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Volume 23, No. 2, Art. 2 – Mai 2022

Zum politischen Anspruch der Oral History. Über das epistemische Schweigen und die ontologische Taubheit der Mehrheitsgesellschaft

Nicole L. Immler & Éva Kovács

Zusammenfassung: Zuhören ist die Kunst derer, die Oral History ausüben. Doch hören wir, was uns erzählt wird? Und können wir die Stimmen jener, die wir interviewt haben, adäquat (re)präsentieren? Dieser implizite politische Anspruch der Oral History wird in diesem Artikel mithilfe empirischer Fallstudien kritisch befragt. Anhand von Interviewsammlungen zur niederländischen (post)kolonialen Geschichte und zur Geschichte der ungarischen Roma wird gezeigt, wie das zu untersuchende gesellschaftliche Phänomen bereits in der Forschungssituation selbst sichtbar wurde, dass nämlich Lebenserzählungen marginalisierter Randgruppen stets auch von der Wissensproduktion der Mehrheitsgesellschaft abhängig waren. Wir untersuchen die Dynamik zwischen den Interviewer*innen und den Interviewten, um zu verdeutlichen, welches Framing es uns erlaubt, Stimmen (nicht) zu hören, und wir analysieren damit das epistemische Schweigen und die ontologische "Taubheit" einer Gesellschaft. Als Resümee werden alternative methodische Zugangsweisen aufgezeigt und es wird dafür plädiert, dass partizipative Forschung auch epistemische Forschung sein muss. Unser zentrales Anliegen ist es nicht, das "Fremde", sondern das "Eigene" und dessen ontologische Ausschlussmechanismen deutlicher zu markieren und als wichtiges zukünftiges Forschungsfeld auf die Agenda zu setzen.

Keywords: Oral History; Framing; epistemic injustice; Biografieforschung; othering; subaltern studies; Roma-Genozid; niederländische Kolonialgeschichte; Ungarn

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Methodologische und theoretische Vorüberlegungen

2.1 Framing

2.2 Epistemische Gewalt – eine Stimme geben oder aneignen?

2.3 Selbstreflexivität als Methode

3. Niederländische Kolonialgeschichte und ihre "Exzesse"

3.1 Ich höre nicht, was ich nicht sehe – die historische Dekolonisationsforschung in den Niederlanden

3.2 Ich habe doch zitiert – zur ontologischen Taubheit

4. "Ich höre nicht, was ich mir nicht vorstellen kann" – die sogenannte soziologische "Zigeunerforschung" von 1971 in Ungarn

4.1 Die nicht in Anspruch genommene Erfahrung: der Roma-Genozid

4.2 Die Gewalt des Epistemischen

4.3 Chancen und Grenzen von Selbstreflexivität – Ungarns soziologische Gedächtnisforschung 40 Jahre später

5. Zusammenfassung: zum politischen Anspruch der Oral History

6. Epilog: mehr partizipative und somit epistemische Forschung

Danksagung

Anmerkungen

Literatur

Zu den Autorinnen

Zitation

 

1. Einleitung

Unter dem Schlagwort der "Krise der Repräsentation" (BERG & FUCHS 1993; CLIFFORD & MARCUS 1986) wurde in den letzten drei Jahrzehnten die Position der Interviewer*innen und die Politik dieser Position in feministischen und postkolonialen Theorien ausführlich diskutiert. Seit dem Erscheinen von bell HOOKS' "Talking Back" (1989) – definiert als: mit einer Autoritätsperson auf Augenhöhe sprechen – begann eine Bewegung in der Wissenschaft, subaltern voices (SPIVAK 1988) in den akademischen Debatten zu artikulieren, das sind jene Stimmen, die in hegemonialen Diskursen untergeordnet (bzw. unterdrückt) und deshalb kaum hörbar sind. Es wurde bisher jedoch weniger Aufmerksamkeit gelegt auf die methodologischen Konsequenzen des talking back. Wie können Forscher*innen in der Interviewsituation die Stimme der Subalternen hören und adäquat repräsentieren? [1]

Anhand ausgewählter Beispiele diskutieren wir ein zentrales Dilemma aus der Interviewpraxis: das epistemische Schweigen und die ontologische Taubheit einer Gesellschaft. Dabei meint Schweigen das, worüber Interviewte nicht reden können, weil sie keine Stimme haben oder keine Sprache, die gehört wird (BOTZ 2005; IMMLER 2013; KOVÁCS & SZÁSZ 2021), und Taubheit das, was die Mehrheitsgesellschaft nicht hören kann, weil die dominanten diskursiven Rahmen nicht erlauben zu hören, was eigentlich gesagt wird. [2]

Im Folgenden wird anhand eigener Interviewforschungen über die niederländische (post-)koloniale Geschichte und die Geschichte der ungarischen Roma dargestellt, wie das untersuchte gesellschaftliche Phänomen bereits in der Forschungssituation selbst sichtbar wurde. Wir zeigen an Interviewbeispielen, wie Lebenserzählungen und -erinnerungen Subalterner stets auch von der Wissensproduktion der Mehrheitsgesellschaft abhängig sind. Dies stellt eine ursprünglich zentrale Prämisse der Oral History-Forschung infrage, die darauf abzielte, jenen ohne Stimme eine Stimme geben zu wollen.1) [3]

Interviewforschungen beinhalten oft ein unbewusstes Framing, das ein solches Schweigen und eine solche Taubheit (re)produziert. Durch die Theorie der Rahmenanalyse (GOFFMAN 1977 [1974]) werden Fragen von Macht- und Repräsentationsverhältnissen in den besprochenen Interviewsammlungen adressiert. Indem wir zeigen, wie diese Framings in den Interviews fortwirken, möchten wir die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen des Einbringens subalterner Erfahrungen in einen herrschenden gesellschaftlichen Diskurs thematisieren. Damit hoffen wir, einen Beitrag zur kritischen Ausleuchtung des Verhältnisses zwischen Wissenschaft und politischem Aktivismus zu leisten. [4]

Wir beginnen mit einer Beschreibung der methodologischen und theoretischen Ausgangsprämissen von Oral History, vor allem der Frage, wie Framings und die Position der Forscher*innen Interviewsituationen beeinflussen (Abschnitt 2). Dann folgt die Darstellung der Daten aus zwei Interviewsammlungen zur niederländischen (post)kolonialen Geschichte (Abschnitt 3) und zur Geschichte der ungarischen Roma (Abschnitt 4), in welchen die Dynamik zwischen Interviewer*innen und Interviewten analysiert wird mit Bezug auf die gesellschaftlichen und wissenschaftliche Framings, die mitbestimmen, was (nicht) gehört und dann auch (nicht) repräsentiert wird. In der Zusammenfassung (Abschnitt 5) wird gezeigt, wie Lebenserzählungen marginalisierter Randgruppen stets auch von der Wissensproduktion der Mehrheitsgesellschaft abhängig sind. In Abschnitt 6 besprechen wir alternative methodische Zugangsweisen, bei denen partizipative Forschung auch als epistemische Forschung verstanden wird. [5]

2. Methodologische und theoretische Vorüberlegungen

Das Bahnbrechende an der Oral History war – als sie sich als wissenschaftliche Disziplin in den 1970er Jahren manifestierte – die Geschichte(n) der Underdogs, der "Subalternen" einer Gesellschaft zu sammeln, um denen, die keine Stimme hatten, eine Stimme zu geben, aber auch um zu dekonstruieren, wie Geschichte von "oben" gemacht wurde. In den Worten von Lutz NIETHAMMER: "Eine demokratische Zukunft bedarf einer Vergangenheit, in der nicht nur die Oberen hörbar sind" (1980, S.7; vgl. auch EHALT 1984) Darüber hinaus galt der sogenannte "Enttypisierungsschock" (NIETHAMMER 1985, S.410) als besonders Erkenntnis stiftend, also die Erfahrung, dass Oral History-Interviews Raum schufen für subjektive Erfahrungen jenseits typisierter Erwartungshaltungen von Wissenschaftler*innen, etwa im Sinne einer klassentheoretisch, gender- oder gruppenspezifisch verstandenen sozialen Realität. Oral History galt/gilt als Methode, mit der gezeigt wird, wo und wie sich geschilderte Lebenswirklichkeiten gängigen wissenschaftlichen Beschreibungskategorien widersetzen. [6]

Oral History folgt in ihrer Gründungsidee dem demokratischen Ideal, dass jeder und jede eine Stimme haben soll. Folglich liegt gerade im Zuhören die besondere Qualität von Oral History, indem durch das Erzählen selbst eine Stimmermächtigung stattfindet – eine Stimme auch erst gefunden wird. Dennoch bleibt die Frage: Hören wir, was uns von den Interviewten erzählt wird? Können wir auf adäquate Weise die Stimmen jener repräsentieren, die wir interviewt haben? Hat Oral History noch immer den politischen Effekt, den man sich von einer in diesem Sinne egalisierenden, demokratisierenden Geschichtsschreibung versprochen hatte? Und welche Impulse können aus Interviewforschungen für gesellschaftliche Debatten erwachsen? [7]

Die Idee zu diesem Aufsatz entstand in mehreren Gesprächen, in denen wir unsere Erfahrungen mit Oral History besprochen und dabei ein geteiltes Unbehagen entdeckt haben: Der Trend, geradezu obsessiv zu sammeln, zu archivieren und zu digitalisieren, hat Fragen zur Interviewmethodologie, zum ontologischen Status des Archivs sowie zum Politischen in der Oral History oft an den Rand gedrängt. Wird über Forschungspolitiken und -praktiken genug gesprochen und – das scheint uns am wichtigsten – werden die Stimmen der Befragten auch wirklich gehört? [8]

Um zu betonen, wie eng beide Aspekte – der archivalische und der politische – miteinander verflochten sind, möchten wir zunächst an FOUCAULTs (1972 [1969]) Konzept des Archivs erinnern: Das Archiv ist nicht nur eine Ansammlung von Texten, die zu einer einzigen diskursiven Formation gehören, sondern verkörpert auch die Gesetze oder Regeln, nach denen archiviert werden soll. Das Archiv ist bei FOUCAULT kein statisches System, keine Ansammlung von Aussagen über eindeutige Ereignisse, sondern eine Summe von Beziehungen, ein dynamisches System der Bildung und Transformation von Aussagen. Die zeitgenössischen Debatten über kulturelles Erbe zeigen, wie durch Erinnerungspolitik mittels Archivierung die (europäische) Gesellschaft neu definiert und wie durch Mechanismen der Inklusion und Exklusion Wissenshierarchien gesteuert werden. Mit anderen Worten: Das Oral History-Archiv über Randgruppen ist der Ort, an dem sich die Erinnerung in einer historischen bzw. institutionellen Gewalt materialisiert und damit sichtbar wird. [9]

Wir bringen in diesem Artikel unsere beiden Disziplinen Geschichte und Soziologie zusammen, weil diese Interdisziplinarität es zu zeigen erlaubt, wie auch das Reden selbst konstitutiv für ein Verschweigen seitens der Mehrheitsgesellschaft ist. Um zu verstehen, was Personen einer marginalisierten Randgruppe erzählen, ist es notwendig, mit der Positionierung dieser Gruppe und mit ihrer Geschichte vertraut zu sein; nur so lässt sich erkennen, was deren Mitglieder erzählen können und könnten. Verstehen konstituiert sich aus dem Spannungsfeld zwischen dem Wissen darüber, was in der Vergangenheit geschehen ist, und dem, was heute als wichtig erfahren wird; es ist auch das Spannungsfeld zwischen marginalisierten Lebenswelten und dominanten gesellschaftlichen wie wissenschaftlichen Ordnungssystemen. Während Soziolog*innen meist wenig Aufmerksamkeit für die Vergangenheit und Geschichtswissenschaftler*innen häufig wenig Aufmerksamkeit für die politische Dimension des eigenen historiografischen Arbeitens haben, erscheint es uns gerade im Kontext jüngerer Debatten – etwa in Bezug auf Partizipation (z.B. BERGOLD & THOMAS 2012; WILLIAMS 2019) oder in der postkolonial informierten empirischen Sozialforschung (BOGNER & ROSENTHAL 2014; PLODER 2009; SIOUTI 2018) – im Feld der Oral History wichtig, dieses disziplinäre Spannungsfeld noch intensiver auszuloten, wenn wir das Verhältnis zwischen Forschungsfeld, Feldmitglied und Forschenden (BREUER 2011) noch besser verstehen wollen. [10]

