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Volume 24, No. 1, Art. 4 – Januar 2023

"Du weißt es jetzt – erzähl davon!" Dekoloniale Forschungsperspektiven und Aufträge aus dem Forschungsfeld

Olaf Tietje

Zusammenfassung: Globale Abhängigkeitsverhältnisse werden auch durch akademische Wissensproduktionen weitergeschrieben. In diesen spiegeln sich epistemische Gewalt- wie auch geopolitische Macht-Wissen-Verhältnisse deutlich wider. Akademische Wissensproduktionen zu dekolonialisieren und nicht mehr nur über und für die Subjekte zu sprechen, ist insofern aus forschungsethischer Perspektive wichtiger Bestandteil von qualitativer Sozialwissenschaft. In diesem Artikel folge ich der Frage, wie Wissenschaftler*innen durch "Aufträge", die ihnen im Feld von bestimmten – sprich marginalisierten Akteur*innen – angetragen werden, Potenziale für ein reziprokes Forschen erarbeiten können. Hierzu werde ich meine forschungsethischen Reflexionen entlang praktischer Dialoge aus meinen ethnografisch angelegten Forschungen in Südspanien zu den Praktiken migrantischer Landarbeiter*innen darstellen.

Keywords: dekoloniales Forschen; Forschungsethik; reflexive Ethnografie; Reziprozität

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Migrantische Landarbeiter*innen in der südspanischen industrialisierten Agrikultur

3. Reziprokes Forschen, dialogisches Arbeiten

4. Aufträge aus dem Forschungsfeld

4.1 Hegemoniale Wissensproduktionen infrage stellen

4.2 Marginalisierte Wissensproduktionen aufnehmen

4.3 Give and take auch über akademische Wissensproduktionen hinaus

5. Fazit: forschungsethische Reziprozität

Danksagung

Anmerkungen

Literatur

Zitation

 

1. Einleitung

Für ethnografisches Forschen ist spätestens mit dem reflexive turn in den 1990er Jahren (CLIFFORD & MARCUS 1986) deutlich geworden, dass eine forschungsethische Reflexion der Interaktionen von Forscher*innen im Feld relevant ist (ESTALELLA & ARDÈVOL 2007; ROTH 2005; TOMKINSON 2015). Wissenschaftler*innen bringen immer etwas mit und sei es nur ihre Vorstellungen vom Forschungsfeld (SAID 1979, S.10), lassen etwas dort und verlassen dann in vielen Fällen das Feld mit "ihren" Daten im Gepäck. Insbesondere wenn Wissenschaftler*innen des globalen Nordens im globalen Süden1) unter anderem im Kontext von marginalisierten Gruppen forschen, werden derartige Vorhaben durch (globale) Abhängigkeitsverhältnisse geprägt. Solche Abhängigkeitsverhältnisse werden auch durch akademische Wissensproduktionen weitergeschrieben – unter anderem, wenn die Forscher*innen an die Universitäten des globalen Nordens zurückkehren und ihre Karrieren auf den produzierten Daten begründen. Akademische Wissensproduktionen zu dekolonialisieren und nicht mehr nur über und für die veranderten2) Subjekte zu sprechen, ist gerade im Kontext forschungsethischer Fragen von besonderer Relevanz (BERKIN & KALTMEIER 2012; SIOUTI 2018; SIOUTI, SPIES, TUIDER, VON UNGER & YILDIZ 2022). [1]

Diese von Machtverhältnissen durchwirkten Momente der Forschung verweisen dabei auch auf die Notwendigkeit, solche Machtasymmetrien zumindest zu reduzieren. Werden Studien reziprok angelegt und mit einem Fokus auf eine solche Gegenseitigkeit durchgeführt, entsteht – so meine These in diesem Artikel – mindestens das Potenzial, Forschungen, die im Kontext der postkolonialen Kluft von Nord und Süd stattfinden zu dekolonialisieren. Reziprozität muss dazu nicht, wie ich weiter unten darstellen werde, ein gespiegeltes Geben und Nehmen sein, sondern kann vielfältige Ausprägungen annehmen (CORBIN & MORSE 2003; HARRISON, MacGIBBON & MORTON 2001; PITTAWAY, BARTOLOMEI & HUGMAN 2010). [2]

Für die Forschungen zu meiner Dissertation war ich zwischen 2013 und 2016 immer wieder für längere und kürzere Aufenthalte in Andalusien und insbesondere in der Provinz Almería. Ich führte hier an unterschiedlichen sites (MARCUS 1995, S.96ff.) teilnehmende Beobachtungen (LAMNEK 2010, S.498ff.), teilmonologische Interviews (HELFFERICH 2011, S.36ff.) und Expert*inneninterviews (MEUSER & NAGEL 1991, S.441ff.) durch. Insbesondere die teilmonologischen Interviews habe ich zur Veröffentlichung vollständig anonymisiert, sodass in diesem Artikel Einzelpersonen über Buchstaben unterschieden werden. Die Expert*inneninterviews sind in diesem Artikel auf die Organisationen reduziert, für die die jeweiligen Interviewpartner*innen gesprochen haben. Inhaltlich war meine Forschung mit der Analyse der prekären Lebens- und Arbeitsbedingungen und der agency der dort vornehmlich in der Landwirtschaft beschäftigten Immigrant*innen verbunden (TIETJE 2018, S.196ff.). In vielen Gesprächen und Interviews mit den migrantischen Landarbeiter*innen wurde ich immer wieder aufgefordert, die Erfahrungen und Situation der Landarbeiter*innen in Deutschland transparent zu machen. [3]

