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Volume 24, No. 2, Art. 10 – Mai 2023

Die wahre Geschichte eines Schweizers, der auszog, das Forschen zu lernen: Ernst Boeschs Psychologie und relationale Hermeneutik

Jürgen Straub

Zusammenfassung: Ernst BOESCH gehört zu den bedeutenden Psychologen des 20. und frühen 21. Jahrhunderts. Seine seit den 1950er Jahren unternommenen Bemühungen um die Entwicklung einer "symbolischen Handlungstheorie" führten ihn zum Entwurf einer originellen Kulturpsychologie, die er auf der Grundlage seiner (Forschungs-)Erfahrungen in Thailand entwickelte und sodann an immer neuen Fragestellungen und Gegenständen bewährte. Im Beitrag wird dargelegt, dass BOESCHs jahrelange kulturelle Fremdheitserfahrungen der entscheidende Anlass für theoretische und methodische Innovationen waren. Persönliche Begegnungen und expansive Lernerfahrungen, die ihn sukzessive Thai sprechen und eine zuvor völlig unvertraute kulturelle Lebensform kennenlernen ließen, waren die lebensweltliche Voraussetzung für seine wissenschaftlichen Erträge und Innovationen. Diese existenzielle Basis führte BOESCH in der empirischen Forschung, Begriffs- und Theoriebildung zu einer relationalen Hermeneutik, in der jede allzu scharfe Unterscheidung zwischen Forschungssubjekt und -objekt merklich gelockert ist. Nachdem dies dargelegt wurde, werden einige weitere Prinzipien und bleibende Stärken, aber auch Schwächen und – nicht zuletzt methodische – Defizite dieser handlungstheoretischen Kulturpsychologie erörtert.

Keywords: Handlungstheorie; Kulturpsychologie; Fremdverstehen; relationale Hermeneutik; Forschungssubjekt; Epistemologie; Methodologie

Inhaltsverzeichnis

1. Rückblickende Synopse zum Auftakt

1.1 Erste Bekanntschaft

1.2 Wachsende Vertrautheit mit Thailand, Entfremdung von der nomologischen Psychologie

1.3 Einige genuin wissenschaftliche Einflüsse

2. Systematische Notizen zu Stärken und Schwächen von BOESCHs Ansatz

3. Abschließende Erinnerung an Gemeinsamkeiten und Unterschiede kulturpsychologischer Ansätze

Anmerkungen

Literatur

Zum Autor

Zitation

 

1. Rückblickende Synopse zum Auftakt

BOESCHs frühzeitig entwickelte Handlungs- und Kulturpsychologie gilt zurecht als bahnbrechende Pionierleistung. Der Schweizer Psychologe, der im Studium in Genf neben Édouard CLAPARÈDE, André REY oder Richard MEILI auch mit Jean PIAGET Bekanntschaft machte und sogar mit ihm zusammenarbeitete, schlug dessen Angebot, eine wissenschaftliche Karriere zu verfolgen, zunächst aus. Er ging erst einmal in die Praxis. Der durchaus unerwartete Ruf auf eine Professur für Psychologie an der noch jungen, 1948 gegründeten Universität des Saarlandes ließ ihn aus dem acht Jahre währenden schulpsychologischen Dienst ausscheiden und 1951 in die Alma Mater zurückkehren. Mit großer Beharrlichkeit widmete sich BOESCH – neben vielen anderen Tätigkeiten – schon im ersten Jahrzehnt seines Hochschullehrerdaseins der Ausarbeitung einer neuen Handlungstheorie und sodann, auf dieser Basis, einer eigenständigen Kulturpsychologie.1) [1]

Dafür waren eigene kulturelle Fremdheitserfahrungen – insbesondere in Thailand – maßgeblich. Was BOESCH als unabdingbare Voraussetzung einer gehaltvollen, aussagekräftigen psychologischen Forschung erlebt hat – nämlich die intime Vertrautheit mit fremden Sprachen, kulturellen Lebensformen und psychosozialen Praxen –, machte er zum theoretischen und methodologischen Prinzip einer Empirie, in der die aufwendige Rekonstruktion von Erfahrungen, Überzeugungen, Orientierungen, Zielen und Erwartungen anderer Menschen im Zentrum stand. Dabei betonte kaum jemand so sehr, dass solche die Selbstreflexion, Selbstkritik und Selbstveränderungen einschließt. Fremdverstehen und Selbstverstehen waren in BOESCHs undogmatischer Psychologie stets zwei Seiten ein und derselben Medaille (viele Beispiele dafür finden sich bei BOESCH, 1998, 2000, 2005, 2021a). [2]

Im Folgenden wird an diese unweigerlich relationale Hermeneutik erinnert, in der empirische Forschung konsequent als interkulturelle Begegnung und Beziehung ausgelegt und reflektiert wird (Abschnitt 1.1). BOESCHs Forschungspraxis insbesondere in Thailand entfremdete ihn von den Grundsätzen und Gepflogenheiten der nomologischen Psychologie (Abschnitt 1.2). Nachdem wesentliche wissenschaftliche Einflüsse auf sein Denken skizziert wurden (Abschnitt 1.3), werden weitere Grundsätze und Errungenschaften eines der interessantesten Ansätze in der zeitgenössischen Psychologie erörtert, aber auch theoretische sowie methodische Grenzen und Versäumnisse der empirisch überaus reichhaltigen "Symbolic Action Theory and Cultural Psychology" (1991) aufgezeigt (Abschnitt 2). Letzteres geschieht aus der Perspektive einer mit BOESCHs Ansatz verwandten, handlungstheoretischen Kulturpsychologie, die Hans WERBIK und seine Erlanger Arbeitsgruppe seit den 1970er Jahren entwickelt haben und bis heute ausdifferenzieren (Abschnitt 3). [3]

1.1 Erste Bekanntschaft

Ernst Eduard BOESCH, geboren am 26. Dezember 1916 in St. Gallen, verstarb am 12. Juli 2014 in Scheidt nahe Saarbrücken, wo er mit seiner Gattin Supanee BOESCH viele Jahrzehnte lebte und arbeitete (zur Biografie siehe ALLOLIO-NÄCKE 2020; WEIDEMANN 2011, S.14-46). Mit der 1931 in Bangkok geborenen Frau unterhielt er sich vornehmlich auf Thai, mitunter auch in Anwesenheit von Gästen, die schnell spürten, dass Thailand keine bloße Episode in der Karriere eines international tätigen Wissenschaftlers war.2) Abgesehen von der persönlichen Bedeutung, die dieses Land, seine Bewohner_innen und seine Kultur für den in Deutschland als Professor angestellten Psychologen aus der Schweiz annehmen sollten, waren die empirischen Forschungen, die BOESCH im Auftrag der UNESCO seit 1955 dort durchzuführen hatte, wohl die Initialzündung, auf jeden Fall der wichtigste Anlass und Beweggrund für eine Konversion, die einen "ganz normalen Psychologen" in einen ziemlich außergewöhnlichen, höchst eigensinnigen Handlungs- und Kulturpsychologen verwandelte. Vom Aufenthalt in Thailand sagte BOESCH selbst, er habe "die Ära der Saarbrücker Kulturpsychologie" eröffnet (2021b [2010], S.33). [4]

Die Ankunft in dieser Ära verlief indes keineswegs schnell. Sie war langwierig und mühsam, gekoppelt an radikale wissenschaftliche Innovationen sowie ein expansives Lernen (im Sinne HOLZKAMPs 1990), das den jungen Wissenschaftler als ganze Person in Anspruch nahm und verwandelte. Diesen Zusammenhang, dem in Disziplinen wie der Wissenschaftsgeschichte gemeinhin zu wenig Beachtung geschenkt wird, sollte man im Falle BOESCHs unbedingt im Auge behalten: Sein kulturpsychologisches Denken und Forschen war ohne anstrengende Selbstreflexionen und einschneidende Selbsttransformationen nicht zu haben. Wissenschaftliche Neuerungen der hier interessierenden Art sind, wie alles zunächst Fremde, an einen Wandel der beteiligten Personen und maßgeblichen Persönlichkeiten gebunden. Das ist für die Betroffenen keineswegs rundum erfreulich und bequem, weil derartige Veränderungen stets massive Erschütterungen des eigenen Selbstbewusstseins und Selbstwertgefühls mit sich bringen, häufig sogar eine abrupte Aufgabe existenzieller Selbstverständlichkeiten und Sicherheiten. Nicht immer verlangen wissenschaftliche Laufbahnen einen derartigen Wandel grundlegender Überzeugungen und eingeschliffener Gewohnheiten. Im Fall BOESCHs ist dieser einschneidende Wandel, der weit über wissenschaftliche Belange hinaus mit einer radikalen Identitätstransformation des Akteurs einherging, unübersehbar.3) [5]

BOESCH war von 1955 bis 1958 Direktor des International Institute for Child Study der UNESCO, eines primär entwicklungspsychologischen Forschungsinstituts (BOESCH 2021b [2010], S.33ff.). In einem Aufsatz aus dem Jahr 1996, in dem er seine schon vier Jahrzehnte zuvor sich formierende, fulminante Kritik der nomologischen cross-cultural psychology komplettierte und zusammenfasste, bezeichnete er seinen eigenen Weg in die interpretative Handlungs- und Kulturpsychologie tatsächlich als "conversion". Das war eine umständliche Angelegenheit und keineswegs beabsichtigt:

"kein leicht zugängliches Neuland. Ich war noch nie außerhalb Europas gewesen, von Asien hatte ich keine Ahnung und schon gar nicht von Thailand, das damals noch kein Touristenziel war. Kulturpsychologie gab es hierzulande noch nicht, und meine Jahre in Genf hatte ich ebenso wenig als Kulturerfahrung betrachtet wie meine Ehe mit einer Französin. So flog ich denn völlig unvorbereitet nach Bangkok, gefüttert mit irreführenden Informationen von wohlmeinenden Beamten der UNESCO. Wegen wilder Tiere hatte ich mir sogar eine Pistole gekauft – unsinnig, doch so gefährlich hatte man mir Asien geschildert" (S.33f.). [6]

Der noch junge und doch schon gereifte Mann begriff indes schnell, worum es ging bzw. gehen sollte: "Mein Anfang war kein Abenteuer. Lernbegierig bemühte ich mich sofort um die neue Sprache, und die sechs einheimischen Mitarbeiter, die uns die Regierung zugeordnet hatte, formal meine Studenten, wurden zugleich meine Lehrer" (S.34). Das Land und seine Kultur, die Lebensformen und Praktiken der Menschen erschlossen sich BOESCH also im Verlauf einer Art empirischer Forschung, in der Begegnungen mit und Beziehungen zu konkreten Personen eine höchst wichtige Rolle spielten. Auch das meine ich mit dem Terminus relationale Hermeneutik (vgl. dazu ausführlich STRAUB 2010; vor allem STRAUB & RUPPEL 2022, 2023): Die unweigerlich an persönliches Lernen gekoppelte wissenschaftliche Erfahrungs- und Erkenntnisbildung bedarf solcher Begegnungen und Beziehungen "im Feld".4) Sie ist nicht selten von einer – wie auch immer eingehegten, geregelten und reduzierten – lebensweltlichen und wissenschaftlichen Koexistenz, Kooperation und Kommunikation abhängig, in der verschiedene Asymmetrien bestehen, die es, wie BOESCHs Beispiel sehr schön zeigte, mitunter notwendig machten, dass der Professor zum Studenten wurde und sich nicht nur in die neue Sprache, sondern überhaupt in eine fremde Welt einweisen und hineinführen ließ. Eine soziokulturelle Lebensform sowie ihre psychischen Bestandteile – bestimmte Denkformen oder Weisen zu fühlen und zu handeln etwa – lassen sich nach BOESCH nur so in Erfahrung bringen und erkennen. Empirische Forschung in diesem Sinn bedarf des Einsatzes der ganzen Person und Subjektivität der jeweils Forschenden. [7]