Wir stellen zwei Interviewprojekte vor, beide auf ihre Weise Teil einer verspäteten Aufarbeitung des Zweiten Weltkrieges, denn ihr Gegenstand waren lange unsichtbar gebliebene Opfergruppen: die Roma und die im Dekolonisationskrieg getöteten kolonialen Untertan*innen – beide auf ihre Art "zweite Klasse Bürger*innen" unserer europäischen Gesellschaft. Während es sich bei der ersten Fallstudie um selbst geführte Interviews im Kontext jüngst stattgefundener Gerichtsprozesse um die Anerkennung von kolonialem Unrecht handelt, geht es bei der zweiten Fallstudie um die Sekundäranalyse von Interviews aus zwei Interviewkollektionen mit Roma-Interviewten im Kontext des soziologischen Arbeitens und Wissens der 1970er und 2010er Jahre. An beiden Beispielen wollen wir anhand archivierter Sammlungen zentrale Herausforderungen von Oral History aufzeigen, diese jedoch nicht nur als methodologische oder theoretische, sondern auch als gesellschaftliche oder diskursive Herausforderungen diskutieren. [11]

2.1 Framing

Das theoretische Konzept, mit welchem wir beide Beispiele in diesem Zusammenhang besprechen, ist Framing; die Einbettung von Ereignissen und Themen in Deutungsraster, und zwar das epistemische Framing: welche Bedingungen erklären Wissen zu Wissen bzw. das ontologische Framing: in welcher Art und Weise werden die Welt und die in ihr enthaltenen Dinge wahrgenommen und eingeordnet (GOFFMAN 1977 [1974). Dieser Akt der Rahmung ist ein Leitbegriff des Soziologen Erving GOFFMAN. Ihm folgend ist es das Ziel einer Rahmenanalyse, "einige der grundlegenden Rahmen herauszuarbeiten, die in unserer Gesellschaft für das Verstehen von Ereignissen zur Verfügung stehen, und ihre besonders schwachen Punkte zu analysieren" (S.18). Es sind Deutungsmuster oder Interpretationsschemata, die an sich bedeutungslose Elemente eines Ereignisses zu etwas Sinnvollem machen. Die Bedeutungszuschreibung wird durch die Rahmungen vorgenommen. Rahmen bzw. Rahmungen ermöglichen derart "die Lokalisierung, Wahrnehmung, Identifikation und Benennung einer anscheinend unbeschränkten Anzahl konkreter Vorkommnisse, die im Sinne des Rahmens definiert sind" (S.31). Das Interview wird damit nicht bloß als Text betrachtet, sondern auch als eine inszenierte Aufführung (DEPPERMANN 2013). [12]

Interviewforschungen haben – wie alle anderen sozialwissenschaftlichen Forschungen auch – ein unbewusstes und unsichtbares Framing, durch das Leerstellen produziert werden. Was ist Interviewer*innen aufgrund der eigenen Standortgebundenheit, sozial, historisch, politisch oder konzeptionell gesehen schwierig zu sehen? Auf welches Wissen können sie zurückgreifen und auf welches nicht? Kann eine Geschichte erzählt werden, wenn die Sprache (also auch der öffentliche Diskurs) dafür (noch) nicht vorhanden ist? Was erlaubt dieses Framing – in welchem wir selbst operieren – zu sehen und was nicht? Worüber wird geschwiegen? [13]

2.2 Epistemische Gewalt – eine Stimme geben oder aneignen?

Forscher*innen sprechen von anderen, aber auch für andere. Auch wenn das Gegenüber zitiert wird, sind es die Autor*innen, die die Lesart festlegen. Das trägt die Gefahr in sich, wie es Gayatri SPIVAK (1988, S.280-281) nannte, eine Form der "epistemic violence" auszuüben bzw. zuzufügen: die Unterdrückung der Stimme eines oder einer Anderen durch die Überschreibung mit der eigenen Wahrnehmung. Miranda FRICKER (2007) sprach von einer "epistemic injustice": eine Ungerechtigkeit, die das Wissen selbst betrifft, ein System, durch welches Ausschlussmechanismen und Leerstellen, Verzerrungen und Falschdarstellungen, ebenso wie Hierarchien kreiert werden und zumeist der eigene Wissensstandort priorisiert wird. Sie unterschied dabei zwischen zwei Typen der epistemischen Ungerechtigkeit: Die "testimonial injustice" (S.9-29) bedeute, Gesprächspartner*innen weniger Glaubwürdigkeit zuzugestehen als sich selbst oder anderen aufgrund von gewissen Identitätsmarkern wie Gruppenzugehörigkeit, die mit (oft unbewussten) Vorurteilen verknüpft seien. Dagegen wirke die "hermeneutical injustice" (S.147-175) eher indirekt und strukturell. Sie bezog sich darauf, dass bestimmte soziale Erfahrungen (wie Rassismus oder Sexismus) aufgrund eines strukturellen Vorurteils oder des Fehlens einer Sprache bzw. des Fehlens von Wissen dem kollektiven Verständnis entzogen würden; es handele sich also um eine fehlende Verständlichkeit mit systemischen Ursachen. [14]

Dieser Gefahr des Missverstehens, der Fehlinterpretation und Falschrepräsentation sind sich viele Oral-Historiker*innen seit den 1980er Jahren zunehmend bewusst (PORTELLI 1991; THOMSON, FRISCH & HAMILTON 1994; VON PLATO 2000); viele Denkansätze zum Thema Wissenshierarchien und Stimmen zurückgeben kamen aus der postmodernen und postkolonialen Theorie sowie der Genderforschung und den Traumastudien. Gleichzeitig haben Wissenschaftler*innen wie Gayatri SPIVAK (1988) immer wieder darauf verwiesen, dass eine Stimme zu geben immer auch die Gefahr in sich berge, sich diese Stimmen auch (erneut) anzueignen (siehe auch SULLIVAN & TUANA 2007). Dies könne dazu führen, dass Interviewer*innen statt dem Forschungssubjekt Handlungsmacht (agency) und Anerkennung erhielten. [15]

Die Frage "how can the subaltern be heard?" (SPIVAK 1988) spielt eine zentrale Rolle für Historiker*innen, Wahrheitskommissionen oder auch vor Gericht, einem Ort, an dem Marginalisierte zwar zunehmend eine Stimme bekommen, aber oft keine Kontrolle über deren Repräsentation, Interpretation und Verbreitung haben.2) So fragte Paul GREADY: "(W)hat happens when testimony, often initially embedded in relationships of immediacy and even intimacy, goes public and global?" (2013, S.240) Und er betonte: "The right to narration is not merely the right to tell one's story, it is the right to control representations" (S.242). Die Herausforderung für Autorinnen und Autoren sei es, die Stimmen wiederzugeben, ohne die Hegemonien zu duplizieren, die die Marginalisierten wiederum sprachlos machten.3) Dieses Dilemma werden wir anhand zweier kürzlich zugänglich gemachter Oral History-Kollektionen illustrieren. [16]

2.3 Selbstreflexivität als Methode

Damit schließen wir in diesem Artikel an Debatten an – geführt unter anderem in Journalen wie BIOS oder FQS – in denen sich Forscher*innen mit der biografischen Methode und kommunikativer Tradierung (DAUSIEN 2013; KOHLI 2013; ROSENTHAL 2016; WELZER 1998) und dem unreflektierten Neutralitätspostulat der qualitativen Sozialforschung auseinandersetzten, indem sie beispielsweise Selbstreflexivität als Methode besprachen (JENSEN 2000; JENSEN & WELZER 2003). Ihr zentrales Argument: Es gehe nicht allein darum, den "Forschern Selbstreflexivität abzuverlangen [...], sondern die Reflexivität in die Methoden selbst einzubauen" (JENSEN & WELZER 2003, §58). In der Methodik der hermeneutischen Dialoganalyse sei dies gewährleistet (JENSEN 2000), da hier ein Verhältnis von Sprechen/Interaktion zu gesellschaftlichen Rahmungen formuliert werde, durch das deren Einbezug reflektiert und damit auch kontrolliert werde. [17]

Wir fragen: Inwiefern muss eine solche hermeneutische Methode – an sich ein klassisches Instrument der Oral History, um die Interviewer*in-Interviewte-Dynamik zu untersuchen – nicht noch stärker gesellschaftlich eingebettet werden? Nachfolgend untersuchen wir anhand von zwei Interviewsammlungen – zugespitzt auf "kommunikative Irritationen" im Forschungsverlauf (PLODER 2009, §1) – die Dynamik zwischen Interviewer*innen und Interviewten, um zu verdeutlichen, welches Framing uns erlaubt, welche Stimme (nicht) zu hören. Am Ende wollen wir alternative methodische Zugangsweisen für eine postkolonial inspirierte Oral History aufzeigen (PLODER 2009; REUTER & VILLA 2010). Wir werden argumentieren, dass partizipative Forschung auch eine epistemische Forschung sein sollte, um nicht nur das "Fremde", sondern vor allem auch das "Eigene" und dessen ontologische Ausschlussmechanismen deutlicher zu zeigen. [18]

3. Niederländische Kolonialgeschichte und ihre "Exzesse"

3.1 Ich höre nicht, was ich nicht sehe – die historische Dekolonisationsforschung in den Niederlanden

In diesem Artikel teilen wir zuerst ein Repräsentationsdilemma aus einem Forschungsprojekt der jüngsten Zeit zur niederländischen Kolonialgeschichte. In der Interviewstudie "Narrated Injustice" (2014-2016), situiert am NIOD-Institut für Kriegs-, Holocaust- und Genozid-Studien in Amsterdam, wurden mittels qualitativer, semi-strukturierter biografischer Interviews die persönlichen Erfahrungen von Betroffenen mit jüngsten Formen der Anerkennungs- und Entschädigungspolitik in Bezug auf Holocaust, Kolonialismus und Sklaverei untersucht. Die Interviewkollektion umfasst drei Fallstudien und insgesamt 52 Interviews, qualitative Interviews selektiert nach dem Schneeballverfahren (NISSIM & TAMAR 2011) mit Betroffenen, Familienmitgliedern und Aktivist*innen (IMMLER 2017). Die hier thematisierten Interviews der Fallstudie Indonesien/Kolonialgeschichte betreffen laufende Gerichtsverfahren am Zivilgericht in Den Haag über Verbrechen seitens des niederländischen Militärs im indonesischen Unabhängigkeitskrieg von 1945 bis 1949. Es sind Interviews mit indonesischen Überlebenden sowie ihren Repräsentant*innen in Holland (índonesische Diaspora), die um ihre Anerkennung in den Niederlanden streiten und damit zugleich für die Sichtbarkeit der Kolonialgeschichte und des kolonialen Erbes. Diese Interviewsammlung umfasst 28 Interviews mit Prozessbeteiligten und Angehörigen. Die Interviews, geführt mithilfe einer Übersetzerin und einer Fotografin, umfassen acht Familien in Java, dreizehn in Sulawesi und sieben Aktivist*innen. Sie sind deponiert bei DANS, dem digitalen Archiv der Königlichen Niederländischen Akademie der Wissenschaften (a.a.O.) und wurden ausgewertet mittels narrativer Analyse (IMMLER 2018a, 2018b). [19]

Der niederländische Staat hatte "seine" Kolonie Niederländisch-Indien, die im 17. Jahrhundert annektiert worden war, im Zweiten Weltkrieg (1942) an die japanischen Besatzer*innen verloren. Nach der Kapitulation Japans am 17. August 1945 erklärte Indonesien seine Unabhängigkeit. Um die alte Ordnung wiederherzustellen, versuchte das niederländische Militär in einem vierjährigen Rekolonialisierungskrieg (euphemistisch "Polizeiaktionen" genannt, SCAGLIOLA [2012, S.421]), den früheren Besitz zurückzuerobern. Im indonesischen Unabhängigkeitskampf (1945-1949), auch "Revolution" (CRIBB 1991) genannt, starben etwa 150.000 Indonesier*innen und 2.500 niederländische Soldaten (LIMPACH 2016, S.766-769). Nach Erlangen der indonesischen Unabhängigkeit flüchteten etwa 300.000 Indo-Europäer*innen in die Niederlande, das waren etwa 90 Prozent der damals als Niederländer*innen qualifizierten Personen in Indonesien (OOSTINDIE 2011, S.26). [20]

