Volume 9, No. 1, Art. 43 – Januar 2008

Vagheiten und Visionen. Biografische Professionalisierungsprozesse bei Frauen in Leitungspositionen in der ostdeutschen Wohlfahrtspflege

Martina Schiebel

Zusammenfassung: Der Artikel handelt in theoretischer Perspektive von der Relation zwischen Biografie und Institution, basierend auf empirischen Ergebnissen einer biografischen Studie über Frauen in Führungspositionen der politischen Institution Wohlfahrtspflege. Nach dem Zusammenbruch der DDR und deren politischer Institutionenordnung wird mit der deutschen Vereinigung das bundesdeutsche Institutionensystem auf den Geltungsbereich der neuen Bundesländer ausgedehnt. Dabei kommt der freien und öffentlichen Wohlfahrtspflege bei allen Frauen die Bedeutung eines biografisch begründeten Handlungstableaus zu. Zugleich ist zum Verständnis des Handelns der Frauen als strategische Akteure des Institutionenbildungsprozesses die theoretische Perspektive von "professions in process" (STRAUSS 1991) hilfreich. Vier empirische Typen konnten herausgearbeitet werden. Jeder der vier Handlungstypen repräsentiert diejenige biografische Prozessstruktur, die durch den Institutionalisierungsprozess der öffentlichen/freien Wohlfahrtspflege unterstützt oder neu belebt wird. Langfristig gesehen kommt es jedoch lediglich in den Fällen zu einer sich wechselseitig stabilisierenden Verknüpfung von Biografie und zu institutionalisierendem Handlungsfeld, bei denen eine politische oder moralische Mission ein konstitutiver Bestandteil eines biografischen Emanzipationsprozesses ist und die Frauen infolgedessen einen professionellen Habitus ausbilden.

Keywords: Biografie, Institution, Institutionenbildung, gesellschaftlicher Umbruch, Wohlfahrtspflege, Aushandlung, Professionalisierungsprozess, rekonstruktive Sozialforschung, Biografieforschung

Inhaltsverzeichnis

1. Soziale Strukturierungen

1.1 Die biografische Studie

1.2 Institutionalisierungen und Traditionen in Sozialpolitik und Wohlfahrtswesen

1.3 Institutionentransfer und Institutionenbildung

2. Ergebnisse der Studie: Die Gestalterinnen "vor Ort"

2.1 Gemeinsamkeiten

2.2 Typologische Unterschiede

3. Biografische Professionalisierungsprozesse

Anmerkungen

Literatur

Zur Autorin

Zitation

 

1. Soziale Strukturierungen

Das permanente Wechselspiel von Kontinuität und Wandel ist konstitutiv für soziale Strukturen. Das gilt gleichermaßen für soziale Kollektive wie Familien, Milieus und Organisationen wie auch für historische Prozesse in Gesellschaften und Zeitverläufe in Interaktionen und Biografien. Mit gesamtgesellschaftlichen Einschnitten können vielfältige und tiefgreifende Umstrukturierungsprozesse einhergehen, die nicht nur die Ebenen des politischen Institutionengefüges, der Wirtschaft und Ökonomie oder des Rechtes betreffen, sondern auch Normen, Werte und Typisierungen infrage stellen können. Solche kollektiven gesellschaftlichen Krisen liegen etwa mit dem Zusammenbruch der staatssozialistischen Systeme in Osteuropa vor und treten insbesondere in der jüngeren deutschen Geschichte gehäuft auf: mit dem Ende der Weimarer Republik, dem Nationalsozialismus und dessen Ende, der Teilung Deutschlands einhergehend mit dem Aufbau von zwei deutschen Nachfolgestaaten sowie als jüngstes Beispiel dem Zusammenbruch der DDR und der deutschen Vereinigung. [1]

Einerseits kann es zu Irritationen, Orientierungsverlusten oder Krisen kommen, wenn etwa politische Identifikationen fragwürdig werden oder (berufs-) biografische Karrieren scheitern. War die Realisierung biografischer Entwürfe an die Fortexistenz eines politischen Systems geknüpft, sind Orientierungslosigkeit, Handlungsunfähigkeit, Erleidensprozesse1) oder das Auftreten einer Lebenskrise naheliegend. Andererseits wäre es falsch – und widerspräche empirischen Ergebnissen zahlreicher Studien – anzunehmen, dass solche historischen Zäsuren mit biografischen Wendepunkten oder Brüchen gleichzusetzen sind, die sich infolge dieser Gesellschaftsveränderungen quasi zwangsläufig einstellen. Ebenso unangemessen wäre es, von einer "Stunde Null" auszugehen, die beliebige Zukunftsentwürfe und (politische) Gestaltungsoptionen zulässt (vgl. exemplarisch aus der Fülle der Arbeiten ROSENTHAL 1987, 1990, 1995; SCHIEBEL 1990, 2003; ALHEIT, BAST-HAIDER & DRAUSCHKE 2004; ALHEIT 2005). Beobachtbar ist, dass gesellschaftliche Deutungsmuster, institutionalisierte Ordnungen und Regelungen, Traditionen, Orientierungen der Handelnden oder Zugehörigkeitskonstruktionen mitunter eine erstaunliche Beharrungskraft zeigen und sich über mehrere Generationen hinweg tradieren bzw. sich im Rahmen kommunikativer Prozesse im intergenerationellen Austausch interaktiv neu konstituieren können (vgl. ROSENTHAL 1997, 1999; GRIESE & SCHIEBEL 2002, 2004). Auch nach kollektiven gesellschaftlichen Brüchen – wie Kriegen oder Systemwechseln – leben die Menschen ihren Alltag mit den entsprechenden Routinen in manchen Bereichen so weiter, als ob nichts passiert sei, bzw. rekurrieren zur Bewältigung ihrer alltäglichen Aufgaben auf internalisierte Ideale, lebensgeschichtlich erworbene Wissensbestände oder religiös fundierte Problemlösungsstrategien (vgl. INOWLOCKI 1999; GRIESE & SCHIEBEL 2002; GRIESE 2006). [2]

Sowohl Biografien als auch Institutionen sind soziale Ordnungskonzepte, die zur Strukturierung beitragen und eine orientierungswirksame Funktion erfüllen. So lässt sich das soziale Konstrukt Biografie auch als "sozialweltliches Orientierungsmuster" (FISCHER & KOHLI 1987, S.26) und als Ordnungskonzept beschreiben, mit dessen Hilfe die soziale Wirklichkeit strukturiert, Erlebnisse (ein-) geordnet und Sinnwelten konstituiert werden. Vor diesem Hintergrund vollzieht sich die biografische Erfahrungsaufschichtung nicht als rein individueller Prozess, sondern eine Erfahrung stellt schon immer eine Interpretation eines Erlebnisses dar und ist zugleich Ausdruck von Internalisierung der Sozialwelt. Die deutende Ausgestaltung und Aneignung der intersubjektiv "gegebenen" sozialen Wirklichkeit und von deren Regeln vollzieht sich insofern als kontinuierliches Wechselspiel von Strukturreproduktion und -transformation (vgl. FISCHER-ROSENTHAL 1995). Aufgrund dieser Transformierbarkeit können Biografien auch als "Verarbeitungsmuster in der Zeit" und "Temporalisierung sozialer Strukturen" (vgl. ALHEIT 1997; ALHEIT & DAUSIEN 2000) begriffen werden. [3]

Diese Eigenschaft der Biografie führt dazu, dass insbesondere in Zeiten der Veränderung institutioneller Arrangements durch sozialen Wandel oder angesichts gesellschaftlicher Krisen und Umbrüche ein besonderer lebensgeschichtlicher Thematisierungsbedarf zu verzeichnen ist. Biografische Thematisierungen erfüllen damit die Funktion, die eigene Entwicklungsgeschichte zwischen Kontinuität und Wandel darstellen zu können und sie in einen konsistenten biografischen Sinnzusammenhang einzuordnen. Verbalisierte biografische Vergegenwärtigungen stellen dabei notwendigerweise Selektionen dar, um die Funktionen des Selbst- und Fremdverstehens (vgl. KOHLI 1981) sowie deren orientierungswirksame Leistung überhaupt erfüllen zu können. Daher ist die Auswahl der Geschichten, Erlebnisse, Situationen und deren thematische Verknüpfung, die in der erzählten Lebensgeschichte präsentiert werden, weder beliebig oder willkürlich noch zufällig, sondern biografische Selbstpräsentationen weisen eine spezifische Strukturiertheit, eine Gestalt (vgl. ROSENTHAL 1995) auf. [4]

Institutionen dienen insgesamt als "Ordnungsarrangements" zur Stabilisierung von Handlungsorientierungen und -erwartungen und sind "Vermittlungsinstanzen kultureller Sinnproduktion, durch welche Wertungs- und Normierungs-Stilisierungen verbindlich gemacht werden" (REHBERG 1994, S.57, Hervorhebung i. Orig.). Bei der Betrachtung von Institutionen und der Frage ihrer gesellschaftlichen Reichweite ist es jedoch sinnvoll, begrifflich zwischen politischen und sozialen Institutionen zu differenzieren. Politische Institutionen lassen sich als Sonderfall sozialer Institutionen begreifen, sie stehen in einem Subsumtionsverhältnis (vgl. GÖHLER 1994, S.25f.). Bei politischen Institutionen (wie der Verfassung, dem Bundestag oder dem Parlament) ist insbesondere der Grad der rechtlichen Normierung und der gesamtgesellschaftliche Verpflichtungscharakter stärker ausgeprägt als bei sozialen Institutionen. Insofern lassen sich politische Institutionen als "Regelsysteme der Herstellung und Durchführung verbindlicher, gesamtgesellschaftlich relevanter Entscheidungen" (GÖHLER 1994, S.22) bezeichnen, die politisch um- und durchgesetzt werden. Soziale Institutionen (wie die Familie, das Grüßen, Freundschaft oder auch Biografie und Geschlecht) üben zwar ebenfalls eine Ordnungsfunktion aus, da sie Handlungsverläufe und entsprechende Erwartungen strukturieren, doch basiert ihre Dauer und Akzeptanz auf der Internalisierung der ihnen inhärenten Sinngehalte und nicht auf einem gesetzlich geregelten Durchsetzungs- und Sanktionspotenzial. [5]

Auch wenn Institutionen soziale Konstruktionen sind, so erscheinen sie doch als etwas Äußeres, sie stehen den Menschen mitunter als "zwingendes Faktum gegenüber" (BERGER & LUCKMANN 1986, S.62). Oftmals wirken gesellschaftliche Institutionen als etwas dem eigenen unmittelbaren Handeln nicht direkt Zugängliches, als Unveränderliches, da sie neben der Historizität – Institutionen entstehen nicht plötzlich – eine Art "objektiver Faktizität" reklamieren, wie Peter L. BERGER und Thomas LUCKMANN (1986) weiterhin feststellen, und damit als Selbstverständlichkeiten oder sogar als etwas Natürliches gelten. Dennoch sind auch Institutionen als soziale Konstrukte nicht "ohne den historischen Prozess, der sie hervorgebracht hat" zu begreifen (BERGER & LUCKMANN 1986, S.58), und sind damit an das Handeln von Menschen gebunden. [6]

Institutionalisierungen bedürfen im Prozess der "sozialen Praxis" (GIDDENS 1992) fortwährender (Wieder-) Herstellung ihres Sinns. "Das Fortwirken einer Institution gründet sich auf ihre gesellschaftliche Anerkennung als permanente Lösung eines permanenten Problems" (BERGER & LUCKMANN 1986, S.74). Die gesellschaftliche Integration von Institutionen ist demnach nicht auf ihre Logik oder äußere Funktionalität zurückzuführen, sondern basiert auf dem intersubjektiv geteilten Wissen über die Sinngehalte und Funktionen der betreffenden institutionellen Ordnung (vgl. BERGER & LUCKMANN 1986, S.69f.). Obwohl einmal entstandene Institutionen zur Dauerhaftigkeit neigen, sind sie nicht starr oder unwandelbar. Zur Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung sind – neben der Internalisierung ihrer Sinngehalte – einerseits Kontrollmechanismen notwendig, da die Möglichkeit der Abweichung von institutionell erwünschten Handlungsabläufen besteht. Andererseits bedarf es gleichzeitig der kontinuierlichen Aushandlung über die soziale Ordnung, weswegen sie auch als "negotiated order" (STRAUSS 1978, S.5f.) bezeichnet werden kann. [7]

Biografisch und sozial konstituierte Ordnungsarrangements bedürfen somit der kontinuierlichen Reproduktion und Aushandlung ihrer Strukturmomente. Darin liegt zugleich ein Veränderungspotenzial von gesellschaftlichen Institutionalisierungen begründet. Diese Strukturierungen wirken sich wiederum gestaltbildend auf Biografien aus. [8]

