Volume 20, No. 1, Art. 12 – Januar 2019



Orte und Verortungen als raumsoziologische Perspektive zur Analyse von Lebensgeschichten

Johannes Becker

Zusammenfassung: In diesem Beitrag stelle ich eine Forschungsperspektive vor, mit der die Analyse von familien- und lebensgeschichtlichen Verläufen und die Analyse von Orten verknüpft werden kann. Dafür definiere ich die Begriffe Ort und Verortung als prozessual und räumlich zugleich. Das soll zu einer Verbindung von Raumsoziologie und Biografieforschung beitragen. Ich zeige auf, wie die Identifikation von Orten und Verortungen durch die Konzeption heuristischer Forschungsräume forschungspraktisch geleistet werden kann und verdeutliche anhand eines Falls aus meiner empirischen Forschung in der Jerusalemer Altstadt, welchen analytischen Mehrwert die Analyse von Orten und Verortungen haben kann.

Keywords: rekonstruktive Sozialforschung; sozialkonstruktivistische Biografieforschung; Raumsoziologie; Stadtsoziologie; Forschungsprozess; Grounded-Theory-Methodologie; narratives Interview; Fallrekonstruktion; biografische Fallrekonstruktion; Palästina; Israel

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Charakteristika von Orten

3. Verortungen als biografietheoretische Perspektive

4. Der Forschungsprozess: von heuristischen Forschungsräumen zu Verortungen

5. Der Forschungskontext: die Jerusalemer Altstadt

6. Der Forschungsraum: PalästinenserInnen im "erweiterten Jüdischen Viertel"

7. Eine Analyse der biografischen Verortungen Hudas

8. Fazit

Anmerkungen

Literatur

Zum Autor

Zitation

 

1. Einleitung

Ort und Verortung – gegen die Verwendung solcher Begriffe gibt es soziologische Bedenken: Ein Fokus auf Orte, auf lokale Zusammenhänge von Menschen, könnte als Gegensatz zu den tatsächlich globalisierten Kulturverhältnissen verstanden werden (SCHROER & WILDE 2010). Doch aus der Perspektive der sozialkonstruktivistischen Biografieforschung wäre es leichtsinnig, wegen einer angenommenen stärkeren globalen Vernetzung Orte und Verortungen als weniger relevant zu konzeptualisieren. Wenn – wie in der Biografieforschung – erlebte und erzählte Lebensgeschichten in ihrer gesellschaftlichen Strukturiertheit und individuellen Geprägtheit rekonstruiert werden (FISCHER & KOHLI 1987), dann steht der einseitigen Betonung des Globalen die zentrale Bedeutung von Primär- und Sekundärsozialisation, häufig langfristigen Bindungen und direkten Begegnungen in lokalen Alltagskontexten entgegen (z.B. BECKER, BELKIND, KARKABI & WOOD 2013; HANNERZ 1995). Eine thematische Ausrichtung auf Orte muss aus raumsoziologischer Sicht zudem weder als Gegenpol zu Globalisierungsannahmen noch als erdräumliche Fixierung gedacht werden. Dies zeigt Doreen MASSEY (1994, S.156) am Beispiel eines "multikulturellen" Londoner Stadtteils auf, den sie als gleichzeitig lokalen und globalen Ort versteht: "There is the specificity of place which derives from the fact that each place is the focus of a distinct mixture of wider and more local social relations." [1]

Lokale Zusammenhänge sind zum Beispiel in Form von spezifischen Orten biografisch und familiengeschichtlich relevant. Das wurde in der sozialkonstruktivistischen Biografieforschung selten angerissen oder reflektiert. Vielmehr entfaltet sie ihre Außenwirkung als "geradezu eine Wissenschaft der Zeit" (LÖW 2001, S.10). Hervorzuheben ist die Forschung von Gunter WEIDENHAUS (2015), der der generellen Frage nach einem "Zusammenhang zeitlicher und räumlicher Konstitutionen im Rahmen von Biographien" nachgegangen ist (S.13). Er konzentriert sich auf die textinhärente Identifikation von orientierenden Raum- und Zeitkonstitutionen im Rahmen von Biografisierungsprozessen der Zuwendung zur eigenen Lebensgeschichte, z.B. in der Interviewsituation, die er zu drei Raumzeit-Typen verdichtet. In diesem Artikel möchte ich eine theoretische Ausrichtung und eine praktische methodische Vorgehensweise vorstellen, die stärker auf die Rekonstruktion vergangenen Erlebens und auf lebensgeschichtliche Prozesse zielt und für die die sorgfältige Rekonstruktion der sozio-historischen Kontexte der BiografInnen im konkreten Forschungsfeld (hier: die Jerusalemer Altstadt) ein zentrales Element ist. [2]

Das Scharnier, das in dieser Perspektive Biografieforschung und Raumsoziologie miteinander verbindet, ist ein prozessorientierter Ortsbegriff, der beinhaltet, dass Orte durch die sie (mit-)konstituierenden Individuen definiert werden können. Somit werden die Analyse von Orten und die Analyse von biografischen Verortungen nicht voneinander trennbar. Verortungen begründen Orte und unter Umständen auch Wir-Orte, also auf einem gemeinsamen Wir-Bild beruhende gemeinschaftsähnliche Zusammenhänge. Verortungen können als ein "natürliches" und naheliegendes Thema der sozialkonstruktivistischen Biografieforschung gesehen werden, wenn sie sich Raumfragen zuwendet. Denn auch auf diese Weise kann eine der "großen" Fragen der Biografieforschung angegangen werden, nämlich wie Gesellschaft und Individuum ein Wechselverhältnis eingehen und sich gegenseitig konstituieren (FISCHER & KOHLI 1987; ROSENTHAL 1995); aufgezeigt am Beispiel von Orten, die auch immer durch ihre Mitglieder und deren Verortungen konstituiert sind. Bei diesen Überlegungen rekurriere ich auf Geographinnen wie Doreen MASSEY (1995) oder Linda McDOWELL (1997), aber besonders auf den Phänomenologen Edward CASEY (1996), dessen Forschungen zu "Orten" im englischsprachigen Kontext vielfach rezipiert wurden. [3]

Im folgenden Artikel1) möchte ich mich jedoch nicht auf theoretische Reflexionen beschränken. Im Anschluss an die im 2. und 3. Abschnitt vorgestellten Klärungen und Definitionen der Begriffe Ort und Verortung in ihrer Verknüpfung mit der Biographieforschung diskutiere ich in Abschnitt 4 am Beispiel meiner Feldforschung in Jerusalem die methodische Umsetzung dieser Verknüpfung. Dazu gehört mein Vorschlag, heuristische Forschungsräume zu bilden und biografische Fallrekonstruktionen als Zugang zur Analyse von Orten zu priorisieren. Damit ist es möglich, die Gefahr der Bildung eines hermeneutischen Zirkels zu verringern, weil die Analyse von Verortungen nicht auf der Ebene von bereits bestehenden Ortsbezeichnungen ansetzt und diese reproduziert, sondern Verortungen biografisch nachverfolgt. Anschließend stelle ich einen Ausschnitt meiner Forschung in der ideologisch aufgeladenen und räumlich engen Jerusalemer Altstadt vor (Abschnitte 5-7). Am Beispiel der biografischen Fallrekonstruktion von Huda, einer jungen Palästinenserin, die im administrativ definierten Jüdischen Viertel der Altstadt wohnt, stelle ich dar, wie ein ablehnender bzw. feindlicher nachbarschaftlicher Kontext zur hohen Relevanz der Verortung im Haus der Familie führt. Die Enge und Problematik dieser Verortung ist wiederum mit der symbolischen Verortung in Jerusalem als religiös und politisch bedeutsamer Stadt verknüpft, womit Huda die Relevanz ihres schwierigen Lebens in diesem aufgeladenen Raum biografisch bearbeitet. Mit der symbolischen Verortung, mit der sie sich als Individuum der Geschichte und Relevanz der Stadt verbunden fühlt, driftet die "Wir-Ich-Balance" (ELIAS 1987, S.207-315) stärker in Richtung eines individualisierenden "Ichs" als in anderen palästinensischen Nachbarschaften in der Jerusalemer Altstadt, in denen die Verortung in einer gemeinschaftsorientierten Nachbarschaft die dominante Weise der Verortung darstellt. [4]

2. Charakteristika von Orten

Im Folgenden stelle ich stichpunktartig eine Konzeption von Orten vor, die an die Annahmen der sozialkonstruktivistischen Biografieforschung anschlussfähig ist. Daraus entwickele ich den Begriff der Verortung, der es erlaubt, Orte nicht durch ihre dinglichen Gegebenheiten, sondern durch ihre Mitglieder zu identifizieren und zu charakterisieren. [5]

2.1 Vorrangigkeit von Orten gegenüber Raum und Zeit

In einer phänomenologischen Interpretation, die zunächst bei der Wahrnehmung der Menschen ansetzt, können Orte als vorrangig zu Raum und Zeit konstruiert werden, wie CASEY (1996) darstellt: Diese Sichtweise sei der idealistischen Tradition entgegengesetzt, in der der leere, neutrale und unendliche Raum als Apriori-Konzept benannt und in Orte eingeteilt werde, die ihm nachgeordnet seien. In der phänomenologischen Perspektive dagegen kämen Zeit und Raum im Ort zusammen – dadurch, dass der Ort erlebt werde. "Raum und Zeit" würden nicht als zwei separate, weltdeterminierende Einheiten betrachtet, sondern in ihrer konkreten, gemeinsam erscheinenden, an den Ort gebundenen Ausprägung. Sie würden dem verorteten Ereignis (event) – dem "hier und jetzt" – nachgeordnet: Zeit und Raum "remain, first and last, dimensions of place, and they are experienced and expressed in place by the event of place" (S.38). Alle Wahrnehmungen werden hiernach durch die Tiefe und Horizonte von Orten zusammengehalten, die somit deren grundlegende Ebene bilden: "To live is to live locally, and to know is first of all to know the places one is in" (S.18). [6]

2.2 Orte und Menschen konstituieren sich gegenseitig

CASEY (S.24) zufolge konstituieren sich Orte durch den Körper: "[L]ived bodies belong to places and help to constitute them. [...] By the same token, however, places belong to lived bodies and depend on them." Mit diesem Argument betont CASEY entgegen einem absoluten Raumverständnis, dass Orte nicht ohne die zunächst leibliche Präsenz von Individuen hergestellt werden können. McDOWELL (1997, S.1) spricht allerdings nicht nur von Körpern, sondern davon, dass Orte Menschen "begründen" und umgekehrt: "[T]here is a reciprocal relationship between the constitution of places and people. Thus there is a dual focus on how places are given meaning and how people are constituted through place." [7]

2.3 Orte sammeln

Orte können laut CASEY (1996) verschiedene (belebte oder unbelebte) Dinge in einer bestimmten Konfiguration zusammenhalten, einschließen, an ihren Rand drängen oder ausschließen. Er erwähnt auch Erfahrungen, Geschichten, Sprachen oder Gedanken. Orte können also nicht nur Dinge zusammenzuhalten, sondern auch einen stärker symbolischen Charakter haben. Auch McDOWELL (1997, S.2) schreibt vom symbolischen Charakter "of myths and legends, statues and ceremonies that link people to a place". Das Ansammeln, so CASEY (1996, S.24-26), verleiht Orten neben ihrer Veränderlichkeit auch Beständigkeit und erlaubt, Orte immer wiederzuerkennen, zu erinnern und an sie zurückzukehren. [8]

2.4 Orte sind Prozesse der interaktiven Herstellung

Die Annahme von statischen Orten gegenüber dynamischer Zeit wird aufgehoben. Orte sind, so CASEY, ständig in Änderung begriffen. Orte seien außerordentlich elastisch, was ihre Außengrenzen und Innenbeziehungen anbelange. Änderungen und Elastizität begründen eine komplexe Prozesshaftigkeit von Orten. Darüber hinaus wird die Herstellung von Orten aus sozialen Interaktionen heraus betont. So erklärt MASSEY (1994, S.155): "Places can be conceptualized in terms of the social interactions which they tie together." McDOWELL (1997, S.4) argumentiert, statt der früheren Annahme, Orte würden durch eine räumliche Grenze gebildet, führe "the recognition that places are constructed through social relationships [...] to a far more dynamic conceptualization of place". Dies heißt aber nicht, dass Dinge keine Rolle spielen. Es bedeutet in einer sozialkonstruktivistischen Sicht, dass Dinge – seien es mobile Dinge oder auch architektonische Umgebung – als Ergebnis von Interpretationen und sozialen Handlungen entstehen und dann den Kontext aktueller oder zukünftiger Wahrnehmungen, Interpretationen, Handlungen und Interaktionen bilden. Somit wird die oft angenommene Trennung von sozialem und physischem Raum konzeptionell porös. [9]