Obwohl die militärische Gewaltausübung in Niederländisch-Indien bereits während des Krieges sowohl der niederländischen Regierung als auch den Vereinten Nationen bekannt war, gab es trotz diverser Geständnisse von Veteranen, fotografischer Beweise, Zeugnissen von Opfern und wissenschaftlicher Arbeiten über den strukturellen Charakter der Gewalt (LIMPACH 2016; SCAGLIOLA 2012) keine größere öffentliche und politische Aufmerksamkeit für das Thema. [21]

Das änderte sich erst 2011 nach einem historischen Urteil des Zivilgerichts in Den Haag. Der Richter verpflichtete die niederländische Regierung, für ein Massaker im Dorf Rawagede in Westjava im Jahr 1947 Verantwortung zu übernehmen. Mit einer Entschuldigung seitens der niederländischen Regierung im Jahr 2013 und folgender individueller Entschädigungszahlungen wurde die niederländische Kolonialvergangenheit plötzlich zur lebendigen Gegenwart. Zahllose Klagen folgten, und von Jahr zu Jahr erweitern sich die Kategorien von Verbrechen, für welche sich die niederländische Regierung verantworten muss: erst Massenexekutionen (sogenannte "Exzesse"), dann Vergewaltigungen, zuletzt auch Folter (IMMLER 2018b, 2018c). Ohne die Anklageschrift in Den Haag hätten wir die Stimmen der indonesischen Frauen, deren Ehemänner von niederländischen Soldaten vor mehr als 70 Jahren in dem Dorf Rawagede (heute Balongsari) in Westjava exekutiert wurden, niemals gehört. Ibu Wanti binti SARIMAN, eine Witwe, war mit mehreren anderen Frauen aus diesem Dorf tausende Kilometer gereist, um den historischen Ereignissen vor Gericht ein Gesicht und eine Stimme zu verleihen. Warum blieben diese Stimmen so lange ungehört? [22]

In den Niederlanden stand über Jahrzehnte der Zweite Weltkrieg in Europa im Zentrum der Aufmerksamkeit, während der Krieg im Pazifik wie auch die (De-)Kolonisationsgeschichte lange ausgeblendet wurden. Jahrzehntelang kämpften die indo-europäischen und anderen (Re-)Migrant*innen, die nach der Unabhängigkeit Indonesiens 1945/1949 in die Niederlande emigriert waren, darum, sich in die niederländische Erinnerungskultur wie auch in die historische Forschung einzuschreiben. Das Thema Rückkehr und Aufnahme4) erhielt erst im Kontext der Anerkennungs- und Restitutionsfragen in den 1990er Jahren größere Aufmerksamkeit, als in historischen Studien zu diversen Kriegsopfern (inklusive postkolonialer Migrant*innen) gezeigt wurde, dass deren Aufnahme nach 1945 kalt und bürokratisch verlaufen war. Die Anerkennung dieser Versäumnisse in der unmittelbaren Nachkriegszeit resultierte im Jahr 2001 in diversen Entschädigungsmaßnahmen seitens der Regierung an die jüdische, indo-europäische und Roma-Gemeinschaft. In diesem Kontext wurden auch Interviewbestände angelegt, um die Post-1945-Migrationsgeschichte zu dokumentieren. Es ging vor allem um das Sammeln und Zugänglichmachen von neuen Quellen, denn zumeist waren die Interviews nicht integrierter Bestandteil der Forschung. In allen bis dahin in den Niederlanden verfügbaren Oral History-Sammlungen wurde die Migrations- und Exilerfahrungen festgehalten, indonesische Stimmen dagegen erhielten bis vor Kurzem wenig Aufmerksamkeit. [23]

3.2 Ich habe doch zitiert – zur ontologischen Taubheit

Am Zivilgericht in Den Haag wurden 2009 diese Stimmen erstmals öffentlichkeitswirksam. Im Anschluss beschreiben wir eine Episode aus der Rezeption dieser Interviewforschung, weil sie Einblicke gibt, "wer spricht" und "wer gehört werden will", und die Herausforderungen, die sich daraus für die Frage der Repräsentation von Interviews über koloniales Unrecht in postkolonialen Gesellschaften ergeben. Das Ziel dieser Interviewsammlung war es, die indonesischen zivilen Opfer von niederländischer Militärgewalt im indonesischen Unabhängigkeitskrieg bzw. niederländischen Rekolonisationskrieg, ihre Angehörigen und Repräsentant*innen in den Niederlanden hörbar zu machen. Die erzählten Geschichten zeigten, dass diese persönlichen Erfahrungen kollektiver Gewalt nicht nur in den Niederlanden, sondern auch in Indonesien bis dahin ungehört geblieben waren. Dort waren sie dem öffentlichen Diskurs der "Revolution" untergeordnet, in welchem allein die Helden des Freiheitskampfes, aber nicht dessen zivile Opfer Aufmerksamkeit erhielten. In diesem Artikel wird jedoch nicht besprochen, ob sich die indonesischen Opfer richtig verstanden fühlten, sondern ihre Repräsentant*innen in den Niederlanden, denn mit ihnen entstand die nachfolgend skizzierte "kommunikative Irritation" (PLODER 2009, §1). [24]

Diese Forschung hatte Aufsehen erregt, weil ein Artikel über diese Gerichtsverfahren und ihre sozialen Folgen (IMMLER 2018c; zur selben Fallstudie auf Englisch, IMMLER 2018a) den Low Countries History Award erhalten hatte. Nach der Preisverleihung auf den Historikertagen in Groningen im August 2019 wurden die Autorin und die Jury von Opfervertreter*innen semi-öffentlich5) kritisiert; im Jury-Urteil wie auch im Dankeswort der Autorin sei der Aktivist, der die Gerichtsverfahren initiiert hatte, nicht namentlich genannt worden, lediglich die Stiftung. In einem Konferenz-Retweet hieß es:

"Auf der Konferenz mit dem Thema 'Inklusion' erhält Immler einen Preis für einen Artikel über die Rawagede-Prozesse, OHNE die treibende Kraft hinter den Prozessen, den Indonesier Jeffry Pondaag, zu erwähnen! Wie integrativ ist es, die Bemühungen einer nicht-weißen Person zu ignorieren? Dies ist ein Paradebeispiel für die Auslöschung, den Ausschluss und die Vereinnahmung der Kämpfe von Nicht-Weißen."6) [25]

Jeffry PONDAAG, durch dessen Stiftung Comité Nederlandse Ereschulden der oben beschriebene Gerichtsfall "Rawagede" in Zusammenarbeit mit einer Menschenrechtsanwältin vor das Zivilgericht in Den Haag gebracht worden war und manche seiner Unterstützer*innen äußerten ihren Unmut auch gegenüber dem Tenor des Artikels: Die Autorin stehe nicht (mehr) auf ihrer Seite, weil sie den niederländischen Staat nicht deutlich genug kritisiere. [26]

Während in der niederländischen Geschichtswissenschaft vor allem die Bedeutung dieser gerichtlichen Auseinandersetzung für die Aufarbeitung der eigenen Kolonialgeschichte diskutiert wurde (LORENZ 2015; SCAGLIOLA 2012), war es das Anliegen von IMMLER (2018b, 2018c), auch die indonesische Seite zu zeigen: Wer waren die Opfer, was bedeutete ihnen und ihren Angehörigen diese Anerkennung, welchen Effekt hatte die finanzielle Entschädigungen für die Betroffenen? Es ging ihr darum, die Wirksamkeit dieser juristischen Maßnahmen aus der Perspektive der indonesischen Kläger*innen zu untersuchen und dabei nicht nur positive, sondern auch unbeabsichtigte Folgen in den Blick zu bekommen und so auch Grenzen aufzuzeigen, bei einem Zivilgericht koloniale Menschenrechtsverletzungen zu adressieren. PONDAAG dagegen sah sich vor allem selbst der Kritik ausgesetzt, da seine Methode hinterfragt wurde, mit der er "ein ungerechtes System bekämpft".7) Er forderte hingegen, dass die niederländische Regierung expliziter an den Pranger gestellt werde sollte ebenso wie deren Strategien, sich jeweils erneut aus der Verantwortung zu ziehen:

"Anstatt die mangelnde Bereitschaft der niederländischen Regierung zu kritisieren, wird die Frage gestellt, ob es eine so gute Idee war, vor Gericht zu gehen. Was hätte ich dann tun sollen? [...] All diese Briefe, die ich in der Vergangenheit verschickt habe, die unzähligen Gespräche, auch mit Politikern, haben nie Wirkung gezeigt. Die Klagen waren ein Notfall, um die Niederlande mit der Nase auf die Tatsachen zu drücken." [27]

Obwohl IMMLER in ihrem Artikel den Streit des Aktivisten um Anerkennung und den gleichbleibenden Widerstand des Staates behandelt und gezeigt hatte, wie die Gerichtsverfahren (allein durch das große Engagement seiner Stiftung ermöglicht) die öffentliche Erzählung in den Niederlanden über den Entkolonialisierungskrieg erfolgreich infrage gestellt hatte, sah PONDAAG sich von der Wissenschaft doch nicht gehört. Während IMMLER davon ausging, dass der Preis nicht nur ihr, sondern auch PONDAAG und seinen Unterstützer*innen Anerkennung zollte, erlebten die Aktivist*innen es anders: Sie fanden, dass die Forscherin im Licht stand und sie als Forschungssubjekte im Schatten und kritisierten die Autorin, diejenigen, die den Streit geführt hatten, nicht ausreichend gewürdigt zu haben. Sie sahen sich selbst – obwohl zentrale Protagonist*innen im Artikel – systematisch negiert, man könnte sagen reduziert auf "Zulieferant*innen" der Wissenschaft, während ohne sie diese Forschung nicht zustande gekommen wäre: "Wer hat die Witwen in Kontakt gebracht mit einer niederländischen Menschenrechtsanwältin?" Es sei die Pflicht der Autorin, "die Zuhörer richtig zu informieren". Was nütze die neue Aufmerksamkeit, argumentierten sie, wenn das Publikum nicht richtig aufgeklärt werde: So werde zwar gesagt, dass die Klagen dazu geführt hätten, dass die Regierung ein großangelegtes Forschungsprogramm finanzierte8); es sei jedoch nicht explizit genug gesagt worden, dass sie jenes Programm als unzureichend kritisiere noch dass die dieselbe Regierung weiterhin die Ansprüche vieler Opfer kontinuierlich ablehnte. [28]

Während der Artikel (und die Danksagung der Autorin nach dem Urteil der Jury) es also ausdrücklich zum Ziel hatte, die Stimmen der indonesischen Witwen in der holländischen Debatte sichtbarer zu machen, sahen sich deren Repräsentant*innen, die diesen Opfern im Gerichtssaal eine Stimme gegeben haben, nicht beachtet und nicht gehört. Inwieweit hat dieses "nicht gehört werden" auch mit den verschiedenen gesellschaftlichen wie akademischen Framings zu tun? [29]

3.2.1 Zum Interview-Framing

Die Tatsache, dass alle Interviewten in der einen oder anderen Form Prozessbeteiligte waren, ist ein Faktor, der die Interviews maßgeblich beeinflusst hat. Waren jene Gespräche auch als Oral History-Interviews angelegt, so waren häufiger weniger die Lebensgeschichte als vielmehr Zeitzeug*innenschaft und Wahrheitsfindung zentrale Aspekte. Daneben formte auch der soziale Ort der Interviews das Gespräch. [30]

