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Volume 24, No. 3, Art. 8 – September 2023

Muße in Krankheitszeiten – eine qualitative Analyse narrativer Interviews

Lisa Maria Müller

Zusammenfassung: Menschen mit chronischen Erkrankungen sind häufig von Leistungs- und Produktivitätserwartungen befreit. Vor diesem Hintergrund untersuchte ich, inwiefern Patient*innen in mündlichen Erzählungen über neue Freiräume sprachen und welche Rolle sie diesen für die Krankheitsbewältigung und für Mußeerfahrungen zuschrieben. Aus dem Projekt DIPEx Germany unterzog ich 41 narrative Interviews mittels der Grounded-Theory-Methodologie einer Sekundäranalyse. An fünf prägnanten Textpassagen führte ich zusätzlich eine rekonstruktive Feinanalyse in Anlehnung an die Theorie der narrativen Identität durch und integrierte die Ergebnisse für eine formsensible, an Identitätsrelevanzen orientierte Konzeptualisierung in eine Grounded Theory. Im Zentrum des neuen theoretischen Modells steht der Prozess des Entwickelns von Selbstbestimmung, der in Handlungsentscheidungen respektive Freiraumerfahrungen münden kann. Mußeräume entstehen, wenn Handlungen für sich selbstzweckhaft und ergebnisoffen ausgeübt werden. Die Feinanalysen zeigten, dass Erzählende "entlang" des Prozesses des Entwickelns von Selbstbestimmung Positionierungen vornahmen und so Aspekte einer narrativen Identität verhandelten. Wenn sie über Muße sprachen, verwendeten sie sprachliche Strategien, mittels welcher sie Zuhörende in den Erzählraum einbanden, was als wichtige Form der narrativen Bewältigung gewertet werden kann. Ich diskutiere die Ergebnisse hinsichtlich Forschung zu (narrativer) Bewältigung und Muße und reflektiere das methodische Vorgehen.

Keywords: chronische Krankheit; Krankheitsbewältigung; Muße; Grounded-Theory-Methodologie; narratives Interview; narrative Identität; narrative Bewältigung

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Krankheitsbewältigung aus Perspektive der psychologischen Copingforschung

3. Freiräume und Muße qualitativ-sozialwissenschaftlich untersuchen

3.1 Freiräume erzählen

3.2 Muße erzählen

3.3 Krankheitserzählungen als Forschungsgegenstand

4. Methodik

4.1 Datengrundlage

4.2 Sekundäranalyse

4.3 Analyse nach der Grounded-Theory-Methodologie

4.4 Auswertung mit erzähl- und konversationsanalytischen fundierten Verfahren

5. Ergebnisse

5.1 Das theoretische Modell Mußeerleben in Krankheitszeiten

5.2 Unbegehbare Räume

5.3 Rückzugsräume

5.4 Prozess des Entwickelns von Selbstbestimmung

5.5 Äußere Einflussfaktoren

5.6 Freiräume

5.7 Mußeräume

6. Fazit

6.1 Zusammenfassung der Ergebnisse

6.2 Inhaltliche Reflexion

6.3 Methodische Reflexion

Anmerkungen

Literatur

Zur Autorin

Zitation

 

1. Einleitung

In westlichen Industrienationen gewinnen chronische Erkrankungen weiter an Bedeutung1). Angesichts der verbesserten medizinischen Versorgung und neuer Behandlungsmöglichkeiten haben viele heute eine "offenere Verlaufsdynamik" (OHLBRECHT & MEYER 2020, S.415). Für Patient*innen gilt es, die gewonnenen Lebensjahre "möglichst gesund und selbstbestimmt zu gestalten" (a.a.O.). Dabei leiden sie in der Regel nicht nur unter Belastungen wie körperlichen Beschwerden, sondern erleben auch einen Einschnitt in den Alltag, wenn wichtige Lebensbereiche wie die Arbeitsfähigkeit eingeschränkt sind (FILIPP & AYMANNS 2010; KRÄMER & BENGEL 2020). Dieser wurde aus sozialwissenschaftlicher Perspektive auch als Biografie- und Identitätsbruch beschrieben (BURY 1982; CHARMAZ 1987)2). [1]

