Volume 19, No. 3, Art. 17 – September 2018



Die digitale Selbstdarstellung: Zur subjektiven Bedeutung von Selfies für Heranwachsende und junge Erwachsene

Matthias Völcker & Alexander Bruns

Zusammenfassung: In diesem Aufsatz beschäftigen wir uns mit netzgängigen, visuellen Selbstthematisierungen, die umgangssprachlich als "Selfies" bezeichnet werden. Genauer geht es um die individuellen und gruppenbezogenen Bedeutungen dieser Bildpraktik sowie um ihre Relevanz im kommunikativen Geschehen aus der Perspektive ihrer Produzierenden und Distribuierenden. Wir greifen hierfür auf die Ergebnisse einer Interviewstudie zurück, die mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen durchgeführt wurde. Anhand des empirischen Materials, welches wir mithilfe der Grounded-Theory-Methodologie ausgewertet haben, eröffnen wir Einblicke in eine (jugend-) kulturelle Praxis und arbeiten die (inter-) subjektive Bedeutsamkeit von Selfies heraus.

Keywords: Internet; visuelle Selbstthematisierung; Selfies; soziale Netzwerke; soziale Medien; Identität; verstehende Interviews; Grounded-Theory-Methodologie

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Netzgängige, visuelle Selbstthematisierungen (Selfies) in sozialwissenschaftlicher Perspektive

3. Social Media, Selfies und Identität

4. Die Bedeutungen netzgängiger, visueller Selbstthematisierungen für junge Menschen – Methodische Zugänge der Untersuchung

4.1 Datenerhebung mittels verstehender Interviews

4.2 Die Analyse des Materials mithilfe der Grounded-Theory-Methodologie

5. Visuelle Selbstthematisierungen: Praxis und (inter-) subjektive Bedeutungen für Heranwachsende und junge Erwachsene – Darstellung der Forschungsergebnisse

5.1 Soziale Medien und Netzwerke aus der Perspektive ihrer Nutzerinnen und Nutzer

5.2 Selfies als bildzentriertes Interaktionsmittel

5.2.1 Selfies und die Rolle des Teilens und der Dokumentation

5.2.2 Selfies und ihr entwicklungsbezogener Nutzen in der Erprobung von Rollen- und Identitätsentwürfen

5.2.3 Selfies als Mittel der Eindruckserzeugung und öffentlicher Visibilität

5.2.4 Das Erstellen und Teilen von Selfies als Merkmal intimer Beziehungen

6. Fazit

Danksagung

Anmerkungen

Zu den Autoren

Zitation

 

1. Einleitung

Als dystopische Parabel über technologisch bedingte Entwicklungen und deren Folgen fokussieren die Erzählungen der britischen Science-Fiction-Serie Black Mirror (2010- ) die Schattenseiten der Vernetzung, der Optionenvermehrung und daraus resultierende Veränderungen in den Verhältnisbestimmungen zwischen Menschen und Technologien. Dabei werden in den einzelnen Episoden der Serie unterschiedliche kulturelle und soziale Verschiebungen aufgrund vernetzter Interaktions- und Kommunikationserfahrungen thematisiert und deren Relevanz für die Konstitution von Identität, wie auch die Folgen dieser Entwicklungen für das gesellschaftliche Zusammenleben, hinterfragt. Die Ambivalenz des Black Mirror entfaltet sich auch in der Auftaktfolge zur dritten Staffel (Nosedive, 2016). Die Handlung der Episode folgt dem Alltag einer jungen Frau in einer solch vernetzten Gesellschaft, in der alle sozialen Beziehungen und Handlungen ebenso wie Optionen und Gelegenheitsstrukturen von der Bewertung durch Andere in einem permanent gegenwärtigen Beurteilungssystem abhängig sind. Jede soziale Begegnung, jede Interaktion und jeder noch so kleine "Fehltritt" kann das "soziale Ranking" und das damit verbundene Optionenspektrum beeinflussen. Aufgrund dieser Bedingungen sind Welt- und Selbstverhältnis in einer ständigen (Selbst-) Beobachtung gefangen und Teil eines panoptischen Räderwerks, in dem gesellschaftliche Chancen und Optionen ausschließlich mittels Evaluation durch andere bestimmt werden. Soziale Anerkennung und die Arbeit an ihr werden zum Ausgangspunkt einer unentwegten Optimierungsspirale mit dadurch erhofften Reputationsgewinnen. Das auf den ersten Blick kurios anmutende, auf den zweiten Blick beängstigende Moment an dieser Welt und der sich in ihr abspielenden sozialen Beziehungen/Interaktionen besteht darin, dass jede Handlung des Individuums mit einer potenziellen Sicht- und Bewertbarkeit einhergeht. Dies führt dazu, dass Interaktionen und Beziehungen künstlich und inszeniert wirken. Erst das sukzessive Scheitern an dieser Welt und ihren Bedingungen führen bei der Protagonistin zur Perspektiverweiterung und Infragestellung ihrer Abhängigkeiten, was für sie jedoch in sozialer Exklusion resultiert. Der Black Mirror ist dabei der kalte, glänzende Bildschirm, der auch in der Gegenwartsgesellschaft omnipräsent ist und neben seinen verführerischen Aspekten Unbehagen und Ängste produziert. [1]

Black Mirror kann als kritische Beschäftigung mit Entwicklungen der Gegenwartsgesellschaft interpretiert werden, in der die technischen Möglichkeiten, ihre Versprechungen und Verheißungen ebenso wie ihre potenziellen "Schattenseiten" wirkmächtig sind. Eindrucksvoll zeigt sich diese Ambivalenz anhand der Smartphone-Technologie und ihrer (angepriesenen) Zusicherungen, Welt und Optionen in Reichweite zu bringen. Heute begegnet man an den verschiedensten Orten Menschen, die mit festem Blick auf die technischen Geräte vor ihnen in diverse Aktivitäten vertieft sind. Neben den fast schon banal anmutenden Möglichkeiten des Telefonierens oder des Schreibens von kurzen Textnachrichten sind Smartphones mit den durch sie offerierten Optionen zum Dreh- und Angelpunkt einer ganzen Reihe anderer (sozialer) Aktivitäten und Handlungen avanciert. Es gelingt mittels dieser Technologie, die Trennung von digitalem und realem Raum aufzuheben und miteinander zu verschmelzen, wodurch Smartphones zu einer technologischen Schnittstelle geworden sind und insbesondere Gelegenheiten für internetbasierte Interaktions- und Kommunikationsprozesse bieten, indem sie "etwas materiell oder symbolisch vermitteln und dabei [aus der Perspektive ihrer Nutzerinnen und Nutzer] eine besondere Problemlösefunktion übernehmen" (ZIEMANN 2014, S.17). [2]

Für Heranwachsende etwa bieten Smartphones in Verbindung mit Instant-Messaging-Anwendungen, sozialen Netzwerkseiten und spezifischen Apps, eine Vielzahl an Gelegenheiten für das Eingehen und die Pflege von sozialen Beziehungen, sie erfüllen Bedürfnisse "for immediate access to social worlds" (LUNDQUIST, LEFEBVRE & GARRAMONE 2014, S.80). Dabei können veränderte Handlungs- und Vernetzungspraktiken wie auch Kommunikationsprozesse beobachtet werden, die vielfach kritisch und als Indiz für einen kulturellen und sozialen Verfall gedeutet werden (SIMANOWSKI 2016; TURKLE 2015). Andere sehen in diesen Technologien und der Vernetzung durchaus auch Chancen für neue bzw. veränderte Formen eines interaktiven und auf die alltägliche Identitätsarbeit bezogenen Ausdrucksmittels (BOYD 2014). Wie kaum ein anderes Phänomen stehen hierfür in jüngerer Vergangenheit netzgängige, visuelle Selbstthematisierungen, die als mehr oder weniger spezifische Form der Fotografie umgangssprachlich als "Selfies" oder in Form von Videos als "Velfies" diskutiert werden, wobei es in diesem Aufsatz v.a. um das sogenannte "Selfiephänomen" geht. [3]

Mit "Selfies sind in. Selfies sind out. Selfies machen Spaß. Selfies nerven. Selfies sind Akte der Emanzipation. Selfies spiegeln narzisstische Selbstverliebtheit" verweisen GOJNY, KÜRZINGER und SCHWARZ (2016, S.7) gleich zu Beginn ihres Sammelbandes auf eine kontrovers diskutierte soziale Praxis und einen komplexen Forschungsgegenstand. Selfies sind als Teilaspekt der sozialen Medien und bildzentrierter Interaktionspraktiken Gegenstand eines jungen Forschungsfeldes, in dem ihre Relevanz in vernetzten Interaktionskontexten untersucht und sie als spezifische Version netzgängiger Selbstthematisierungen in differenten Zusammenhängen verhandelt werden (BURNS 2015; SENFT & BAYM 2015). [4]

Wir sind diesem Phänomen aus sozialisationstheoretischer Perspektive nachgegangen, um die individuellen und gruppenbezogenen Bedeutungen und die Anziehungskraft dieser Bildpraktik für ihre Nutzerinnen und Nutzer zu erforschen, etwa wie Selfies als Teil und Merkmal von Interaktionspraxen und Identitätsarbeit aufgegriffen und verhandelt werden. Ausgehend von einer Interviewstudie mit Jugendlichen zwischen 14 und 16 Jahren sowie jungen Erwachsenen im Alter von 21 bis 27 Jahren zeigen wir auf, welche Bedeutungen Selfies in deren Leben, der Gestaltung ihrer Interaktionen und der Art, sich selbst zu verstehen, haben. Einleitend werden wir zunächst den Forschungsstand knapp umreißen (Abschnitte 2 und 3). Dies umfasst eine Konkretisierung des Selfiebegriffs aus sozialwissenschaftlicher Perspektive, eine Skizzierung empirischer Forschungen und ihrer Erkenntnisse über das Selfiephänomen wie auch die identitätstheoretische Relevanz dieser Bildpraktik. Daran anknüpfend werden Forschungsdesign, Untersuchungsmaterialitäten, die Interviewtechnik des verstehenden Interviews sowie das Vorgehen im Auswertungsprozess, welches mithilfe der Grounded-Theory-Methodologie realisiert wurde, skizziert (Abschnitt 4), bevor die zentralen Forschungsergebnisse vorgestellt (Abschnitt 5) und abschließend diskutiert werden (Abschnitt 6). [5]

2. Netzgängige, visuelle Selbstthematisierungen (Selfies) in sozialwissenschaftlicher Perspektive

In sozialwissenschaftlichen Diskursen und der empirischen Beschäftigung mit Selfies werden diese als ein Phänomen visueller, netzgängiger Selbstthematisierungen und als Merkmale einer (synästhetischen) Netzöffentlichkeit verhandelt (BOYD 2014; TRAUE & SCHÜNZEL 2014) und z.T. auch äußerst kontrovers diskutiert. Mit Blick auf die Verbreitung von Medieninhalten in Verbindung mit neuen Technologien der Vernetzung und entsprechenden Applikationen stellt LOBINGER (2016, S.43) fest, dass "die meisten Menschen zu vermeintlichen ExpertInnen der Be- bzw. Verurteilung 'unangemessener', 'angemessener', 'falscher' und 'richtiger' bzw. 'guter' Umgangsweisen mit Medien" werden. SIMANOWSKI (2016, S.45) sieht in den sozialen Medien und Netzwerken, wie auch in Selfies, Merkmale einer Gegenwartsflucht begründet, in der "der lückenlose Bericht über sich selbst [...] als der beste Schutz vor sich selbst" verstanden werde, "indem er erlaubt, den erlebten Augenblick in die 'Heimat' des Netzwerks zu verweisen". SIMANOWSKI bezieht sich hier implizit auf eine Charakterisierung sozialer Medien und Netzwerke als Orte von "mass self-communication" (CASTELLS 2007, S.239) in einer vernetzten Öffentlichkeit, in der sich "sehr große Mengen von Einzeläußerungen verdichten [...und] durch neue Syndikationstechnologien [...] in einen Prozess der Zitation, Syndikation [...] Thesaurierung, Kompilierung und schließlich Aggregation zu aufgefächerten, aber doch identifizierbaren 'öffentlichen Aussagen'" (TRAUE & SCHÜNZEL 2014, S.125) werden. [6]

In der Forschungsliteratur wird immer wieder angeführt, dass Technologien der Vernetzung und die durch sie eröffneten Gelegenheitsstrukturen für die sozial Handelnden, v.a. für Heranwachsende, in der Gestaltung ihres Alltags und ihrer sozialen Beziehungen unterschiedliche Bedeutungen haben und in verschiedenen Kommunikations- und Interaktionszusammenhängen von Relevanz sind (GOJNY 2016). Heranwachsende "are coming of age in an era defined by easy access to information and mediated communication" (BOYD 2014, S.211). Vor allem über Texte, aber eben auch über visuelle Mittel und deren Einbettung in Interaktionsprozesse und das Interaktionsgeschehen werden Eindrücke intendiert, die "soziale Nähe- und Distanzverhältnisse naheleg[en] [...], in den[en] argumentative Strategien [...] eingebettet [...] in [der] Anordnung von Bildern und Texten [...] auf die Wirkung bei einem spezifischen Publikum ausgerichtet" (TRAUE & SCHÜNZEL 2014, S.125) sind. [7]

Mit Blick auf das Selfiephänomen stellt sich hier einleitend die Frage, was diese netzgängigen Selbstportraits eigentlich sind und abbilden? SENFT und BAYM (2015) betonen in einem grundlegenden Aufsatz den Doppelcharakter von Selfies. Diese seien sowohl Objekt als auch soziale Praxis. Als fotografisches Objekt würden solche Bilder auf die "transmission of human feeling in the form of a relationship (between photographer und photographed, between image and filtering software, between viewers and viewed, between individuals circulating images, between users and social software architectures, etc.)" (S.1589) verweisen. Zugleich seien Selfies aber auch Merkmale einer sozialen Praxis, die verschiedene AdressatInnenkreise einbeziehe und zu Reaktionen auffordere (a.a.O.; siehe auch PISANI 2015). [8]