Diese theoretischen Überlegungen bildeten den Hintergrund für eine Studie über ostdeutsche Frauen in Führungspositionen der kommunalen Wohlfahrtspflege, die nach der deutschen Vereinigung den Institutionenbildungsprozess "vor Ort" strukturierten und organisierten. [9]

1.1 Die biografische Studie

Nach dem Zusammenbruch der DDR waren radikale Veränderungen der Alltagswelt und der institutionellen Strukturierungen "an der Tagesordnung". Mit dem Beitritt der DDR zum Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland wurde das etablierte und "eingelebte" Institutionensystem der DDR fast über Nacht aufgelöst und die von der Bundesregierung und anderen westdeutschen Akteuren als "bewährt" erachtete Institutionenordnung – einschließlich der entsprechenden gesetzlichen Rahmenbedingungen – auf die neuen Bundesländer ausgedehnt. Von diesen tiefgreifenden gesellschaftlichen und politischen Veränderungen waren ab 1990 alle Bürger und Bürgerinnen der DDR gleichermaßen betroffen, unabhängig davon, wie sie diese Umstrukturierungen erlebten oder bewerteten. [10]

An dieser Stelle setzte die biografische Studie an. Untersucht wurden Frauen, die seit der deutschen Vereinigung in leitenden Positionen des sich bildenden bzw. umgestaltenden kommunalen Sozialbereichs der neuen Bundesländer tätig waren. Als Wohlfahrtsverbandsgeschäftsführerinnen oder Vorstandsvorsitzende, als Sozial- und Jugendamtsleiterinnen sowie als informelle Sprecherinnen von selbstorganisierten Initiativen und Vereinen repräsentierten sie nicht nur ihre jeweilige Organisation, sondern auch die politische Institution der Wohlfahrtspflege. Im Zentrum der biografischen Untersuchung standen die forschungsleitenden Fragen, ob und inwiefern sich diese berufliche Tätigkeit auf die Biografien der Frauen in Führungspositionen auswirkte und inwiefern ihre lebensgeschichtlich fundierten Handlungsdispositionen den Institutionenbildungsprozess geprägt haben.2) [11]

Bevor die Handlungsbedingungen, mit denen die Frauen als strategische Akteure des Institutionenbildungsprozesses vor Ort konfrontiert waren, beschrieben werden (Abschnitt 1.2 und 1.3), wird nachfolgend zunächst die methodische Anlage der Studie skizziert. [12]

Die biografische Studie über Frauen in der kommunalen Wohlfahrtspflege der neuen Bundesländer basiert auf einem vorangegangenen Forschungsprojekt, das zwei Untersuchungsphasen umfasste (vgl. ANGERHAUSEN et al. 1998)3). In der ersten zweijährigen Untersuchungsphase (1992 – 1994) analysierten wir im Projektteam einerseits die Konstitutionsbedingungen und -verläufe, Leistungsbeiträge und Funktionsweisen von intermediären Organisationen im Sozialbereich, d.h. von Wohlfahrtsverbänden und selbstorganisierten Initiativen, sowie andererseits den Umstrukturierungsprozess der Sozialverwaltungen. Diese Untersuchungsphase wurde mittels leitfadengestützter Experteninterviews und einer schriftlichen standardisierten Befragung auf Kommunal- und Landesebene in zwei ausgewählten Bundesländern in insgesamt vier Untersuchungsregionen durchgeführt. Der in diesem Forschungsprojekt von mir entwickelte Leitfaden, in den auch narrative Frageformulierungen integriert waren, erwies sich als dem Gegenstandsbereich des Aufbauprozesses von Organisationen und Sozialverwaltungen besonders angemessen und kam dem ausgeprägten Diskussions-, Erklärungs- und Erzählbedürfnis der Befragten entgegen.4) Diese Experteninterviews habe ich zum Teil als Ergänzung zu den später geführten narrativ-biografischen Interviews mit herangezogen. Die zweite Projektphase (1994 – 1996) hatte das Ziel zu untersuchen, über welche ordnungs- und sozialpolitischen Konzepte, Gerechtigkeitsvorstellungen, beruflichen Orientierungen und organisationsbezogenen Handlungsdispostionen die Personen verfügen, die an den strategisch wichtigen "Weichenstellungen" des Auf- und Umbauprozesses der Wohlfahrtsverbände beteiligt waren. Dabei waren auch die lebensgeschichtlichen Erlebnisse und Erfahrungen von Interesse. So wurden – basierend auf den Analyseergebnissen der ersten Untersuchungsphase – mit 45 Geschäftsführer/inne/n von Wohlfahrtsverbänden auf Landes- und Kommunalebene narrative Interviews (vgl. SCHÜTZE 1976, 1977, 1983) geführt. [13]

In diesem Zusammenhang führte ich die narrativ-biografischen Interviews mit kommunalen Verbandsvertreterinnen sowie – projektunabhängig – ebenfalls in diesem Zeitraum auch mit Amtsleiterinnen aus kommunalen Sozial- und Jugendämtern, einer Sozialdezernentin sowie mit Sprecherinnen von selbstorganisierten Vereinen und Initiativen. Das Gesamtsample der biografischen Studie umfasst insgesamt siebzehn von mir geführte narrativ-biografische Interviews mit Frauen aus der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege. Einbezogen wurden zwei Großstädte und zwei ländlich-kleinstädtische Regionen in zwei der neuen Bundesländer. Allerdings war es in einer der beiden Großstädte aufgrund einer ablehnenden Entscheidung der örtlichen Liga der Wohlfahrtsverbände gegenüber dem biografischen Ansatz der Studie nicht möglich, Verbandsvertreterinnen der kommunalen Verbände zu interviewen. Die bestehenden Interviewzusagen der einzelnen Frauen wurden nach dieser Ligaentscheidung wieder zurückgenommen mit der Begründung, an diese Entscheidung des Gremiums gebunden zu sein. Somit konnten in dieser Stadt lediglich Frauen aus selbstorganisierten Vereinen und aus Sozialverwaltungen interviewt werden. Außerdem erklärte sich eine Geschäftsführerin der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland zu einem Interview bereit, da diese Geschäftsstelle im Vergleich zu den anderen Wohlfahrtsverbänden über eine andere organisatorische Struktur verfügt: So ist sie neben kommunalen Aufgaben in der Stadt auch für das gesamte Bundesland zuständig und unterliegt nicht der kommunalen Ligaentscheidung. Ansonsten wurde das biografisch angelegte Forschungsvorhaben jedoch positiv aufgenommen. Einige Frauen kannte ich bereits aus der ersten Projektphase, bei anderen stellte das narrativ-biografische Interview den Erstkontakt dar.5) [14]

Alle in dieser Studie untersuchten Frauen sind in Ostdeutschland aufgewachsen. Zwar erlebten die zwei ältesten von ihnen (Jahrgang 1943 und 1944) noch als Kinder die unmittelbaren Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges mit, doch absolvierten auch sie Schulzeit und Berufsausbildung in der DDR, wie auch die drei Ende der 1940er Jahre Geborenen und der Großteil der Frauen des Samples, die in den 1950er Jahren geboren wurden (Anzahl: neun). Das trifft ebenfalls auf die jüngste Befragte des Samples (Jahrgang 1964) zu. Das Spektrum ihrer Berufsqualifikationen ist vielfältig und reicht von Theologie und Psychologie über Krankenpflege bis hin zum Ingenieurwesen. Viele haben einen Hochschulabschluss erworben. Entsprechend ihrer verschiedenen beruflichen Qualifikationen waren sie in der DDR in unterschiedlichen Berufsfeldern wie der Industrie, im staatlichen Gesundheits- und Sozialwesen oder in kirchlichen Einrichtungen tätig.6) [15]

Das Vorgehen bei Erhebung und Auswertung lehnte sich weitgehend an das für die "Grounded Theory" (GLASER & STRAUSS 1967) beschriebene, prozesshafte Verfahren der Datenerhebung und -auswertung an. Die Experteninterviews der ersten Projektphase dienten zur Entwicklung einer Samplingstrategie für die biografische Studie: Die durchgeführten siebzehn narrativ-biografischen Interviews mit Frauen in Führungspositionen der Wohlfahrtspflege bildeten eine erste theoretische Stichprobe, aus der sukzessive im Auswertungsprozess die zur weiteren Auswertung vorgesehenen Fälle ausgewählt wurden (zweite Stichprobe). Für insgesamt acht Einzelfälle führte ich eine hermeneutische Fallrekonstruktion durch (vgl. zum methodischen Ansatz ROSENTHAL 1995 sowie zum konkreten Vorgehen in der Studie SCHIEBEL 2003). Mit vier Frauen, die jeweils als Ankerfall einen Typus repräsentieren, führte ich im Verlauf der Fallrekonstruktion ein weiteres biografisches Interview, sodass bei diesen Fällen jeweils drei Interviews – ein leitfadengestütztes Experteninterview sowie zwei narrativ-biografische Interviews – als Materialgrundlage für die Fallrekonstruktion dienten. Die anderen Fälle wurden auf der Grundlage von Forschungsmemos, biografischen Daten und zum Teil der Transkripte globalanalytisch ausgewertet und dienten somit nicht nur zur ersten Typisierung des Fallmaterials, sondern auch zum Fallvergleich. Somit wurden alle Fälle des Samples in den kontrastiven Vergleich einbezogen. [16]

In diesem Prozess konnte ich vier Typen generieren. Dabei handelt es sich nicht um eine deskriptive Typologie, die entlang von Merkmalsausprägungen oder sozialstrukturellen Faktoren gebildet wurde, sondern um genetische Typen, die über die Konstitutionsmomente der Biografien bestimmt sind. Durch die Rekonstruktion der Lebenskonstruktion wurde das Typische eines Falles aufgedeckt. "Die Besonderheit wird so konkret sichtbar als die Erzeugung durch das Allgemeine und als Konstruktion eines Entwurfs mit allgemeinem Geltungsanspruch zugleich" (OEVERMANN 1983, S.274). Dieses Verständnis sozialer Typik geht auf Kurt LEWIN (1930/31) zurück, der basierend auf einer "galiläischen Begriffsbildung" eine konditional genetische Erklärung der Zusammenhänge sowie eine strenge Gesetzlichkeit bei der empirischen Forschung forderte (vgl. SCHWERMER 1966). Das heißt, während eine Ausnahme "die Regel" widerlegen kann, kann umgekehrt ein Fall ein Gesetz beweisen (vgl. LEWIN 1930/31, S.448; SCHWERMER 1966, S.76). Die rekonstruierten fallspezifischen Selektionen beziehen sich auf ein allgemeingültiges Regelsystem, welches jedes Mitglied einer Lebenswelt qua Sozialisation internalisiert. Jedes biografische Gesamtkonstrukt enthält folglich gesellschaftliche Dimensionierungen. So gewonnene Gesetzmäßigkeiten und typische biografische Muster lassen sich theoretisch verallgemeinern. [17]

Bevor die in der Studie entwickelte Typologie im zweiten Abschnitt dieses Beitrags vorgestellt wird, soll zunächst ein Blick auf die Handlungsbedingungen der ostdeutschen Frauen im Institutionalisierungsprozess der Wohlfahrtspflege geworfen werden. Daher werden erst die Charakteristika und Entstehungsbedingungen der politischen Institution Wohlfahrtspflege vorgestellt und mit den institutionalisierten Strukturen sozialer Versorgung in der SBZ/DDR verglichen (Abschnitt 1.2). Im Anschluss daran werden die Bedingungen des Institutionenbildungsprozesses in den neuen Bundesländern erläutert (Abschnitt 1.3). Im zweiten Abschnitt stehen die Ergebnisse der empirischen Untersuchung im Vordergrund und werden abschließend im Zusammenhang von Professionalisierungsprozessen (Abschnitt 3) diskutiert. [18]

1.2 Institutionalisierungen und Traditionen in Sozialpolitik und Wohlfahrtswesen

Wer in der Bundesrepublik Deutschland einen Kranken- oder Rettungswagen ruft, wird sich nicht wundern, wenn das Deutsche Rote Kreuz, der Arbeiter-Samariter-Bund oder auch die Johanniter Unfallhilfe ein entsprechendes Fahrzeug schickt. Die alleinstehende Rentnerin und gläubige Christin, die mit dem Gedanken spielt, in ein Alten- und Pflegeheim zu ziehen, weiß um die verschiedenen Träger Bescheid und wird bei ihrer Auswahl wahrscheinlich eine konfessionell geführte Einrichtung (der Diakonie oder Caritas) bevorzugen. Ebenso ergeht es dem seit kurzem arbeitslosen Mann, der nun mit seinen durch einen Hauskauf entstandenen Schulden nicht mehr umgehen kann und eine entsprechende professionelle Beratung aufsucht: Er wendet sich mit seinem Anliegen beispielsweise an die Schuldnerberatung der Arbeiterwohlfahrt. Das kinderlose Paar, das überlegt, entweder ein Kind zu adoptieren oder ein Pflegekind in seinem Haushalt aufzunehmen, wird sich mit dem diesbezüglichen Beratungswunsch an die zuständige Sozialberatung des kommunalen Jugendamtes wenden. Schließlich ist es für die junge Familie, die für ihr Kind einen Betreuungsplatz sucht, naheliegend, sich der kürzlich in ihrem Wohnviertel neugegründeten Eltern-Kind-Initiative anzuschließen, da sie im Rahmen dieses selbstorganisierten Vereins ihre Erziehungsvorstellungen am besten einbringen und verwirklichen können. Diese – zugegebenermaßen etwas plakativen – Beispiele mögen genügen, um zu verdeutlichen, wie selbstverständlich ein plurales Angebot sozialer Dienste und Einrichtungen für jede/n Bundesbürger/in ist. Trifft diese Aussage mittlerweile für die gesamte Bundesrepublik zu, so galt sie 1989/90 noch vor allem für die Bevölkerung Westdeutschlands, denn die Struktur sozialer Versorgung hatte nach dem Zweiten Weltkrieg in der SBZ/DDR eine andere Entwicklung genommen. Diese Unterschiede werden im Folgenden knapp erläutert. [19]