In diesem Artikel stelle ich dar, wie Wissenschaftler*innen im Sinne eines reziproken Forschens mit solchen Aufträgen, die ihnen im Forschungsfeld angetragen werden, umgehen können. Hierzu werde ich meine forschungsethisch geprägten Überlegungen entlang empirischer Beispiele aus meinen Forschungen in Südspanien zu den handlungsermächtigenden Praktiken migrantischer Landarbeiter*innen verdeutlichen. Insofern gebe ich in dem folgenden Beitrag zunächst einen kurzen Überblick über das Forschungsfeld (Abschnitt 2). In Abschnitt 3 stelle ich die methodologischen Hintergründe forschungsethischer Überlegungen zu Aufträgen aus dem Feld dar. Diese Aufträge werden in Abschnitt 4 entlang meiner praktischen Arbeiten veranschaulicht und daran anschließend bringe ich in einem Fazit meine methodologischen Überlegungen zusammen (Abschnitt 5). Insofern richte ich für die Ethik-Debatte ein Spotlight auf die agency von an Forschungen beteiligten Subjekten. [4]

2. Migrantische Landarbeiter*innen in der südspanischen industrialisierten Agrikultur

Seit den 1970er Jahren führten die Kleinbäuer*innen zunehmend mechanisierte und technologisierte Anbaumethoden ein. Sie ermöglichten so im "Gemüsegarten Europas" genannten Süden Spaniens die ganzjährig niedrigpreisige Produktion von Obst und Gemüse. Die vor allem für den Norden Europas hergestellten Feldfrüchte werden dazu in weiten Teilen Andalusiens auf monokulturell weiterentwickelten Latifundien produziert – wie beispielsweise die zum Teil ab Februar in den Supermärkten ausliegenden Erdbeeren. Aber auch in anderen Regionen im südlichen Spanien wird eine solche "agri-food production" (PEDREÑO, GADEA & CASTRO 2014, S.200) fokussiert. In der Provinz Almería nimmt diese Art industrialisierter Agrikultur noch einmal eine besondere Form an: Auf über 30.000 ha Fläche wird in Treibhäusern Gemüse für die nordeuropäischen Supermärkte produziert (JIMÉNEZ DÍAZ 2008, S.75). [5]

In diesen Treibhäusern wird auch zu einem großen Teil ökologisches Obst und Gemüse erzeugt, dass an die nordeuropäischen Bio-Supermärkte geliefert wird (ISLAM 2011). Durch europäische Bio-Siegel für Obst und Gemüse wird allerdings nicht festgelegt, unter welchen Bedingungen die Menschen in der Produktion selbst arbeiten3). Fairtrade-Siegel gibt es für global produzierte Lebensmittel wie Kaffee oder andere Produkte, nach wie vor aber nicht für in der EU hergestelltes Obst und Gemüse (FAIRTRADE DEUTSCHLAND 2009). In Supermärkten ausgewiesene eigene Zertifikate sind meist mit lokal begrenzten kleinen Unterstützungsprojekten verbunden, die nicht die Arbeitsbedingungen in den Produktionsprozessen selbst verändern oder kontrollieren. [6]

Die Produktion ist hier nicht über systematische bilaterale Anwerbeabkommen organisiert, wie sie etwa zur Erdbeer- oder Spargelernte in Deutschland (BECKER 2010) oder in einzelnen Provinzen Andalusiens beispielsweise zur Erdbeerernte umgesetzt werden (REIGADA OLAIZOLA 2013). In der Provinz Almería wird aufgrund der beinahe ganzjährig stattfindenden Produktion vor allem auf die dort illegalisiert lebenden Immigrant*innen zurückgegriffen (MARTÍNEZ VEIGA 2001, S.21f.; TIETJE 2019a, S.183ff.). Um die Produktionskosten möglichst niedrig zu halten, werden die hohen Kosten für Wasser und Düngemittel durch besonders niedrige Entlohnung von Arbeitskräften kompensiert (TIETJE 2015, S.118). Die schwere, oftmals viele Stunden andauernde Arbeit in den im Sommer über 50°C heißen Treibhäusern ist infolgedessen bei Menschen mit regulärem Aufenthaltsstatus und Arbeitserlaubnis nicht beliebt. Aufgrund der schlechten Entlohnung leben viele der migrantischen Landarbeiter*innen in chabolas genannten Barackensiedlungen zwischen den Treibhäusern. In vielen Fällen haben sie hier weder Strom- noch Wasseranschlüsse, geschweige denn eine Kanalisation (JIMÉNEZ DÍAZ 2008, S.74; MARTÍNEZ VEIGA, 2001, S.81ff.). Für die illegalisierten Migrant*innen ist gerade die Arbeit in den nur wenig kontrollierten Treibhäusern eine Chance, Geld zu verdienen, dennoch finden sie hier zumeist informalisierte Arbeitsbedingungen vor, die prekarisierte Lebensbedingungen bedeuten. [7]