Von den Einheimischen, die in solchen Fällen offenbar mehr als lediglich native speakers sind und waren, wurde der neugierige, unvoreingenommene Wissenschaftler mit Weisen der Welterzeugung (GOODMAN 1984 [1978]; GOODMAN & ELGIN 1989 [1988]) sowie den daraus erwachsenden psycho-sozio-kulturellen Wirklichkeiten bekannt gemacht. Darin kannte er sich zunächst nicht aus. Allein und ganz aus eigener Kraft hätte er sie auch nicht hinreichend kennenlernen und tragfähige Orientierungen sowie Fähigkeiten und Fertigkeiten ausbilden können, die es ermöglichten, an einer zunehmend vertrauteren Praxis teilzunehmen, und wäre es primär zu Forschungszwecken. Solches Orientierungs- und Handlungswissen entsprach eher einem praktischen Können, das in Teilen implizit ist und bleiben muss, als einem diskursiven, expliziten Wissen. Auch dies hatte BOESCH sehr schnell verstanden – und entsprechend gehandelt, was nicht zuletzt bedeutet: Er hat sich bei aller zweckdienlichen Vorbereitung letztlich unvorhersehbaren Widerfahrnissen ausgesetzt. Mit anderen Worten: Sein Forschungsstil war koexistenziell und kollaborativ, partizipativ und an wechselseitige Belehrungen und Bereicherungen sowie gegenseitige Zumutungen und Herausforderungen gebunden. Forschung mag zwar in systematisch gebildete und klar formulierte Erkenntnisse münden, in den interpretativen Disziplinen insbesondere in dichte Beschreibungen (GEERTZ 1987 [1973]) oder verstehende Erklärungen (dieses oder jenes Typs: vgl. STRAUB 1999b, 2021, 2022a). Sie beruht aber zunächst und unabdingbar auf der Teilhabe an einer soziokulturellen Praxis, mit der man sich vertraut zu machen hat (was ein gewisses Vertrauen der Anderen, womöglich Fremden, erfordert, ihre Bereitschaft zur Kooperation nicht zuletzt; exemplarisch BOESCH 1983b). [8]

Es ist klar, dass in dieser relationalen Praxis – in fortwährenden Dialogen und Diapraxen, in den ständigen Bezug- und Stellungnahmen, Antworten und Anschlusshandlungen – die traditionelle epistemologische Unterscheidung zwischen Erkenntnissubjekt und -objekt nicht mehr ganz so trennscharf ist, wie gemeinhin angenommen wird. Auch dies ist ein Grundsatz jeder relationalen Hermeneutik: Die wissenschaftliche Erfahrung der Erfahrung von anderen (MATTHES 1992) ist an Selbsterfahrung gebunden. Fremderkenntnis und Selbsterkenntnis greifen hier fortwährend ineinander – und zwar sowohl aufseiten der professionell, also, soweit das eben geht, methodisch handelnden Forscher_innen, als auch aufseiten der Leute, die üblicherweise die Themen und Gegenstände der empirischen Untersuchungen liefern und selbst schon verkörpern. Auch bei ihnen bleibt meistens nicht einfach alles beim Alten. Forschungen sind vielfach Interventionen in die Felder, die sie lediglich zu untersuchen vorgeben. Bei einem entwicklungs- und bildungspolitischen Projekt, wie es BOESCH in seinen kulturpsychologischen Studien in Thailand verfolgt hat, ist das ganz offensichtlich. Aber wie gesagt: Auch die Forschenden gehen aus dem Feld nicht so heraus, wie sie hineingegangen sind. In epistemologischer Hinsicht ist es dabei besonders wichtig zu beachten, dass resultierende wissenschaftliche Erfahrungen und Erkenntnisse stets das Ergebnis von Ko-konstruktionen sind, am Ende also relationale Tatbestände, in die auch die Forschenden – ihre Perspektiven, Vokabulare, Relevanzsetzungen etc. – verstrickt sind. In dieser Empirie gibt es kein vom Erkenntnissubjekt vollkommen separiertes, isolierbares Objekt der Erfahrungs- und Erkenntnisbildung, wie sehr man sich auch um die zeitweise Übernahme einer emischen Sicht bemühen muss. Ganz ohne eigene Anteile ist diese "Sicht von innen" kaum zu erfassen. [9]

Man kann BOESCHs Geschichte als Wissenschaftler mit gutem Grund als eine existenziell herausfordernde, ihn persönlich ungemein bereichernde Erzählung auffassen, in der zuvorderst davon die Rede ist, wie einer auszog, um das Forschen zu lernen – obwohl er das so gar nicht vorhatte, als er die ehrenvolle Einladung der UNESCO, unterstützt vom damaligen Rektor der Universität des Saarlandes, annahm und sich nach Thailand aufmachte. Dort zu leben und zu forschen: das wurde schon bald eine unauflösliche Einheit für einen Mann, der sein mitgebrachtes professionelles Handwerkszeug – psychologische Tests und Messverfahren, klinische Interviews, allerlei weitere empirische Methoden sowie korrespondierende theoretische Standpunkte – im Handumdrehen zur Seite legte, weil er schnell einsehen durfte, dass er damit scheitern musste beim Versuch zu verstehen, was und wie Thais denken und glauben, fühlen, wünschen und wollen, worin ihre wichtigsten Überzeugungen bestehen und wie sie ihnen gemäß, freilich situationsflexibel, handeln und leben. Jerome BRUNER (1990, S.13) sprach ganz in diesem Sinn davon, man strebe auch in der Psychologie nach einem "culture's account of what makes human beings tick. It includes a theory of mind, one's own and others', a theory of motivation, and the rest". Dieses empirische Forschungsziel zu erlangen, bedurfte es auch in Thailand anderer Verfahren, Denk- und Handlungsweisen als derjenigen, die dem europäischen Psychologen vertraut waren und ihm zunächst erfolgversprechend erschienen. Mit etwas "Psychotourismus" – wie BOESCH die unbedarften Auslandsreisen seiner Kolleg_innen aus der kulturvergleichenden Psychologie bald schon etikettieren sollte – war es nicht getan: Kulturpsychologie ist "grundsätzlich anders. Sie besteht nicht einfach darin, in einer fremden Kultur irgendwelche Tests durchzuführen" (2021b [2010], S.36). [10]

BOESCH erkannte das mit unvergleichlicher Radikalität und zog, unerschrocken und mutig nicht zuletzt im Hinblick auf die persönlichen Folgen, klare Konsequenzen aus dieser erfahrungsgesättigten Einsicht in das eigene, bereits erlebte oder leicht zu erahnende, noch bevorstehende Scheitern als konventioneller Wissenschaftler. Wollte man im interessierenden Handlungs- und Forschungsfeld Erfolge ernten, so musste man einiges grundsätzlich ändern, in gewisser Weise von vorne anfangen. BOESCH war – im Unterschied zu seinen wissenschaftlichen Mitarbeiter_innen aus Deutschland und zahlreichen Kolleg_innen in der kulturvergleichenden psychologischen Forschung, die in solchen Lagen allesamt zögerten und den Aufwand wenig karriereträchtiger Maßnahmen scheuten (S.47) –, sehr schnell klar, dass zunächst vor allem eines Not täte und zu tun sei, koste es, was wolle: Die fremde Sprache, also Thai, lernen, daran führe wohl kein Weg vorbei. Das galt ebenso für den nicht minder mühseligen, langwierigen Versuch, sich allmählich in die teils faszinierenden, teils unheimlichen, jedenfalls vielfach unverständlichen, persönlichen Überforderungen mit sich bringenden Sitten und Bräuche der Thais einzuüben und allmählich einzugewöhnen. BOESCH unternahm all dies, ohne den für jede wissenschaftliche Beobachtung notwendigen Abstand zu verlieren, eine professionelle Distanz, die den systematischen Wechsel zwischen emischer und etischer Perspektive vorsah und verlangte. Den eigenartigen, fremdkulturellen Formen des Denkens, Fühlens und Handelns, auf die BOESCH in Thailand tagtäglich aufs Neue traf, konnte man nur in der angedeuteten Weise, also aktiv und offen für Neues, gerecht werden. Auch BOESCH musste, um erfolgreich sein zu können, mit einem erheblichen Maß an Ambiguitäts- und Frustrationstoleranz sowie einer hohen Bereitschaft zu expansivem Lernen ausgestattet sein:

"Doch bis in das dritte Jahr plagte ich mich damit herum, zu verstehen, was Kultur eigentlich sei. Der Auftrag der UNESCO lautet ja, den Einfluss der Kultur auf kindliche Entwicklung zu untersuchen. Die Kultur als unabhängige Einflussgröße, wie ließ sich das präzise fassen? Ich war ja alltäglich umgeben von Kultur. Wie jeden Neuling beeindruckten mich zuerst die fremdartigen Feste und Feiern, religiöser wie weltlicher Art, die Tempel mit ihren Mönchen und Ritualen, das Theater und die Musik. [...] Allmählich schärfte sich mein Blick auch für das weniger Offensichtliche, die Subtilitäten des Grüßens und miteinander Redens, der Umgang mit Kindern, mit Untergebenen und Höhergestellten, die Lösung von Konflikten. Mein Ohr schärfte sich für die Eigenart thailändischer Musik, mein Geist für die Weisheit buddhistischer Lehren, und eine Vielzahl anderer Phänomene des Alltags legten mir nahe, dass sie alle, wenn auch in schwer fassbarer Weise, irgendwie einem gleichen kulturellen Fundus entspringen mussten. Doch was war dieser? Im dritten Jahr erst glaubte ich eine Lösung gefunden zu haben. [...] In Tat und Wahrheit jedoch begleitete mich die Frage lebenslang" (S.34f.). [11]

Fremdheitserfahrungen, Irritationen, Verständnislosigkeit und Verunsicherungen, das gab und gibt es für europäische Psycholog_innen gewiss nicht nur in Thailand. Analoges und dennoch Anderes kannte BOESCH natürlich bereits aus anderen fremdkulturellen Kontexten, in gewissem Maße schon aus der Zeit des Aufwachsens in der multikulturellen, mehrsprachigen Schweiz oder aus seinem Leben als Einwanderer im Nachbarland Deutschland, das mit dem geschichtlich bewegten Saarland zweifellos ein paar ganz eigene kulturelle Spezialitäten zu bieten hatte – schon die Dialekte oder die kulinarischen Traditionen zeugen davon (KREWER 1992). Thailand jedoch war zweifellos herausfordernder und anstrengender, und zwar bereits dann, wenn man sich den wissenschaftlichen Aufgaben wirklich stellen und sie tatsächlich übernehmen wollte. BOESCH tat genau das, während er sich enttäuscht über seine deutlich bequemeren, behäbigeren und zugleich ungeduldigeren jungen Mitarbeiter_innen (aus Deutschland) beklagte. Er jedoch wich nicht aus. Er mutete sich das Erleben erheblicher gradueller Kulturunterschiede und auch radikaler Differenzen zu, derer wir uns zwar spürend gewahr, aber nicht völlig bewusst werden können, weil sie sich, während sie vage erlebt werden, stets auch entziehen (und auf diese Weise Unheimliches, Ängstigendes konstituieren (BOESCH 2005; zur Unterscheidung zwischen radikalen sowie graduellen, ontischen oder komparativen Differenzen vgl. LIEBSCH 2001, S.155ff.; STRAUB 2007, 2010; WALDENFELS 1998). [12]

BOESCH unterließ alle akrobatischen Übungen namens "Angst und Methode" (DEVEREUX 2018 [1967]), die bekanntlich ausnahmslos dazu führen, dass sich Forschende hinter ihren vermeintlich unantastbaren wissenschaftlichen Prinzipien und Techniken verschanzen. Genau deswegen finden sie keinen Zugang zu den eigentlich interessierenden psycho-sozio-kulturellen Wirklichkeiten, zu den partiell eben fremden Handlungs-, Lebens- und Selbstformen. Wer die emische Perspektive nicht wenigstens virtuell einzunehmen in der Lage ist, versteht nichts von den Anderen und kann bei nichts mitmachen. Wer die fremde Sicht der Dinge, wenigstens zu wissenschaftlichen Zwecken, zumindest zeitweise übernehmen möchte, muss sich die Sprache der anderen, ihre Semantik und Pragmatik aneignen. Er oder sie muss lernen, sich allmählich in den zunächst irritierenden Praxen orientieren zu können, sich dort zunehmend auszukennen und auf alles, was geschieht, antworten bzw. an die Handlungen der anderen anschließen und sie fortsetzen zu können, ohne beim Gegenüber allzu große Verwirrung auszulösen. BOESCH gelang das in ungewöhnlichem Maße. Er zog aus, um forschen zu lernen, das heißt: um in fremden Welten leben und dadurch und dabei fremde Wirklichkeiten beschreiben, verstehen und erklären zu können. Anderen gelang und gelingt das weniger gut. [13]