Als "Modebegriff" tauchte das "Selfie" vor nunmehr 15 Jahren das erste Mal in einem australischen Forum auf und hat sich bis heute im Sprachgebrauch etabliert. PISANI (2015) verweist im Anschluss an BUSE (2010) darauf, dass Selfies als aktuellste Version einer spezifischen Form visueller Selbstthematisierungen aufzufassen seien, deren fast schon vergessener Vorgänger v.a. das Polaroid-Bild gewesen sei. Denn auch für dieses Fotoformat sei eine zeitlich eingefasste "production and consumption" (BUSE 2010, S.222) charakteristisch gewesen, während für Selfies v.a. die Möglichkeiten der digitalen Archivierung und spezifischer netzförmiger Distributionsformen hervorgehoben werden. Selfies sind mit ihrer inhärenten Bildsprache ein fester Bestandteil von Interaktionspraktiken auf sozialen Netzwerkseiten, wie Facebook, Instagram, Snapchat, oder auch Instant-Messenger-Diensten, wie WhatsApp, geworden; denn hier werden sie millionenfach "gepostet", mit anderen "geteilt", es wird "geliked", kommentiert; Bilder werden mit "#Hashtags" versehen, was eine Lokalisierung und Einordnung in umfassendere, thematische Kontexte ermöglicht (PISANI 2015). [9]

GOJNY (2016) merkt an, dass viele Bilder umgangssprachlich zwar als Selfies bezeichnet, ihnen jedoch charakteristische Merkmale, etwa hinsichtlich Posen, Perspektiven und Distributionsformen, fehlen würden. AUTENRIETH (2014a; siehe auch LEVIN 2015) hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass solche Bilder visuell sichtbar machen, dass diese in typischen Posen und Haltungen durch die sie Produzierenden erstellt und über die sozialen Medien bzw. soziale Netzwerkseiten distribuiert werden und hierbei einer spezifischen Präsentations- und Distributionslogik folgen, wobei solche Bilder für die sie Erstellenden auf den Moment ausgerichtet seien, "wie beispielsweise bei der auf kontinuierlicher Aktualisierung basierenden Timeline bei Facebook oder den sich selbst nach wenigen Sekunden löschenden Fotos bei Snapchat ersichtlich ist" (AUTENRIETH 2014b, S.53; vgl. auch KELLY, DEVRIES-ERICH, HELMICH, DORNAN & KING 2017). Charakteristisch sei ihre Distribution und Verhandlung als visuelles Kommunikationsmittel, dessen Bedeutung auf den Moment der bildhaften Auseinandersetzung mit einem Gegenüber fokussiert sei. COUPLAND (2015) versteht deshalb netzgängige, visuelle Selbstthematisierungen als Spiegel und Momentaufnahmen, mit denen Merkmale des sozialen Miteinanders und Erfahrungen, aber auch emotionale Facetten visuell festgehalten und geteilt würden. Selfies eröffnen, so COUPLAND, Gelegenheiten teilzuhaben und zu beobachten, wie andere sich im Spiegel des Handyobjektivs betrachten, wie sie gesehen (und beurteilt) werden wollen, wobei das Einfangen eines flüchtigen Moments sowie dessen Inszenierung und Verbreitung im Mittelpunkt stünden. [10]

Der Selfiebegriff wird als "ambiguos, fraught, and caught in a stubborn and morally loaded hype-cycle" (SENFT & BAYM 2015, S.1588) beschrieben. In der empirischen Beschäftigung mit Selfies ist dabei charakteristisch, dass heute kaum eine sozialwissenschaftliche Publikation um die Dekonstruktion einer v.a. im Alltagsgebrauch und in den Feuilletons mit dieser Bildpraktik verknüpften persönlichkeitsbezogenen Verhältnisbestimmung umhinkommt. Das Erstellen und Teilen von solchen Bildern wird, oft vereinfachend, als eine banale Praxis beschrieben und teilweise gar als Beleg einer narzisstischen Persönlichkeit interpretiert bzw. als Beispiel eines Verhaltens "für ernstzunehmende psychische Störungen" gedeutet (BAUER 2016, S.73; siehe auch BELLINGER 2015). Selfiepraktiken werden in solch pathologisierenden Zusammenhängen als ein spezifisches Phänomen und als Folge von gesellschaftlichen und kulturellen Veränderungen aufgefasst, in der Individualisierungsprozesse und Selbstverwirklichungsdiskurse in einer auf das Ich fokussierenden Aufmerksamkeitsspirale eskalierten und in gesellschaftlichen und sozialen Verhältnissen begründet seien, die sich durch einen Mangel an Bindungsfähigkeit und Hedonismus auszeichneten, wobei diese Bildpraktik, in Anlehnung an LASCH (1991), als Facette einer Kultur des Narzissmus interpretiert wird. Dabei würden, so TURKLE (2013), insbesondere auch die sozialen Medien, an die Stelle "echter" sozialer Beziehungen treten, der soziale Kitt der Gesellschaft sukzessive verloren gehen und das Selbst auf einen (virtuellen) Avatar reduziert, an dem beständig performativ gearbeitet werden müsse. In solch pathologisierenden Lesarten wird diese Bildpraktik selbst mit schwerwiegenden "mental states such as narcissism [...], body dysmorphia [...], or even psychosis [...]" (SENFT & BAYM 2015, S.1589) assoziiert1) (vgl. auch NEMER & FREEMAN 2015; SENFT 2013). Kritisch wird in der Forschungsliteratur eingewandt, dass Deutungen solcher Bildpraktiken oft mit (vereinfachenden) Be- und Verurteilungen einhergingen (HAGELSTEIN 2014), wobei Selfies leichtfertig mit Künstlichkeit und Inszenierungsabsichten verbunden würden. Vor allem mit Blick auf jugendkulturelle Praktiken werden Selfies vorschnell mit einem "Narzissmus einer ganzen Generation" (REICHERT 2008, S.87) assoziiert, aber auch mit genderbezogenen Klischees vermischt, wenn diese Praxis zwar als jugendkulturelles Phänomen, insbesondere aber als eine Praxis von Mädchen und Frauen, beschrieben wird, "die ihre Handys als Spiegel benutzen. Damit suggerieren sie, dass Selfies einem weiblich konnotierten Gebrauchskontext entstammen und instrumentalisieren Frauen als Allegorien einer moralisch verwerflichen Bildpraxis" (a.a.O.). [11]

Empirische Forschungen verweisen jedoch auf ein weitaus komplexeres Phänomen, als stereotype Zuschreibungen oder pathologisierende Interpretationen vermuten lassen. Beschrieben werden etwa unterschiedliche Genres, wie auch kontextabhängige Ausrichtungen netzgängiger, visueller Selbstthematisierungen (BURNS 2015; PISANI 2015). So werden Selfies etwa im Zusammenhang mit jugendkulturellen Praktiken (BOYD 2014; DURRANT, FROHLICH, SELLEN & UZZELL 2011; RETTBERG 2014) und in ihrer Bedeutung für die Gestaltung sozialer Beziehungen untersucht (KELLY et al. 2017; SENFT 2008, 2013) oder als Ausdruck von politischen Adressierungen, von Protest und Widerstand im Kontext kritischer Auseinandersetzungen mit gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnissen, analysiert (HAGELSTEIN 2014; MARWICK & BOYD 2010). So haben NEMER und FREEMAN (2015) beispielsweise in einer Untersuchung der Bildpraktiken von Heranwachsenden in brasilianischen Favelas rekonstruieren können, dass netzgängige, visuelle Selbstthematisierungen der Stärkung interpersoneller Beziehungen dienen, aber auch Ausdruck von Protest und Merkmal der Selbstreflektion sein können. ALBURY (2015) wiederum hat anhand der Untersuchung solcher Bildpraktiken von 16 und 17-jährigen in Australien im Kontext des Phänomens des "Sextings"2) dargelegt, dass hiermit nicht nur die Hervorbringung und Reproduktion idealisierter (Körper-) Bilder, sondern damit verbunden auch eine Einteilung in differente Sphären des Öffentlichen verknüpft sei. KATZ und CROCKER (2015) haben zudem am Beispiel der Selfiepraktiken im Kontext der Snapchatnutzung aufgezeigt, dass solche Bilder als Kommunikationsmittel ein umfängliches Vokabular hervorbringen und eine charakteristische Grammatik aufweisen. Dabei werden visuelle Materialitäten im Rahmen komplexer Sprachspiele genutzt und sind mit Blick auf die Pflege sozialer Beziehungen für Heranwachsende von erheblicher Bedeutung. Ähnlich argumentieren auch BAYM und BOYD (2012), BOYD (2014), BOON und PENTNEY (2015) und MARWICK (2015), die unterschiedliche Facetten und Praktiken von Selfies, etwa in feministischer Perspektive, analysierten und sich gegen vereinfachende wie pathologisierende Beurteilungen wenden. Nach TIFENTALE (2014) erlauben Selfies es, fremde Eindrücke des Selbst bildhaft zu kontrollieren. Ebenso werden sie als "a new way not only of representing ourselves to others", sondern auch "of communicating with one another through images" (RAWLINGS 2013, o.P.) interpretiert. In diesem Sinne werden solche Bilder als Ausdruck einer mobilen Netzkultur diskutiert, wobei Selfies in individuellen und situativ bedeutsamen Kommunikationskontexten hergestellt und geteilt werden und auch Reaktionserwartungen eine elementare Rolle spielen (AUTENRIETH 2014a). Darüber hinaus werden in der Forschungsliteratur netzgängige, visuelle Selbstthematisierungen als Option der bildbezogenen Aushandlung, Inszenierung und Konstruktion von Selbstverhältnissen und als Merkmal alltäglicher Identitätsarbeit diskutiert. Vor allem für Heranwachsende stellen die sozialen Medien und Netzwerke einen selbstverständlichen Bestandteil in der Gestaltung ihrer alltäglichen, vernetzten Interaktionen dar, die Austauschgelegenheiten offerieren, die gestalt- und verhandelbar sind und damit auch für den Identitätskonstruktionsprozess in spätmodernen Gesellschaften (BOYD & ELLISON 2007) von Bedeutung sein können. [12]

3. Social Media, Selfies und Identität

Bildzentrierte Selbstthematisierungen werden als Erweiterungen verbaler und textbasierter Formen und als visuelle Möglichkeiten des Konstitutions- und Konstruktionsprozesses von Selbstverhältnissen verhandelt (AUTENRIETH 2014a; REICHERT 2008). In der Forschungsliteratur werden Selfies auch als Ausdruck eines situativ wirkmächtigen "(Dis)Empowerment-Paradox" (LOBINGER 2016, S.53 im Anschluss an BARNARD 2016) gedeutet. Hiernach "fühlen sich Selbstdarstellungen zwar zunächst durchaus ermächtigend an" (a.a.O.) und werden als eine Gelegenheit des subjektiven Ausdrucks, der Suche nach Anerkennung und situativer Selbstwirksamkeitserfahrungen gedeutet. Gleichwohl wird kritisch eingewandt, dass häufig auch hegemoniale Sichtbarkeits- und Repräsentationsnormen und -ordnungen reproduziert würden (a.a.O.). Besonders eindringlich zeigt sich dies im Kontext körperlicher Inszenierungen, die sich durch eine inhärente Überbietungslogik und Merkmale eines "Self-Brandings" auszeichnen, was MARWICK (2015) und SENFT (2008, 2013) u.a. am Beispiel solcher Bilder auf Instagram untersucht haben. Auch TIFENTALE wendet kritisch ein, dass "most of the selfies posted to Instagram can appear to be attempts at self-branding, trying to 'sell' the best version of #me3): positive, happy, accomplished, proud, well-dressed (sometimes partly or completely undressed), seductive or sexy" (2014, S.6). Posen und Inszenierungen orientieren sich dabei einerseits an kulturindustriellen Vorgaben und Mustern wie auch geschlechtsspezifischen Stereotypen und können andererseits auch kritische Distanzierungen bzw. Auseinandersetzungen mit hegemonialen Deutungen umfassen (BOON & PENTNEY 2015; PISANI 2015; SENFT & BAYM 2015). [13]

In diesem Zusammenhang werden in der Forschungsliteratur soziale Netzwerkseiten und Medien auch als performative und situativ relevante Gelegenheitsstrukturen interpretiert, an Identität zu arbeiten, sie zu entwickeln, aber auch sie zu verhandeln und sich ihrer wechselseitig zu vergewissern (HUIZING 2016). Vor allem in der entwicklungskritischen Phase der Adoleszenz werden sie zur Ressource und zur Sphäre der Erprobung von Facetten der Identität gleichermaßen (SIIBAK 2010), zu Orten der Suche nach Anerkennung und Resonanz. Identitäts- und Biografiearbeit finden in und durch Medien in einem vernetzten Prozess statt, "in dem multimediale Wissensbestände und Zeichensysteme unterschiedlicher medialer Register abgerufen" (REICHERT 2008, S.81) werden. Identität verstehen wir in diesem Sinne und in Anlehnung an die Arbeiten von KEUPP et al. (2008 [1999]) als “individuelles Rahmenkonzept einer Person, innerhalb dessen sie ihre Erfahrungen interpretiert und das ihr als Basis für alltägliche Identitätsarbeit dient" (S.60). Identitätsarbeit meint die Entwicklung "situativ stimmige[r] Passungen zwischen inneren und äußeren Erfahrungen" (a.a.O.), die narrativ zu Teilidentitäten verknüpft und verdichtet werden. Als "Lesarten des eigenen Selbst" (KRAUS 2000, S.232) ist mit Identität keinesfalls ein fixer Zustand gemeint. Vielmehr avanciere in spätmodernen Lebenszusammenhängen das Spiel mit Optionen zum charakteristischen Merkmal der Selbstkonstituierung und eines Selbst, welches sich permanent in einem Zustand des Werdens befinde. Gründe für die damit verbundenen Veränderungen werden in komplexen gesellschaftlichen Veränderungsprozessen verortet, etwa einem sich wandelnden kapitalistischen Zeitgeist, dem Regime der Kurzfristigkeit und der Beschleunigung (ROSA 2005, 2012), die dazu geführt hätten, dass die einst stabilen wie stabilisierenden Institutionen der organisierten Moderne brüchig geworden seien (BOLTANSKI & CHIAPELLO 2003 [1999]; SENNETT 2007). Identität werde fluide und situativ (HALL 1994) und sei nicht länger nur Teil bzw. Herausforderung eines phasen- und entwicklungsbezogenen Geschehens (ERIKSON 1973), sondern vielmehr ein permanenter Aushandlungs- und Herausforderungsprozess. Dabei avanciere das Unbeständige zum Regelfall, wobei Vielfalt und Komplexität die Lebensbedingungen in spätmodernen Gesellschaften auszeichneten (HELSPER 1991). [14]