Bei CASEY (1996, S.27) ist bereits die Relevanz einer solchen prozessorientierten Sicht für die Biografieforschung zu erahnen – "places not only are, they happen. (And it is because they happen that they lend themselves so well to narration, whether as history or as story.)" Eine Ortsanalyse kann also über die Rekonstruktion der Erzählungen über Orte erfolgen, und da Orte durch ihre Mitglieder ko-konstituiert werden, auch durch deren Lebensgeschichten. Darauf weisen auch MASSEYs und McDOWELLs Sichtweisen auf durch soziale Interaktionen definierte Orte hin. Sie verunmöglichen, einen verstetigten "Hintergrundort" für die Lebenswelt von BiografInnen anzunehmen. Es gilt zu reflektieren, dass Individuen und Orte sich gegenseitig konstituieren und diese Konstellationen stets wandelbar sind. Somit muss die Genese von Orten und der Figurationen,2) in die ihre Mitglieder eingebunden sind, genauso in die Analyse einbezogen werden wie die gegenwärtigen Figurationen und Interaktionen. Es geht darum, das soziale Geflecht in den Orten, in denen sich die BiografInnen verorten, in Vergangenheit und Gegenwart zu rekonstruieren. [10]

2.5 Orte brauchen eine historische Perspektive

In ihrem Aufsatz "Places and Their Pasts" warnt MASSEY (1995) vor einem essenzialistischen Ortsbegriff, bei dem Orte als bestimmten Gruppierungen mit einem einzigen Ortssinn "zugehörig" erachtet würden. Communities existierten auch ohne einen ihnen gemeinsamen Ort, und jede Vergangenheit eines Ortes sei offen für eine Vielzahl konkurrierender Lesarten. Dadurch, dass sich der Ort auch aus seinen Mitgliedern und ihren sozialen Beziehungen konstituiere, könne es nie zu einer Identität eines Ortes kommen. Sie sei immer abhängig von der jeweiligen Figuration der Menschen, die den Ort mit ausmachen. Orte seien voller interner Konflikte von Individuen mit unterschiedlichen Machtpositionen. Daher stelle sich die Frage, welche Geschichten wie über einen Ort erzählt würden und welche sich als dominant durchsetzten. Darüber hinaus werde durch Grenzziehungen und Benennungspraktiken aktiv versucht, Orte zu "machen". MASSEYs Schlussfolgerungen erhöhen nochmals die Relevanz der Berücksichtigung der prozesshaften Entwicklung von Orten und der Rekonstruktion der unterschiedlichen Sichten auf die Vergangenheit(en) von Orten, die Individuen in Orten haben können. [11]

Trotz ihrer Kritik an der Essenzialisierung von Orten und "zugehörigen" Communities wiederholt MASSEY, dass Orte nicht nur in der Gegenwart bestünden und nicht von ihrer Geschichte trennbar seien. Sie seien "constantly shifting articulations of social relations through time" (S.188). Weiter oben wurde hierfür beispielhaft die architektonische Umgebung benannt. Somit seien Orte durch eine wechselseitige Konstitution von Vergangenheit und Gegenwart geprägt: "If the past transforms the present, helps thereby to make it, so too does the present make the past" (S.187). Diese Sicht auf die Genese von Orten ähnelt den Grundlagen biografietheoretischen Arbeitens. So artikuliert Gabriele ROSENTHAL (2004, S.50) die wechselseitige Konstitution wie folgt: "Just as the past is constituted out of the present and the anticipated future, so the present arises out of the past and the future." MASSEYs Überlegungen zur Konstitution eines Ortes aus der Vergangenheit und der Gegenwart bilden auch ihr Argument zur Beachtung von Erinnerungen über Orte: "[T]he past may be present in the unembodied memories of people, and in the conscious and unconscious constructions of the histories of the place" (1995, S.187) Diese Parallelen zur Biografieforschung laden dazu ein, einen Ort sowohl aus der Perspektive der Vergangenheit als auch aus seiner Ausprägung in der Gegenwart zu analysieren. Das kann über die Rekonstruktion von Lebensgeschichten und Selbstpräsentationen geschehen. [12]

2.6 Orte und "Wir-Orte"

Neben der eingangs erwähnten Kritik am Begriff des Ortes als das Lokale bevorzugend wird kritisiert, dass der Begriff in eine recht zügige Annahme der Existenz gemeinschaftsähnlicher Zusammenhänge münde (SCHROER & WILDE 2010). Für die soeben vorgestellten Komponenten von Orten spielte die Frage nach Gemeinschaftsbildung aber erst einmal keine Rolle. Welche Differenzierungen sind möglich, um solche Orte zu unterscheiden, in denen das, was Norbert ELIAS (1987) ein gemeinsames "Wir-Bild" nennt, sehr ausgeprägt ist? In Fortführung der bisherigen konzeptionellen Ausarbeitungen bezeichne ich solche Orte als "Wir-Orte". Der Begriff des Wir-Ortes trägt dem Rechnung, dass Orte gemeinschaftsähnliche Züge haben können und somit ein Wir-Bild verkörpern. ELIAS hat darauf hingewiesen,

"daß Menschen 'Wir' sagen können in bezug auf ihren Familien- oder Freundeskreis, auf Dörfer oder Städte, wo sie ihren Wohnsitz haben, auf nationalstaatliche Verbände, auf post-nationale, also etwa auf kontinentale Verbände mehrerer Nationalstaaten und schließlich in bezug auf die Menschheit. [...] Das Engagement, das in dem Gebrauch des Fürworts 'Wir' zum Ausdruck kommt, ist wohl gewöhnlich am stärksten, wenn es sich um Familie, Wohnort oder Wohngegend und um die nationalstaatliche Zugehörigkeit handelt" (S.270). [13]

Mit Familie und Wohngegend nennt ELIAS die zwei "Wir-Orte", die in meiner Forschung zur Jerusalemer Altstadt als Nachbarschaft oder Familienhaus korrespondierend zu Familie und Wohngegend sehr relevant waren. ELIAS selbst geht auf die Räumlichkeit, die diesen Wir-Bezügen inhärent ist, nicht ein. An dieser Stelle genügt es, darauf hinzuweisen, dass die physische und gedankliche Fokussierung auf diese Wir-Orte einerseits ein gewisses Sicherheitsbedürfnis befriedigen kann, aber andererseits auch als Hindernis einer individuellen Lebensplanung und als verknüpft mit sozialer Kontrolle gesehen werden kann. [14]

2.7 Die Wahrnehmung von Orten

Orte sind prozessual und wandelbar, auch die Wahrnehmung von Orten kann sich dementsprechend ändern. Sie kann zudem in deren noematische und noetische Komponenten geschieden werden. Für Edmund HUSSERL (2009 [1913]) bezeichnet das Noema der Wahrnehmung das "Wahrgenommene als solches", also das der Wahrnehmung Immanente, "wie es, wenn wir rein dieses Erlebnis selbst befragen, uns von ihm dargeboten wird" (S.203). Die Noesis umfasst die intentionalen Komponenten der Wahrnehmung, worunter HUSSERL den Blick auf das Wahrgenommene, dessen Erfassung und das Aufeinanderbeziehen bzw. das Stellungnehmen in verschiedenen Arten und Weisen versteht. Der Ort bietet sich dementsprechend einerseits den Wahrnehmenden dar, diese wenden sich umgekehrt dem Ort (in strukturierender Weise) zu. [15]

Ortsnoemata

In HUSSERLs Beispiel vom Haus wird deutlich, dass dieses als physisches Gebäude nie in Gänze wahrgenommen werden kann. Das Haus präsentiert sich mit einem sinnbildlichen Noema, das sich auf das System "Haus" bezieht, und wird durch die Noese als "Haus" wahrgenommen. Die Teile sind ohne das Ganze, das noematische System, ohne Identität. Auch Orte sind in ihren materiellen oder nicht-materiellen Qualitäten nie in ihrer Vollständigkeit wahrnehmbar. Sie werden von einzelnen Teilen des noematischen Systems "Ort" präsentiert, von denen wiederum auf den ganzen Ort geschlossen werden kann. Der Ort bietet sich mit seinen materiellen und immateriellen Objekten und den ihn mitkonstituierenden Individuen den Wahrnehmenden dar, der Ort als Ganzes ist dann ein "konstruktiver Akt des Bewusstseins" (ROSENTHAL 1995, S.28). Nicht nur die ihn konstituierenden Individuen und Dinge sind beispielhafte Teile des Noemas eines Ortes. Auch bestimmte Handlungen und Interaktionsformen können Teil eines Ortsnoemas sein. So präsentierten sich den BewohnerInnen einer Jerusalemer Nachbarschaft bestimmte Handlungen nachbarschaftlicher Solidarität als die den Ort definierende Art und Weise des Zusammenlebens. Auf den Ort kann noetisch auch durch dieses Noema geschlossen werden. Es gibt aber auch radikale, von außen auferlegte Änderungen im geografischen und demografischen Gefüge – zum Beispiel durch Kriege, Katastrophen oder rasante Restrukturierungsprozesse. Dabei wird die Frage aufgeworfen, ob Orte, z.B. Nachbarschaften, die sich den BewohnerInnen zuvor als gegeben präsentiert haben, bestehen bleiben können, auch wenn sich ihre Zusammensetzung (der Individuen oder der Dinge) grundlegend verändert hat, oder ob Orte auch aufhören zu bestehen. ROSENTHAL (S.30-31) schreibt: "Nehmen wir von einer Gestalt etwas weg, dann bleibt sie als solche erkennbar, wenn sich in ihrem Rest bereits die Struktur des Ganzen erkennen lässt." Die Frage ist also, ob einzelne Noemata genügen, das noematische System als solches zu präsentieren, und/oder ob sich neue Orte mit neuen noematischen Systemen bilden. [16]

Ortsnoesen

Die Wahrnehmungen des Ortes bleiben im alltäglichen Erleben meist relativ unhinterfragt. Das Noema, das sich darbietet, wird in seiner gewissen Regelmäßigkeit auch von früheren Erfahrungen mitkonstituiert, womit die Gegenwart stets – aber normalerweise nicht im manifesten Bewusstsein – auch von der Vergangenheit konstituiert ist. Die Analyse biografischer Erfahrungen wird in diesem Kontext bereits relevant, zum Beispiel in Bezug auf die Analyse der kindlichen Umgebung, die von BiografInnen als Vergleichsmaßstab für den Aufenthalt an weiteren Orten im späteren Leben herangezogen wird. Aber natürlich können sich die Wahrnehmungen der Mitglieder eines Ortes stets reorganisieren. Entweder geschieht das durch Änderungen des noematischen Systems oder durch eine geänderte noetische Zuwendung zu den Orten. Was heute ein wirkungsvoller Bezugszusammenhang ist, kann morgen diese Kraft durch eine Reorganisation eingebüßt haben, ohne dass in der Erinnerung genau klar ist, in welcher Situation und wie diese Reorganisation geschehen ist. Das wird in der phänomenologischen Tradition gerne durch Kippbilder verdeutlicht. Wenn einmal das zweite Bild entdeckt worden ist, dann wird diese Wahrnehmung auferlegt. Es ist nicht möglich, hinter diese "neue" Zuordnung zurückzugehen, als ob man sich derer nicht bewusst sei. Zum Beispiel kann sich die Wahrnehmung von Orten als sicher oder unsicher ändern (BECKER 2015). Dominante noematische Systeme – zum Beispiel der Nachbarschaft – ermöglichen trotz ihrer steuernden Tendenz immer auch die Möglichkeit unterscheidender bzw. sich wandelnder noetischer Zuwendungen. SCHÜTZ und LUCKMANN (2003 [1979]) bieten eine Unterscheidung an, mit der die unfreiwillige Notwendigkeit von ortsbezogenen Zuwendungen zum Beispiel von freiwilligen Zuwendungen unterschieden werden kann. Sie unterscheiden u.a. zwischen "auferlegter" thematischer Relevanz (der erzwungenen Aufmerksamkeit, S.261) und der "motivierten" thematischen Relevanz (der freiwilligen Zuwendung, S.266).3) [17]

3. Verortungen als biografietheoretische Perspektive

Wahrnehmungen von Orten können sich also ändern – die Zuwendungen zum Ort (Noesis) und die Weise, wie sich der Ort den Individuen darbietet bzw. welche Arten der Zuwendung er zulässt oder ausschließt (Noema). Die Analyse biografischer Verläufe hilft, vergangene und gegenwärtige Wahrnehmungen von Orten, die verknüpften Erfahrungen mit Orten und die Erinnerungen daran im Kontext der gesamten Lebensgeschichte zu rekonstruieren. Verortungen können so zunächst einmal als Aufschichtung der Wahrnehmungen und Erfahrungen von und in Orten gesehen werden, zu denen die Individuen über kürzere oder längere Perioden "gehören" und die sie mitkonstituieren: "[W]e are always already in a place, never not emplaced in one way or another" (CASEY 1996, S.17). Mit dem Begriff der Verortung wird herausgearbeitet, dass all unsere Erlebnisse und Erinnerungen in Orten verortet sind und Lebenserzählungen immer auch Verortungserzählungen sind. Dabei werden Erinnerungen und die Präsentationen aber auch von der Gegenwart des Ortes mitkonstituiert, in dem die SprecherInnen sind. [18]