1.2 Wachsende Vertrautheit mit Thailand, Entfremdung von der nomologischen Psychologie

BOESCH (1996) hielt mit dieser persönlichen Überlegenheit gegenüber den unbedarfteren Vertreter_innen der zeitgenössischen cross-cultural psychology nie hinterm Berg. Er fand deren methodisch getarnte Kommodität bestenfalls pseudowissenschaftlich und auch in ethisch-moralischer, politischer Hinsicht kein Glanzstück der europäisch-nordamerikanischen Wissenschaften. BOESCH war frühzeitig ein vergleichsweise stiller Repräsentant der postkolonialen Kritik der "westlichen" Psychologie (und zugleich ein lebender Beweis dafür, dass diese Psychologie keine homogene Einheit, also gerade nicht überall ein und dasselbe war und ist.) Er warf allen Varianten szientistisch eingehegter Forschung – namentlich der cross-cultural psychology – mindestens "sieben Mängel" vor und verpackte seine radikale Kritik gerne auch in kleinen Traktaten, die in angesehenen internationalen Journals platziert werden konnten (a.a.O.). Nun, der Erfolg solcher Interventionen war wohl überschaubar. BOESCH stieß als Kritiker der nomologischen, dezidiert naturwissenschaftlichen Psychologie und origineller Vertreter einer hermeneutischen, interpretativen Handlungs- und Kulturpsychologie an harte, unüberwindbare Grenzen der Disziplin. Demgemäß war seine Stimme nicht allzu weit zu vernehmen. Sie blieb meistens ohne Widerhall und erst recht ohne angemessene Antwort. Das gilt jedenfalls für den nomologischen Hauptstrom der experimentell ausgerichteten Psychologie und deren wissenschaftlichen Normalbetrieb. BOESCH wusste das und fand es ernüchternd, sogar deprimierend.5) [14]

Es wäre heutzutage also keine Überraschung, Ernst BOESCHs Psychologie nicht (mehr) zu kennen, den Namen dieses produktiven Autors und Pioniers der Handlungs- und Kulturpsychologie noch nie gehört zu haben, selbst in der Psychologie unserer Gegenwart. Trotz mehrfacher Ehrungen für sein Lebenswerk durch prominente Institutionen und Persönlichkeiten (siehe z.B. BALTES 1997, 2001) und einer zweifellos überregional wahrgenommenen, seit 1951 eingenommenen Position als Lehrstuhlinhaber der Universität des Saarlandes, die er trotz anderer Rufe niemals aufgegeben hat, ist der Psychologe schweizerischer Herkunft nach seinem Ableben im Jahr 2014 zumindest im Mainstream der wissenschaftlichen Psychologie weitgehend in Vergessenheit geraten. Besonders viel hat man sich aus seinen Beiträgen und Errungenschaften, Ermunterungen und Ermahnungen dort ohnehin nicht gemacht. BOESCHs Einfluss war klar begrenzt. Daran ändert die Tatsache nichts, dass er in kleinen Kreisen wie etwa in der Gesellschaft für Kulturpsychologie oder im Umfeld der Zeitschrift Culture & Psychology bis heute hohes Ansehen genießt (LONNER & HAYES 2007; STRAUB & CHAKARATH 2019; STRAUB et al. 2020; VALSINER 1997). [15]

Insgesamt lässt sich resümieren: Es ist zwar richtig, dass BOESCHs mit außergewöhnlicher Beharrlichkeit entwickeltem Denken kein durchschlagender Erfolg beschieden war. Von völliger Ignoranz kann aber dennoch nicht die Rede sein. Neben dem Saarbrücker Lehrstuhl bezeugen das die erwähnten Forschungsaufträge unter anderem von der UNESCO, die durch mehrere Förderinstitutionen unterstützt wurden (Deutsche Forschungsgemeinschaft, Stiftung Volkswagenwerk u.a.). Ebenso spricht für eine gewisse Anerkennung der Leistungen BOESCHs die englisch- und die revidierte sowie erweiterte französischsprachige Ausgabe der allerdings niemals auf Deutsch erschienenen Monografie "Symbolic Action Theory and Cultural Psychology" (1991). Die zahlreichen Schriften mögen tatsächlich nur von wenigen gründlich rezipiert worden sein. Dennoch fanden und finden einige Errungenschaften BOESCHs unter Wissenschaftler_innen der international etablierten Kulturpsychologie anhaltende Beachtung. Manchmal weckten sie sogar die Bewunderung von Kolleg_innen, die aus ihrer Wertschätzung keinen Hehl machten (LANG & FUHRER 1993). Man kann also bilanzieren, dass im Fall BOESCH hohes Ansehen und Außenseitertum bis heute bestens harmonieren. [16]

Carlos KÖLBL (2020, S.228, Fußnote 17) merkte zurecht an, dass der – wie alle bestätigen dürften, die ihn persönlich gekannt haben – mitunter etwas gekränkt, sogar leicht verbittert wirkende Psychologe die erwähnten Meriten und die bisweilen erfahrene Achtung und Beachtung etwas unter den Scheffel stellte. Das alles war ihm zeitlebens nicht genug, und vielleicht entspricht die insgesamt allzu dosiert genossene Resonanz tatsächlich nicht der wissenschaftlichen Bedeutung seines Werkes. Seine beiden bekanntesten Schüler, Lutz ECKENSBERGER und Paul BALTES, erlangten zeitweise größere Bekanntheit und stärkeren Einfluss. Während in ECKENSBEGERs Schriften (vgl. zum Überblick 2019) auch noch in seiner Zeit als Direktor des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung bzw. des Leibnitz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation in Frankfurt/M. BOESCHs Denken vielfach präsent war, kam es bei BALTES eigentlich kaum vor, obwohl gerade der langjährige, hoch dekorierte Ex-Direktor des Berliner Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung die oben erwähnten Ehrungen von BOESCHs Lebenswerk durch veröffentlichte Reden schmückte (BALTES 1997, 2001). Die sachliche Randständigkeit von BOESCHs Denken in den Schriften seines ehemaligen Schülers – BALTES selbst wählte diese Bezeichnung mehrfach – bleibt gleichwohl eine Tatsache, selbst wenn der renommierte Entwicklungspsychologe manchmal en passant auf den angeblichen Einfluss BOESCHs verwies, etwa dann, wenn er für eine empirische Weisheitsforschung (BALTES, SMITH & STAUDINGER 1992) oder eine Psychologie der Sehnsucht (BALTES 2008) plädierte und dabei, vor allem im zweiten Fall, zweifellos Konzepte aufgriff, die in BOESCHs Denken wichtig waren. Die "Sehnsucht" tauchte dort nicht nur als Wort und Konzept mehrfach auf, sondern bildete Jahrzehnte lang einen motivations-, handlungs- und kulturpsychologischen Grundbegriff. Dadurch rückte der Autor seinen eigenen Ansatz übrigens in eine Jahrtausende alte religiöse Tradition: Die Sehnsucht nach dem Paradies steht bekanntlich mit im Zentrum der mythischen Geschichte von Adam und Eva, auf die der geschichtsbewusste Kulturpsychologe in seinen letzten Lebensjahren ausführlich zu sprechen kam (BOESCH 2021a, S.209ff.; vgl. dazu STRAUB 2022b). Selbst unter Kulturpsycholog_innen wurde dieser religiöse Hintergrund von BOESCHs eigentlich areligiösem, mitunter dezidiert religionskritischem Denken übrigens kaum thematisiert. Seine Bedeutung bleibt ebenso unklar wie der Einfluss asiatischer (oder sonstiger) spiritueller Traditionen, denen der europäische Denker, wie viele seiner Schriften bezeugen (z.B. BOESCH 1983b, 2021a), einiges abgewinnen konnte. [17]

Im Großen und Ganzen ist festzuhalten, dass ernsthafte, profunde Auseinandersetzungen mit BOESCHs Arbeiten sowie nennenswerte Fortsetzungen in ihrem Geist weitgehend fehlen, obwohl BOESCH in einem – allerdings nicht nur methodisch zweifelhaften – Ranking der wichtigen Fachzeitschrift Culture & Psychology als einer der wichtigen und viel beachteten Kulturpsycholog_innen angeführt wurde (STRAUB & CHAKKARATH 2019, Fußnote 6). Gelesen haben seine gedankenreichen Bücher wohl nur wenige, jedenfalls nicht so, dass diese Lektüren Früchte im erwähnten Sinne einer Fortsetzung der wissenschaftlichen Arbeit trugen. Das gilt insbesondere für "Das Magische und das Schöne" (BOESCH 1983b) oder die ebenfalls allesamt nach der Emeritierung verfassten Monografien "Sehnsucht. Von der Suche nach Glück und Sinn" (1998), "Das lauernde Chaos. Mythen und Fiktionen im Alltag" (2000) oder die Schrift "Von Kunst bis Terror. Über den Zwiespalt in der Kultur" (2005), schließlich für das posthum herausgegebene Buch "Musik, Sprache und die Sehnsucht nach dem Paradies" (2021a), in dem sich weitere Texte zur handlungstheoretischen Kulturpsychologie finden. Es gilt jedoch auch schon für das theoretische Opus magnum "Symbolic Action Theory and Cultural Psychology" aus dem Jahr 1991 und seine jüngere, 1995 erschienene französische Schwester (über deren Rezeption in Frankreich oder anderswo ich bislang leider nicht viel weiß). [18]

Man darf hinzufügen, dass der erklärte wissenschaftliche Einzelgänger trotz seiner sozialen Funktionen in der Hochschule und anderen Einrichtungen, vor allem auch in empirischen Projekten im In- und Ausland, keine wirkliche Schule begründen konnte – obschon manchmal von der "Saarbrücker Schule" die Rede war, auch bei BOESCH selbst (2021b [2010]); VALSINER (1997) sprach in der Einleitung zu einer BOESCHs Ansatz gewidmeten Ausgabe von Culture & Psychology von einer "Saarbrucken Tradition". Den Namen "Schule" kann man allerdings lediglich im Hinblick auf die bald schon eigenständige, die handlungstheoretische und kulturpsychologische Saarbrücker Tradition fortsetzende Tätigkeit Lutz ECKENBERGERs sowie dessen ehemaligen Doktoranden Bernd KREWER benutzen. Vielleicht wären noch die zeitweilige Mitarbeit von zwei, drei weiteren Personen einzubeziehen, die allerdings keine tieferen Spuren in der Wissenschaftslandschaft hinterlassen haben. KREWER, der eine Zeit lang auch mit Gustav JAHODA zusammenarbeitete, verließ die Universität schon bald nach der Promotion und machte sich mit einer Beratungsfirma selbständig. ECKENSBERGER bewahrte Verbindungen, ging jedoch vor allem eigene Wege und pflegte einen Denk- und Forschungsstil, der mit demjenigen BOESCHs weniger gemeinsam hatte als es auf den ersten Blick scheinen mag. Davon zeugen nicht nur die Themen der Schriften, sondern auch die von beiden Autoren geschriebene Sprache. Der Traditionsbegründer pflegte offensichtlich einen literarisch anspruchsvollen Stil, meistens jedenfalls. Er verzichtete auf jeden wissenschaftlichen Jargon sowie den Anspruch, systematisches Denken in abstrakte Theorien und formale Modelle oder Grafiken zu verpacken (wie es ECKENSBERGER häufig tat). Es wäre falsch, diesen Stil als Verzichtserklärung auszulegen und zu glauben, BOESCH wäre an begrifflicher Klarheit, theoretischer Stringenz und methodischem Vorgehen nichts gelegen gewesen. Das war keineswegs der Fall, wenngleich er die Neugier auf bestimmte Phänomene und seine oft lange Zeit anhaltenden inhaltlichen Interessen wohl stets über diese genuin wissenschaftlichen Tugenden stellte. [19]