Die zwei Interviews mit dem Aktivisten Jeffry PONDAAG, die nacheinander im Abstand von drei Monaten geführt worden waren9), zeigen, wie sich das Verhältnis zwischen Interviewerin und Interviewtem sukzessive verschoben hat. Das erste Interview war noch eher ein Gespräch zwischen zwei Fremden: die Interviewerin (zugereiste Deutsche, sprach Holländisch mit Akzent) wurde von PONDAAG, der sich als indonesischer Migrant vorgestellt hatte ("Ich bin kein Niederländer; ich bin hier auf Besuch"; ebenfalls mit sprachlichem Akzent), in sein Zuhause eingeladen. Dort erzählte er die holländische Kolonialgeschichte – die gewaltvolle Anwesenheit der Niederländer in Indonesien und deren vielfältige Auswirkungen bis heute – anhand seiner umfangreichen Sammlung von Fernsehdokumentationen und Publikationen sowie eigener Erfahrungen. Es befanden sich hier zwei Außenseiter*innen im Gespräch, eine soziale Position, die verbindet. Das zweite Interview, situiert im NIOD-Institut für Kriegs-, Holocaust- und Genozid-Studien in Amsterdam, war hingegen das einer Wissenschaftlerin mit einem erfolgreichen Aktivisten, dem es gelungen war, historisches Unrecht in die breitere Öffentlichkeit zu bringen ("Wenn ich die Anwältin nicht gehabt hätte, wäre es nie so weit gekommen, dass ihr mich interviewt"). Das Gespräch wurde im Direktorenbüro geführt, um ihm mehr symbolisches Gewicht zu geben, wodurch auch die unterschiedlichen sozialen Positionierungen sichtbarer wurden. Diese Positionen hatten sich in der Auseinandersetzung rund um die Preisvergabe auf beiden Seiten weiter verfestigt. Sich in ihrem wissenschaftlichen Anspruch kritisiert fühlend, zog sich die Wissenschaftlerin zurück auf wissenschaftliche Grundsätze ("Ich habe doch zitiert", verweisend auf die Interviews, die als Quellen im Text und in den Fußnoten genannt waren), während sich der Aktivist mehr Anerkennung für seine Leistungen wünschte, eine dezidiertere Identifikation mit den Opfern und ihren Vertreter*innen und vor allem eine deutliche Distanzierung von der niederländischen Regierung und ihren Praktiken beispielsweise in Form einer direkten Beschuldigung. Wurde die Wissenschaftlerin anfangs noch als Unterstützerin dieser Anliegen gesehen, so veränderte sich nun die Wahrnehmung durch die öffentliche Anerkennung; sie wurde selbst zu einer Repräsentantin des bekämpften Establishments. [31]

Hier zeigen sich die Spannungen zwischen einer Forscherin, die Herausforderungen eines Forschungsfeldes (BREUER 2011) beschrieb, während der Aktivist, der sich praktischen Zwängen im Feld selbst ausgesetzt sah, sich falsch dargestellt und diskreditiert erlebte. Was aus der Perspektive der Forscherin ein Casus war, um offene Forschungsfragen zu untersuchen, stellte in den Augen der Betroffenen eine Diskreditierung der Beteiligten dar, weil ihr errungener Erfolg teils auch als ein Misserfolg dargestellt wurde. Während IMMLER (2018b, 2018c) die Möglichkeiten und Grenzen der juristischen Prozesse besprach mit dem Ziel, der Debatte weiterzuhelfen, wurde das seitens der Aktivist*innen als Kritik am eigenen Tun aufgefasst. Was ist aus dieser Erfahrung zu lernen? Wurden die Aktivist*innen von der Forscherin nicht gehört? Sind es die Genres "wissenschaftlicher Artikel", "Jury Rapport" und "Danksagung", die sich für eine Systemkritik wenig eignen? Ist es der Sachverhalt, einen Rechtsstreit nach dem anderen führen zu müssen, um gehört zu werden, der es nicht erlaubt, sich gehört zu fühlen? Oder ist es auch das diskursive Framing dieser Debatten, das nicht erlaubt, sich gehört zu wissen? [32]

3.2.2 Zum epistemischen Framing

In der niederländischen Öffentlichkeit und Geschichtswissenschaft dominiert seit 1945 ein nationales Framing die vergangenheitspolitischen Debatten. Beide, die Dynamik der Nationenbildung und die nationale Geschichtsschreibung, so betonen kritische Historiker*innen, hätten es erschwert, das menschliche Leid zu sehen und zu verstehen, welches durch die (de-)koloniale Gewaltgeschichte und die nachfolgenden Migrationsprozesse entstanden sei. Denn die imperiale Geschichte wie auch die Erinnerung daran seien "nationalisiert" worden und so Teil einer indonesischen oder einer niederländischen Geschichte geworden, mit wenig Wissen, Repräsentation und Verständnis für die jeweils andere Perspektive:

"After decolonisation, imperial narratives on colonialism were 'nationalised' [...] Common histories of imperialism became distinct histories of state formation and nation building [... this] has created new mechanisms of inclusion and exclusion, which silence human suffering in the process of state formation" (LEGÊNE 2014, S.100-101). [33]

Die imperiale Geschichte der Niederlande wird wegen der unterschiedlichen Staatsbürgerschaftsansprüche vor und nach der Kolonisation nicht als eine geteilte Vergangenheit erfahren. Dieses nationale Framing wird durch das juristische Framing der letzten zehn Jahre noch verstärkt: Indonesier*innen versus Niederländer*innen, ehemalige Kolonisierte gegen ehemalige Kolonialmacht, sogenannte Opfer versus Täter*innen im Gerichtssaal. Beide überschatten die eigentlichen Akteur*innen dieser Klagen, Vertreter*innen der indonesischen Diaspora in den Niederlanden. Während es augenscheinlich um einen Streit zwischen indonesischen Opfern und dem niederländischen Staat geht, geht es hier auch um eine postkoloniale Diaspora, die sich seit Jahrzehnten in den Niederlanden ungesehen, ungehört, unverstanden und vor allem nicht respektiert fühlt.

"Als ich 1969 als sechzehnjähriger Junge in den Niederlanden ankam, erzählte mir meine Familie, dass wir Indonesier Extremisten, Terroristen, Problemmacher seien und dass [Präsident] Sukarno ein Kollaborateur sei. Die Holländer werfen mir an den Kopf: 'Was machst du hier?' Meine Antwort lautet: 'Wenn ihr nicht dort gewesen wärt, wäre ich nicht hier!' Ich hatte meine Geschichte ganz anders gelernt!"10) [34]

Das lebensgeschichtliche Interview mit Jeffry PONDAAG zeigt komplexe und verwickelte Familienverhältnisse, die es eigentlich kaum erlauben, solche klaren nationalen Grenzziehungen zu treffen. Die Gleichgültigkeit von Politiker*innen, die Stereotypen im öffentlichen Diskurs, die Geschichtsvergessenheit bzw. "Geschichtsverfälschung", wie er es nannte, gaben ihm das Gefühl, ein Außenseiter zu sein, der um einen legitimen Platz in der niederländischen Geschichte und Gesellschaft kämpfen muss. Als Sohn eines indonesischen Vaters und einer niederländischen Mutter sei es schwierig gewesen, seine Identität einzuordnen; einerseits die "Rassenhierarchien" in Indonesien und in den Niederlanden, andererseits die Loyalitätskonflikte innerhalb der Familie, die teils für die indonesische Unabhängigkeit gekämpft hätten, während andere dem niederländischen Königshaus treu geblieben wären oder gar an der Niederschlagung des Unabhängigkeitskampfes mitgewirkt hätten. [35]

Während PONDAAG als Aktivist im öffentlichen Diskurs eine eindeutige Indonesier-Identität einnahm ("Ich will zeigen, was die Niederländer getan haben!"), lässt das Interview Zweifel ("Wer ist mein Vater?", "Wer bin ich?") und auch Mehrstimmigkeit sehen: Das "Ich" des Protagonisten umfasste vielfältige Identitäten; er zeigt sich als Indonesier und Indo-Europäer, als Teil einer Minderheit und als Privilegierter, als Diskriminierungsopfer und als Gerechtigkeitskämpfer, als einfacher Arbeiter, der schließlich doch eine Stimme in der öffentlichen Debatte bekam. Einige dieser Ich-Positionen, von denen aus er sprach und handelte, stünden in Konflikt miteinander, würden sie in der öffentlichen Debatte platziert.11) Während eines lebensgeschichtlichen Interviews existieren sie nebeneinander (ROSENTHAL 2016).12) [36]

Doch der Kampf um Anerkennung (HONNETH 1994) verlangt nach einer eindeutigen Gegenüberstellung eines imaginierten "wir" und "sie". Sich in den Klagen gegen den holländischen Staat als Indonesier zu positionieren, erlaubte es PONDAAG, eine eindeutige Identität einzunehmen. Das ist es, was SPIVAK (2008, p.260) strategic essentialism nannte: die Strategie eines positivistischen Essentialismus, der zu politische Zwecken funktionalisiert werde.13) Hier zeigt sich, wie der Prozess des nation-building ("wir" und "die") selbst durch diejenigen verfestigt wird, die ihn durch ihre komplexe Familiengeschichten eigentlich infrage stellen müssten. Der strategische Essentialismus bringt nämlich vielfältige komplex verstrickte andere Stimmen – charakteristisch für postkoloniale Diasporafamilien – zum Schweigen. Inwieweit tragen diese Aktivist*innen also auch zum Schweigen bei, insofern sie ihre eigene Vielstimmigkeit negieren? [37]

Nur mit einer Stimme zu sprechen ("Indonesier" versus "die Niederlande") war aus PONDAAGs Perspektive eine Entscheidung, um gehört zu werden, ein Akt der Emanzipation, der Stimmermächtigung, ein legitimes Mittel im politischen Streit, einem Streit, der Bedeutung und Sinnstiftung gibt. Gleichzeitig verstärkte diese Haltung eine gewisse Ethnisierung der Debatte, die ironischerweise auch der Anlass für die Gerichtsklagen war: Diese waren eine Reaktion auf einen politischen Diskurs, in dem die (koloniale) Vergangenheit und deren Erbe (Status-Hierarchien, Rassismen und othering) nicht als gesellschaftliche Realität kommuniziert und anerkannt wurden. Die Intention der Forscherin, diese Mehrstimmigkeit sichtbarer zu machen, kann auch gelesen werden als eine erneute Beschuldigung der Minderheit für "deren" Essentialismus, während jene damit lediglich auf das Verhalten der Mehrheitsgesellschaft, die als eine nicht (zu)hörende erfahren wurde, reagierte und agierte. [38]

Worin bestand nun die Aufgabe der Interviewerin und Autorin? Durfte sie die Mehrstimmigkeit in der Familiengeschichte, die sie im Gespräch hörte, auch in der öffentlichen Debatte einfordern, um die komplexe plurale Verfasstheit der postkolonialen Gesellschaft aufzuzeigen? Oder hat sie damit die politische agency des Aktivisten untergraben und ihm den symbolischen Gewinn verweigert, den diese Position mit sich bringt? Schließlich war es dieses Sprechen für ein deutlich klassifiziertes "Anderes", das den Aktivisten in der niederländischen Gesellschaft erst sichtbar machte. [39]

Was hat die Forscherin nun getan, um dem Protest der Aktivist*innen Rechnung zu tragen? Sie adaptierte den Artikel: Die Interviews mit ihnen wurden ausführlicher genannt, für ihre Unterstützung dieser Forschung wurde expliziter gedankt und durch einen persönlichen E-Mail-Wechsel wurde versucht, Missverständnisse auszuräumen. Doch der Graben blieb unüberbrückbar. Während aus der Perspektive der Forscherin das Schreiben über diesen Streit der Aktivist*innen gegen den Staat bereits als eine Positionierung erfahren wurde (nämlich als eine des Stimme Verleihens im wissenschaftlichen Feld), sahen die Aktivist*innen darin das Beharren auf einer neutralen Position. Sie wollten eine explizite Positionierung der Autorin, sie wollten hören, dass sie ihre Kritik gegenüber dem Staat "zu Recht" äußerten. Aus ihrer Sicht genügte es nicht, Interviewdatenbanken anzulegen oder durch die wissenschaftliche Arbeit für das Thema mehr öffentliche Aufmerksamkeit zu generieren. Was dies für die Oral History-Praxis und den politischen Anspruch der Oral History bedeutet, darauf kommen wir am Schluss zurück, wenn wir individuelles Verhalten und gesellschaftliche Situation noch stärker aufeinander beziehen. [40]

4. "Ich höre nicht, was ich mir nicht vorstellen kann" – die sogenannte soziologische "Zigeunerforschung" von 1971 in Ungarn

Vor dem Zweiten Weltkrieg betrug die geschätzte Zahl der Roma-Bevölkerung in Ungarn etwa 220.000 Personen. Die ethnische Gruppe lebte größtenteils schon sesshaft. Vorschriften, Strafverfolgung und Epidemiologie richteten sich hauptsächlich gegen die wandernden Gruppen. Die Roma wurden während des Zweiten Weltkrieges wie andere ungarische Männer zum Heeresdienst eingezogen. Erst nach der Machtübernahme der Pfeilkreuzler14) im Oktober 1944 begann die organisierte Ghettoisierung und Deportierung der Roma. Ihre Verfolgung in Ungarn blieb dezentral und unkoordiniert. Es gab weder eine zentrale Befehlsstruktur, noch war die Durchführung der Verfolgung einheitlich oder untereinander abgestimmt. Zwischen Juli 1944 und März 1945 kam es zu Zwangsarbeit, Internierung und Deportation nach Mauthausen, Dachau, Buchenwald und anderen Konzentrationslagern von 5.000 bis 10.000 ungarischen Roma. Von Oktober bis November 1944 fanden in einigen Komitaten große "Zigeunerrazzien" statt (KARSAI 1996, S.38). Die meisten Aktionen wurden von der ungarischen Gendarmerie durchgeführt. Das genaue Ausmaß der Verluste der Roma in Ungarn im Zweiten Weltkrieg, die Zahl der Deportierten und Vernichteten, lässt sich aufgrund des sporadischen und unvollständigen Quellenmaterials nicht exakt bestimmen. [41]