3. Reziprokes Forschen, dialogisches Arbeiten

In prekären Lebensverhältnissen oder mit illegalisiert lebenden Menschen zu forschen, muss gründlich reflektiert werden (KARAKAYALI 2008, S.266). Die Frage, welches Wissen hier unter welchen Bedingungen weitergegeben werden kann, ist unter Umständen für die an den Forschungen beteiligten Subjekte existenziell und bedarf insofern besonderer forschungsethischer Aufmerksamkeit. Forschungsethische Überlegungen, so zeigte Hella VON UNGER (2014a, S.16), betreffen den gesamten Forschungsverlauf. Nicht erst, wenn es darum geht, beispielsweise Interviews zu anonymisieren, sind Forscher*innen mit forschungsethischen Dilemmata konfrontiert, sondern auch bereits im Beginn eines Projektes oder sogar noch davor während einer Beantragung (ROTH & VON UNGER 2018, §6). Ich werde hier vor allem den Abschnitt der Datenproduktionsphase in den Blick nehmen und auf den Aspekt forschungsethischer Überlegungen zu einer reziproken Datenproduktion zu sprechen kommen, die in den letzten Jahren immer stärker in den Blick von Wissenschaftler*innen gerückt wurden (ROTH 2005, §2; VON UNGER, DILGER & SCHÖNHUT 2016, §6). [8]

In wissenschaftlichen Forschungen, die im globalen Süden stattfinden oder mit Subjekten des globalen Südens durchgeführt werden, besteht eine herausragende Schwierigkeit darin, dass Forscher*innen in den Alltag von Menschen eintreten, diesen wieder verlassen und dann ohne die beforschten Subjekte akademische Wissensproduktionen unternehmen. In diesen weithin als selbstverständlich angenommenen Praktiken "westlicher" Wissenschaftler*innen (Menschen aus dem globalen Norden beforschen Menschen aus dem globalen Süden) finden hierarchisierende Veranderungen statt (TIETJE 2022, S.131). Gerade das an dieser Stelle deutlich werdende Machtgefälle verweist auf jene von Walter MIGNOLO als "geopolitics of knowledge" (2005, S.111) betitelte (post)koloniale Differenz. Eine weitreichende Forderung feministischer und dekolonialer Wissenschaftler*innen sowie Aktivist*innen ist, über den forschungsethischen Anspruch von Schadensvermeidung hinauszugehen. Für an der Forschung beteiligte marginalisierte oder vulnerabilisierte Personen und Gruppen soll Forschung nicht nur möglichst keinen Schaden verursachen, sondern ihnen auch nutzen – etwa indem sie durch die Forschung auch an anderen Orten Gehör finden. Gehör zu finden meint so mehr, als dass die Interviewer*innen zuhören, sondern auch dass die Erzählungen und Erfahrungen der Interviewten einen Platz in der Forschung und in mit dieser verschränkten Diskursen finden sollten. Auf diese Weise können Sachverhalte artikuliert werden, die andernfalls nicht verdeutlicht werden könnten (SPIVAK 1988). [9]

Zentral ist, wie die Forscher*innen ihre Anliegen und ihre Rolle im Forschungsfeld kommunizieren und verhandeln. Solche auf ein wechselseitiges Verhältnis ausgerichteten Forschungsperspektiven sind "in der forschungspraktischen Ethik [auf] das Ideal [gerichtet], zu einem Dialog mit dem Anderem zu kommen. Auf diese Weise werden horizontaler Austausch, Dialog und Reziprozität zum Ausgangspunkt für die Produktion von Wissen" (BERKIN & KALTMEIER 2012, S.7). [10]

Dekoloniale Wissensproduktionen zielen dabei nicht nur auf eine bloße Theorieproduktion, es handelt sich immer auch um den Rückbezug an das jeweilige Forschungsfeld (KASTNER 2022 S.183; ROTH 2008, §13). Es geht darum, reflexive und kommunikative Praktiken zu entwickeln, die in den postkolonialen Kontexten ermöglichen, "eine eigene Geschichte und Körperlichkeit zurückzugewinnen" (RIVERA CUSICANQUI 2015, S.28)4). Denn "die Dekolonisierung lässt sich" (a.a.O.), so schreibt Silvia RIVERA CUSICANQUI weiter, "nur in der Praxis realisieren" (a.a.O.). Dies bedeutet im Forschungsprozess offen dafür zu sein, etwas zu lernen und Hegemonien gegebenenfalls zu hinterfragen. [11]

