen trifft und über Handlungsmacht verfügt, und nicht als Opfer von Gewalt oder schwierigen ökonomischen Bedingungen. [46]

Wir nehmen auch an, dass diese Selbstdarstellung – die er ebenfalls im Gespräch mit Mahadi AHMED zeigte – für ihn eine biografische Strategie darstellt, um mit den leidvollen Erfahrungen auf seiner Route umzugehen, um diese vor uns und vermutlich auch vor sich selbst zu verleugnen bzw. nicht erinnern zu müssen. So deutete er z.B. im ersten Telefoninterview auf direkte Nachfrage und den Hinweis von Mahadi AHMED, dass ein enger Freund auf der gemeinsamen Reise gestorben sei, ebenfalls den Tod eines engen Freundes während dessen Fahrt auf dem Mittelmeer an. Die Erinnerung an seinen verstorbenen Freund war ihm offenbar so bedrohlich, dass er schnell auf ein anderes Thema lenkte. Insofern gilt es auch, unsere Sicht auf seinen Migrationsverlauf, die sich in erster Linie auf die Erzählung von erfolgreich bewältigten Situationen bezieht, nur als eine Reaktion oder "Antwort" auf eine Seite seines Erlebens zu sehen, dessen andere Seite leidvolle Erfahrungen sind. Wie schmerzhaft die Erinnerung an seinen verstorbenen Freund Tom waren, wurde im zweiten Telefongespräch deutlich. Tom stammte aus der gleichen Region wie Franklin, er kannte ihn seit seiner Kindheit und war mit ihm zusammen aus Kamerun ausgereist. In Marokko wurden die beiden getrennt: Franklin war von der marokkanischen Polizei verhaftet und nach Rabat gebracht worden; Tom hatte gemeinsam mit anderen versucht, mit dem Schlauchboot nach Spanien zu gelangen. Die Guardia Civil beschoss die Flüchtenden mit Tränengas, Tom fiel ins Wasser und ertrank, da er nicht schwimmen konnte. Im Interview in Melilla hatte Franklin die Frage nach seinem Freund und Reisepartner noch damit abgetan, dass dieser wenige Tage vorher auf die Iberische Halbinsel gebracht worden sei. [47]

Vermutlich war dies nicht die einzige leidvolle Erfahrung auf der Migrationsroute von Franklin. Doch seine Selbstdarstellung im ersten Interview mit uns konzentrierte sich auf seine Erfolge auf dieser Route und darauf, wie es ihm gelang, seine Ressourcen wie Bildung, soziale Netzwerke und finanzielle Unterstützung durch Familie und Bekannte strategisch geschickt einzusetzen. Es glückte ihm sowohl uns gegenüber als auch auf seiner Route ein überzeugendes Eindrucksmanagement (vgl. GOFFMAN 2015 [1959]), das nicht zuletzt auf einem flexiblen und situationsangepassten Umgang mit kollektiven Zugehörigkeiten basierte. Das half ihm, auf seiner Reise nach Marokko bzw. Spanien verhältnismäßig schnell voranzukommen. Die Zugehörigkeiten zum Herkunftsland Kamerun, zur Gruppierung der anglophonen KamerunerInnen42) und zur Gruppierung der ChristInnen spielten für Franklin bei seiner Sozialisation in Kamerun und danach auch auf der Migrationsroute eine zentrale Rolle. Die Struktur der Grenzübertritte und die Lebenssituationen in den unterschiedlichen Migrationskontexten auf seiner Reise erforderten stets aufs Neue, Zugehörigkeiten strategisch und flexibel zu nutzen, zu verschweigen, stark zu betonen oder gar zu erfinden. Über Zugehörigkeit findet sowohl Allianzenbildung oder Solidarisierung als auch Abgrenzung statt. Über die frankophonen Kameruner aus der Gruppendiskussion sprach er im Einzelinterview distanziert. Dennoch musste er vermutlich im CETI mit ihnen in Kontakt stehen, wollte er sich nicht isolieren. Relativiert wird diese Distanz im Vergleich mit anderen Gruppierungen, z.B. indem er sagte, dass er sie immer noch den NigerianerInnen vorziehe. Die für Franklin hier (und im Migrationsverlauf) relevant werdenden Differenzkategorien verweisen auf die komplexe jüngere Geschichte und Gegenwart von Franklins Herkunftsregion: Nach dem Ende der deutschen Kolonialherrschaft wurde das Gebiet des heutigen Kamerun 1919 vom Völkerbund in ein britisch und ein französisch verwaltetes Mandatsgebiet geteilt, und diese Teilung wurde erst 1961 wieder aufgehoben (vgl. RIEDEL 2015). Die Zustimmung zur Vereinigung mit dem frankophonen Kamerun war in den Augen der anglophonen KamerunerInnen, die einen autonomen Staat präferierten, das kleinere Übel gegenüber dem Anschluss an Nigeria (KONINGS 2010, S.226). [48]

In dem stark zentralisierten Staat Kamerun, in dem Frankophone ca. 4/5 der Bevölkerung ausmachen und einen ähnlich großen Anteil am Territorium haben, sind diese auch politisch dominant. Die Unzufriedenheit der anglophonen Bevölkerung mit dieser Situation äußert sich unter anderem in einer Bewegung, die sich für die Unabhängigkeit der anglophonen Landesteile einsetzt. Das Land ist offiziell zweisprachig, es gibt in den beiden Landesteilen verschiedene Schul- und Gerichtssysteme (vgl. RIEDEL 2015). 1982 wurde Paul Biya, ein frankophoner Katholik, Präsident. Er hatte Liberalisierungen versprochen und weckte große Hoffnungen im anglophonen Landesteil, die jedoch sehr bald enttäuscht werden sollten. Anglophone AktivistInnen und JournalistInnen erlebten in den 1980er Jahren massive Repression und Verfolgung (KONINGS & NYAMNJOH 2004, S.191f.). Im Mai 1990 entstand die erste und bis heute wichtigste Oppositionspartei seit der Abschaffung des Mehrparteiensystems im Jahr 1966 – die Social Democratic Front (SDF). Dies gilt als Meilenstein für eine Veränderung der politischen Situation Kameruns und für die politische Mobilisierung und Organisation der anglophonen Bevölkerung (S.200). Wir können also davon ausgehen, dass die Zugehörigkeit als anglophone Kameruner bereits für seine Familie von großer Relevanz war. [49]

Ob und inwiefern Ethnizität als Zugehörigkeitskategorie eine vergleichbar wichtige Rolle für Franklin spielt wie Sprache und Religion, lässt sich zumindest anhand seiner Selbstdarstellung nicht beantworten. Wir erfuhren von ihm nur, dass seine Eltern beide Bafut sind. Im Telefoninterview wurde auch deutlich, dass er einiges über die Geschichte der Bafut während der deutschen Kolonialzeit weiß: Diese ethnische Gruppierung ist vor allem im Nordwesten Kameruns angesiedelt, während sie in der Stadt Kumba, in der Franklin geboren und aufgewachsen ist, eine Minderheit darstellt. Obwohl die Bafut in der ethnologischen Literatur eher als eine Gruppe diskutiert werden, die sich aus mehreren soziokulturell diversen Gruppen zusammensetzt (vgl. ENGARD 1989, S.133; RITZENTHALER 1966, S.191), können sie aufgrund ihrer Geschichte und ihrer politischen Organisation als Königreich vermutlich als eine Wir-Gruppe mit einem kollektiven Gedächtnis (ROSENTHAL 2016) betrachtet werden. Die Bafut trugen während der deutschen Kolonialzeit (1884 bis 1916) einige bewaffnete Konflikte (bekannt als Bafut-Kriege, 1891 bis 1907) mit den Truppen des Deutschen Kaiserreichs aus, die 1907 zur Niederlage der Bafut und einem einjährigen Exil des Monarchen (Fon) Abumbi führten. In dieser Zeit waren sie in hohem Ausmaß von kolonialer Gewalt betroffen. Bereits 1890 erfolgte eine erste "Strafmaßnahme" durch eine Expedition des deutschen Kolonialbeamten Eugen Zintgraff, der den Auftrag der Erforschung des nördlichen Kameruns hatte (vgl. HOFFMANN 2007, S.50). Zu weiteren militärischen Maßnahmen durch die deutsche Kolonialmacht gegen die Bafut kam es in den Jahren 1901 und 1906. Diese "bewaffneten Auseinandersetzungen […] gehörten zu den opferreichsten in der Geschichte der Kolonie" (S.205). Franklin sprach erst im Telefonat mit Mahadi AHMED und auf dessen direkte Nachfragen über diesen Bestandteil der Kollektivgeschichte, von dem er sowohl in der Schule als auch von seinen Eltern erfahren hatte. [50]

Franklin erläuterte, dass in seinem Elternhaus nicht die Bafut-Sprache, sondern Pidginenglisch43) gesprochen wurde. Er begründete dies: "because I was born and brought up in the city". Franklin wurde in mindestens drei Sprachen sozialisiert, die er alle fließend spricht: Während er in seinem Alltag meist Pidgin und Englisch nutzt, lernte er im Schulkontext Französisch.44) [51]

Er wuchs in der kamerunischen Provinz Südwest in der Stadt Kumba auf, die ein regionaler Verkehrsknotenpunkt und ein Handelszentrum unter anderem für Kakao, Ölpalmen und Bananen ist. Ähnlich wie Mohammed stammt Franklin aus einer Familie mit zahlreichen Migrationserfahrungen und damit migrationsspezifischem Kapital. Franklins ältester Bruder hat in Schweden studiert und lebte zum Zeitpunkt des Interviews in Kanada. Sein zweitältester Bruder arbeitete zum Zeitpunkt des Interviews noch als Arzt für die kamerunische Regierung, zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Artikels studierte er in einem Master-Studiengang in Belgien. Seine Eltern waren bereits als Kinder oder Jugendliche innerhalb Kameruns aus der Provinz Nordwest in die Provinz Südwest migriert. Aus ökonomischen Gründen gab und gibt es innerhalb des anglophonen Kamerun eine massive Arbeitsmigration aus dem Norden in den reicheren und fruchtbareren Süden (KONINGS 2011, S.507). Der Vater hatte nach seinem High-School-Abschluss begonnen, bei der Tochtergesellschaft eines multinationalen Konzerns in der Palmölproduktion zu arbeiten. Dort lernte er auch Franklins Mutter kennen, die als Köchin für das Unternehmen arbeitete. Spätestens seit Franklins Geburt – und bis heute – betreibt sie ein Restaurant und verkauft Früchte. [52]

Ungefähr zum Zeitpunkt von Franklins Geburt, der als zweitjüngstes Kind seiner Eltern Anfang der 1990er geboren wurde, herrschte in Kamerun eine Wirtschaftskrise, und sein Vater verlor seine Anstellung. Die ökonomische Situation der Familie – zu der drei weitere Schwestern von Franklin, die erste Frau des Vaters und fünf Halbgeschwister (zwei Brüder, drei Schwestern) gehörten – war prekär. Doch sein Vater, der im Unterschied zur Mutter eine gute Schulausbildung genossen hatte, versuchte, seinen Kindern eine gute Ausbildung zu finanzieren und erwartete von ihnen einen Bildungsaufstieg, der in der Geschichte dieser Familie wie häufig im subsaharischen Afrika mit christlichen Ausbildungsstätten verknüpft ist. Die Mutter und die Geschwister sind praktizierende ChristInnen45) und die muslimische Herkunft des Vaters scheint nach den Erzählungen von Franklin keine große Rolle zu spielen. Dies hängt vermutlich auch damit zusammen, dass der Vater bei einem christlichen Onkel aufgewachsen ist und – ebenso wie später seine Kinder – christliche Schulen besuchte. In der jüngsten Zeit ist die bei Franklin deutlich definierte christliche Zugehörigkeit vermutlich noch durch das Vordringen der islamistischen Terrororganisation Boko Haram in das nigerianisch-kamerunische Grenzgebiet verstärkt worden. Auf seiner Facebook-Seite lassen sich Kommentare finden, aus denen eine deutliche Ablehnung des Islams spricht. Er postet dort u.a. Videos von Demonstrationen und Militäraktionen gegen Boko Haram46) und Videos, in denen der Islam als per se intolerant und der "Islamische Staat" als repräsentativ für diese Religion präsentiert werden47). [53]

Die besseren Bildungschancen in christlichen Einrichtungen stimmen überein und sind wohl auch verknüpft mit dem hohen Wert, der Bildung in seiner Familie beigemessen wurde und wird. Franklin schloss Grund- und Oberschule in der vorgesehenen Zeit ab, machte sein Abitur und legte die Aufnahmeprüfungen an der einzigen anglophonen Universität Kameruns in Buea ab. Nach erfolgreicher Aufnahme an die Universität zog er nach Buea, das 70 km von seiner Heimatstadt Kumba entfernt liegt und begann dort Geologie zu studieren. Im gleichen Zeitraum schlossen seine zwei älteren (Halb-) Brüder ihr jeweiliges Universitätsstudium in Schweden bzw. in der kamerunischen Hauptstadt Yaoundé ab. Alle Geschwister Franklins machten erfolgreiche Bildungskarrieren, auch seine Schwestern, die heute als Lehrerinnen arbeiten. Vor diesem Hintergrund ist anzunehmen, dass auf Franklins Bildungslaufbahn ein hoher Erfolgsdruck lastete und lastet. Die Betonung des hohen Bildungsniveaus seiner Geschwister und seines Vaters sowie die Erklärungen darüber, dass er – nach seiner Darstellung aufgrund der verschlechterten ökonomischen Situation der Familie – weniger gefördert werden konnte als seine älteren Geschwister, zieht sich durch das gesamte Interview:

"My Dad sent them to expensive schools 'cause he wanted them to have the best, by the time I came my Dad had no money, he doesn't have much money as before so, I was forced to go to a normal high school." [54]

Vor dieser Sequenz hatte er noch angemerkt, sein Vater habe ihn und seine Schwestern "my unemployed children" genannt. Hier wird seine Selbstpräsentation als benachteiligtes Kind sehr deutlich. Die Haltung, eine "normale" Schule als Benachteiligung48) zu empfinden, spricht jedoch für eine verhältnismäßig privilegierte Situation der Familie im Vergleich zu anderen Familien in Kamerun, deren Kinder aus ökonomischen Gründen nicht auf Sekundarschulen gehen können. Franklins betonte und durchgehende Argumentationen im Interview über seine im innerfamilialen Vergleich nicht so stark geförderte Schulkarriere können vor dem Hintergrund gesehen werden, dass er sein Geologiestudium nach zwei Jahren abbrach und sich in der Interviewsituation gegenüber zwei Universitätsangehörigen zu präsentieren hatte. Franklin begründet die ökonomischen Schwierigkeiten der Familie mit der Benachteiligung der anglophonen Bevölkerung im Kontext der politischen "Großwetterlage". So habe es einen Zusammenhang zwischen der Präsidentschaft Paul Biyas ab 1982 und der veränderten Personalpolitik in dem Konzern gegeben, in dem der Vater arbeitete: Nach dessen Amtsantritt seien anglophone durch frankophone Mitarbeiter ersetzt worden. Auch wenn die Benachteiligung der anglophonen Bevölkerung im wirtschaftlichen Bereich eine Tatsache ist (vgl. KONINGS & NYAMNJOH 2004, S.199), deutet in diesem Fall jedoch Manches darauf hin, dass in erster Linie die Wirtschaftskrise und ein "interner" Konflikt zwischen den Eliten der beiden anglophonen Provinzen zu den Entlassungen führten, von denen Franklins Vater betroffen war. [55]