Einerseits determinieren also Orte Biografien. Für Orte gilt das gleiche, was HILDENBRAND, MÜLLER, BEYER und KLEIN (1984, S.30) als "biographiekonstituierende[n] Charakter sozialer Milieus" bezeichnet haben: "Das heißt, daß die Geschichtlichkeit sozialer Milieus die individuelle Biographie als Handlungsorientierung bis in die leiblichen Orientierungsleistungen hinein bestimmt." Andererseits begründen Individuen mit ihren Biografien Orte, wie weiter oben ausgeführt worden ist: Die Individuen sind durch ihr in Orten gelebtes Leben Teil dieser Orte. Die Konstitution von Orten und Individuen ist ein wechselseitiger Prozess. Orte werden nicht nur durch mobile und immobile Dinge konstituiert, sondern auch durch ihre Mitglieder, deren mit den Orten verbundene Erinnerungen und Erzählungen und deren Interaktionen. Daher kann durch die Rekonstruktion von Lebensgeschichten nicht nur etwas über die individuellen Verortungen von Menschen ausgesagt werden, sondern auch etwas über die Orte, in denen sie sich verorten, und deren Geschichte. In der Biografieforschung war die Kritik an der Trennung von "objektiver" sozialer Realität von deren "subjektiver" Wahrnehmung ein wichtiger Aspekt der methodologischen Diskussion (APITZSCH & INOWLOCKI 2000). Die Überlegungen zu Verortungen können zur Thematisierung dieser Frage in der Raumsoziologie beitragen und als Kritik an der Vorstellung von subjektiven Raum- oder Ortswahrnehmungen und ihnen gegenübergestellten objektiven Verhältnissen verstanden werden. [19]

Verortung ist also ein prozesshafter Vorgang und bezeichnet einerseits das "sich verorten", d.h. welche Orte auf welche Art und Weise für ein Individuum biografisch in Bezug auf Wahrnehmungen und Erfahrungen relevant geworden sind, welche Bedeutungen es diesen zuschreibt, wie diese sich verändern und wie das Individuum aus der Gegenwart darauf (zurück-) blickt. Diese aktive Komponente verdeutlicht, warum der Terminus "Verortungen" besser geeignet ist als die alternativen Begrifflichkeiten "räumliche Zugehörigkeit" oder "Ortsverbundenheit". Der Begriff Verortung bezeichnet andererseits das "verortet werden" durch die Ortsnoemata, durch die Einbindung in verschiedene Figurationen und durch Diskurse über die mit Individuen assoziierten Orte (und damit zugeschriebene Machtpositionen) – die Diskurse fordern bestimmte Weisen der Verortung heraus oder machen sie schwer umgehbar. Es ist daher wichtig, auch die in Vergangenheit und Gegenwart zirkulierenden Diskurse über Orte zu rekonstruieren. [20]

4. Der Forschungsprozess: von heuristischen Forschungsräumen zu Verortungen

Wie man Verortungen empirisch untersuchen kann, dafür legen keine der vorgenannten AutorInnen konkrete Vorschläge vor. Es wurde generell beklagt, dass die neue Welle raumsoziologischer Theoriebildung selten empirisch umgesetzt und ausgearbeitet wurde (HERRMANN 2010). CASEY (1996) hat in seiner für EthnologInnen geschriebenen Einführung vor allem an die Methode der teilnehmenden Beobachtung gedacht und hebt den "gelebten Körper" als ortskonstituierend hervor. Doch mit teilnehmenden Beobachtungen ist es kaum möglich, die Genese eines Ortes und der Perspektiven seiner Mitglieder zu rekonstruieren. Das ist durch die Rekonstruktion der Erfahrungen der Mitglieder eher möglich. Ich habe in meiner Forschung neben Beobachtungen daher in zentraler Weise biografisch-narrative Interviews (ROSENTHAL 1995; SCHÜTZE 1983) eingesetzt, um Verortungen in biografischen Verläufen zu rekonstruieren. [21]

An diesem Punkt ist bei der Verknüpfung von Raumsoziologie und Biografieforschung die Bildung eines "hermeneutischen Zirkels" eine Gefahr: Wie definiere ich Orte, in denen sich Individuen verorten, ohne dass ich diese von Beginn an festsetze und somit durch meine Forschung nur bestätige? Wie kann ich also Orte aufgrund der Relevanzen der BewohnerInnen identifizieren und rekonstruieren, ohne daraus sogleich bestimmte Annahmen über die zugehörige Verortung abzuleiten? Auch FRITSCHE, LINGG und REUTLINGER (2010, S.17) haben dieses Problem thematisiert, nämlich die Gefahr, "BewohnerInnen eines bestimmten Quartiers, Stadtteils, Gebietes oder einer Straße als homogene Gruppe aufgrund ihres Wohnorts" zu sehen. Dabei werde die Diversität innerhalb einer Gruppe nicht reflektiert und gerade die Stimmen von solchen Menschen überhört, die sich zum Beispiel nicht über das Quartier oder die Straße definieren. Das Problem hieran sei, dass ein solcher "Geodeterminismus" (S.19) den Ort als Erklärung für eine gewisse Art und Weise des sozialen Handelns ansehe. Diesem Problem bin ich einerseits durch die Bildung eines zweistufigen, an die Grounded-Theory-Methodologie angelehnten theoretischen "räumlichen" Samples begegnet (GLASER & STRAUSS 2006 [1967]), das zur Bildung von mir so benannten "heuristischen Forschungsräumen" führte, und andererseits durch die Priorisierung von biografischen Fallrekonstruktionen. [22]

4.1 Zweiteilige Samplebildung und heuristische Forschungsräume

Abgesehen von der vagen Forschungsfrage nach räumlichen Orientierungen der EinwohnerInnen war meine Datenerhebung in Jerusalem weitgehend von den Entdeckungen im Feld gelenkt. Im ersten Jahr habe ich mit Menschen mit sehr verschiedenen Hintergründen und Positionen biografisch-narrative bzw. ethnografische Interviews geführt sowie teilnehmend beobachtet und dabei die in der Literatur vorhandenen Kategorisierungen der Altstadt eingeklammert. Die in diesem ersten Jahr geführten Interviews verdeutlichten, dass das Dasein in der Altstadt für die BewohnerInnen eine hohe Relevanz besaß: Obwohl ich eine ganz allgemeine Erzählaufforderung nach der Lebens- und Familiengeschichte verwendete, war dieser Aspekt in den folgenden Eingangspräsentationen beinahe immer zentral. Die erhobenen Daten aus diesem ersten Jahr bilden das erste Sample. In dieser Phase der Forschung wurde aber auch deutlich, dass es notwendig war, die Erhebung zu fokussieren. Einerseits erwiesen sich die Figurationen in der geografisch kleinen Altstadt als zu vielfältig und zu komplex für den möglichen Umfang meiner Forschung. Andererseits wurde klarer, dass die BewohnerInnen verschiedene räumliche und soziale Unterteilungen und Kategorisierungen in der Altstadt vornahmen. Einige von diesen Unterteilungen und Kategorisierungen im Rahmen eines zweiten räumlichen Samples weiterzuverfolgen war somit etwas, das das Forschungsfeld von sich aus anbot: "Theoretical sampling, though, does not require the fullest possible coverage on the whole group except at the very beginning of research, when the main categories are emerging – and these tend to emerge very fast" (GLASER & STRAUSS 2006 [1967], S.69). [23]

Ich habe daher zunächst die Daten des ersten Samples globalanalytisch (ROSENTHAL 2008) daraufhin ausgewertet, welche räumlichen Referenzpunkte und Selbstbeschreibungen die InteraktionspartnerInnen gewählt haben, etwa, was sie als ihre Zugehörigkeit manifest angaben (Jerusalem, Altstadt, ein Viertel, eine Religionszugehörigkeit oder ethnische oder nationale Zugehörigkeit), welche anderen Kategorisierungen sie im Altstadtraum vornahmen, welche historischen Bezüge sie wählten und welche anderen Gruppierungen sie als positive oder negative Bezugspunkte nannten. Nach dieser ersten Analyse habe ich auf Basis von maximalen Kontrasten dieser Kategorien und Bezugnahmen heuristisch drei (vieler theoretisch möglicher) "Forschungsräume" gebildet und andere räumliche Zusammenhänge für die weiteren Erhebungen verworfen. Die Forschungsräume wurden auf Basis ihrer "theoretical relevance" (GLASER & STRAUSS 2006 [1967], S.49) ausgewählt und nicht wegen ihrer politischen oder religiösen Relevanz. Das heißt, die Räume sind gleichzeitig von den Individuen im Feld in den empirischen Erhebungen "vorgeschlagen" und von mir entworfen worden – GLASER und STRAUSS (S.107) thematisieren dies als Kategorien "that [the sociologist] has constructed himself [...]; and those that have been abstracted from the language of the research situation". Das zweite Sample bestand im Fall meiner Forschungen in der Jerusalemer Altstadt konkret aus folgenden Forschungsräumen: 1. einer kleinen, muslimisch geprägten Nachbarschaft, 2. den palästinensischen BewohnerInnen des erweiterten Jüdischen Viertels sowie 3. den aus vielen verschiedenen Ländern stammenden Mönchen in der Altstadt. In diesen drei Forschungsräumen habe ich während weiterer Feldaufenthalte gezielt biografisch-narrative Interviews geführt und teilnehmend beobachtet sowie die historischen Hintergründe recherchiert. Die Zahl der erhobenen Daten sowie die Intensität der teilnehmenden Beobachtungen haben dabei je nach Forschungsraum differiert. Diese "Unregelmäßigkeiten" sind in der Grounded-Theory-Methodologie nicht problematisch, da selbst Einzelfälle bereits eine allgemeine Kategorie andeuten können. Wichtiger ist, der Struktur der Gruppe – oder eben des Forschungsraums – gerecht zu werden. [24]

4.2 Rekonstruktive Ortsanalyse auf Basis von biografischen Fallrekonstruktionen

Im Analyseprozess habe ich zunächst biografisch-narrative Interviews fallrekonstruktiv ausgewertet und auf dieser Ebene Verallgemeinerungen angestellt, d.h. zunächst nicht auf der Ebene der Forschungsräume gearbeitet. Einerseits zeigte sich, dass sich Verortungen in den rekonstruierten biografischen Verläufen wandeln konnten. In der späteren Zusammenschau wurde als Ergebnis dieser Auswertung außerdem deutlich, dass sich Mitglieder desselben Ortes diesem nicht immer in gleicher oder ähnlicher Weise verortend zuwandten. [25]