Nach 1945 gelang es den Wohlfahrtsverbänden in Westdeutschland, wieder an ihre durch den Nationalsozialismus unterbrochenen Traditionen anzuknüpfen,7) den Status quo der Weimarer Zeit wiederherzustellen und ihre Stellung als Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege zu festigen. Dieser Kreis der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege hat sich seit der Weimarer Republik nicht geändert. Dem 1922 gegründeten Zusammenschluss der "Deutschen Liga der Freien Wohlfahrtspflege" gehörten schon die Verbände an, die gegenwärtig in der "Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege" organisiert sind und mittels Satzung einstimmig darüber entscheiden, wer in diesen Kreis aufgenommen wird. [20]

Als in den 1960er Jahren der bundesrepublikanische Sozialstaat ausgebaut wurde, expandierten die Wohlfahrtsverbände als Anbieter sozialer Dienste.8) Um als Leistungsträger und Kooperationspartner öffentlicher Sozialverwaltungen arbeiten zu können, veränderten sich die organisatorischen Strukturen der Wohlfahrtsverbände: sie bildeten Verwaltungsstrukturen heraus, um sozialrechtlichen und bürokratischen Anforderungen Rechnung zu tragen, und stellten in ihren Diensten und Einrichtungen hauptamtliches Personal ein. Diese Entwicklung brachte ihnen in den 1970er Jahren grundlegende Kritik der Wohlfahrtsverbändeforschung ein, die sie als bürokratische, unflexible, undemokratische und "herrschaftsaffirmative" Großorganisationen bezeichneten (vgl. BAUER 1978; BAUER & DIEßENBACHER 1984; THRÄNHARDT 1984). Die in jener Zeit entstehenden und sich als Gegenmodelle verstehenden selbstorganisierten Projekte und Initiativen sowie die in den 1980ern hinzukommenden Selbsthilfegruppen, die alternative fachliche Konzepte und basisdemokratische Organisationsstrukturen aufbauten, wurden als Mitgliedsorganisationen in den Paritätischen Wohlfahrtsverband aufgenommen, womit zugleich die Gründung eines neuen und siebten Spitzenverbandes der Freien Wohlfahrtspflege aus dem alternativen Milieu heraus verhindert wurde (vgl. OPIELKA & OSTNER 1987; MERCHEL 1989). [21]

Allerdings greift es zu kurz, diese Organisationen im Wohlfahrtswesen auf ihre Funktion als Anbieter sozialer Leistungen und Dienste zu reduzieren. So sind Wohlfahrtsverbände ihrem Selbstverständnis nach vor allem auch advokatorische Interessenvertreter von benachteiligten Bevölkerungsgruppen, die ihrer Ansicht nach kaum Berücksichtigung im System der Interessenvertretung finden (vgl. von WINTER 1997). So vertreten sie sozialanwaltschaftlich die Interessen ihrer (potenziellen) Klientel und die verbandspolitischen Interessen ihrer Mitgliedsorganisationen, Dienste und Einrichtungen. Darüber hinaus sind Wohlfahrtsverbände auch Weltanschauungsverbände, die bestimmten weltanschaulichen bzw. wertbezogenen Vorstellungen, Traditionen und Sozialmilieus verpflichtet sind, die etwa in den sozialen Leistungen, der Auswahl von und im Umgang mit Klient/inn/engruppen sowie in Fachlichkeits- und Qualitätsvorstellungen zum Ausdruck kommen sollen. In diesem Sinne sind sie auch an der Politikformulierung und dem sozialpolitischen Gesetzgebungsprozess beteiligt. Schließlich erfüllen Wohlfahrtsverbände eine assoziative Funktion und bieten als lokale Vereine Möglichkeiten für freiwilliges soziales Engagement, Geselligkeit, selbstbestimmtes Handeln und Kommunikation.9) [22]

Zusammengefasst lässt sich die politische Institution der Wohlfahrtspflege als institutionalisierte Kooperations- und Austauschbeziehung zwischen öffentlichen und freien Trägern bezeichnen. Freigemeinnützige Träger, zu denen traditionsreiche Wohlfahrtsverbände und seit den 1970er Jahren selbstorganisierte Initiativen zählen, gehören ebenso zu den Leistungsanbietern wie die öffentliche Hand. Im Zeitverlauf seit dem vorletzten Jahrhundert haben freigemeinnützige und öffentliche Träger untereinander eine geregelte Aufgabenteilung und Zuständigkeitsabgrenzung etabliert, wonach die freie Wohlfahrtspflege den größten Teil an sozialen Diensten und Einrichtungen erbringt, während staatliche Instanzen öffentliche Pflichtangebote bereitstellen und bestimmte Hoheitsaufgaben übernehmen, jedoch in erster Linie festlegen und regeln, welche Aufgaben in welchem Umfang und zu welchem Preis erbracht werden sollen. Freie Träger sind an diese gesetzlichen und politisch-administrativen Rahmenbedingungen gebunden, in der konkreten Ausgestaltung ihrer Angebotsstruktur jedoch autonom und können sich an ihren eigenen weltanschaulichen Prinzipien und Wertvorstellungen orientieren. [23]

Im Unterschied dazu gab es in der SBZ/DDR mit Ausnahme der Kirchen, die in begrenztem Umfang soziale Dienste anboten, keine staatsunabhängigen Verbände oder Vereine, die für die Versorgung der Bevölkerung mit sozialen Leistungen zuständig gewesen wären. Sozialleistungen wurden in erster Linie von örtlichen Staatsorganen als staatlichen Vollzugsinstanzen garantiert und von Betrieben und quasi-staatlichen Massenorganisationen der DDR erbracht – dazu zählte sowohl das auf das Rettungswesen fokussierte Deutsche Rote Kreuz (DRK) der DDR als auch die in der Jugendhilfe engagierte Freie Deutsche Jugend (FDJ) sowie die in der ambulanten Altenhilfe tätige Volkssolidarität (VS). Über die Grundsätze der Sozialpolitik der DDR entschied die Führungsspitze der SED, wobei sozialistische Sozialpolitik vom Anspruch her weder Wohlfahrts- noch Fürsorgepolitik sein sollte, da jene nur als notwendig erachtet wurde, um soziale Notlagen kapitalistischer Gesellschaften zu kompensieren (vgl. RUß 1979), die mit der "Überwindung des Kapitalismus" als ebenfalls überwunden galten. Vielmehr dienten sozialpolitische Maßnahmen der "Neugestaltung der sozialen Verhältnisse unter entscheidender Mitwirkung des arbeitenden Menschen und seiner Organisationen" (THALMANN 1948, zit. nach RUß 1979, S.8), sodass Sozialpolitik in diesem Sinne mit Gesellschaftspolitik gleichgesetzt werden kann, denn sie "meinte zuletzt die Gesamtheit der Gestaltung der sozialen Lebensverhältnisse" (HOCKERTS 1994, S.520). [24]

Der Staatsapparat der DDR zeichnete sich durch eine Gleichsetzung von gesellschaftlichen und staatlichen Interessen, eine Zentralisierung von Entscheidungen und eine politische Steuerung durch die SED aus. Bündnis- und Massenorganisationen hatten nicht in erster Linie die Funktion, die Interessen gesellschaftlicher Gruppen gegenüber dem Staat zu artikulieren, sondern staatliche bzw. parteipolitische Entscheidungen in der Gesellschaft durchzusetzen (vgl. ANGERHAUSEN et al. 1998, S.41ff.). Die Organisationen waren verpflichtet, den verfassungsrechtlich garantierten Führungsanspruch der SED anzuerkennen. Die Mitgliedschaft und Mitarbeit in Massenorganisationen und Parteien sowie die Bereitschaft, "gesellschaftlich nützliche Tätigkeiten" zu leisten, wirkten sich zumeist positiv auf Zugangschancen zu Reise- und Konsummöglichkeiten, Teilnahme an beruflichen Aus- und Weiterbildungsangeboten bzw. allgemein auf sozialen Aufstieg aus (vgl. ZIMMERMANN 1988, S.265). [25]

Bis in die 1980er Jahre konnte die SED ihren Führungsanspruch öffentlich weitgehend durchsetzen, ihr Organisations- und Politikmonopol behaupten und die Entstehung einer Opposition oder von Formen der Selbstorganisation verhindern, sieht man einmal von Aktivitäten in privaten Räumen (vgl. MIETHE 2000) oder unter dem Dach der Kirchen10) sowie von einzelnen öffentlichen Protesten ab – etwa beim Arbeiteraufstand 1953 oder im Jahr 1975, als DDR-Bürger/innen aufgrund der Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte von Helsinki durch die DDR-Regierung die Gewährleistung der Menschenrechte und des Rechts auf Freizügigkeit in der DDR forderten (vgl. POLLACK 1990; LEPSIUS 1994). [26]

Zwar unterlagen die Kirchen in der DDR keiner direkten staatlichen Kontrolle (vgl. LEPSIUS 1994; NEUBERT 1994) und ihr Bestand und ihre Eigenständigkeit waren verfassungsmäßig garantiert, doch wurden sie dennoch aus wichtigen gesellschaftlichen Bereichen ausgegrenzt und verloren somit immer mehr an sozialer Bedeutung und politischem Einfluss (vgl. HENKYS 1988; NEUBERT 1994), sodass sie auf "dauernde politische und kirchenpolitische Gespräche und Verhandlungen angewiesen" waren (NEUBERT 1994, S.359).11) In der Kranken-, Alten- und Behindertenhilfe wurden ihnen jedoch staatlicherseits begrenzte Betätigungsmöglichkeiten eingeräumt (vgl. LEMKE 1991) und es wurde ihnen erlaubt, Religionsunterricht durchzuführen. Die evangelische und katholische Kirche und ihre Sozialorganisationen waren somit die einzigen Träger sozialer Arbeit in der DDR, die nicht der Lenkung und Kontrolle durch das staatliche Sozialwesen unterlagen (vgl. KOLTZENBURG 1991; MÜLLER 2006, S.23-116). Ihre Einrichtungen hatten unterschiedliche Rechtsformen, wie etwa Stiftungen und Vereine, oder waren unselbstständige Teile der Kirche. In jedem Fall war jedoch eine enge Kooperation und Unterstützung durch die Kirche gegeben. In begrenztem Umfang konnten die Kirchen auch eigenes Fachpersonal ausbilden.12) [27]

Aus kulturellen und politischen Abgrenzungsbestrebungen gegenüber dem Staat entstanden in der DDR in den 1980er Jahren zahlreiche Gruppierungen, die sich in jugendspezifische, sozialethische und gesundheitsbezogene Gruppen untergliedern lassen. Die jugendspezifischen Gruppierungen protestierten vor allem durch Symbole und Kleidungsstile gegen das herrschende Jugendideal (vgl. OTTO & WENZKE 1992). Verschiedene sozialethische Gruppen, die sich vornehmlich in Großstädten sowie unter Bezug auf bildungsbürgerlich-protestantische Milieutraditionen (vgl. VESTER 1995; RINK 1995) konstituierten, griffen politische Themen von militärischer Aufrüstung über Umweltzerstörung bis hin zu gesellschaftlichen Marginalisierungsprozessen auf und waren insofern mit den neuen sozialen Bewegungen der Bundesrepublik vergleichbar (vgl. WIELGOHS & SCHULZ 1993; KNABE 1988). Allein die gesundheitsbezogenen Selbsthilfegruppen gewannen staatlicherseits rasch an politischer Akzeptanz und wurden als sinnvolle Ergänzung des DDR-Gesundheitswesens angesehen. Die anderen Formen der Selbstorganisation stießen an enge Grenzen und konnten sich bis 1989 nur im Umfeld der evangelischen Kirche relativ frei von Repressionen entwickeln (vgl. POLLACK 1990). [28]