Alles in allem war und blieb BOESCH eine singuläre Erscheinung, trotz seines Engagements und seiner Eingebundenheit in verschiedenen Feldern. Diesbezüglich sind neben der Sozialpsychologischen Forschungsstelle für Entwicklungshilfe, insbesondere Erziehungshilfe in Saarbrücken, später umbenannt in die Sozialpsychologische Forschungsstelle für Entwicklungsplanung, vor allem die teils in der Forschungsstelle angesiedelten außereuropäischen Forschungsprojekte von Bedeutung. Die in Thailand, Afghanistan, Kenia und Somalia beheimateten Unternehmungen sollten BOESCH persönlich und wissenschaftlich sehr stark prägen, in einer wohl auch von ihm selbst kaum erwarteten Weise. Ganz besonders traf das für den oben erwähnten, mehrjährigen Forschungsaufenthalt in Thailand zu, der im Auftrag der UNESCO erfolgte und ganz ausdrücklich an sog. entwicklungspolitische Ziele gekoppelt war (KÖLBL 2020, S.227ff.; WEIDEMANN 2011, S.14ff.). BOESCH lernte, wie berichtet, in Thailand nicht zuletzt seine spätere, zweite Ehefrau Supanee kennen, die zunächst im Projekt mitwirkte und ihm zeitlebens eine wichtige Begleiterin, Anregerin und Stütze blieb. Sie verstarb am 24. März 2020 ebenfalls im Saarland. Zur dortigen Universität gab es in den letzten Lebensjahrzehnten der beiden "Fremden im eigenen Land" lediglich noch sporadische Kontakte. Auch in der einstigen Arbeitsstätte, in die BOESCH nicht zuletzt wegen ihrer internationalen Lage an der Grenze zu Frankreich, in der Nähe Luxemburgs und der Schweiz so viele Hoffnungen setzte und wo er zweifellos vieles bewirken konnte, ist der Emeritus schon bald in Vergessenheit geraten. Nur in den Nischen der heute international etablierten Kulturpsychologie wirken seine originellen Arbeiten weiter. [20]

1.3 Einige genuin wissenschaftliche Einflüsse

Was nun die wissenschaftlichen Meriten angeht, ist leicht zu erkennen, dass auch in BOESCHs Œuvre Verschiedenes zusammenfloss und fruchtbare Verbindungen einging. Dazu zählt etwa das Werk von Pierre JANET, der, obwohl er andere Schwerpunkte vor allem in der Psychopathologie, klinischen Psychologie und Psychotherapie pflegte, BOESCHs handlungstheoretisches Denken maßgeblich prägte. Dazu gehören auch die Schriften Kurt LEWINS, dem sich unter anderem eine klare subjekttheoretische Ausrichtung und der Begriff der Valenz verdankt. Außerdem ist BOESCHs Arbeit durch Erkenntnisse und methodische Orientierungen der Psychoanalyse, der Entwicklungspsychologie und -soziologie, der pädagogischen Psychologie, der kulturvergleichenden Psychologie, der Kulturanthropologie oder der Ästhetik sowie einiger anwendungsorientierter Gebiete wie etwa der klinischen Psychologie, der psychologischen Diagnostik, Beratung und der Psychotherapie geprägt.6) [21]

Man sollte in Erinnerung behalten, dass BOESCH acht Jahre lang als Schulpsychologe verbrachte, in diesem Beruf sehr viel mit diagnostischen Aufgaben betraut war und damit verbundene Tätigkeiten verrichtete, und dass er auch als Universitätsprofessor in eigener Praxis Psychoanalysen durchführte – wobei mir nicht bekannt ist, welcher postfreudianischen Strömung er womöglich besonders nahestand und ob dies überhaupt der Fall war, oder ob er weitgehend eklektisch dieses und jenes kombinierte, also einen ganz eigenen Stil kreierte und praktizierte (wie so viele Psychotherapeut_innen, die sich nicht strikt an eine dogmatische Lehre und fixierte Methode halten). Ich glaube übrigens, dass der Einfluss der Psychoanalyse auf BOESCHs Psychologie trotz der erwähnten Skepsis und Kritik stärker war, als er es selbst zugestand und öffentlich sagte. Das ist etwa an der Konzeption der Konnotationsanalyse zu erkennen (BOESCH 2006 [1976]; vgl. dazu RUPPEL 2020; STRAUB 2020, S.85ff.), aber auch am Theorem der Polyvalenz allen Handelns und aller Handlungsobjektivationen. Mit diesem Theorem trat BOESCH (1991) nicht nur das Erbe LEWINs (1963, 1969 [1936]) an, sondern griff auch FREUDs (s. dazu LAPLANCHE & PONTALIS 1972) Gedanken der multiplen Motivation bzw. "Überdeterminiertheit" von Handlungen auf. Es gibt so gut wie immer mehrere "Ursachen" oder "Gründe" – zwei erklärungstheoretische Begriffe, die auch BOESCH übrigens leider nicht systematisch unterschied (dazu ausführlich STRAUB 1999a) – und entsprechend viele Bedeutungen von Handlungen. Und von FREUD – nicht nur, aber auch von ihm – übernahm er, trotz des von HABERMAS (1968, S.300) diagnostizierten "szientistischen Selbstmissverständnisses" des ersten Psychoanalytikers, auch die Einsicht in die symbolische Verfasstheit bzw. Vermitteltheit psychischer, sozialer und kultureller Phänomene jedweder Art, mithin die Einsicht in die Notwendigkeit des Sinn- oder Bedeutungsverstehens, kurz: einer spezifisch psychologischen Hermeneutik. In dieser hermeneutischen Position werden eben vornehmlich Motive, Intentionen, Begehren, Wünsche, Sehnsüchte etc. fokussiert, auch gruppenspezifische oder individuelle Auslegungen von Regeln und Geschichten sowie die damit verwobenen sozialen Bedeutungen. [22]

Wie dem auch sei, BOESCHs Handlungstheorie und Kulturpsychologie zeugte nicht nur von mannigfachen wissenschaftlichen Einflüssen, sondern auch von einer gewissen Praxis- und Lebensnähe, die dem eigenwilligen Denker stets wichtig war. Mit lebensfernen Abstrakta und hausgemachten Behauptungen aus dem psychologischen Laboratorium, die alltagsweltlichen Erfahrungen und bewährten Wissensbeständen nicht standhielten, konnte der Wissenschaftler, der sich für so viele verschiedene Phänomene und Vorgänge interessierte, nichts anfangen. BOESCH war ausgezogen, um das Forschen zu lernen. Ohne etwas anbieten zu können, was dem Leben dienlich sein könnte, wollte er aus seinen wissenschaftlichen Unternehmungen nicht zurückkehren. Auch an diesem Grundsatz und Vorhaben hielt er zeitlebens fest. Er stand dem Leben und auch der Literatur, der Musik und anderen Künsten wohl ebenso nah wie den Wissenschaften. Vielleicht zeigt sich dies auch daran, dass er nicht alle epistemologischen und methodologischen Grundfragen seiner Disziplin mit derselben Hingabe und Gründlichkeit studierte. Manches Problem ließ er auf sich beruhen und nahm schon einmal Defizite seines eigenen Ansatzes in Kauf, anstatt sein Dasein ganz und gar der Wissenschaft zu widmen. Darauf gehe ich im folgenden Teil dieser Abhandlung ein. [23]

2. Systematische Notizen zu Stärken und Schwächen von BOESCHs Ansatz

Nimmt man auf Einzelheiten keine große Rücksicht und lässt die elementaren, heute bereits selbstverständlichen Grundannahmen kulturpsychologischen Denkens beiseite – wie etwa das Postulat einer unauflöslichen Interdependenz von Kultur und Person sowie die damit verwobene Auffassung der allgemeinen Kulturalität und Sozialität alles Psychischen –, dann lassen sich einige zentrale Überzeugungen und Prinzipien von BOESCHs handlungstheoretischer Kulturpsychologie wie nachfolgend dargestellt resümieren. Dabei können zugleich ein paar Schwachstellen identifiziert werden. Viele seiner charakteristischen theoretischen Eigenheiten teilte dieser Ansatz (BOESCH 1980, 1983a, 1988, 1991) mit verwandten Konzeptionen (etwa von Jerome BRUNER 1986, 1990, 2003 und auch mit meinen eigenen Arbeiten, BOESCH & STRAUB 2007; STRAUB 1999a, 2021, 2022a). Manche stellte BOESCH jedoch mit besonderer Klarheit und Entschiedenheit heraus, wieder andere arbeitete er dagegen nur unzulänglich aus. Ich greife ein paar grundsätzlich interessante und gerade heute hoch aktuell erscheinende Gesichtspunkte heraus, natürlich ohne den Anspruch zu erheben, seine gesamte Psychologie lückenlos zu repräsentieren (vgl. dazu die Beiträge in STRAUB et al. 2020). Ein paar unabdingbare Grundsätze und Gedanken, die sein Schaffen maßgeblich geprägt haben, sind – neben den in dieser Abhandlung bereits angeführten – die folgenden: [24]

BOESCHs überwand in seiner Handlungs- und Kulturpsychologie den Individuozentrismus der akademischen Psychologie, ohne das Subjekt und seine Individualität zu vergessen, zu ignorieren oder gar zu verleugnen. Der explizite oder implizite Solipsismus einiger psychologischer Theorien, Methoden und Forschungsprogramme (ZIELKE 2004) war BOESCH ebenso fremd wie der verbreitete Soziologismus, bei dem von der personalen Dimension menschlicher Existenz und ihrer irreduziblen Individualität abgesehen wird (STRAUB 2023). BOESCH war eine solche Eliminierung des Persönlichen und Individuellen ein Schreckgespenst, das ihn unweigerlich an die Totalitarismen der individualitätsfeindlichen politischen Regimes im 20. Jahrhundert erinnerte. Er hätte wohl nicht gezögert, manche, zumal die epigonalen Hymnen auf den "Tod des Subjekts" (STRAUB 2011) als Ausläufer zweifelhafter politischer Programme der Homogenisierung und Beherrschung ganzer Bevölkerungen oder Bevölkerungsgruppen zu bilanzieren. (Post-) Strukturalistische Exzesse jedenfalls, in denen Personen auf bloße Effekte von identifizierbaren oder anonymen Strukturen zusammenschrumpfen und zu drangsalierten, abgerichteten Lebewesen ohne eigene Antwortmöglichkeiten und Verantwortungen werden – fernab von wenigstens teilweise autonomen, selbstbestimmten und initiativen Handlungsmöglichkeiten –, hätte er keinesfalls geduldet. Gegen die Verabsolutierung heteronomer Strukturen sprachen seines Erachtens nicht nur die reflektierten Lebenserfahrungen zahlloser Menschen, sondern auch theoretische Argumente sowie ethisch-moralische oder politische Bedenken. BOESCH hat sich in seinen Schriften zwar niemals systematisch mit dem (Post-) Strukturalismus oder dem Behaviorismus auseinandergesetzt; deren unabhängig voneinander betriebene, aber Ähnlichkeiten aufweisende Eliminierung des reflexiven, partiell autonomen Subjekts sowie des unverwechselbaren Individuums hat er aber ganz entschieden abgelehnt.7) [25]

Wohlgemerkt: BOESCHs besagte Gegnerschaft gegen die Verabsolutierung von anonymen Strukturen und heteronomen Zwängen vertrug sich bestens mit der dezidiert sozial- und kulturtheoretischen Grundlegung seiner Psychologie. Im Zentrum dieser Konzeption trifft man – wie bei Sigmund FREUD oder Norbert ELIAS, der im Unterschied zu BOESCH eingestand, wohl von niemandem so sehr beeinflusst zu sein wie eben vom Vater der Psychoanalyse (ELIAS 2015; ELIAS & SCOTSON 1990 [1965]) – auf die unauflösliche Spannung zwischen Individuum und Gesellschaft, Kultur und Person, mithin auf deren zwischen Interdependenz, Komplementarität und Konkurrenz oszillierendes Verhältnis. Wie sehr BOESCH an der personalen, individuellen Dimension unserer Existenz und Koexistenz festhielt, zeigten nicht nur seine psychologische Anthropologie und Handlungstheorie, sondern auch seine Methodik der Konnotationsanalyse (BOESCH 2006 [1976]), die eben ganz dezidiert für unverwechselbar persönliche Konnotationen und Assoziationen Raum schuf. Bedeutungen sind fast immer kulturell, sozial und individuell zugleich. [26]