Theorieproduktionen aus einer dekolonialen Perspektive haben mit Blick auf jahrhundertelange Geschichte kolonialer Machtverhältnisse unter anderem die Funktion, "das Soziale zu denaturalisieren" (KASTNER 2022, S.191). Historische und gegenwärtige Praxis nicht als gegeben anzunehmen ermöglicht auch, die häufig gesetzte Gleichung, europäische akademische Wissensproduktionen entsprächen modernem/rationalem und damit legitimem Wissen, infrage zu stellen und als ein koloniales Machtverhältnis zu entlarven (QUIJANO 1992, S.14). Diesen "internal colonialism" (CASANOVA, 1965, S.27), d.h. die Art und Weise, in der Machtverhältnisse wirken und verinnerlicht werden, fasste Gloria ANZALDUA wie folgt zusammen: "Even our own people, other Spanish speakers nos quieren poner candados en la boca. They would hold us back with their bag of reglas de academia"5) (1987, S.54). [12]

Reziprokes Forschen als elementarer Bestandteil forschungsethischer Überlegungen bedeutet insbesondere, sich auf Begegnungen einzulassen, die wechselseitige Blicke und Reden zulassen (BERKIN & KALTMEIER 2012, S.10). Die unterschiedlichen Voraussetzungen, die die an der Forschung Beteiligten mitbringen – wie in dem hier zugrunde liegenden Beispiel etwa eine akademische Ausbildung und Finanzierung gegenüber illegalisierten Migrationserfahrungen und prekären Lebensbedingungen – erzeugen dabei Machtasymmetrien. Dem "Märchen von der Augenhöhe" (GLOKAL E.V. 2020) als einer verklärenden Perspektive auf die vermeintlich gleichen Anderen kann so nur wenig entsprochen werden. Für das Forschen im Feld mit Subjekten des oder im globalen Süden heißt dies nicht nur, eine Ko-Präsenz zu erreichen, sondern tatsächlich anwesend zu sein. Insofern müssen Forscher*innen auch etwas von sich preisgeben, sich ernsthaft um einen Austausch bemühen, ihre Motivationen und Ziele sowie Beweggründe für die Forschungen offenlegen (SMITH 2008 [1999], S.173; siehe zu forschungsethischer Transparenz auch EßER & SITTER 2018, §11ff.). Solchermaßen machtsensibel zu reflektieren, ohne dabei in eine "narzistische Selbstreflexivität zu verfallen" (KALTMEIER 2012, S.25), funktioniert gerade im Dialog gemeinsam mit jenen im Feld anwesenden Subjekten. Ein solcher Dialog soll nicht über die weiterbestehenden Machtasymmetrien hinwegtäuschen. Und es soll auch nicht darum gehen, innerhalb eines Interviews Reziprozität zwischen der interviewenden und der interviewten Person zu erreichen. Aber dennoch sind Interviews Austauschverhältnisse (CORBIN & MORSE 2003, S.342), in denen die Wissenschaftler*innen auch die Frage beantworten müssen "what knowledge will the community gain from this study?" (SMITH 2008 [1999], S.173). [13]

Aus diesen Überlegungen folgt aus forschungsethischer Perspektive für akademische Wissensproduktionen im Kontext des globalen Südens zunächst, dass die Forscher*innen klären müssen, wessen Aufträge im Feld angenommen werden. Um diese Frage zu beantworten, gilt es machtsensibel zu reflektieren, welche Wissensproduktionen im Forschungsfeld bestehen und welche Machtverhältnisse mit diesen verbunden unter Umständen auch Marginalisierungen reproduzieren. Hiermit verschränkt müssen die Forscher*innen im Blick behalten, verandertes Wissen in ihre Überlegungen einzubeziehen. Und nicht zuletzt bedeutetet dies auch, dass Reziprozität als "give and take" (HARRISON et al. 2001, S.325) in der Forschung einen Mehrwert für alle Beteiligten erzeugen sollte. Dies gilt es allerdings entlang von Marginalisierungen und Vulnerabilisierungen zu priorisieren: Wer wird in den Wissensproduktionen tendenziell verandert, und wessen Stimmen finden potenziell weniger Gehör? Um die Subjekte auch in ihren Anliegen wahrzunehmen, gilt es Zeit darauf zu verwenden, deren Anliegen zu verstehen und damit unter Umständen auch Ressourcen jenseits akademischer Wissensproduktionen aufzuwenden. [14]

4. Aufträge aus dem Forschungsfeld

In den ethnografisch ausgerichteten Forschungen, die ich in der südspanischen Region Andalusien durchgeführt habe, folgte ich in einer akteur*innenorientierten Perspektive den migrantischen Landarbeiter*innen. Viele der Menschen, mit denen ich hierzu Gespräche und Interviews führte, waren aus Ecuador, Marokko und dem Senegal nach Südspanien migriert. Sie waren direkt oder indirekt in der industrialisierten Landwirtschaft beschäftigt oder fanden zumindest dort in irgendeiner Weise ihr Auskommen (TIETJE 2018, S.26ff.). [15]

4.1 Hegemoniale Wissensproduktionen infrage stellen

Im Rahmen von vielen teilnehmenden Beobachtungen, Gesprächen und Interviews bekam ich Einsichten in die Arbeits- und Lebensbedingungen der migrantischen Landarbeiter*innen in der Provinz. Diese standen im Gegensatz zu den etwa von der liberal ausgerichteten Mehrheitsgewerkschaft UGT6) oder der bäurischen Gewerkschaft COAG7) gesetzten Wissensproduktionen zu Arbeitsbedingungen in der industrialisierten Landwirtschaft. Entlang der von den großen Gewerkschaften vorgenommenen Setzungen zu illegalisierter Arbeit bestand der Organisierungssekretär der Gewerkschaft COAG im Interview darauf, dass