In der Nachkriegszeit sah das neue kommunistische System über die Verfolgung der Roma hinweg. Der kommunistischen Ideologie folgend, sollten sich die sozialen und ethnischen Ungleichheiten von selbst lösen. Die offizielle Politik der Integration der Roma in die sozialistische Wirtschaft und Gesellschaft diente der politischen Stabilisierung und wurde wegen des Bedarfs an Arbeitskräften im Zuge der landwirtschaftlichen Kollektivierung unterstützt. Trotzdem blieb der Lebensstandard der verschiedenen Roma-Gemeinschaften 20 Jahre nach Kriegsende noch immer deutlich schlechter als jener der Mehrheitsgesellschaft. Während des Staatssozialismus blieben die sozialen Grenzen auf lokaler wie gesamtgesellschaftlicher Ebene zwischen Nicht-Roma und Roma weitgehend sichtbar. Die verfestigten Vorurteile resultierten in einer Ausgrenzung aus der sozialistischen Gesellschaft, einer neuen Segregation. (MAJTÉNYI & MAJTÉNYI 2016). [42]

Im Jahr 1971 gab es die erste großangelegte, repräsentative soziologische Forschung über die Roma-Bevölkerung in Ungarn. Diese sogenannte "Zigeunerforschung" (KEMÉNY 1976) ging zurück auf den Beschluss des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei von 1961.15) In diesem Beschluss wurde die ideologisch überwundene Definition der Roma als "Kollektiv" auf ethnischer oder nationaler Grundlage durch eine soziale Definition ersetzt, was praktisch bedeutete, dass die Zugehörigkeit zur Gruppe der Roma fortan als vorläufiges soziales Problem der sozialistischen Gesellschaft aufzufassen sei. Dieses neue, positiv konnotierte Zivilisierungsnarrativ wurde durch alle Medien kommuniziert: Es hieß, das Leben der Roma habe sich verbessert, da ihre Kinder die Schule besuchten, die Erwachsenen neue Eigenheime errichteten und sich damit auch das Familienleben konsolidiert habe. Mit der Industrialisierung ging gleichzeitig eine Massenwanderung der Roma-Bevölkerung in die Industriestädte einher, ein Umstand, der von der sozialistischen Propaganda als gesellschaftlicher Aufstieg und als Verbesserung des Lebensstandards beworben wurde, um die alten Armutssiedlungen auflösen zu können. [43]

Dies stimmte jedoch nicht mit der gesellschaftlichen Wahrnehmung und dem damaligen Stand der soziologischen Forschung überein. Deshalb initiierte István KEMÉNY am Institut für Soziologie an der Ungarischen Akademie der Wissenschaften eine Studie zur Situation der Roma-Bevölkerung, in der diejenigen als Roma klassifiziert wurden, die von der Nicht-Roma-Umgebung als solche wahrgenommen wurden. Diese Definition umfasste weder diejenigen, die ihre Roma-Herkunft ablehnten, noch jene, die sich assimiliert hatten. In der Umfrage wurden zwei Prozent der Roma-Bevölkerung im Rahmen einer repräsentativen Stichprobe befragt, die Merkmale der größeren Population genau widerzuspiegeln. Da die Interviewpartner*innen durch lokale Institutionen der Mehrheitsgesellschaft (wie Gemeinderat, Kindergarten oder Schule) identifiziert wurden, wurde die Roma-Herkunft selbst bei denjenigen vorausgesetzt, die bereits im sozialen Sinne erfolgreich integriert worden waren. Es fehlten somit nur diejenigen im Sample, die schon vollständig assimiliert waren. Bei jeder zehnten Familie wurde auch ein lebensgeschichtliches Interview geführt. [44]

Die Ergebnisse der quantitativen Umfragen und deren politische und wissenschaftliche Konsequenzen können hier nicht diskutiert werden (siehe ausführlicher KEMÉNY & JANKY 2005; SZABARI 2017). Wir beschränken uns auf das nicht aufgearbeitete Nebenprodukt der "Zigeunerforschung", nämlich die Sammlung von 237 Interviews, die im 20. Század Hangja Archívum [Archiv der Stimmen des 20. Jahrhunderts] in den vergangenen Jahren digitalisiert und online gestellt wurden.16) [45]

4.1 Die nicht in Anspruch genommene Erfahrung: der Roma-Genozid

Obwohl der Fokus der halbstrukturierten qualitativen Interviews auf der aktuellen sozialen Lage, der Arbeitsplatzsituation und dem Bildungsniveau der Roma-Familien lag, bezogen sich einige der Interviewten auch auf ihre Erfahrungen aus den 1940er Jahren und legten damit Zeugnis über die Verfolgungen der Roma 1944/45 in Ungarn ab. 25 Jahre nach Kriegsende waren die Kriegserfahrungen in den Lebensgeschichten noch äußerst präsent. Viele Zeitzeug*innen lebten noch und konnten über ihr Leid erzählen. Da aber diese Erzählungen über die Verfolgungen der Roma den Interviewer*innen gänzlich unbekannt waren, haben sie diese Geschichten nicht wahrgenommen. Paradoxerweise ist das selbst in solchen Fällen geschehen, bei denen z.B. die Interviewerin aus einer jüdischen Überlebendenfamilie stammte. Die Geschichte des Roma-Genozids kam in den 1970er Jahren aus dem Nichts, selbst der Völkermord an den Juden und Jüdinnen hatte noch keinen eigenen Namen. Für das diskursive Framing dieses Beispiels ist bedeutsam, dass 25 Jahre nach dem Krieg, in der Zeit der ersten soziologischen Roma-Forschung, die Perzeption der Roma im Spannungsfeld oszillierte zwischen einerseits der offiziellen kommunistischen Propaganda (dem Zivilisierungsnarrativ) und andererseits den Alltagserfahrungen von struktureller sozialer Ungleichheit. Die Interviews konzentrierten sich auf die Erschließung der sozialen Situation der Roma-Bevölkerung und richteten sich damit auf Fragen der Gegenwart und Zukunft. Aus dieser Perspektive war die Kriegszeit bereits irrelevant. [46]

Die Interviews wurden damals kaum ausgewertet.17) Nach fast einem halben Jahrhundert wurden die in den Privatsammlungen der Forscher*innen aufbewahrten Interviews in dem "Archiv der Stimmen des 20. Jahrhunderts" gesammelt, katalogisiert, digitalisiert und in der Folge grob ausgewertet (SZÁSZ 2015). In den 2010er Jahren spielten Archive und Archivierung eine bedeutendere Rolle im Kampf um die Anerkennung sozialer Minderheiten als in den 1970er Jahren. In den 1990er Jahren existierten bereits mehrere historische Forschungen, um den Genozid der Roma aufzudecken. Das Thema der Roma-Verfolgung, des Leidens, des Widerstandes und der Resilienz während der NS-Zeit wurde von prominenten Protagonist*innen der europäischen Roma-Bürgerrechtsbewegung als gemeinsames Framing einer transnationalen Romapolitik anerkannt (KAPRALSKI 2013; MAJTÉNYI 2021; STEWART 2007). Im Jahr 2000 publizierte das ungarische Roma Press Center eine Interviewsammlung von 23 Überlebenden (BERNÁTH 2000), und Filmregisseur Ágota VARGA drehte zwischen 1998 und 2002 mehrere Dokumentarfilme über den Roma-Genozid. In ihrer Dissertation diskutierte Katalin KATZ (2002) weitere 57 selbst geführte Interviews. Für die Soziolog*innen des Archivs der Stimmen des 20. Jahrhunderts, welche mit der Katalogisierung und Digitalisierung der Sammlung im Jahr 2010 begannen, war die Geschichte der Roma während des Zweiten Weltkriegs also nicht mehr neu und auch nicht mehr peripher (KOVÁCS, LÉNÁRT & SZÁSZ 2014). [47]

Nach einer qualitativen Textanalyse der relevanten Interviews der sogenannten "Zigeunerforschung" zeigte es sich, dass – obwohl die Arten der Verfolgung der Jüd*innen und Roma durchaus unterschiedlich waren – sich die Lebenswege der verschiedenen Opfergruppen dennoch kreuzten. So waren ihre Leidenserfahrungen nicht nur ähnlich, sondern durchaus von Gemeinsamkeiten geprägt (SZÁSZ 2015). Hunger, Läuse und Typhus, der Moment der Befreiung, die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung, das Erlebnis der Heimkehr oder das Ausgeliefertsein von Frauen: Sie alle sind integraler Bestandteil sowohl der Holocaust-Erinnerungen der Jüd*innen wie auch der Roma (a.a.O.). Trotz dieser Dokumentation blieben diese Erzählungen zersplittert und marginal, Erzählfragmente, weil die Interviewer*innen nicht nur nicht nachgefragt, sondern sogar Themenwechsel initiiert hatten. Mitunter kam es dennoch vor, dass Erzählungen von Gesprächpartner*innen über ihre Verfolgung von anderen Familienmitgliedern ergänzt oder kommentiert wurden. Die Erfahrungen des Roma-Genozids waren demnach kein Tabu, sondern eine geteilte Erfahrung und eine lebendige Erinnerung innerhalb der intimen Roma-Gemeinschaften, die in Liedern, Anekdoten, Erzählungen und Märchen generationenübergreifendend weiterlebten. Der Mehrheitsgesellschaft blieben sie jedoch verborgen. [48]

4.2 Die Gewalt des Epistemischen

Die Rolle und Position der Interviewer*innen war im GOFFMANschen Sinne gerahmt, aber nicht reflektiert. Obwohl vom Roma-Genozid zum ersten Mal seit den Geschehnissen des NS-Völkermordes Personen, die nicht der engen Familie angehörten, erzählt wurde, fehlte den Interviewer*innen ein Ohr dafür zu verstehen, was ihnen hier eigentlich erzählt wurde. Sie reagierten oft nicht auf das Gehörte, sondern folgten dem soziologischen Interviewleitfaden, stellten Anschlussfragen, die in einen völlig anderen Zusammenhang gehörten und zogen damit die Interviewpartner*innen radikal in die Gegenwart zurück. [49]

In der klassischen qualitativen Sozialforschung in Ungarn gab es in den 1970er Jahren keine dialogorientierte Analyse. Die Rollen der Interviewten und Interviewer*innen waren vordefiniert und stark kontrolliert; situative Überlagerungen wurden kaum reflektiert.18) Dass eine Reihe situativer Überlagerungen von sozialen Positionen in der Interviewsituation selbst entstehen können und damit unterschiedliche diskursive Rahmen produziert werden, wurde kaum diskutiert, eine Problematik, die Olaf JENSEN und Harald WELZER 30 Jahre später am Beispiel eines 19-jährigen Befragten, eines ehemaligen Bürgers der DDR, folgendermaßen formulierten:

"Erstens handelt es sich um ein Forschungsinterview, das per definitionem Daten darüber erbringen soll, wie eine Person einen biographischen Übergang mit all seinen Schwierigkeiten erlebt. Wie man am Verhalten des Interviewers sieht, interferiert dieser Rahmen mit einem sozialen Aushandlungsprozess zwischen einem Einheimischen und einem Fremden; dieser informelle, nicht definierte und beiden Gesprächspartnern unbewusste Rahmen bestimmt die Interaktion deutlich mehr als der formelle Rahmen, der ursprünglich die Definition der Situation vorgab. Ein dritter Rahmen besteht in der sozialen Beziehung zwischen den Gesprächspartnern und basiert wiederum auf eher bewussten Situationsdefinitionen: man möchte den anderen nicht kränken, ihn schon gar nicht ausgrenzen, ihm sympathisch sein" (2003, §21). [50]