Was etwas bedeutet – ein Wort oder eine Äußerung, eine Handlung oder ein Ereignis, ein Objekt oder ein Ding beliebiger Art – entscheiden nicht allein soziokulturelle Konventionen und Diskurse, die wir praktisch permanent reproduzieren und so in halbwegs stabile pragma-semantische Ordnungen, Institutionen oder Strukturen überführen. Für jeden Menschen kann schlechterdings alles etwas Eigenes und Einmaliges bedeuten. BOESCH (2008) scheute nicht vor dem offenkundig paradoxen Konzept einer subjective culture zurück. Alle Menschen handeln nicht bloß auf der Basis denotativer Bedeutungen und soziokulturell geteilter, kollektiver Konnotationen, sondern auch auf ihrem inkorporierten Fundus individueller Bedeutungszuschreibungen. BOESCH war unter den Kulturpsycholog_innen wohl der entschiedenste Statthalter einer emphatisch bezeugten Individualität (vgl. zu diesem Thema STRAUB 2023). Man muss diese theoretische Grundüberzeugung nicht über Gebühr psychologisieren, darf aber wohl mutmaßen, dass neben den politischen Totalitarismuserfahrungen auch BOESCHs eigene, zeitlebens stark erlebte und gelebte Individualität zur Genese dieser sehr stabilen, auch in wissenschaftlicher Hinsicht wichtigen Position führte. Die handlungstheoretische Kulturpsychologie BOESCHs hatte Platz für das Soziale, ohne die Psychologie in bloßer Soziologie aufgehen zu lassen und jede Form der Psycho-Analyse durch irgendeine Spielart der Sozio-Analyse zu ersetzen; Interdependenz dieser Disziplinen und Perspektiven, so könnte man diesen Punkt resümieren, womit die Notwendigkeit und Irreduzibilität beider fachwissenschaftlicher Sichtweisen bewahrt bliebe. Zusammenhänge und Abhängigkeiten lassen sich nur feststellen, wo Unterschiede bereits konstatiert wurden und fortan als gegeben betrachtet wurden. [27]

Eng mit dem ersten Punkt verwandt war BOESCHs beharrliches Festhalten an der Unterscheidung zwischen "Innen" und "Außen". Wie Vertreter_innen der Psychoanalyse kennen Vertreter_innen der symbolischen Handlungstheorie und Kulturpsychologie ein "Inneres", einen binnenpsychischen Raum, der zwar nicht von "äußeren" – materiellen, ideellen, sozialen und kulturellen – Gegebenheiten und Vorgängen unabhängig ist, aber doch etwas Eigenständiges und davon zu Unterscheidendes darstellt, eine Wirklichkeit sui generis. Zu dieser seelischen, subjektiven Welt hat jede Person einen privilegierten Zugang (der sie natürlich nicht vor Selbsttäuschungen bewahrt).8) So verdienstvoll es ist, mit überkommenen und überholten Dualismen aufzuräumen – wie etwa mit der von Vetreter_innen der relationalen Hermeneutik untergrabenen und zumindest in ihrer absoluten Schärfe aufgegebenen Differenz zwischen dem Subjekt und dem Objekt der Erkenntnis (siehe Abschnitt 1.1) –, so modisch und müßig erscheint ein Dualismus-bashing, das in unserer Gegenwart längst zu einer Art Selbstzweck geworden ist. Diese zum Zweck an sich gewordene Attacke gegen Dualismen jedweder Art soll den sich kritisch gerierenden Akteur_innen im Handumdrehen eine Art geistiger Überlegenheit verschaffen, für die es in manchen Fällen jedoch keine allzu starken Argumente gibt. Man nimmt manchmal allzu leichtfertig an, dass bestimmte Differenzierungen längst antiquiert und demzufolge unbrauchbar geworden seien. Mit der traditionellen Unterscheidung zwischen Innen und Außen, die in BOESCHs Psychologie mit im Zentrum steht, verhielt es sich meines Erachtens genauso. Sie scheint bei näherem Hinsehen jedoch keineswegs veraltet und obsolet, naiv und nutzlos, sondern, ganz im Gegenteil, nach wie vor brauchbar und vielleicht sogar unerlässlich. Es kommt darauf an, wie man unterscheidet und das aufeinander bezogene Unterschiedene – die Relata – genauer bestimmt. [28]

So sah das jedenfalls BOESCH, der beinahe unentwegt davon sprach, dass unser Handeln, egal, worauf es sonst noch abzielen und was es tatsächlich bewirken mag, vor allem einen Sinn und Zweck besitze, nämlich angesichts einer dynamischen und labilen Ich-Umwelt-Beziehung Innen und Außen in ein relativ stabiles Gleichgewicht zu bringen. Handelnd seien wir stets bemüht – ob wir das nun wissen oder nicht –, das Innen und das Außen in Balance zu bringen oder in ihrem stets prekären Gleichgewicht zu halten. Das sei eine allgemeine psychologische Bestimmung des Handlungsbegriffs, nämlich dass Handeln immer auch auf die handelnde Person selbst gerichtet ist und deren Verhältnis zur äußeren Welt gestaltet. Es geht Akteur_innen also fortwährend um die Bewahrung oder (Wieder-)Herstellung eines dynamischen Fließgleichgewichts (STRAUB 2020), um eine an sich befriedigende, beruhigende, beglückende Syntonie zwischen Innen und Außen. (Dabei kann Handeln auch ein Unterlassen oder Sein- bzw. Gewähren lassen sein. Auch diese Begriffsbestimmung war in BOESCHs Handlungspsychologie anzutreffen.) Die Beispiele für die zügige oder allmähliche Verfertigung solcher Innen-Außen-Gleichgewichte sind in BOESCHs Schriften zahllos: Wir gestalten Haus und Garten ganz in diesem Sinne oder hören Musik und lesen Gedichte, um unsere Seele mit der Welt in Einklang zu bringen, und selbst der Kauf eines Autos, einer Uhr oder eines Schmuckstücks, eines Kleidungsstücks, Ruderboots oder Snowboards dient diesem obersten, alles überwölbenden Ziel und Zweck des Handelns. All dies unterstützt damit nicht zuletzt die Stabilisierung oder Steigerung unseres Erlebnis- und Handlungspotenzials (womit ein weiterer Grundbegriff BOESCHs gefallen ist, allerdings in der von mir gerne erweiterten Doppelheit, weil neben dem Handeln auch das Erleben zumindest teilweise gelernt sein will, also keineswegs nur eine natürliche Mitgift aller Menschen darstellt). Handlungen vermitteln zwischen dem Selbst und der Welt, zwischen inneren und äußeren Wirklichkeiten (die stets nur im Plural vorkommen). Das ist freilich, wie schon der Hinweis auf die permanent angestrebten Ich-Umwelt-Gleichgewichte, lediglich ein Beispiel für die Fruchtbarkeit, sogar die Notwendigkeit der theoretischen Konzepte "Innen" und "Außen". Es gibt viele weitere. Einige fokussieren das unweigerlich innere Erleben von Personen (wie auch immer dieses in aller Regel emotionale Erleben seinen äußeren Ausdruck finden mag und selbst schon durch äußere Ereignisse evoziert und mitgestaltet wurde). [29]

Wie dargelegt, konstatierte BOESCH als Kulturpsychologe mannigfache Interdependenzen und Interpenetrationen zwischen dem Innen und dem Außen, aber genau das verlangt nach der besagten Unterscheidung. Jeder undifferenzierten Gleichsetzung, jeder Komplexität reduzierenden Einebnung zwischen Innen und Außen hätte BOESCH energisch widersprochen. "Abhängigkeiten", "Wechselbeziehungen" etc.: Alle derartigen Begriffe, so vage sie manchmal auch sein mögen – und genauer betrachtet: sogar der Handlungsbegriff selbst – setzen die besagte, akzentuierende Unterscheidung voraus. Handelnd sind wir andauernd bemüht, Ich-Umwelt-Gleichgewichte zu schaffen und zu erhalten. Das kann freilich allenfalls einen Moment lang wirklich gelingen, nur selten eine längere Weile. Verschmelzungserlebnisse, ekstatische Symbiosen bzw. das Leib und Seele durchdringende Gefühl, eins mit der Welt oder wenigstens einem anderen Menschen zu sein, sind kurzlebig. Die ersehnten Balancen sind labil und fragil, anfällig für vielfältige Störungen (von außen oder von innen). Das Seelenleben der Einzelnen ist just deswegen keine anhaltend harmonische Angelegenheit, als könnten die Individuen, gänzlich unabhängig von äußeren und inneren Einflüssen, einfach in sich ruhen. BOESCH setzte das in der Psychoanalyse Sigmund FREUDs und in der Feldtheorie Kurt LEWINs so deutlich ausgeprägte Denken innerer Konflikte und Krisen fort. Balancen der besagten Art beruhigen oder beglücken für einen Augenblick oder etwas ausgedehntere Momente. Ewigkeit bleibt ihnen versagt, aus prinzipiellen Gründen. [30]

Anstatt sich mit der falschen Alternative zwischen Idealismus und Materialismus abzugeben, plädierte BOESCH für eine gleichermaßen gebotene Aufmerksamkeit gegenüber (handlungsbestimmenden) Ideen und Gedanken, Gefühlen und Stimmungen sowie materiellen Gegebenheiten unterschiedlicher Art. Exemplarisch lässt sich das an zwei Punkten verdeutlichen:

BOESCHs theoretischer Handlungsbegriff war vor allem in seinen frühen Phasen, im Grunde genommen jedoch bis zuletzt, stark ans intentionalistische, teleologische Modell des zielgerichteten, zweckrationalen Handelns gekoppelt. In den ersten Entwürfe griff er noch kybernetisches Denken und eine informationstheoretische Sprache auf; dieser Einfluss verblasste jedoch stetig. Am Konzept des intentionalen – das heißt in der Psychologie anders als bei den mit einem vielschichtigen Begriff der "Intentionalität" arbeitenden Phänomenolog_innen (HERZOG & GRAUMANN 1991; STRAUB 1999a) meistens recht schlicht – absichtlichen, ziel- und zweckgerichteten Handelns hielt BOESCH zumindest in seinen theoretischen Schriften zeitlebens fest. In den materialen, empirischen Analysen zahlreicher Phänomene hat er diese in der Psychologie übliche Modellierung ziel- oder zweckgerichteten Handelns (siehe etwa WERBIK 1978) jedoch überschritten. Allerdings findet sich eine systematische Ausdifferenzierung der Handlungstheorie in Gestalt einer Typologie, die für die Unterscheidung und Beschreibung von Handlungen ebenso tauglich sein muss, wie sie dem verstehenden Erklären eben spezieller Typen von Handlungen den Weg weisen kann, bei BOESCH nicht (vgl. dagegen KAISER & WERBIK 2013; STRAUB 1999a, 2021). Das darf man wohl als klares Manko verbuchen, das nicht zuletzt einer nicht intensiv genug geführten Auseinandersetzung mit einschlägigen Errungenschaften in den Nachbardisziplinen geschuldet ist. Von Max WEBER über Talcott PARSONS bis hin zu Jürgen HABERMAS oder Hans JOAS hätte sich da so manches abschauen lassen, um von den ausgefeilten handlungstheoretischen Diskursen in der analytischen Philosophie gar nicht zu sprechen (vgl. dazu ausführlich STRAUB 1999a; in der zeitgenössischen Soziologie insbesondere JOAS 1992; dazu STRAUB 1992). Man kann mutmaßen, dass dieses Versäumnis auch etwas mit einer gewissen Aversion BOESCHs gegenüber abstrakten Theorien zu tun hatte. Theoretische Höhenflüge ohne Bodenkontakt waren seine Sache nicht, zumal dann, wenn die theoretischen Überlegungen und Konstruktionen auch noch in eine sperrige Sprache gekleidet werden. Man kann in seinen Schriften nachsehen und stößt dann sogleich darauf, dass BOESCH theoretische Literatur zeitlebens nur spärlich zitierte und ohnehin keine ausgedehnten Bibliografien erstellte. Sogar manches, das ihn – auch in theoretischer Hinsicht – nachweislich beeindruckt und beeinflusst hatte, führte er bisweilen gar nicht erst an. [32]