"die Menschen ohne Papiere nicht arbeiten, da sie ja keine Papiere haben. Seit einem Jahr gibt es dazu sehr schwere Sanktionen. Die Arbeiter ohne Papiere haben in dieser Provinz keine Arbeit. Deswegen haben wir hier große Probleme, denn es kommen aufgrund der hohen Arbeitskraftnachfrage viele Menschen ohne Papiere" (Interview Organisationssekretär, COAG, Almería, 21. Mai 2014).8) [16]

Während meiner Feldforschungen wurde deutlich, dass es für das gesamte Gebiet der Treibhäuser lediglich fünf kommunale Kontrolleur*innen gab, die nach Vorankündigungen Betriebe besuchten. In den vielen kleinen, vor allem familiär betriebenen Produktionsstätten arbeiteten über den Großteil des Jahres Mitglieder der besitzenden Familien – zusätzliche Arbeitskraft wurde dann insbesondere in den highpeaks der Ernte und Aussaat benötigt. Auf diese Weise konnten die Produzent*innen die Produktionskosten sehr niedrig halten. Bezogen auf die illegalisiert in der Provinz arbeitenden Menschen ging der Generalsekretär der lokalen UGT im Interview noch einen Schritt weiter und stellte fest, dass es "aktuell nur sehr wenige Papierlose in der Region gibt, und gegenwärtig wissen wir von keinem Betrieb, der Irreguläre unter Vertrag nimmt, und wenn wir auf welche treffen, zeigen wir den Vorfall an" (Interview Generalsekretär, UGT, Almería, 26. Mai 2014). [17]

Da es Teil meines Forschungsanliegen war, den Alltag in der industrialisierten Landwirtschaft in den Blick zu rücken und hierbei die Relevanzsetzungen der migrantischen Landarbeiter*innen nicht zu verandern, war es wichtig, ihren Lebens- und Arbeitsalltag aus ihrer Perspektive erzählt zu bekommen. So lernte ich bereits zu Beginn meiner Feldforschungen über die lokale Gruppe der Minderheitsgewerkschaft SAT9) Aktivist*innen und Gewerkschafter*innen kennen, die mich zu acciones sindicales [gewerkschaftlichen Aktionen]10) mitnahmen. Entgegen den oben dargestellten, als offiziell angenommenen Wissensproduktionen standen jene der migrantischen Landarbeiter*innen. In den vielen chabolas zwischen den Treibhäusern lebten vor allem die irregulär arbeitenden migrantischen Landarbeiter*innen. Diese waren dabei dem andauernden Widerspruch ausgesetzt, dringend benötigt zu werden und zugleich unerwünscht zu sein. Ein Mitarbeiter des Roten Kreuz Almería sprach von "7000 Menschen – also die, von denen wir wissen, die wir kennen" (Interview Vorstandsmitglied, Rotes Kreuz, Almería, 19. Mai 2014), welche in den chabolas lebten. Die Tagelöhner*innen selbst sahen sich vor allem aufgrund ihrer benötigten Arbeitskraft in den Treibhäusern in der Provinz geduldet: "Hier betrachten sie es so, dass die Arbeit im Treibhaus für die Immigranten ist, mehr nicht" (Interview Arbeiter A, 9. Mai 2014). Es waren also nicht nur sehr viele migrantische Landarbeiter*innen vor Ort, sondern sie waren auch informell beschäftigt und ohne die dafür benötigte Erlaubnis. [18]

4.2 Marginalisierte Wissensproduktionen aufnehmen

Die migrantischen Landarbeiter*innen partizipieren nicht oder nur in geringem Maße an den hegemonialen Diskursen um die industrialisierte Landwirtschaft und vermögen entsprechend wenig öffentlich auf ihre Situation hinzuweisen. Sprecher*innenpositionen in den Diskursen um die Landwirtschaft im Gemüsegarten Europas verbleiben vor allem bei den Mehrheitsgewerkschaften und den Produzent*innen (TIETJE 2019b, S.157ff.). In meiner Forschung machten die Erzählungen der migrantischen Landarbeiter*innen nicht nur deutlich, dass diese in großer Zahl zwischen den Treibhäusern lebten und in diesen arbeiteten, sondern auch, dass die Bedingungen, unter denen sie dies taten, ausgesprochen schlecht waren. Gerade den informell Beschäftigten fiel es dabei schwer, ihren Anspruch auf eine den Tarifverträgen entsprechende Entlohnung durchzusetzen:

"Er gab mir zweihundert Euro jeden Monat [...], und ich bat ihn: 'Gib mir einen Vertrag, um meine Papiere in Ordnung bringen zu können.' Er sagte 'Arbeiter B warte ab.' Das sagte er immer [...]. Drei Jahre lang: 'Warte ab, warte ab'" (Interview Arbeiter B, 10. September 2013). [19]