Auf der Grundlage der Auswertung des biografisch-narrativen Interviews können wir über die Gründe von Franklins Studienabbruch nur mutmaßen. Die Konstellation seiner Migrationsentscheidung, die im Kontext des Studienabbruchs stand, lässt sich aber recht klar erkennen: Der Studienabbruch repräsentiert bei seinem Familienhintergrund einen sehr deutlichen Bruch, der durch eine schwierige ökonomische Situation der Familie mitbedingt gewesen sein könnte. Zudem waren vermutlich die Wahrnehmung einer innerfamilialen Benachteiligung gegenüber den älteren Geschwistern und gleichzeitig eine hohe Erwartungshaltung an Franklin Gründe für die Entscheidung. Hinzu kam die erlebte kollektivgeschichtliche Benachteiligung als Anglophoner in Kamerun. Eine weitere Dimension des Studienabbruchs offenbarte sich im letzten Telefonat mit Mahadi AHMED. Franklin erzählt recht detailliert von einem Streik der Studierenden, den er mitorganisiert hatte. Einem Polizeieinsatz gegen die Streikenden seien gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und den Studierenden gefolgt; daraufhin habe er sein Land verlassen müssen. [56]

Aus dieser Konstellation heraus, die es Franklin schwer bis unmöglich machte, sich in Kamerun gesellschaftlich zu etablieren (wie es seine Familie von ihm erwartet), entschied er sich, nach Europa zu gehen. Im ersten Interview erzählte er, die Entscheidung zur Migration habe er getroffen, ohne seine Familie davon in Kenntnis zu setzen. Er begründete die Verheimlichung seiner Abreise vor der gesamten Familie damit, dass der Vater ihn sonst nicht hätte gehen lassen. Ein Freund von Franklin informierte die Familie schließlich von seiner Abreise, als er schon einige räumliche Distanz hergestellt hatte. Trotz dieser heimlichen Abreise wird die Familie – insbesondere der als streng präsentierte Vater – Franklin im Folgenden finanziell unterstützen. Vermutlich erschwerte oder verunmöglichte diese Unterstützung auch eine Entscheidung zum Abbruch des Migrationsprojekts. [57]

Die lange Route von Kamerun nach Marokko legte Franklin mit seinem Freund Tom in relativ kurzer Zeit – in ca. vier Monaten – zurück. Das war ihm unter anderem deswegen möglich, weil er Tom dazu überredete, gemeinsam dessen Geld zu nutzen, um die Kosten der Migration zu bezahlen. Das Geld wurde den beiden in Niger gestohlen; sie setzten jedoch ihre Reise gemeinsam fort. Franklin wurde fortan von seiner Familie finanziell unterstützt. Trotz aller Unterstützung erlebte er Wartezeiten, u.a. auf Geld und auf Möglichkeiten der Weiterreise, und durch das Scheitern bzw. das Erfordernis mehrmaliger Versuche bei der Überwindung der Grenzen zu Marokko und zu Melilla. Insofern ähneln seine Migrationserfahrungen strukturell denen vieler Anderer – nicht nur auf dieser Route. Sowohl die Unterstützung durch seinen Vater, der ihm Geld sandte, als auch die – trotz allem – beschwerliche Migration lassen vermuten, dass der Erfolgsdruck, nach Europa zu gelangen und dort auch zu bleiben, im Zuge des Migrationsprozesses gestiegen ist. Auch die Erfahrung von Repression, rassistischer Gewalt und von Grenzen als manchmal kaum überwindlichen Barrieren nahm im Laufe dieses Prozesses zu. Die algerisch-marokkanische Grenze war die erste, an der Franklin und Tom zurückgeschickt wurden. Und vor allem in Marokko war er – ähnlich wie Mohammed – erstmals massiver Repression und Gewalt durch Sicherheitskräfte ausgesetzt. Auf ihrem Weg nach Melilla durchquerten sie Nigeria, Niger, Algerien und Marokko. Betrachten wir, wie es ihnen gelang, die einzelnen Grenzen zu überschreiten und welche Erfahrungen Franklin dabei machte, etwas detaillierter. [58]

Mit dem Grenzübertritt nach Nigeria verließ Franklin Kamerun das erste Mal in seinem Leben. Es gelang ihm, die Grenze ohne Reisepass, nur mit einem kamerunischen Personalausweis zu überqueren. Den Grenzbeamten erklärte er, er sei Missionar und müsse deswegen nach Lagos, wo er einen bestimmten Pfarrer treffen wolle: "they knew many Cameroonians do have their problems so they always come to go that Pastor for prayers. So they believed me." [59]

An dieser Grenze verwendete Franklin ein Motiv für seine Reise, das ihm der Mann vorgeschlagen hatte, der ihn (vermutlich gegen Bezahlung) beim Grenzübertritt unterstützt hatte. An dieser Stelle ist aber auch seine christliche Zugehörigkeit als Kapital zu sehen, als förderliche Bedingung, die ihm bei der Reise half. Franklin hatte keinen Pass mit auf seine Reise genommen, sondern ihn zusammen mit seinen Zeugnissen an einem sicheren Ort zu Hause bei den Eltern versteckt. Er reiste bis Niger nur mit einem Personalausweis, um damit vom Vater gesandtes Geld erhalten zu können und vernichtete dann seinen Personalausweis49). Unter anderem führt er aus:

"Yeah I never wanted anybody to know. I never wanted anybody to know on the way where I'm coming from ... so I had, left him [den Pass]. So I was scared again, I said I could lost my passport what if I'm going, and my mission is not successful I can lost my passport and it's going to be a problem for me to get a new one." [60]

Interessant an dieser Textstelle ist die wiederholte Betonung der Notwendigkeit, seine Nationalität zu verschleiern, wozu die Migrierenden bereits auf ihrer Route durch zahlreiche afrikanische Länder mehr oder weniger gezwungen sind. Für Franklin war es jedoch wichtig, dass niemand auf seinem Weg wissen sollte, wo er herkam. Bei unserer ersten Begegnung bei der Gruppendiskussion stellte sich Franklin z.B. in Anwesenheit der frankophonen Kameruner als Gabuner vor. Die zitierte Passage und eine weitere Sequenz, in der er über ein Telefonat mit seinem Vater erzählte, den er über den Ort seines Verstecks unterrichtete, zeigt des Weiteren, dass er den Verlust des Reisepasses ebenso als sehr problematisch einschätzte. Er erzählte, dass sein Vater seinen Pass und seine Zeugnisse bei einem Anwalt hinterlegt und sich selbst eine Kopie gemacht habe. Wir nehmen an, dass Franklin und seinem Vater sehr bewusst war, wie wichtig diese Papiere auch in Europa sein würden, vor allem, wenn Franklin wieder versuchen sollte, an einer Universität zum Studium angenommen zu werden. [61]

Franklins erstes Ziel in Nigeria war die Hauptstadt Abuja. Dort hielten er und Tom sich eine Woche in einem kleinen Hotel auf. Er beschrieb im Interview, wie er nach anfänglichen unangenehmen Begegnungen begann, wie ein Nigerianer zu sprechen, um nicht aufzufallen. Franklin nennt – im Unterschied zu den meisten anderen Interviewten – in seinem Bericht über seine Migrationsroute die Orte, durch die er kam und die auch der üblichen Route der westafrikanischen MigrantInnen über Nigeria nach Algerien entspricht. Von der Hauptstadt fuhren sie über die beiden Städte Kaduna und Kano mit dem Bus weiter in Richtung Nordosten und an die Grenze Nigeria-Niger. Bei der Einreise nach Niger präsentierten sie sich als Nigerianer und sagten, sie wollten einen Freund in Agadez (diese Wüstenstadt ist im Norden von Niger eine der großen Drehscheiben für die Migrierenden auf dem Weg nach Europa50)) besuchen – sie mussten den Grenzsoldaten Geld bezahlen, und wieder gelang ihnen der Grenzübertritt relativ problemlos. Ihr erster Aufenthaltsort in Niger war zunächst Zinder, wo sie ausgeraubt wurden. Sie blieben deswegen einen Monat, um auf Geld zu warten, das Franklins Vater mit dem Bargeldtransfer-Service Western Union schickt. [62]

Franklin erklärte, dass er sich in Niger nicht wohl gefühlt habe. Dort seien die Menschen alle Muslime, sie hörten nur muslimische Musik und niemand tränke Alkohol. Er beklagte sich auch über die hygienischen Verhältnisse und darüber, dass er an seiner Kleidung – Jeans und T-Shirt – immer gleich als "reicher Kameruner" identifiziert worden sei. Sie fuhren dann weiter durch die Wüste nach Arlit und hielten sich dort eine Woche auf, um auf den Transport durch die Wüste nach Algerien zu warten. Bis zur Ankunft in Tamanrasset, einer Oasenstadt im Süden Algeriens, waren sie mit einem Jeep zwei Tage in der Wüste unterwegs. Nach der Wüstendurchquerung blieben sie einen Monat in Tamanrasset und warteten erneut auf Geld, das ihnen Franklins Vater schickte. Neben diesem ökonomischen Kapital war es jedoch immer wieder auch Franklins hohe Kompetenz der differierenden Selbstdarstellungen, die ihm auf seiner Route half. In Algerien präsentierte er sich – wie auch Mohammed – als Malier, "because the Malians helped the Algerians in the war with France". Von Tamanrasset fuhren sie weiter nach Maghnia, dem Grenzort zwischen Algerien und Marokko. Sie hielten sich zwei Wochen dort auf, um – wie Franklin sagte – zu warten, bis sich genügend Migrierende für den organisierten Grenzübertritt gefunden hatten. Der erste Grenzübertritt nach Marokko scheiterte, sie wurden von marokkanischen Militärs aufgegriffen und zurück nach Algerien gebracht. Nach drei weiteren Tagen versuchten sie es erneut und waren diesmal erfolgreich. Sie kamen nun nach Oujda, eine marokkanische Grenzstadt. Dort hielten sie sich einen Monat in "La Fac"51) auf, einem Teil des Universitätscampus, auf dem sich ein großes informelles MigrantInnen-Camp befindet. Franklin sagte, dass er erst in Oujda von der Möglichkeit erfuhr, bei Nador die Grenze nach Melilla zu übertreten und so in die EU zu gelangen. [63]

Sie waren bis zu ihrer Ankunft in Marokko nirgends länger als einen Monat. Das ist eine relativ kurze Zeit, wenn man es mit den Berichten anderer Migrierender vergleicht, die teilweise an den einzelnen Orten ihrer Route über ein Jahr arbeiten mussten, um ihre Reise fortsetzen zu können. Ein bedeutender Grund dafür sind die sozialen Netzwerke, die Franklin nutzen konnte: Am Anfang der Reise überzeugte er Tom, sich mit ihm auf die Reise zu begeben und sein Geld zu teilen. Später (als dessen Geld gestohlen worden war) sendete sein Vater ihm Geld. Dass er auf diese Möglichkeit zurückgreifen konnte, spricht wieder für den relativ guten sozioökonomischen Status der Familie – trotz der inzwischen herrschenden Einschränkungen. Zudem hatte er einen Freund, der sich bereits in Marokko aufhielt und ihm und Tom telefonisch Ratschläge erteilte, wie sie ihre Reise fortsetzen sollten. [64]

Jede Grenze auf seinem Weg erforderte strategisches Vorgehen, häufig auch eine Bezahlung. Die erste Grenze, die Franklin nicht beim ersten Versuch überqueren konnte, war die algerisch-marokkanische. Es zeigte sich hier die zunehmende Illegalisierung und die Intensivierung der Grenzerfahrungen auf seiner Route. Franklin schilderte Algerien als ersten Ort, an dem Migrierende eine ausgeprägte Selbstorganisation nach Nationalitäten praktizierten: Sie leben in separaten "Ghettos", die jeweils einen "Chairman" haben, der die Führung der jeweiligen Gruppierung innehat und gegen Bezahlung die nächsten Migrationsschritte organisiert. Während Franklin seine Erfahrungen in Algerien recht positiv schilderte (er konnte dort arbeiten und Geld verdienen, es gab gutes Essen) und meinte, er hätte sich vorstellen können dort zu bleiben, verschlimmerte sich seine Situation deutlich mit seiner Ankunft in Marokko: Seine Schilderungen gewaltsamer Repression und starker gesellschaftlicher Ausgrenzung bezogen sich vornehmlich auf dortige Erfahrungen. [65]

Trotz seiner guten Informationen über die Migrationsroute scheint Franklin kaum ein Wissen über die spanische EU-Außengrenze gehabt zu haben. Er sagte über seine Ankunft in Nador, der marokkanischen Grenzstadt nahe Melilla:

"When I come to Nador I never knew this is how the border is. I just knew Nador is the border between Morocco and Spain and we have been crossing all that territories, like crossing from Cameroon-Nigeria and Nigeria-Niger, Niger-Algeria, Algeria-Morocco (I thought) here it is similar. … When I arrived in Nador, in Gourougou, that is where I have seen ..." [66]

In diesem Zitat wird eine Grenzkonzeption deutlich, die von seinen Erfahrungen auf der Route durch Westafrika geprägt ist: Grenzen sind mehr oder minder große Hürden, aber nicht unüberwindbar. [67]

Die spanische EU-Außengrenze stellt eine andere Dimension dar: Die Überquerung des Grenzzaunes erfordert monatelanges Warten, eine Zeit, in der man im Wald schläft und brutaler Polizeigewalt ausgesetzt ist. Weiterhin sind (meist) mehrere Versuche und eine (quasi-) militärische Organisation gemeinsam mit anderen Migrierenden notwendig, um überhaupt eine Chance zu haben. Dementsprechend beschrieb Franklin die Situation auf dem Berg Gourougou an der Grenze zur spanischen Exklave Melilla als die schwierigste seiner ganzen Reise. An dieser Stelle kontrastierte er seine dortigen Erfahrungen mit seinem Herkunftskontext:

"So I imagine myself, in Cameroon I live in a good house, my room has everything. I go to school; I take a bath twice a day. I go to nightclubs, I hang out with friends we go to a bar or drink or make noise, we dance. … When I come to Gourougou all that was just behind me so, can't go to the nightclub, you can't dance, you can't eat well." [68]

Auf dem Berg Gourougou lebte Franklin im "Ghetto" der anglophonen Kameruner52). Laut Franklin zahlten sie bei ihrer Ankunft 150 Dirham (ca. 15 €) an den "Chairman", den sie bis zu dem Tag nicht mehr sahen, an dem sie erstmals versuchten, den Zaun zu überqueren. Die Selbstorganisation der MigrantInnen ist sicher nicht frei von Strukturen der Ausbeutung. Es ist dennoch wichtig zu betonen, dass zunehmende Exklusion und Repression auf der Route diese Strukturen für die Migrierenden notwendig machen. Ein dichotomisierender Diskurs über "Schlepper" als Täter und (andere) Migrierende als deren Opfer greift deswegen zu kurz: Mangels erlaubter Alternativen sind praktisch alle Migrierenden auf verschiedenen Etappen der Reise auf mehr oder weniger gesetzwidrige Dienstleistungen angewiesen, für die sie bezahlen. [69]

Franklins Schilderungen des Lebens und Überlebens auf dem Gourougou ähneln vielen anderen Geschichten, die wir über diesen Ort gehört haben: Er musste in einem Loch schlafen und das Wichtigste war stets, dem marokkanischen Militär zu entkommen, das regelmäßig kommt, um im "Camp" Razzien durchzuführen. Bei diesen Razzien werden die Migrierenden häufig extremer Gewalt ausgesetzt und die provisorischen Zelte und Planen, in denen sie hausen, werden zerstört. Er erwähnte auch interne Konflikte, z.B. eine starke Rivalität mit den Maliern, die auf dem Gourougou geherrscht habe. Was Franklin aber wieder von vielen anderen unterschied: Es gelang ihm, sich Unterstützung zu organisieren. Er lernte in der Stadt einen Marokkaner kennen. Dieser ermöglichte ihm, jeden Tag zu seinem Haus zu kommen, dort zu duschen und für ein wenig Geld zu arbeiten. Der Mann kaufte ihm Kleidung und Franklin verdiente 50 Dirham (ca. 5 €), wenn er sein Auto wusch: "The guy is from Belgium, has lived all his life in Belgium so he mostly has a European culture he's not like the foolish Arabs." Diese Zuschreibung, die Rassismus und Ausgrenzung im arabischen Kontext verortet, während Europa humanistischere Werte praktiziere, findet sich in diesem und anderen Interviews häufiger. [70]

Insgesamt war Franklin ca. sechs oder sieben Monate auf dem Gourougou. Er brauchte letztlich drei Versuche, um den Zaun von Melilla zu überwinden:

"We were seriously beaten, then again, and sent to Rabat, to the capital … We have to come back … We organized something again and then we went – some of my friends were caught, sent to Rabat again, so after they come back we also organized again, after about a month we organized again, that's when I get in here." [71]

Er sagt, dass sie wieder verprügelt wurden und betont damit, dass er bereits vor dem ersten versuchten Grenzübertritt Gewalt durch die marokkanischen Sicherheitskräfte hatte erleben müssen. Wir nehmen an, dass er in dieser Situation – vermutlich gewaltsam – von Tom getrennt wurde. [72]

In Rabat53) organisierten Franklin und andere mit ihm Deportierte sich, um nach Nador und zum Berg Gourougou zurückzukehren – eine Strecke von 500 km, auf der sie mit Repressionen rechnen mussten. Beim zweiten Versuch scheiterte er wieder; es gelang ihm aber, den Sicherheitskräften zu entkommen, sodass er zumindest nicht nach Rabat geschickt wurde. Interessant ist an dieser Textstelle die starke Betonung der Selbstorganisation der Migrierenden: Franklin brauchte seine "Freunde", um den Angriff auf den Grenzzaun zu wagen und wartete deswegen auf deren Rückkehr, um den nächsten Versuch zu organisieren. Im Frühjahr 2014 waren sie erfolgreich und überquerten den Zaun nach Melilla. Die längste Erzählsequenz Franklins ist die über die Nacht, in der ihm (gemeinsam mit vielen anderen) der Grenzübertritt nach Spanien gelang:

"We arrive the last hiding place … He [the chairman] said are you all Cameroonians say yes … You guys are all lions so you have to fight like the lion right now so let's GO so when we one two three GO everybody get up start running towards the fence, start running towards the fence, we arrive the fence ...

When we started arriving in the CETI … start hearing bosa bosa bosa54). Every boy in the CETI … all the blacks, they stood up they … shout bosa bosa … that's how us all of us trace our way now to the CETI." [73]

Interessant an dieser Textstelle ist neben der Detailliertheit und Lebendigkeit der Erzählung, wie die – nur aus Kamerunern bestehende – Gruppe kurz vor dem Ansturm auf den Zaun vom Chairman eingeschworen wird ("fight like lions") und die sehr emotionale Erzählung der Ankunft in Melilla mit dem Weg zum CETI und den Bosa-Rufen der dort schon wohnenden "Schwarzen". Solch eine Solidarität, die Gruppierungen übergreifend funktioniert, schilderte er nicht als Selbstverständlichkeit. Er setzte sich an diversen Stellen im Interview von anderen Sprach- und Nationalitätengruppen (z.B. frankophone KamerunerInnen, NigerianerInnen, MalierInnen, mit denen es eine starke Konkurrenz gebe) ab. Der beste Moment seiner Reise sei der Moment gewesen, an dem er Melilla betreten habe, sagte Franklin. Zum Zeitpunkt des Interviews war er frustriert davon, in Melilla festzusitzen und beschrieb an verschiedenen Stellen die Omnipräsenz des Wartens. Während er vor seiner Abreise aus Kamerun und auf seinem Weg relativ autonome Entscheidungen getroffen und ein Gefühl von selbstbestimmter Handlungsfähigkeit hatte, schien er – wie viele andere Migrierende in Melilla und Ceuta – nun frustriert zu sein und diese vorübergehend verloren zu haben. In Melilla konnte er nichts tun, als auf den Transport zur Iberischen Halbinsel zu warten: "About this, about this camp, all I know is that I am just waiting for the day I will be released, and, and get the hell out of this place". [74]

Die ersehnte Abreise folgte einige Wochen nach unserem Interview. Franklin ist von Spanien aus zunächst nach Belgien gereist, wo er einen Freund hat. Von dort wurde er Ende 2014 aufgrund des Dublin-Abkommens55) wieder nach Spanien abgeschoben. Dort lebt er heute in einer Kleinstadt in der Nähe von Madrid und arbeitet als Gabelstaplerfahrer für eine Supermarktkette. In dem Telefoninterview mit Mahadi AHMED äußerte Franklin, dass er seine Familie vermisse und in Europa einen ihm zuvor unbekannten Rassismus erlebe. Außerdem bedauere er, sein Studium in Kamerun aufgegeben zu haben. Er hofft darauf, in Europa einen Aufenthaltsstatus zu bekommen, der es ihm erlaubt, hier ein Studium aufzunehmen. [75]

Die Rekonstruktion dieser Lebensgeschichte zeigt, dass Franklin sein Migrationsprojekt in relativ kurzer Zeit durchführte, wobei er auf sein soziales, kulturelles und auch durch seine Familienmitgliedschaft vermitteltes ökonomisches Kapital zurückgreifen konnte: Er nutzte bestehende und knüpfte neue Kontakte, die ihm hilfreich waren. Er hat ein sehr flexibles Eindrucksmanagement und weiß, an welchen Stellen er sich wie präsentieren muss. Diese Fähigkeit dient ihm – wie wir schon angemerkt haben – vermutlich auch dazu, seine traumatisierenden Erfahrungen auf der Reise (wie den Tod von Tom, für den er sich vielleicht mitverantwortlich fühlt) oder die in verschiedenen Situationen auf der Route (insbesondere in Marokko) sicherlich erlebte Todesangst vor anderen und vor sich selbst zu verdecken. [76]

3.3 Das Erleben von ethnopolitisch bedingter Diskriminierung aus einer innerfamilialen Außenseiterposition – der Migrationsverlauf des syrischen Kurden Maruf im Kontext des syrischen Bürgerkriegs

Auf den ersten Blick stellen sich sowohl die Bedingungen für den Grenzübertritt, die Lebensbedingungen in Marokko wie auch die gesamten Migrations- und Fluchtverläufe im Kontext eines fortlaufenden Bürgerkrieges für syrische Migrierende, die über Ceuta und Melilla nach Europa kommen, anders dar als für Mohammed und Franklin, die aus dem subsaharischen Raum hierher kamen. Wie bereits beschrieben, gelangen SyrerInnen überwiegend im alltäglichen "kleinen" Grenzverkehr in die Exklaven. Gleichzeitig sind sie keine einheitliche Gruppierung – die Vielfalt ethnischer, religiöser und sozioökonomischer Zugehörigkeiten, die den syrischen Herkunftskontext auszeichnet, findet sich auch unter den Migrierenden. Ebenfalls spielen politische oder auch generationale Differenzen unter ihnen eine große Rolle. Wie stark die kollektiven Zugehörigkeiten und die spezifische kollektiv- und familiengeschichtliche Positionierung in Syrien den jeweiligen Migrationsverlauf mitbedingen, werden wir am Beispiel der Biografie von Maruf verdeutlichen. Maruf war zum Zeitpunkt unserer ersten Begegnung etwa 20 Jahre alt, Kurde und kommt aus der syrischen Region um die Stadt Kobanê (arab. Ayn-al Arab) an der türkischen Grenze. Maruf steht für die "Generationseinheit" (MANNHEIM 1928; ROSENTHAL 2000) von jungen kurdischen Männern aus Syrien, bei denen Diskriminierungserfahrungen und fehlende bildungs- und berufsbezogene Perspektiven im Herkunftskontext im Zusammenspiel bzw. in einer (oft starken) Spannung mit den familialen Erwartungen an Bildungsaufstieg und gesellschaftliche Etablierung stehen. Bei Maruf fällt diese ausgesprochen schwierige Situation des Weiteren mit einer eher schwachen Position in der Herkunftsfamilie zusammen. Aus dieser Konstellation migrierte Maruf bereits zu Beginn der Proteste in Syrien im Jahr 2011 nach Algerien. Im Migrationsverlauf konnte er zwar immer wieder ein Netzwerkkapital mobilisieren, das auf familialen und ethnischen Zugehörigkeiten beruht, eine gesellschaftliche Etablierung aber nicht dauerhaft realisieren und war zudem immer wieder Gewalt- und Ausgrenzungserfahrungen ausgesetzt, weshalb er die Migration (letztendlich nach Europa) fortsetzte. [77]

Mit Maruf führten wir jeweils auf Arabisch zwei biografisch-narrative Interviews im Herbst 2014 in Melilla und einige Monate später – im Juni 2015 – ein drittes Interview in einer westdeutschen Kleinstadt. Zum Zeitpunkt der ersten Interviews war Maruf seit etwa drei Wochen in Melilla. Wir trafen ihn in einer Phase schwerer Gefechte zwischen Kämpfern der auf Kobanê vorrückenden dschihadistischen Gruppierung "Islamischer Staat" und vor allem kurdischen Milizen in Marufs Herkunftsregion. Zu dieser Zeit waren die meisten SyrerInnen in Melilla aus Kobanê, während sich zahlreiche Familienangehörige und Freunde – auch Marufs – noch unter Lebensgefahr in Kobanê aufhielten. Entsprechend war die Gegenwartsperspektive Marufs und vieler anderer syrischer KurdInnen in den Gesprächen mit uns sehr stark von der Sorge um Familienmitglieder und Bekannte sowie einer erheblichen Frustration durch die Migrationsbedingungen und die eigene Lage in Melilla bestimmt. Die empfundene Hilflosigkeit und Passivität in der Lagersituation verstärkte sich vermutlich auch und gerade durch die uns gegenüber häufig geäußerte Hoffnung, mit der Realisierung des eigenen Migrationsprojekts anderen Familienmitgliedern in ihrer lebensbedrohlichen Situation helfen zu können. Die Frustration artikulierte sich während unseres Aufenthalts unter anderem in zwei Demonstrationen von SyrerInnen, bei denen sie die Hilfe der internationalen Staatengemeinschaft für die Zivilbevölkerung in Syrien und die Ermöglichung ihrer Weiterreise sowie des Familiennachzugs forderten. [78]

An diesen Gruppenaktivitäten beteiligte Maruf sich nicht. Dabei war auch bei ihm das Gefühl von (verordneter) Passivität sehr ausgeprägt zu beobachten. In seinem Fall hatte das auch damit zu tun, dass er nicht im CETI untergebracht war. Laut seinen syrischen Reisedokumenten fällt seine Geburt in die späten 1990er Jahre, wobei sein tatsächliches Geburtsjahr vermutlich eher zu Beginn der 1990er Jahre anzusiedeln ist (dementsprechend war Maruf 2014 um die 20 Jahre alt). Aufgrund seines Reisepasses wurde Maruf einer Unterkunft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zugewiesen. Bis zur (administrativ anerkannten) Volljährigkeit hätte er damit noch zwei Jahre in Melilla bleiben müssen. Doch einige Wochen nach unseren Interviews gelang es ihm, sich als Volljähriger erneut zu registrieren, indem er den Ausweis eines älteren Bruders benutzte, den er sich hatte schicken lassen. Dies ermöglichte ihm auch den Transfer auf die Iberische Halbinsel und die Weiterreise nach Deutschland. [79]

Marufs Migrationsverlauf führte ab dem Sommer 2011 von Kobanê über Algerien, wo er drei Jahre überwiegend bei der Familie seiner Schwester lebte, über Marokko nach Melilla und schließlich nach Deutschland. Insgesamt ist auch sein Migrationsprojekt, dies zeigt die Einbettung in den gesamten biografischen Verlauf, auf eine sehr komplexe und konflikthafte Weise mit familien- und kollektivgeschichtlichen Prozessen verschränkt, die ihn wiederholt in eine Außenseiterpositionierung brachten. Damit sind erhebliche Folgen für seine gegenwärtigen Zugehörigkeitskonstruktionen und Handlungsmuster verbunden. Bei unseren Gruppengesprächen mit SyrerInnen in Melilla war Maruf eher zurückhaltend und sehr bedacht auf das, was er sagte. Er verfolgte eher ein vorsichtiges Beziehungsmanagement. Vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen in Syrien und im Migrationsverlauf war dieses darauf gerichtet, sich einerseits möglichst wenig in Abhängigkeitsbeziehungen zu begeben und sich andererseits nicht zu stark – nicht zuletzt mit seiner ethnischen Zugehörigkeit als Kurde – zu exponieren, um die Gefahr von Diskriminierung und gewaltsamen Übergriffen zu minimieren. Beides konnte und kann Maruf, zumal unter den erschwerten Bedingungen illegalisierter Migration, allerdings nicht immer bzw. jeweils nur kurzzeitig realisieren. Auch den schwierigen und mit Gewalterfahrungen verbundenen Grenzübertritt von Marokko nach Melilla evaluierte Maruf unter dieser Gesamtperspektive, also unter dem Gesichtspunkt der wahrgenommenen Unmöglichkeit, diskriminierungsfrei und mit gleichen gesellschaftlichen Partizipationschancen zu leben:

"sie schlugen mich auch an der Grenze zu Marokko zehn Mal wurde ich geschlagen … wir werden geschlagen ich sag es dir alle arabischen Länder haben Probleme und sie sind im Chaos du kannst nicht unter ihnen leben." [80]

Bemerkenswert an dieser Textstelle ist, dass Marufs Darlegungen zwischen der Kennzeichnung einer individuellen ("ich") und einer kollektiven Benachteiligung ("wir") wechseln. Die "individuelle" Schutzsuche und die Verbesserung seiner in vielerlei Hinsicht prekären und isolierten Situation stellt eine wesentliche Dynamik seines Migrationsverlaufs dar. Er konnte allerdings seine kurdische Wir-Gruppen-Zugehörigkeit im Migrationsverlauf immer wieder kurzzeitig als Ressource oder Kapital nutzen, sah sich aber auch aufgrund dieser ethnischen Zugehörigkeit (vor allem in arabischen Ländern) besonders gefährdet. Diese Gefährdung wurde dann auch in Deutschland wieder virulent für ihn, und hier konnte Maruf uns dann auch offener von den internen Konflikten und Machtdifferenzen innerhalb der syrischen "Community" erzählen. Die eigene gesellschaftliche Positionierung in Syrien und die Frage, mit welchem Bürgerkriegslager man sympathisiert(e), waren Themen, die in unseren Gesprächen mit SyrerInnen generell nur vorsichtig berührt wurden. Diese Themen wurden für Maruf in der Gegenwart des dritten Interviews in einer Sammelunterkunft in Deutschland erneut sehr belastend: Als Kurde befand er sich hier gegenüber anderen, arabischen SyrerInnen erneut in einer Außenseiterposition und versuchte tendenziell, seine kurdische Zugehörigkeit zu verheimlichen. Bestandteil seiner gegenwärtigen biografischen Gesamtsicht ist auch die Furcht vor ihm fremden Personen aus Syrien, die in einer familiären Verfolgungsgeschichte aufgrund der kurdischen Zugehörigkeit, aber auch der gegenwärtigen Bedrohung durch den "Islamischen Staat" begründet liegt. Hinzu kommt ein ausgesprochen schmerzhaftes und grausames Ereignis in seiner Familie. Maruf erfährt, als er bereits in Deutschland war, dass sein Vater von IS-Kämpfern hingerichtet wurde. Seine sich nun verstärkenden Todesängste vor Sympathisanten des sogenannten "Islamischen Staates" und die damit verbundenen Albträume sind nicht nur nachvollziehbar, sondern auch realitätsgerecht. Erst im zweiten und vor allem im dritten Interview erfuhren wir sehr viel über diese gegenwärtigen Ängste und damit verbunden von den in der Vergangenheit erlebten Diskriminierungen als Kurde. Die Rekonstruktion der Lebensgeschichte deutet darauf hin, dass die Verheimlichung und Offenlegung der kurdischen Zugehörigkeit ein konstantes, belastendes biografisches Spannungsfeld und dauerhaftes Thema für Maruf ist. [81]

Betrachten wir zunächst die kollektiv- und familiengeschichtliche Konstellation, in die Maruf hineingeboren wurde. Er wurde etwa 1993 in eine sunnitische, kurdische Familie geboren, die vermutlich seit mehreren Generationen in einem Dorf in dem mehrheitlich von KurdInnen bewohnten Grenzgebiet um die Stadt Kobanê lebte. Die in der Peripherie Syriens gelegene Region war infrastrukturell gegenüber den urbanen Zentren benachteiligt – die nächste Großstadt, Aleppo, ist ca. 150 km entfernt. Neben KurdInnen lebten in diesem Grenzraum – wenn auch in weit geringerer Anzahl – unter anderem SyrerInnen mit arabischer, turkmenischer und armenischer Zugehörigkeit und entsprechender Selbstbeschreibung. Historisch ist die Kobanê-Region eng mit den kurdischen Nachbargebieten in der Türkei verbunden, obwohl die Grenze im Zusammenhang mit den in den 1980er/1990er Jahren außerordentlich angespannten politischen Beziehungen zwischen der Türkei und Syrien offiziell geschlossen war. Das konflikthafte Verhältnis geht auf territoriale und ideologische Grenzziehungen56) während der Gründung der beiden Republiken (Türkei 1923, Syrien: erste Staatsgründung 1920, Gründung der Republik 1930 und Unabhängigkeit 1946) im Kontext der britisch-französischen Mandatszeit zurück. Die Entwicklung von Kobanê zu einer Stadt fiel ebenfalls in diese Zeit und wurde u.a. erst durch die Grenzziehung zwischen dem Mandatsgebiet, das später der Staat Syrien wurde, und der Türkei, also der Abtrennung der Region von den mehrheitlich kurdisch bewohnten Städten auf der türkischen Seite (wie z.B. die Stadt Cizre) zu einem regionalen Zentrum. [82]

Nicht nur für Marufs Familien- und Lebensgeschichte, sondern auch zum Verstehen der gegenwärtigen Entwicklungen in den kurdischen Gebieten gilt es, sich die besondere Positionierung von KurdInnen in Syrien zu vergegenwärtigen, und hier auch ihre Figuration mit den mehrheitlich kurdisch bewohnten Gebieten in den Nachbarländern Irak und Türkei zu betrachten. Die Positionierungen von KurdInnen in Syrien stellten und stellen sich ganz zentral in Bezug auf die (pan-) arabisch-nationalistische Selbstdefinition57) des syrischen Staates her, die für die Staatsgründung, den öffentlichen Diskurs und die Herrschaftsausübung in Syrien von großer Relevanz werden sollte. Kulturelle Artikulationsformen eines kurdischen Wir-Bildes, das Sprechen und Unterrichten der kurdischen Sprache und die Bildung von kurdischen Parteien waren und sind in Syrien verboten58). Bereits vor der Übernahme der Regierungsmacht durch die panarabisch-sozialistisch ausgerichtete "Baath-Partei", seit 1970 unter der Führung von Hafiz al-Assad, kam es in Syrien im Zuge der unruhigen, durch zahlreiche Putsche gekennzeichneten Phase der Gründung und der Etablierung der Arabischen Republik Syriens zur Benachteiligung von und z.T. auch zu Gewalt an KurdInnen (vgl. McDOWALL 2004, S.472). In den kurdischen Gebieten sind hier vor allem die Kampagnen der Aberkennung der Staatsbürgerschaft, Landenteignung und Besiedlungsprogramme zur gezielten Ansiedlung von AraberInnen in den kurdischen Gebieten in den 1960/1970er Jahren zu nennen. Nach dem Putsch 1971, in dessen Zuge Hafiz al-Assad Präsident wurde, kam es zur Festigung der Herrschaft und zu einer massiven Verfolgung von als separatistisch wahrgenommenen politischen Artikulationen ethno-religiöser Zugehörigkeiten. Dies betraf sowohl Gruppierungen des politischen Islams, aber auch kurdische oder einige palästinensische Gruppierungen sowie auch alle anderen oppositionell ausgerichteten oder als potenziell oppositionell wahrgenommenen gesellschaftlichen Kräfte. [83]

In den 1980er und 1990er Jahren, also im näheren zeitlichen Kontext von Marufs Geburt, betrafen die politischen Spannungen zwischen der Türkei und Syrien die kurdischen Gebiete in Syrien, als diese – wie auch der Libanon – Rückzugsgebiete für KämpferInnen und UnterstützerInnen der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) waren, die von der syrischen Regierung geduldet und z.T. unterstützt wurden (vgl. TEJEL 2009, S.75). Diese Politik änderte sich in den 1990er Jahren, vor allem als beide Staaten sich nach erheblichen Spannungen, allmählich einander annäherten, es zu einer Grenzöffnung und einem Handelsabkommen kam (vgl. PHILLIPS 2011). Dies hatte nun allerdings auch zur Folge, dass KurdInnen mit tatsächlicher oder zugeschriebener Nähe zur PKK in Syrien stärker verfolgt wurden (SCHMIDINGER 2014, S.96; vgl. auch MONTGOMERY 2005, S.134ff.). [84]

Marufs Kindheit in den 1990er Jahren fiel in eine Phase, in der es im Kontext dieser Entwicklungen zunehmend zu symbolisch-politischen Formen der Artikulation der kurdischen Zugehörigkeit im öffentlichen Raum in Syrien kam (vgl. TEJEL 2009, S.106f.), denen vielfach mit starker staatlicher Repression begegnet wurde. In der Familie wurde der kurdische Mehrheitsdialekt in dieser Region (Kurmancî) gesprochen. Mit der sunnitischen Zugehörigkeit befand sich Marufs Familie, anders als zum Beispiel Kurden jesidischen Glaubens59), zumindest nicht in einer mehrfachen, ethnischen und konfessionellen Außenseiterpositionierung. [85]

Einige Mitglieder von Marufs Familie – auch seine wesentlich älteren Brüder – waren vermutlich in kurdischen Parteien politisch aktiv, die zu dieser Zeit offiziell verboten, aber in manchen Kontexten von den Staatsbehörden geduldet waren. Einige Familienmitglieder verfügten nicht über die syrische Staatsbürgerschaft. Der Vater besaß einen Gemischtwarenladen im Dorf, einen Treffpunkt, an dem vermutlich auch über die politische Situation zumindest verhalten gesprochen wurde. Nicht unbedeutend für Marufs Sozialisation war auch, dass er in einer Familie aufwuchs, die unter den Kindern erhebliche Unterschiede hinsichtlich der historischen Generationen aufweist. Seine Eltern waren bei seiner Geburt schon verhältnismäßig alt (der Vater ca. 45 Jahre und die Mutter ca. 36 Jahre) und hatten bereits zwölf Kinder, denen sie – obwohl selbst ohne formalen Schulabschluss – einen deutlich ausgeprägten Bildungsauftrag gaben. Marufs ältester Bruder war bei dessen Geburt bereits ca. 20 Jahre alt und studierte arabische Literatur. Andere ältere Geschwister gingen zu dieser Zeit bereits nach der sechsjährigen Grundschule auf die weiterführende dreijährige Sekundarschule (die sowohl eine berufliche Qualifikation als auch das Bakkalaureat/Abitur zum Ziel hatte). Marufs Erzählungen über seine Kindheit weisen darauf hin, dass er innerhalb dieser Geschwisterkonstellation vermutlich eine wenig bedeutende Position im Familiensystem hatte und es auch zu gewaltsamen Übergriffen ihm gegenüber kam. [86]

Wir können davon ausgehen, dass erfolgreiche Bildungsverläufe und damit die Verbesserung der sozioökonomischen Position in Marufs Familie bedeutsam waren und eine erfolgreiche Bildungskarriere auch von ihm erwartet wurde. Derartige Verläufe waren im staatlichen Kontext Syriens trotz der genannten Benachteiligungen auch für Kurden zu dieser Zeit möglich (und nicht selten), soweit keine offene, schon gar nicht politisierte Betonung der kurdischen Zugehörigkeit und somit keine Distanzierung von der Regierung und der offiziellen (pan-) arabischen Staatsideologie erfolgte. Aus der zunehmenden Politisierung und Artikulation der kurdischen Zugehörigkeit in jenen Jahren, die sicherlich auch in seiner Familie präsent war, einerseits, und der notwendigen "geringen Betonung" dieser Zugehörigkeit zugunsten der familialen Erwartung der Erlangung einer gesellschaftlich etablierten Position oder gar eines gesellschaftlichen Aufstiegs anderseits, folgte für Maruf vermutlich ein Dilemma. Die unterschiedlichen parteipolitischen Zugehörigkeiten von Familienmitgliedern lassen vermuten, dass die Frage nach der Betonung der kurdischen Wir-Gruppen-Zugehörigkeit sowohl ein relevantes Konfliktthema in der Familie war, als auch ein generationales Thema für junge kurdische Männer wie Maruf darstellte. [87]

Marufs Kindheit fiel zudem in die Zeit einer kurzen politischen und zivilgesellschaftlichen Öffnung nach dem Tod von Hafiz al-Assad und der Nachfolge durch seinen Sohn Baschar im Jahr 2000, die allerdings nach wenigen Monaten zurückgenommen wurde. Vermutlich erlebte Maruf vor allem in der Schule, in der die kurdische Sprache und die Bezugnahme auf kurdische Geschichte und Kultur untersagt war, sehr bewusst die Benachteiligung. Auch kam es in seiner Adoleszenz in einigen Gebieten zunehmend zu Auseinandersetzungen zwischen kurdischen und arabischen SyrerInnen (z.B. die Qamishli-Unruhen 200460)). In diesem Zusammenhang und vor dem Hintergrund der Entwicklungen in den kurdischen Gebieten im Irak61) formierten sich in vielen mehrheitlich kurdisch bewohnten Städten Anfänge einer kurdisch-nationalistischen Jugendbewegung mit deutlicher politischen Forderungen und vergleichsweise expliziterer Kritik gegenüber dem "Regime" als aufseiten der "etablierten" kurdischen Parteien (SCHMIDINGER 2014, S.99). [88]

Maruf musste in der Kindheit und frühen Jugend miterleben, wie verschiedene Familienmitglieder vom syrischen Geheimdienst verhaftet und massiv gefoltert wurden. Auch in den Interviews war es für ihn sehr schwierig, über diese ausgesprochen belastenden Erfahrungen zu sprechen: So wurden einem Bruder vom syrischen Geheimdienst wegen des Verfassens kurdischer Texte die Hände abgeschlagen. Maruf erlebt auch mit, wie der Vater im Haus der Familie verhaftet und schwer verprügelt wieder entlassen wurde. Die kurdische Zugehörigkeit, so unsere Lesart, wurde vor diesem Hintergrund auch zu etwas Bedrohlichem. [89]