Bevor ich näher darauf eingehe, möchte ich mein Vorgehen bei der Analyse der biografisch-narrativen Interviews verdeutlichen und das angewandte Verfahren der biografischen Fallrekonstruktion nach Gabriele ROSENTHAL vorstellen.4) Dieses Verfahren beginnt mit der Analyse einzelner Fälle und zielt auf die Formulierung von Fallstrukturen und die Typenbildung am Einzelfall. Um gegenwärtige und vergangene Perspektiven von InterviewpartnerInnen gleichermaßen analysieren zu können, wird heuristisch zwischen erlebtem und erzähltem Leben unterschieden. Aussagen und Erlebnisse können so im Kontext des biografischen Verlaufs, der gegenwärtigen Situation und von Zukunftsperspektiven interpretiert werden. Zunächst werden bei der biografischen Datenanalyse solche Daten aus dem Interview herangezogen, die "kaum an die Interpretation des Biographen" (ROSENTHAL 1995, S.216; vgl. auch OEVERMANN, ALLERT & KONAU 1980) gebunden sind, zum Beispiel Geburt, Heirat, Arbeitsverhältnisse oder ehrenamtliche Positionen. Sie werden durch potenziell relevante gesellschaftspolitische und lokal (-räumliche) Ereignisse ergänzt. Zu diesen Daten werden sequenziell, in der Chronologie des Lebenslaufs, im abduktiven Verfahren Hypothesen gebildet: also alle den Forschenden zugänglichen und sinnvollen Schlüsse und Folgehypothesen, die Handlungsoptionen und -beschränkungen verdeutlichen können. Ziel ist es, im Verlauf der Analyse zu sich erhärtenden Strukturhypothesen auf Basis des erlebten Lebens zu gelangen. In meinen Analysen zu Jerusalem wurden auf dieser Ebene häufiger Fragen relevant, wie man "lernt", in einem Ort zu sein, und wie sich Handlungsmöglichkeiten in der sozialen und physisch-räumlichen Umgebung ändern oder herausgefordert werden. Hierbei ist auch der Begriff der Routinisierung zentral: Durch die Sozialisation in Orten werden die Interpretationsspielräume der Individuen in Bezug auf diese Orte durch die Orientierung an vorhandenen sozialen Institutionen tendenziell kleiner. Die darauffolgende Text- und thematische Feldanalyse wendet sich im Gegensatz dazu dem Interviewtext zu. Es wird untersucht, welche Themen in welcher Konstellation und auf welche Weise in der biografischen Selbstpräsentation in (bewusster oder unbewusster) Zuwendung zur Lebensgeschichte vorgebracht werden. Der Interviewtext wird nach Kriterien des SprecherInnen-, Themen- und Textsortenwechsels eingeteilt und sequenziell interpretiert – ebenfalls dem Prinzip der Abduktion folgend. Die Frage gilt der Funktion der jeweiligen Sequenzen und Themen im Rahmen der Selbstpräsentation, den Themen und Lebensabschnitten, die nicht zur Sprache kommen, und dem thematischen Feld der Selbstpräsentation. Der dritte Schritt ist die Rekonstruktion der Fallgeschichte. Der Analyse der biografischen Daten werden weitere Daten und Textstellen aus dem Transkript hinzugefügt und damit wiederum die Ebene des erlebten Lebens angesteuert. So werden die einzelnen Erlebnisse in die Biografie eingebettet – zentral ist die Nachzeichnung der biografischen Aufschichtung. Die leitende Frage lautet, welche Bedeutung Erlebnisse in der Vergangenheit im biografischen Kontext für die InterviewpartnerInnen hatten. Schließlich werden die Ergebnisse der Analyseschritte beim Vergleich von erzählter und erlebter Lebensgeschichte kritisch gegeneinandergehalten, ohne die gegenseitige Durchdringung der beiden Perspektiven aus dem Blick zu verlieren. Die (Struktur-) Hypothesen können zudem durch die im Kontext der objektiven Hermeneutik entwickelte Feinanalyse (OEVERMANN et al. 1979) weiter überprüft werden. [26]

Nach Abschluss dieses Auswertungsprozesses habe ich einerseits Typen der Verortung und andererseits Verlaufstypen der Verortungen in biografischen Verläufen formuliert und anschließend auf Basis von minimalen oder maximalen Kontrasten weitere Interviews in den Forschungsräumen ausgewertet. [27]

Erst danach habe ich Orte in den jeweiligen Forschungsräumen aus der Perspektive der Lebensgeschichten ihrer Mitglieder und aus weiteren Datenmaterialien bestimmt und rekonstruiert. Auf diese Weise konnte das oben angesprochene Problem, wie Verortungen identifiziert werden können, die für Individuen relevant sind, ohne von vorneherein bestimmte räumliche Kategorien zu bilden, bearbeitet werden. Die Analyse von Verortungen setzt somit ein Korrektiv für die bzw. ist eine Hilfe zur Vermeidung von essenzialistischen Setzungen von Orten und einer damit einhergehenden Zuschreibung von einheitlichen Erfahrungen und Erinnerungen ihrer Mitglieder. Ich konnte die Vielschichtigkeit von Orten, die durch ihre Mitglieder konstituiert werden, herausarbeiten, "the multiple senses and meanings of place constructed by the co-inhabitants of any place. The meaning of place varies depending on the age, class, gender, status and point of view of its occupants" (McDOWELL 1997, S.2). Die Verortung in einem Ort bedeutet zudem keine exklusive Bindung; Individuen können sich parallel in mehr als einem Ort verorten. Diese rekonstruktive Ortsanalyse identifiziert somit einen zwischen der individuellen Biografie und der "Gesamtgesellschaft" stehenden Zusammenhang. Er konstituiert sich in Jerusalem durch die zumindest teilzeitliche Kopräsenz z.B. in Häusern, Nachbarschaften oder an symbolischen Orten (s. Abschnitt 8). [28]

4.3 Rückbindung an die Forschungsräume

So konnte ich verschiedene Orte und verschiedene Weisen der Verortung in den jeweiligen Forschungsräumen rekonstruieren bzw. Verortungen, die in mehreren Forschungsräumen vorkamen und somit nicht nur zu einem gehören. Doch in der anschließenden Zusammenschau der biografischen Fallrekonstruktionen und beim Vergleich der drei Forschungsräume haben sich auch Unterschiede und Ähnlichkeiten der einzelnen Forschungsräume herausgestellt. Das heißt, ich habe in einem weiteren Analyseschritt versucht, dominante Verortungen in den Forschungsräumen zu rekonstruieren und dadurch auch überprüft, ob sich meine Konstruktion von Forschungsräumen als tatsächlich relevante Kategorisierung, zum Beispiel als Ort oder Wir-Ort, bestätigt hat. Dabei haben sich die Analysen der Interviews und Beobachtungen einerseits und der Forschungsräume andererseits wechselseitig ergänzt: Die Fallrekonstruktionen lieferten Material für die Charakterisierung der Forschungsräume und die weitergehende Recherche zu den Forschungsräumen wiederum für die biografischen Fallrekonstruktionen. [29]

Die Formulierung der Forschungsräume ist somit bereits ein Ergebnis: Sie verdeutlicht, dass es nicht genügt, das Zusammenleben in Städten anhand statischer Kriterien zu beschreiben – in Jerusalem vor allem die diskursiv verfestigte Annahme der Existenz von vier klar definierten ethno-religiösen Vierteln (Muslimisches, Christliches, Jüdisches, Armenisches Viertel; BECKER 2017a; vgl. u.a. auch ARNON 1992). Vielmehr konnte ich soziale und historische Zusammenhänge rekonstruieren, die in einem gröberen Forschungsschema nicht erfasst werden können. Dazu gehören z.B. die große Bedeutung, die Familienhäuser oder kleine Nachbarschaften haben können, die wenig formal institutionalisiert sind, keine genauen Grenzen haben, deren Prozesse der Einbeziehung und des Ausschlusses nicht einfach nachvollziehbar und unscharf sind. Die Forschungsräume haben sich darüber hinaus als hervorragende Basis für weitergehende soziologische Überlegungen erwiesen, zum Beispiel, wie sich kollektive Zugehörigkeiten reproduzieren und verändern (u.a. "historische Generationen", vgl. BECKER 2013) oder in welchem Verhältnis soziale Institutionen wie Familie und Nachbarschaft zueinander stehen. [30]

Mein Vorgehen werde ich anhand der Charakterisierung eines Forschungsraums und der detaillierten Analyse eines biografisch-narrativen Interviews vorstellen. Ich zeige auf, dass durch das enge Einbinden der Gesellschaftsgeschichte in die Analyse eines einzelnen Interviews bereits allgemeine Aussagen zum Forschungsfeld getroffen werden können. Doch zunächst eine kurze Einführung in den Forschungskontext Jerusalem. [31]

5. Der Forschungskontext: die Jerusalemer Altstadt

Die Jerusalemer Altstadt5) ist symbolisch stark aufgeladen – in religiösem und politischem Sinne: In regionalen und internationalen Diskursen spielt Jerusalem als Zentrum dreier Buchreligionen und als nationales Zentrum der miteinander seit Jahrzehnten konflikthaft verschränkten palästinensischen und zionistischen Nationalbewegungen eine große Rolle. Die ummauerte Altstadt ist aber auch ein äußerst beengter und prekärer Wohnraum. Von der insgesamt weniger als ein Quadratkilometer großen Fläche stehen nur ungefähr 0,6 Quadratkilometer für Wohngebiete zur Verfügung. Der Rest der Altstadt besteht zum Großteil aus religiösen Bauten. Auf dieser kleinen Fläche wohnen und leben mehr als 40.000 Menschen. Die AltstadtbewohnerInnen setzen sich aus den Mitgliedern verschiedener palästinensischer Gruppierungen, die die deutliche numerische Mehrheit bilden und vor allem niedrigen sozioökonomischen Schichten angehören, genauso zusammen wie aus zumeist streng orthodoxen jüdischen BewohnerInnen oder christlichen KlerikerInnen, die aus unterschiedlichen Weltregionen stammen. [32]

In beinahe allen Interviews in meinem Sample war das (räumliche) Dasein in der Jerusalemer Altstadt ein wichtiges, häufig sogar ein zentrales Thema. Natürlich hat das mit den an die Altstadt herangetragenen Zuschreibungen ihrer politischen und religiösen Bedeutung zu tun und mit ihrer vom Nahostkonflikt bestimmten jüngsten Geschichte. Dies bedingt wahrscheinlich, dass räumliche Zugehörigkeiten stärker manifest und weniger latent verhandelt werden als in anderen lokalen Kontexten. Um die komplexe Verbindung von Biografien und örtlicher Zugehörigkeit in der Altstadt zu erfassen, müssen aber auch weniger bekannte Aspekte der Altstadt berücksichtigt werden, z.B. die sehr beengten und sozioökonomisch sehr schwierigen Lebensbedingungen vieler palästinensischer BewohnerInnen oder ihre Abwertung im innerpalästinensischen Diskurs. Nicht nur die Altstadt als Ganzes erscheint in den von mir geführten Interviews als wichtiger Bezugspunkt, sondern auch bestimmte Orte darin. Diese Orte bestehen aus konkreten geografischen Ausschnitten, aus symbolischen Zuweisungen oder aus sozialen Zusammenschlüssen. Die Orte in den Lebensgeschichten und -erzählungen sind mit individuellen oder familialen Erfahrungen in der Altstadt, mit der Geschichte der in der Altstadt vertretenen Gruppierungen, aber auch stark mit Diskursen über sie, mit dem palästinensischen kollektiven Gedächtnis und mit dem Erleben der gegenwärtigen politischen Situation verknüpft. Die dadurch erfolgenden scheinbar individuellen Konstruktionen von Orten in Lebensgeschichten sagen auch etwas über den räumlichen Konstruktionsprozess von Zugehörigkeiten aus: "[The] construction of places, in the sense of known and definable areas, is a key way in which groups and collectivities create a shared, particular and distinctive identity" (McDOWELL 1997, S.2). [33]

6. Der Forschungsraum: PalästinenserInnen im "erweiterten Jüdischen Viertel"6)

Im Folgenden stelle ich einen Forschungsraum und einen Fall vor, anhand derer die Analyse von Verortungen prägnant dargestellt werden kann. Vor der Fallrekonstruktion des Interviews mit Huda führe ich in diesem Abschnitt zunächst in den Forschungsraum ein, in dem ich dieses Interview erhoben habe. Im durch die Jerusalemer Stadtverwaltung genau begrenzten Jüdischen Viertel wohnten 2014 ungefähr 2.900 Menschen (JERUSALEM CENTER FOR ISRAEL STUDIES 2016). Die Vergangenheit und Gegenwart dieses ethno-religiös definierten Containerraumes sind aber viel komplexer und verwirrender, als es die scheinbar klare räumliche Einteilung suggeriert. Obwohl in der Gegenwart de facto der Zuzug nur Jüdinnen und Juden gestattet ist, hat es historisch ein homogenes Jüdisches Viertel nie gegeben. Noch heute wohnen vor allem an den Rändern über 500 PalästinenserInnen, deren Verortungen ich erkundet habe.7) [34]

Die Fläche des erweiterten Jüdischen Viertels bestand vor 1948 aus mehreren historisch gewachsenen, aber stets in Veränderung begriffenen Nachbarschaften (Arab. hārāt), von denen eines das Ḥārat al-Yahūd (im Folgenden Jüdisches Viertel) war. Zu diesen Nachbarschaften gehörte auch das mehrheitlich von nordafrikanischen MuslimInnen besiedelte Ḥārat al-Maġāriba (Marokkanisches Viertel), das an die Klagemauer angrenzte; das gemischte, aber mehrheitlich muslimische Ḥārat aš-Šaraf sowie weitere kleine Nachbarschaften, deren Grenzen sich zum Teil mit den gerade erwähnten überlappten. Das frühere Jüdische Viertel war um die Synagogen im Herzen des heutigen erweiterten Jüdischen Viertels angesiedelt. Doch auch Mitglieder anderer Gruppierungen wohnten dort. DUMPER (2002, S.80) erinnert daran, dass es schwierig sei, "to be precise about the exact location of the traditional Jewish Quarter because [...] the borders between all the quarters of the Old City fluctuated according to immigration and political circumstances of a given period". Das Jüdische Viertel galt jahrhundertelang aus verschiedenen Gründen als sehr armes Gebiet. Aufgrund des zunehmenden Baus "besserer" Stadtteile außerhalb der Jerusalemer Altstadtmauern war es von Beginn des 20. Jahrhunderts bis 1948 mehr als zuvor "associated with the old, poor, and weak", so BAR und RUBIN (2011, S.776). [35]