Diese Rahmen – die erlebte Geschichte des Interviewten, der soziale bzw. mentale Aushandlungsprozess zwischen Interviewer*innen und Interviewten – blieben für die frühen soziologischen Forscher*innen oft unsichtbar. Im ungarischen Beispiel der sogenannten "Zigeunerforschung" waren die Positionen der "Einheimischen" und der "Fremden" unreflektiert: Die Holocaust-Geschichte der Roma-Überlebenden wurde in der 1970er Jahren in der Ingroup der Roma-Gemeinschaft noch regelmäßig erzählt und tradiert, während sie für die Interviewerin, eine Fremde, eine nicht erkennbare, geheime Welt geblieben ist. Und umgekehrt: Die gesellschaftliche Position der Soziologin, einer etablierten Intellektuellen, war – trotz aller Sympathie und dem Versuch der Inklusion – weit entfernt von der gesellschaftlichen Position der Interviewten. [51]

Die erinnerungspolitischen Rahmen haben sich in den letzten drei Jahrzehnten radikal verändert: Die Geschichte des Roma-Genozids ist heute international bekannt. In Ungarn wurden mehrere Denkmäler für die Roma-Opfer errichtet, und am 2. August wird an sie jährlich europaweit erinnert (KAPRALSKI 2015). Auch wurden kleine Oral History-Sammlungen und künstlerische Gedenkprojekte realisiert (GYÖRGY & NEMES 2004). Die Leidensgeschichte der Roma ist seit 2005 Teil der Dauerausstellung des Holocaust-Dokumentationszentrums in Budapest. Diese Aufmerksamkeit in der Erinnerungskultur bedeutet jedoch nicht, dass die oben genannten diskursiven Rahmungen und Abgrenzungen ebenfalls vollständig abgebaut wurden. [52]

Während der Archivierung der Interviews aus der sogenannten "Zigeunerforschung" von 1971 haben die Projektmitarbeiter*innen Eva KOVÁCS und ihre Dissertantin Anna Lujza SZÁSZ den Kontakt mit den Interviewer*innen erneut aufgenommen, um mit ihnen die Geschichte der Kollektion zu rekonstruieren. Eine der Interviewer*innen – selbst aus einer jüdischen Familie stammend – erklärte uns ihre damalige Haltung mit folgenden Worten:

"Irgendwo in Zala County erzählte mir eine Frau mehr darüber [über den Roma-Genozid]. Über die Art und Weise, wie sie in Zalakomárom gesammelt wurden. Wir haben nicht weiter nachgefragt. Und ich war ziemlich überrascht, als die Frau darüber im Detail sprach. Sie muss ein Teenager gewesen sein, 16 oder 17 Jahre alt, wie ich mich erinnere. [...] Ich kann mich nicht genau erinnern, was sie gesagt hat. Ich denke, es war einfach unsere Unwissenheit. Wir hätten viele Überlebende treffen können. Ich habe den Eindruck, dass wir dieses Ding nicht ernst genommen haben. Die Sache, dass die Zigeuner Teil des Holocaust waren. Dass sie verfolgt wurden und viele von ihnen Opfer waren. Ich glaube, wir dachten, dies sei alles ’heiße Luft', dass die Roma-Intelligenz bei diesen Dingen einfach maßlos übertrieb. Dass dies eine der Geschichten der ewigen Zigeuner-Verfolgung ist. Wissen Sie, wie in der Zigeuner-Hymne, wo es heißt 'wir haben nur einen Nagel gestohlen'. Das hätte dahinterstecken können. Und das war überhaupt kein falscher Eindruck. Die Zigeuner-Intelligenz hat diese Dinge, das Schicksal der Zigeuner, stark übertrieben. Es gab einige romantische Vorstellungen in Verbindung mit Roma, die uns sehr irritierten. Wir wollten diese romantische Herangehensweise mit unserer Forschung enthüllen und die Realität hinter dem Vorhang hervorholen" (SZÁSZ 2015, S.48). [53]

Die dialogorientierte Analyse dieser Interviewpassage zeigte eine Reihe versteckte Frames. Zuerst versuchte die Interviewerin, ihre persönlichen Erinnerungen zurückzurufen. Schnell konstatierte sie jedoch, dass sie sich nicht mehr genau erinnern könne, wechselte ihre Sprecherinnenposition und redete in der 1. Person Plural statt in der 1. Person Singular. Dieses "wir" verweist auf eine unerschütterliche, im Kollektiv konstruierte hierarchische Position der Interviewerin. Es ist ein Plural, der nicht nur die Grenze zwischen den "Einheimischen" und den "Fremden" zieht, sondern auch die ungleiche Position zwischen ihnen festschreiben soll. Im Gegensatz dazu ist die Position der sogenannten "Zigeuner*innen" in ständiger Bewegung und damit immer mehr destabilisiert, delegitimiert und essentialisiert: Erst ist es eine konkrete Person aus dem Ort Zalakomárom, dann sind es "viele Überlebende" und kurz darauf folgt die Infragestellung der Position der Roma-Intelligenz der 1970er Jahre, die "bei diesen Dingen einfach maßlos übertrieb". Entgegen dem Wortsinn wird deren Narrativ als nicht-intelligent ("maßlos übertrieben") markiert und abgewertet, als ob die Roma selbst schuld seien, dass sie nicht gehört wurden. Gleichzeitig findet eine multiple Hierarchisierung statt. Die Stimme der Verfolgten unterliegt der Stimme der Roma-Intellektuellen, die zwar eher auf Augenhöhe mit der Interviewerin stehen, aber auch nicht seriös wahrgenommen werden. [54]

Ein weiterer Schritt des Framing und damit der Distanzierung ist, wie die Interviewerin die historische Erfahrung der "ewigen Zigeuner-Verfolgung" anthropologisierte und damit ahistorisierte. Auch stand ihr Urteil bereits fest: Es sei "überhaupt kein falscher Eindruck" gewesen, denn mit der damaligen soziologischen Forschung hätte diese "romantische Vorstellung" enthüllt und "die Realität hinter dem Vorhang hervor[geholt]" werden sollen. Die intentionale Anerkennung geht in den zitierten Passagen Hand in Hand mit einer nicht-intentionalen Exklusion. [55]

Dieses Gespräch fand zwischen zwei Soziologinnen Mitte der 2010er Jahre statt, die die Fachsprache ihrer gemeinsamen Disziplin verwendeten. Genau wie 40 Jahren zuvor spielten hier kulturelle Hintergrundannahmen eine zentrale Rolle, die in der Gesprächssituation unwillkürlich aktiviert wurden. "Die beiden Sprecher agieren hier nicht autonom, sondern auch vor dem Hintergrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Wir-Gruppe, also zu einer viel größeren Interaktionsgemeinschaft" (JENSEN & WELZER 2003, §22). Im Rückblick empfand es die Soziologin wahrscheinlich als unangenehm, dass sie 40 Jahre zuvor nicht bemerkt hatte, als ihr eine Romni über ihre Leiden während der Verfolgung in der NS-Zeit berichtete. Ein solcher fachlicher Fehler und die essentialisierende Haltung der Interviewerin sind aus der heutigen Sicht junger Kolleg*innen inakzeptabel. So entsteht die fast selbstparodistische Schlussfolgerung, die weder mit den damaligen Zielen der sogenannten "Zigeunerforschung" noch mit der Anerkennung des Roma-Genozids zu vereinbaren ist: "Wir wollten diese romantische Herangehensweise mit unserer Forschung enthüllen und die Realität hinter dem Vorhang hervorholen." [56]

4.3 Chancen und Grenzen von Selbstreflexivität – Ungarns soziologische Gedächtnisforschung 40 Jahre später

Auch 40 Jahre später gab es nur ein selektives Hören gegenüber dem Roma-Genozid. Zwischen 2003 und 2005 wurden im Rahmen einer qualitativen soziologischen Forschung 100 lebensgeschichtliche Interviews geführt, um die Frage nach dem Gedächtnis über die staatssozialistische Epoche (1957-1989) zu beantworten. Diese Forschungsgruppe (der die Autorin KOVÁCS angehörte) hatte sich entschlossen, ethnische und soziale Gruppen zu interviewen, die besondere Aufmerksamkeit während des politischen Übergangs unmittelbar vor und nach 1989 erhalten hatten. Dazu gehörten Gruppen, die im Staatssozialismus nicht als Ethnien anerkannt und/oder akzeptiert wurden (Jüd*innen, Roma, Deutsche, Slowak*innen, Serb*innen und Kroat*innen) oder soziale Schichten, die in dieser Epoche kaum existierten (Aristokrat*innen und Obdachlose). Mit dem Systemwechsel hatten sie die Chance bekommen, ihre Alterität zu artikulieren. Als Kontrollgruppen wurden ehemalige Mitglieder der Nomenklatur und Emigrant*innen (sogenannte Dissident*innen) gefragt. Insgesamt wurden 100 biografische Interviews durchgeführt und narrativ-biographisch analysiert (KOVÁCS 2009, 2010).19) Die Interviewten wurden durch ihre eigenen Bürger*inneninitiativen bzw. private Organisationen mittels des Schneeballverfahrens (NISSIM & TAMAR 2011) ausgewählt. [57]

Ein Beispiel von ontologischer Taubheit ist die Geschichte von Herrn P., Jahrgang 1925, der damals als “Obdachloser“ ausgewählt und interviewt wurde. Herr P. hatte jedoch eine typische Lebensgeschichte eines Rom im Sozialismus durchlaufen: Bis zur Wende hatte er einen Job und stabile Lebensbedingungen. Erst nachdem er in den 1990er Jahren seine Frau verloren hatte, begann er zu trinken und fand sich schließlich auf der Straße wieder. Als das Interview mit ihm geführt wurde, war er bereits alkoholkrank, besitzlos und alleinstehend. Die Haltung gegenüber Herrn P. illustriert in vielerlei Hinsicht die Grenzen der soziologischen Methoden. [58]

Herr P. hatte sowohl den Roma-Genozid als auch den Gulag in der Sowjetunion überlebt und war so einer von wenigen, die ihre Lebensgeschichte als Roma-Überlebender für die großen Oral History-Projekte hätten erzählen können. Trotzdem wurde seine Geschichte auch in dieser Interaktion noch immer nicht gehört. Die Forschungsgruppe war nicht “blind“ wie zuvor István KEMÉNY und seine Kollegen und Kolleginnen, aber das Framing des verwendeten Forschungskonzepts machte sie “taub“. Sie konnten seine Gewalterfahrungen nicht hören, weil er in ihren Augen einen nach und mit der Wende deklassierten Obdachlosen darstellte. Seine Erfahrungen aus der Verfolgungszeit blieben für die Forscher*innen marginal. Daneben wurde, wie bereits erwähnt, zwar auch eine Gruppe von Roma zu ihren Erinnerungen an die Zeit des Staatssozialismus interviewt, doch auch bei ihnen spielte das Thema des Roma-Genozids keine Rolle, da sie nach 1945 geboren waren. Am Ende des Projektes entstand ein Buch über dieses Thema (KOVÁCS 2008), in welchem den Obdachlosen und den Roma je ein Kapitel gewidmet wurde. Herr P. und seine Geschichte sind weder im Obdachlosen- noch im Roma-Kapitel erschienen. Seine transgressive Geschichte forderte historische und soziologische Gemeinplätze heraus; ein Roma kann kein Obdachloser sein, und ein Obdachloser kann keine Holocaust-Erfahrung haben. Erst bei neuerlicher Durchsicht sämtlicher 100 Interviews, die diese Forschungsgruppe geführt hatte, entdeckten wir einige Jahre später seine Geschichte – als Person jedoch konnte man ihn, weil er obdachlos war und auf der Straße lebte, nicht mehr lokalisieren. [59]

Obwohl es sich hier um eine Sekundäranalyse handelt, also weder das Interview noch das Buchkapitel von uns stammte, entstand daraus eine persönliche Betroffenheit. Das soziologische Wissen hat die Forscher*innen zweimal taub gemacht: erstens, als nicht realisiert wurde, dass hier eine Holocaust-Geschichte erzählt wurde und damit dieselbe Situation eingetreten war wie bei der Kollegin von der sogenannten "Zigeunerforschung". Und zweitens, weil der Fall von Herr P. nicht in das Obdachlosenkapitel aufgenommen worden war, da sich andere Interviews als angemessener erwiesen hatten. Die Erzählung von Herr P. wurde folglich von der wissenschaftlichen "Realität" doppelt disqualifiziert. Was können Forscher*innen tun, um eine solche verpasste Gelegenheit "wiedergutzumachen" und um die ohnehin kaum dokumentierte Geschichte des Roma-Genozids doch noch zu bereichern? Die Forschungsleiterin versuchte, das ontologische Schweigen zu durchbrechen und hat sich entschieden, die fragmentarische Geschichte von Herr P. als eine Art subversiver Akt, ohne Edition und Verkürzung, wortwörtlich unter seinem eigenen Vornamen zu veröffentlichen und damit für die weitere Forschung zur Verfügung zu stellen (KOVÁCS 2011). [60]