In diesem Kontext zogen einige von Marufs älteren Geschwistern aus dem in vielerlei Hinsicht peripheren Kobanê in die urbanen Zentren Aleppo und Damaskus (eine verheiratete Schwester zieht sogar nach Algerien), was im Sinne des familialen "Auftrags" sozialen Aufstiegs oder gesellschaftlicher Etablierung interpretiert werden kann. Auch arbeiteten zwei Brüder wie viele andere syrische ArbeitsmigrantInnen zeitweilig in den bis 2005 überwiegend syrisch kontrollierten Teilen des Libanon. Für Maruf stellte sich somit kurz vor Abschluss seiner schulischen Ausbildung also auch das Problem einer erfolgreichen gesellschaftlichen Etablierung. Angesichts des sehr hohen Anteils von Menschen unter 35 Jahren an der Gesamtbevölkerung Syriens62) entsprechen die mangelnden Ausbildungs- und Berufschancen und damit Optionen der Familiengründung einer generationsspezifischen Konstellation63). Wie bereits erwähnt, erlebte Maruf körperliche Gewalt, in der Phase seiner mittleren Adoleszenz wurde er von einem in Kobanê gebliebenen älteren Bruder geschlagen. Marufs ältere Geschwister hatten inzwischen nahezu alle einen Bachelorabschluss. Wir gehen davon aus, dass Maruf sich in einer familialen Außenseiterposition befand und dies auch Einfluss darauf hatte, dass er sich im Sommer 2011 – zu Beginn des syrischen Bürgerkrieges und vor Erlangung des dem Abitur ähnlichen Schulabschlusszeugnisses – entschied, zu seiner Schwester nach Algerien zu gehen. Wir vermuten insoweit, seine Migration wurde sowohl durch die familien- als auch durch die damalige politische und kollektivgeschichtliche Konstellation ausgelöst. [90]

Die Proteste und Demonstrationen in der südsyrischen Stadt Deraa im März 2011, mit denen der syrische Bürgerkrieg begann, breiteten sich rasch auf andere Städte aus – nicht zuletzt wegen der massiven polizeilichen Repression gegen die Demonstrierenden. Auch in den kurdischen Gebieten kam es zu Protesten (z.B. in Amude, Qamishli), wobei diese in Kobanê vermutlich gering blieben. Dennoch nehmen wir Marufs Ausreise zu diesem Zeitpunkt als einen Hinweis darauf, dass er sich gegen eine Mitwirkung in der entstehenden – wenn auch von sehr unterschiedlichen kurdischen AkteurInnen und Organisationen getragenen – politischen Bewegung entschied und damit versuchte, "individuelle" Handlungsmacht in einer kollektivgeschichtlich und in seinem familialen Kontext zunehmend prekären Situation wiederzugewinnen. Seine Perspektive auf den komplexen Wirkungszusammenhang seiner Migrationsentscheidung war im Interview auf der manifesten Ebene immer wieder etwas anders: Einmal standen die fehlenden Ausbildungs- und Berufschancen im Vordergrund – eine Rationalisierung, die er offenbar auch gegenüber FreundInnen und Familie schon genutzt hatte. Ein anderes Mal ging es stärker um innerfamiliale Konflikte und die Gewalt durch einen älteren Bruder. Erst nach mehrmaligem Nachfragen erzählte Maruf, dass er seine Entscheidung zur Migration auch als mit der Benachteiligung als Kurde zusammenhängend wahrnimmt. Insgesamt war er sehr vorsichtig, über die sehr belastenden eigenen und familialen politischen Verfolgungen zu sprechen, was vermutlich mit dem Belastungsgrad der Erfahrungen zusammenhängt, aber auch mit dem in Syrien erlernten Habitus, sich politisch nicht öffentlich zu positionieren. [91]

Offensichtlich konzeptualisiert Maruf seine Außenseiterposition als Kurde nicht nur in Bezug auf den syrischen Kontext, sondern sieht sich mit dieser ethnischen Zugehörigkeit generell in "arabischen" Ländern benachteiligt:

A. Albaba: "Kannst du dich an den Tag erinnern an dem du die Entscheidung getroffen hast Kobanê zu verlassen und nach Algerien zu deiner Schwester zu gehen?"

Maruf: "in Syrien gehst du zur Schule, also, du kannst kein Kurdisch sprechen, es war verboten zu sprechen, mein Freund ist kurdisch er war kurdisch wenn du mit ihm redest war es verboten Kurdisch zu sprechen nur Arabisch ... es gab weder Rechte noch Freiheit ... es gab mehr Probleme als du dir vorstellen kannst, weil die Herrschaft war in den Händen der Syrer also Araber, und in Syrien es war wir hatten Angst zu sagen dass wir Kurden sind." [92]

Marufs Migration war zu diesem Zeitpunkt, die finanziellen Mittel für das Flugticket vorausgesetzt, mit einem syrischen Pass relativ leicht zu realisieren. Visumsbeschränkungen für Reisen nach Algerien wurden erst im Zuge der zunehmenden Migration von SyrerInnen im Frühjahr 2015 eingeführt. Wie bei vielen anderen syrischen Flüchtenden war sein Migrationsprojekt zu diesem Zeitpunkt nicht in erster Linie darauf angelegt, Algerien als Transitroute nach Europa zu nutzen. Vielmehr war Algerien eine innerhalb seiner bestehenden informellen (in diesem Fall familiären) Netzwerke eine praktisch gut realisierbare Option, sich in Sicherheit zu bringen und seine Lebenssituation zu verbessern.64) Und er hatte mit der Familie seiner dort lebenden Schwester eine geeignete Anlaufstation. Für SyrerInnen existierte und existiert in Algerien zwar weder eine staatliche noch eine durch den UNHCR (das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen) geregelte Asyl- und Flüchtlingspolitik. Allerdings existierten damit korrespondierend auch kaum staatliche Zugriffs- und Kontrollmechanismen (z.B. in Form von Flüchtlingslagern)65). Staatliche Bildungsangebote konnten von SyrerInnen ebenso wahrgenommen werden wie von algerischen StaatsbürgerInnen, auch formale Regulierungen des Wohnungs- und Arbeitsmarktes existierten kaum. Daraus resultierte zwar prinzipiell eine prekäre Positionierung, aber eben auch eine, die unter (individuell) günstigen Umständen – und vor allem innerhalb informeller Netzwerke – gesellschaftliche Partizipation und somit gesellschaftliche Etablierung ermöglicht. Die Abwesenheit von starken Kontrollen trugen hierzu ebenso bei wie ein zum Zeitpunkt von Marufs Migration vermutlich geringes Maß an ausgrenzenden Diskursen über SyrerInnen in Algerien, die Personen wie Maruf nicht automatisch in eine stark ausgeprägte Außenseiterposition bringen. [93]

Maruf kam im Sommer 2011 zunächst im Haus seiner Schwester und seines Schwagers unter und konnte seine Bildungskarriere fortsetzen. Allerdings misslang die Wiedererlangung von Handlungsmacht durch die Migration: Im Haushalt seiner Schwester wurde er von deren Ehemann wiederholt geschlagen, verließ die Familie nach etwa 1½ Jahren und lebte für eine kurze Zeit auf der Straße. Nur kurzzeitig fand er eine Arbeitsgelegenheit. Somit war Maruf wiederum in einer gesellschaftlich ausgegrenzten und ökonomisch prekären Lage. Zur Bearbeitung dieser Krisensituation konnte er zwar kurzzeitig seine religiöse Zugehörigkeit mobilisieren: Er besuchte hin und wieder Moscheen und wurde in eine islamische Hilfsorganisation, eine Art Internat66), aufgenommen. Trotz seiner ausgegrenzten Position setzte er so seine Bildungskarriere fort und erreichte das Bakkalaureat. Im Alltag machte Maruf allerdings wiederholt die Erfahrung, dass seine muslimische Zugehörigkeit infrage gestellt wurde, vor allem, wenn er zu erkennen gab, dass er Kurde sei. So erzählte Maruf, wie ihm von einem Algerier vorgeworfen wurde, er gehe nur in die Moschee, um zu betteln, und dass er von algerischen Mitschülern im Internat geschlagen und bestohlen worden sei. Er selbst evaluierte die Zeit in Algerien wie folgt:

"das algerische System ist so ähnlich wie das syrische System … das System läuft über Beziehungen … ich wurde wie ein Dieb behandelt … vor dem Krieg hätten sie sich gewünscht mit einem Syrer zu sprechen aber jetzt hat es sich verändert … warum hassen sie die Syrer? es gibt Bettler, die sagen, dass sie Syrer sind, diese 'Ghajar' machen viele Probleme, auch hier im CETI, sie zerstören den Ruf der Syrer." [94]

Diese Sequenz verdeutlicht ein zentrales Problem von Maruf in Algerien: der Mangel an sozialem Kapital vor allem durch die räumliche Trennung von und teilweise gewaltsame Exklusion aus seinen familialen Netzwerken und die daraus resultierende Isolierung. In diesem Zusammenhang ist seine Argumentation zu den "Ghajar" interessant. Dieser arabische Begriff ist eine abwertende Bezeichnung für Mitglieder der ethnischen Gruppierung der Nawar oder Dom (ähnlich wie die Bezeichnung "Zigeuner" für die Roma und Sinti). Diese befinden sich in vielen Ländern des Nahen Ostens häufig in einer extremen gesellschaftlichen Außenseiterposition, die sich u.a. über antiziganistische Stigmatisierungen herstellt (SCHMIDINGER 2014, S.28). Diese Abwertung von Angehörigen dieser ethnischen Gruppierung ist uns in Melilla in vielen Gesprächen mit SyrerInnen begegnet. Dabei stand meist die Befürchtung im Vordergrund – wie auch in Marufs Aussage – "die Dom" würden der Reputation von SyrerInnen schaden. Diese stigmatisierende Abgrenzung kann (zugleich) auch als Auseinandersetzung mit den vielen strukturellen Unsicherheiten dieser Migrationsverläufe und mit der Gefahr, im Zuge der illegalisierten Migration (z.B. durch exkludierende Diskurse über Flüchtlinge, undurchsichtige Verfahren im Asylsystem) zu AußenseiterInnen zu werden, gelesen werden, denen man ein einheitliches und homogenisierendes Wir-Bild der "guten" SyrerInnen entgegensetzt. Auch im Fall Maruf ist dieses Fremdbild der Dom, so unsere These, Teil eines Stigmamanagements (GOFFMAN 1967): Er bearbeitete seine in vielerlei Hinsicht prekäre Lage (in diesem Fall in Algerien), indem er sich als Mitglied einer nicht stigmatisierten Gruppe, der guten SyrerInnen, sah und gesehen werden wollte. [95]

Im Alltag eignete sich diese syrische Zugehörigkeit in seinen Jahren in Algerien allerdings nur sehr begrenzt als ein Kapital, um seine Außenseiterposition zu bearbeiten. Zudem machten es die zuvor geschilderten Verfolgungserfahrungen als Kurde in Syrien und die zunehmenden Gefechte mit dem IS in den kurdischen Gebieten für Maruf schwer, in einem arabisch-sunnitisch dominierten Kontext und innerhalb von Abhängigkeitsbeziehungen, die er über seine sunnitische Zugehörigkeit hergestellt hatte (z.B. im "Internat") zu verbleiben. Eine Rückkehrperspektive gab es durch den eskalierenden Bürgerkrieg in Syrien, der eine Bedrohung für verbliebene Familienmitglieder darstellte, für Maruf ohnehin nicht, während sich gleichzeitig die Versorgungslage in Algerien (wohl u.a. durch die Zunahme syrischer Migrierender) verschlechterte.67) Vermutlich entstand so für Maruf (und SyrerInnen in einer ähnlichen Lage) ein erneuter "Migrationsdruck". Zumindest jene, denen es nicht gelang, sich in Algerien zu etablieren, entschieden sich häufig, die Migration fortzusetzen. [96]

Maruf verließ Algerien im Herbst 2014, um über Melilla nach Europa zu reisen. Die Grenze zwischen Algerien und Marokko war bereits zu diesem Zeitpunkt – vor allem in Folge des Konflikts um die Westsahara – offiziell geschlossen. Die lange und schwer zu kontrollierende Grenze ließ sich (für SyrerInnen) mithilfe von "Schmugglern" allerdings relativ leicht überqueren. In Marokko kam Maruf zunächst bei einem Bekannten aus Kobanê unter, bevor er in die Grenzstadt Nador reiste. Entscheidend für seine Positionierung in Marokko war vor allem, dass er als Syrer wahrgenommen wurde. Die Situation für Migrierende aus Syrien unterscheidet sich fundamental von der Situation Mohammeds oder Franklins: Während Schwarze Migrierende häufig einem Prozess der Illegalisierung und Exklusion ausgesetzt sind, wird die Anwesenheit von SyrerInnen zumindest geduldet. Auch in Marokko existierten kaum staatliche Programme des "Flüchtlingsschutzes"68), aber für Migrierende aus Syrien (oder anderen arabischen Ländern) relativ günstige informelle Möglichkeiten, "sich durchzuschlagen". [97]

Es dürfte deutlich geworden sein, dass sich für jemanden wie Maruf die einzig verfügbare Option, in die EU zu reisen, innerhalb informeller Netzwerkbildungen organisiert. Diese Netzwerke bauen wiederum auf familialen, regionalen und ethnischen Zugehörigkeiten auf. In Marokko hatte er als syrischer Migrant wie in Algerien zwar zumindest keine direkte Verfolgung zu erwarten, aber seine Situation war mit recht begrenzten ökonomischen und sozialen Ressourcen eben doch sehr prekär. So wurde er ausgeraubt, eine Gefahr, von der auch andere Migrierende in Melilla immer wieder erzählt haben. Allerdings gelang es ihm, den syrischen Pass zu verstecken, der entscheidend für seine Chance war, in der EU ein Bleiberecht zu erlangen. [98]

Trotz der informellen Duldung in Marokko und entgegen anderslautender Aussagen von Vertretern des spanischen Grenzschutzes (der Guardia Civil) ist es für SyrerInnen nicht möglich, die Grenzen nach Melilla und Ceuta einfach zu überqueren bzw. an der Grenze Asyl zu beantragen. Die bereits beschriebene Option, sich als MarokkanerIn auszugeben, einen falschen Pass (sowie Informationen zum Grenzübertritt) zu kaufen und Bestechungsgeld zu zahlen, setzt SyrerInnen der Gefahr der Ausbeutung und der Enttarnung – sowohl durch den marokkanischen als auch durch den spanischen Grenzschutz – aus, die auch mit Gewalterfahrungen verbunden sein kann. Auch bedarf es ökonomischer Ressourcen, die für viele der Migrierenden kaum aufzubringen sind. Bereits im Verlauf unserer bisherigen Datenerhebung ist, auch mit der starken Zunahme syrischer Migrierender auf dieser Route, der Bestechungspreis marokkanischer Grenzsoldaten mittlerweile von kleineren Geldbeträgen auf etwa 1.000 Euro pro Person gestiegen (so zahlreiche Aussagen von SyrerInnen in Melilla). Dieses Grenzregime macht es z.B. für SyrerInnen, die mit vielen Familienmitgliedern und Kindern migrieren, sehr teuer, riskant und auch schwieriger, da sie sich weniger gut unentdeckt im täglichen Grenzverkehr bewegen können. [99]