In diesem Zusammenhang werden netzgängige, visuelle Selbstthematisierungen als Formen eines "doing identity" (COVER 2016, S.XIV) in Verbindung mit Selbstinszenierung, der -erkundung und -reflektion verhandelt (LOBINGER 2016). Netzgängige, visuelle Selbstthematisierungen seien in Verbindung mit der Smartphone-Technologie und "der permanenten Konnektivität und ihre[n] räumlichen Annotationen" (REICHERT 2008, S.89) (Snapchat u.a.) Gelegenheiten von "neuartige[n] Handlungsräume[n] für Selbstmodellierungen" (a.a.O.), die mit der Erprobung von Rollenmustern und Identitätsentwürfen verknüpft würden und performative Identitätsspielräume eröffneten (TILLMANN 2008). In Abhängigkeit vom Interaktionsgeschehen, etwa auf sozialen Netzwerkseiten, werden visuelle Selbstthematisierungen als eine Gelegenheit verstanden, differente Facette von Identität darzulegen, zu erproben, sie zu inszenieren und zu Reaktionen aufzufordern (REIßMANN 2015). Hierbei sei auch nicht zwangsläufig das einzelne Selfie mit einer identitätsstiftenden Bedeutung assoziiert, sondern vielmehr die Reihung solcher Bilder, die als Kette aktiver Sichtbarkeitsleistungen der Herstellung eines anerkannten und kohärenten Selbstbezugs diene, der aber immer auch durch andere bestätigt und abgesichert werden müsse (a.a.O.; KATZ & CROCKER 2015). TILLMANN (2014) hebt genau diese identitätsbezogene Bedeutung von Selfies hervor, die sie als "Selbst- und Körpererkundungen Jugendlicher in einer entgrenzten Gesellschaft" (S.42) versteht und damit einer Lebenswelt, die sich durch die Zunahme von Risiken unterschiedlicher Art (BECK 2015 [1986]) bei gleichzeitiger Bedeutungsreduktion tradierter Orientierungsrahmen auszeichnet. Hier knüpft die vorliegende empirische Untersuchung an. [15]

4. Die Bedeutungen netzgängiger, visueller Selbstthematisierungen für junge Menschen – Methodische Zugänge der Untersuchung

Welche Bedeutungen netzgängige, visuelle Selbstthematisierungen für die sie Erstellenden und die sie Distribuierenden haben bzw. übernehmen, stand im Mittelpunkt der hier vorgestellten empirischen Untersuchung. Es wurden jeweils sieben Interviews mit Jugendlichen (14-16 Jahre) und jungen Erwachsenen (21-27 Jahre) geführt. Mit der Untersuchung war das Ziel verbunden, das Nutzungs-und Kommunikationsverhalten der Befragten, etwa im Zusammenhang mit sozialen Netzwerkseiten bzw. Instant-Messenger-Diensten, und die Relevanz von Selfies und damit verbundene Selfiepraktiken zu erforschen. Die Bearbeitung des empirischen Materials erfolgte mithilfe der Grounded-Theory-Methodologie (STRAUSS & CORBIN 2010 [1996]). Die Rekrutierung der Befragten orientierte sich dabei rudimentär am Verfahren des Theoretischen Samplings: Es wurde nicht von vorneherein festgelegt, welche Fälle zu erheben sind, sondern vielmehr in der Auswahl der Gesprächspartnerinnen und -partner darauf geachtet, ob sie dabei helfen, das Untersuchungsphänomen zu erschließen und Praktiken visueller Selbstthematisierungen aus ihrer Perspektive verstehen zu lernen (a.a.O.). Zu Beginn des Forschungsprozesses umfasste das Sample v.a. Interviews mit Heranwachsenden bzw. Jugendlichen. Im Verlauf des Forschungsprozesses wurde es auf junge Erwachsene erweitert. Dies war bereits konzeptionell in der Planungsphase des Projektes angedacht und wurde mit Blick auf entwicklungs- und identitätstheoretische Fragen begründet, aber erst im Verlauf der Forschung konkretisiert und umgesetzt. Eine Erweiterung des Samples auf junge Erwachsene folgte v.a. aus der forschungsleitenden Fragestellung der Untersuchung und ersten Erkenntnissen aus der Analyse der Interviews mit den Heranwachsenden, wobei mit der altersbezogenen Erweiterung umfassendere Einsichten über die Praktiken und subjektiven Relevanzen der Erstellung und Distribution netzgängiger, visueller Selbstthematisierungen eröffnet werden sollten. Dabei wurden hinsichtlich der Forschungsfrage und der fortschreitenden Analyse sowohl ähnliche als auch unterschiedliche Fälle gesucht, um das Untersuchungsphänomen im Rahmen der zur Verfügung stehenden personellen und zeitlichen Ressourcen möglichst breit und umfänglich und mit Blick auf die untersuchten Fälle kontrastierend erfassen zu können. Uns ging es darum, verstehen zu lernen, welche Anziehungskraft Selfies für Heranwachsende und junge Erwachsene haben, etwa im Interaktionsgeschehen und in der Gestaltung sozialer Beziehungen und dabei auch zu ergründen, warum und in welchen Zusammenhängen diese erstellt und verwendet werden. Ziel war es folglich mithilfe der Interviews die Praxis der Erstellung und Distribution von Selfies aus der Perspektive der sozial Handelnden anhand ihrer Erzählungen zu untersuchen (KÜSTERS 2009). Wir beziehen uns dabei ausschließlich auf Interviewäußerungen. Zwar wurden uns in den Gesprächen immer wieder auch einzelne Selfies gezeigt, jedoch wurden diese nicht in die Analyse aufgenommen. Erstens begründet sich dies damit, dass eine Erhebung dieser Materialitäten zu Beginn des Forschungsprozesses aus forschungsethischen Gründen, etwa mit Blick auf das Alter der Interviewten, nicht systematisch intendiert war. Visuelles Material wurde uns zwar sporadisch in den Interviews gezeigt, v.a. im Rahmen der Visualisierung und Veranschaulichung von Interviewäußerungen, teilweise jedoch nachdrücklich verbunden mit der Aufforderung, es nicht weiter zu verwenden. Damit verbunden stellte sich zweitens vielfach auch ein rechtliches Problem vor allem bezüglich der Interviews mit den minderjährigen Jugendlichen, für die zwar teilweise die Erlaubnis zur Verwendung visueller Materialitäten seitens der interviewten Jugendlichen erteilt wurde, jedoch nicht seitens der Erziehungsberechtigten, da diese nur die Nutzung des Interviewmaterials genehmigt hatten. Wir beschränken uns daher auf die verbalen Äußerungen aus den Interviews. Bevor die in der Analyse des Materials gewonnenen Ergebnisse vorgestellt und diskutiert werden, wird folgend die Interviewmethode knapp skizziert (Abschnitt 4.1) sowie das Auswertungsprozedere erörtert (Abschnitt 4.2). [16]

4.1 Datenerhebung mittels verstehender Interviews

Die Interviews wurden im Frühjahr 2016 geführt. Die eingesetzten verstehenden Interviews (BOURDIEU 2010 [1997]; KAUFMANN 1999) werden in der Forschungsliteratur als ein Interviewtyp charakterisiert, der eine Offenheit des Gesprächsverlaufs anstrebt. Der Methode geht es um Verstehen im Sinne von WEBER (2016 [1922]), wobei soziales Handeln deutend, in seinem Ablauf und mit Blick auf seine Wirkungen erklärend erschlossen wird. Im Vordergrund stehen die Theorieproduktion und eine möglichst facettenreiche Erfassung des erforschten Phänomens (KAUFMANN 1999), welche auf die narrativen Angebote und die situativen Entwicklungen des Gesprächsverlaufs abhebt und deren Instrumente anpassungs- und entwicklungsfähig sind (a.a.O.). Hierzu gehört etwa auch die Entwicklung und der Einsatz von Interviewleitfäden, die jedoch eher eine flexible Orientierungshilfe darstellen. Idealtypischerweise werden Interviews thematisch gerahmt, die eigentlichen Schwerpunktsetzungen erfolgen indes durch die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner. Hierdurch entwickelt sich eine Gesprächsdynamik, die den Leitfaden (idealiter) unnötig macht. Als Interviewtechnik fokussieren verstehende Interviews eine Gesprächssituation, die einen intensiven Austausch zwischen der interviewenden und der befragten Person ermöglicht, wobei im Idealfall der Interviewverlauf einer Unterhaltung zwischen Gleichberechtigten ähnelt. Gemäß den methodischen Prämissen wurde für die hier geführten Gespräche ein Leitfaden entwickelt, der jedoch zuvorderst der Orientierung in der Interviewsituation diente. Im Interview wurden zwar immer wieder Fragen mit thematischen Fokussierungen verwendet, v.a. aber erfolgte eine Ausrichtung an den Themensetzungen der Interviewten selbst. Fragen aus dem Leitfaden umfassten u.a. folgende Aspekte: die Bedeutung und Relevanz von sozialen Medien/sozialen Netzwerkseiten in Peer-Kontexten und die Gestaltung sozialer Beziehungen, Kommunikationsverhalten, Erstellungs- und Distributionspraktiken von Selfies sowie Funktionen des Selfies. [17]

4.2 Die Analyse des Materials mithilfe der Grounded-Theory-Methodologie

Die Analyse des Materials erfolgte mithilfe der Kodierverfahren der Grounded-Theory-Methodologie und orientierte sich am Vorgehen von STRAUSS und CORBIN (2010 [1996]). Die Wahl begründet sich einerseits mit der Nähe zur verstehenden Interviewtechnik und den durch die GTM offerierten Kodierverfahren, die eine sukzessive Bearbeitung und Erschließung des Materials eröffnen (PFANKUCH 2014, YILDIZ 2016). Die GTM ist, wenn auch in unterschiedlichen Konzeptualisierungen und Weiterentwicklungen (vgl. etwa STRÜBING 2014), ein umfassender wie methodologisch begründeter Forschungsstil, der komplexe Techniken zur Datengewinnung (Theoretical Sampling) offeriert, eine regelgeleitete Bearbeitung und Analyse des Materials ermöglicht und die Formulierung einer im empirischen Material begründeten Theorie über ein soziales Phänomen erlaubt. Dabei operiert die GTM im forschungspraktischen Vorgehen freilich nicht nach "Rezeptbuchwissen" (KROTZ 2005, S.157), sondern erfordert vielmehr beständige Anpassungsleistungen an den jeweils untersuchten Gegenstand. Zentral sind hierbei v.a. die zum Einsatz kommenden Verfahren der Kodierung, die ein systematisches "Aufbrechen" des Materials und dessen Erschließung erlauben (STRAUSS & CORBIN 2010 [1996], S.15), aber auch Kreativität und Flexibilität erfordern. Die Auswertung basierte auf einander aufbauenden, gleichwohl iterativ ausgerichteten Verfahren der Kodierung, der Abstraktion und Identifikation von Kategorien sowie Zusammenhängen zwischen diesen. Das Schreiben von Memos und die kontinuierliche Erhebung von weiteren Daten erfolgte in der forschungsleitenden Absicht auf der Grundlage der Interviewäußerungen die mit netzgängigen, visuellen Selbstthematisierungen verbundenen subjektiven Bedeutungen der sie Erstellenden zu rekonstruieren. Im Mittelpunkt des Auswertungsprozesses stand eine Analyse unterschiedlicher Äußerungen über diese Praktik und das Ziel, diese auf "ihren allgemeinen Kern zu reduzieren, zusammenzufassen und zu verdichten" (KROTZ 2005, S.179). Notwendige Voraussetzung ist sowohl Offenheit gegenüber den Angeboten der Interviewten, ohne dabei explizit theoretisches Vorwissen auszublenden. Relevant ist hierbei etwa das Konzept theoretischer Sensibilität. Dieses meint "die Fähigkeit, Einsichten zu haben, den Daten Bedeutungen zu verleihen, die Fähigkeit zu verstehen und das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen" (STRAUSS & CORBIN 2010 [1996], S.25). Unter Einbezug differenter Quellen (Literatur, berufliche wie persönliche Erfahrungen und durch kontinuierliche Auseinandersetzung mit den Daten) geht es darum, im Wechselspiel von Material und Wissen im Forschungsprozess Einsichten und ein Verständnis für ein Phänomen zu entwickeln. Vorausgehende Präkonzepte sind für die Forschung durchaus nützlich, wobei in vorliegender Untersuchung v.a. sozialisations- und entwicklungsbezogene Theorien in die Analyse einbezogen wurden, vor deren Hintergrund Praktiken und individuelle Bedeutungszuschreibungen visueller Selbstthematisierungen bei Heranwachsenden und jungen Erwachsenen fokussiert und analysiert wurden. In diesem Sinne beschreibt theoretische Sensibilität ein erkenntnistheoretisches Bewusstsein für die Bedeutung von Daten im Kontext ihrer sozialtheoretischen wie lebensweltbezogenen Zusammenhänge. Das Forschungsinteresse bestand im Verstehen von Praktiken der Produktion und Distribution von netzgängigen, visuellen Selbstthematisierungen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Gleichwohl muss hier eingewendet werden, dass von einer theoretischen Sättigung mit Blick auf das Forschungsphänomen nicht ausgegangen werden kann, da die Untersuchung einerseits eine spezifische Altersgruppe fokussierte und darüber hinaus narrativ erfolgende Begründungen für die Erstellung und Distribution netzgängiger, visueller Selbstthematisierungen untersuchte und nicht das damit verbundene visuelle Material bzw. die Praktiken selbst. Die folgenden Ausführungen sind somit nicht als (umfängliche) theoretische Erklärung bzw. Theorie über dieses Phänomen zu verstehen und mit der kategorialen Ordnung wird nicht der Anspruch verbunden, eine Grounded Theory vorzulegen. Die Darstellung orientiert sich vielmehr an den während der Analyse des Materials gewonnen Kategorien und Zusammenhängen zwischen diesen. Mit Blick auf die Untersuchungsgruppe und das Selfiephänomen eröffnen sie dessen ungeachtet erkenntnisreiche Konzeptualisierungen. Das Vorgehen in der Analyse des Materials gestaltete sich dabei wie folgt: [18]