Vor dem Hintergrund dieser sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen und zivilgesellschaftlichen Ausgangslagen für Selbstorganisation, Interessenvertretung, Organisationsbildung und Institutionalisierungen im Bereich der Sozialleistungen haben sich in beiden deutschen Staaten nach 1945 divergierende Strukturen, Traditionen und Wertvorstellungen und Wissensbestände herausgebildet, von denen die Menschen jeweils nicht unbeeinflusst geblieben sein dürften. [29]

1.3 Institutionentransfer und Institutionenbildung

Mit dem Zusammenbruch der DDR und der deutschen Vereinigung wurde die politische Institutionenordnung der Bundesrepublik Deutschland auf die neuen Bundesländer übertragen; ein Prozess, für den sich der Begriff des "Institutionentransfers" (vgl. LEHMBRUCH 1993) etabliert hat. Ziel der damaligen politischen Akteure war es, die als bewährt erachtete westdeutsche politische Institutionenordnung auf Ostdeutschland zu übertragen, wobei nicht die Institutionen als Ganzes transferiert werden konnten, sondern die entsprechenden gesetzlichen Rahmenbedingungen und Richtlinien, die – unterstützt durch Förderprogramme, Anschubfinanzierungen und vielfach auch durch Entsendung von Personal – den Aufbau der Institutionenordnung in den neuen Ländern leisten sollten. Der politischen Entscheidung zur Übertragung der Institutionen folgte notwendigerweise eine Institutionenbildung vor Ort auf Ebene der Länder und Kommunen. [30]

Das betrifft auch die politische Institution der Wohlfahrtspflege, deren kommunaler Auf- bzw. Umbauprozess zumeist von ostdeutschen Akteuren bewerkstelligt wurde (vgl. ANGERHAUSEN et al. 1995, 1998; SCHIEBEL 1997, 2003; MÜLLER 2006, S. 117-160). Für die Wohlfahrtspflege bedeutete das, dass die sozialen Dienste der ehemaligen DDR mittels gesetzlicher Verfügungen und Richtlinien (wie z.B. dem Bundessozialhilfegesetz oder dem Kinder- und Jugendhilfegesetz), die mit einer Übergangsfrist in Kraft traten, und mittels verschiedener Förderprogramme nach dem bundesdeutschen Muster und den institutionellen wohlfahrtspflegerischen Ordnungsprinzipien umstrukturiert werden mussten. Zwar sind alle Wohlfahrtsverbände, selbstorganisierten Vereine und auch staatlichen Stellen der institutionellen Leitidee (vgl. LEPSIUS 1995) der freien und öffentlichen Wohlfahrtspflege verpflichtet, die in der Linderung sozialer Notlagen durch Bereitstellung entsprechender sowohl stationärer als auch ambulanter Angebote und Dienstleistungen gesehen werden kann. Wie diese jedoch im einzelnen strukturiert sind, d.h., ob beispielsweise ein Schwerpunkt eher im Beratungsangebot oder bei dem Betrieb großer stationärer Einrichtungen wie Altenpflegeheime und Krankenhäuser gesetzt wird, für welche Zielgruppe sich ein Träger besonders einsetzen möchte und auf welchen normativen oder weltanschaulichen Kriterien das Angebot basiert, all das sind Fragen, die im Verantwortungsbereich einer jeden Organisation stehen. Die jeweiligen Organisationsformen sind als "Träger von institutionalisierten Leitideen" (LEPSIUS 1995, S.399) zu verstehen, durch die die politische Institution der öffentlichen/freien Wohlfahrtspflege repräsentiert wird und ihre Handlungsfähigkeit erhält. [31]

Die Besonderheit dieses wohlfahrtsstaatlichen Institutionengefüges besteht also darin, dass es einerseits auf gesetzlichen Rahmenbedingungen basiert, andererseits jedoch einen deutungsoffenen und -bedürftigen Horizont aufweist. Das bedeutet, dass die Handelnden in ihren alltäglichen Entscheidungen Situationen ausdeuten müssen und Gestaltungsspielräume wahrnehmen können, wobei sie auf lebensgeschichtlich erworbene Wissensbestände und biografische Ressourcen zurückgreifen (vgl. SCHIEBEL 1997). [32]

Im Folgenden werden nunmehr die Ergebnisse der biografieanalytischen Studie zu Frauen in Führungspositionen der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege näher dargestellt. Die Frauen können auch als Repräsentantinnen der neuen sozialen Ordnung im Sozialbereich bezeichnet werden: Sie sind seit der deutschen Vereinigung – mit dem Aufbau von Sozialverwaltungen, Wohlfahrtsverbänden und selbstorganisierten Initiativen – als Amtsleiterinnen, Sozialplanerinnen oder Dezernentinnen bzw. als Geschäftsführerinnen und Vorstandsvorsitzende beschäftigt. Damit verwalten und organisieren sie gesellschaftliche Werte (soziale Versorgung, Gesundheit, Wohlfahrt), weswegen ihnen ein "gesellschaftliches Mandat" – im Sinne Everett HUGHES (vgl. COSER 1994) – zur Ausübung ihrer Tätigkeit zukommt. [33]

Obwohl den Verbandsgeschäftsführerinnen bei der Gestaltung eines spezifischen normativen Profils, das in dem sozialen Leistungsangebot ihres Kreisverbandes zum Ausdruck kommen soll – etwa eines katholischen Kinderheims –, weitgehender Handlungsspielraum eingeräumt wird, sind sie zugleich den organisatorischen Traditionen und weltanschaulichen Vorstellungen des übergeordneten Gesamtverbandes verpflichtet. Auch die im Bereich der öffentlichen Wohlfahrtspflege agierenden Frauen in Führungspositionen müssen sich am Wertmaßstab des Gemeinwohls orientieren, wenn sie etwa über die Vergabe von Fördermitteln an eine kleine selbstorganisierte Eltern-Kind-Initiative, die Übertragung eines Altenheims an einen frei-gemeinnützigen Träger oder auch den Aufbau einer kommunalen Schuldnerberatungsstelle entscheiden, um nur einige Beispiele zu nennen. Hinzu kommt, dass sie Entscheidungen unter Handlungsdruck zu treffen haben, denn ein soziales Dienstleistungsangebot muss schnell aufgebaut werden, damit die Versorgung der Bevölkerung nicht zusammenbricht. Die Fragen, nach welchen Kriterien etwa Alten- oder Kinderheime an freie Träger übertragen werden sollen, welcher Verband und welche Initiative finanziell gefördert werden soll und welche Angebote in öffentlicher Trägerschaft verbleiben sollen, beschäftigt die in der Sozialadministration tätigen Frauen. Aus einer verbandlichen bzw. vereinsbezogenen Perspektive stellen sich Fragen, welche Einrichtung übernommen werden soll, das heißt auch, ob sich die Übernahme an normativen bzw. weltanschaulichen Gesichtspunkten orientiert oder an ökonomischen Erwägungen. Die Anforderungen reichen von Überlegungen der leistungsbezogenen Angebotsstruktur und der Qualifikation des Fachpersonals in den Einrichtungen über Fragen der Formulierung von Förderanträgen und der Profilbildung des eigenen Verbandes bis hin zur Einbindung ehrenamtlichen Engagements und der Mitgestaltung der kommunalen Sozialpolitik. [34]

Die Frauen sind auf der einen Seite als zentrale Akteurinnen der kommunalen Sozialverwaltungen oder Wohlfahrtsverbände zu bezeichnen, die einen Prozess der Institutionalisierung wohlfahrtsstaatlicher Ordnungsvorstellungen in den neuen Bundesländern vollziehen. Auf der anderen Seite befinden sie sich als Führungskräfte in einem Professionalisierungsprozess, bei dem organisationsspezifische Institutionalisierungen, Vorstellungen von übergeordneten Verbandsgliederungen oder von angegliederten Institutionen – etwa der Kirchen –, gesetzliche Rahmenbedingungen, politisch-administrative Kriterien, wohlfahrtsverbandliche bzw. -staatliche Traditionen sowie normative, ethische oder moralische Gesichtspunkte ihre berufsbiografische Handlungssituation kennzeichnen. Sie sind somit mit einem Komplex an Deutungen, Regelungen und Institutionalisierungen konfrontiert, den sie alltäglich mit erzeugen und der zugleich auf ihre Biografiekonstruktionen zurückwirkt. [35]

2. Ergebnisse der Studie: Die Gestalterinnen "vor Ort"

Die Frauen, die den kommunalen Auf- und Umbauprozess der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege nach 1990 "managen", haben nicht nur ein gesellschaftliches Mandat inne, sondern sie bekleiden auch administrative oder verbandliche Leitungspositionen, wodurch sie gegenüber dem Großteil der ostdeutschen Bevölkerung in einer privilegierten Situation sind, denn sie haben sowohl in berufsbiografischer Hinsicht eine aussichtsreiche Anschlussoption als auch in sozialpolitischer Hinsicht Gestaltungsmöglichkeiten erhalten. Trotz dieser vergleichsweise günstigen Chancenstrukturen sind sie – wie alle Bürger und Bürgerinnen der ehemaligen DDR – mit einem radikalen Umbruch konfrontiert, bei dem das Gesellschaftssystem und Staatsgebilde, das bis dahin die soziale Wirklichkeit ihres Lebens und damit ihrer biografischen Entwürfe rahmte, keine Gültigkeit mehr besitzt, sondern durch das bundesdeutsche ersetzt wird. [36]

Zunächst stellt sich die Frage, was die Frauen dazu veranlasst, sich für die Umstrukturierung des Sozialbereichs zu engagieren, d.h. ein gesellschaftliches Mandat und soziale Verantwortung aktiv zu übernehmen. Welche Hoffnungen verbinden sie damit? Welche Erwartungen stellen sie an die neue berufliche Beschäftigung und welche Vorstellungen sind handlungsleitend? Außerdem ist zu fragen, welche biografisch erworbenen Wissensgehalte und Ressourcen zur Bewältigung ihrer beruflichen Aufgabe hilfreich und nutzbar erscheinen, wie die bisherige Lebensgeschichte vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Tätigkeit bewertet wird und inwiefern es ihnen gelingt, biografische Kontinuität herzustellen. [37]

2.1 Gemeinsamkeiten

Trotz der sehr unterschiedlichen beruflichen Qualifikationen, politischen Orientierungen und biografischen Erfahrungen der ostdeutschen Frauen in Führungspositionen der kommunalen Wohlfahrtspflege ist ihnen zu Beginn ihrer beruflichen Tätigkeit nach der deutschen Vereinigung gemeinsam, dass ihnen die grundlegenden Spezifika, Strukturen, Traditionen und Sinnorientierungen der "importierten" politischen Institution der öffentlichen/freien Wohlfahrtspflege fremd sind. So betont etwa Frau Mesner13) – Buchhändlerin und evangelische Theologin –, schon allein die Begriffe "Wohlfahrtsverband" und "Wohlfahrtspflege" seien ihr antiquiert vorgekommen. Frau Rose – Ökonomin, in der Kaderverwaltung der DDR tätig gewesen und ehemaliges SED-Mitglied – bekennt, die Wohlfahrtspflege lediglich von den Wohlfahrtsbriefmarken her gekannt zu haben. Frau Herzig – Krankenschwester und Pfarrersfrau – beteuert recht offen ihre völlige Ahnungslosigkeit, und auch Frau Bach – staatlich ausgebildete Erzieherin, die letzten Jahre der DDR beim DRK beschäftigt und Mitglied einer Blockpartei der DDR – weiß zunächst nicht so recht, wie sie den von ihrem Vorgesetzten erhaltenen Auftrag, den Bereich der sozialen Dienstleistungen im DRK aufzubauen, umsetzen soll. [38]

Diese Fremdheit der zu institutionalisierenden Ordnungskriterien – etwa hinsichtlich der Arbeitsteilung zwischen öffentlicher und freier Wohlfahrtspflege – ist als eine fall- und typusübergreifende Gemeinsamkeit der Startbedingungen zu markieren. Sie lässt sich selbst bei den Frauen feststellen, die etwa eine langjährige Verbundenheit mit der Organisation, die sie nun repräsentieren, aufweisen, selbst Teil bzw. Mitglied des Milieus oder der Deutungsgemeinschaft sind, dem auch der Verband verhaftet ist, oder auch bei denjenigen, die über berufliche Erfahrungen im sozialen Dienstleistungssektor verfügen und nun beispielsweise in der Sozialverwaltung tätig sind. [39]

Allerdings wird die Institution der Wohlfahrtspflege in den neuen Bundesländern nicht durch die beratenden Partner- bzw.- Parallelorganisation und das entsprechende Personal aus den alten Bundesländern dominiert. Angesichts der beschriebenen Ausgangsbedingungen wäre es durchaus denkbar gewesen, dass sich die Vorstellungen westdeutscher und bundespolitischer Akteure über den Verlauf und die Ergebnisse des Institutionalisierungsprozesses der freien und öffentlichen Wohlfahrtspflege durchsetzten und sich die ostdeutschen Frauen in Führungspositionen in ihren beruflichen Entscheidungen daran orientierten und anpassten. [40]