Zwischen der jordanischen Eroberung der Altstadt 1948, deren Besetzung durch Israel 1967 und dem Ende der 1970er Jahre kam es zu einem nahezu vollständigen Austausch der BewohnerInnen und zu einem weitgehenden Neuaufbau des baulichen Bestandes. Infolge des Krieges von 1948 fiel das Jüdische Viertel nach langer Belagerung durch arabische Armeen an Jordanien. 1.500 jüdische BewohnerInnen flohen oder wurden vertrieben. Die Synagogen und viele Häuser wurden durch die Kämpfe 1948 beschädigt oder später durch die jordanische Armee und lokale EinwohnerInnen zerstört. In den leerstehenden Häuserruinen siedelten sich neben palästinensischen Flüchtlingen aus dem neugegründeten israelischen Staat vorwiegend ärmere BinnenmigrantInnen aus Hebron an (BELL, MOLLOY, BELL & EVANS 2005, S.18; RICCA 2007, S.52). Israel eroberte die Altstadt im Krieg von 1967. Eine Woche nach Kriegsende beschlossen Stadtverwaltung und Regierung, das neben der Klagemauer liegende Marokkanische Viertel zu zerstören. Ungefähr 650 bis 700 EinwohnerInnen wurden vertrieben und 135 Häuser sowie zwei Moscheen abgerissen. Die Fläche des ehemaligen Marokkanischen Viertels ist heute der große Platz vor der Klagemauer (ABOWD 2000, S.12-13; DUMPER 2002, S.78). Anschließend wurde der "Wiederaufbau" des Jüdischen Viertels geplant, ein Prozess der mehr als 15 Jahre dauerte. [36]

1968 enteignete das israelische Finanzministerium 700 Gebäude, sowohl in dem Gebiet, das früher als Jüdisches Viertel bezeichnet wurde, als auch die Gebäude der umliegenden Nachbarschaften. Die enteignete Fläche war nach verschiedenen Schätzungen um mehr als das Doppelte oder sogar um das Sechsfache größer als die des angenommenen früheren Jüdischen Viertels (DUMPER 1992, S.37-38; IPCC 2009, S.11). Die Behörden gingen nicht von sich wandelnden, kleinen Nachbarschaften aus, sondern legten ein Raster mit vier objektiv bestehenden Vierteln in der Altstadt zugrunde (Jüdisches, Muslimisches, Christliches und Armenisches Viertel), wie es sich im israelischen und westlichen Diskurs im Laufe des 20. Jahrhunderts etabliert hatte. Diese historisch schwer haltbare Sicht drückt sich zum Beispiel in den Ausführungen der Richter des israelischen Obersten Gerichtes aus, die eine implizite Beschränkung des Zuzugs auf Jüdinnen und Juden in das neudefinierte Gebiet billigten:

"Naturally, the reconstruction is aimed at restoring the former glory of the Jewish settlement in the Old City, so that the Jews will once again, as in the past, have their own unique quarter, alongside the Muslim, Christian and Armenian quarters. There is no wrongful discrimination in distinguishing these quarters, each quarter and its congregation" (ISRAEL SUPREME COURT 1978, S.5). [37]

Die nachfolgenden Räumungen zogen sich von 1969 bis mindestens 1977 hin (ABOWD 2000, S.11). Sie betrafen zwischen 5.500 und 6.000 PalästinenserInnen. Unklar ist, wie viele BewohnerInnen die staatlich geregelten Kompensationszahlungen annahmen. Es kam auch zu langwierigen Rechtsstreitigkeiten und zu Beeinträchtigungen im Leben derer, die sich gegen die Räumung wehrten.8) Im Anschluss wurden die meisten alten Gebäude abgerissen und durch Neubauten ersetzt. Es ist unklar, warum einige palästinensische Familien in ihren Häusern in der nun definierten Fläche des erweiterten Jüdischen Viertels wohnen bleiben konnten bzw. die Räumungen nicht durchgesetzt wurden. In einem israelischen Artikel findet sich die Vermutung, der ehemalige israelische Ministerpräsident Menachem BEGIN habe dies 25 Familien als symbolische Geste zugestanden (HATTIS ROLEF 2000). In die Neubauten zogen jüdische Israelis ein. Obwohl die Planungen anfangs eine "Mischung" religiöser und nichtreligiöser jüdischer EinwohnerInnen vorsahen, wurden in den 2000er Jahren 95 Prozent der jüdischen BewohnerInnen als religiöse Jüdinnen und Juden definiert (BAR & RUBIN 2011, S.780; GLASS & KHAMAISI 2005, S.5). [38]

Der "Wiederaufbau" beruhte auf einem nach westlichen Bauprinzipien gestalteten Masterplan. Die Vergangenheit des eher einfachen Jüdischen Viertels, so RICCA (2007, S.36), wurde dafür als ruhmreich umgedeutet. Den Architekten habe der ursprüngliche "orientalische" Stil nicht zugesagt. Sie hätten durch ihre Bauweise eine "Western rationality" (S.XI) verkörpern wollen, wie sie dem zionistischen Gedanken entspreche. Das erweiterte Jüdische Viertel sei dementsprechend künstlich entworfen worden, verheiße jedoch für viele Israelis und Außenstehende Authentizität. Wichtig daran ist, dass sich das erweiterte Jüdische Viertel in seiner Erscheinungsweise von anderen Altstadtgebieten deutlich unterscheidet: Das Ambiente des neugebauten Viertels suggeriere für BesucherInnen einen Hort der Ruhe und Sauberkeit im Vergleich zu den arabisch geprägten Gegenden der Altstadt. Auch für viele PalästinenserInnen ist das erweiterte Jüdische Viertel ein Beispiel für ein moderneres Stadtbild, wie ich selbst immer wieder heraushören konnte und wie es von Simone RICCA pointiert ausgedrückt wurde: "[T]o many Palestinians it is seen to be a successful model of urban reconstruction, to be eventually copied and imitated" (S.XIII). [39]

Für die Verortungen der im erweiterten Jüdischen Viertel verbliebenen palästinensischen BewohnerInnen bedeutet das die Frage, ob sich ihnen weiterhin ein noematisches System palästinensischer Nachbarschaften darbietet, also deren "Reste" – die verbliebenen palästinensischen BewohnerInnen und ihre Häuser – zu dessen Identifikation genügen. Das scheint fraglich. Viele PalästinenserInnen akzeptieren das erweiterte Jüdische Viertel als Begriff und Realität. Die Namen der oben erwähnten historischen Nachbarschaften sind weitgehend aus dem Gebrauch verschwunden. Auch Huda, deren Fall ich im folgenden Abschnitt analysiere, benutzte an keiner Stelle den früheren Namen der Nachbarschaft, in der sie lebt, sondern verwendete den Begriff "Jüdisches Viertel". Für sie ist die israelische Definition des erweiterten Jüdischen Viertels bestimmend. Es kommt sowohl in Israel als auch in Palästina zu so gut wie keiner Aufarbeitung der Geschichte des erweiterten Jüdischen Viertels. Das Vergessen, das sich über die meisten ehemaligen palästinensischen Nachbarschaften im erweiterten Jüdischen Viertel legt, bedeutet, dass sich die israelische Raumdefinition weitgehend durchgesetzt hat (vgl. BECKER 2017b).9) [40]

7. Eine Analyse der biografischen Verortungen Hudas

Zum Zeitpunkt des Interviews (2012) lebte Huda, damals 25 Jahre alt, im Haus ihrer Familie im erweiterten Jüdischen Viertel, zusammen mit ihren Eltern und Geschwistern und in enger räumlicher Nähe zu jüdischen NachbarInnen. Mit Huda habe ich während dreier Treffen ein insgesamt ca. fünfeinhalbstündiges Interview geführt. Es wurde über einen Projektkollegen vermittelt, der eine Zeit lang mit Huda zusammengearbeitet hatte. Hudas Jerusalemer Dialekt – und das ist schon bezeichnend für ihre Verortungen – war so stark, dass unser Projektkollege das Interview ins Englische übersetzen musste, obwohl ich Arabisch spreche.10) [41]

Huda wurde 1987 in Jerusalem geboren, sie hat einen ein Jahr älteren Bruder, eine um ein Jahr jüngere Schwester und zwei bedeutend jüngere Brüder. Ihr Haus liegt an einem von anderen palästinensischen Gebäuden isolierten und stark frequentierten Platz. In unmittelbarer Nähe stehen rund um die Uhr Sicherheitsbeamte. Aus Anonymisierungsgründen kann ich auf die genaue Lage des Gebäudes nicht eingehen. Die Familie wohnt in diesem Haus schon seit mindestens drei Generationen, es befindet sich im Privatbesitz der väterlichen Familie. Die Lage an einem sehr begehrten Platz hat zwei miteinander verwobene belastende Auswirkungen für die Familie: Auf der einen Seite muss sie sich Versuchen jüdischer AktivistInnen erwehren, das Haus in ihren Besitz zu bringen, auf der anderen Seite besteht von palästinensischer Seite die Erwartung, dass die Familie als PalästinenserInnen dort wohnen bleibt. Angesichts einer steigenden Zahl von Siedlungen besagt die Rechtsprechung Jordaniens und der Palästinensischen Autonomiebehörde, dass Hausverkäufe an Israelis unter Todesstrafe gestellt werden können. [42]

Hudas Großvater väterlicherseits war Händler und Landbesitzer. Huda betonte auf meine Nachfrage zu ihrer Familiengeschichte sogleich, dass er sein Land nur an Araber verkauft habe. Das zeigt die hohe Relevanz des Themas Grundbesitz in der Familie, das sich in Bezug auf das Haus im erweiterten Jüdischen Viertel bis heute durchzieht. Zum Interviewzeitpunkt wohnte Hudas Vater als letztes seiner Geschwister im Familienhaus. Ein Bruder und eine Schwester waren von dort mit ihren Familien in andere Stadtteile Ostjerusalems gezogen, als Huda klein war. Der Auszug der beiden Geschwister bedeutete, dass Hudas Kernfamilie einen besonders herausgehobenen und zugleich isolierten Stand im erweiterten Jüdischen Viertel hatte. Als "Übriggebliebene" hatten sie die gesellschaftliche Aufgabe, das Haus zu halten, was viele Entbehrungen bedeutete. Einerseits arbeiteten einige Mitglieder der Familie darauf hin, das Haus zu verkaufen, was den sofortigen Reichtum der Familie, aber auch ihre komplette Ausgrenzung in Jerusalem bedeutet hätte. Dies erschwerte die ohnehin komplexen innerfamilialen Beziehungen. Aber auch seitens der jüdischen BewohnerInnen im erweiterten Jüdischen Viertel gab es ständigen Druck auf die Familie, als "Fremde" das Viertel zu verlassen. Die jüdischen NachbarInnen übten psychische und physische Gewalt aus – sie griffen Huda und ihren Bruder mehrmals körperlich an. Um Druck auszuüben, fälschten sie die Unterschrift des Vaters, fotografierten das Hausinnere und Familienmitglieder und deponierten Unsummen von Geld im Haus als "Vorauszahlung" für den anstehenden Verkauf. Die NachbarInnen feierten regelmäßig auf dem Dach des Familienhauses, die israelischen Sicherheitsbehörden unterstützten die Familie unzureichend. [43]

Dies ist der notwendige Hintergrund zur Darstellung und Analyse von Hudas Verortungen im erweiterten Jüdischen Viertel. Es wird sich jedoch zeigen, dass dies nur ein Aspekt dieser Analyse ist, in der auch die sie einengende Kernfamilie eine große Rolle spielt. Gleich zu Beginn des Interviews ging Huda in einer ersten Erzählung auf die Wahrnehmung von Fremdheit bzw. Isolation in der eigenen Umgebung des erweiterten Jüdischen Viertels ein, die jedoch auch schon auf ihre Familie rückgebunden werden kann:

"Als ich fünf war hielt [mein Bruder] ah in seiner Hand eine palästinensische Fahne, er spielte mit der mit der Flagge und eine Siedlerfrau schrie ihn an und griff ihn an, er ah versteckte sich im Haus als meine Mutter ihn einfach mit hineinnahm, gleich kamen die Soldaten und fragten nach der Fahne und damals nur das Kind das kleine Kind sagte es ist unsere Fahne warum wollt ihr sie uns nehmen und in diesem Moment beginnst du zu fühlen dass du fremd unter Fremden bist und dass die um dich herum für dich sehr komisch sind." [44]