Noch während die ersten Interviews geführt wurden, begann die Arbeit am empirischen Material. Im ersten Schritt, dem offenen Kodieren, wurden Textpassagen gesucht, in denen Aussagen über das Untersuchungsthema formuliert wurden, die beispielsweise Beschreibungen darüber enthalten, wie die Interviewten in sozialen Situationen agieren, also v.a. wie sie soziale Medien bzw. soziale Netzwerkseiten nutzen, welche Rolle und Relevanz diese für die Gestaltung ihres Alltags, ihre sozialen Beziehungen und ihre Interaktionen haben aber auch wie hierbei visuelle Selbstthematisierungen aufgegriffen und verwendet werden. Im offenen Kodieren wurde v.a. Material kodiert, in welchem

Fundstellen wurden lokalisiert und in einem ersten Schritt in Konzepten zusammengefasst, verbunden mit dem Ziel, inhaltliche Umschreibungen zu finden, die auch für weitere Fundstellen relevant sein könnten (etwa "Mediennutzung", "Relevanz von Medien im Alltag", "Relevanz dieser Medien in Peerkontexten", "Praktiken visueller Selbstthematisierungen", "Relevanz visueller Selbstthematisierungen in verschiedenen Zusammenhängen" etc.). Anschließend wurden diese Konzepte in der Analyse des Materials weiter verfeinert, v.a. aber auch miteinander in Beziehung gesetzt und verdichtet. Relevant war hier insbesondere, die mit Konzepten verbundenen Inhalte miteinander zu vergleichen und thematisch zu sortieren. Einerseits konnten anhand des Materials differente Nutzungspraktiken im Zusammenhang mit sozialen Netzwerkseiten und Medien identifiziert, andererseits die Relevanz von visuellen Selbstthematisierungen in unterschiedlichen Kontexten und kommunikativen Settings erarbeitet werden. Anschließend wurden Konzepte verknüpft, gruppiert und Beziehungen zwischen diesen herausgearbeitet, v.a. um übergreifende kategoriale Eigenheiten und Zusammenhänge zu identifizieren. Die Gruppierung erfolgte mit dem Ziel, eine Systematik, etwa mit Blick auf Nutzungspraktiken, Verhaltensweisen und Einstellungen, auf einem abstrakteren Niveau darlegen zu können. Im axialen Kodieren wurden dann v.a. Beziehungen und Zusammenhänge zwischen Kategorien weiter untersucht und verfeinert, Beziehungen anhand des Materials erschlossen und rekonstruiert, im Rahmen welcher kontextuellen Einbettungen visuelle Selbstthematisierungen als Ausdrucks- und Kommunikationsmittel von Relevanz sind. Zur Bestimmung des Phänomens/von Phänomenen wurden die identifizierten Kategorien zueinander ins Verhältnis gesetzt, zusammengefasst, übergreifende Themen identifiziert und inhaltlich angefüllt. Die Ausdifferenzierung der Kategorien sowie ihrer Rationierungen erfolgte primär nach inhaltlichen Gesichtspunkten ohne Verwendung des paradigmatischen Modells. Dabei wurden im Material verschiedene Bedeutungszuschreibungen netzgängiger, visueller Selbstthematisierungen ebenso wie individuelle und gruppenbezogene Relevanzen dieser Bildpraktik identifiziert, die diese Bilder aus der Perspektive ihrer Erstellenden in der Gestaltung ihrer sozialen Beziehungen und ihrer Interaktionspraktiken haben bzw. übernehmen. Hierzu gehören unterschiedliche subjektiv begründete Relevanzen, etwa ihre Bedeutungen für die "Gestaltung des Interaktionsgeschehens", die "Beziehungspflege", die "Dokumentation des Alltags" oder ihre Funktion als "Mittel der Eindruckserzeugung". In Verbindung damit stehen unterschiedliche Herstellungs- und Distributionslogiken. [20]

5. Visuelle Selbstthematisierungen: Praxis und (inter-) subjektive Bedeutungen für Heranwachsende und junge Erwachsene – Darstellung der Forschungsergebnisse

In den mit den Jugendlichen und jungen Erwachsenen geführten Gesprächen und dem parallel zu den Erhebungen sich kontinuierlich entwickelnden Analyseprozess bestand das Erkenntnisinteresse darin, die subjektiven Bedeutungen von Selfies wie auch Begründungen für ihre Erstellung und Distribution zu erarbeiten. Die Ergebnisse werden im Folgenden entlang der im Analyseprozess erarbeiteten Kategorien präsentiert. Zuerst werden wir aufzeigen, wie und in welchen Kontexten die hier Interviewten soziale Medien bzw. soziale Netzwerkseiten für das Interaktionsgeschehen nutzen und in diesem Zusammenhang auch die Erstellung und Verbreitung von Selfies betreiben (Abschnitt 5.1). Selfies und ihre Produktion und Distribution werden durch ihre Erstellenden mit verschiedenen, subjektiv begründeten Zwecken verbunden. (Abschnitt 5.2). In der Analyse des Materials konkretisierte sich dies in vier kategorialen Zusammenhängen: Neben den identifizierten Dokumentations- und Erinnerungsfunktionen offerieren Selfies für die sie Erstellenden entwicklungs- und identitätsbezogene Bedeutungen im Kommunikationsgeschehen v.a. in der Gestaltung von Beziehungen zur Gruppe der Gleichaltrigen. Darüber hinaus sind sie mit Bedeutungszuschreibungen verwoben, in denen Inszenierung und Eindruckserzeugung im Vordergrund stehen ebenso wie Selfies auch im Rahmen intimer Beziehungspflege verwendet werden (Abschnitte 5.2.1-5.2.4). [21]

5.1 Soziale Medien und Netzwerke aus der Perspektive ihrer Nutzerinnen und Nutzer

Zu den in den Interviews genannten, mindestens täglich genutzten Netzwerkseiten bzw. App-Anwendungen gehören neben Facebook v.a. Instagram, Snapchat, Twitter, YouTube sowie WhatsApp. Für die Interviewten eröffnen diese Netzwerke bzw. Instant-Messaging-Dienste und der Zugang zu ihnen über das Smartphone und entsprechende Applikationen nicht nur relevante Interaktions- und Kommunikationsräume, sondern sie sind insbesondere für die Gestaltung ihrer sozialen Beziehungen und ihres Alltags von Bedeutung. Als charakteristisch erwies sich dabei über alle Interviews hinweg die parallele Verwendung mehrerer Anwendungen. Zu den Aktivitäten dort zählen das Verfassen von Text- und Sprachnachrichten, die Suche nach Informationen, die Pflege von sozialen Beziehungen oder das Einbringen eigener Inhalte über Videos, Blogs oder VLogs4). Darüber hinaus finden die Interviewten hier vielfältige Möglichkeiten für einen ungezwungenen Zeitvertreib, verbunden mit Gelegenheiten Spaß zu haben und soziale Beziehungen, v.a. zur Gruppe der Gleichaltrigen, aufrechtzuerhalten und zu pflegen. [22]

Das bis dato größte Netzwerk Facebook wird von den Interviewten überwiegend skeptisch bewertet. Zwar gehört es für alle (noch) zu ihrem Alltag, ist aber hinsichtlich seiner Relevanz für die Pflege und das Eingehen von sozialen Beziehungen und Interaktionen eher von nachrangiger Bedeutung, nicht zuletzt mit Blick auf bildzentrierte Praktiken und visuelle Selbstthematisierungen in Form von Selfies. Facebook fungiert eher wie eine Schnittstelle, an der unterschiedliche Informationen zusammenlaufen. So erzählte etwa die 27-jährige Julia, dass sie Facebook zwar nutze, "um auf dem Laufenden zu bleiben" (Julia, Z5).27), sie sich jedoch gleichwohl durch die zunehmende Informations- und Reizüberflutung belastet fühle. Als soziales Netzwerk behalte Facebook dessen ungeachtet für sie eine spezifische Attraktivität, da es ihr Möglichkeiten biete, Informationen (v.a. zu Veranstaltungen und Partys) zu erhalten und mit entfernten FreundInnen in Verbindung bleiben zu können:

"Facebook [...] auch wenn mittlerweile echt viel Blödsinn da gepostet wird und auch diese ganzen Videos und so weiter [...], ja man weiß immer was los ist und wo was los ist auch was wenn, wenns um Partys oder Veranstaltungen allgemein geht [oder] auch Kontakte hat wie zum Beispiel ich hab viele Freunde in Spanien und [...] auch ganz gut weil meine ganze Familie hab ich dort auf Facebook die aus Polen kommt und deswegen so hab ich dann immer regelmäßigen Kontakt mit denen" (Julia, Z.58-65). [23]

Während die Möglichkeiten der Kontaktpflege als positiv aufgefasst werden, stellt sie gleichwohl eine für sie mit unspezifischen Inhalten verbundene Informationsverdichtung im Newsfeed6) fest, wobei viele Inhalte für sie von mangelnder Relevanz sind. [24]

Dies betonte auch der 24-jährige Mark, der Facebook ausschließlich nutzt, um mit im Ausland lebenden FreundInnen in Kontakt bleiben zu können. Auch er sieht die Häufung von aus seiner Perspektive irrelevanten Inhalten kritisch: "[A]ber mittlerweile benutz ich das nur noch um ja um mich über meine Freunde ausm Ausland zu informieren natürlich auch über die Leute ja in Deutschland aber sagen wa mal Leute die nicht am selben Ort sind wie ich" (Mark, Z.71-73). Catharina, 24, beklagte die aus ihrer Sicht rückläufige Relevanz des Netzwerks: "Facebook hat son bisschen an Charakter verloren hab ich früher sehr viel benutzt [...] aber heute ist da fast nur noch Blödsinn" (Catharina, Z.5-9). Ähnlich beschrieb dies auch die 16-jährige Marie, die "Facebook [...] am Wenigsten eigentlich" verwendet: "Ich nutz das nur, um zu gucken was meine Freunde jetzt gepostet haben oder um mitten paar Freunden zu schreiben, aber oft nutz ichs eigentlich nicht. Das benutze ich nur so um vielleicht maln bisschen die Zeit zu vertreiben" (Marie, Z.7-10). Als Grund für den Attraktivitätsrückgang des sozialen Netzwerks wird auch hier die Zunahme von Inhalten im Newsfeed aufgeführt, die vielfach nur noch unspezifisch mit ihren Interessen korrelierten, wobei die als eigentlich zentral empfundene Bedeutung von Facebook, die Vernetzung mit Anderen und das Verfolgen ihrer Lebensgeschichten, verloren ginge. [25]

Visuelle Selbstthematisierungen in Form von Selfies, ihre Produktion und die anschließende Distribution über Facebook spielen für alle Interviewten nur eine nachrangige Rolle. Hier dominieren andere Applikationen und Programme, allen voran Snapchat, WhatsApp und Instagram: "Snapchat mag ich auch sehr gerne. Weil da ja auch viele verschiedene Leute so kleine Ausschnitte aus ihrem Leben posten und genauso Instagram und Snapchat das sind so meine Lieblings-Social-Media-Kanäle", findet Marie (Z.11-14). In den Interviews war es insbesondere Snapchat7), das v.a. von jüngeren Nutzerinnen und Nutzern im Sample anderen Diensten bzw. sozialen Netzwerkseiten vorgezogen und als vorrangige Anwendung mit entsprechenden Vernetzungs- und Interaktionsgelegenheiten verwendet wurde. Hinzu kommen aus Perspektive der von uns Befragten spezifische technische Vorteile der App, etwa dass Bilder nur wenige Sekunden sichtbar sind und dann gelöscht werden oder die in der App implementierten Möglichkeiten der Bildbearbeitung, die dem Zeitvertreib und einem vielfach als ungezwungen und spontan beschriebenen Interaktionsgeschehen zuträglich seien und genutzt würden, um "halt meinen Freunden zu zeigen, wenn ich irgendwie weiß nicht, Spaß habe wo ich gerade bin oder so was" (Michaela, Z.94-95). Durch die Ungezwungenheit und Spontaneität gewinne die App ihre Attraktivität. Sie bietet Möglichkeiten einen spezifischen Moment und situativ relevante Informationen mitzuteilen und andere visuell daran teilhaben zu lassen. Die dabei entstehenden Bilder erfassen visuell einen besonderen Augenblick und mit diesem verquickte Merkmale, die in Verbindung mit Text und Sprache/Sprachnachrichten subjektive Relevanzen enthalten bzw. auf diese verweisen, wobei die Reihung solcher Bilder und Bilderserien das interaktive Geschehen charakterisieren und hierbei v.a. mit Blick auf die Beziehungen zur Gruppe der Gleichaltrigen von Bedeutung sind. [26]