Gewalt durch Enttarnung an der Grenze musste auch Maruf erleiden: Seine Versuche, sich am Grenzübergang mit einem falschen Pass als Marokkaner auszugeben, scheiterten mehrfach – eine zudem entwürdigende Prozedur, die es erforderlich machte, seine tatsächliche Zugehörigkeit zu verstecken. Zweimal wurde er von der marokkanischen Grenzpolizei entdeckt und geschlagen, ein drittes Mal – so erzählt er – wurde er auf spanischer Seite verhaftet und – rechtswidrig – nach Marokko abgeschoben:

"am Grenzübergang habe ich gemerkt, dass die Marokkaner schmutzige Kleidung, tragen, also habe ich auch welche angezogen, am nächsten Tag kam ich wieder, ich hatte Angst, aber ich bin durch und bin gerannt, aber sie haben mich gefangen am Tor zum CETI, haben mich nach Marokko zurückgebracht." [100]

Bei einem weiteren Versuch schaffte Maruf den Übertritt im Grenzverkehr marokkanischer ArbeiterInnen. Maruf machte sich derweil aufgrund der anhaltenden Kämpfe in seiner Herkunftsregion große Sorgen um seine Familie und hatte durchaus – wie viele syrische Migrierende – die Vorstellung, dass es ihm mit einem Schutzstatus und einer Arbeit in Europa gelingen könnte, dieser zu helfen. Diese Hoffnung verstärkte den Druck auf eine zügige Etablierung. Die besten Chancen sah er in Deutschland, wohin er bereits nach einigen Monaten vor allem über die Vernetzung mit kurdischen Bekannten und durch die Unterstützung von Menschen mit kurdischer Zugehörigkeit migrieren konnte. Hier beantragte Maruf Asyl und fiel unter die seit dem Herbst 2014 zeitweilig geübte Verwaltungspraxis der überwiegenden Zuerkennung eines Flüchtlingsstatus für SyrerInnen. Insofern profitiert Maruf von der gegenwärtigen diskursiven Formation in Deutschland, die eher auf Anerkennung des Flüchtlingsschutzes für SyrerInnen gerichtet ist und insofern scharf mit dem auf Ausschluss und Nicht-Anerkennung gerichteten rassistischen Diskurs über Schwarze, afrikanische Migrierende kontrastiert. Dass dieser Diskursvorteil fragil und umkämpft ist, zeigen die Debatten um das sogenannte Asylpaket II im Herbst 2015 und die politische Entscheidung, Migrationskontrollen an den europäischen Außengrenzen auch für SyrerInnen zu verschärfen sowie der Streit um den Familiennachzug. [101]

Aufgrund vieler struktureller Hürden war die Erlangung einer halbwegs ungefährdeten Position in Deutschland schwierig. So wurde Maruf einem Wohnheim in einer westdeutschen Kleinstadt zugewiesen, wo er mit ihm unbekannten SyrerInnen zusammenlebt. Wie oben bereits angedeutet, erlebt Maruf sich hier erneut in einer Außenseiterposition. Fehlende Ausbildungsmöglichkeiten führen dazu, dass Maruf eine prekäre, illegalisierte Beschäftigung aufnimmt. Der Bürgerkrieg in Syrien und die schwierige Lage in den kurdischen Gebieten – obgleich der überwiegende Teil von ihnen mittlerweile unter Kontrolle kurdischer Organisationen steht – machen eine Rückkehr gegenwärtig nahezu unmöglich. Zudem sind fast alle seiner verbliebenen Familienmitglieder mittlerweile in die Türkei oder andere Länder migriert. [102]

Die Rekonstruktion der Lebensgeschichte von Maruf verdeutlicht, dass sein Migrationsprojekt zunächst nicht darauf gerichtet war, nach Europa zu gelangen. Vielmehr erfolgte seine Migration aus einer sich für Maruf verstärkenden, kollektiv- und familiengeschichtlich bedingten Außenseiterpositionierung in Syrien und richtete sich auf den Aufbau einer Bildungs- und Berufskarriere in einem handlungspraktisch recht leicht zu erreichenden anderen Land (Algerien). Für Maruf realisierten sich diese Ziele dort aber nicht und er geriet (u.a. aufgrund eines innerfamilialen Konfliktes) erneut in eine starke Außenseiterposition. Diese Positionierung ist für Maruf vor allem aufgrund massiver Diskriminierungserfahrungen als Kurde in seiner Biografie und Familiengeschichte sehr bedrohlich und motiviert so erneut eine Fortsetzung seines Migrationsprojekts. Deutlich wurde auch, dass es Maruf erst im Kontaktverlauf mit uns und mit einem zunehmendem Aufbau von Vertrauen gelang, sich seinen sehr belastenden Erfahrungen im Zusammenhang mit staatlicher Gewalt gegen Familienmitglieder in Syrien und den innerfamilialen Gewalterfahrungen in Algerien zuzuwenden. [103]

4. Resümee

Wenn wir darauf zurückschauen, wie wir die biografischen Verläufe und Selbstpräsentationen der in diesem Beitrag vorgestellten Migranten nach den von uns geführten Interviews und einer ersten, noch relativ oberflächlichen Analyse gesehen haben, können wir feststellen, dass sich unsere Perspektive im Laufe der Zeit erheblich veränderte und wir während der Auswertung immer wieder gezwungen waren, unsere Annahmen in Zweifel zu ziehen. Sicherlich würden wir heute weit mehr im Dunkeln stehen, hätten wir nicht die Möglichkeit zu Nachgesprächen genutzt und uns nicht für zeitintensive Erhebungen und Auswertungen entschieden, zu denen auch etliche historische Recherchen gehörten – die wir teilweise aus Gründen des Datenschutzes nicht ganz offenlegen können. M.a.W., wir sind der Ansicht, der Aufwand hat sich gelohnt. Ohne diesen Aufwand hätten wir kaum die stark homogenisierenden Bilder im Diskurs über Migrierende auflösen und auch nicht erklären können, was zum Beispiel dazu geführt hat, dass Franklin sein Studium abgebrochen und sich auf den Weg nach Europa gemacht hat. Wir hätten ihn in erster Linie als einen Bildungsabsteiger in seiner Familie gesehen. Wir hätten bei ihm, wie auch bei Mohammed, völlig übersehen, dass sein Migrationsverlauf durch ein Aufbegehren gegen die gesamte, auch die politische (d.h. immer auch ökonomische) Situation in seinem Herkunftsland mitbedingt ist und dies vielleicht Ausdruck eines zunehmenden "politischen" Bewusstseins seiner Generationseinheit ist, die Zugang zu einer universitären Karriere hat(te). Darüber hinaus waren wir zunächst von seinem Identitätsmanagement und seiner Selbstpräsentation als handlungsmächtiger Migrant in gewisser Weise geblendet und hatten seine traumatischen Erlebnisse nicht wahrgenommen. Fatalerweise fügt Franklin sich mit diesem Identitätsmanagement in das in den europäischen Diskursen herrschende Bild über Afrikaner (ein Diskurs, der sich in erster Linie auf die Männer bezieht), die schlicht aus "ökonomischen" Gründen ihr Land verlassen und einfach nur von einem besseren Leben träumen. Bei diesem Bild wird im Allgemeinen übersehen, dass die Herkunftsländer dieser Migrierenden nur eine geringe bis keine strukturelle Differenzierung zwischen den Lebenssphären "Politik" und "Ökonomie" (oder "Religion" oder "Recht") aufweisen. Deshalb schon ist der Begriff "Wirtschaftsflüchtling" eine Projektion der Verhältnisse verwestlichter Gesellschaften auf solche, in denen es in weit geringerem Maße eine Autonomie der Wirtschaftssphäre gegenüber politischer Macht oder gegenüber religiösen Normen und Führern gibt. Bei diesem Bild von den "Wirtschaftsflüchtlingen" wird auch ausgeblendet, wie es dazu kommt, dass jemand sich auf einen lebensgefährlichen, extrem schwierigen und langen Weg macht, der auch einiges an Geld erfordert und den sich meist nur Menschen mit einem gewissen ökonomischen und auch kulturellen Kapital – z.B. mit relativ guter Schulbildung – leisten können. [104]

Auch Mohammed könnten wir bei einer oberflächlichen Analyse unter dieses Bild subsumieren, insbesondere dann, wenn wir nur das erste mit ihm geführte Interview vorliegen hätten, in dem er sein geringes Einkommen und seine schlechten Berufsaussichten als Gründe für sein Weggehen nannte. Auch unsere Recherchen zu den Soninke könnten weiterhin das Bild von ihm als einem Migranten verfestigen, der entsprechend der langen Tradition seiner Gruppierung, die Erwartung einer zeitweisen Arbeitsmigration nach Frankreich befolgte. Wir hätten dabei übersehen, wie sehr er unter der politischen Situation Mauretaniens litt bzw. diese – u.a. in den letzten Schuljahren – zu reflektieren begann, sich der dort herrschenden Diskriminierung und Machtlosigkeit der Schwarzen Bevölkerung nicht weiterhin unterwerfen wollte, jedoch keine Chance für eine Veränderung dieser Situation sah. Mohammed repräsentiert damit eine Generation von Schwarzen Menschen in Mauretanien, die vermutlich verstärkt beginnen wird, sich gegen das herrschende System zu wenden. So meinte er in einem informellen Telefonat mit Mahadi AHMED im Juni 2016: "Wir müssten in unseren Ländern bleiben und für unsere Völker (damit meint er die Gruppierungen der Schwarzen Menschen) kämpfen." [105]

Bei Maruf hätten wir übersehen, dass sein Verlauf nicht einfach unter die homogenisierende Kategorie "Bürgerkriegsflüchtling aus Syrien" zu subsumieren ist, wie deutlich er und seine Familie von der restriktiven Politik gegen KurdInnen in Syrien betroffen waren, und wie sehr seine Generation in den angestrebten Bildungskarrieren behindert wurde. An diesem Fall lässt sich auch zeigen, wie das Ziel, nach Europa zu gehen, sich erst in der Sequenzialität des Migrationsverlaufs herausbildete, als sich für Maruf kollektivgeschichtliche (als Kurde) und "individuelle" (im Familiensystem) Ausgrenzungserfahrungen sowie eine verhinderte gesellschaftliche Etablierung im Migrationsverlauf aufschichteten. [106]

Insgesamt dürfte deutlich geworden sein, dass die MigrantInnen, denen der Übertritt der Grenze von Marokko nach Ceuta oder Melilla ohne Einreisegenehmigung gelang, je nach Herkunftsland bzw. Herkunftsregion und je nach Zeitpunkt ihrer geplanten Grenzübertritte sehr unterschiedliche Migrationsrouten zurückgelegt haben. Sie mussten dabei bereits mehrere staatliche und regionale Grenzen – zum Teil auf legalem Weg, zum Teil mit großen Hindernissen und Gefahren – überqueren. Je nach den jeweiligen Grenzen benötigten sie hierfür nicht nur unterschiedliches ökonomisches, kulturelles und soziales Kapital, sondern sie mussten aus Sicherheitsgründen zum Teil ihre Selbstpräsentationen hinsichtlich ihrer kollektiven Zugehörigkeiten je nach Region und Grenze verändern, wie wir anhand der Migrationsrouten von Mohammed und Franklin aufzeigen konnten. Die MigrantInnen aus den subsaharischen Ländern lassen fast ausnahmslos auf ihrer Route ihre Ausweise zurück, um sich an verschiedenen Grenzen oder auch bei Überfällen von Rebellengruppen als Angehörige einer anderen Gruppierung oder Nationalität präsentieren zu können, und um beim Eintritt nach Spanien nicht ohne Weiteres ausgewiesen und in ein angeblich für sie sicheres Herkunftsland abgeschoben werden zu können. Die jeweiligen Kontexte auf ihrer Route erfordern es, sich immer wieder mit anderen nationalen oder religiösen oder ethnischen Zugehörigkeiten zu präsentieren – wobei sprachliche Kompetenzen und entsprechende Informationen eine wesentliche Rolle spielen. Nicht nur ist dies für die Überschreitung von staatlichen Grenzen erforderlich, sondern in bestimmten Regionen – z.B. im Norden von Mali oder von Nigeria – überlebensnotwendig. Um an die Grenze zu den spanischen Exklaven zu gelangen, müssen Routen mit ganz unterschiedlichen Gefahren durchquert werden. Die MigrantInnen kommen dabei in Länder, in denen sie weitaus mehr akzeptiert werden als in anderen oder aber aufgrund ihrer ethnischen oder religiösen Zugehörigkeiten lebensgefährlich bedroht werden – vor allem von den verschiedenen Rebellengruppen in Nigeria oder Mali. Für die SyrerInnen war dagegen meist ihr Weg innerhalb des eigenen Landes mit den größten Gefahren verbunden, da sie von den unterschiedlichen, im Bürgerkrieg kämpfenden Gruppierungen hätten getötet werden können. Da sich diese Gefahren und Hindernisse gerade im Laufe der letzten Jahre ständig veränderten, waren und sind die MigrantInnen immer wieder auf Informationen über diese Veränderungen – auch über die Schließung von Grenzen – angewiesen69). [107]

Von Schwarzen MigrantInnen wird häufig die Grenzüberschreitung in von "Arabern" oder "Weißen" dominierte Gesellschaften als sehr einschneidend erlebt, und manche von ihnen machen zum ersten Mal in ihrem Leben die Erfahrung, aufgrund ihrer Hautfarbe diskriminiert zu werden. Dies wurde in unseren Interviews immer wieder angesprochen – wiederholt mit der Geste des Streichens über den Arm und mit der Bemerkung: "Wegen der Farbe unserer Haut werden wir diskriminiert." Wie auch andere von uns Befragte, sagt uns Mohammed, dass sich die "Araber" in Nordafrika nicht als AfrikanerInnen verstünden und meint: "Es gilt die schwarze Farbe; alle Schwarzen heißen 'Afrikaner'", und deshalb sei es für ihn schwer gewesen, in Algerien oder Marokko Arbeit zu finden. Dagegen erleben manche der kurdischen SyrerInnen auf ihrer Migrationsroute, dass sie gerade aufgrund ihres Kurdischseins von Angehörigen anderer Gruppierungen bevorzugt oder höflich behandelt werden. Wir können annehmen, dass für die MigrantInnen die Frage nach ihren kollektiven Zugehörigkeiten und deren sich ständig wandelnden Bedeutungen – bereits im Herkunftsland, dann auf der Migrationsroute und auch in den unterschiedlichen Settings in Europa – eine wichtige biografische Relevanz gewinnt und mit zunehmenden Loyalitätsproblemen gegenüber den Wir-Gruppen, denen man sich zugehörig fühlt, verbunden ist. Dieses Durchqueren von verschiedenen Räumen der Zugehörigkeit, verbunden mit stets variierenden Fremdbildern und Selbstpräsentationen, das Joanna PFAFF-CZARNECKA (2012) als "biographische Navigation" diskutiert, wird von den illegalisierten MigrantInnen, die wir in diesem Beitrag vorgestellt haben, weniger als Eröffnung neuer Handlungsräume als vielmehr als existentiell notwendig erlebt. [108]

Danksagung

Für die vielen theoretischen Anregungen und kritischen Hinweise von Artur BOGNER zu diesem Beitrag herzlichen Dank. Ebenso danken wir Mahadi AHMED für seine wichtigen Rückmeldungen und Isabella ENZLER und Katharina TEUTENBERG für die sorgfältige Korrektur.