Die Baracken, in denen viele der migrantischen Tagelöhner*innen lebten, bestanden aus alten Paletten, Kisten und Plastikabfällen. Mit dem wenigen Geld, das sie bekamen, konnten sie sich nicht leisten, woanders zu leben, und zugleich war es ohne eine Aufenthaltsgenehmigung mit dem Risiko einer Abschiebung verbunden, sich in der Provinz zu viel zu bewegen. Dem von offizieller Seite, etwa durch die oben angeführten großen Gewerkschaften dargestellten Bild entsprach nur wenig von dem, was mir bei teilnehmenden Beobachtungen in der industrialisierten Landarbeit begegnete. Hier zuzuhören und den Arbeiter*innen tatsächlich zu begegnen, eröffnete Einblicke in einen schweren, von harter körperlicher Arbeit und prekären Arbeits- und Lebensbedingungen geprägten Alltag. Dabei erzählten nicht nur die Interviewten aus ihren Leben, sondern sie erfuhren auch viel von mir. Während ich gemeinsam mit ihnen im Treibhaus arbeitete oder auch beispielsweise auf Ausflügen an den Strand gab es ein gegenseitiges Erzählen. Im Zuge dessen lernte ich nicht nur einzelne Menschen besser kennen, sondern es erlaubte auch meinen Interviewpartner*innen, mich besser einschätzen zu lernen. Dies sensibilisierte mich zugleich viel stärker für die unterschiedlichen Thematiken und Relevanzen ihrer Erzählungen.11) Die migrantischen Landarbeiter*innen wurden in der Provinz oftmals ausgenutzt und mit Versprechungen hingehalten. Gerade die hohe Anzahl vorhandener Arbeitskräfte und der unsichere Status ermöglichten den Produzent*innen, sie auszubeuten, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. So schloss eine Arbeiterin die Beschreibung ihrer Situation: "Es ist ein sehr schlechtes Leben" (Interview Arbeiterin C, 13. September 2013). [20]

4.3 Give and take auch über akademische Wissensproduktionen hinaus

Diese Unzufriedenheit, die in vielen Gesprächen herausklang, war für mich ein besonderer Anreiz, über die bloße akademische Wissensproduktion hinaus zu gehen. Reziprozität in der Forschung als ein give and take zu verstehen, sah ich nicht nur durch meine Anwesenheit erfüllt: Reziprozität reicht über die bloße Kopräsenz hinaus. Allerdings ließ mich genau dieses dort sein, verbunden mit der Eindringlichkeit der Schilderungen, umso genauer zuhören. Juliet CORBIN und Janice MORSE führten in Bezug auf Reziprozität aus, dass ein

"frequent reason cited by persons for consenting or requesting to participate in a study is the hope that telling their story will help others. [...] Usually, there is no overt or spoken contract between participant and researcher about what the exchange will be. However, a conscientious researcher will try to discern what it is participants are seeking, then if possible provide that either during the interview or once it’s over" (2003, S.342). [21]

Weiterhin genau hinzuhören ließ mich im Verlauf der Forschungen einen immer wiederkehrenden Auftrag wahrnehmen, der gerade mit den invisibilisierten Sprecher*innenpositionen der migrantischen Landarbeiter*innen verbunden war. Besonders deutlich machte dies eine Arbeiterin im Interview in einem besetzten Betrieb. Am Ende des Arbeitstages saßen wir dort im Schatten beisammen, und während ein Freund zeitweise zwischen Arabisch und Spanisch dolmetschte, wies sie noch einmal besonders eindringlich auf die Verbindungen zwischen ihrer Produktionsleistung und dem globalen Norden hin:

"Es muss sich ändern! Wir brauchen Unterstützung von außen, oder so. Alle Welt isst das Gemüse von hier, und die immigrierten Menschen leben schlecht. Sie können nicht einmal fest angestellt arbeiten. Wir wollen aber fest angestellt arbeiten. Aber du weißt nun was hier geschieht. Du weißt es jetzt – erzähl davon!" (Interview Arbeiterin C, 13. September 2013) [22]