5.2 Selfies als bildzentriertes Interaktionsmittel

Netzgängige, visuelle Selbstthematisierungen sind ein spezifisches Bildformat, das im Rahmen des vernetzten Interaktionsgeschehens der sozialen Medien und entsprechender Applikationen hergestellt und distribuiert wird. Anhand des Materials konnten wir verschiedene Begründungen für die Erstellung von Selfies identifizieren, wobei Selbstportraits in Abhängigkeit von der kontextuellen Einbettung unterschiedliche Bedeutungen für die sie Erstellenden besitzen. In den Gesprächen wurde immer wieder dargelegt, dass Selfies als ein spezifisches Ausdrucksmittel in Kommunikations- und Interaktionssituationen fungieren. Netzgängige Selbstportraits stehen in einer Reihe mit anderen visuellen wie text- bzw. sprachgebunden Formaten, zu denen auch (andere) Bilder, Videos, Memes8) oder GIFs9) zählen und auf die im Rahmen unterschiedlicher Kommunikationsanlässe zurückgegriffen wird. [27]

5.2.1 Selfies und die Rolle des Teilens und der Dokumentation

Hinsichtlich der durch die Interviewten mit Selfies verbundenen subjektiven Erträge und ihrer Bedeutungen wurde in den Gesprächen, v.a. mit den Jugendlichen, immer wieder darauf verwiesen, dass Selbstportraits als spontanes Mittel im Kontext des visuellen Erfassens, Festhaltens und Teilens eines Moments mit signifikanten Anderen gedeutet werden, die aus Perspektive der Produzierenden in bedeutungsvollen Situationen erstellt und geteilt werden. Diese Bilder sind sowohl Ausgangspunkt für kommunikative Vorgänge und intendieren Reaktionen, können aber ebenso auch Bestandteil laufender Interaktionssituationen sein, die überwiegend über WhatsApp und Snapchat realisiert werden. Dabei werden unterschiedliche Anlässe und situative Gegebenheiten, die zur Herstellung und Distribution eines solchen Selfies führen können, beschrieben. Janina, 16 Jahre alt, z.B. erstellt regelmäßig Selfies, wenn "man jetzt zum Beispiel irgendwas macht, mit Freunden irgendwie was schreibt und dann zum Beispiel die Frage kommt was man gerade macht, dann muss man halt erst- kann man halt einfach davon ein Bild machen" (Janina, Z.45-47). Auch beim 16-jährigen Markus sind es spontane Situationen, überwiegend dann, wenn er mit Freunden unterwegs ist, in denen er Selfies erstellt und mit anderen teilt. Er hob die Zeitersparnis des Selfies gegenüber textuellen oder sprachlichen Kommunikationsformen in den sozialen Netzwerken als positiven Aspekt hervor, "dass das auch schnell geht" und "man halt alles aufhal- auf Foto [...] ja, festhalten kann" (Markus, Z.50-51). [28]

Dem Bedürfnis einen Moment festzuhalten, ihn mit anderen zu teilen und so auch zu dokumentieren, werden mit den durch die sozialen Medien und Netzwerke gebotenen Möglichkeiten Gelegenheitsstrukturen eröffnet. Selfies werden nicht einfach nur als Abbildungen des Selbst in spezifischen Situationen interpretiert. Vielmehr noch eröffnen sie für die Erstellenden Optionen zur Hervorhebung eines Aspekts/Ausschnitts aus ihrem Alltag, der wiederum Anlässe für Anschlusskommunikationen bietet oder bereits ein Bestandteil von diesen ist. Neben der Bedeutung des Dokumentierens wurde in den Interviews die Bedeutung der Konservierung von Erinnerungen und ihre visuelle Fixierung in Verbindung mit solchen Selbstportraits beschrieben, die Teil der Beziehungspflege in Peerkontexten sind. So etwa durch Markus, der in solchen Bildern in Verbindung mit den technischen Möglichkeiten des Smartphones Gelegenheiten vorfindet, erinnerungswürdige Momente festzuhalten, "wenn man sich mit Verwandten trifft oder mit Freunden auch, die halt weiter weg wohnen, dann würde ich das halt schon gern festhalten mit einem Selfie" (Markus, Z.254-255). Die Relevanz der Erinnerung und die visuelle Konservierung besonderer Momente wird mehrfach in den Gesprächen formuliert und hervorgehoben, etwa auch durch Julia (Z.128-129), die "[s]ich [...] an jede Situation erinnern" kann oder Martin, der von einem durch einen Freund erstelltes Selfie erzählte und dabei auch die Situation und deren subjektive Bedeutung im Gespräch revitalisierte, was er durch das Zeigen entsprechender Bilder untermauerte:

"Ich erinnere mich an ein Selfie [...] da waren wir feiern und da hat er mir den zwei Tage später geschickt da hab ich mich schon gefreut ihn zu sehn, weil wir halt, weil ich dann wusste okay wir hatten Spaß so das war ne gute Erinnerung" (Martin, Z.312-316). [29]

Dabei werden Situationen aus dem Alltag im Bild erfasst, dokumentiert und mit individuellen Bedeutungszuschreibungen verknüpft, wie auch Janina im Interview äußerte, die mehrmals in der Woche Selfies mit ihrem Smartphone erstellt. So gehöre es für sie und ihre Freundinnen und Freunde einfach dazu, wenn sie gemeinsam unterwegs sind, neue Kleidungsstücke anzuprobieren oder, wie sie betonte, im Zusammensein mit anderen und aus einer Mischung aus Langeweile und "Entdeckerdrang" heraus "halt zum Beispiel seine Haare ganz gut hinbekommen hat, vielleicht deswegen, um zu zeigen, dass sie halt- irgendwie das so halt ist" (Janina, Z.35-37). Mithilfe technisch vermittelter Dokumentationsmöglichkeiten im Selfie in der Anwendung entsprechender Applikationen gelingt es ihr, diese aus ihrer Sicht besonderen Momente bildhaft zu konservieren, zu dokumentieren und später gemeinsam mit anderen die mit solchen Bildern verbundenen Erinnerungen und Emotionen zu revitalisieren. Deshalb betrachtet sie diese Bilder meist auch nicht allein, sondern v.a. im Zusammensein mit bedeutsamen Bezugspersonen der Peergroup sind solche Bilder von Relevanz, was letztendlich auch der Stärkung des Zusammenhalts und der Beziehungen innerhalb dieser dient. Auch die 15-jährige Isabell verdeutlichte im Gespräch, dass in Bildern und v.a. über Selfies für sie Dinge, Erlebnisse und Erfahrungen des Alltags festgehalten werden können. Sie verwies exemplarisch auf den mit Snapchat verbundenen Story-Modus10), der von ihr im Sinne der Dokumentation interpretiert und genutzt wird. Die Bilder "packt [… man] einfach in seine Story, also dokumentiert quasi seinen Tag damit, dann können sich dann alle Leute, die man halt eingespeichert hat als Kontakt ansehen [...]" (Isabell, Z.15-17) wobei das Bild als authentischer Beleg aufgefasst wird und jenseits von Sprach- und Textnachrichten auch als Vereinfachung im Interaktionsgeschehen interpretiert wird, wie auch aus Janinas Darlegungen ersichtlich wird, denn "man [macht] halt einfach davon ein Bild [...], [kann] das einfach schicken und dann muss man nicht erst einen langen Text schreiben, was man halt gerade macht […] ganz praktisch eigentlich" (Janina, Z.47-49). [30]

Dabei verweisen die Interviewten mit Blick auf Selfies implizit auf eine mit Fotografien generell verknüpfte Bedeutung in der Verbindung von (konservierten) Erinnerungen einerseits und die durch sie evozierten selbstreflexiven Prozesse andererseits (BARTHES 1989 [1980]). Auch wenn durch den technologischen Fortschritt die Verschmelzung von Kameratechnologien und Kommunikationstools an Bedeutung gewinnt und damit ihre Relevanz, etwa hinsichtlich Inszenierung und Darstellung, zunimmt (HARRISON 2002), so fungieren Fotografien und auch Selbstportraits v.a. "as a memory tool" (VAN DIJK 2008, S.58):

“Memories are created just as much as they are recalled from photographs; our recollections never remain the same, even if the photograph appears to represent a fixed image of the past. And yet, we use these pictures not to 'fix' memory but to constantly reassess our past lives and reflect on what has been as well as what is and what will be" (S.63). [31]

5.2.2 Selfies und ihr entwicklungsbezogener Nutzen in der Erprobung von Rollen- und Identitätsentwürfen

Neben Dokumentations- und Erinnerungsfunktionen wurde im Material eine weitere Bestimmung von Selfies identifiziert, die v.a. in Peerkontexten mit der Erprobung, Entwicklung und wechselseitigen Vergewisserung von Rollen- und Identitätsentwürfen verknüpft war. Mit Blick auf Fotografien stellt BARTHES (1989 [1980]) fest, dass Identität nicht im Bild erfasst oder gar dokumentiert werden könne, sondern immer nur ein fixiertes Analogen darstelle, das lediglich eine Ähnlichkeitsbeziehung abbilde, aber keineswegs das Abbild des Individuums oder gar dessen Identität impliziere. Die Bedingungen des Erstellungsprozesses resultierten in einer Künstlichkeit des Abbildes, die durch inszenatorische Handlungen begleitet wird, wobei die Kamera dazu auffordert, sich im Blickfeld des Objektivs (körperlich) auszudrücken bzw. zum Ausdruck bringen zu müssen (a.a.O.). Doch ungeachtet solch inszenatorischer Bedingtheiten von Fotografien wurde in der Analyse des Material bezüglich der Einbettung von visuellen Selbstthematisierungen in das Interaktionsgeschehen mit Selfies auch ein Bedürfnis nach Erprobung und wechselseitiger Vergewisserung von Rollen- und Identitätsentwürfen rekonstruiert, die auch über Selbstportraits ausgedrückt und realisiert werden und spezifische Entwürfe visuell erfassen, teilen und zu Reaktionen auffordern. Selbstportraits erfüllen dabei performative wie situativ bezogene Aufgaben. Denn sie werden in diversen Kontexten und Situationen erstellt und mit anderen geteilt, sie fordern aber auch zur Kommentierung auf und sind relevant für unterschiedliche Anschlusskommunikationen, auch außerhalb vernetzter Kommunikationsprozesse. Grundvoraussetzung ist die Kommunikation mit einer Öffentlichkeit, die mindestens aus einer anderen Person besteht (MUMMENDEY & EIFLER 1995). [32]

Hierbei zeigte sich im Material, dass Bilder, Bilderserien, Selfies ebenso wie Sprach- und Textnachrichten als Bestandteile einer durch Technologien eröffneten Live-Kommunikation und Facetten eines identitätsbezogenen Narrativs interpretiert werden können. Entscheidend ist dabei nicht zwangsläufig das einzelne Bild, sondern vielmehr dessen Situierung in einem umfassenden kommunikativen Geschehen, in dem etwa Texte, Sprache und Bilder als Facetten situativer Selbsterfahrungen in der alltäglichen Identitätsarbeit verknüpft werden (KEUPP et al. 2008 [1999]). Gerade für die Heranwachsenden im Sample sind visuelle Selbstthematisierungen eine Möglichkeit entwicklungsspezifische Herausforderungen zu bearbeiten, die v.a. in der entwicklungskritischen Phase der Adoleszenz mit der Erprobung, Verhandlung und wechselseitigen Vergewisserung von Identitätsfacetten assoziiert sind (ERIKSON 1973). [33]

Die 16-jährige Martha etwa macht nach eigenem Bekunden sehr viele Selfies, "[j]a, also am Tag schon so, je nachdem, wenn irgendwas, wenn ich irgendwo hinfahre oder so dann ja, fünf bis zehn" (Martha, Z.9-10). Die dabei entstehenden Bilder versteht sie einerseits, wie bereits weiter oben beschrieben, als eine Gelegenheit zur Dokumentation ihres Lebens und das visuelle Festhalten von Alltagserfahrungen. Andererseits bieten und eröffnen Selfies ihr aber auch Gelegenheit der Selbsterprobung von Rollen- und Identitätsentwürfen, sofern sie solche Bilder mit der Intention erstellt, Reaktionen einzufordern. Hierzu gehören neben eher unspezifischen Aktivitäten, wie mit Freunden unterwegs "in der Stadt" (Martha, Z.64) zu sein oder Partyerfahrungen auch andere, aus ihrer Sicht relevante, identitätsbezogene Erträge visueller Selbstthematisierungen. So ist Martha seit mehreren Jahren aktive Cosplayerin11) und erstellt und teilt Selfies, die in diesem Zusammenhang entstehen. Hier kann sie einerseits Entwicklungen visuell erfassen und festhalten, aber andere auch an ihren Entwicklungen beteiligen und zeigen "was ich so, wie wandelbar ein Mensch ist" (Martha, Z.49). Hierbei ist es v.a. der von ihr mehrfach im Interview thematisierte und mit dem Cosplay verbundene Transformationsaspekt

"was man aus sich machen kann [...] von einem Mann zu einer Frau oder so was, wo man dann sich auch wirklich so schminken lassen hat und ich finde, das ist auch irgendwie, da kann man dem Menschen einfach was mit so, vielleicht auch vermitteln oder zeigen" (Martha, Z.53-57). [34]