Analog zum Handlungskonzept lässt sich über BOESCHs Bedeutungsbegriff sagen: Auch er war nicht allzu differenziert. Trotz der Emphase, mit der BOESCH auf die symbolische Vermitteltheit des Handelns verwies und dabei individuelle, soziale und kulturelle Bedeutungen und Bedeutungskonstruktionen in Betracht zog, vermisst man ein theoretisch bzw. typologisch ausdifferenziertes Konzept der "Bedeutung" oder des "Sinns". Das ist indes nicht weiter verwunderlich, hängen unterschiedliche Typen von Bedeutung nicht zuletzt von verschiedenen Handlungstypen ab. Ziele sowie Ziel-Mittel-Zusammenhänge schaffen andere Bedeutungen als Regeln oder Geschichten (STRAUB 1999a, 2021). [33]

BOESCH erkannte die Grenzen jeder methodischen Vorgehensweise an, ohne der Willkür und Beliebigkeit in der wissenschaftlichen Forschung Tür und Tor zu öffnen. Mit der Einsicht in die Notwendigkeit methodischer Verfahren korrespondierte seine aus der Forschungspraxis erwachsene Überzeugung, dass sich wissenschaftliche Erfahrungen und Erkenntnisse nicht allein durch die strikte Befolgung von allgemein erlernbaren Regeln gewinnen lassen. Der Grat zwischen einer sachgerechten Hochschätzung von Methoden einerseits – empirischen Forschungsmethoden im Feld der Datenerhebung und -auswertung sowie sonstigen Verfahren –, der naiven Überschätzung methodischer Rationalität oder sogar ihrer vollends zweifelhaften, gerade in der mit quantitativen oder qualitativen Verfahren arbeitenden Psychologie keineswegs seltenen Fetischisierung andererseits, war schmal, sehr schmal. Dieser Tatsache kann man sich bewusst sein und Konsequenzen daraus ziehen – oder eben nicht, was dann unter anderem dazu führt, alle anderen als die genuin methodischen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten in ihrer Bedeutung für die Bildung wissenschaftlichen Wissens zu unterschätzen und nicht gebührend zu fördern. Dazu gehören etwa soziale Fähigkeiten und nicht zuletzt persönliche Faktoren, natürlich auch schwer trainierbare Komponenten wie Imaginations- und Urteilskraft, Einfallsvermögen, Phantasie, Flexibilität, Improvisationsvermögen, kurz: situierte Kreativität. Wissenschaftssoziolog_innen wissen dies seit langem, in der Wissenschaftspsychologie könne man, sollte sie es denn eines Tages in nennenswerter Weise geben, die soziologischen Befunde gewinnbringend ergänzen. BOESCH war sich darüber im Klaren (wie vor allem seine späten Monografien zeigen, z.B. 1998, 2000, 2005, 2021a). Die Einsicht in den limitierten Wert und Nutzen von Methoden ist kein Plädoyer against methods. Sie schärft jedoch das Bewusstsein für deren Grenzen und die Tatsache, dass sich wissenschaftliche Einfälle und Erkenntnisse, wie BOESCH darlegte, noch anderem als geregelten Verfahren verdanken. [34]

Was die methodische Expertise und Kompetenz angeht, hat sich BOESCH zunächst einmal auf den vorhandenen Werkzeugkasten der Psychologie verlassen und bewährte Techniken benutzt. Wie gesagt war das, zumal in fremden Kulturen, nicht besonders erfolgreich. Er hat dann, wo es ihm angebracht erschien, auch selbst geeignete Verfahren entwickelt, namentlich die bereits erwähnte Konnotationsanalyse (2006 [1976]). Deren Namen ist eigentlich ein wenig irreführend, weil diese Methode keineswegs erst bei der Datenanalyse eine Rolle spielt – speziell bei der Interpretation subjektiver, sozialer und kultureller Konnotationen, also assoziierter Bedeutungen –, sondern bereits bei der Datenerhebung. Ganz offenkundig durch das in der klinischen Praxis entstandene FREUDsche Verfahren der freien Assoziation angeregt, fragte BOESCH seine Forschungs- bzw. Gesprächspartner_innen – auch Studierende, die in Lehrveranstaltungen diese Rolle übernahmen – nach deren Konnotationen, also nach dem, was ihnen zu bestimmten Dingen (Wörtern, Objekten, Ereignissen, Handlungen, Erinnerungen etc.) einfiel. Dieses Material bildete dann den Gegenstand von psychologischen Untersuchungen, bei denen es – wie ein Blick in BOESCHs Werk zeigt – um alles Mögliche gehen konnte: Liebeskummer, unbeherrschbare Leidenschaften, irritierende Erlebnisse, bedrückende Gewalterfahrungen oder die Bedeutung eines geerbten Füllfederhalters, den man als Schreibgerät eigentlich kaum nutzt (der also neben der in den Hintergrund gerückten funktionalen, sachlichen Bedeutung eine symbolische besitzt, und die ist eben denotativ und konnotativ zugleich, vereint kulturelle, soziale und individuelle Aspekte, BOESCH 1998, 2000, 2005, 2021a). [35]

Ich gehe hier auf Nutzen und Nachteil dieser komplexen Methode nicht näher ein (vgl. dazu RUPPEL 2020; STRAUB 2020), möchte jedoch noch festhalten, dass methodische Rationalität nicht gerade zu den Passionen BOESCHs zählte. Dementsprechend fiel die systematische Entwicklung von Forschungsmethoden insgesamt eher dürftig aus. Die Abhandlung zur Konnotationsanalyse stammt aus dem Jahr 1976. Danach kam eigentlich nichts Nennenswertes hinzu, und auch die enormen Fortschritte im Feld immer ausdifferenzierterer qualitativer Methoden nahm der Handlungstheoretiker und Kulturpsychologe wohl nicht gebührend zur Kenntnis. Wie in anderen Branchen der Psychologie blieben solche innovativen Errungenschaften – vom narrativen Interview und der Gruppendiskussion bis hin zu komplexen Theorien, Methodologien und Methodiken der interpretativen, rekonstruktiven Datenanalyse – außerhalb seiner Aufmerksamkeit. BOESCH sah keinen gesteigerten Grund, sich ausführlich mit Fritz SCHÜTZEs, Ulrich OEVERMANNs, Hans-Georg SOEFFNERs, Ralph BOHNSACKs, Ronald HITZLERs, Alfred LORENZERs oder Gabriele ROSENTHALs, Monika WOHLRAB-SAHRs, Aglaja PRZYBORSKIs oder Roswitha BRECKNERs Arbeiten auseinanderzusetzen (um zuletzt noch zwei Wissenschaftlerinnen zu nennen, die sich um die Methodologie und Methodik der Bildinterpretation verdient gemacht haben; er hätte wohl auch solche aufwendig begründeten Verfahren zur interpretativen Analyse ikonischen Materials nicht weiter beachtet; vgl. dazu PLONTKE, PRZYBORSKI & STRAUB 2022; STRAUB, PRZYBORSKI & PLONTKE 2021). Selbst die Grounded-Theory-Methodologie eines Barney GLASER und Anselm STRAUSS (1967) und vieler weiterer Autor_innen, die immer wieder neue Ergänzungen und Varianten dieses Ansatzes kreierten, fand in BOESCHs Schriften keine Beachtung. Ausgefeilte Verfahren der interpretativen Analyse von Texten nahm er allenfalls beiläufig zur Kenntnis, obwohl das wegen seines ausgeprägten Interesses am Erzählen – BOESCH hatte den Homo narrator fest im Blick – verwunderlich ist. Gerade erzählanalytische Verfahren stehen in mehreren subjekt-, sozial- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen seit Jahrzehnten hoch im Kurs (STRAUB 2019a, 2019b, 2019c, 2022b). Die jüngsten Bemühungen um eine ikonologisch und ikonisch fundierte Bildwissenschaft, zu denen auch die zaghaft sich dazugesellende Psychologie gezählt werden kann, erreichten seine Aufmerksamkeit, wie gesagt, nicht mehr. BOESCHs Äußerungen zu Bildern etwa von Pablo PICASSO oder zu Filmen etwa von Bernardo BEROLUCCI hatten, so interessant, lehrreich und anregend sie sein mochten, mit der hohen Kunst methodisch kontrollierter Forschung nicht viel zu tun. Nicht selten wechselte er dabei zwischen verschiedenen Perspektiven, ging es doch einmal um das Bild als Bild (bzw. um das auf dem Bild Dargestellte), sodann um den Maler und seine lebensgeschichtlich verankerten Emotionen und Motive (vgl. dazu etwa BOESCH 2005, wo es unter anderem um PICASSOs Werk und Person ging). Ähnliche Wechsel der Interpretationsperspektiven finden sich in den Bemerkungen zur Musik und zum Hören von Musik, in die immer wieder Analysen persönlicher Intentionen und Motive, Gedanken und Gefühle von Musiker_innen, Komponist_innen usw. eingeflochten wurden (BOESCH 2021c [2005]). [36]

Das alles darf und sollte man festhalten, sodass die systematische, wichtige Einsicht in die unüberwindbaren Grenzen methodischen Handelns bei BOESCH leider auch ihre Schattenseiten hatte. Manches wäre im Feld der verfahrensmäßigen Regelung wissenschaftlichen Handelns nämlich schon noch zu gewinnen gewesen. Das ist in der Psychologie bekanntlich umso wichtiger, je mehr man sich von den immer noch etwas dogmatischen methodischen Standards einer nomologischen, szientistischen bzw. objektivistischen Psychologie entfernt. BOESCH bemühte, wenn es um die empirische Grundlage seiner psychologischen Erkenntnisse geht, ohne jede Scheu auch persönliche Lebenserfahrungen und kontingente Beobachtungen im eigenen Alltag, unter Einbeziehung aller Einsichten, mit denen nicht zuletzt die schöne Literatur oder andere Künste sowie sonstige professionelle Expert_innen aufwarten (Dichter_innen und Dirigent_innen, Maler_innen und Zeichner_innen oder Geiger_innen etwa). Das ist beeindruckend und legitim, ersetzt aber keineswegs das wichtig bleibende Streben nach methodischer Kontrolle und intersubjektiver Nachvollziehbarkeit, also auch nach der anhaltenden Entwicklung neuer Forschungsmethoden. Das ist umso relevanter, je stärker man vom Pfad einer mit möglichst standardisierten und allgemein handhabbaren Verfahren operierenden Psychologie abweicht und bereits das Ideal der Standardisierung (und Technisierung) der Forschungspraxis in seine Grenzen verweist. [37]