Die Betroffenen befinden sich in der Situation, die Erkrankung "mit all den damit verbundenen Herausforderungen an biografische, identitätsbezogene sowie krankheitsbezogene Arbeiten" (OHLBRECHT & MEYER 2020, S.419) bewältigen zu müssen. Herausforderungen ergeben sich hierdurch auch im Gesundheits- und Versorgungssystem. Beispielsweise ist es die Aufgabe von Akteur*innen in der medizinischen Rehabilitation, Individuen bei der Krankheitsbewältigung zu unterstützen (BICKENBACH, SABARIEGO, STUCKI & BUSCHMANN-STEINHAGE 2022). Die Frage, wie sich die Bewältigung chronischer Krankheit vollzieht, besitzt damit hohe praktische Relevanz und Evidenz. [2]

Fokussiert man den Gegenstand "Krankheitsbewältigung", "so ist es unumgänglich, sich mit der einschlägigen Forschungstradition auseinanderzusetzen, in deren Rahmen Probleme der Bewältigung oder des Coping im Umgang mit chronischer Krankheit seit vielen Jahren untersucht" (LUCIUS-HOENE 2002, S.168) werden. In diesem Beitrag gehe ich daher auf wichtige theoretische Konzeptionen und methodologische Prämissen der psychologischen Copingforschung ein (Abschnitt 2). Angesichts der Breite dieses Forschungsfeldes kann es sich nur um einen kurzen Aufriss handeln. In diesem zeige ich, dass die Anwendung einer qualitativen Forschungsstrategie sinnvoll ist, wenn Krankheitsbewältigung bei chronischen Erkrankungen untersucht werden soll. Ich stelle dann eine qualitative Studie zu "Muße in Krankheitszeiten" vor3). In Abschnitt 3 erläutere ich, warum es aus theoretischer Sicht plausibel schien, im Rahmen einer Analyse von Krankheitserzählungen den Gegenstand "Krankheitsbewältigung" anhand des Konzepts der Muße neu zu perspektivieren. Ich gehe dann auf den methodischen Zugang ein, den ich im Rahmen der qualitativen Studie wählte (Abschnitt 4). Anschließend stelle die Ergebnisse vor (Abschnitt 5) und diskutiere sie hinsichtlich inhaltlicher und methodischer Aspekte (Abschnitt 6). [3]

2. Krankheitsbewältigung aus Perspektive der psychologischen Copingforschung

Die Copingforschung entstand in den 1970er-Jahren und hat ihre Wurzeln in der medizinischen Psychologie. Zwei Forschungstraditionen beeinflussten den heutigen wissenschaftlichen Stand der Modellentwicklung wesentlich (KENDEL & SIEVERDING 2012). Aus der psychoanalytischen Forschung stammen Vorschläge, wie sich die Bewältigung belastender (Lebens-)Situationen vollzieht (FREUD 1946 [1936]). Diese wurden im Rahmen von Einzelfallanalysen und darauf aufbauenden Klassifizierungen von Abwehrvorgängen entwickelt. Auf dieser Basis wurden in tiefenpsychologischen Erklärungsmodellen eher unbewusst ablaufende und emotionszentrierte Prozesse der Krankheitsbewältigung als Abwehrmechanismen bezeichnet (BEUTEL 1988; LIVNEH 2009; STEFFENS & KÄCHELE 1988). [4]