Im Rahmen des Cosplays wird die entwicklungsbezogene Relevanz von Role-taking und -making-Prozessen förmlich greifbar (MEAD 1973 [1968]; KRAPPMANN 2010 [1969]). Denn hierbei sind nicht nur Fantasie und Vorstellungskraft von Bedeutung, sondern auch eine aktive Auseinandersetzung mit Identitätsattributen und Rollenentwürfen, die Martha zur Erprobung von Identitätsfacetten aufgreift und nutzt. Das Cosplay eröffnet ihr so nicht nur einen Identitätsspielraum, sondern auch die Teilhabe an und in einer Gemeinschaft. Das Spielen mit den Optionen, mit gesellschaftlichen Rollenbildern und Normativitätserwartungen ist hierbei für Martha eine Facette ihrer intersubjektiven Selbstkonstitution, in der sie sich mit sozialen Facetten des "Me's" – um mit George Herbert MEAD (1973 [1934]) zu sprechen – auseinandersetzt und in Abgrenzung hierzu eigene, kreative Entwürfe formuliert, also als "I" antwortet und entsprechende Rollenbilder bearbeitet. Das Cosplay wird als ein wesentliches Motiv ihrer Mediennutzung und der Produktion von Selfies kenntlich. Für die Erprobung unterschiedlicher Rollen- und Identitätsentwürfe nutzt sie die sozialen Medien v.a. als Kommunikationsmittel, um Reaktionen, Kommentierungen und auch Anerkennung durch Andere zu erfahren. Dabei finden solche Interaktions- und Kommunikationsprozesse, die neben text- auch einen intensiven bildbezogenen Austausch umfassen, v.a. in sozialen Nahbeziehungen zu engen Freunden, über Messenger-Dienste, wie WhatsApp, statt und dienen einerseits der Festigung der Beziehungen innerhalb ihrer Bezugsgruppe(n) wie sie gleichwohl auch Gelegenheiten der Erprobung und Vergewisserung von Rollen- und Identitätsentwürfen bereithalten. [35]

Die Erprobung von Rollen bzw. Identitätsentwürfen wie auch die Pflege von Peerbeziehungen in Verbindung mit netzgängigen Selbstportraits sind auch für Markus und Andreas, beide 16 Jahre alt, bedeutsam, wobei sich in ihren alltäglichen Selfiepraktiken verschiedene subjektive Zwecke und entsprechende Bedeutungszuschreibungen überschneiden. Markus etwa nutzt Selfies intensiv im Kontext der Beziehungspflege und teilt diese "[e]igentlich nur mit Freunden, also mit also so fünf, sechs Freunden öfters und mit den anderen dann nur, ja jeden zweiten, dritten Tag mal. Und sonst mit den engeren Freunden halt täglich" (Markus, Z.17-19). Hierfür nutzt er v.a. Snapchat. Hierüber finden er und seine Freunde Gelegenheiten, sich jenseits der Kontrolle durch Erwachsene und spezifische Regeln auszuprobieren und miteinander auszutauschen. Verbunden wird damit durch Markus insbesondere eine gemeinschaftsstiftende Bedeutung, wobei in und über Bilder und v.a. auch Selfies in Verbindung mit Sprach- und Textnachrichten alltägliche, sonst unzugängliche Situationen in der Peergroup miteinander geteilt werden, etwa wenn er alleine unterwegs ist "vielleicht mal den Freunden schicken, was man macht oder was so, ja, was man heute noch so macht, weil man kann dazu ja noch was zu schreiben. Und dann vielleicht oder, wenn man mal im Urlaub ist oder irgendwo in einer Großstadt, dann macht man auch mehr Fotos von sich und ja, um zu zeigen, dass man gerade da ist" (Markus, Z.38-42). Andreas führt ähnliche Motive an. Auch er stellt regelmäßig Selfies her und veröffentlicht diese über Snapchat und WhatsApp, einige ausgewählte auch bei Instagram. Während für die Snapchat- und WhatsApp-Nutzung die Bedeutung des Augenblicks und dessen Einfangen im Vordergrund stehen, ist Instagram das soziale Netzwerk, an dem die bereits geteilten und im Freundeskreis als würdig deklarierten Bilder einer größeren Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. Selfies sind für ihn ein Ausdrucksmittel, Selbstportraits, die in ungezwungenen Kontexten entstehen, denn "es macht Spaß mit Freunden mal so Quatsch zu machen oder so. Ein blödes Bild zu machen und sich darüber nachher tot zu lachen" (Andreas, Z.40-41). Exemplarisch hob er im Interview bestimmte Situationen hervor, denen eine entwicklungsrelevante und durchaus auch identitätsstiftende wie -stabilisierende Bedeutung zugeschrieben werden kann, wie das gruppenbezogene Abhängen mit Freunden oder auch gemeinsame Partyerfahrungen mit damit verbundenem, übermäßigem Alkoholkonsum, Erfahrungen, die immer wieder mit der eigenen Positionierung und Verstetigung in der Peergroup und der Stabilisierung und wechselseitigen Vergewisserung der sozialen Identität verbunden waren, auf die im Kommunikationsgeschehen auch auf visuelle Selbstthematisierungen zurückgegriffen wurde. Dabei gehört es in solch gruppenbezogenen Kontexten auch dazu, jenseits der Kontrolle durch Erwachsene Grenzen zu erproben bzw. diese auch bewusst zu überschreiten, wobei in derlei Augenblicken Selfies ihm und seinen Freunden Gelegenheiten offerieren, diese sehr spezifischen Momente festzuhalten, sie, wie weiter oben beschrieben, zu dokumentieren, sie anschließend aber v.a. auch im Peerkontext miteinander zu teilen, die Erinnerungen daran zu bewahren und damit einen Bezugspunkt in Peerzusammenhängen zu etablieren, weil "jeder Moment vergeht und den einzufangen ist irgendwie schon cool irgendwie" (Andreas, Z.46-47). Die so konservierten Bilder sind Teile einer selbst- wie gruppenbezogenen Selbstvergewisserung und werden als Facetten eines Identitätsnarrativs im Gruppenkontext aufgegriffen und verwendet. In der Analyse des Materials wurde immer wieder kenntlich, dass diese Bilder für die Interviewten eine gemeinsame Erinnerung bewahren, die als Facetten der Ich-Identität wie auch der sozialen Identität von Bedeutung sein und auch bei räumlicher Distanz Gemeinschaft und Zugehörigkeit stiften können. Visuelle Selbstthematisierungen sind hierbei Teil des Interaktionsgeschehens, der Selbstvergewisserung wie auch eine Facette der Identitätsarbeit. Identität ist dabei nicht fixiert, sondern in einem Prozess des Werdens befindlich (MEAD 1973 [1934]) und auf die kommunikative Vergewisserung, Anerkennung und Bestätigung durch Andere angewiesen (GOFFMAN 1981). Selfies werden, neben Text- und Sprachnachrichten, durch das "erzählte Selbst" (KRAUS 2000) aufgegriffen, welches zugleich Sender, Gestalter, Sprecher aber eben auch ein Ich ist und daher immer der Reaktionen Anderer, situativ, bedarf (KEUPP et al. 2008 [1999]). Dabei zeigte sich in den Gesprächen mit den Heranwachsenden, dass Bilder und v.a. Selfies Erprobungsräume jenseits von Kontrolle und normierten Regeln eröffnen, um gemeinsame Erinnerungen und damit auch spezifische Bezugsnormen auszuhandeln und zu entwickeln, die identitätsstiftend wirken. [36]

5.2.3 Selfies als Mittel der Eindruckserzeugung und öffentlicher Visibilität

Neben diesem zweiten Zweck von visuellen Selbstthematisierungen wurde im Material und den Begründungen für die Produktion und Distribution solcher Bilder eine weitere Facette identifiziert, die v.a. mit der intentionalen Herstellung von Sichtbarkeit und Präsentation verknüpft ist. Die im öffentlichen Diskurs oftmals kritisierte narzisstische Seite von Selbstportraits kommt in diesem Zusammenhang am stärksten zur Geltung. Die Auswertung des Materials zeigte jedoch auch, dass eine Reduktion allein auf narzisstische Motive die damit verbundenen subjektiven Bedeutungen nur unzureichend beschreiben. Vielmehr zeigte sich bezüglich dieses dritten Nutzungsmotivs visueller Selbstthematisierungen, dass hier aus Sicht der Nutzerinnen und Nutzer intendierte Eindruckserzeugungen mit Aspekten einer Selbstvermarktung zusammenfallen, die in solchen Selbstportraits zum Ausdruck gelangen und von der Wahrnehmung und Bewertung durch Andere abhängig sind. Einschränkend muss hier eingefügt werden, dass solche Zweckbestimmungen visueller Selbstthematisierungen nur in drei Interviews im Sample identifiziert werden konnten, wobei eine Gesprächspartnerin sich überwiegend kritisch gegenüber dieser Nutzungspraktik positionierte. [37]

Charakteristisch für diese Formen der Selfienutzung ist, dass diese hergestellt und distribuiert werden, um eine spezifische Außenwirkung und öffentliche Sichtbarkeit herzustellen, die mit Merkmalen eines Selbst-Brandings verbunden sind (TIFENTALE 2014, S.6). Begründet wird die Produktion und Verbreitung damit, einerseits öffentliche Sichtbarkeit und Identifikation herzustellen, andererseits über solche Bilder aber auch Einmaligkeit und Individualität zum Ausdruck zu bringen. Die Bilderstellung fokussiert eine Eindruckserzeugung, wobei die sich abbildende Person in ausgewählten Situationen oder im Rahmen von Ereignissen gekonnt in Szene setzt. Dabei handelt es sich meist um Situationen, die spontan wirken sollen, die jedoch intentional arrangiert sind. In den Interviews wurde dabei eine professionalisierte Haltung der Bildproduktion rekonstruiert, die sich in Teilen durch einen unternehmerischen und verdinglichten Selbstbezug auszeichnete. Hierzu gehören ein routinierter Umgang mit der Kamera, das Spielen mit Kamerapositionen, Filtern und Perspektiven, die passende Positionierung und eine auf Anerkennungsgewinne fokussierende Ich-Darstellung im Bild. Die visuelle Selbstdarstellung dient letztendlich dazu, ein Publikum, bestehend aus unspezifisch definierten Followern12), zu beeindrucken und Reaktionen einzufordern. Im Kontrast zu den vorangegangenen Bedeutungen der Selfieerstellung adressiert die Verbreitung solcher Bilder nicht primär den sozialen Nahraum unter Bekannten oder der Gruppe der Gleichaltrigen. Darauf verwies etwa die 16-jährige Michaela in unserem Gespräch, die mehrfach betonte, dass sie die Verbreitung von Selfies auf Instagram nur dann betreiben würde, wenn aus ihrer Sicht entsprechende Voraussetzungen für ein gutes Bild erfüllt seien

"also mir ist eigentlich immer wichtig, dass meine Schminke vielleicht gut drauf aussieht und dann mach ich auch eigentlich immer mehr Fotos [...], wenn ich mich halt selber hübsch finde und dann ja, also man sollte schon so drauf also, mir wäre es wichtig [...] 'Oh, du bist aber voll hübsch geschminkt' oder so was oder 'deine Haare sehen voll gut aus'" (Michaela, Z.101-107). [38]

Es kommt ihr hierbei nicht auf spontane Selbstportraits an, sondern vielmehr darauf, wünschenswerte Vorstellungen eines guten Geschmacks symbolisch im Selfie, aber auch anderen Bildern, zum Ausdruck zu bringen und sich selbst dabei gekonnt in Szene zu setzen, wobei auf dafür notwendige inszenatorische Accessoires oder spezifische Gegebenheiten eines Ortes zurückgegriffen wird. Sie verbindet mit solchen Inszenierungen Hoffnungen auf unspezifische Anerkennungsgewinne, v.a. in Form von "Likes"13) und Kommentaren. Wenn ein Bild dabei nicht die erwünschten Reaktionen bringt, also genügend Likes und Kommentare produziert, "dann würde ich es wieder rausnehmen, weil mir das sonst zu peinlich wäre" (Michaela, Z.201). Likes und Kommentare fungieren für sie als virtuelle Währung, die sie als Ausdruck von Wertschätzung ihrer Person und Persönlichkeit gegenüber durch andere interpretiert. Ihre Aktivitäten und die Reaktionen darauf verfolgt sie beständig und gleichwohl werden permanente Vergleichsprozesse vorgenommen, wobei Likes und Kommentare für sie Gradmesser sozialer Anerkennung und Akzeptanz sind. "Also, hört sich richtig doof an, aber [...] bei manchen denkt man auch schon so, die nur zwanzig Likes oder so auf ihrem Profilbild haben: 'Hey, was ist denn da los oder so'" (Michaela, Z.202-204). Die damit verbundene Praxis des Erstellens von immer neuen Selfies beschreibt sie durchaus als anstrengend und in Teilen auch belastend. Anerkennung wird in diesem Zusammenhang v.a. mit Äußerlichkeiten und mit der Erfüllung und Reproduktion normativer Vorstellungen von Schönheit verknüpft, die sicht- und identifizierbar sind. Sichtbarkeit und Anerkennung werden miteinander verbunden und zum Gradmesser subjektiver Zufriedenheit (FREITAS 2017). Im Bild macht sie sich selbst zum Objekt, reproduziert dabei auch normative Vorstellungen darüber, was aus ihrer Perspektive gesellschaftlich als schön und erstrebenswert erscheint, verfolgt intensiv die Reaktionen auf diese Bilder und setzt das Resultat dieses Prozesses, die Anzahl von Likes und Kommentaren, mit ihrem sozialen Status und ihrer sozialen Reputation gleich. Abweichungen hingegen, etwa durch das Fehlen virtueller Anerkennungsleistungen, werden unmittelbar durch sie selbst sanktioniert, in dem die Bilder gelöscht und entfernt werden. [39]