Die direkte Aufforderung der Arbeiterin an mich, mein erworbenes Wissen um die Bedingungen der Arbeit und die damit verbundene Lebenssituation der Landarbeiter*innen weiterzutragen, beeindruckte mich nachhaltig. Ich nahm die Aufforderung als einen Auftrag an und begann nach Möglichkeiten zu suchen, die Bedingungen transparent zu machen, unter denen das Gemüse, welches zu großen Teilen in den Supermärkten des globalen Norden und besonders Nordeuropas verkauft wird. Ausgehend von Zeitungsartikeln (z.B. HUKE & TIETJE 2014; TIETJE 2014; TIETJE & ZÖRNER 2013), mit denen es gelang, Leser*innen jenseits der universitären Wissensproduktionen zu erreichen, beteiligte ich mich an mehreren Veranstaltungen in Deutschland. In diesen Veranstaltungen wurde vor allem auf die Produktionsbedingungen im Süden Spaniens hingewiesen (z.B. INTERBRIGADAS E.V. 2014). Ich beriet weiter eine Berliner NGO in ihrer Unterstützungsarbeit in Andalusien und organisierte gemeinsam mit Aktivist*innen, Journalist*innen und Kolleg*innen eine Veranstaltungsreihe in mehreren Städten. Hier war es uns besonders wichtig, dass Menschen aus der almeriensen Landarbeit selbst ihre Geschichten erzählen konnten (VERANSTALTUNGSKOLLEKTIV 2016). Im Vordergrund stand dabei die Möglichkeit die Produktionsbedingungen des Gemüses sowie die Stimmen und Geschichten derjenigen, die es produzierten, denjenigen sichtbar zu machen, die es vor allem konsumierten. Hierzu führte der Weg darüber, die Wissensproduktionen der migrantischen Landarbeiter*innen anzunehmen – es ging nicht nur darum, die offizielle Rahmung etwa durch die Mehrheitsgewerkschaften zu reproduzieren und zu bestätigen. Auf diese Weise wurde deutlich, wie wichtig ihnen war, dass auch dort, wo ihre Produktionsergebnisse konsumiert wurden, ihre Situation bekannt werden sollte in der Hoffnung, dass sich auf diese Weise etwas für sie oder die ihnen Nachfolgenden ändern würde. [23]

Diesen Auftrag anzunehmen war meine Weise, etwas zurückzugeben – in diesem Fall nicht konkreten Personen, sondern indem ich mich daran beteiligte, migrantischen Arbeiter*innen der industrialisierten Landarbeit eine kleine Plattform für ihre Anliegen im globalen Norden zu bieten. Informationen aus der Forschung nicht nur in Form akademischer Texte zu verbreiten, beschrieb Wolff-Michael ROTH als eine "form in which ethnographic work is returned to the other" (2008, §17). Wie wichtig gerade solche auch niedrigschwellig zugänglichen Informationen sind, wurde insbesondere im Rahmen von Kampagnen deutlich, durch die die Wiedereinstellung von Arbeiter*innen forciert wurde. Erst der internationale Druck durch Konsument*innen auf die jeweiligen Betriebe erreichte in diesem Zusammenhang temporär begrenzt Fortschritte (u.a. PACHECO 2012, 2015). Die Veranstaltungen boten insofern den migrantischen Landarbeiter*innen einerseits eine Möglichkeit, ihre Geschichten zu erzählen und von der Situation in der industrialisierten Landarbeit zu berichten. Konsument*innen im globalen Norden für die Produktionsbedingungen des Obstes und Gemüse in den Supermärkten zu sensibilisieren ermöglichte andererseits, auch einen gewissen Druck auf die Produzent*innen auszuüben. Und so sind die generellen Auswirkungen solcher Veranstaltungen für die Produktionsbedingungen zwar begrenzt, bieten aber dennoch eine wichtige Möglichkeit, gehört zu werden. [24]

Diese Zuarbeiten bedeuteten aber auch, in das Forschungsfeld zu intervenieren und implizierten meine Teilnahme an den politischen Praktiken der migrantischen Landarbeiter*innen. Zugleich entwickelte sich auf diese Weise ein intensiver Dialog, in dem ich nicht mehr nur als der Wissenschaftler aus Deutschland adressiert, sondern auch als Verbündeter angesprochen wurde. Für meine wissenschaftlichen Arbeiten war es umso wichtiger, dass ich meine Forschungen durch viele unterschiedlich lange Aufenthalte entwickelte und immer eine reflexive Distanz zum Feld einnehmen konnte. Wissenschaftler*innen treffen immer auch – ob bewusst oder unbewusst sei an dieser Stelle dahingestellt – politische Entscheidungen. Mit wem über was im Forschungsfeld gesprochen wird und mit wem nicht, auf welche Weise geforscht wird und wem schließlich Autorität über die Wissensproduktionen zugesprochen wird (Forscher*innen oder Forschungsteilnehmer*innen)12) sind Entscheidungen, die mehr als nur eine wissenschaftspolitische Tragweite einnehmen: "Failure to make this distinction might result in disgruntled postpositivists who have used qualitative methods but are still trying to fit these methods into a procrustean bed of objectivist standards of reliability and validity" (HARRISON et al. 2001, S.324). [25]

5. Fazit: forschungsethische Reziprozität

Die kurze Einführung in die Situation der industrialisierten Landwirtschaft zu Beginn hat bereits verdeutlicht, dass es für eine reflexive, kritische Auseinandersetzung mit der Produktion von Obst und Gemüse im Süden Europas nicht ausreicht, hegemoniale Wissensproduktionen aufzugreifen. Die Machtverhältnisse zwischen globalem Norden und Süden machen es notwendig, invisibilisierte Wissensproduktionen in den Fokus zu rücken. Gerade solche Machtverhältnisse stellen Wissenschaftler*innen aus forschungsethischen Perspektiven vor besondere Herausforderungen. Dekoloniale Ansprüche in akademischen Wissensproduktionen stärker zu gewichten heißt an dieser Stelle, Reziprozität in der Forschung selbst anzustreben und ggf. jenseits der Universität Ressourcen aufzubringen. [26]