Diese Erzählung dient Huda als Einführung in ihre frühe Erinnerung und in die besonderen Lebensbedingungen im erweiterten Jüdischen Viertel. Huda präsentiert auf einer oberflächlichen Ebene die nationale Ausrichtung der Familie in einer feindlichen Umgebung – ein kleiner Junge wird im öffentlichen Raum von einer Frau angegriffen, nur weil er friedlich mit einem nationalen Symbol spielt, und das führt dazu, dass sich die Familie in ihr Haus zurückziehen muss. Das Zeigen palästinensischer Flaggen war bis zum Jahr 1993 verboten (NASSAR 2006, S.224). Huda selbst bleibt in dieser Erzählung passiv. Außerdem spricht sie im arabischen Transkript häufig von "der Junge" oder sogar von "dein Bruder". Das deutet einerseits darauf hin, dass es sich um eine Fremderzählung handeln könnte, die sie präsentiert (HINRICHSEN, ROSENTHAL & WORM 2013).11) Andererseits könnte dies im Zusammenhang mit den letzten zwei Zeilen des Zitats auch so gelesen werden, dass darin nicht nur eine Distanzierung von der jüdischen Umgebung, sondern auch von der eigenen Kernfamilie im Haus stattfindet. Es wird sich zeigen, dass gerade ihre Mutter und ihr Bruder in ihrem Leben eine von ihr als häufig negativ interpretierte einengende Rolle einnehmen. Damit gewinnt das Zitatende vor allem wegen der Personalpronomen im Singular, mit der sie sich und nicht die ganze Familie thematisiert, eine weitere Bedeutungsdimension: Hudas Distanzierung von Mitgliedern der Kernfamilie. Das "Fremde" kann auch ihre Familienmitglieder und ihr Verhältnis zu ihnen beinhalten und nicht nur die jüdischen NachbarInnen. Es wird in diesem Zitat eine prekäre Wir-Ich-Balance angedeutet (ELIAS 1987). Der Spagat zwischen der Zugehörigkeit zur Wir-Gruppe der Familie im Haus, der schwierigen Position im erweiterten Jüdischen Viertel, der Zugehörigkeit zur Wir-Gruppe der PalästinenserInnen und einer Betonung der eigenen Individualität wird in der Falldarstellung immer wieder angedeutet und beeinflusst Hudas Verortungen.12) [45]

In ihrer Kindheit spielten Huda und ihre Geschwister auf dem Platz vor der Hurva-Synagoge, was heute aufgrund der politischen Situation schwer vorstellbar ist. Doch Huda erzählt, dass ihnen plötzlich "verboten [wurde] aus der Haustür zu treten wir müssen immer im gleichen Haus sitzen und darin spielen". Nun wäre es naheliegend, diese Verbote auf die politische Situation im Viertel zu schieben. Aber die Kraft, die hinter dieser Einengung in das eigene Haus steckt, wird als ihre Mutter erkennbar – Huda macht sie dafür verantwortlich. Diese Praxis der Einengung empfindet Huda als dauerhaften Zustand, denn innerhalb weniger Zeilen überspringt sie Jahre, die sie offenbar damit verbindet, und erzählt dann von der unveränderten Situation, als sie bereits zur Schule ging:

"Wir gingen pünktlich [zur Schule] und kehrten pünktlich zurück es gab keine Zeit zu spielen und keinen Platz auf den wir gehen konnten wir kehrten zurück und nach einer Weile kam die Nacht [...] meine Mutter hatte sogar Angst vor den Jugendclubs vor jedem Ort, Ort, kein Ort." [46]

Zahlreiche weitere Erzählungen deuten darauf hin, dass Hudas Erfahrungen mit ihrer Mutter als Überwacherin im Familienhaus die negativen Erfahrungen, die sie mit ihren NachbarInnen im Jüdischen Viertel machte, weitgehend überschrieben. Wenn sie vom aggressiven Verhalten jüdischer NachbarInnen erzählt, wird zwar deutlich, dass sie vor ihnen Angst hatte, gleichzeitig ist dabei mehr Handlungsmacht erkennbar als in Erzählungen über die Kernfamilie:

"Wir vergaßen dass die Tür offen war wir sahen dass viele Menschen hereinkamen und sie begannen die Treppe hinaufzulaufen […] ich nahm den Besen und wir schrien die Juden an dass sie das Haus verlassen sollen […] nachdem sie das Haus verlassen haben fühlte ich den Sieg aber damals waren wir sehr verängstigt […] ich habe diese Geschichte allen erzählt und ich fühlte wieder dass ich dieses Mal gewonnen hatte." [47]

Der Druck im Viertel ist einerseits ein Element, das die Familie entzweit, auf der anderen Seite scheint aber das Haus und das Beharren darauf trotz allem ein gemeinsames Band in der Familie darzustellen. Wenn Huda über die Feindseligkeiten gegenüber ihrer Familie argumentiert, wechselt sie zum Personalpronomen "wir": "Wenn sie das Haus nehmen wollen können sie uns alle einfach töten und uns vor der Türe begraben und es nehmen, aber wir werden dieses Haus nicht verlassen." So nahm und nimmt die Familie das Haus als ihre Form des Widerstandes wahr. Hudas Eltern stehen mit ihrer Beharrlichkeit in der Tradition des sogenannten ṣumūd – wörtlich Standfestigkeit –, in dieser Fassung auch "statischer ṣumūd" genannt, womit das Festhalten am Land und das Beibehalten eines normalen Lebens trotz widriger Umstände ausgedrückt wird (FARSOUN & LANDIS 1990). [48]

Mir sind nur wenige konkrete Daten aus Hudas Kindheit bekannt. Zwar tauchen im Interviewtext oft verdichtete Situationen und detaillierte Erzählungen auf, in denen vor allem die Einengung durch die Kernfamilie – insbesondere durch ihre Mutter – oder durch die feindliche Umgebung im erweiterten Jüdischen Viertel thematisiert wird. Doch diese genauen Schilderungen sind chronologisch kaum einzuordnen. Das ist ein Hinweis darauf, dass die Einengung ein durchgehendes Erleben war. Für Huda ist die stadträumliche Einengung und die familiale Einengung eng verwoben. Sie bedingten einander, auch wenn am Ende die Einengung im Familienzusammenhang die Oberhand behielt. [49]

Ihre Versuche, mehr im öffentlichen Raum des Viertels zu spielen, endeten in Angriffen von Nachbarskindern und im Anschluss daran in der Einengung durch ihre Mutter im Haus, die – in Hudas Wahrnehmung – sie sogar im Haus daran hinderte, ihrem Drang nach kreativer Beschäftigung nachzugehen. Für die meisten InterviewpartnerInnen gehörte es zu den wichtigsten Erlebnissen in der Kindheit, in den autofreien Gassen der Altstadt zu spielen. Huda hingegen sagt, als Kind in Jerusalem habe sie "die Straßen und die Altstadt gehasst vielleicht weil wir eine Art Außenseiter waren oder anders gesagt ich war nicht wirklich am Leben der Stadt beteiligt". Das "eine Art Außenseiter " bedeutet einerseits, dass sie und ihre Familie innerhalb ihres Viertels AußenseiterInnen in der Figuration mit den jüdischen NachbarInnen waren, andererseits heißt es aber auch, dass sie auch in der palästinensischen Community eine AußenseiterInnenposition einnahmen, weil sie im erweiterten Jüdischen Viertel wohnten. [50]

Zum Schuljahr 1993/1994 wurde Huda in eine christliche Mädchenschule in der Altstadt eingeschult, ein Jahr später auch ihre jüngere Schwester. In der Schule, die von ausländischen Kirchenvertreterinnen geleitet wird, kommen viele Schülerinnen aus eher armen sozialen Verhältnissen, andere hingegen zahlen ein gewisses Schulgeld. Christliche Schulen gelten generell als "besser". Das heißt, die Schule spricht Eltern an, die nicht reich sind, aber auf Bildung Wert legen – dazu gehörten Hudas Eltern. Huda konzentriert sich im Interview aber weitgehend auf Beschreibungen der häuslichen Einengung. Lediglich den Schulweg, der durch verschiedene palästinensische Nachbarschaften führte, präsentiert sie als Alternative zu den Einengungen im Haus und im erweiterten Jüdischen Viertel. Er symbolisiert palästinensische Öffentlichkeit, quirliges Leben, Möglichkeiten zu spielen. [51]

Die Zweite Intifada, die Ende September 2000, als sie 13 Jahre alt war, mit wochenlangen Auseinandersetzungen in der Altstadt begann, thematisiert Huda recht wenig. So berichtet sie, wie sie beim Spiel mit Freundinnen von jüdischen Kindern angegriffen worden sei, ohne aber den aktuellen politischen Kontext zu erwähnen. Huda hat vor allem in Erinnerung, dass sie deswegen wieder von ihrer Mutter eingesperrt wurde. Es war die Struktur, die sie seit ihren ersten Lebensjahren erlebte: Aggression im Viertel, Einengung durch die Eltern im Haus: "Sie haben uns immer aufgefordert nach Hause zu kommen, es gab nichts zu tun." Doch an dieser Stelle deutet Huda schon an, dass eine Änderung anstand: "Ich hatte danach nichts zu tun bis ich sechzehn Jahre alt war." Obwohl wenig manifest thematisiert, waren die politischen Entwicklungen nicht spurlos an Huda vorübergegangen; sie begann, sich verstärkt für Politik zu interessieren. Das folgende Erlebnis aus dem Jahr 2003 zeigt diesen Übergang von ihrer Rolle als Kind zu einer politisch interessierten Jugendlichen:

 "Ich habe ein Gedicht über die Lage geschrieben und es meiner Schwester vorgelesen sie mochte es aber als ich es meiner Mutter und meinem Vater vorgelesen habe sagten sie mir es ist dumm, was du geschrieben hast […] du solltest nicht über Politik sprechen weil es nur Quatsch ist." [52]

Obwohl Hudas Eltern durch ihre Persistenz im erweiterten Jüdischen Viertel "Standfestigkeit" (der erwähnte ṣumūd) leisteten, wandten sie sich gegen offene politische Betätigung und versuchten wohl, so unauffällig wie möglich zu leben. In einer Situation wie der Zweiten Intifada musste die isolierte Lage der Familie, verbunden mit der Ängstlichkeit der Eltern, für die in ihrem politischen Bewusstsein erwachende Huda ablehnungswürdig gewesen sein. Noch mehr wird ihr klar geworden sein, wie sehr sie ihre Eltern bis dahin eingeengt hatten – ein Gedanke, der ihre Erinnerungen daran bis in die Gegenwart bestimmt. Sie erkannte, dass sie räumlich von der palästinensischen Bevölkerung getrennt war und zudem eine christliche Schule besuchte, die von kirchlichen Vertreterinnen eines anderen Landes geleitet wurde. Sie sah sich zunehmend an den falschen Orten. [53]

Ein entscheidendes Datum in Hudas Erleben war daher ihr Wechsel auf eine öffentliche palästinensische Schule zur 11. Klasse im Schuljahr 2003/2004, als sie 16 Jahre alt war. Huda sah die Privatschule für die Entwicklung eines palästinensischen Nationalbewusstseins als ungünstig an: "[In der christlichen Schule] konnten wir nicht der Nakba13) gedenken wir konnten darüber nicht sprechen." Dies sei zu einem Problem für ihre "politische und nationale Identität" geworden.

"[Ich] durfte meine Gefühle nicht zu Hause ausdrücken aber ich durfte meine Gefühle auch nicht in der Schule ausdrücken, es es war schwer zu erkennen dass du selbst nicht am richtigen Ort bist ich fühlte dass es nicht meine Umgebung war und ich wollte in einer Umgebung sein wo ich hingehörte, daher entschied ich mich zu gehen in eine andere Schule zu gehen." [54]

Huda konstruiert in ihrer Erzählung diesen symbolischen Punkt für einen sicherlich länger andauernden Prozess der Selbstgewahrwerdung in der mittleren Adoleszenz. Durch den Schulwechsel kämpfte Huda gegen ihre Verbesonderung. Sie begab sich auf den Weg zu einer Positionierung in einer von ihr als "normal" angesehenen muslimisch-palästinensischen Mehrheitsgesellschaft – Emanzipation und Sich-Einfügen statt Separation dadurch, dass sie sich dem "Mainstream" zuwandte. In der neuen Schule legte sie gegen den Willen ihrer Eltern das Kopftuch an. Sie hatte dafür keine religiösen Gründe, sondern auch damit war ein symbolisches Bekenntnis zur muslimischen Mehrheitsgesellschaft verknüpft. Für Huda bedeuteten diese Schritte die Vorstellung, mehr Handlungsautonomie und Selbstvertrauen zu gewinnen: "Von da an fühlte ich dass ich meine Familie nicht wirklich brauche und ich hatte auch weniger Ängste Dinge zu konfrontieren." Huda trat nun viel stärker als Gestalterin ihres eigenen Lebens auf. Das ist im Interviewtext auch daraus zu interpretieren, dass ihre Handlungen ab diesem Zeitpunkt viel leichter rekonstruiert werden können: Während sie für die Zeit zuvor kaum Jahreszahlen angeführt hatte, waren ihre Erzählungen nun mit zeitlichen Markern versehen. Dies führte aber gleichzeitig zu verstärkten, noch immer andauernden Konflikten innerhalb ihrer Kernfamilie. [55]