Vielmehr begegneten die Frauen in Führungspositionen den Anforderungen des Aufbau- bzw. Umstrukturierungsprozesses nicht hilflos. Dabei wird im Vergleich, wie sie mit dieser Situation umgegangen sind, eine weitere Gemeinsamkeit deutlich: Sie gehen mit einem ausgesprochenen Elan an die Arbeit und zeigen dabei zudem ein erhebliches Maß an Flexibilität. Die beiden Komponenten – Elan und Flexibilität – verbinden sich zu einem Aktivitätspotenzial. Dieses Potenzial ist dadurch bestimmt, dass die Frauen in der Lage sind, sich in einer enormen Geschwindigkeit neues Wissen anzueignen (z.B. über die Tradition des Verbandes, Förderrichtlinien oder auch über Fragen der Bausubstanz von Einrichtungen, Heizungsanlagen und dergleichen mehr) und dieses neue Wissen in Verknüpfung mit unterschiedlichen biografischen Wissensbeständen und Ressourcen anzuwenden. Das heißt, sie nehmen die deutungsoffene und unsichere Situation nicht als handlungslähmend oder begrenzend wahr. Ihr Engagement wird eher durch die Fremdheit der politischen Institution befördert, weil sie darin die Möglichkeit erkennen, eigene Vorstellungen und Schwerpunktsetzungen zu entwickeln und in den Institutionalisierungsprozess aktiv handelnd einzubringen. [41]

Dieses Phänomen lässt sich in einem doppelten Sinn biografisch erklären:

Insbesondere in der Anfangssituation seines Institutionalisierungsprozesses erweist sich das Handlungsfeld der Wohlfahrtspflege als anschlussfähig für die verschiedensten Motivationen und biografischen Begründungszusammenhänge, die von dem Leitgedanken, Verantwortung zu übernehmen, über die Möglichkeit zur politischen Betätigung bis hin zur Freude am Organisieren und Improvisieren reichen. Ob nun eher die Kontinuitätssicherung der Berufsbiografie oder aber die Möglichkeit zum sozialpolitischen Handeln im Zentrum stehen, für alle in die Studie einbezogenen Frauen ist die leitende Tätigkeit innerhalb des Institutionalisierungsprozesses der freien/öffentlichen Wohlfahrtspflege zugleich ein biografisch begründetes Handlungstableau, das sie einerseits durch ihre biografischen Sinnsetzungen gestalten, das andererseits durch institutionelle Strukturdynamiken und Rahmenbedingungen auf ihre Biografien zurückwirkt, indem lebensgeschichtliche Prozesse, Dilemmata und Strukturmuster befördert oder re-aktiviert werden. Aus diesem Grund kann bei der Etablierung der kommunalen Wohlfahrtspflege in Ostdeutschland von einer "lebensgeschichtlichen Institutionalisierung" (vgl. SCHIEBEL 2003, S.341) gesprochen werden. [43]

Vergleicht man nunmehr genauer, welche biografischen Prozessverläufe durch die Einbindung der Frauen in die politische Institution Wohlfahrtspflege beschleunigt, weiterentwickelt oder aber wieder (neu) belebt werden, und vergleicht gleichzeitig, welche Erfahrungsgehalte und biografischen Ressourcen die Frauen in Führungspositionen zur Bewältigung ihrer Handlungsanforderungen nutzen, dann lassen sich vier Typen unterscheiden. [44]

2.2 Typologische Unterschiede

Entlang der Frage nach der biografischen Bedeutung, die dem Institutionalisierungsprozess zukommt, wurden die empirischen Typen "Sich freischwimmen", "Wegbegleiter Politik", "Hoch klettern tief fallen" und "Verkehrte Welten" generiert. [45]

In diese vier Typen flossen drei – lediglich analytisch zu trennende – Ebenen ein, die allerdings die jeweils rekonstruierte Gesetzmäßigkeit des struktural-genetischen Typus nicht zerstören:

Ingesamt kann die Institutionalisierung der kommunalen Wohlfahrtspflege durch die Frauen als interaktiver Prozess betrachtet werden, der in seinen Aushandlungsergebnissen – als Institutionalisierungen sozialer Ordnungsprinzipien – durchaus auf die Frauen und deren Konstruktionslogiken ihrer Biografien zurückwirkt. Betrachten wir dies anhand der vier Typen und ausgewählten Fallbeispielen im Detail.14) [47]

Bei den Frauen, die dem Typus "Sich freischwimmen" angehören, wird durch die Einbindung in die politische Institution der Wohlfahrtspflege ein lebensgeschichtlicher Emanzipationsprozess – der dem Typus den Namen verlieh – befördert und unterstützt, sodass sie im Verlauf ihrer Tätigkeit einen Autonomiezugewinn verbuchen können. Sie bilden unter Berufung auf christliche Wertvorstellungen, die die Basis ihres Handelns ausmachen, einen professionellen Habitus heraus, agieren als sozialpolitische Gestalterinnen des Institutionalisierungsprozesses und werden damit zu einer moralischen Instanz innerhalb der kommunalen Wohlfahrtspflege. Vor diesem Hintergrund sind sie in der Lage, ihr Leben in einen konsistenten Sinnzusammenhang zu stellen. Da die Frauen dieses Typs eine moralisch-ethische Mission mit ihrem sozialpolitischen Handeln verfolgen und diese auch in Aushandlungsprozessen durchzusetzen verstehen, tritt hier die weltanschaulich-symbolische Dimension der Institution in den Vordergrund. Somit liegt ein sich wechselseitig stabilisierendes Verhältnis von Biografie und Institution vor. [48]

Auch die Frauen, die den Typus "Wegbegleiter Politik" repräsentieren, verfolgen mit ihrem sozialpolitischen Handeln eine bestimmte Mission. Sie definieren ihre Tätigkeit im Rahmen der Wohlfahrtspflege vorwiegend als politische Arbeit. Ob als Verbandsgeschäftsführerin oder als Sozialdezernentin – sie avancieren zu einer politischen Instanz der kommunalen Wohlfahrtspolitik und sehen ihr berufliches Handeln vor allem als Beitrag zur Demokratisierung der Gesellschaft. Insofern unterstützt und befördert die Einbindung in die Institution für die Frauen dieses Typus ihren politischen und zugleich lebensgeschichtlichen Emanzipationsprozess. Dies ist eine biografische Handlungsstruktur, die durch das ausgeprägte "Bedürfnis" nach Handlungsautonomie sowie durch eine erstaunliche Vernetzungsfähigkeit – auch als Kontextualisierungskompetenz umschreibbar – gekennzeichnet ist und bei diesem Typus eine Melange bildet, die zu stabilisierenden Effekten zwischen Biografie und Institution führt. Da der Fokus im Handeln der Frauen, die dem Typus "Wegbegleiter Politik" angehören, auf der Errichtung einer demokratischen Gesellschaftsordnung liegt, dominiert bei der kommunalen Institution der Wohlfahrtspflege, die sie vor Ort gestalten, die politisch-symbolische Dimension. Biografie und Institution stehen in einem sich wechselseitig stabilisierenden Durchdringungsprozess zueinander. [49]

Der Prozess einer wechselseitigen Stabilisierung zwischen Biografie und Institution lässt sich anhand eines Fallbeispiels – Hanna Mesner – demonstrieren. [50]

Frau Mesner repräsentiert den Typus "Sich freischwimmen". Sie ist seit 1990 als Geschäftsführerin der evangelischen Stadtmission in Wehlach tätig. Für Hanna Mesner bedeutet diese Führungsposition nicht nur eine berufliche Herausforderung, der sie sich stellt. Vielmehr unterstützt und beschleunigt ihre leitende Funktion innerhalb des konfessionellen Wohlfahrtsverbandes Frau Mesners lebensgeschichtlichen Wandlungs- und Entwicklungsprozess und führt dazu, dass sie Selbstvertrauen und Mut gewinnt, ihren eigenen Weg zu gehen; nicht nur in berufsbiografischer Hinsicht. Dazu gehört auch, dass sie ihr Leben in einen konsistenten Sinnzusammenhang zu stellen vermag, indem sie ihre biografischen Brüche und "Umwege" nicht nur als sinnvolle, sondern sogar als notwendige Erfahrungen begreift, die sie ihre gegenwärtigen Aufgaben erst so selbstsicher meistern lassen. Ihr Lebensmotto: "Ich steh zu mir und denk auch ich bin gut, das was ich bin bin ich durch dieses Leben" ist Ausdruck dieses Wandlungs- und Entwicklungsprozesses sowie ihrer Gegenwartsperspektive einer erfolgreichen, anerkannten und sozialpolitisch einflussreichen Verbandsvertreterin. [51]

Mit der Einschulung von Hanna Mesners jüngstem Sohn und der Aufnahme ihres berufsbegleitenden Fernstudiums in Theologie knüpfte sie 38jährig im Jahr 1981 an ihren 16 Jahre zuvor unterbrochenen Lebensentwurf erneut an. Allerdings wurde damit lediglich ein latenter Wandlungsverlauf eingeleitet, der 1990 in einen weiteren lebensgeschichtlichen Interpretationspunkt – und eine Gegenwartsschwelle – mündete.15) Daher kann die Phase zwischen der Aufnahme der Fernstudiums und der Übernahme der verbandlichen Führungsposition – einhergehend mit dem Ablegen des zweiten Examens und der Ehescheidung – als Interpretationsphase bezeichnet werden. Die Aufnahme des Fernstudiums bekommt erst vor diesem Hintergrund nachträglich eine entscheidende biografische Bedeutung: Von diesem Zeitpunkt an begreift sich Hanna Mesner rückblickend als selbstbestimmt handelnd. [52]

Erst mit ihrer Tätigkeit als Verbandsgeschäftsführerin stellt sich bei Hanna Mesner die Wahrnehmung der eigenen Veränderung ein.16) Durch ihre verantwortungsvolle Position, die ihr Selbstsicherheit und Handlungszugewinn liefert, wird die vorher diffus und uneindeutig bleibende Transformation deutlich, so dass sie sich als "selbständig geworden" und sich als "aus Abhängigkeiten gelöst" zu haben begreifen kann. Dazu zählt auch die Trennung und Scheidung von ihrem Ehemann. Gleichzeitig mit der Notwendigkeit der organisatorischen Umgestaltung im Prozess der deutschen Vereinigung entwickelte Frau Mesner ein Bewusstsein ihrer biografischen Veränderung, denn Verband und Biografie konstituierten sich wechselseitig. Das zeigt sich vor allem darin, wie Frau Mesner die zunächst vordringliche verbandliche Aufgabe, den Aufbau eines sozialen Dienstleistungsangebots, angeht. So entwirft etwa Hanna Mesner als Geschäftsführerin der evangelischen Stadtmission in Wehlach gleich zu Anfang ihrer Tätigkeit einen von ihr als integrativ bezeichneten Ansatz für die verbandliche Arbeit, der einen wesentlichen Bestandteil und ein Kernstück des zu entwickelnden Stadtmissionsprofils darstellt. Obwohl ihr von Seiten der Sozialverwaltung die Überarbeitung des Konzeptes empfohlen wird, von anderer Seite Warnungen formuliert werden oder sie von westdeutschen Kolleg/inn/en wegen ihres an einen "Tante-Emma-Laden" erinnernden Leistungsangebots belächelt wird, folgt sie den zahlreichen kritischen Vorschlägen nicht, sondern setzt ihren Ansatz – mit Erfolg – durch. Dabei bezieht sie sich auf lebensgeschichtlich erworbene moralische und christliche Prinzipien und Vorstellungen, die ihr als Leitlinie beim Aufbau eines stadtmissionstypischen Profils und sozialen Dienstleistungsangebots dienen. Im Verlauf ihres professionellen Handelns im Kontext der politischen Institution Wohlfahrtspflege bleibt Frau Mesner nicht auf den konfessionellen Wohlfahrtsverband beschränkt. Vielmehr ist sie die Gründerin eines Arbeitskreises, der sich sozialanwaltschaftlich um die Belange von Armen und Bedürftigen der Stadt kümmert und dabei gemeinsame Projekte verschiedener Träger entwickelt, die die Belange der Klientel und die Würde des Menschen in den Vordergrund rücken. [53]

Für die dem Typus "Sich freischwimmen" angehörenden Frauen werden insbesondere die anfänglichen Aushandlungssituationen beim Aufbau und der Konzeptionierung eines sozialen Leistungsangebots zu einer biografischen Herausforderung und zu einer Art lebensgeschichtlichen Bewährungsprobe. Da sie es schaffen, ihre Vorstellungen zu behaupten, gewinnen sie an Selbstbewusstsein und an Überzeugung bezüglich ihrer eigenen Kompetenz. Im weiteren Verlauf des Institutionalisierungsprozesses der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege wird ihr biografischer Entwicklungsprozess zunehmend durch die institutionellen Handlungserfordernisse unterstützt und begleitet, sodass sie einen professionellen Habitus ausbilden. Dieser sichtbare Professionalisierungsprozess der Frauen wirkt sich auch auf die politische Institution der Wohlfahrtspflege aus, in dessen Kontext die Frauen als moralische Instanz agieren. Ebenso wie beim Typus "Wegbegleiter Politik" liegt hier ein sich permanent stabilisierendes Wechselverhältnis zwischen Institution und Biografiekonstruktion vor. [54]