Was die Forscher*innen zurückgeben, hängt dabei selbstverständlich von ihnen selbst ab und muss der jeweiligen Situation angemessen sein (CORBIN & MORSE 2003, S.349). Wichtig ist, genau zu überlegen, mit wem innerhalb eines Forschungsfeldes reziproke Bedingungen verhandelt werden. Dekoloniales Forschen bedeutet so auch, in hegemoniale Verhältnisse zu intervenieren. Reziprozität anzustreben, führt daran anschließend unter Umständen zu einem ressourcenaufwendigen Einsatz jenseits des universitären Normalbetriebs. Vielleicht ist dies "less comfortable" (HARRISON et al. 2001, S.325) als andere Handlungen im Forschungsfeld, dennoch spricht einiges für eine solche Herangehensweise. [27]

Forscher*innen können sich so der forschungsethisch implizierten dekolonialen Forderung eines give and take in Studien mit Subjekten des globalen Südens realistisch annähern. Voraussetzung hierzu ist, sich in den Forschungssituationen nicht nur Wissen sammelnd, sondern machtsensibel zu bewegen. Wissensproduktionen dabei nicht zu verandern und offen für Neues zu bleiben, schließt unmittelbar auch an die reflexiven Anforderungen an ethnografische Sozialforschung an. Die Möglichkeit, forschungsethische Reziprozität in die eigene Forschung aufzunehmen, ist mit den grundlegenden Bedingungen des jeweiligen Forschungsfeldes verbunden und muss jedes Mal aufs Neue ausgelotet werden, d.h., welcher Auftrag von wem aus dem Feld angenommen wird und wie dieser umgesetzt werden kann. Hier gemeinsam mit den Forschungsteilnehmer*innen zu überlegen, ist allerdings für die Forscher*innen eine Gelegenheit, viel Neues zu lernen. [28]

Danksagung

Ich danke den migrantischen Arbeiter*innen, die mich an ihrem Alltag und ihren Gedanken partizipieren ließen und an meiner Forschung teilgenommen haben: Ich habe unglaublich viel lernen können! Hella VON UNGER danke ich für die wertvollen Anmerkungen und Hinweise zu diesem Artikel.

Anmerkungen

1) Globaler Süden bezeichnet hier weniger eine geografische als geopolitische Markierung. <zurück>

2) Verandern verstehe ich als jenen Prozess, der Gruppen als marginalisierte homogenisiert und auf diese Weise zu den gesellschaftlich anderen werden lässt. Dieser Prozess dient wiederum fundamental dazu, die "eigene" Gruppe konstruieren zu können (u.a. HALL 1992; REUTER 2002; SAID 1979; VON UNGER 2022). <zurück>

3) EU-Verordnung 2018/848, https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02018R0848-20220101&from=EN [Zugriff: 19. Oktober 2022]. <zurück>

4) Alle Übersetzungen aus spanischen Texten stammen von mir. <zurück>

5) Auf Deutsch: "Sogar unsere eigenen Leute, spanisch Sprechende, wollen unsere Lippen verschließen. Sie würden uns zurückhalten mit ihren Taschen voller akademischer Regeln." <zurück>

6) Unión General de Trabajadores, große spanische Mehrheitsgewerkschaft. <zurück>

7) Coordinadora de Organizaciones de Agricultores y Ganaderos, Gewerkschaft der Kleinbäuer*innen in Spanien. <zurück>

8) Die Interviews fanden größtenteils auf Spanisch statt, und ich habe sie hier für die bessere Lesbarkeit übersetzt. <zurück>

9) Sindicato Andaluz de Trabajador@s, andalusienweit agierende Gewerkschaft, in der vor allem prekär Beschäftigte organisiert sind. <zurück>

10) Gemeint sind vor allem Besuche von Betrieben durch die Mitglieder der Gewerkschaft SAT Almería. Diesen Besuchen geht oftmals eine Anzeige der dortigen Arbeitsbedingungen bei der Gewerkschaft durch die jeweiligen Landarbeiter*innen voraus. <zurück>

11) Zu den Implikationen freundschaftlicher Beziehungen siehe BARTOLINI (2021, S.99ff.), zu Transparenz im Forschungsprozess LESTER und ANDERS (2018, §27). <zurück>

12) Eine Möglichkeit, dieser Opposition zu begegnen, sind forschungspartizipativ ausgerichtete Ansätze (VON UNGER 2014b). <zurück>

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Zum Autor

Olaf TIETJE ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der LMU München. Die Schwerpunkte seiner Forschungen liegen auf Arbeit, Geschlechterforschung, Migrationsforschungen, sozialer Teilhabe und qualitativen Methoden.

Kontakt:

Olaf Tietje

LMU München
Institut für Soziologie
Konradstraße 6, 80801 München

E-Mail: olaf.tietje@lmu.de

Zitation

Tietje, Olaf (2023). "Du weißt es jetzt – erzähl davon!" Dekoloniale Forschungsperspektiven und Aufträge aus dem Forschungsfeld [28 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 24(1), Art. 4, http://dx.doi.org/10.17169/fqs-24.1.3974.

Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research (FQS)

ISSN 1438-5627

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