2005 absolvierte Huda die tawǧīhi-Prüfungen – nur 50 Prozent der OberstufenschülerInnen schaffen diesen Sekundarschulabschluss (MA'AN NEWS AGENCY 2008) – und begann ein Studium der Grundschulpädagogik in Jerusalem. Die alltägliche Kontrolle durch die Familie nahm aber nicht ab, im Gegenteil: In dieser Periode übernahm neben der Mutter ihr älterer Bruder die Rolle, seine beiden jüngeren Schwestern zu kontrollieren. Das war aufgrund deren guter Schulleistungen sicherlich mit Neid verknüpft, aber auch der von ihm wahrgenommenen Aufgabe der Kontrolle der selbständiger werdenden Schwestern geschuldet (JOSEPH 1999). Das Verhältnis zu ihrem Bruder verschlechterte sich zunehmend. Hudas Beschreibungen der vierjährigen Studienzeit drehen sich daher weiterhin in zentraler Weise um die Einengung im Haus. Daneben thematisiert sie ihr (Selbst-) Studium der palästinensischen und vor allem der Jerusalemer Geschichte. Sie beschäftigte sich mit dem palästinensischen Nationaldichter Mahmud DARWISCH (1941-2008), besuchte einen Kurs über Jerusalemer Alltagsgeschichte, las historische Bücher, nahm an einer Feldforschung in der Altstadt teil und arbeitete freiwillig in einem Kinderzentrum. Nachdem sie an einem mehrwöchigen Theaterworkshop teilgenommen hatte, entwarf sie ein eigenes kleines Programm, in dem sie Aspekte der Jerusalemer Geschichte thematisierte und das sie in Jerusalemer Mädchenschulen aufführte. Huda präsentierte auf humoristische Art typische Jerusalemer Charaktere aus verschiedenen Epochen und führte auf diese Weise verschiedene Nachbarschaften der Altstadt ein. Das, was ich weiter unten "symbolische Verortung" nenne, gewinnt in dieser Zeit immer mehr an Bedeutung: Huda stilisierte sich als kreative Stimme Jerusalems und übernahm somit eine Sprecherinnenfunktion für die palästinensische Wir-Gruppe in der Altstadt (vgl. WUNDRAK 2012). [56]

Früher habe sie in den arabischen Vierteln der Altstadt nur Armut und Rückständigkeit gesehen: "Kinder die schlechte Kleidung tragen die keine Schuhe an den Füßen haben Kinder zu sehen die sich anschreien sich gegenseitig beschimpfen." Dies habe sie mit einem positiven Image des Jüdischen Viertels verglichen, "das sauber ist und in dem sich die Leute irgendwie auf eine gute Weise behandeln". Doch durch ihre Beschäftigung mit der Stadt begann sie, deren historische Bedeutung wahrzunehmen. Ihr Blick auf die Altstadt wandelte sich wie in einem Kippbild. Sie wandte sich den Orten der Altstadt und ihrer Geschichte in neuer Weise zu und entdeckte die Welt, in die sie eingeschlossen war, für sich neu. Huda begann, sich symbolisch in Jerusalem zu verorten. Das modifizierte ihr Dasein, obwohl sich ihre alltägliche Einengungssituation nicht wesentlich änderte. Sie schaffte eine Verbindung ihres persönlichen Schicksals mit dem der Nation und der Stadt und entwickelte ein Selbstbewusstsein zur räumlichen Herkunft: Huda verortete sich in der Altstadt aufgrund deren symbolischer Relevanz. Durch ihre veränderte Wahrnehmung Jerusalems konnte sie ihre Isolation im erweiterten Jüdischen Viertel bearbeiten. Sie sei zur "Freundin Jerusalems" geworden. [57]

Nach dem Ende ihres Studiums arbeitete Huda als Lehrerin in einer Mädchenschule in der Altstadt. Doch die Kontrolle durch ihre Familie ging weiter: Sie habe nur für die Arbeit das Haus verlassen dürfen und um 16.00 Uhr wieder zu Hause sein müssen. Die Spannungen nahmen noch einmal zu, sie sei von ihrer Familie "bedroht und erniedrigt" worden, besonders von ihrem Bruder. Huda ist den anderen Familienmitgliedern als zunehmend unkontrollierbar erschienen. Ihre Mutter hatte die Befürchtung, dass eine Heirat aufgrund Hudas Unabhängigkeit in weite Ferne rücken würde. Der Bruder konnte die selbstbewusst im öffentlichen Raum auftretende Schwester nicht ertragen. Huda beschreibt die Grundschule als Auffangbecken, als Gegenpol zum Familienleben: hier die palästinensische Umgebung in der Schule, die für Nation, Arbeit, Freunde und Kreativität steht; dort das Haus im erweiterten Jüdischen Viertel, die feindliche Umgebung, Familie, Enge, Unterdrückung, Tradition und Gewalt. Durch ihre KollegInnen in der Schule, die hinter ihr standen, konnte Huda selbstbewusster mit der familialen Bedrohung umgehen. [58]

Doch schließlich eskalierte die Situation. Nachdem es im Familienhaus zu einem von mehreren gewalttätigen Übergriffen des Bruders gekommen war, flüchtete Huda vor ihm zum israelischen Sicherheitsposten vor dem Haus:

"Ich bin ins Viertel geflüchtet weil er mich sehr sehr auf mein Auge und meinen Kopf geschlagen hat und, Polizei plötzlich war alles Polizei (5 Sek. Pause) das ist das erste Mal erste Mal erste Mal dass ich fühle dass dass mein Feind mich vor meiner Familie, Bruder ist auch Familie, beschützt hat." [59]

Das Erscheinen der Polizei im Haus ist für Huda besonders schwierig zu erzählen. Während psychische und physische Gewalt in ihrer Familie alltäglich war, war es in dieser Situation die Vermengung zweier sonst nacheinander wirkender einengender Orte, die diese Situation besonders belastend machten – jenem der Familie im Haus und jenem der jüdischen NachbarInnen im Viertel. Diese zwei Orte, Familienhaus und Jüdisches Viertel, haben bei vorherigen Erlebnissen zwar verknüpft, aber nicht gleichzeitig auf Huda gewirkt. [60]

In der Folge sei ihr Bruder für zwei Wochen in ein anderes Haus der Familie gebracht, aber von der Familie wie ein Held behandelt worden. Hudas Freiräume wurden hingegen weiter eingeschränkt, indem ihr Vater ihr drohte, dass sie bald verheiratet werde. In der Folgezeit seien selbst an ihrem Arbeitsplatz zahlreiche potenzielle Bräutigame aufgetaucht. Huda hatte Angst, dass eine Heirat ihre sorgfältig aufgebauten beruflichen und gesellschaftlichen Freiräume gefährdet. Doch damit reproduzierte sie ein Rollenverständnis der verheirateten Frau, das ihr von der Familie weitergegeben wurde. Huda erschien es unmöglich, die Freiräume zu behalten und gleichzeitig die einengende Kernfamilie im Haus im erweiterten Jüdischen Viertel zu verlassen. Es ist die Frage, ob es Wege gibt, diesen Einengungen zu entkommen, ohne ihre gewonnenen Erweiterungen aufgeben zu müssen. [61]

In dieser Situation – die soeben dargestellten familialen Übergriffe geschahen einige Zeit vor unserem zweiten Interviewtermin – wird die Bedeutsamkeit der symbolischen Verortung in Jerusalem noch offensichtlicher. Huda nutzt die Metapher "Jerusalem" zur Darstellung ihrer Lebenssituation, ihrer eigenen Subjektivität und Geschichte. Sie stellt sich mit der Stadt gleich oder sogar als Einheit mit der Stadt dar: "Als sie mich danach fragten wer ich sei sage ich, ich bin Jerusalem [...] mit allen Details mit seinen Gassen mit deren Windungen mit seiner Einfachheit mit seiner Geschichte mit seiner Altehrwürdigkeit." Dann führt sie dies weiter aus:

"Ich sehe aus wie Jerusalem mit seiner Traurigkeit, Gebrochenheit und seinen Niederlagen und sogar in meinem Unterbewusstsein habe ich manchmal gedacht, damit es mich tröstet dass die Leute die um mich sind wie die Stadtmauer sind, durch die Geschichte wurde die Mauer sechzehnmal zerstört, nein nicht zerstört geändert [...] ich brauche die Leute die um mich sind, weil sie wie die Jerusalemer Stadtmauer sind, die ist Schutz Sicherheit." [62]

Huda steht als angegriffene Stadt im Zentrum, sie wird jedoch durch relevante Bezugspersonen als Mauer gestützt. Durch diese Gleichung ihrer selbst mit der Stadt und der sie unterstützenden Nächsten mit der Stadtmauer kann sie ihre biografisch schwierige Position dem Schicksal der Stadt einpassen – sie wird selbst Teil der nationalen und religiösen Relevanz der Stadt. An anderer Stelle deutet sie die Altstadt auch als "Zentrum der Welt". Die symbolische Verortung hilft ihr bei der Bearbeitung biografischer und familialer Probleme. Das Bewusstsein, mit ihrer Familie an einem "speziellen" Ort innerhalb der aufgeladenen Altstadt zu wohnen, verbesondert sie als herausgehobene Repräsentantin der Stadt. Ihr Dasein dort erscheint besonders relevant. Diese symbolische Verortung wird Teil ihrer biografischen Sinnstiftung. [63]

8. Fazit

Anhand der Fallrekonstruktion von Huda habe ich prozessuale, sich wandelnde Verortungen im Forschungsraum der PalästinenserInnen im erweiterten Jüdischen Viertel der Jerusalemer Altstadt analysiert, um die empirische Umsetzung der in diesem Beitrag vorgeschlagenen Verbindung von Raumsoziologie und sozialkonstruktivistischer Biografieforschung vorzustellen. Unter diesem Gesichtspunkt sollen zunächst die Analyseergebnisse noch einmal kurz zusammengefasst werden. [64]

Alle Interviews im erweiterten Jüdischen Viertel verdeutlichten, dass es für die dort wohnenden PalästinenserInnen kein Erleben von Nachbarschaft gibt und das Dasein im öffentlichen Raum problematisch werden kann. Im Fall von Huda forcierte vor allem ihre Mutter ab ihrer frühen Kindheit einen Rückzug auf das Familienhaus. Diese innerfamiliale Kontrolle bedingte innerfamiliale Probleme: Die Familie war dazu angehalten, trotz feindlich eingestellter NachbarInnen in ihrem Haus wohnen zu bleiben und war somit ständig auf sich zurückgeworfen. Das isolierte palästinensische Familienleben im erweiterten Jüdischen Viertel produzierte familiale Konflikte mit und führte zu Hudas einengender Verortung im Haus der Familie. Zudem war Huda wegen der verbesonderten Lage vom palästinensischen Alltagsleben der Altstadt abgeschnitten. Huda versuchte durch biografische Entscheidungen, diese Einengungen in Viertel und Haus zu bearbeiten: Schulwechsel, Studium und Selbstveränderung dienten einer Bewegung hin zu einer palästinensisch-muslimischen Mehrheitsgesellschaft. Dies ging einher mit einer symbolischen Verortung im historisch und politisch aufgeladenen Raum der Altstadt, mit der sie ihre verbesonderte Wohnsituation rahmen und sich als Botschafterin Jerusalems in der palästinensischen Community distinguieren konnte. Trotz dieser Erweiterungen ist die Einengung durch die Familie in ihrem Erleben zentral geblieben. [65]

Bei meiner Feldforschung im Forschungsraum des erweiterten Jüdischen Viertels begegnete mir diese "Verinselung" oder Einengung in Familienhäusern, die ich im Fall von Huda rekonstruiert habe, immer wieder. Dass keine nachbarschaftlichen Strukturen vorhanden waren, äußerte sich auch in einer bedeutend weniger starken sozialen Kontrolle als in anderen Altstadtteilen. Ich interviewte Menschen, die mir in einer sozial stärker kontrollierten Nachbarschaft als InterviewpartnerInnen verwehrt worden wären. Die anderswo in der Altstadt so wichtige nachbarschaftliche Verortung wird durch die grundlegende Verortung im eigenen (Familien-) Haus ersetzt. Eine solche Verinselung des Daseins von PalästinenserInnen im erweiterten Jüdischen Viertel bringt eine Änderung des gesellschaftlichen Lebens mit sich – und somit auch eine Änderung der Wir-Ich-Balance hin zu einer forcierten stärkeren Individualisierung (vgl. dazu ELIAS 1987). Diese geht häufig mit einem Wunsch nach symbolischer Rückverbindung in einem anderen Kontext einher (z.B. dem nationalen Umfeld oder der historisch und religiös aufgeladenen Altstadt). Daher ist die symbolische Verortung die zweite vorherrschende Weise der Verortung von PalästinenserInnen im erweiterten Jüdischen Viertel, weil die BewohnerInnen keinen sie einigenden Wir-Ort haben, sondern durch Vereinzelung definiert sind. Die symbolische Verortung kann eine alternative räumliche Verbindung schaffen. [66]