Eine Zuspitzung solch verdinglichter wie gleichwohl marktförmig strukturierter Prozesse konnten in der Erzählung der 24-jährigen Mareike rekonstruiert werden. Auch sie versteht das Teilen von Bildern und Selfies als ein selbstverständliches Merkmal ihres Alltags und ihrer professionalisierten Aktivitäten auf sozialen Netzwerkseiten. Sie charakterisierte sich in unserem Gespräch als aktive Bloggerin, die neben Instagram gelegentlich auch Facebook nutzt. Insgesamt kann sie auf eine (beachtliche) Anzahl von über 600 (Bild-) Beiträgen zurückblicken und ist darauf bedacht, in ihren geteilten Bildern und Selfies besondere und aus ihrer Sicht spezifische Momente einzufangen, wie sie gleichwohl als Modebloggerin versucht, bestimmte Accessoires in Szene zu setzen. Neben der Inszenierung und Optimierung der Bilder, gilt es auch, strukturelle Regeln der Veröffentlichung zu befolgen, "da stecken auch Uhrzeiten wann du was postest und so steckt auch noch alles dahinter" (Mareike, Z.407-408). Dabei orientiert sie sich in ihren Handlungen und Aktivitäten am Vorgehen anderer, bekannter ModebloggerInnen, denen sie mit Blick auf die Etablierung eines gewinnorientierten Geschäftsmodells nacheifert. Ausgestattet mit Selfiestick14) und mit Präferenzen für diverse Kamerafilter auf ihrem Smartphone ist sie immer wieder auf der Suche nach besonderen Motiven, aber auch Orten, an denen sie geschickt sich selbst und Accessoires in Verbindung mit sichtbaren Merkmalen eines bestimmten Ortes in Szene setzt. Dabei verdeutlichte sie, dass sie bei allen Bildern, die sie auf Instagram teilt, sehr genau auf die Details achten würde und ihr trotz des Inszenierungsaspekts wichtig ist, "dass es ich ist so" (Mareike, Z.234), in den Bildern "nen Teil von mir ist" und zum Ausdruck gelangt und "ich würd schon sagen, dass es noch authentisch ist" (Z.193-194). Die Inszenierung von spezifischen Augenblicken charakterisieren ihre Aktivitäten, wobei sie Bilder und Selfies nicht nur erstellt und teilt um sichtbar zu sein, sondern sie gleichwohl als Konstruktionsprozess von Stil und Ausdruck einer anerkannten Geschmackspräferenz versteht und mit ihrer Tätigkeit ein (Selbst-) Produkt zu etablieren sucht, das möglichst viele potenzielle Follower bzw. KonsumentInnen anspricht. Sie beschreibt dabei ein unternehmerisches Verhältnis zu sich und ihren Aktivitäten, eine Tätigkeit, die sie als anstrengend und zeitaufwändig charakterisiert und erheblicher Kalkulationsleistungen bedarf. Am Tag veröffentlicht sie 2-3 Beiträge, denn "das verlangt der Nutzer von dir quasi, also so wirklich frequente Nutzer" (Z.373-374). Das professionalisierte und zugleich internalisierte unternehmerische Verhältnis ist bemerkenswert. Denn Bilder werden hier vor allem unter Vermarktungsgesichtspunkten hergestellt und in Verbindung mit Inszenierungen des eigenen Körpers und spezifischen Artefakten distribuiert, wobei Selbstportraits die Funktion übernehmen, nicht nur einen bestimmten Eindruck zu vermitteln und sich selbst zum Objekt zu machen, sondern dabei auch eine Verschiebung beobachtet werden kann, wobei sie sich selbst als Marke versteht und die Vermarktung ihres Selbst mit kalkulierendem Vorsatz verfolgt. Vordergründig für die Erstellung und Distribution ist die Konstruktion einer wünschenswerten und vermarktungsfähigen Außendarstellung, die als Merkmal in der Produktion eines Images interpretiert werden kann, wie auch entsprechende Aktivitäten Merkmale der Imagepflege und eines Selbst-Branding-Prozesses sind. Wie in der Werbung auch, geht es hierbei darum, ein Produkt zu verkaufen und sich gleichwohl als Marke zu etablieren, wobei nicht die Möglichkeiten des Produkts im Vordergrund stehen, sondern vielmehr Gefühle, Assoziationen und subjektive Bedeutungen etabliert werden, die darauf fokussieren, eine (emotionale) Beziehung aufzubauen (DYER 1982). Erstaunlich ist, wie sehr Verdinglichung und Idealisierung marktförmiger und ästhetischer Vorlagen und deren Reproduktion ihren Alltag strukturieren. So ist sie beständig auf der Suche nach neuen Motiven und Gelegenheiten für ihre Inszenierungen und das In-Szene-setzen. Visibilität und Reichweite wie auch die beständige Motivation zur Vergrößerung ihrer Followeranzahl sind die zentralen Antriebskräfte in einer verdinglichten Weltbeziehung und der Suche nach virtueller Anerkennung und (monetärer) Verwertbarkeit. [40]

Deutlich kritischer und kontrastierend interpretierte "dieses gezwungene liken" und die auf Inszenierung ausgerichteten Selfiepraktiken Julia (Z.452-453) in unserem Gespräch, die lange Zeit selbst Instagram sehr intensiv nutzte, um solche Selfies öffentlich sichtbar zu distribuieren und sich dabei gekonnt in Szene zu setzen. Sie verwies in unserem Gespräch darauf, dass sie derlei Selfies und die damit verbundene Eindruckserzeugung als eine aus ihrer Perspektive nicht authentische Praxis mittlerweile aufgegeben habe. Als Julia noch regelmäßig solche Bilder und Selfies verbreitete, erfolgte dies mehrmals täglich, wobei darunter ca. ein Drittel Selfies gewesen seien. Sie kritisierte aber auch mehrmals und nachdrücklich im Gespräch eine aus ihrer Sicht mit solchen Bildern verbundene Künstlichkeit, wobei sie exemplarisch das sogenannte Duckface als ein spezifisches Inszenierungsspiel hervorhob und als eine der zentralsten Selfiepraktiken identifizierte. Ziel und Intention der Pose erkläre sich dadurch, dass bei "den wo ich Duckface habe, da hab ich mehr Kommentare und mehr Likes als auf den normalen Fotos" (Julia, Z.514-515). Das Streben nach Likes und Kommentaren bewertet sie somit als eines der zentralen Teilungskriterien von Selfies und betrachtet diese Praxis heute kritisch. Sie begründete ihren Rückzug wie auch ihre mittlerweile ablehnende Haltung mit erheblicher Stresszunahme mit Blick auf ihre Aktivitäten im Internet und den sozialen Medien, denn "ich kam schon gar nicht mehr hinterher" (Julia, Z.446-447). Dessen ungeachtet gab Julia im Gespräch an auch weiterhin Selfies zu erstellen, die jedoch in exklusiveren Rahmen geteilt würden, wobei der Beziehungspartner eine exponierte Stellung einnehme und visuelle Selbstthematisierungen im Rahmen intimer Beziehungspflege eine Rolle spielen, eine Verwendungsweise, die auch in anderen Gesprächen beschrieben und folgend dargestellt wird. [41]

5.2.4 Das Erstellen und Teilen von Selfies als Merkmal intimer Beziehungen

Mit Blick auf die mit Selfies verbundenen Außenwirkungen ließen sich im Verlauf der Analyse des Materials nicht nur die oben beschriebenen verdinglichten Praktiken im Zusammenhang mit der Erstellung und Distribution rekonstruieren. In Kombination mit intendierten Außenwirkungen bilden diese eher die Ausnahme im Sample. Eine weitaus verbreitetere Verwendung und Bedeutung haben Selfies darüber hinaus in einem weniger von öffentlicher Visibilität gekennzeichneten Rahmen. Im Unterschied zu den zuvor beschriebenen Verwendungszusammenhängen fungieren visuelle Selbstthematisierungen hierbei vorwiegend als Mittel der Pflege intimer Beziehungen zur Partnerin bzw. zum Partner. Im Mittelpunkt steht ein mit diesen Bildern verknüpfter Zweck des Teilens und Mitteilens von Eindrücken, situativen Gegebenheiten, emotionalen Zuständen oder spezifischen, nur für die EmpfängerInnen dekodier- und einordbaren visuellen Eindrücken. Selfies ergänzen in diesem Sinne als bildbezogenes Interaktionsmittel die Schriftsprache in intimen Nahbeziehungen. [42]

Bilder und v.a. auch Selfies dienen in solchen Zusammenhängen dazu, Interaktionen, insbesondere jene über Messenger-Apps, jenseits der interpretatorischen Komplexität von Textnachrichten anzuregen, aufrechtzuerhalten bzw. zu vertiefen. Die dabei entstehenden Selbstportraits können die unterschiedlichsten Aspekte und Merkmale abbilden und sind nur einem kleinen AdressatInnenkreis, meist nur einer Person, zugänglich. Die Bedingungen, in denen solche Bilder erstellt und v.a. geteilt werden, unterscheiden sich z.T. deutlich von den bereits dargestellten. Gleichwohl sind auch hier die situative Bezugnahme und damit intersubjektiv aus dem Interaktionsgeschehen resultierende Bedeutungszuschreibungen charakteristische Merkmale, die für die kommunikative Gestaltung intimer Beziehungen als hochgradig bedeutsam beschrieben werden. Hierfür zwei Beispiele aus dem Material: [43]

Die im vorangegangenen Abschnitt eingeführte Erzählung von Julia verdeutlichte, dass Selfies für sie, trotz ihrer mittlerweile skeptischen bis kritischen Haltung gegenüber der Verwendung solcher Selbstportraits in den sozialen Netzwerken, weiterhin von Bedeutung sind. Doch werden diese von ihr ausschließlich im Rahmen der Beziehung zu ihrem Freund erstellt und distribuiert, wobei sie in ihren Interaktionspraktiken neben Text- und Sprachnachrichten in erster Linie auf Bilder und eben auch Selfies zurückgreift. Mit ihrem Freund, mit dem sie sich "bestimmt 2000 Fotos schon mittlerweile geschickt [hat] und ich glaub die Hälfte davon sind Selfies oder Fotos wo wir halt drauf sind was wir grade machen und so weiter" (Julia, Z.190-193) verbindet sie v.a. Vergewisserungsabsichten. Bilder und Selfies umfassen alltägliche Situationen, aus denen heraus, überwiegend spontan, eine Aufnahme erstellt und versendet wird. Die so entstehenden Selbstportraits werden in der Beziehung als Möglichkeiten zur Partizipation am Leben des Anderen aufgefasst und als authentische Gelegenheit verstanden, räumliche Trennungen zu überwinden. Was die Auswahl des versendeten Selfies betrifft, lässt sich auch hier die physische Attraktivität als Auswahlkriterium anführen. Julia beschreibt dies so, dass sie Selfies für ihren Partner aufnimmt und "dass er sieht, was für ne hübsche Freundin er hat" (Z.176) verbunden mit der Möglichkeit zur Herstellung von Sicherheit und wechselseitiger Vergewisserung in der Beziehung. Die geteilten Bilder spiegeln alltägliche Situationen wider und werden zu visuellen Trägern von Emotionen, die zu Reaktionen auffordern, etwa "wenn es mir mal nicht so gut geht oder Prüfungsangst oder so, damit er das auch sieht und reagiert" (Z.132) und das ist "irgendwie dann soso normal geworden ich hab mit ihm wir schicken uns ständig Fotos" (Z.178). [44]

Auch Mark nutzt Selfies ausschließlich im Rahmen des privat deklarierten Interaktionsgeschehens mit seiner Freundin. Erst unmittelbar vor unserem Gespräch hatte er ein solches Selfie erstellt "und zwar hat mich meine Freundin gefragt ob ich ihr ein lachendes Bild von mir schicken kann und oder ein Bild wie ich jetzt aussehe weiß ich nicht mehr genau wie die Frage war aber sowas in der Art und dann hab ich natürlich n Selfie gemacht" (Mark, Z.19-23). Das regelmäßige Erstellen und Versenden von Selfies ist auch für ihn ein charakteristisches Merkmal der Beziehung und der täglichen Gestaltung dergleichen. Auch er begründet eine solche Praxis damit, dass Selfies für ihn eine Form der Selbstvergewisserung darstellen würden, wobei das Foto auch hier als situatives Ausdrucksmittel fungiert, das aus seiner Perspektive authentischer erscheint, als etwa das Schreiben einer Textnachricht

"wenn sie mir aber schreibt das es ihr gut geht dann weiß ichs nicht unbedingt dann kann sie es auch schreiben weil sie es nur sagen will in dem Moment also das ist also für mich wirkts echter n Selfie" (Z.354-359). [45]

Im Interview wurden von ihm verschiedene, alltägliche Situationen aufgezählt, in deren Rahmen er solche Bilder erstellt und ausschließlich mit seiner Freundin teilt, wobei die damit verbundene Praxis und ihre Einbettung in den Alltag ritualisiert erscheint. So werden solche Bilder in alltäglichen Situationen, etwa unmittelbar nach dem Aufstehen oder aus dem Alltag heraus erstellt und eröffnen so differente partizipative Gelegenheiten. Bilder und v.a. visuelle Selbstthematisierungen werden neben textuellen und sprachlichen Kommunikationsformen innerhalb der Beziehung als ein spezifisches Ausdrucksmittel verstanden, wobei trotz räumlicher Trennungen Selfies Gelegenheiten eines Nahseins eröffnen und situativ von Relevanz sind. Denn diese spezifische Bildpraktik erlaubt es ihm, ebenso wie Julia auch, eine Nachricht zu übermitteln und jenseits komplexer Decodierungsprozesse, die von den Interviewten v.a. immer wieder mit Textnachrichten verbunden werden, einen situativen Ausschnitt und Moment zu erfassen, diesen festzuhalten, sich selbst in dieser Situation abzubilden und darzustellen, etwas, was textuell nur schwer erklär- und beschreibbar wäre. Mark dokumentiert so Situationen, Momente und auch emotionale Zustände und teilt diese mit seiner Freundin, "wenn ich in ner andern Stadt bin oder sowas oder was Schönes halt im Hintergrund ist dann mach ich auch mal nen Selfie" (Z.22-23). Selfies übernehmen dabei die Funktion eines reziproken Vergewisserungszwecks innerhalb der Beziehung "für sie haben Selfies von mir die Funktion das sie sich freut wenn sie mich sieht glaub ich Selfies von ihr ham dieselbe Funktion nur umgekehrt also das ich mich freu wenn ich sie seh" (Z.221-224). Für Mark spielt im Unterschied zu Julia seine äußere Erscheinung keine ausschlaggebende Rolle, sodass er auf Nachfrage auch Selfies in ihm unbehaglichen Situationen versendet "das war mir ein bisschen peinlich muss ich ehrlich sagen, es war in der Bib[liothek], also es war öffentlich wars mir nen bisschen unangenehm [...] aber ich habs trotzdem gemacht" (Mark, Z.14). Ihm ging es vielmehr um einen kurzen, situativ relevanten Austausch, der Stabilität in der Beziehung verspricht. [46]