Im Unterschied zu diesen soeben vorgestellten Typen lassen sich die anderen beiden Typen "Hoch klettern – tief fallen" und "Verkehrte Welten" als instabiles Wechselverhältnis von Biografie und Institution beschreiben. Dieser Prozess wird nun dargestellt. [55]

Die Frauen, die dem Typus "Hoch klettern tief fallen" zuzurechnen sind, zeichnen sich durch ihren Aktivismus aus. Die engagierte Ausübung der neuen beruflichen Anforderungen im Rahmen des Institutionalisierungsprozesses der kommunalen Wohlfahrtspflege wird mit Eifer und Elan betrieben, wobei umstandslos auf (berufs-) biografische Kenntnisse, Qualifikationen und extrafunktionale Fähigkeiten – etwa der Personalführung – zurückgegriffen wird. Dabei ist es jedoch ein besonderes Kennzeichen diesen Typs, dass die Frauen davon ausgehen, ihre Kenntnisse seien politisch unabhängig und damit gewissermaßen universell einsetzbar und insofern unproblematisch auf die geänderten politischen Verhältnisse übertragbar, egal ob es sich dabei um Erfahrungen aus der Kaderverwaltung oder um Studieninhalte unterschiedlicher Fachrichtungen (Ökonomie, Psychologie) handelt. Sowohl in der DDR als auch bei der Institutionalisierung der Wohlfahrtspflege zählt für die Frauen dieses Typus Engagement als Wert an sich. Anfangs gelingt es ihnen zunächst, biografische Kontinuität herstellen, da sie erleben, dass ihre Kenntnisse und Ressourcen den Anforderungen der Aufbauphase durchaus genügen. Insofern hat der Institutionalisierungsprozess der kommunalen Wohlfahrtspflege für sie die Funktion der Substitution einer Sinnwelt durch eine andere, bei der das "Engagiert-Sein" eine kontinuitätsstiftende Komponente darstellt. Die Anschlussfähigkeit ihrer Kenntnisse gelingt allerdings nur dadurch, dass sie ihre biografischen Erfahrungen und gegenwärtigen Handlungen entpolitisieren. Der von den Frauen als "unpolitisches Handwerkszeug" gedeutete Vorrat lebensgeschichtlich erworbener Erfahrungen und beruflicher Qualifikationen erscheint den Frauen als allgemeingültiger und unhinterfragter Orientierungs- und Bezugspunkt ihrer Handlungen und Entscheidungen. Insofern entpolitisieren sie auch ihr eigenes weitgehend systemloyales Handeln in leitenden Positionen der DDR und stehen somit nicht vor der Notwendigkeit, ihr bisheriges Leben komplett in Frage stellen zu müssen. Doch gerade weil sie es geschafft haben, sich nach der deutschen Vereinigung erneut in Führungspositionen zu etablieren, reproduziert sich hier ein lebensgeschichtliches Strukturmoment, indem sie zunächst hoch klettern und dann tief fallen bzw. permanent in der Gefahr schweben zu fallen. Sie scheitern erneut am politischen Kontext ihres Betätigungsfeldes, da sie wiederum ihre Handlungschancen dekontextualisieren. Ihr Handeln als wohlfahrtsverbandliche bzw. -staatliche Führungskräfte betont die organisatorische sowie die ökonomische Dimension der Institution und vernachlässigt den sozialpolitischen Anspruch der Wohlfahrtspflege. [56]

Die politische Institution Wohlfahrtspflege erweist sich für die Frauen, die dem vierten Typus "Verkehrte Welten" angehören, als biografische Falle. Als Geschäftsführerinnen und Repräsentantinnen von wert- bzw. milieuspezifischen Organisationen stellen sie ihre Zugehörigkeit zu der sinnstiftenden Gemeinschaft, die ihnen in der DDR Schutz und Abgrenzungsmöglichkeiten gegenüber staatlichen Doktrinen bot, im Verlauf ihrer leitenden Tätigkeit tendenziell in Frage. Die mit der Integration der Organisationen in die politische Institution Wohlfahrtspflege verbundenen Anforderungen sowie die seit der deutschen Vereinigung einsetzenden Veränderungen der jeweiligen Sinngemeinschaft bzw. der Milieus, in denen die Organisationen verankert sind, produzieren für die Frauen Unsicherheiten mit ihrer Führungsposition oder Erwartungen, die sie nicht zu erfüllen bereit sind. Dadurch wird die Zugehörigkeit zu der sinnstiftenden Gemeinschaft prekär, und sie scheint sich für die Frauen zu einer "verkehrten Welt" gewandelt zu haben. Somit wirkt die Einbindung und Tätigkeit bei der Institutionalisierung der politischen Institution Wohlfahrtspflege für sie potenziell krisenauslösend und führt zu einer Problematisierung zuvor stabiler orientierungswirksamer lebensgeschichtlicher Sinnbezüge. Die erlebte Verunsicherung ist für die Frauen dieses Typs deshalb so dilemmatisch, weil sie moralisch an ihrem Platz in der Sinngemeinschaft festhalten wollen und damit gewissermaßen handlungskonservatives Verhalten zeigen, das nunmehr kontraproduktiv wirkt, da es diesen symbolischen Ort in der schützenden Nische nicht mehr gibt. Insofern wird ein lebensgeschichtliches Muster – der Definition von Zugehörigkeiten – erneut virulent. Dem zögerlichen und auf die klar umgrenzte Sinngemeinschaft bezogenen Handeln der Frauen, die dem Typus "Verkehrte Welten" angehören entsprechend, liegt der Schwerpunkt des Institutionalisierungsprozesses hier auf einer partikularen Vergemeinschaftungsdimension. Auch hier liegt ein instabiles Wechselverhältnis zwischen Biografie und Institution vor. [57]

Auch der Prozess einer wechselseitigen Destabilisierung zwischen Biografie und Institution lässt sich anhand eines Fallbeispiels – Sybille Rose – demonstrieren. [58]

Für Sybille Rose ergab sich in ihrer Führungsposition als Kreisgeschäftsführerin der Arbeiterwohlfahrt in Wehlach, die sie von 1991 bis 1996 ausübte, eine Möglichkeit, ihre Einsatzbereitschaft und ihre Kompetenzen unter Beweis zu stellen. Dies bezog sich nicht nur auf berufliche Kenntnisse aus dem Bereich der Ökonomie, sondern vor allem auch auf biografische Ressourcen einer "gelernten DDR-Bürgerin", wie sie sich ausdrückt (Organisieren-Können, Improvisieren-Können). Dabei setzte sie sich innerhalb des Aufbauprozesses des kommunalen Wohlfahrtsverbandes im Rahmen der Institutionalisierung der Wohlfahrtspflege ebenso sehr engagiert ein, wie schon zuvor in ihrem Leben. Aus diesem Grund spiegelt das Lebensmotto "Ich war schon zu DDR-Zeiten ein sehr engagierter Mensch, äh dass ich mich für das Verkehrte engagiert hatte, das habe ich erst jetzt mitbekommen" den lebensgeschichtlichen Prozess der Kontinuitätsherstellung Sybilles Roses wider, der durch ihre Tätigkeit als Geschäftsführerin zunächst beschleunigt und unterstützt wird. Da sie diese Kontinuität nur mittels der Strategie einer Entpolitisierung ihres bisherigen Lebens in der DDR aufrechterhalten kann, ist sie auch als Verbandsvertreterin um eine unpolitische und wertneutrale Handlungsweise bemüht; ein Versuch, der im Kontext des sozialpolitischen Handlungsfeldes an Grenzen stößt. Insofern reaktiviert Sybille Roses Führungsposition als kommunale Wohlfahrtsverbandsgeschäftsführerin eine biografische Prozessstruktur, die mit dem Bild vom "Hoch klettern tief fallen", als Typus, den Frau Rose repräsentiert, umschrieben werden kann. Das zeigt sich vor allem im Rahmen von Aushandlungssituationen über den Aufbau eines Dienstleitungsangebots. [59]

So macht Sybille Rose als neue Kreisgeschäftsführerin der AWO in Wehlach die Entscheidung zur Übernahme von Einrichtungen bzw. den Aufbau von Diensten einerseits davon abhängig, welche Einrichtungen gerade zur Übernahme bereitstehen. Andererseits richtet sie sich danach, in welchen Aufgabenbereichen der Verband traditionell einen Arbeitsschwerpunkt setzt – ein Wissen, das sie sich binnen kurzer Zeit aus Verbandspublikationen angelesen hat. Darin kommt eine pragmatische Orientierung zum Ausdruck. Wie wichtig es ihr ist, sich selbst und anderen zu demonstrieren, dass sich etwas tut, zeigt sich bei der Übernahme eines Altenheims gleich am ersten Tag ihrer Tätigkeit: Sie nimmt Personalumgruppierungen vor und besorgt Möbel für die Bewohner der Einrichtung – Handlungen, die sogleich ein sichtbares Zeichen setzen. Konzeptionelle Überlegungen kommen zunächst nicht zum Tragen. Als Ökonomin legt Frau Rose zudem besonderen Wert darauf, die Leistungen auf eine solide finanzielle Grundlage zu stellen und ist insofern insbesondere an pflegesatzorientierten Diensten interessiert bzw. reicht gleich mehrere Anträge auf Modellprojekte ein, da für diese Fördermittel des Bundes gewährt werden. [60]

Gleichzeitig wendet sie ihre beruflichen Kenntnisse aus dem Bereich des Personalwesens (Kaderpläne) bei der Mitarbeiterführung an und orientiert sich bei ihren Überlegungen zum Einbezug ehrenamtlichen Engagements an ihren Erfahrungen mit gesellschaftlich-nützlicher Tätigkeit. All' diese Kenntnisse werden – genau wie das eigene Engagement in der DDR – entpolitisiert und für die gegenwärtige Führungsposition nutzbar gemacht. [61]

Für die Frauen, die dem Typus "Hoch klettern – tief fallen" angehören, steht das Handeln, stehen Strukturieren und Organisieren im Vordergrund, womit sie sich und anderen gleichzeitig veranschaulichen können, dass ihr Leben in der DDR nicht wertlos war und dass sie mit ihren Fähigkeiten einen relevanten Beitrag – auch im Rahmen der neuen Gesellschaftsordnung – leisten können. Das bedeutet für den Aufbau bzw. die Förderung des sozialen Dienstleistungsangebots, dass sie einerseits bemüht sind, die verbandliche bzw. Verwaltungsarbeit auf eine stabile und sichere Basis zu stellen, was ihnen erfolgreich gelingt. Andererseits sind sie aufgrund ihrer biografischen Erfahrungen mit dem politischen System der DDR, für das sie sich engagierten, heute bestrebt, möglichst unpolitisch bzw. weltanschaulich neutral zu entscheiden. In der Anfangsphase der Etablierung der politischen Institution Wohlfahrtspflege erwies sich diese unpolitisch-organisierende Perspektive der Frauen als äußerst funktional, sowohl im Hinblick auf das soziale Leistungsspektrum und kommunale Versorgungsangebot als auch für die Biografien der Frauen in Führungspositionen. Aufgrund ihrer biografischen Entpolitisierungsstrategie und des Erlebens, dass die in der DDR erworbenen Kompetenzen zur Strukturierung der gegenwärtigen Handlungsanforderungen durchaus hilfreich sind, waren sie nicht gezwungen, ihre bisherigen normativen Orientierungen oder ihren Einsatz für den Sozialismus infrage zu stellen. Dadurch ergibt sich zunächst ein stabilisierender Effekt für die Biografien der Frauen. [62]

Dieses Wechselverhältnis zwischen Institutionalisierung und Biografiekonstruktion entfaltet jedoch im Zeitverlauf gesehen eine destabilisierende Wirkung für die Frauenbiografien, vor allem, da die Frauen als Repräsentantinnen einer politischen Institution, die Teil der Zivilgesellschaft und Ausdruck von bürgerschaftlichem Engagement ist, nicht wertneutral handeln können, denn damit ignorieren sie den sozialpolitischen und sozialanwaltschaftlichen Anspruch der Wohlfahrtspflege. Insofern kommt es für die Frauen dieses Typus zu einem Handlungsdilemma. Damit geht wie auch beim Typus "Verkehrte Welten" eine biografische Verunsicherung einher. [63]

Warum die Betätigung im Rahmen des wohlfahrtsstaatlichen bzw. -verbandlichen Handlungsfeldes für die Frauen, die den ersten beiden Typen zuzurechnen sind, eine stabilisierende Funktion ihrer Biografiekonstruktion zur Folge hat und sich dagegen für die Angehörigen der anderen beiden Typen langfristig gesehen eher Destabilisierungstendenzen zeigen und welche Auswirkungen das hat, wird nachfolgend näher erläutert. [64]