Zum Schluss sei noch ein Manko angeführt, das nicht allein BOESCHs Psychologie etwas belastete, sondern viele andere Ansätze, die von den zumal männlichen Vertretern dieser Generation entwickelt wurden. Überlieferte Geschlechterbilder und ganz offenkundig androzentrische Sichtweisen sorgen dafür, dass BOESCH in seinen zahlreichen Analysen vieler verschiedener Phänomene häufig mit Beispielen arbeitete, die solche Bilder und Blicke reproduzierten und damit die patriarchalen Verhältnisse bestätigten. BOESCHs Arbeiten stützten und befestigten manchmal – meistens wohl ohne seinen Willen und sein Bewusstsein – geschlechterbezogene Asymmetrien und normative Hierarchien. Männer schnitten oft ein wenig besser ab als Frauen, nahmen höhere berufliche Positionen ein und besaßen Eigenschaften, denen in vielen patriarchalen Kulturen und männerzentrierten Gesellschaften besondere Anerkennung und Bewunderung zugebilligt wurde. Das galt etwa für Ärzte, Ingenieure oder Wissenschaftler, die in BOESCHs Beispielen eine Aura der Überlegenheit über die angeblich eher mit Haus und Heim sowie der Pflege des Nachwuchses und anderen Betreuungsaufgaben beschäftigten Frauen ausstrahlten. Anna SIEBEN (2014, 2020) analysierte die häufig implizit bleibenden, geschlechterspezifischen Konstruktionen in der Psychologie im Allgemeinen und widmete sich im Besonderen auch BOESCHs unübersehbarer Voreingenommenheit und Traditionsverhaftung in diesem Punkt. Noch im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts war BOESCH einer patriarchalen Geschichte verhaftet, selbst wenn er deren Schattenseiten sah und zumindest sporadisch daran mitzuwirken versuchte, dass die überkommenen Auffassungen und eingeschliffenen Praktiken durchschaut und im Lichte einer feministischen Politik der Gleichheit und Gerechtigkeit kritisiert werden konnten. Die männliche Hegemonie verlor im Lauf eines langen Jahrhunderts zwar zunehmend an Kraft und Verbindlichkeit. Verschwunden ist sie aber bis heute nicht. Das ist kein Wunder, wenn sogar aufgeschlossene Personen an ihrer Reproduktion fortwebten, und sei es durch den Gebrauch der immer gleichen, nur scheinbar harmlosen Beispiele. [38]

Neben solchen Bezugnahmen auf das "wirkliche Leben", seine überlieferte Geschlechterasymmetrie und geschlechterbezogene Gewaltförmigkeit sind in BOESCHs Psychologie auch theoretische Androzentrismen enthalten. So modellierte BOESCH die handlungsfähige, um die beständige Ausweitung ihres Handlungspotenzials bemühte Person nämlich als männliches Subjekt. Nicht zuletzt diesen Aspekt analysierte SIEBEN (2020, S.278) sehr genau, um unter anderem herauszustellen, dass BOESCHs gesamte psychologische Anthropologie und Handlungstheorie männerzentriert konnotiert gewesen sei und deswegen auch den allgemeinen Widerfahrnischarakter des menschlichen Lebens unterbelichtet gelassen habe sowie die – nicht zuletzt normative, ethische und politische – Bedeutung einer erlebniszentrierten Theorie des Lassens, Geschehen- und Sein-Lassens unterschätzt habe. Das trifft zu und ist gerade angesichts der Sensibilität BOESCHs für solche Dimensionen unseres Daseins erstaunlich – einer Sensibilität, die der westliche Psychologe besonders in Asien in bereichernder Weise am eigenen Leib kennenlernte und in seinem Denken in immer neuen Varianten und Verästelungen entfaltete. Es mag ein kulturelles Stereotyp sein, dass man in den jahrtausendealten Kulturen Asiens das Sein- und Geschehen-Lassen sowie die damit einhergehende Achtsamkeit vielfach höher schätzte als das Handeln in seiner aktivischen oder aktivistischen Form. Ganz falsch ist diese bis heute weltweit kursierende Auffassung dennoch nicht, selbst wenn man sich vor allzu einseitigen Verteilungen (und Verurteilungen) hüten sollte. Die Konstruktion eines dem Handeln und Bewältigen zugeordneten Westens sowie eines dem Leiden, Erleiden und Lassen zugeneigten Ostens wird offenbar schnell zum unterkomplexen Zerrbild. Es gibt natürlich hier wie dort reichhaltige Quellen praktizierter, kultivierter Gelassenheit oder Achtsamkeit. In BOESCHs – deswegen zurecht als androzentrisch kritisierten – Handlungstheorie und der damit liierten Kulturpsychologie kamen diese Quellen jedoch zu kurz, auch wenn viele Beispiele und materiale Analysen eine andere Sprache sprachen (vgl. z.B. die Notizen zum "Loslassen" beim vertieften Hinhören, beim meditativen Hören von Musik: BOESCH 2021c [2005], S.106). [39]

Mit diesem Defizit war und ist BOESCH nicht allein. Es kennzeichnete auch andere Theorien, die dem Handeln und generell dem aktiven Part in unserem Leben eindeutig den Vorrang vor dem Lassen, dem Geschehen- und Sein-Lassen, geben. Dass diese normative und praktische Auszeichnung des Handelns einiges mit den lebenspraktischen Problemen zu tun hat, die uns im 21. Jahrhundert stärker plagen als je zuvor, scheint mir naheliegend. Nicht zuletzt die nicht-intendierten Folgen und Nebenfolgen unserer tatkräftigen Eingriffe in die Natur nähren diesen Verdacht. Aber auch die innere Unruhe vieler Zeitgenossen, die unter chronischen Gefühlen der Daueranspannung und Überforderung leiden, bezeugen wohl nicht zuletzt, dass es mit dem Handeln und seinen äußeren und inneren Effekten in den aktivitätsversessenen Kulturen und Gesellschaften unserer Tage nicht immer zum Besten bestellt ist. BOESCH wusste das, und es besorgte ihn. In seiner Theorie hat er dieser Einsicht keinen angemessenen Ausdruck verschafft. Das hätte den Rahmen eines genuin handlungstheoretischen Denkens gesprengt und einer Theorie den Weg gebahnt, in der auch der Abkehr vom unentwegten Tatendrang moderner Menschen der gebührende Raum eingeräumt worden wäre. Auch dies scheint mir heute ein kulturpsychologisches Thema ersten Ranges, praktisch und theoretisch gleichermaßen von Bedeutung. Nicht nur die Unterlassung als besondere Form der Handlung, sondern auch das Lassen, das Sein- und Gewähren-lassen verdienen den theoretischen Rang psychologischer Grundbegriffe. [40]

3. Abschließende Erinnerung an Gemeinsamkeiten und Unterschiede kulturpsychologischer Ansätze

BOESCH war ein Pionier, seine Leistungen im Feld der Handlungstheorie und Kulturpsychologie gelten bis heute als bahnbrechend und anregend. Verwandte Ansätze gibt es mehrere. Dazu zählt etwa Jerome BRUNERs Psychologie, die nach jenen Enttäuschungen entwickelt wurde, die eine nur "halbherzig" vollzogene "kognitive Wende" in den 1960er Jahren mit sich gebracht hatte (BRUNER 1990; ZITTERBARTH & WERBIK 1987). BRUNER war an dieser cognitive revolution selbst maßgeblich beteiligt – ohne den Kognitivismus und speziell jenen computationalism, in den die Abkehr vom Behaviorismus mündete, gewollt und gebilligt zu haben. Auch die von Hans WERBIK und seinem ehemaligen Team in Erlangen vertretene Konzeption gehört zu den engen Verwandten (KÖLBL 2021). Alle drei – BOESCH, BRUNER und WERBIK – verbindet eine handlungstheoretische Orientierung, die beinahe zwangsläufig zu einer dezidiert kulturpsychologischen Perspektive führte. Das entscheidende Argument war stets, dass jede Praxis ihre Sinn- und Bedeutungsstruktur offenbar nicht allein durch das Handeln Einzelner erhält, sondern sogar vorrangig durch das Zusammenleben, durch die zahllosen Interaktionen und das gemeinsame Tun der Angehörigen kultureller Lebensformen. Was Menschen miteinander, nebeneinander oder gegeneinander versuchen und vollbringen, schafft Bedeutungen, vermittelt oder zerstört Sinn. BOESCH, BRUNER und WERBIK verbindet einiges und trennt dennoch auch manches. In ihren Arbeiten findet man individuelle Schwerpunkte, Stärken und Schwächen. Dies genauer darzustellen, muss einem sorgfältigen Vergleich vorbehalten bleiben. Was jedoch abschließend erwähnt werden soll ist die Tatsache, dass meine selektive Darstellung von BOESCHs Forscherdasein und Werkes aus einem bestimmten Blickwinkel erfolgt ist. [41]

Meine Sicht auf die symbolische Handlungstheorie und Kulturpsychologie ist unverkennbar von Überlegungen und Überzeugungen geprägt, auf die man seit den späten 1970er Jahren in Erlangen treffen konnte. Dies war Jahrzehnte lang die Wirkungsstätte eines aus Wien nach Franken übergesiedelten Psychologen, der ebenfalls eine berufliche Konversion durchgemacht hatte – wenngleich auf dem Boden größtenteils ganz anderer (Lebens-)Erfahrungen als BOESCH. Auch Hans WERBIK kehrte der nomologischen Psychologie den Rücken und entfaltete eine hermeneutische, interpretative Handlungs- und Kulturpsychologie (ASCHENBACH, BILLMANN-MAHECHA, STRAUB & WERBIK 1983).9) Das geschah in Erlangen in nächster Nähe zur Philosophie, speziell zur Wissenschafts- und Erkenntnistheorie der Erlanger und Konstanzer Schule (Wilhelm KAMLAH, Paul LORENZEN, Oswald SCHWEMMER, Friedrich KAMBARTEL, Jürgen MITTELSTRAß u.a.) , aber auch zu Nachbardisziplinen wie der Soziologie (Joachim MATTHES und Ralph BOHNSACK etwa waren wichtige Gesprächspartner). Vor abstrakter Theoriearbeit scheute man dort nicht zurück, im Gegenteil. Vielleicht rückte zeitweise die empirische Forschung etwas in den Hintergrund. Völlig bedeutungslos war sie jedoch niemals, und mit der Zeit erhielt sie bei manchen ehemaligen Wegbegleiter_innen WERBIKs größeres Gewicht (z.B. BILLMANN-MAHECHA 1990; POPP-BAIER 1998; STRAUB 1993). In jüngerer Zeit gibt es in Bochum, wo wir uns auch um das Erlanger Erbe kümmern, zahlreiche empirische Projekte, die handlungs- und kulturpsychologisch sowie mikrosoziologisch ausgerichtet sind. Methodisch sind sie an der relationalen Hermeneutik oder Grounded-Theory-Methodologie orientiert (exemplarisch ARNOLD 2010; BUßMANN 2023; EL MAFAALANI 2012; GATZEMEIER 2015; GOTTSCHALK 2023; GOTTSCHALK & SEIPELT 2023; JÄGER 2023; KÖLBL 2004; RUDOLPH 2023; SIEBEN 2014, 2021; TEPELI 2023a, 2023b; UTLER 2014; WEIDEMANN 2004; WEIS 2012). [42]

In vielen Punkten trafen sich die Bemühungen der Erlanger Arbeitsgruppe mit BOESCHs Überzeugungen, wobei die Kritik an einer szientistischen, dogmatisierten nomologischen Psychologie in Erlangen noch klarer und entschiedener formuliert wurde als in Saarbrücken (z.B. ASCHENBACH et al. 1983; WERBIK 1987, 1991; ZITTERBARTH & WERBIK 1987). Dazu haben die ausgeprägten philosophischen, theoretischen und interdisziplinären Neigungen dieser Gruppe gewiss einiges beigetragen. Das lässt sich in den hier nicht im Einzelnen aufzuzählenden Schriften zum Beispiel von Reinhard HILKE (1980), Jochen HARNATT (TOEBE, HARNATT, SCHWEMMER & WERBIK 1977), Wilhelm KEMPF (HILKE & KEMPF 1982), Heinz-Jürgen KAISER (KAISER & WERBIK 2013, 2018) und Gabriele KORTHALS-BEYERLEIN (1979), sodann von Elfriede BILLMANN-MAHECHA (1990), Günther ASCHENBACH (1984), Walter ZITTERBARTH (1987) oder Ulrike POPP (1989) leicht nachvollziehen. [43]