Im Rahmen der Stress- und Copingforschung wurde zunächst in experimentellen Studien die Bedeutung von Belastungsfaktoren für die Entstehung von Stress betont (SELYE 1956). Dann stand im Fokus, welche Rolle das Zusammenspiel von Belastungsfaktoren und ihrer Bewertung durch ein Individuum dafür spielt, welche Bewältigungsanstrengungen resultieren (LAZARUS & FOLKMAN 1984). Ausgehend von Untersuchungen in der Stress- und Copingforschung wurde Krankheitsbewältigung in kognitionspsychologischen Ansätzen zunehmend als sich "ständig im Fluß befindliches, [...] prozeßhaftes Geschehen aufgefaßt" (LUCIUS-HOENE 2002, S.171), das sich in Wechselbeziehungen zwischen Person und Umwelt vollziehe (BENGEL et al. 2003; LANGE 2019). Entsprechend wurde Krankheitsbewältigung hier definiert als "Gesamtheit der Prozesse, um bestehende oder erwartete Belastungen im Zusammenhang mit Krankheit emotional, kognitiv oder aktional aufzufangen, auszugleichen oder zu meistern" (MUTHNY 1989, S.5f.). Ein wichtiges Postulat der Copingforschung ist, dass der Bewältigungsprozess insgesamt unterschiedliche gesundheitsbezogene Parameter beeinflusst (BENGEL & HELMES 2011). [5]

Eine Herausforderung der Copingforschung besteht darin, dass im Zentrum von Modellen des Bewältigungsprozesses in der Regel die Frage nach der Milderung krankheitsbedingter Beschwerden durch verschiedene Bewältigungsformen steht4). Dies ist als kritisch zu bewerten, da Ergebnisse aus der Resilienzforschung zeigten, dass bei Lebensereignissen wie chronischen Erkrankungen Schutzfaktoren wie soziale Unterstützung eine belastungspuffernde Wirkung entfalteten und gesundheitsförderlich wirkten (BENGEL & LYSSENKO 2012). In der Copingforschung blieb die Perspektive bisher dennoch überwiegend belastungsorientiert5). [6]

Eine weitere Herausforderung im Rahmen der Copingforschung besteht in der Frage nach empirischen Zugängen zum Gegenstand. Durch die Dominanz des nomologischen Wissenschaftsmodells in der Psychologie (FLICK 2007) sind die Forschungsaktivitäten überwiegend darauf ausgerichtet, Formen der Bewältigung empirisch festzustellen, deren Konzeptualisierung "aus Bewältigungstheorien abgeleitet" (LUCIUS-HOENE 2002, S.170) wurde6). Entsprechend des methodologischen Selbstverständnisses, "quantifizierte Daten mit der Möglichkeit inferenzstatistischer Bearbeitung [...] vorzulegen" (S.173), erfolgt der empirische Zugang in der Regel mittels standardisierter Erhebungsverfahren7). Kritik an einer standardisierten, quantifizierenden Sozialforschung umfasste zentral die Frage nach der Validität und Alltagsangemessenheit der verwendeten Kategorien (a.a.O.). Die Thematik der Bewältigungsforschung verweist auf eine qualitative Forschungsstrategie, "da diese mit ihrer dialogisch-kommunikativen und prozessorientierten Methodologie und ihren sinnverstehenden Interpretationsstrategien" (OHLBRECHT & MEYER 2020, S.416) geeignet ist, Phänomenen, die im Kontext des Umgangs mit chronischen Erkrankungen auftreten, gerecht zu werden. Beispielsweise kann im Rahmen einer qualitativen Forschungsstrategie "der Lebensweltbezug [...] konsequent berücksichtigt" (S.417) und "die subjektiven Erfahrungsaufschichtungen bei der Krankheitsbewältigung" (a.a.O.) können rekonstruiert werden. Es ergibt sich die Chance einer argumentativen Herstellung des Verallgemeinerungsprozesses. [7]

In der Studie über Muße in Krankheitszeiten, über welche ich nun berichte, adressierte ich die beiden genannten Herausforderungen in der Copingforschung: Mit der Frage nach der Möglichkeit von Muße in Krankheitszeiten nahm ich eine ressourcenorientierte Perspektive auf Krankheitsbewältigung ein. Zudem wendete ich eine qualitative Forschungsstrategie an. [8]