3. Biografische Professionalisierungsprozesse

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der Prozess der Institutionalisierung der kommunalen Wohlfahrtspflege biografisch strukturbildend wirkt. Dieser Terminus "biografisch strukturbildend" weist in zwei Richtungen und umschreibt die Institutionenbildung als ein prozesshaftes Wechselverhältnis von Biografie und institutionellem Handlungsfeld: Einerseits sind die kommunalen Strukturen der politischen Institution durch die biografisch begründeten Handlungsentscheidungen und interaktiven Aushandlungen der Frauen in Führungspositionen bedingt. Andererseits wirken diese institutionellen Strukturen und Aushandlungsergebnisse wiederum prägend auf die Biografien der Frauen zurück. Aufgrund dieser Wechselseitigkeit zwischen den Biografien der Frauen in Führungspositionen und der politischen Institution Wohlfahrtspflege spreche ich in diesem Zusammenhang von lebensgeschichtlichen Institutionalisierungen. [65]

Die oben beschriebenen Handlungsorientierungen der Frauen beim Aufbau eines sozialen Leistungsspektrums sind nicht lediglich im berufsbiografischen Sinnzusammenhang zu sehen und haben auch nicht nur Auswirkungen für den Aufbau- und Umstrukturierungsprozess der kommunalen Verbände und Verwaltungen, sondern haben zugleich eine spezifische biografische Bedeutung. Dabei kann von einer Parallelisierung und mitunter sogar Synchronisierung der Frauenbiografien und der "Organisationsgeschichte" im Rahmen der Institutionalisierung der Wohlfahrtspflege in Ostdeutschland gesprochen werden. So erreichen die Frauen des Typus "Hoch klettern – tief fallen" zugleich eine (anfängliche) Stabilisierung ihrer Biografie, wenn sie bemüht sind, Stabilität und Sicherheit in das soziale Leistungsangebot zu bringen. Fatalerweise birgt die biografische Strategie der Entpolitisierung, die ihnen zunächst Handlungskompetenz sichert, gleichzeitig die Instabilität des Wechselverhältnisses. Auch in der Unsicherheit und zurückhaltend-zögernden Art der Frauen des Typus "Verkehrte Welten" beim Aufbau eines Dienstleistungsangebots zeigt sich eine Parallele zu dem biografischen Muster des Fragwürdigwerdens bisheriger Zugehörigkeiten und Wertvorstellungen, das durch die Führungsposition erneut virulent wird. Demgegenüber lässt sich bei den Frauen, die dem Typus "Sich freischwimmen" angehören, eine gemeinsame Entwicklungsgeschichte von Verband/Dienststelle und Biografie konstatieren. Der Aufbau eines Leistungsangebots ist sowohl für die Organisationen als auch für die Frauenbiografien eine Bewährungsprobe, bei der sie Anerkennung und Handlungsautonomie gewinnen. Schließlich kommt in dem Beitrag zur Demokratisierung der Gesellschaft, den die Frauen des Typus "Wegbegleiter Politik" mit dem sozialen Dienstleistungsangebot bewirken wollen, deren politischer und (familien-) biografischer Emanzipationsprozess zum Ausdruck. [66]

Der Institutionalisierungsprozess der Wohlfahrtspflege auf kommunaler Ebene in Ostdeutschland zeichnet sich dadurch aus, dass institutionelle Rahmenbedingungen und gesetzliche Grundlagen eine notwendige, jedoch nicht hinreichende Basis der alltäglichen Handlungsvollzüge für die verbandlichen und politisch-administrativen Führungskräfte darstellen, die den Institutionalisierungsprozess der Wohlfahrtspflege vor Ort leisten. Vielmehr bedarf es eines permanenten inter- und intraorganisatorischen Aushandlungsprozesses (vgl. STRAUSS 1978) zwischen unterschiedlichen Akteur/inn/en und Interessen (hauptamtliche und ehrenamtliche Mitarbeiter/innen, unterschiedliche Berufsgruppen, Mitglieder der Organisation, Klient/inn/en, übergeordnete Verbandsstrukturen, Mittelgeber, politisch-administrative Akteure), ohne den das reibungslose Funktionieren dieses komplexen institutionellen Gefüges nicht denkbar wäre. Die Ergebnisse dieser Aushandlungsprozesse münden in Kontrakten, Übereinkünften, Vereinbarungen, organisatorischen Regeln oder Verständigungen, die dann wiederum der permanenten Aushandlung – aller Organisationseinheiten – bedürfen (vgl. STRAUSS 1978). Insofern sind die (berufs-) biografischen Handlungsanforderungen17) der in der Studie untersuchten Frauen, die den kommunalen Aufbau- bzw. Institutionenbildungsprozess der Institution Wohlfahrtspflege in Ostdeutschland gestalten, mithilfe des von Anselm STRAUSS und seinen Kolleg/inn/en entwickelten Ansatzes der "professions in process" (vgl. STRAUSS, FAGERHAUGH, SUCZEK & WIENER 1985; STRAUSS & BUCHER 1991; STRAUSS 1991) beschreibbar. Als Teil von "professions in process" sind die Frauen zugleich in einen doppelten Professionalisierungsprozess eingebunden, da sie zum einen das soziale Dienstleistungsangebot nach professionellen Standards, fachlichen Kriterien und normativen Vorstellungen des übergeordneten Trägers zu strukturieren haben. Zum anderen wirkt diese Tätigkeit auf das (berufliche) Selbstverständnis, die alltäglichen Deutungen und biografischen Konstruktionen der Frauen zurück. [67]

In methodischer Hinsicht wurde in der biografischen Studie ein Ansatz entwickelt, bei dem die berufliche Handlungsebene der Frauen in Führungspositionen über erzählte Aushandlungssituationen rekonstruiert wurde. Diese im narrativ-biografischen Interview wiedergegebenen institutionellen Kommunikations- und Aushandlungsprozeduren verdeutlichen einerseits die Wahrnehmung der einzelnen Professionsangehörigen und die biografische Bedeutung, die diesen jeweils zukommt. Andererseits eröffnet der kontrastive Vergleich dieser erzählten Aushandlungssituationen den Zugang zu den unterschiedlichen Perspektiven der Professionsmitglieder im gleichen Handlungsfeld. Dieser methodische Ansatz erwies sich nicht nur für eine interpretative Professionsforschung als lohnenswert, sondern verdeutlicht generell die Relevanz, die erzählten Interaktionen und thematisierten Beziehungsmustern sowohl für die Rekonstruktion des sozialen Konstruktes Biografie als auch für Institutionalisierungsprozesse zukommt. [68]

In der empirischen Analyse zeigte sich, dass langfristig nur die beiden Typen als ein stabiles Wechselverhältnis zu kennzeichnen sind, bei denen institutionelle Handlungserfordernisse zugleich eine biografische Herausforderung darstellen und in einen lebensgeschichtlichen Emanzipationsprozess münden. Dabei kommt es in den Fällen zu einer sich wechselseitig stabilisierenden Verknüpfung von Biografie und zu institutionalisierendem Handlungsfeld, bei denen eine politische oder moralische Mission ein konstitutiver Bestandteil eines biografischen Emanzipationsprozesses ist und die Frauen infolgedessen einen professionellen Habitus ausbilden. [69]

Bei den beiden sich als stabil darstellenden Wechselverhältnissen ist ein biografischer Veränderungswunsch – sei es, den eigenen Platz in der Gesellschaft zu finden oder sei es, in einer demokratischen Gesellschaft leben zu wollen – eng verkoppelt mit einer moralisch-ethischen oder politischen Mission, für die sich die Frauen offensiv einsetzen. Diese Mission ist dabei als ein konstitutiver Bestandteil des biografischen Emanzipationsprozesses zu verstehen, in dessen Sinnhorizont Aushandlungssituationen eingebettet sind. Die diesen Typen angehörenden Frauen avancieren im Laufe der Institutionalisierung der Wohlfahrtspflege zu einer kommunalen moralischen (Typus "Sich freischwimmen") oder politischen Instanz (Typus "Wegbegleiter Politik"). Der Institutionalisierungsprozess der freien und öffentlichen Wohlfahrtspflege kann demnach für die Frauen in Führungspositionen, die diesen beiden Typen angehören, als doppelter und sich in der Praxis stabilisierender Professionalisierungsprozess bezeichnet werden. Ihr "missionarisches Handeln" betont normativ voraussetzungsreiche Ideale, die sie im Rahmen des kommunalen Institutionenbildungsprozesses umzusetzen bemüht sind; es ist insofern zukunftsgerichtetes, visionäres Handeln, das zudem die institutionellen Möglichkeiten und Handlungsoptionen extensiv ausschöpft. [70]

Demgegenüber lässt sich das Handeln der Frauen, die den anderen beiden Typen angehören, die sich als instabiles Wechselverhältnis von Biografie und Institution erwiesen, als eher bewahrend oder vergangenheitsbezogen bezeichnen. Trotz der Unterschiede der beiden Typen "Verkehrte Welten" und "Hoch klettern tief fallen" liegt dem Handeln der Frauen in beiden Fällen ein handlungskonservatives Moment zugrunde, entweder im Horizont von Pseudouniversalismus oder um einen gefundenen Platz in der Gesellschaft zu bewahren bzw. zu verteidigen, eine biografische Unveränderlichkeit in den Vordergrund zu rücken. So unverzichtbar eine sozialintegrative oder eine ökonomisch-absichernde Handlungsorientierung für den Institutionenbildungsprozess kommunaler Wohlfahrtspflege auch ist, ohne einen utopischen Impetus der biografischen Entwürfe kommt es letztlich zu einem sich wechselseitig destabilisierenden Verlauf von Biografie und institutionellem Handlungsfeld. [71]

Biografietheoretisch betrachtet ließe sich daraus die These ableiten, dass diese lebensgeschichtlichen Institutionalisierungen langfristig gesehen nur dann eine für die Biografien der Frauen stabilisierende – d.h. Kontinuität oder Konsistenz schaffende – Funktion erfüllen, sofern eine wiederum wechselseitige Bereitschaft für und Akzeptanz von Veränderung vorliegt. Dagegen bedeuten Stagnation und Unveränderlichkeit in diesem Zusammenhang Instabilität. Dieses Ergebnis ist auch im Hinblick auf die Professionsforschung interessant. So betonen vor allem neuere Arbeiten, dass professionelles Handeln mit Risiken, Ungewissheit und Widersprüchlichkeit verbunden ist (vgl. HELSPER, KRÜGER & RABE-KLEBERG 2000; KRAUL, MAROTZKI & SCHWEPPE 2002; FABEL & TIEFEL 2004), die als antinomische Spannungen von den Professionsangehörigen allenfalls reflexiv bearbeitet werden können, jedoch als unaufhebbare Paradoxien ein Kernelement professionellen Handelns darstellen (vgl. SCHÜTZE 1999, 2000, 2002). Diese auch für den Institutionalisierungsprozess der öffentlichen/freien Wohlfahrtspflege konstitutiven Ungewissheitshorizonte und Vagheiten wurden jedoch von denjenigen Frauen nicht als Irritationen und Verunsicherungen erlebt, die ihre (moralischen oder politischen) Zukunftsentwürfe einer kommunalen Sozialpolitik in Aushandlungssituationen mit verschiedenen Akteur/inn/en durchzusetzen vermochten und deren professionelles Handeln in einen biografischen Emanzipationsprozess eingebettet war. Unsicherheiten können demnach diejenigen Professionellen handelnd begegnen, die ihre Tätigkeit als lebensgeschichtliche Herausforderung, biografische Emanzipation und als Veränderung begreifen. Ihre Mission und Vision ist dabei konstitutiver Bestandteil des professionellen Habitus. [72]

Die Ergebnisse der Studie zeigen nicht nur, dass professionelles Handeln ein biografisches Handlungsmuster ist, sondern dass politische Institutionen neben ökonomischen, symbolischen, politischen und organisatorischen (vgl. GIDDENS 1992; GÖHLER 1994) auch biografische Dimensionen (vgl. SCHIEBEL 2003) aufweisen. Das heißt, genauso strukturbildend, wie die institutionellen Rahmenbedingungen und Regelungen auf die biografischen Konstruktionen der Frauen in Führungspositionen wirken, so bedeutsam sind gleichermaßen deren lebensgeschichtliche Erfahrungsgehalte, Wissensbestände und Orientierungen für die Gestalt der Institution. Biografien weisen eine institutionelle Formung auf ebenso wie Institutionen eine biografische Formung. Es erscheint angesichts der empirischen Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung geraten, dieses wechselseitige Verhältnis nicht vorzeitig zugunsten eines "Pols" aufzulösen, hingegen auf die Überlappungen und das Ineinandergreifen der jeweiligen Konstruktionslogiken mehr Aufmerksamkeit zu legen, um solche sich wechselseitig stabilisierenden bzw. destabilisierenden Mechanismen aufdecken zu können. Diese Verknüpfungen zwischen Biografie, professionellem Handeln, Aushandlung und Institutionalisierung verdienen vor allem in institutionentheoretischen Ansätzen Beachtung, die nach Mechanismen "der Herstellung, Stabilisierung und Wandlung" von Ordnungszusammenhängen (vgl. REHBERG 1994, 2002, 2003) fragen. [73]