5. Zusammenfassung: zum politischen Anspruch der Oral History

In beide Fallstudien wurden Vertreter*innen von Minderheiten bzw. von zur Minderheit Gemachten interviewt, die sich selbst als Bürger*innen zweiter Klasse wahrgenommen fühlten. Beide Male wurden gesellschaftliche und wissenschaftliche Framings adressiert, die dazu führten, dass die spezifischen Erfahrungen in den Interviews selbst oder in den darauf basierenden Publikationen nicht adäquat sichtbar wurden. Es handelt sich um "kommunikative Irritationen" (PLODER 2009, §1) im Rahmen qualitativer Interviewforschungen, in denen ein widerständiges Potenzial vonseiten der Beforschten Ausdruck findet, welches wir versucht haben, in eine "produktive Irritation des wissenschaftlichen Diskurses" (BREUER 2011, §45) umzusetzen. [61]

Das Ziel der Forscher*in war es, mittels der Interviews über die laufenden Gerichtsverfahren in den Niederlanden das nationale Framing der holländischen Debatte über koloniales Unrecht zu durchbrechen, indem die indonesische Seite sowie die indonesische Diaspora zu Wort kamen. Das zeigte, dass diese Gerichtsfälle bisher in einem viel zu engen Rahmen diskutiert wurden, nämlich im Kontext "koloniales Unrecht in Indonesien", statt zu sehen, dass es auch um die Thematisierung des Kontexts "postkoloniale Niederlande" geht, eine Gesellschaft, in der sich manche Migrant*innen indonesischer Herkunft immer noch als Bürger*innen zweiter Klasse fühlen. Gegenwärtige Erfahrungen von Diskriminierung und Fehlrepräsentationen (mitverursacht durch fehlende historische Kenntnisse) werden über das Ansprechen von historischem Unrecht adressiert. [62]

Das Anliegen der Interviewerin, diese Mehrstimmigkeit der Akteur*innen in den Gerichtsfällen sichtbar zu machen, war der Versuch, aus dieser simplifizierten nationalisierten Debatte in den Niederlanden auszubrechen. Dies stieß auf die Kritik der Akteur*innen selbst, die erst ein deutliches Opfer-Täter-Profil sehen wollten, bevor Fragen der eigenen postkolonialen Mehrstimmigkeit oder auch die Nachteile dieser juristischen Prozesse besprochen werden durften. So empfanden sie es als eine Delegitimierung der Mittel ihres politischen Streits. [63]

Was tun also seitens der Wissenschaft, damit sich die Minderheit durch die Mehrheit als wahrgenommen erlebt? Wie über die Interviewten schreiben, damit sie sich gesehen und gehört fühlen? Sie erwarteten eine eindeutige Positionierung der Interviewerin in diesem Anerkennungsstreit. Bedeutet dies, Zuschreibungen wie "legitime Kritik" oder "zu Recht Kritik geäußert" zu benutzen, um eine Unterstützung ihrer Anliegen zu unterstreichen? Oder sollten die Forschungssubjekte (Co-)Autor*innen von Texten sein? Aber macht es überhaupt einen Unterschied, wie Forscher*innen agieren, wenn die polarisierte öffentliche Debatte entlang nationaler und juristischer Framings es vielleicht gar nicht zulässt, dass sich diese Personen, die sich als marginalisiert wahrnehmen, gehört fühlen? Wenn die gesellschaftliche Praxis nicht zeigt, dass sie gehört werden? Können Menschen, die noch stets in einem politischen Kontext von Anerkennungsfragen operieren, eigentlich ihre eigene transnationale und transkulturelle Mehrstimmigkeit zulassen? Wie müsste der gesellschaftliche und wissenschaftliche Diskurs verfasst sein, um diese Mehrstimmigkeit anerkennen zu können? [64]

Auch die zweite Fallstudie über die Erinnerung der Roma an ihre im Holocaust erlebte Verfolgung hängt von Wissensproduzent*innen und Zeugnisgebenden ab. Solange die Wissensproduktion an Privilegien geknüpft ist, bleibt sie durch gesellschaftsimmanente und auf ethnischen Hierarchien beruhende Ungleichheit und Unterdrückungsmechanismen bestimmt. Die kreative Kraft der Erinnerung, verfestigt in einer oralen Wissenskultur, kann Gemeinschaften entstehen lassen und ihr Funktionieren garantieren. In diesem Sinne verfügt auch die Erinnerung der Roma an ihre im Holocaust erlebte Verfolgung über eine reale kohäsive Kraft. Gleichzeitig ist es diese Erinnerung, welche die Geschichte und Erinnerung der Roma zu einem integralen Bestandteil der ungarischen Gesellschaft machen sollte. Durch das zum Schweigen gebrachte Andere aber wird die bestehende Hierarchie aufrechterhalten. Erst wenn die Erinnerung der Roma dieses Schweigen durchbricht, kann diese Hierarchie adressiert und zum Wanken gebracht werden. [65]

Das gilt auch für den postkolonialen Casus, durch den deutlich wird: Selbst wenn Gerichtsurteile gefällt wurden, in denen die gewalttätige niederländische Dekolonisationsgeschichte verurteilt wird bzw. Interviewsammlungen angelegt wurden, um diese Geschichte zu erinnern und zu dokumentieren, heißt dies noch lange nicht, dass diese Stimmen auch gehört werden bzw. sich gehört fühlen: gehört im eigentlichen Sinn, nämlich dass auf das Gehörte eine Reaktion erfolgt, eine Art der Reziprozität. Doch die Reaktionen des niederländischen Staates zeigten vor allem auch, dass jene Widerstände erneute Regelfestsetzungen zur Folge hatten. Mit den Begrifflichkeiten des Soziologen Hartmut ROSA (2016) kann in diesem Zusammenhang von einer "stummen Weltbeziehung" (p.315) gesprochen werden. Demgegenüber platzierte er "die hörende Gesellschaft" als eine Gesellschaft, in der die "resonante Weltbeziehung" die Resonanz der Essenz des Gemeinwohls sei (siehe auch ROSA 2019). Menschen möchten nicht nur gehört werden, sondern auch sehen, dass ihre Stimme etwas bewirken könne.20) Damit stellt sich für uns die Frage: Welche Sprache wird uns helfen, das schwierige Erbe erzählbar zu machen, sodass es auch von der Mehrheit gehört wird? Aber auch: Welche Methoden können helfen, die Machtverhältnisse von Forschung, Wissensproduktion und Öffentlichkeit zu überwinden? [66]

Die ontologischen und epistemischen Grundlagen dieses Beziehungsgeflechtes zwischen Erinnerung und Macht manifestieren sich in ihren Repräsentationen. Unsere Beispiele zeigen, welche Spannungen zwischen dem Individuum, dem zeitgenössischen gesellschaftlichen Diskurs und dem gemeinsamen sozialen Gedächtnis einer Minderheit und der Mehrheitsgesellschaft bestehen. Im Zentrum stehen das Schweigen und die Taubheit. Das Schweigen, worüber Interviewte nicht reden können, weil sie keine Stimme haben oder keine Sprache, die gehört wird. Und die Taubheit, was die Gesellschaft nicht hören kann, weil gesellschaftliche bzw. wissenschaftliche Framings nicht erlauben zu hören, was gesagt wird; es unmöglich machen, die Erzählungen von Befragten richtig zu platzieren oder zu verstehen. Dieses Zusammenspiel – das Schweigen als Verschweigen und die ontologische Taubheit – nennen wir das epistemische Schweigen der Mehrheitsgesellschaft. [67]

6. Epilog: mehr partizipative und somit epistemische Forschung

Nach der Beschreibung des Problems möchten wir nun zum Abschluss auch einige Schlussfolgerungen für die methodologische Praxis zur Diskussion stellen. Ist der politische Anspruch, den ungehörten Stimmen eine Stimme zu geben zu idealistisch, weil erkenntnistheoretisch nicht einlösbar? Wie lässt sich durch Forschung das epistemische Schweigen auflösen oder sogar produktiv verwenden? [68]

In den vergangenen Jahrzehnten haben wir in der Methodologie der Sozialforschung wie in den (historischen) Geisteswissenschaften große Veränderungen erlebt in Bezug auf quantitative wie qualitative Techniken; über die Standortgebundenheit von Wissen wird heute Disziplinen übergreifend mehr denn je diskutiert. Es ist mittlerweile der Status quo in der Wissenschaft (nicht in gesellschaftlichen Debatten), davon auszugehen, dass es kein objektives und neutrales Wissen gibt, da sowohl die Forscher*innen als auch die erforschten Gemeinschaften und Institutionen in Machtverhältnisse, Interessen und Wertvorstellungen eingebettet sind, die von einzelnen Akteur*innen und Interessen angetrieben werden. Diese heuristische Erkenntnis provoziert Forscher*innen in den Sozialwissenschaften und den Geisteswissenschaften immer wieder, eine Reihe neuartiger Forschungsmethoden und -theorien zu entwickeln, um Objektivitätsansprüche wie auch die Verführungen der Subjektivität zu problematisieren (vgl. beispielsweise zur Idee der "Forschungswerkstatt" SIOUTI 2018). [69]

Es gibt eine Vielzahl methodischer Ansätze, um den Problemen, die wir oben aufgezeigt haben zu begegnen, beispielsweise mittels einer stärkeren Beteiligung der Interviewten am Forschungsprozess, indem diese z.B. in die Entwicklung der (Forschungs)fragen und in den Interpretationsprozess eingebunden oder selbst als Interviewer*innen eingesetzt werden oder für die Implementation der Forschungsergebnisse (BREUER 2011; GREADY 2013; VISSE & ABMA 2018). [70]

Das bedeutet im Detail, das Interview selbst und nicht nur das Resultat ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu stellen; als Interviewte*r nicht nur Quelle zu sein, sondern auch in den Analyseprozess integriert zu werden; Kollaborationen zwischen Interviewer*in und Interviewten anzugehen im Sinne von Kommentieren, Kontrollieren und Co-Autor*innenschaft. Das kreiert in der Folge auch eine größere Identifikation mit der Forschung. Denn, wie es Paul GREADY pointiert beschrieb:

"(V)oice without control may be worse than silence; voice with control has the capacity to become a less perishable form of power because it allows voice to enter in a more genuine reciprocal dialogue. Such dialogue could provide a more enduring challenge to power relations of research, knowledge production and the public sphere" (2013, S.248-249). [71]

Responsive evaluation (VISSE & ABMA 2018) ist eine andere Methode, die auf eine solche Maximalisierung von Partizipation ausgerichtet ist, um nicht über, sondern mit einer Gruppe zu arbeiten. Das erlaubt es nicht nur, Forschende und Beforschte näher zueinander zu bringen, sondern den gesamten Forschungsdialog auch strukturell anders zu gestalten. Diese Form der partizipativen Forschung hat in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit (CHEVALIER & BUCKLES 2019), aber auch viel Kritik (DAVID 2002; HANCOCK 2010) erhalten, weil es eben doch nicht so einfach ist, "echte" Partizipation zu gewährleisten und zu verhindern, dass sich Interviewte ausgebeutet fühlen (MARCU 2016). Partizipative Forschung ist ein Balanceakt zwischen Nähe und Distanz, Aktivismus und Forschung, Engagement und Erkenntnisdrang und bedeutet in radikaler Konsequenz, der Kritik an derselben Forschung eine Simme zu geben. [72]

Dabei beschränkt sich das Problem nicht nur auf die Generierung und Verwertung der Daten, sondern auch auf deren (Re-)Präsentation. So wird in akademischen Settings doch zumeist über gewisse Gruppen gesprochen statt mit ihnen. Ein wichtiger Schritt wäre aus unserer Sicht, im Sinne von bell HOOKS "Talking Back" (1989) Vertreter*innen solcher beforschten Gruppen stärker pro-aktiv zu den Oral History-Foren dieser Welt einzuladen (BREUER 2011 nannte dies "mixed conferences", §48), um sich ihren Reaktionen zu stellen und von ihnen zu erfahren, welche Fragen, Themen und Ansätze aus ihrer Sicht von Wichtigkeit sind. Vor allem wollen wir in Interviewforschungen das Systemische der Wissensproduktion stärker in die Fragen von Partizipation und Repräsentation einbezogen wissen, was bedeutet – zurückkommend auf FRICKER (2007) –, die "Epistemic Injustice" (in Form von fehlender Glaubwürdigkeit wie auch Verständlichkeit) konsequenterweise zu adressieren. Dies würde bedeuten, das Verhältnis Interviewer*in/Interviewte viel stärker gesellschaftlich einzubetten, durch marginalisierte Lebenswelten sowie gesellschaftliche und wissenschaftliche Ordnungssysteme stärker aufeinander zu beziehen. [73]