Vielleicht sollte man hervorheben, dass der die Erlanger Gruppe aus einigen eigensinnigen Individuen bestand, die sich schwerlich auf ein völlig homogenes Programm verpflichten ließen, obwohl es einen elementaren Konsens und anhaltende, verbindende Diskussionen über grundlegende Fragen gab. Diese Fragen zählen bis heute zu den Quellen des Nachdenkens über eine angemessene (meta-)theoretische und methodologische Verfassung einer Psychologie, die als integrative Subjekt-, Sozial- und Kulturwissenschaft konzipiert und betrieben werden sollte, und zwar unter Einbeziehung der Perspektiven, Prinzipien und Methoden interpretativer, hermeneutischer Wissenschaften in der Nachbarschaft. Selbstverständlich müsste, wenn eine faire Bilanz gezogen werden sollte, konzediert werden, dass im Saarland manches nicht nur früher entwickelt, sondern auch konsequenter umgesetzt wurde. Dazu gehört zweifellos eine ausgeprägte internationale und interkulturelle Orientierung, die sich den Auslandserfahrungen Ernst BOESCHs und mancher seiner Mitarbeiter_innen verdankte. Insbesondere Lutz ECKENSBERGER (2019) und Bernd KREWER (1992) nahmen BOESCHs vielfältige Impulse konstruktiv auf. BOESCH selbst hat sich auf das kulturell Fremde eingelassen wie kaum ein zweiter. Darum sowie um einige theoretische und methodologische Folgen, die BOESCH aus seinen beinahe lebenslang währenden Fremdheitserfahrungen gezogen hat, ging es im vorliegenden Beitrag. Wenn diese kurze Auseinandersetzung am Ende auch noch bewusst machen könnte, dass die vergleichende Analyse verschiedener kulturpsychologischer Ansätze bis heute ein Desiderat darstellt, wäre ein letzter Zweck erfüllt. Es steht vielfach noch aus, theoretische, methodologische und methodische Differenzen zwischen Kulturpsychologien und indigenen Psychologien so sorgfältig zu erkunden und (selbst)kritisch zu bilanzieren, dass weitere Fortschritte in diesem Feld erwartet werden können. [44]

Anmerkungen

1) Zu diesem Entwicklungsweg siehe BOESCH (1983a, 1997, 2021b [2010]) und LONNER und HAYES (2007); zum systematischen Zusammenhang zwischen Handlungstheorie und Kulturpsychologie BOESCH (1980, 1988, 1991, 2008, 2021a), BOESCH und STRAUB (2007), sowie BRUNER (1990) oder STRAUB (1999a, 2021, 2022a); zum Werk und seiner wissenschaftsgeschichtlichen sowie aktuellen Bedeutung siehe die Beiträge in STRAUB, CHAKKARATH und SALZMANN (2020). <zurück>

2) Ich zählte selbst zu diesen Gästen. Was im Folgenden ausgeführt wird, lässt sich fast ausschließlich den angegebenen Quellen entnehmen, insbesondere auch den autobiografischen Erinnerungen und Selbstreflexionen BOESCHs. Dass das Ehepaar BOESCH im eigenen Haus auch im Beisein von Freund_innen Thai sprach, entstammt meiner eigenen Erfahrung, einer allerdings auch von anderen Gästen des Hauses verbürgten Erfahrung. Dies gilt für wenige weitere Details der vorliegenden Darstellung, die selbstverständlich aus einer bestimmten Perspektive erfolgt. <zurück>

3) Am Rande sei erwähnt, dass sich dieser existenziellen Dimension wissenschaftlicher Innovationen eigentlich eine primär psychologisch ausgerichtete Wissenschaftsgeschichte anzunehmen hätte – die es bis heute jedoch allenfalls in Ansätzen gibt (ganz im Unterschied zur längst etablierten Wissens- und Wissenschaftssoziologie). <zurück>

4) Das betonen bekanntlich Ethnolog_innen seit jeher, und manche Vertreter_innen dieser Disziplin hielten und halten bis heute – vielleicht ganz besonders heutzutage – an diesem Anspruch, ins Feld zu gehen, sich dort längere Zeit aufzuhalten und sich auf die fremden Menschen und ihre Wirklichkeiten tatsächlich einzulassen und einzustellen, energisch fest (so etwa HALLER, 2012, S. 334). Diese vehemente Verteidigung eigener Vorstellungen und Ansprüche hat offenbar mit der Übernahme von Begriffen wie "Ethnografie", "Feldforschung" und "teilnehmende Beobachtung" durch alle möglichen Disziplinen, trans- und interdisziplinäre Unternehmungen zu tun – und mit der damit unweigerlich einhergehenden Aufweichung der Bedeutung dieser Konzepte, die als traveling concepts notwendigerweise pragma-semantische Veränderungen durchlaufen. Dagegen ist im Prinzip auch gar nichts einzuwenden – Begriffe sind ja kein Besitzstand einzelner Disziplinen oder irgendwelcher Fachvertreter_innen –, solange man sich des besagten Wandels bewusst bleibt, ihn artikuliert und reflektiert, also seine Sinnhaftigkeit und Zweckmäßigkeit kritisch prüft. Dann zeigt sich womöglich auch, dass es bei aller pluralistischen Offenheit und Toleranz gegenüber unkonventionellen Verwendungen der oben exemplarisch angeführten Konzepte auch Gebrauchsweisen geben mag, die man beim besten Willen nicht mehr gutheißen kann. Nicht alles ist Ethnografie, Feldforschung oder teilnehmende Beobachtung. BOESCHs Forschungsstil ließe sich indes recht treffend auch mit diesen Prädikatoren qualifizieren – selbst wenn er das kaum getan hat und für beinahe alles, was er so dachte und tat, seine eigenen Worte und Begriffe zu finden versuchte. Meist klingt das dann recht simpel, oft alltagssprachlich. Einfach ist es der Sache nach deswegen nicht unbedingt. Seine Feldforschungen und ethnografischen Versuche hat er jedenfalls selten so benannt, vielleicht sogar eher versteckt und verhüllt, weil sie vor dem methodologischen Gerichtshof der szientistischen Psychologie gewiss keine Gnade gefunden hätten. BOESCHs Psychologie beruhte ganz eindeutig auf Teilnahme und Zusammenarbeit. <zurück>

5) Auch das lässt sich in den angegebenen, insbesondere in den autobiografischen bzw. berufsbiografischen Texten vielfach nachlesen. Noch öfter als in den Schriften beklagte sich BOESCH in Gesprächen mit Kolleg_innen, die ihm wissenschaftlich und/oder menschlich nahestanden, über allzu geringe Resonanz in der Fachwelt. Noch in seinen letzten Lebensjahren hat er mir oder auch Arne WEIDEMANN gegenüber seiner Enttäuschung darüber Ausdruck verliehen. Darüber geben auch Briefe und andere Dokumente Auskunft, die im öffentlich zugänglichen Nachlass einsehbar sind, der im Ernst-Boesch Archiv aufbewahrt wird. Dieses Archiv gehört zur Forschungsstelle Kulturpsychologie (FoKu), die Pradeep CHAKKARATH und ich leiten. Sie ist dem Lehrstuhl für Sozialtheorie und Sozialpsychologie der Fakultät für Sozialwissenschaft in der Ruhr-Universität Bochum zugeordnet. Im Archiv finden sich neben den veröffentlichten Schriften BOESCHs vor allem Unterlagen zu empirischen Arbeiten, unveröffentlichte Manuskripte, ein Großteil der wissenschaftlichen Korrespondenz sowie Bild- und Videomaterialien. Die 2015 erfolgte Einrichtung der FoKu verdankt sich der vielseitigen Unterstützung durch Supanee BOESCH (1931-2020), Christophe BOESCH und Hedwige BOESCH-ACHERMANN (Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig sowie The Wild Chimpanzee Foundation [WCF]). <zurück>

6) Es ist eine offene Frage, in welcher Weise und Intensität BOESCH von JANET außer durch dessen Handlungs- und Gefühlstheorie sonst noch beeinflusst worden war. JANET war seinerzeit einer der ernsthaften Konkurrenten von FREUD. Er setzte sich von der Psychoanalyse dezidiert ab, was FREUD nicht nur missfiel, sondern seinen ohnehin kultivierten Abstand gegenüber dem Rivalen verstärkte. Auch BOESCH hatte Vorbehalte gegenüber der Psychoanalyse, ihrem mitunter dogmatischen Ton oder der Fixierung auf die angeblich alles überragende Bedeutung des Sexuellen. Gleichwohl kannte er diese Psychologie des Unbewussten gut und verdankte auch ihr wichtige Gedanken und Vorgehensweisen, die sein theoretisches und methodisches Denken sowie seine eigene therapeutische Praxis prägten (BOESCH 2006 [1976]). <zurück>

7) Zur selten thematisierten Verwandtschaft zwischen der psychologischen und philosophischen Anthropologie des Behaviorismus und des (Neo- oder Post-) Strukturalismus siehe meine Abhandlung "Psychologische Anthropologie im Zeichen von Humanismus und Antihumanismus" (STRAUB 2021, S.195-275). Es ist bemerkenswert, dass viele sog. kritische Psycholog_innen Burrhus Frederic SKINNERs (1982 [1971]) technologische Verhaltenswissenschaft "jenseits von Freiheit und Würde" vehement attackierten, Michel FOUCAULTs und andere Angriffe auf das regulative Ideal des – natürlich stets bedingt und eingeschränkt – autonomen Subjekts aber begeistert begrüßen. Die Nähe von ansonsten sehr verschiedenen Denkern, die die Vorstellung eines für das eigene Handeln und Leben in präzise bestimmbaren Grenzen verantwortlichen Subjekts gleichermaßen vehement ablehnten, wird ungern gesehen, ebenso die Tatsache, dass die radikalen Behavioristen John Broadus WATSON und SKINNER mit ihren antihumanistischen Manifesten und Traktaten früher in Erscheinung traten als (Neo-, Post-) Strukturalist_innen. <zurück>

8) Das sah auch Jürgen HABERMAS (1981) exakt so, wenn er in seinem – an eine Unterscheidung Karl POPPERs angelehnten – ontologischen Drei-Welten-Modell neben der objektiven (materiellen) eine soziale sowie eine subjektive Welt kannte, auf die wir uns in unseren vielfältigen Äußerungen gleichermaßen beziehen können, um dabei je spezifische Geltungsansprüche zu erheben. Neben dem Anspruch auf die Wahrheit von konstativen Aussagen über die objektive Welt und auf die Richtigkeit von sozialen Normen, deren allgemeine Gültigkeit wir ebenfalls zu begründen bzw. zu rechtfertigen versuchen können, nannte HABERMAS einen Anspruch auf Wahrhaftigkeit oder Authentizität, durch den er alle Äußerungen von Personen über sich selbst – über die eigenen Gefühle, Gedanken, Absichten, Wünsche etc. – an das normative Ideal rationaler Verständigung band und gegebenenfalls als strategische Irreführung anderer oder als Selbsttäuschung kritisierbar machte (etwa im Medium psychoanalytisch-therapeutischer Kommunikation). Es ist hier nebensächlich, dass HABERMAS Geltungsansprüche für einen unabdingbaren Bestandteil jeder Praxis und speziell der sprachlichen Verständigung hielt. Äußerungen und nicht-sprachliche Handlungen beliebiger Art sind seines Erachtens zwangsläufig mit solchen Ansprüchen verbunden; gerade deswegen verlangten sie unbedingt Antworten, die zu diesen Ansprüchen Stellung nehmen (zur Kritik dieser für HABERMAS' rationalistische Hermeneutik maßgeblichen Sicht siehe STRAUB 1999b). <zurück>

9) Hans WERBIK, der im Frühjahr 2022 verstarb, sowie Ernst BOESCH sei der vorliegende Aufsatz zugeeignet. <zurück>

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Zum Autor

Jürgen STRAUB, Prof. Dr. phil., ist Inhaber des Lehrstuhls für Sozialtheorie und Sozialpsychologie an der Fakultät für Sozialwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum und Co-Direktor des Kilian-Köhler-Centrums für sozial- und kulturwissenschaftliche Psychologie und historische Anthropologie ebendort.

Kontakt:

Prof. Dr. Jürgen Straub

Ruhr-Universität Bochum, Fakultät für Sozialwissenschaft
Lehrstuhl für Sozialtheorie und Sozialpsychologie
Gebäude GD E1/259
Universitätsstraße 150, 44780 Bochum

E-Mail: juergen.Straub@rub.de
URL: https://www.sowi.ruhr-uni-bochum.de/soztheo/team/inhaber.html.de

Zitation

Straub, Jürgen (2023). Die wahre Geschichte eines Schweizers, der auszog, das Forschen zu lernen: Ernst Boeschs Psychologie und relationale Hermeneutik [44 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 24(2), Art. 10, http://dx.doi.org/10.17169/fqs-24.2.3939.

Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research (FQS)

ISSN 1438-5627

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