3. Freiräume und Muße qualitativ-sozialwissenschaftlich untersuchen

3.1 Freiräume erzählen

Als ich begann, an der Studie zu arbeiten, war Muße bereits wissenschaftlich als philosophisches Konzept beschrieben worden (FIGAL & KEILING 2016; GIMMEL & KEILING 2016). Die Herausforderung bestand für mich darin, Forschungsfragestellungen zu entwickeln, mit denen ich einerseits auf die vorliegenden Konzepte verweisen, durch die ich aber andererseits eine Subsumtionslogik im Rahmen der empirischen Forschungspraxis vermeiden konnte. Für Muße ist aus philosophischer Sicht eine negative Freiheit von Leistungs- und Produktivitätsansprüchen Voraussetzung (GIMMEL & KEILING 2016, S.64)8). Es erschien damit zunächst fraglich, ob Menschen mit chronischen Erkrankungen prinzipiell überhaupt Muße erfahren können, denn sie müssen sich in der Regel mit dem Biografie- und Identitätsbruch, den sie erleiden, auseinandersetzen (siehe Abschnitt 1). Allerdings impliziert die Unterbrechung biografischer Kontinuität und von identitätsrelevanten Linien im Lebensvollzug auch eine Freiheit von früheren Rollenerwartungen und Verpflichtungen. Damit lautete die These, dass im Leben der Patient*innen auch neue "Freiräume" entstehen können, welche "durch Hoffnungslosigkeit angesichts einer unsicher gewordenen Zukunftsperspektive ebenso geprägt sein [können] wie durch Neuverhandlungen des brüchig gewordenen Selbstbildes oder die Erprobung neuer Handlungsalternativen" (BENGEL & MÜLLER 2023, S.113)9). Die Überlegung war weiterhin, dass die "Freiräume" potenziell auch einen Rahmen für Muße bieten, da sie sich über eine Freiheit von Produktivitätsansprüchen konstituieren und für Muße "ebenfalls das Moment der negativen Freiheit charakteristisch ist" (a.a.O.). [9]

3.2 Muße erzählen

Mündliche Erzählungen mittels einer qualitativen Forschungsstrategie hinsichtlich "Freiräumen" zu untersuchen, schien einen Ausgangspunkt für die empirische Forschungspraxis zu bilden. Ich hielt es jedoch für notwendig, das Erzählen über Muße in "Freiräumen" von dem Sprechen über andere Erfahrungen wie z.B. Grübeln zu unterscheiden. Im Rahmen der empirischen Forschungspraxis orientierte ich mich deshalb an einem Konzept aus der Phänomenologie. Hier wurde Muße positiv als Erfahrungsqualität bestimmt (FIGAL & KEILING 2016). Dabei gingen FIGAL und KEILING (S.9-11) von der Kategorie des Raumes aus10), denn Dinge und Lebewesen befänden sich stets an einem Ort. Dieser sei folglich etwas Dingliches, das durch das bestimmt sei, was sich an ihm befinden kann (z.B. ein Stuhl, auf dem ein Mensch sitzen kann). Das Räumliche werde durch das, "was in ihm ist, zu einem Ort bestimmt" (S.14), wahre demgegenüber aber eine Unbestimmtheit, welche als Leere durch das am Ort befindliche Subjekt erfahrbar sei. In Muße werde nun die Leere des Raums als Potenzialität erfahrbar. Muße bestehe also zunächst "bloß in einer Erfahrung, der Erfahrung, dass es auch anders möglich wäre, weil auch andere Möglichkeiten zugelassen [sind, woraus] sich dann ein anderes Handeln entwickeln" (S.17) könne11). Die "Formen von Tätigkeit" (a.a.O.), welche einer solchen Freiraumerfahrung entsprängen, lägen gerade abseits von zielgerichtetem und normiertem Handeln. Für Muße könnten Tätigkeiten wie die Einnahme von "Ruhe- und Beobachtungspositionen" (S.18) relevant sein; ebenso die "Betrachtung" (a.a.O.) oder "Imaginationen" (a.a.O.). Entscheidend für Muße sei, dass eine Tätigkeit wiederum "Möglichkeit und Unbestimmtheit" (S.19) erfahrbar werden lasse12). Konkrete Räume etwa der "Architektur und Gartenkunst" (a.a.O.), böten durch ihre bauliche Beschaffenheit dem mußevollen Handeln besondere Entfaltungsmöglichkeiten und inszenierten das Potenzielle der Muße, indem sie beispielsweise mäandrische Wegführungen aufwiesen13) 14). [10]