Oral-Historiker*innen setzen dem epistemischen Schweigen der Mehrheitsgesellschaft gerne die Kraft der Fremdwahrnehmung entgegen, nämlich als Fremde in unvertrautem Terrain Neues sehen zu können. Gleichzeitig sind sie selbst – auch wenn sie das "Fremde" in der eigenen Gesellschaft thematisieren – häufig Teil der Mehrheitsgesellschaft, die sie zwangsläufig mit untersuchen. Nicht das "Fremde", sondern das "Eigene" und dessen ontologische Ausschlussmechanismen deutlicher zu zeigen und als wichtiges zukünftiges Forschungsfeld zu behandeln ist das zentrale Anliegen unseres Artikels. [74]

Danksagung

Dieser Text beruht auf einem gemeinsamen Vortrag, gehalten bei dem Oral-History-Netzwerktreffen am 27.-28. Februar 2020 in Hamburg. Wir danken den Anwesenden für ihre anregenden Kommentare. Dank gilt auch Marijke HUISMAN und den Teilnehmer*innen des Netzwerks "Unhinging the National Framework: Platform for the Study of Life Writing and Transnationalism" am 11. Oktober 2019 am NIOD-Institut in Amsterdam, mit denen die indonesische Fallstudie gewinnbringend diskutiert wurde. Wir bedanken uns zudem bei den Gutachter*innen für ihre detaillierten und wertvollen Vorschläge, bei der FQS-Redaktion für ihre sprachliche Sorgfalt sowie bei unseren Lektor*innen Gerlinde WIMMER und Josef SCHIFFER.

Anmerkungen

1) Vgl. dazu die "Principles and Best Practices" der Oral History Association der Columbia University in New York‚ https://www.oralhistory.org/about/principles-and-practices-revised-2009/ [Datum des Zugriffs: 18. Februar 2022]. <zurück>

2) Vgl. auch PATAI's Intervention, die auf "Paternalismen" in diesem postkolonialen Wissenschaftsdiskurs selbst hingewiesen hat, indem sie fragte, woher Intellektuelle das Recht nehmen zu bestimmen, wer keine Stimme habe: "But, after all, I must ask: Why would a leftist intellectual seek to prove that any group of people – especially the historically silenced: women— cannot speak? In the name of what sort of knowledge? What program? And what are we to make of the garrulousness of these intellectuals as they go about arguing the impossibility of other people's speech?" (2008, S.74). <zurück>

3) Beispielsweise, wenn sexuelle Gewalt gegenüber anderen Verbrechen privilegiert wird, kann das bedeuten, politische Opfer auf Opfer sexuellen Missbrauchs zu reduzieren. Ähnliches passiert, wenn koloniale Widerstandskämpfer in Opferkategorien gezwängt werden. <zurück>

4) Das Stichting Onderzoek Terugkeer en Opvang (SOTO)-Projekt (1998-2003) umfasst Interviews über Immigrations- und Rückkehrerfahrungen (SOTO-Kollektion, NIOD-Institut für Kriegs-, Holocaust- und Genozid-Studien, Amsterdam. In der Kollektion Stichting Mondelinge Geschiedenis Indonesië (1997-2001) wurde das Ende der niederländischen Kolonialherrschaft in Asien dokumentiert; sie enthält 1.190 Interviews über die Zeit 1940-1962 in Niederländisch-Indien, Indonesien und Neu-Guinea (nur einzelne davon mit Indo-Europäer*innen, die in Indonesien geblieben waren). Zur Oral History-Plattform Getuigen Verhalen gehören sieben Interviewkollektionen unterschiedlicher Erfahrungen in Niederländisch-Indien: Soldatenkinder, die sogenannten "Trostmädchen" in japanischen Lagern, Papuas und Molukken in der Diaspora etc. Die einzige Sammlung, die auch indonesische Stimmen enthält – Interviews zur Vorgeschichte der Unabhängigkeit –, ist die von Robert CRIBB (1991) im Nationalarchiv in Amsterdam. <zurück>

5) E-Mail von Marjolein VAN PAGEE vom 12. September 2019 an den Preis-Ausreicher Dirk-Jan WOLFFRAM, Vorsitzender der BMGN-Redaktion und als Kopie an alle Mitglieder des Herausgeber*innen-Teams sowie an die Verantwortlichen der Historikertage in Groningen vom 22.-24. August 2019. VAN PAGEE ist Initiatorin der Online-Plattform Histori Bersama ("gemeinsame Geschichte"), in der niederländische und indonesische Artikel über die koloniale Vergangenheit inklusive Übersetzung bereitgestellt werden, um mehrere Perspektiven sichtbar zu machen. <zurück>

6) Historikertag Groningen, 22-24. August 2019, Preisverleihungs-Tweet, weitergeleitet von Marjolein VAN PAGEE; https://twitter.com/BMGN_LCHR/status/1164822270583300096?s=20 [Datum des Zugriffs: 21. Februar 2022, unsere Übersetzung]. <zurück>

7) E-Mail von Jeffry PONDAAG an Nicole IMMLER, die BMGN-Redaktion und andere vom 2. September 2019. Alle nachfolgenden Zitate (übersetzt von der Autorin) stammen aus dieser Korrespondenz. <zurück>

8) Zum Forschungsprogramm Unabhängigkeit, Entkolonialisierung, Gewalt und Krieg in Indonesien, 1945-1950 vgl. https://www.ind45-50.org/ [Datum des Zugriffs: 21. Februar 2022]. <zurück>

9) Jeffry PONDAAG, Interview mit Nicole IMMLER in Heemskerk am 13. November 2014 und in Amsterdam am 5. Februar 2015 (zusammen mit Nancy JOUWE). <zurück>

10) E-Mail von Jeffry PONDAAG an Nicole IMMLER, die BMGN-Redaktion und andere vom 2. September 2019. <zurück>

11) Das Konzept des "dialogical self" (HERMANS 2004) erlaubt es, die oft widersprüchlichen Stimmen zu erkennen, die hinter einer Position versteckt sind. Demnach konzipiert sich das Selbst aus einer Vielzahl dynamischer, interagierender Stimmen: der Stimme des Selbst (Ich-Position), die Stimmen von Anderen (verinnerlichte Andere, Diskurse etc.) und interagierende Stimmen (der Dialog zwischen Ich-Positionen und inneren Anderen). Das Konzept kann helfen, über vereinfachte Identitätskonstruktionen hinauszugehen und damit den Dialog mit sich selbst als Schlüsselvariable für den Dialog mit anderen zu sehen (IMMLER 2018b). <zurück>

12) Verflechtungen von Familiengeschichten und damit multiplen Wir-Identifikationen nachzugehen ist nach ROSENTHAL methodologisch vielversprechend "für eine empirisch geerdete Theorieentwicklung, die der Komplexität und spezifischen Qualität von sozialer Wirklichkeit gerecht werden kann" (2016, §21). <zurück>

13) Dieser strategic essentialism hat jedoch auch seine Kosten, wie SPIVAK betonte: So bestehe die Gefahr, dass Mitglieder von Randgruppen, wenn sie eine kollektive kulturelle Identität einforderten, sich erneut in ihre untergeordnete Position in der Gesellschaft einschrieben. <zurück>

14) Die Pfeilkreuzler waren die Anhänger einer unter verschiedenen Bezeichnungen von 1935 bis 1945 bestehenden nationalsozialistischen Partei in Ungarn. Nach der deutschen Besetzung (19. März 1944) errichteten sie vom 16. Oktober 1944 bis zum 28. März 1945 in den noch nicht von der Roten Armee besetzten Teilen Ungarns eine faschistische Kollaborationsregierung und Diktatur, unter der etwa 50.000 ungarische Juden und Jüdinnen ermordet wurden. <zurück>

15) Siehe den Bericht an das Politbüro der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei am 20. Juni 1961 über die Ausführung von Aufgaben im Zusammenhang mit der Verbesserung der Situation der Roma (11. Oktober, 1962). Ungarisches Nationalarchiv XIX-J-4-g 46, c.66, Budapest. <zurück>

16) Die Archiv- und Forschungsgruppe "Stimmen des 20. Jahrhunderts", die ihre Tätigkeit im Frühjahr 2009 am Institut für Soziologie der Ungarischen Akademie der Wissenschaften aufgenommen hat, sammelt das Erbe qualitativer soziologischer Studien und macht es für die Forschung zugänglich, siehe https://voices.tk.mta.hu/handle/123456789/1237 (409_26 Sammlung); eine kurze englische Beschreibung der Sammlung findet sich unter http://de.cultural-opposition.eu/registry/?uri=http://courage.btk.mta.hu/courage/individual/n8598&type=collections [Datum des Zugriffs: 28. Februar 2022]. <zurück>

17) István KEMÉNY hatte seine Stelle im Soziologischen Institut verloren und konnte in Ungarn nicht mehr publizieren. Als Regimekritiker emigrierte er als Dissident 1977 nach Paris, war von 1978 bis 1981 Mitarbeiter des Maison des Sciences de l̕'Homme und von 1983 bis 1990 Professor an der École des Hautes Études en Sciences Sociales. Teile der Interviewsammlung wurden von ehemaligen Interviewer*innen und KEMÉNY in Privatkollektionen aufbewahrt. <zurück>

18) Erving GOFFMANs Rahmenanalyse ist erst 1974 erschienen – die ungarische Übersetzung 1978 – und war eher theoretisch als praxisorientiert in die ungarische Soziologie implementiert worden. <zurück>

19) Siehe: https://voices.tk.mta.hu/handle/123456789/1107 (409_04_02 Sammlung) [Datum des Zugriffs: 28. Februar 2022]. <zurück>

20) Zur Frage, welchen Impuls Interviewdatenbanken der universitären Lehre und damit dem gesellschaftlichen "Hören" geben, vgl. IMMLER (2018b, S.135 und S.147). <zurück>

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Zu den Autorinnen

Nicole L. IMMLER ist Professorin am Lehrstuhl für Historical Memory and Transformative Justice an der Universität für Humanistik in Utrecht. Seit 2020 leitet sie das Forschungsteam "Dialogics of Justice", welches die sozialen Auswirkungen von Anerkennungs- und Entschädigungspraktiken von diversen Formen historischen Unrechts im globalen Kontext untersucht. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Geschichtsschreibung und Erinnerungsforschung zu Holocaust und Kolonialismus sowie diverse Formen von transitional justice, Generationenforschung und Familiengedächtnis, Oral History und narrative Theorie.

Kontakt:

Prof. Nicole L. Immler

Universität für Humanistik
Citizenship and the Humanisation of the Public Sphere
Kromme Nieuwegracht 29, Utrecht, Niederlande

E-Mail: n.immler@uvh.nl
URL: http://www.dialogicsofjustice.org

 

Éva KOVÀCS ist Professorin für Soziologie, stellvertretende Direktorin des Wiener Wiesenthal Instituts für Holocaust-Forschung sowie Forschungsprofessorin am Zentrum für Sozialwissenschaften in Budapest. Sie studierte Ökonomie und Soziologie an der Corvinus Universität Budapest. Ihre Forschungsfelder sind Geschichte und Geschichtsschreibung des Holocaust in Osteuropa, Gedächtnis- und Erinnerungsforschung, jüdische Identität in Ungarn und der Slowakei und Studien zur Roma und Sinti; veröffentlicht als Monografien, in Editionen und zahlreichen Journal-Artikeln. Sie ist die Gründerin des Archivs Voices of the Twentieth Century in Budapest.

Kontakt:

Prof. Éva Kovács

Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien
1010 Wien, Rabensteig 3, Österreich

E-Mail: eva.kovacs@vwi.ac.at
URL: http://www.vwi.ac.at

Zitation

Immler, Nicole L. & Kovács, Éva (2022). Zum politischen Anspruch der Oral History. Über das epistemische Schweigen und die ontologische Taubheit der Mehrheitsgesellschaft [74 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 23(2), Art. 2, https://doi.org/10.17169/fqs-22.2.3745.

Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research (FQS)

ISSN 1438-5627

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