Die vorangestellten beiden Auszüge stehen exemplarisch für eine Vielzahl von Beispielen aus dem Material, vorwiegend bei den erwachsenen Interviewten, die visuelle Selbstthematisierungen als Bestandteile des kommunikativen Geschehens in intimen Nahbeziehungen einsetzen, wobei durch räumliche Trennungen veränderte, interaktive Praktiken, jenseits von Face-to-face-Kommunikation über Texte, aber eben auch Bilder und hier v.a. auch Selfies umgesetzt werden. Netzgängige, visuelle Selbstthematisierungen werden hierbei als ein kommunikatives Ausdrucksmittel verstanden, welches routiniert eingesetzt und verwendet wird, um eine Stabilisierung und Vergewisserung innerhalb intimer Beziehungen zu eröffnen. Sie können als Technik der Beziehungspflege interpretiert werden. Als visuelles Ausdrucksmittel ermöglichen sie die Vermittlung eines Selbstbildes, sowohl als handelnde, als auch sich entwickelnde Person. Die dabei entstehenden Abbilder werden als situative Eindrücke aus dem Alltag heraus verstanden und geteilt, sind "ein Bild, das die anderen übernehmen können" (GOFFMAN 1986 [1967], S.10). Dieses Abbild wird in relevanten, intimen Beziehungen protektiv und projektiv verwandt und dient der wechselseitigen Vergewisserung und Partizipation am Leben des/der Anderen, die durch die räumliche Trennung bedingt, sonst nur schwer möglich wäre. Neben seinen partizipativen Anteilen, kann es somit auch als Mittel betrachtet werden, um einem permanent bestehendem Legitimierungszwang der eigenen Paarbeziehung in modernen Gesellschaften gerecht zu werden (OEVERMANN 2014). In diesem Sinne fungieren visuelle Selbstthematisierungen als Gelegenheiten zur Pflege und Stabilisierung in solchen (Nah-) Beziehungen. [47]

6. Fazit

Umgangssprachlich als Selfies bezeichnete netzgängige Selbstportraits werden in öffentlichen wie auch in sozialwissenschaftlichen Diskursen vielfältig, z.T. aber auch kontrovers als eine spezifische (Bild-) Praktik in vernetzten Zusammenhängen diskutiert und standen im Mittelpunkt dieser Untersuchung. Ungeachtet kulturpessimistischer Interpretationen solch visueller Selbstthematisierungen, in der diese beispielsweise als Ausdruck von Narzissmus oder pathologischer Persönlichkeitsmerkmale interpretiert werden, sind solche Bilder ein Phänomen, welches v.a. in jugendkulturellen Kontexten aufgegriffen und genutzt wird und für das vernetzte Interaktionsgeschehen und insbesondere in der Gestaltung sozialer Beziehungen, etwa zur Gruppe der Gleichaltrigen oder in intimen Nahbeziehungen, von Bedeutung ist. [48]

Die hier präsentierte Untersuchung fokussierte die aus der Perspektive ihrer Erstellenden und Distribuierenden mit solchen Bildern verbundenen Relevanzsetzungen und die divergierenden Bedeutungen solcher Bilder für das kommunikative Geschehen. Netzgängige Selbstportraits werden sowohl im Rahmen der Dokumentation von spezifischen Situationen des Alltags verwendet, sie dienen aber auch zur Pflege von Peer- genauso wie intimer Beziehungen, können ein entwicklungsbezogenes Ausdrucksmittel von Rollen- und Identitätsentwürfen sein, wie sie auch im Rahmen der Eindruckserzeugung aufgegriffen und genutzt werden. Dabei ist es nicht das einzelne Selfie, welches den Interaktionsgegenstand und das -geschehen konstituiert, sondern vielmehr die Reihung solcher Bilder in Verbindung mit geschriebenen Texten bzw. auch verbalen Äußerungen. [49]

Visuelle Selbstthematisierungen sind ein Bestandteil des Interaktionsgeschehens in einer vernetzten Öffentlichkeit und aus der Perspektive ihrer Erstellenden und sie Distribuierenden eine Gelegenheit mit anderen in Beziehungen und Interaktionen zu treten wie solche Selbstportraits auch aufgegriffen werden, um sich als Teil einer Gemeinschaft zu erfahren, wobei die vernetzten Jugendlichen ["networked teens"] "engage with networked publics for the same reasons they have always relished publics; they want to be a part of the broader world by connecting with other people and having the freedom of mobility" (BOYD 2014, S.10). Die Ergebnisse der Untersuchung veranschaulichen die Komplexität eines visuellen Ausdrucksmittels, welches durch seine Nutzerinnen und Nutzer mit differenten Bedeutungen und individuellen Zuschreibungen wie gruppenbezogenen Erträgen verknüpft ist. In diesem Sinne können visuelle Selbstthematisierungen als Facetten der Selbst-Erzählungen interpretiert werden, die in spezifischen Kontexten erstellt und miteinander geteilt werden. Sie offerieren Gelegenheiten die soziale Welt zu deuten, aber auch, gemeinsam mit anderen, Sinnperspektiven zu entwickeln und zu verhandeln ebenso wie sie in Prozesse der (Selbst-) Disziplinierung und Normalisierung eingebunden sind. [50]

In den Ergebnissen spiegelt sich aber auch die Komplexität einer sozialen und kulturellen Praxis wider, die mit der eingangs beschriebenen Ambivalenz des Black Mirror verknüpft ist. Smartphones und ihre Applikationen etwa eröffnen Teilhabegelegenheiten und die Zusicherung, Welt und Optionen in Reichweite zu bringen, wie sie gleichwohl in der Forschungsliteratur und in kulturkritischer Perspektivierung mit potenziellen Ängsten und Unbehagen assoziiert werden. Wie vorliegende Ergebnisse aufzeigen, kann dies auch die Schattenseite einer mit technologischen Entwicklungen unmittelbar verknüpften netzgängigen Bildpraktik umfassen, wobei Selfies auch Merkmale einer Aufmerksamkeitsökonomie sind, die auf Aufmerksamkeitsmärkten ge- und verhandelt werden und entsprechend verwertungsorientiert hergestellt und distribuiert werden. In diesen Zusammenhängen sind solche Selbstportraits in einem permanent wirkmächtigen Kampf um Aufmerksamkeit und Anerkennung eingebunden. Sie werden von NutzerInnen in ihren textuell wie visuell dokumentierten Lebensgeschichten verwendet, um Einmaligkeit und Kontinuität abzusichern und dabei "mit den Strategien unternehmerischer Kommunikation und [...] den Erzähltechniken der Wareninszenierung [...] dem Jargon des Managements angeglichen" (REICHERT 2008, S.62). [51]

Gleichwohl konnte aber auch aufgezeigt werden, dass eine solch verdinglichte Verwendung von Selfies lediglich eine Facette darstellte und solche Bilder darüber hinaus als visuelles Ausdrucks- und Kommunikationsmittel im Interaktionsgeschehen zur Erfüllung von differenten Bedarfen von Bedeutung sind. Selfies werden im Rahmen der Beziehungspflege v.a. in Peerkontexten aufgegriffen und verwendet. Sie sind der Stabilisierung und Vergewisserung zuträglich wie sie auch Facetten und Entwürfe des Selbst visuell zu erfassen und miteinander zu teilen erlauben und zur Reaktion und damit zu Folgeinteraktionen auffordern. Selfies sind eine visuelle Erweiterung bzw. Ergänzung erzählter Lebensgeschichten und relevant in der Aushandlung zwischenmenschlicher Beziehungen. Sie sind ein Merkmal kommunikativer Aushandlungsprozesse und der Selbsterzählungen, die Eindrücke erzeugen, aber auch Gelegenheiten eröffnen, Sinn und Bedeutung zu verhandeln, Gemeinschaft zu erleben und zu erfahren. [52]

Danksagung

Für ihre Mitarbeit und tatkräftige Unterstützung bei der Entstehung dieses Beitrags danken wir herzlich Frau Melanie SCHRECK und Frau Jaqueline HENSCHKE.

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Anmerkungen

1) BAUER (2016) hebt notwendige Differenzierungen unterschiedlicher Narzissmusbegriffe und entsprechend differenter Verwendungsweisen in unterschiedlichen Untersuchungszusammenhängen hervor. Der Narzissmusbegriff werde oft vereinfachend verwendet und sei nicht ausschließlich als Ausdruck einer Persönlichkeitsstörung zu interpretieren. BAUER (S.86ff.) verweist auf vier Narzissmusbegriffe: Narzissmus werde erstens zur Beschreibung einer pathologischen Persönlichkeitsstörung verwendet. Zweitens werde der Begriff im Rahmen der psychoanalytischen Theorie in Abgrenzung zum pathologischen Verständnis aufgegriffen und als "normaler Narzissmus" klassifiziert. Drittens werde Narzissmus als nichtklinischer (subclinical) Begriff genutzt, ebenso wie viertens als Begriff in kulturkritischer Perspektivierung. <zurück>

2) Als Sexting wird ein Phänomen gefasst, welches vor allem mit der Verbreitung von Instant Messengern verknüpft wird und die (private) Kommunikation über sexuelle Themen meint, wobei neben Texten v.a. auch visuelle Materialitäten eingesetzt werden. <zurück>

3) Hashtags werden in diesem Sinne einerseits als Verschlagwortung verwendet und sind "a feature that enable[s] users to group posts together by topic articulating certain words or phrases" (VAN DIJK 2013, S.71). Andererseits sind Hashtags Suchbegriff und Tool zur Organisation von Informationen sowie soziale Ressource zum Aufbau von Beziehungen und Communities (ZAPPAVIGNA 2017) <zurück>

4) Bei den hier verwendeten Namen handelt es sich um Pseudonyme. Blogs und Vlogs sind eine Art Tagebuch im Internet. Während auf Blogs v.a. Textbeiträge zu finden sind, werden auf VLogs Beiträge als Videos erstellt und geteilt. <zurück>

5) Z=Zeile in Interviewtranskripten. <zurück>

6) Newsfeeds ermöglichen die strukturierte Veröffentlichung von Inhalten. Für soziale Netzwerkseiten ist das Newsfeed zentral, denn hierüber werden Statusänderungen und Inhalte anderer Nutzerinnen und Nutzer abgebildet. <zurück>

7) Bei Snapchat handelt es sich um einen kostenlosen Messaging-Dienst, der als App sowohl auf Smartphones und Tablets genutzt werden kann. Der Dienst ermöglicht das Versenden von Fotos und anderen Medien, die für die Empfängerin bzw. den Empfänger nur wenige Sekunden sichtbar sind. <zurück>

8) Memes sind ein Internetphänomen und Bestandteil der Populärkultur, wobei Links oder Bild-, Ton-, Text- und Videodateien aufgegriffen, verändert, bearbeitet und in differenten Kontexten eingesetzt werden. <zurück>

9) GIFs sind ein Grafikformat, bei dem mehrere Einzelbilder in einer Datei abgespeichert und von Webbrowsern als Animationen dargestellt werden. <zurück>

10) Snapchat erlaubt einzelne "Snaps", d.h. Bilder, Fotos und Videos zu einem Album zusammenzufügen, was als Snapchat-Story-Modus bezeichnet wird. <zurück>

11) Cosplay beschreibt "eine Praxis von Fans japanischer Comics (Manga), Trickfilme (Anime) und Videospiele" (HITZLER & NIEDERBACHER 2010, S.45). Im Vordergrund stehen das Posieren und die Verkleidung als fiktive Figur (BÖDER & SCHEURER 2018). <zurück>

12) Der Begriff "Follower" wird verwendet, um die AbonnentInnen in sozialen Netzwerken zu beschreiben. Er entstammt insbesondere dem Microblogging-Dienst Twitter und bedeutet hier, dass Nutzerinnen und Nutzer andere Twitter-Accounts auswählen, denen sie folgen, wie sie gleichwohl in ihren Aktivitäten durch andere Nutzerinnen und Nutzer verfolgt werden können. <zurück>

13) Mit dem Likebutton können Nutzerinnen und Nutzer in unterschiedlichen sozialen Netzwerken zum Ausdruck bringen, wenn ihnen etwas gefällt oder etwas durch sie unterstützt wird. <zurück>

14) Selfiestick bzw. Selfiestange ist eine teleskopartige Vorrichtung und Armverlängerung, die für Fotografien und v.a. im Rahmen visueller Selbstthematisierungen verwendet wird. <zurück>

Zu den Autoren

Matthias VÖLCKER, Dr. pol., geb. 1982, ist seit 2008 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Erziehungswissenschaft der Georg-August-Universität Göttingen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Identitätsforschung, der empirischen Bildungsforschung, insbesondere Mixed Methods sowie Fragen von Sozialisations-, Populärkultur- und Fanforschung.

Kontakt:

Dr. Matthias Völcker

Georg-August-Universität Göttingen
Institut für Erziehungswissenschaft
Waldweg 26
37073 Göttingen

E-Mail: mvoelck@gwdg.de

 

Alexander BRUNS, B.A., geb.1992, hat an der Georg-August-Universität Göttingen Sozialwissenschaften studiert, momentan Masterstudiengang Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Erwachsenenbildung/Weiterbildung an der PH Freiburg.

Kontakt:

Alexander Bruns

Adresse ist der Redaktion bekannt

E-Mail: alexander.bruns@stud.ph-freiburg.de

Zitation

Völcker, Matthias & Bruns, Alexander (2018). Die digitale Selbstdarstellung: Zur subjektiven Bedeutung von Selfies für Heranwachsende und junge Erwachsene [52 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 19(3), Art. 17, http://dx.doi.org/10.17169/fqs-19.3.2873.

Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research (FQS)

ISSN 1438-5627

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