Das ist ein deutlicher Gegensatz zu einem weiteren meiner Forschungsräume in der Altstadt, demjenigen der kleinen Nachbarschaft. Diese Nachbarschaft bot sich als Wir-Bild den BewohnerInnen dar, an dem sie sich orientieren oder abarbeiten konnten, das ihnen zur gegenseitigen Identifikation und Versicherung diente und das sie als Selbstbeschreibung der Zugehörigkeit und als verortende Begrifflichkeit untereinander verwendeten. Sie ist daher ein typisches Beispiel für einen Wir-Ort – und ein maximaler Kontrast zum Forschungsraum der PalästinenserInnen im erweiterten Jüdischen Viertel (BECKER 2017a). In der kleinen Nachbarschaft konnte ich durch die dominante nachbarschaftliche Verortung einerseits gewisse Vergemeinschaftungsprozesse beschreiben, andererseits aber durch die Verortung im Familienhaus oder durch herbeigeführte Abwesenheiten von der Nachbarschaft auch individuelle Versuche, sich dieser dominanten nachbarschaftlichen Verortung zu entziehen. [67]

Die Kontrastbildung auf der Ebene von Forschungsräumen und einzelnen Biografien ermöglichte es, die symbolisch aufgeladene und beengte Jerusalemer Altstadt nicht nur mit dem üblichen Fokus auf ihrer religiösen und politischen Bedeutsamkeit oder auf die im westlichen/israelischen Diskurs dominante Einteilung in vier ethno-religiöse Viertel zu interpretieren, sondern aus der Perspektive ihrer BewohnerInnen. Auch für sie ist die Kategorie "Raum" lebensgeschichtlich und im Alltagsleben von hoher Relevanz. Die Untersuchung von Verortungen erlaubte es einerseits, die Altstadt in der Art und Weise, wie sie von ihren BewohnerInnen im Lebensverlauf wahrgenommen, erlebt und eingeteilt wird, zu rekonstruieren und andererseits – in der Annahme, dass Orte durch ihre Mitglieder ko-konstituiert werden – auch, welche Orte sich daraus herstellen. Auf Basis meiner Analysen konnte ich Verortungen in Haus und Familie, in der kleinen Nachbarschaft, im symbolischen Jerusalem, durch eine teilzeitliche Ablösung von der Altstadt und durch den Wegzug rekonstruieren. Bestimmten Verortungen kommt in einzelnen Forschungsräumen eine größere Relevanz zu, da sie durch deren Struktur herausgefordert werden – wie dargestellt die Verortung in Haus und Familie im erweiterten Jüdischen Viertel oder die Nachbarschaftsverortung im Forschungsraum der kleinen Nachbarschaft. Doch die von mir ebenso rekonstruierten Typen von Verortungen in biografischen Verläufen (mit unterschiedlichen Dynamiken von "Einengung" und "Erweiterung") zeigen, dass diese "dominanten Verortungen" zwar naheliegender oder erwünschter sein mögen, aber die Verortungen der EinwohnerInnen vielfältig und im biografischen Verlauf wandelbar bleiben. [68]

Doch nicht nur in einer so aufgeladenen Umgebung wie Jerusalem ist die Untersuchung von Verortungen und Orten ein relevantes Forschungsfeld. Im englischsprachigen Raum haben neben Edward CASEY zahlreiche weitere phänomenologisch orientierte WissenschaftlerInnen wie Jeff MALPAS (1999) oder David SEAMON (2018) betont: "[H]uman being is always human being in place" (S.2).14) Diese Ortsgebundenheit der menschlichen Erfahrung und ein Ortsbegriff, der davon ausgeht, dass (prozesshafte) Orte auch durch ihre Mitglieder (ko-)konstituiert werden, sind die Basis für eine Verbindung von Biografieforschung und Raumsoziologie, wie sie in diesem Beitrag vorgestellt wurde. Der Vorteil, den die sozialkonstruktivistische Biografieforschung einbringen kann, ist ihre diachrone Perspektive: Mit der Analyse von Verortungen als lebensgeschichtlichen Prozessen, eingebettet in den sozio-historischen Kontext, kann aufgezeigt werden, wie Orte und Individuen miteinander verbunden sind. Auf einer raumsoziologischen Ebene ist dies eine ähnliche Beobachtung wie jene, dass "Gesellschaft" ohne Individuen nicht denkbar wäre (ELIAS 1987) bzw. Gesellschaft und Individuen sich wechselseitig konstituieren (FISCHER & KOHLI 1987; ROSENTHAL 1995). [69]

Für die sozialkonstruktivistische Biografieforschung bedeutet es die Aufforderung, nicht nur die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in die Rekonstruktion eines biografischen Verlaufes einzubinden, sondern so genau wie möglich auch die Bedeutung des nächsten, unmittelbar lokalen Umfeldes – sei es das Zusammenleben in Haus, Nachbarschaft oder Stadt. Dies ist generell in Lebensgeschichten relevant, aber bei der Rekonstruktion von Kindheit und Jugend oftmals sichtbarer, da in diesem Abschnitt die institutionelle Ortsgebundenheit tendenziell stärker ist. Dazu gehört auch zu fragen, wie man "lernt", in einem Ort zu sein, wie sich Interpretationen der sozialen und physisch-räumlichen Umgebungen ändern, herausgefordert werden und verengen. Für die Raumsoziologie ist die Verbindung mit der Biografieforschung eine Einladung, bei der Rekonstruktion von Orten scheinbar individuelle biografische Erfahrungen in ihrer gesellschaftlichen Strukturiertheit zu berücksichtigen. Mittels dieser diachronen Perspektive kann anhand von lebensgeschichtlichen Verläufen und Verortungen die Genese bzw. die Wandelbarkeit von Orten aufgezeigt werden. [70]

Anmerkungen

1) Der Artikel basiert auf Teilen meiner Dissertation "Verortungen in der Jerusalemer Altstadt: Lebensgeschichten und Alltag in einem engen urbanen Raum" (BECKER 2017a). Die Forschung entstand im Kontext des DFG-finanzierten Forschungsprojektes "Außenseiter und Etablierte zugleich: Palästinenser und Israelis in unterschiedlichen Figurationen", in dem ich von 2010 bis 2015 tätig war (vgl. auch ROSENTHAL 2015). Während meiner insgesamt achtmonatigen Feldaufenthalte habe ich 35 biografisch-narrative Interviews durchgeführt sowie mehrere fokussierte teilnehmende Beobachtungen und eine lang anhaltende Beobachtung unternommen. <zurück>

2) Laut ELIAS (2010 [1985]) sind einzelne Menschen in bestimmte Figurationen eingebunden und werden unter anderem dadurch zu Individuen. Die Figurationen sind wandelbar und auch, Teil welcher Figurationen (ELIAS selbst nennt z.B. Familien und Staaten) ein Mensch parallel und im Laufe des Lebens sein kann. <zurück>

3) Auch in den FQS-Review-Essays von SIEBECK (2011) und KOTTMANN (2005) werden Aspekte der sozialen Konstituiertheit von Raum und Ort thematisiert. <zurück>

4) Vgl. ausführlicher zur biografischen Fallrekonstruktion ROSENTHAL (2008, S.216-222). Das Verfahren der biografischen Fallrekonstruktion beruht auf Anregungen u.a. durch Fritz SCHÜTZEs (1983) Narrationsanalyse, Ulrich OEVERMANNs objektive Hermeneutik (OEVERMANN, ALLERT, KONAU & KRAMBECK 1979) und die thematische Feldanalyse der Selbstpräsentationen nach Wolfram FISCHER (1982). <zurück>

5) Vgl. zum Folgenden ausführlich BECKER (2017a, Kap. 6). <zurück>

6) Wie weiter unten in diesem Abschnitt dargestellt, verwende ich den von Michael DUMPER (2002, S.14) eingeführten Begriff "erweitertes Jüdisches Viertel", da dessen definierte Fläche auch das Gebiet anderer Nachbarschaften beinhaltet, die nach der israelischen Eroberung der Altstadt 1967 als Teil des Jüdischen Viertels deklariert wurden. In der Altstadt gab es abgesehen von der Periode zwischen 1948 und 1967 in den meisten historischen Phasen eine jüdische Präsenz. Die Kritik, die in der Wahl des Begriffes enthalten ist, bezieht sich darauf, wie das Gebiet nach 1967 diskursiv und praktisch durch die Stadtverwaltung und die israelische Regierung als ethno-religiös exklusiv markiert wurde. <zurück>

7) Die jüngsten Zahlen stammen aus dem Jahr 1998: 480 muslimische und 17 christliche BewohnerInnen (DUMPER 2002, S.29; RICCA 2007, S.213, Anm. 32). <zurück>

8) Von den geräumten 700 Gebäuden waren im Jahr 1948, also bevor die jüdischen EinwohnerInnen aus der Altstadt flüchteten oder vertrieben wurden und bevor die Altstadt unter jordanische Verwaltung fiel, 105 in jüdischem und 130 in privatem palästinensischem Besitz, 354 waren als private und 111 als öffentliche muslimische Stiftungen registriert (RICCA 2007, S.50-52). <zurück>

9) Sie unterscheiden sich von vielen der ehemaligen palästinensischen Dörfer innerhalb Israels, aus denen die palästinensische Bevölkerung geflüchtet ist oder vertrieben wurde und die in den Flüchtlingslagern, durch Forschungsprojekte und durch die Arbeit diverser NGOs im kollektiven Gedächtnis gehalten werden. <zurück>

10) Im Folgenden zitiere ich vor allem aus dem ins Deutsche übersetzten Transkript der englischen Übersetzung während des Interviews. Bei relevanten Abweichungen von Hudas arabischem Interviewtext zitiere ich das ins Deutsche übersetzte arabische Transkript. <zurück>

11) Es ist unwahrscheinlich, dass Huda in diesem Alter diese symbolischen Bedeutungen erkannt hat: "The children are too young to grasp cognitively what the intifadah means […]. Their thinking is entirely concrete; they cannot yet grasp abstract concepts such as nation, occupation, land, and so on" (ROUHANA 1989, S.119). <zurück>

12) Im Rahmen dieses Artikels, in dem ich auf methodologische Perspektiven zur Analyse von Verortungen fokussiere, kommt notwendigerweise die Analyse von Genderaspekten, die sich hier anbietet, zu kurz bzw. wird weiter unten nur kurz angerissen. In Bezug auf den Nahen Osten gibt es zahlreiche Literatur zum Thema Raum und Geschlecht (siehe die Übersicht in DEEB & WINEGAR 2012, S.542-544 und insbesondere GHANNAM 2011 und JOSEPH 1997; zu Palästina z.B. JEAN-KLEIN 2003, zu Jerusalem z.B. SHALHOUB-KEVORKIAN 2012). <zurück>

13) Die Flucht und Vertreibung der PalästinenserInnen in den Jahren 1947/48. <zurück>

14) Hingegen: "Eine systematische philosophische Auseinandersetzung mit dem Ort [steht] im deutschsprachigen Raum noch am Anfang" (SCHLITTE, HÜNEFELDT, ROMIĆ & VAN LOON 2014, S.7). Eine solche Auseinandersetzung gewinnt aber vermehrt an Aufmerksamkeit (SCHLITTE & HÜNEFELDT 2017; WALDENFELS 2016 [2009]). Im deutschen Kontext einflussreich sind die phänomenologischen Arbeiten Jürgen HASSEs (z.B. 2008, 2014), die sich in Publikationen zu Raumatmosphären niederschlugen, unter anderem auch in Bezug auf Lebenswelten im Nahen Osten (ESCHER 2008); siehe aus einer soziologischen Perspektive auch DÖRFLER und ROTHFUSS (2018). <zurück>

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Zum Autor

Johannes BECKER ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Methodenzentrum Sozialwissenschaften, Georg-August-Universität Göttingen. Er koordiniert das DFG-Forschungsprojekt "Dynamische Figurationen von Flüchtlingen, Migranten und Altansässigen in Jordanien seit 1946". Forschungsschwerpunkte sind neben der sozialkonstruktivistischen Biografieforschung Raum- und Stadtsoziologie, historische Soziologie sowie Flucht und Migration mit einem geografischen Schwerpunkt im Nahen Osten.

Kontakt:

Johannes Becker

Methodenzentrum Sozialwissenschaften
Georg-August-Universität Göttingen
Goßlerstraße 19, 37073 Göttingen

E-Mail: johannes.becker@sowi.uni-goettingen.de
URL: https://www.uni-goettingen.de/de/130884.html

Zitation

Becker, Johannes (2019). Orte und Verortungen als raumsoziologische Perspektive zur
Analyse von Lebensgeschichten [70 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 20(1), Art. 12, http://dx.doi.org/10.17169/fqs-20.1.3029.

Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research (FQS)

ISSN 1438-5627

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