FIGAL und KEILING betonten, die Aspekte des Räumlichen – die Freiraumerfahrung, räumliches Handeln und konkrete Räume – könnten "durch menschliche Interaktion konstruiert und produziert" (S.21) sein. Das erschien für den Rahmen meiner Studie relevant, weil auch mündliche Erzählungen, die im Rahmen narrativer Interviews elizitiert werden, als "interaktiv hervorgebrachte Konstrukte" (SCHWABE 2003, §4) betrachtet werden können. Aspekte des Räumlichen können damit im Rahmen des mündlichen Erzählens konstruiert werden, und Erzählungen bieten einen Zugang zu subjektiven Perspektiven auf Muße15). Als methodische Implikation für die empirische Forschungspraxis ergab sich aus der Auseinandersetzung mit den phänomenologischen Raumbegriffen, dass Muße zu untersuchen bedeutet, sprachliche Konstruktionen einer Erfahrungsqualität sowie von Praktiken und ihrem Bezug zu umgebenden konkreten Räumen zu analysieren. [11]

3.3 Krankheitserzählungen als Forschungsgegenstand

Mündliche autobiografische Erzählungen von Patient*innen, die im Rahmen narrativer Interviews elizitiert wurden, können als Krankheitserzählungen bezeichnet werden (BURY 2001; HYDÉN & BROCKMEIER 2008; KLEINMAN 1988). Sie sind "interaktiv hervorgebrachte Konstrukte" (SCHWABE 2003, §4), da Patient*innen im Erzählen ihre Erinnerungen an das Leben mit der Erkrankung in einen temporalen- und Sinnzusammenhang bringen, wobei sie sich auch an den Reaktionen der Zuhörerin oder des Zuhörers orientieren (MISHLER 1986; ROSENTHAL 2010). Hinsichtlich der Frage, wie sie "Freiräume" sprachlich darstellen (siehe Abschnitt 3.1), schien die Analyse von Krankheitserzählungen besondere erkenntnistheoretische Potenziale zu bieten, da das Krankheitsgeschehen im Erzählen im Licht der Lebenswelt und Biografie rekontextualisiert und die Erfahrung eines biografischen Bruchs thematisiert wird (LUCIUS-HOENE 2008). Auch eine Annäherung an Darstellungen von Muße schien möglich, da "Veränderung[en] des Lebensraums"16) (S.92) und von Handlungsdispositionen geschildert werden (CHARON 2006; HYDÉN 1997). [12]

Das mündliche autobiografische Erzählen ist nicht nur ein "Medium der Darstellung von Erfahrung" (LUCIUS-HOENE 2008, S.94), sondern auch ein "Prozeß der aktuellen Identitätsherstellung" (LUCIUS-HOENE 2000, §4; siehe auch BAMBERG 2011; BAMBERG & GEORGAKOPOULOU 2008; BEHRMANN 2008; MacADAMS, JOSSELSON & LIEBLICH 2006)17). Für die Rekonstruktion narrativer Identität liegt ein Analyseansatz vor, durch den rhetorische und Positionierungsstrategien der Erzählenden sowie interaktive Aspekte der Interviewsituation systematisch berücksichtigt werden können (BERNHARD 2014; DE FINA & GEORGAKOPOULOU 2012; DEPPERMANN 2013; LUCIUS-HOENE & DEPPERMANN 2004). Mein Eindruck war, dass die Arbeit mit diesem Analyseansatz es erlaubt, nachzuvollziehen, wie sich Darstellungen von "Freiräumen" und Muße beispielsweise mit der Wahl einer bestimmten Textsorte oder mit Positionierungsleistungen verbinden und wie über den "Inhalt, das 'Was'" (LUCIUS-HOENE 2008, S.92) sowie "die Form des Erzählens, das 'Wie'" (a.a.O.) Aspekte narrativer Identität verhandelt werden. In diesem Zusammenhang schien auch relevant, dass sich für den Bereich der Erfahrung von Krankheit "an die Frage nach der narrativen Identität die nach der 'narrativen Bewältigung' an[schließt]" (LUCIUS-HOENE 2000, §7). Mit dem oben genannten Analyseansatz kann beispielsweise verstehend nachvollzogen werden, ob durch empathisch mitschwingende Zuhörende "die Erzählung zu einer gemeinsamen Konstruktion" (LUCIUS-HOENE 2008, S.92) wird. Dies lässt sich als eine Form der Bewältigung verstehen, die sich im Zug der narrativen Rekonstruktion der Krankheitserfahrung, also im Erzählakt, vollzieht (a.a.O.). [13]