Anmerkungen

1) In diesem von Gabriele ROSENTHAL geleiteten vergleichenden DFG-Forschungsprojekt (siehe RO 827/19-1; https://www.uni-goettingen.de/en/477891.html [Zugriff: 22. Juli 2016]) forschen neben uns als AutorInnen auch unsere israelischen KollegInnen Efrat BEN-ZE'EV und Nir GAZIT zur Grenze zwischen Israel und Ägypten. Der kontrastive Vergleich dieser beiden Grenzräume dient der Rekonstruktion von Gemeinsamkeiten und Unterschieden in den Konstruktionen und den praktischen Vollzugswirklichkeiten von Grenzen. <zurück>

2) Alle Namen und weitere Personenangaben sind aus Gründen des Datenschutzes maskiert und zum Teil auch leicht verändert. <zurück>

3) Wir möchten mit der Großschreibung der Begriffe "Schwarz" und "Weiß" hervorheben, dass es sich dabei um soziale Differenzkategorien als Teil rassistischer Praktiken einerseits und politisch gewählte Selbstbezeichnungen innerhalb der Kämpfe gegen diese Praktiken andererseits handelt. <zurück>

4) CETI (Centro de Estancia Temporal de Inmigrantes) ist die offizielle Bezeichnung für die Aufnahmelager für MigrantInnen, die Spanien über die Exklaven und autonomen Städte Ceuta und Melilla erreichen. <zurück>

5) Zur Verbindung der beiden Theorietraditionen und auch der methodischen Umsetzung siehe u.a. BOGNER und ROSENTHAL (2012, im Druck a, im Druck b); RADENBACH und ROSENTHAL (2012) sowie ROSENTHAL (2010). <zurück>

6) Anders als der Begriff "illegal" verweist illegalisiert stärker auf den Vollzug von sozialen Ausschlusspraktiken als historisch sich wandelndes Prozessgeschehen, in dem bestimmte Migrationsprozesse als illegal deklariert werden. Es geht darum, darauf hinzuweisen, dass "illegale" Migration durch (rechtliche) Diskurse und Regierungspraktiken, die das Verhältnis Migrierender zum Staat regulieren sollen (vgl. DE GENOVA 2002) und durch eine Vielzahl von AkteurInnen (u.a. Polizei, Medien, NGOs) hervorgebracht wird (vgl. ANDERSSON 2014). <zurück>

7) Bisher gelang es uns neben der Erhebung von 24 biografisch-narrativen Interviews mit illegalisierten Migranten nur drei Migrantinnen (zwei aus Syrien, eine aus Guinea) und zwei junge Mädchen aus Syrien zu interviewen. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass bei unseren bisherigen Feldaufenthalten immer weitaus weniger Frauen als Männer in den Aufnahmelagern in Melilla und Ceuta waren. In Melilla erhöhte sich – ganz im Unterschied zu Ceuta – im Laufe des Jahres 2014 die Zahl von Frauen durch die Ankunft von aus Syrien geflüchteten Menschen. Laut einem Amnesty-Bericht von Juni 2015 waren von 1.263 Personen im CETI in Melilla 474 Frauen und davon 422 aus Syrien. Dagegen waren im Februar 2015 im CETI in Ceuta von 597 Personen nur 28 Frauen und davon nur 2 aus Syrien (vgl. AMNESTY INTERNATIONAL 2015). <zurück>

8) 85% der Menschen im CETI waren im März 2014 aus subsaharischen Ländern. Die meisten von ihnen kamen aus Mali und Guinea-Conakry. Vgl. hierzu den Artikel "El 85% de los residentes del CETI son de procedencia subsahariana" aus der lokalen Zeitung El Farode Melilla:http://elfarodigital.es/melilla/sucesos/142028-el-85-de-los-residentes-del-ceti-son-deprocedencia-subsahariana.html [Zugriff: 3. März 2016]. <zurück>

9) Vgl. hierzu den Artikel "El colectivo sirio ya representa al 60% de inmigrantes que viven en el CETI" aus El Faro de Melilla:http://elfarodigital.es/melilla/sociedad/152684-el-colectivo-sirio-ya-representa-al-60-de-inmigrantes-que-viven-en-el-ceti.html [Zugriff: 3. März 2016]. <zurück>

10) "Islamischer Staat" ist die seit 2014 verwendete Selbstbezeichnung einer dschihadistisch-terroristischen Milizenorganisation, die überwiegend im Irak und Syrien operiert und dort große Gebiete unter ihre Kontrolle bringen konnte. <zurück>

11) Bereits im Februar 2015 waren 1.500 Menschen aus Syrien im CETI in Melilla und stellten damit ca. 80% der BewohnerInnen des Lagers. Vgl. hierzu eine Meldung der Nachrichtenagentur EuropaPress: http://www.europapress.es/epsocial/ong-y-asociaciones/noticia-mas-millar-refugiados-sirios-hacinan-ceti-melilla-condiciones-precariedad-amnistia-20150204000034.html [Zugriff: 3. März 2016]. <zurück>

12) Zu den Kriterien, die wir beim Schreiben von Beobachtungsprotokollen beachten und zu deren Auswertung siehe ROSENTHAL (2015, Kap. 4). <zurück>

13) Da diese Interviews meist Bestandteil der Memos zu den Beobachtungen sind, die meisten von ihnen jedoch nicht mit Tonband aufgezeichnet wurden, liegt uns hier nur eine ungefähre Schätzung vor. <zurück>

14) Menschen, die Eritrea ohne Ausreisevisum verlassen, machen sich strafbar. Die meisten Frauen und Männer flohen aufgrund der unbegrenzten Wehrpflicht und gelten damit als DeserteurInnen, was mit Gefängnis und Folter geahndet wird. In Kampala hat Gabriele ROSENTHAL drei "legal" Migrierte aus Eritrea sowie vier aus Eritrea Geflüchtete interviewt, die einige Jahre in Israel lebten, von dort dann ausgewiesen wurden und jetzt in Uganda mit unsicherem Status gestrandet sind. Darunter befand sich auch ein hoher eritreischer Offizier, der zum Tode verurteilt war und fliehen konnte. Auch er hat sich im ersten Interview – auf der manifesten Ebene sehr überzeugend – als jemand dargestellt, der aus ökonomischen Gründen seine Heimat verlassen hat, um in Israel mehr Geld verdienen zu können. Es bedurfte vier Begegnungen in sehr unterschiedlichen Kontexten, bis er Gabriele ROSENTHAL und ihrem eritreischen Feldassistenten (dessen Namen aus Sicherheitsgründen nicht genannt werden kann) von seiner Verurteilung und Flucht erzählte. <zurück>

15) Reconquista ist die spanische Bezeichnung für die "Rückeroberung" der Iberischen Halbinsel durch Christen. Im 8. Jhdt. u.Z. eroberten aus Nordafrika kommende Araber und Berber fast die gesamte Iberische Halbinsel. Eine christliche Rebellion gegen die muslimische Herrschaft in Asturien wurde zum Ausgangspunkt der Reconquista. Sie endete im Jahr 1492 mit der Eroberung des letzten muslimischen Herrschaftsbereichs (Emirat von Granada) und der Vertreibung der Juden aus Spanien. MEYER (2005, S.56) betont die Wertigkeit, die dem Begriff Reconquista innewohnt, da er impliziert, ein "an sich christliches" Territorium sei zurückerobert worden, während die Periode muslimischer Herrschaft nur als "Fremdkörper" gedeutet wird. <zurück>

16) Vgl. hierzu das Dokument zum spanischen Schengen-Beitritt, Acta Final, III., 1., Erklärung bzgl. der Städte Ceuta und Melilla: https://www.boe.es/buscar/doc.php?id=BOE-A-1994-7586 [Zugriff: 3. März 2016]. <zurück>

17) Die Menschenrechts-NGO Prodein nannte im Oktober 2015 für die Grenze von Melilla "Preise" zwischen 300 und 1.500 € für den Grenzübertritt von SyrerInnen. Vgl. hierzu einen Artikel aus der spanischen Ausgabe der Huffington Post: http://www.huffingtonpost.es/2015/10/25/refugiados-melilla-siria_n_8262692.html [Zugriff: 20. März 2016]. <zurück>

18) Vgl. hierzu eine Meldung der Nachrichtenagentur Europa Press: http://www.europapress.es/epsocial/inmigracion-00329/noticia-interior-inaugura-oficinas-asilo-ceuta-melilla-20150313145459.html [Zugriff: 3. März 2016]. <zurück>

19) Der Weg über den Zaun ist ein nahezu ausschließlich von jungen Männern genutzter Weg. Im Jahr 2014 sind auch zwei junge Frauen auf diesem Weg nach Melilla gekommen. Vgl. hierzu zwei Artikel aus den spanischen Tageszeitungen El País und eldiario.es: http://politica.elpais.com/politica/2014/05/28/actualidad/1401309062_680967.html und http://www.eldiario.es/desalambre/Mirelle-primera-mujer-saltar-Melilla_0_233776738.html [Zugriff: 3. März 2016]. <zurück>

20) Auf internationaler Ebene wurden die Exklaven im Oktober 2005 verstärkt wahrgenommen, als mehrere Tausend Migrierende – die meisten aus Ländern südlich der Sahel-Zone – versuchten, über die Zäune in die EU zu gelangen. Es gab 13 Tote und zahlreiche Verletzte, und die Zäune wurden für mehrere Monate stark militarisiert. In der Folge wurden die Zäune von drei auf sechs Meter erhöht und die Zusammenarbeit zwischen Spanien und Marokko intensiviert (vgl. CASTAN PINOS 2009b, S.18-19). <zurück>

21) Die Existenz dieser illegalisierten Lager ist auch im Kontext der von der EU seit den 2000er Jahren stärkeren Involvierung Marokkos in die Migrationsabwehr zu sehen, also der Kontrolle, Verhaftung und Abschiebung von Migrierenden. Dies steht im Zusammenhang mit dem im gleichen Zeitraum zunehmend relevant gewordenen EU-Politikansatz des Migrationsmanagements und der Externalisierung von Migrationskontrollen (vgl. DÜNNWALD 2015; FERRER-GALLARDO 2008, S.310; HECK 2010). <zurück>

22) Vgl. hierzu das Dossier der spanischen Online-Tageszeitung eldiario.es: http://lasmuertesdeceuta.eldiario.es/hechos.html [Zugriff: 19. März 2016]. <zurück>

23) Es sei darauf hingewiesen, dass die erfolgreiche Überquerung eines Grenzübergangs oder der Grenzzäune noch keine Aufnahme in die CETIs bzw. von Asylverfahren sicherstellen. Es liegen zahlreiche Presse- und NGO-Berichte vor, die die Durchführung sogenannter "Push-Backs" dokumentieren, also von nach internationalen Abkommen illegalen Sofort-Abschiebungen von Migrierenden nach Marokko durch die Guardia Civil. Aus unseren Interviews wissen wir, dass davon sowohl Schwarze Migrierende als auch SyrerInnen betroffen waren. <zurück>

24) Hintergrund dieser Überlegungen ist die Annahme, dass die Chancen höher sind, im Dublin-System "verloren zu gehen", wenn man sich nur registrieren lässt, aber kein Asylverfahren beginnt. Die Dublin III-Verordnung regelt die Zuständigkeit des jeweiligen EU-Mitgliedstaates hinsichtlich Asylverfahren. Zuständig ist das erste EU-Land, das bei der Einreise betreten wurde.

<zurück>

25) 1958 wurden die französischen Kolonien zu autonomen Republiken innerhalb der Communauté Française – mit Ausnahme Guineas, das sich für die Unabhängigkeit entschied. Mauretanien wurde im November 1960 unabhängig. <zurück>

26) Mohammed wurde von Gabriele ROSENTHAL und unserem palästinensischen Mitarbeiter Ahmed ALBABA in arabischer Sprache in Melilla und in einem Telefongespräch im November 2015, als er bereits in Frankreich lebte, interviewt. A. ALBABA übersetzte während der Interviews jeweils nach kurzen Sequenzen ins Deutsche. Im Frühjahr 2016 führte des Weiteren unser Mitarbeiter Mahadi AHMED in arabischer Sprache ein weiteres Telefoninterview mit Mohammed. Seit wir Mohammed kennen, steht G. ROSENTHAL auch im Austausch mit ihm über Facebook, die Kommunikation zwischen beiden ist jedoch aufgrund der geringen Französischkenntnisse beider Personen und den mangelnden Arabischkenntnissen der Autorin recht eingeschränkt. <zurück>

27) Sehr zutreffend diskutiert Ali BENSAAD (2008, S.8) "Transnationalität" für diesen geografischen Raum als einen historisch neuartigen "künstlichen Zustand", der erst durch die neuen "nationalen" Grenzen geschaffen worden sei. <zurück>

28) Siehe hierzu den damals aktuellen Bericht im Spiegel (19/1989): http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/13494049 [Zugriff: 17. Januar 2016]. <zurück>

29) Erst 2008 konnten dank des neu gewählten Präsidenten Abdallahi die ersten Flüchtlinge (insgesamt zwischen 20.000 und 50.000) wieder nach Mauretanien zurückkehren (vgl. BAHRENBURG & RICHTER 2008, S.5). <zurück>

30) Vgl.: http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/13494049 [Zugriff: 17. Januar 2016]. <zurück>

31) Dieser Befund ergibt sich aus den Forschungserfahrungen von Gabriele ROSENTHAL und bezieht sich auf biografisch-narrative Interviews sowohl mit MigrantInnen aus subsaharischen Ländern in Deutschland und den spanischen Exklaven als auch mit Menschen in Ghana und Norduganda. <zurück>

32) Die aus dem Arabischen übersetzten Zitate wurden von Ahmed ALBABA oder von Mahadi AHMED ins Deutsche übersetzt. Wurde im Interview Englisch gesprochen, wurde dies von uns dementsprechend übernommen. <zurück>

33) Das Ende des Handels mit Versklavten in Französisch-Westafrika erfolgte im Zusammenhang des französischen Erlasses zur Abschaffung des Sklavenhandels 1905 (vgl. MANCHUELLE 1989a, S.97). <zurück>