Trotz dieser in theoretischer Hinsicht oftmals betonten interaktiven Verschränkung von Biografie und Institution (vgl. FISCHER-ROSENTHAL 2000; HOERNING & CORSTEN 1995; SEITTER & KADE 2002) erscheint es jedoch aufgrund der Komplexität und der Vielschichtigkeit der dabei zu beachtenden Untersuchungsebenen schwierig, dieses Wechselverhältnis empirisch zu erfassen. Ein konzeptioneller Vorschlag dazu liegt mit dem jüngst entwickelten Ansatz einer biografischen Institutionenanalyse (vgl. MIETHE & SCHIEBEL 2008) vor. [74]

Anmerkungen

1) Fritz SCHÜTZE (1981) hat für diesen Prozess den Begriff der Verlaufskurve geprägt. <zurück>

2) Zwar sind die Handlungsanforderungen für ostdeutsche Männer in entsprechenden Leitungspositionen der Wohlfahrtspflege mit denen der untersuchten Frauen vergleichbar. Allerdings stand im Unterschied zu den in die Studie einbezogenen Frauen bei den männlichen Führungspersonen nicht generell deren erwerbsbiografischer Entwurf zur Disposition. Dagegen wurden die Frauen mitunter durchaus mit Erwartungen konfrontiert, die ihre Vorstellungen und Selbstverständlichkeiten infrage stellten. So hatten sie nicht nur den gesellschaftlichen Umbruch zu bewältigen, wie ihre männlichen Kollegen, sondern mussten sich darüber hinaus noch mit divergierenden Normalitätserwartungen an biografische Entwürfe auseinandersetzen. Details, auch zur Thematik von Frauen in Führungspositionen, können hier nicht näher expliziert werden. Vergleiche dazu SCHIEBEL (2003). <zurück>

3) Dieser von der Autorin durchgeführten und mit einem Promotionsstipendium der Hans-Böckler-Stiftung geförderten biografieanalytischen Studie (vgl. SCHIEBEL 2003) ging das DFG-Projekt "Transformation intermediärer Organisationen" voraus, in dem der Aufbau- bzw. Umstrukturierungsprozess der Sozialverwaltungen, Wohlfahrtsverbände und selbstorganisierten Initiativen im Sozialbereich der neuen Bundesländer in einer sowohl qualitativ als auch quantitativ angelegten Untersuchung erforscht wurde (vgl. ANGERHAUSEN, BACKHAUS-MAUL, OFFE, OLK & SCHIEBEL 1998). <zurück>

4) Die Experteninterviews wurden mit der Eingangsfrage zum beruflichen Werdegang und zur aktuellen beruflichen Position eingeleitet. Die weitere Abfolge der Themen war so konzipiert, dass ein möglichst offener "Einstieg" in das Interview erfolgen konnte. Die Themen des Leitfadens, die im Verlauf des Gesprächs von den Interviewten selbst angesprochen wurden, mussten von den Interviewer/inne/n nicht nochmals in das Gespräch eingebracht werden, sodass die thematische Abfolge des Leitfadens durch den tatsächlichen Gesprächsverlauf modifiziert wurde. Der Leitfaden hatte somit die Funktion einer "Merkliste" für die Interviewenden und ließ den Befragten relativ viel Thematisierungsspielraum. Zu speziellen Themenbereichen wie etwa Ausgangssituation bzw. Gründungsverlauf einer Organisation wurden die Fragen so formuliert, dass sie Narrationen erzeugen sollten. <zurück>

5) Die Verbandsvertreterinnen der Volkssolidarität – eine aus der DDR fortbestehende Organisation, die als Mitgliedsorganisation des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in der Altenhilfe tätig ist – bezog ich nicht in die biografische Studie mit ein, da diese Organisation von Susanne ANGERHAUSEN (2003) in einer gesonderten Studie untersucht wurde. Wir hatten die Verteilung und Durchführung der narrativen Interviews in der zweiten Projektphase im Kreis der Projektmitarbeiter/innen so konzipiert, dass jede/r die Interviews führen konnte, die die Grundlage der jeweiligen anschließenden Qualifikationsarbeiten darstellten. <zurück>

6) Vgl. die biografieanalytische Studie von Monika MÜLLER (2006) zu den Professionalisierungsprozessen von heutigen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern in den neuen Bundesländern – im Unterschied zu meiner Untersuchung: nicht primär Personen in Leitungspositionen –, die bereits zu DDR-Zeiten in der staatlichen Fürsorge und in kirchlichen Sozialeinrichtungen tätig waren. <zurück>

7) Befördert durch einerseits gesellschaftliche Ausdifferenzierungsprozesse, voranschreitende Industrialisierung und Verelendung ganzer Bevölkerungsgruppen sowie andererseits durch den Ersten Weltkrieg entstandene soziale Problemlagen und Klientel entwickelte sich eine Form der öffentlichen und verbandlichen Wohlfahrtspflege, die sich als politische Institution der geregelten Kooperation zwischen diesen Trägern konstituierte. Im Deutschen Kaiserreich gründeten sich auf lokaler Ebene milieubezogene karitative Vereine, die notleidende Menschen unterstützen und ihre Wertvorstellungen verwirklichen wollten. Nach und nach schlossen sie sich zu überregionalen Organisationen zusammen und Mitte der 1920er Jahre existierten bereits alle noch heute bestehenden Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege: Der "Centralausschuß für die innere Mission" (1848, im Jahr 1965 schlossen sich die Innere Mission und das Evangelische Hilfswerk zum Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland zusammen), der "Caritasverband für das katholische Deutschland" (1897), die "Zentralwohlfahrtsstelle der deutschen Juden" (1917, im Jahr 1951 wurde der Verband in die "Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland" umbenannt), der Hauptausschuss der Arbeiterwohlfahrt (1919), das Deutsche Rote Kreuz (1921) sowie der Paritätische Wohlfahrtsverband (1924, bis zum Jahr 1932 firmierte dieser Verband allerdings unter dem Namen der "Vereinigung der freien gemeinnützigen Wohlfahrtseinrichtungen Deutschlands"). Weder die Geschichte der Armenfürsorge noch die Geschichte der Wohlfahrtspflege kann hier im Einzelnen nachgezeichnet werden. Detaillierte historische Entwicklungen sind bei KAISER (1993), SACHßE (1995) und SACHßE und TENNSTEDT (1988) nachzulesen. Zur Geschichte der einzelnen Wohlfahrtsverbände vergleiche auch BAUER (1978), FLIERL (1992) sowie die Fallstudien in ANGERHAUSEN et al. (1998). <zurück>

8) Begünstigt wurde dieser Prozess noch durch den sogenannten Subsidiaritätsstreit der 1960er Jahre (vgl. MÜNDER & KREFT 1990), in dem gegen die im Bundessozialhilfe- und Jugendwohlfahrtsgesetz formulierte Vorrangstellung der freien gegenüber der öffentlichen Wohlfahrtspflege von einigen sozialdemokratisch regierten Städten erfolglos geklagt wurde. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte in seinem Urteil von 1967 die Verfassungskonformität der prioritären Stellung freigemeinnütziger Leistungsanbieter, die seitdem im bundesdeutschen Sozialstaat festgeschrieben ist (vgl. ANGERHAUSEN et al. 1998). <zurück>

9) Aufgrund ihrer Multifunktionalität werden Wohlfahrtsverbände und selbstorganisierte Initiativen und Vereine auch mit dem Forschungskonzept der "intermediären Organisation" – zwischen Staat, Markt und Privathaushalten – untersucht (vgl. EVERS 1990; OLK 1995). In einer anderen theoretischen Perspektive werden sie auch als Organisationen des "Dritten Sektors" bezeichnet (vgl. ANHEIER & SEIBEL 1990; ZIMMER & SCHOLZ 1992). Zur Abgrenzung dieser beiden Ansätze vgl. BACKHAUS-MAUL und OLK (1992). <zurück>

10) MIETHE (2000, S.172) weist darauf hin, dass die Kirchen nicht "der Hort der Opposition" gewesen seien, als der sie in der heutigen Forschung oftmals dargestellt werden, da das Verhältnis zwischen Kirchenleitungen, Gemeinden und oppositionellen Gruppen durchaus auch gespannt sein konnte. Dennoch bot vor allem die evangelische Kirche einen nicht-staatlichen Raum für Versammlungen und Diskussionen. Aus diesem Grund spricht LEMKE (1991) etwa von einer netzwerkartig strukturierten "Gegenöffentlichkeit", wohingegen NEUBERT (1997) den Begriff der "Halböffentlichkeit" verwendet. <zurück>

11) Im Unterschied zur katholischen Kirche, die sich als Minderheitenkirche bis in die 1980er Jahre hinein im Hintergrund hielt, versuchte die evangelische Kirche eine gesellschaftlich aktivere Rolle einzunehmen und mit der DDR-Führung zu verhandeln (vgl. POLLACK 1993). <zurück>

12) Detaillierte Angaben zu den beiden konfessionellen Trägern Diakonie und Caritas in der DDR, etwa über Art und Umfang sozialer Einrichtungen und Dienste, zum Fachpersonal oder zur Organisationsstruktur sind nachzulesen bei ANGERHAUSEN et al. (1998). <zurück>

13) Orts- und Namensangaben wurden anonymisiert. <zurück>

14) Es würde jedoch den Rahmen dieses Artikels sprengen, die Fallrekonstruktionen ausführlich vorzustellen. Detaillierte hermeneutische Fallrekonstruktionen zu jedem Typus sind nachzulesen bei SCHIEBEL (2003). <zurück>

15) Interpretationspunkte (vgl. FISCHER 1978) sind biografische Wendepunkte, die zur Reinterpretation des bisherigen Lebens führen und sowohl die Vergangenheit als auch die Gegenwart und den Zukunftshorizont verändern. Sie sind biografische Einschnitte, die die Lebensgeschichte in ein "Vorher" und ein "Nachher" spalten. Wolfram FISCHER hat für den letzten Interpretationspunkt in einer Biografie, der die Gegenwart von der Vergangenheit trennt, den Begriff der "Gegenwartsschwelle" (vgl. FISCHER 1978; FISCHER-ROSENTHAL 1995) geprägt. Werden diese Wendepunkte als biografisch relevante Einschnitte in die Lebensführung erlebt bzw. retrospektiv als solche interpretiert, wirken sie sich gestaltbildend auf die erzählte Lebensgeschichte aus (vgl. ROSENTHAL 1995). <zurück>

16) Hierin drückt sich die mit latenten Wandlungsverläufen verbundene Schwierigkeit für das Subjekt aus, die eigene Veränderung zu spüren. Es bedarf einer Art Schlüsselerlebnis oder eines Prozesses der Bewusstwerdung, um rückblickend den eigentlich schon seit längerem schwelenden lebensgeschichtlichen Wandel zu bemerken (vgl. STRAUSS 1968). <zurück>

17) Weder die Wohlfahrtsverbandsgeschäftsführerinnen noch die in der Sozialverwaltung tätigen ostdeutschen Frauen gehören der gleichen Berufsgruppe an wie etwa in den westdeutschen Ländern der Bundesrepublik, wo in diesen Feldern der Sozialen Arbeit vielfach Sozialarbeiter/innen oder Sozialpädagog/inn/en anzutreffen sind. <zurück>

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Zur Autorin

Martina SCHIEBEL (Dr. disc. pol.), Studium der Soziologie in Bielefeld, Promotion an der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Georg-August-Universität in Göttingen. Arbeitsschwerpunkte: Interpretative Sozialforschung, Biografieforschung, Biografie und Institution, Professionalisierung, politische Biografien, Biografie und Ideologie, DDR/Transformation

Kontakt:

Dr. Martina Schiebel

Universität Bremen
Fachbereich 09 - Kulturwissenschaften
Wissenschaftl. Mitarbeiterin und Projektleitung im DFG-Projekt: "Politische Biographien im Generationsverlauf 1945-1968. Politisches Handeln und Prozesse der Sanktionierung und Inhaftierung in Ost- und Westdeutschland“
Enrique-Schmidt-Straße 7
D-28359 Bremen

Tel.: 0421/218-67651

E-Mail: schiebel@ibl.uni-bremen.de

Zitation

Schiebel, Martina (2008). Vagheiten und Visionen. Biografische Professionalisierungsprozesse bei Frauen in Leitungspositionen in der ostdeutschen Wohlfahrtspflege [74 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 9(1), Art. 43, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs0801438.

Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research (FQS)

ISSN 1438-5627

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