Ich formulierte drei Forschungsfragestellungen: Wie stellen Patient*innen in Krankheitserzählungen "Freiräume" und Muße sprachlich dar? Wie verbinden sie die Darstellungen, etwa mit der Wahl bestimmter rhetorischer Strategien und mit Positionierungsleistungen? Kann hierüber rekonstruiert werden, wie Aspekte narrativer Identität interaktiv verhandelt werden und welche Formen narrativer Bewältigung sich im Erzählakt vollziehen? [14]

4. Methodik

4.1 Datengrundlage

Die Patient*innenerzählungen, die ich untersuchte, lagen bereits vor. Sie stammen aus dem Projekt DIPEx Germany (BREUNING, LUCIUS-HOENE, BURMBAUM, HIMMEL & BENGEL 2017). Es wurde mit dem Ziel ins Leben gerufen, Erfahrungen von Patient*innen mit verschiedenen Erkrankungen und Gesundheitsthemen mit qualitativen Methoden zu erheben, auszuwerten und die Ergebnisse für eine Website aufzubereiten (a.a.O.)18). Diese existiert bereits seit 2010 und wird fortlaufend ausgebaut. Aktuell wird sie am Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie der Medizinischen Hochschule Brandenburg Theodor Fontane betreut. Auf der Website sind momentan elf Erfahrungsbereiche zu je einem Krankheitsbild oder Gesundheitsthema zu finden. Alle Erfahrungsbereiche wurden mittels narrativer Interviews erhoben (SCHÜTZE 1983; ZIEBLAND 2013). Diese wurden in Schriftsprache transkribiert, in einem Bottom-up-Verfahren kodiert und zu thematischen Kategorien kondensiert (BREUNING et al. 2017). Die Ergebnisse wurden auf der Website für jeden Erfahrungsbereich sortiert nach Themen und Fallgeschichten veröffentlicht. Interviews, die von den Gesprächspartner*innen für Forschungszwecke freigegeben wurden, können in qualitativen Sekundäranalysen untersucht werden (SHERIF 2018). [15]

4.2 Sekundäranalyse

Nach Freiräumen oder Muße hatten die Forschenden im Rahmen der Datenerhebung nicht gefragt. Im Vorfeld erstellte daher eine Primärforscherin eine Liste mit thematischen Kategorien aus der Primärstudie, die einen thematischen Bezug zu der Heuristik des "Freiraums" aufweisen könnten (siehe Abschnitt 3.1). Auf dieser Basis entschied sie, dass das Datenset für die geplante Sekundäranalyse verwendet werden kann (MEDJEDOVIĆ 2011, §37). Bei der Sekundäranalyse, die ich durchführte, handelte es sich damit um eine Supraanalyse: Ich untersuchte Fragestellungen, die über die Erkenntnisinteressen zum Zeitpunkt der Interviewführung hinauswiesen (MEDJEDOVIĆ 2022). Ebenfalls durch eine Primärforscherin erhielt ich Zugang zu den vollständigen Interviewtranskripten sowie zu Metainformationen (CORTI & BISHOP 2005, §15). Ich hatte Zugriff auf Tabellen, in welchen Pseudonyme den Klarnamen der Interviewpartner*innen zugeordnet worden waren. Die Tabellen enthalten auch Informationen zu der sozioökonomischen Situation der Patient*innen und zu den Diagnosen, die sie angegeben hatten. In manchen Fällen hatten Primärforscher*innen Memos zu ihren subjektiven Eindrücken hinsichtlich der Interviewatmosphäre verfasst. Die Primärdaten sowie Metainformationen waren damit nicht mangelhaft aufbereitet oder schwer zugänglich für mich (MEDJEDOVIĆ & WITZEL 2005). [16]