34) MANCHUELLE (1989a, S.90) diskutiert auf der Grundlage etlicher historischer Quellen, dass die Soninke der Hauptlieferant im "Senegambian Atlantic slave trade" waren. <zurück>

35) Es ist anzunehmen, dass Mohammed den Betrag in Euro umgerechnet hat, da 50 Mauretanische Ougiya damals ca. 0,14 Cent waren. Das jährliche Durchschnittseinkommen in Mauretanien lag 2011 bei ca. 1.000 Dollar; vgl.: http://durchschnittseinkommen.net/liste-durchschnittseinkommen/ [Zugriff: 21. Juli 2016]. <zurück>

36) Die Fahrzeiten sind von uns recherchiert worden, um damit auch einschätzen zu können, ob Besuche der Familie häufig möglich waren. Insbesondere zwischen dem Herkunftsdorf und der Hauptstadt wird vermutlich sehr selten eine Reise finanzierbar gewesen sein. <zurück>

37) Das während der Kolonialzeit offiziell gesprochene Französisch bestimmt dennoch weiterhin die Arbeitswelt und den Bildungssektor. <zurück>

38) Die Sklaverei wurde zwar in Mauretanien bereits mehrere Male (1961, 1981) offiziell abgeschafft (vgl. OßWALD 2009, S.253); sie wurde jedoch erst seit 2008 unter Strafe gestellt (vgl. BAHRENBURG & RICHTER 2008, S.5; HARDUNG 2010). Allerdings besteht sie insofern weiterhin fort, dass den Nachfahren der freigelassenen SklavInnen für ihre Arbeit oft keine Gehälter ausgezahlt werden und diese faktisch kaum Möglichkeiten haben, dagegen gerichtlich vorzugehen. <zurück>

39) Damit meint er Mohamed Ould Abdel Aziz, der sich seit August 2009 (bis heute) im Amt befindet. <zurück>

40) Mohammeds jüngerer Bruder, den wir im Herbst 2015 in Melilla interviewen konnten, erhielt ebenfalls ein Jahr später die Erlaubnis zur Migration vom Vater. Er erzählte, dass sein Vater ihm das Versprechen von Geldsendungen abgenommen bzw. es verlangt hatte. <zurück>

41) Es gehört zum geteilten Wissen der MigrantInnen aus subsaharischen Ländern – ganz anders als bei den syrischen MigrantInnen – Personaldokumente zu Hause zu lassen, zum einen, um auf der Migrationsroute in Afrika in bestimmten Regionen nicht aufgrund der Herkunft gefährdet zu sein, und zum anderen, um eine Abschiebung aus Europa zu erschweren. <zurück>

42) Sud-Ouest (Südwest)und Nord-Ouest (Nordwest) sind die einzigen der insgesamt zehn Provinzen Kameruns, die anglophon sind. Sie grenzen an den Süden von Nigeria. <zurück>

43) Pidginenglisch wird häufig als die Sprache eingeordnet, die in Kamerun am weitesten verbreitet sei und sowohl interethnische Brücken schlage als auch die Kommunikation zwischen Anglophonen und Frankophonen erleichtere (SCHRÖDER 2003, S.82). Zumindest in den anglophonen Gebieten nimmt die Zahl derer zu, die Pidgin als Muttersprache bezeichnen. In einer Studie von 2003 gaben 36% der in Bamenda und 42% der in Buea Befragten an, Cameroonian Pidgin sei ihre Erstsprache (S.85). <zurück>

44) Englisch und Französisch sind die beiden Amtssprachen Kameruns. <zurück>

45) Die beiden anglophonen Provinzen sind wie der Rest Kameruns überwiegend christlich geprägt. In Kamerun machen MuslimInnen ca. 20% der Gesamtbevölkerung aus, ChristInnen ca. 70%. In den anglophonen Provinzen sind 1,2 (Sud-Ouest) resp. 9,3 % (Nord-Ouest) der Bevölkerung MuslimInnen (INSTITUT NATIONAL DE LA STATISTIQUE DU CAMEROUN o.J., S.7, 18). <zurück>

46) Z.B. "L'afrique Manifeste contre Boko Haram au Trocadero a Paris", veröffentlicht auf der Facebookseite des kamerunischen Nachrichtenportals Camer24: https://www.facebook.com/Camer.Vingt.Quatre/videos/930745363604396/?pnref=story [Zugriff: 22. März 2016]. <zurück>

47) Z.B. "A Message to President Obama from a Former Muslim", veröffentlicht auf Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=QxzOVSMUrGM [Zugriff: 22. März 2016]. <zurück>

48) Angesichts der desolaten Situation staatlicher Schulen in vielen Regionen afrikanischer Länder ist Franklins Sicht durchaus verständlich und nachvollziehbar (zumindest wenn als Vergleichsmaßstab die üblichen schulischen Standards in OECD- oder EU-Ländern genommen werden). <zurück>

49) Vgl. Anmerkung 41. <zurück>

50) Vgl.: https://www.tagesschau.de/ausland/fluechtlinge-agadez-101.html [Zugriff: 30. Juni 2016]. <zurück>

51) Vgl. dazu den Artikel "When Spain hands us over to Morocco, this is what they do to us" in der spanischen Tageszeitung El País (englische Ausgabe): http://elpais.com/elpais/2012/09/05/inenglish/1346844429_339461.html [Zugriff: 22. März 2016]. <zurück>

52) Auf dem Berg Gourougou leben nahezu ausschließlich junge Männer. <zurück>

53) Die Abschiebung nach Rabat ist die derzeit übliche Praxis, zuvor wurden Migrierende meist nach Oujda bzw. in den marokkanisch-algerischen Grenzraum und damit in die lebensgefährliche Wüste deportiert. <zurück>

54) "Bosa, Bosa" ist ein Ruf, den die Männer häufig bei ihren Versuchen, den Zaun zu überwinden, verwenden. Laut einer Meldung in der spanischen Tageszeitung El Diario de León bedeutet "Bosa" in der Fula-Sprache "Sieg": http://www.diariodeleon.es/noticias/espana/mas-150-subsaharianos-irrumpen-melilla-gritos-victoria_868240.html [Zugriff: 22. März 2016]. <zurück>

55) Vgl. Anmerkung 24. <zurück>

56) Die historischen Ursachen für dieses angespannte politische Verhältnis liegen unter anderem in dem territorialen Konflikt um die bis 2005 von Syrien beanspruchte Provinz Hatay (dem ehemaligen osmanischen Sanjak Alexandretta), die 1939 der Türkei zufiel, den Auseinandersetzungen um die Nutzung des Euphratwassers und unterschiedliche Positionierungen beider Staaten im "Kalten Krieg" (vgl. PHILLIPS 2011). <zurück>

57) Die Festlegung der heutigen Staatsgrenzen von Syrien, Irak, Libanon und Jordanien wie auch die Konturierung eines (pan-) arabischen Nationalismus hängt eng mit der Zeit der französischen und britischen Völkerbundmandate zusammen. In der gleichen Phase und darauf bezogen wurden auch Artikulationen eines kurdischen Nationalismus bzw. kurdische Autonomieforderungen stärker und bedeutsamer. Es ist wichtig zu betonen, dass Autonomieforderungen und politische Anerkennungskämpfe der KurdInnen in Syrien nicht mit der Forderung nach der Gründung eines nationalen Territorialstaates gleichgesetzt werden können. So betont u.a. SCHMIDINGER (2014, S.54), "dass KurdInnen (…) die Idee eines Nationalstaates nicht nur fremd war, sondern das Konzept 'Staat' von der großen Mehrheit der kurdischen Akteure bis weit ins 20. Jahrhundert nicht als adäquate Form der Herrschaft betrachtet wurde". <zurück>

58) Allerdings wird im politischen System Syriens die informelle Bildung von Parteien und Organisationen z.T. geduldet, aber streng geheimdienstlich überwacht. <zurück>

59) Mitglieder der Religionsgemeinschaft der Jesiden, die heute überwiegend im Nordirak, aber zum Teil auch in Syrien und anderen Ländern des Nahen Ostens leben, wurden bereits im Osmanischen Reich und werden bis heute aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit vielfach ausgegrenzt und zum Teil massiv verfolgt. In jüngerer Zeit verübten Kämpfer des sich im Irak und Syrien ausbreitenden Islamischen Staates Massaker an jesidischen ZivilistInnen (vgl. SCHMIDINGER 2014, S.31). <zurück>

60) Im Rahmen eines Fußballspiels kam es im März 2004 in Qamishli zu schweren Zusammenstößen zwischen Kurden und Arabern. Daraufhin folgten landesweite Proteste von KurdInnen. <zurück>

61) Im Irak konnten KurdInnen im Zuge des Irakkrieges im Frühjahr 2003 und dem Sturz Saddam Husseins eine weitgehende Autonomie (seit 2005: Autonome Region Kurdistan) im Nordirak durchsetzen. <zurück>

62) Laut PERTHES (2011, S.23) lag dieser Anteil im Jahr 2011 in Syrien bei über 73%. PERTHES diskutiert in diesem Zusammenhang die intergenerationale und soziodemografische Dimension des Ausbruchs der Proteste in zahlreichen arabischen Ländern 2010/2011. <zurück>

63) In vielen Ländern des "Nahen Ostens" führen gesellschaftliche Transformationsprozesse (hoher demografischer Anteil von jungen Erwachsenen an der Gesamtbevölkerung, deren höheres formales Bildungsniveau, schwierigere Realisierung einer festen Lohnarbeit) zu einer Herauszögerung von Heirat und damit zu einer (vielfach als prekär erlebten) Verlängerung der Phase des Übergangs von Kindheit und Jugend in das Erwachsenenalter, wie SINGERMAN (2007) mit dem Konzept des wait adulthood oder waithood diskutiert. <zurück>

64) Die Mehrheit der im Kontext des Bürgerkrieges flüchtenden SyrerInnen migrierte innerhalb Syriens oder in die unmittelbaren Nachbarländer. Schätzungen für den Sommer 2015 gehen davon aus, dass knapp 1,2 Millionen SyrerInnen im Libanon, knapp zwei Millionen in der Türkei und über 650.000 in Jordanien Zuflucht gesucht haben. Diese Zahlen basieren auf einer UNHCR-Pressemitteilung vom 09.07.2015, vgl.: http://www.unhcr.org/news/press/2015/7/559d67d46/unhcr-total-number-syrian-refugees-exceeds-four-million-first-time.html [Zugriff: 17. März 2016]. <zurück>

65) Das Zusammenwirken von Fürsorge und Kontrolle in Flüchtlingslagern beschreibt HOFFMANN (2015) für den jordanischen Kontext. <zurück>

66) Dieses "Internat" ist vermutlich eine islamische Hilfsorganisation für obdachlose Jugendliche. <zurück>

67) Laut einem Artikel der libanesischen Zeitung Daily-Star vom Juli 2012 waren im Sommer 2012 nach offiziellen Angaben 12.000 und nach Schätzungen an die 20.000 SyrerInnen in Algerien, vgl.: http://www.dailystar.com.lb/News/Middle-East/2012/Jul-29/182499-12000-syrian-refugees-in-algeria-official-source.ashx [Zugriff: 27. Februar 2016]. <zurück>

68) Allerdings wird seit 2014 in Marokko in Kooperation mit der EU der Aufbau eines Asylsystems verfolgt, vgl. https://www.giz.de/de/weltweit/34167.html [Zugriff: 27. Juli 2016]. <zurück>

69) Während z.B. die Grenze zwischen Kamerun und Nigeria immer sehr durchlässig war, wurde sie aufgrund der damaligen Ebola-Epidemie im August 2014 geschlossen. Außerdem wurde diese Region aufgrund der Kämpfe zwischen Boko Haram und der kamerunischen Armee zunehmend unsicher. <zurück>

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Zu den Autorinnen und zum Autor

Gabriele ROSENTHAL ist Soziologin und Professorin für qualitative Methoden am Methodenzentrum Sozialwissenschaften der Universität Göttingen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: interpretative Methoden, Biografie- und Generationenforschung, Migration, Ethnizität und soziopolitische Konflikte.

Kontakt:

Gabriele Rosenthal

Methodenzentrum Sozialwissenschaften
Georg-August-Universität Göttingen
Goßlerstr. 19
D-37073 Göttingen

Tel.: +49 (0)551/39-21511 (Sekretariat)
Fax: +49 (0)551/39-21512 (Sekretariat)

E-Mail: G.Rosenthal@gmx.de
URL: http://www.uni-goettingen.de/de/die-soziale-konstruktion-von-grenzgebieten-ein-vergleich-von-zwei-geopolitischen-fällen/477891.html

 

Eva BAHL, M.A., ist Ethnologin und Soziologin und seit März 2014 wissenschaftliche Mitarbeiterin in dem Forschungsprojekt "The Social Construction of Border Zones" am Methodenzentrum Sozialwissenschaften der Universität Göttingen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: interpretative Methoden, Migrations- und Grenzforschung, Geschlechterforschung, kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen und postkoloniale Studien.

Kontakt:

Eva Bahl

Methodenzentrum Sozialwissenschaften
Georg-August-Universität Göttingen
Goßlerstr. 19

D-37073 Göttingen

Tel.: +49 (0)551/39-21511 (Sekretariat)
Fax: +49 (0)551/39-21512 (Sekretariat)

E-Mail: eva.bahl@sowi.uni-goettingen.de
URL: http://www.uni-goettingen.de/de/die-soziale-konstruktion-von-grenzgebieten-ein-vergleich-von-zwei-geopolitischen-fällen/477891.html

 

Arne WORM, M.A., ist Soziologe und seit November 2012 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Methodenzentrum Sozialwissenschaften der Universität Göttingen (Abteilung Qualitative Sozialforschung). Er arbeitet seit Oktober 2014 im Forschungsprojekt "The Social Construction of Border Zones". Seine Forschungsschwerpunkte sind: Interpretative Methoden, Biographieforschung, Figurationssoziologie, Migrations- und Ethnizitätsforschung.

Kontakt:

Arne Worm

Methodenzentrum Sozialwissenschaften
Georg-August-Universität Göttingen
Goßlerstr. 19
D-37073 Göttingen

Tel.: +49 (0)551/39-21511 (Sekretariat)
Fax: +49 (0)551/39-21512 (Sekretariat)

E-Mail: aworm@uni-goettingen.de
URL: http://www.uni-goettingen.de/de/die-soziale-konstruktion-von-grenzgebieten-ein-vergleich-von-zwei-geopolitischen-fällen/477891.html

Zitation

Rosenthal, Gabriele; Bahl, Eva & Worm, Arne (2016). Illegalisierte Migrationsverläufe aus biografietheoretischer und figurationssoziologischer Perspektive: die Landgrenze zwischen Spanien und Marokko [108 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 17(3), Art. 10,
http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs1603104.

Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research (FQS)

ISSN 1438-5627

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