In die Sekundäranalyse bezog ich Interviews aus den fünf Erfahrungsbereichen Chronischer Schmerz, Prostata-, Brust- und Darmkrebs sowie Medizinische Reha ein (vgl. Tabelle 1). Die Interviews für die fünf Erfahrungsbereiche hatten Forschende im Zeitraum von 2008 bis 2015 innerhalb von Deutschland geführt. Um eine breite Varianz an Erfahrungen abzudecken, waren sie bei der Erstellung der Erfahrungsbereiche nach dem Prinzip des Purposeful Sampling vorgegangen (COYNE 1997). Die Interviewpartner*innen hatten sich freiwillig über verschiedene Zugangswege (z.B. Medieninserate) gemeldet und den Ort, an dem das Interview stattfinden sollte, selbst gewählt (BREUNING et al. 2017). Als Erhebungsinstrument war das narrative Interview mit einem anschließenden leitfadengestützten Nachfrageteil eingesetzt worden (ZIEBLAND & McPHERSON 2006). Die Forschenden hatten jedes Interview durch eine erzählgenerierende Eingangsfrage eingeleitet (SCHÜTZE 1983). Diese lautete in etwa: "Fangen Sie einmal an zu erzählen, wie Ihr Leben war, als Sie zum ersten Mal mit der Erkrankung zu tun hatten, und es dann weiterging". Eine offene, non-direktive Gesprächsführung sollte es den Interviewpartner*innen ermöglichen, im Zug des Erzählens eigene Relevanzen zu setzen (LUCIUS-HOENE, BREUNING & PALANT 2015). Wenn Stegreiferzählungen zu einem vorläufigen Ende gekommen waren, behandelten die Forschenden entlang des Leitfadens Themen, die für das jeweilige Krankheitsbild oder Gesundheitsthema spezifisch waren (ZIEBLAND & McPHERSON 2006). Tabelle 1 enthält die wichtigsten Informationen zu den fünf Erfahrungsbereichen.

Modul

Chron.

Schmerz

Brustkrebs

Prostata-krebs

Darmkrebs

Med. Reha

Förderung19)

BMBF, DRV, GKV, PKV

BMG

BMG

BMG

DRV Bund

Verantwortliche Arbeitsgruppe20)

Freiburg

Freiburg & Berlin

Freiburg & Berlin

Freiburg & Berlin

Freiburg

Veröffentlichung auf der Website

Februar 2011

April 2015

April 2015

September 2015

April 2016

Interviews Website

42

43

44

44

37

Interviews freigegeben für die Forschung

 37

 43

 42

 43

 33

Tabelle 1: Informationen zu den Erfahrungsbereichen [17]

4.3 Analyse nach der Grounded-Theory-Methodologie

Einen Teil der Interviews aus den fünf Erfahrungsbereichen analysierte ich zunächst nach Grounded-Theory-Methodologie (GTM). Im Rahmen dieses Verfahrens ist der propositionale Gehalt der Erzählungen von Interesse. Seine Anwendung schien es damit zu ermöglichen, ein erstes Konzept von Muße im Kontext von Krankheitserfahrungen zu entwickeln. Da ich mich im Vorfeld der empirischen Analyse mit Konzeptionen von Muße auseinandergesetzt hatte, wollte ich meine "präkonzeptuell geprägte theoretische Sensitivität [...] fortlaufend mit begleitender Aufmerksamkeit" (BREUER, MUCKEL & DIERIS 2018, S.248) bedenken und arbeitete nach dem reflexiven Ansatz von BREUER et al. Wie BREUER et al. (2018) betonten auch CORBIN und STRAUSS (2015 [1990], S.350f.) die Bedeutung der Selbstreflexion. Sie entwickelten einen Fragenkatalog, der dabei behilflich sein kann, im Forschungsprozess zu eigenen Präkonzepten eine reflexiv-kritische Distanz zu wahren. Ich orientierte mich im Verlauf der empirischen Forschungsarbeit an diesem Fragenkatalog. [18]

Um die Nachvollziehbarkeit der Analyse zu gewährleisten, dokumentierte ich den Forschungsprozess (BREUER et al. 2018, S.170ff.) und begleitete ihn durch Memo-Schreiben (GLASER & STRAUSS 1998 [1967], S.133). Ich bildete zudem eine Analysegruppe mit zwei Studierenden der Psychologie, um die Vielperspektivität bei der Konzeptbildung zu gewährleisten (KRUSE 2015, S.557f.). Die Gruppe traf sich über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren regelmäßig im zweiwöchentlichen Rhythmus. [19]

Bei der Fallauswahl wendete ich das Prinzip des Theoretical Sampling (BREUER et al. 2018, S.132) an. Da ich Vergleiche (S.272) sowohl zwischen den Erfahrungsbereichen des DIPEx-Projekts als auch zwischen den verschiedenen Fällen innerhalb eines Erfahrungsbereichs ziehen konnte, bildete ich im ersten Schritt im Rahmen einer Literarturrecherche Hypothesen, wie sich Darstellungen von "Freiraum" je nach Krankheitsbild oder Gesundheitsthema unterscheiden könnten. Auf dieser Basis wählte ich zuerst sukzessive Interviews aus dem Erfahrungsbereich Chronischer Schmerz aus21). [20]

Bei der Auswahl einzelner Fälle orientierte ich mich an den Fallgeschichten auf der Website. Mir fiel das Interview mit Frau J22) auf, das inhaltliche Tiefe und Differenziertheit hinsichtlich Darstellungen von "Freiraum" versprach (STRÜBING 2018). Frau J schilderte, im Alltag aufgrund von Schmerzen stark eingeschränkt zu sein; zugleich thematisierte sie die handlungsbezogene Gestaltung des entstandenen "Raums": "Was für mich auch konkret die Frage [war], was kann man alles im Liegen machen, eben Lesen und Schreiben" (A.67)23). Textpassagen, die hinsichtlich der Analyseheuristik "Freiraum" theoretisch vielversprechend erschienen, extrahierte ich unter Berücksichtigung ihrer kontextuellen Einbettung aus dem Interview und bildete im Zug des offenen Kodierens Kodings. Die Kodings abstrahierte ich über das "fokussierte Vergleichen" (BEUER et al. 2018, S.271) zu ersten Kodes. Um eine Kontrastierung zu erreichen, legte ich nun den Fokus darauf, sukzessive Interviews auszuwählen, in welchen Einschränkungen des Alltagslebens, weniger aber das Aufgreifen neuer Praktiken thematisiert wurden. Beim axialen Kodieren konnte ich die vorläufige Hypothese an die neuen Daten herangetragen und neue Aspekte vorhandenen Kodes gegenüberstellen oder in diese integrieren (S.137). Als "Kategorien-Kandidaten" (S.269) stellten sich leidvolle Empfindungen und Rückzug heraus24). [21]

Der Befund, dass Erzähler*innen vielfach über negativ konnotierte Erfahrungen sprachen, führte mich zu der Frage, ob spezifische Voraussetzungen für Handeln in neuen "Räumen" thematisiert wurden. Daher wählte ich fünf Interviews aus, die in ihrer thematischen Struktur dem Interview von Frau J ähnelten. Im Zug des (weiteren) offenen und axialen Kodierens bildete ich mehrere Kodes (wie weiß ich, was ich will – in mich hineinhören und Entscheidungen – ich mache das, was ich will) und entwickelte diese im Zug der Analyse neun weiterer Interviews hinsichtlich ihrer in- und externen Relationen (S.137). Als "Elemente einer Abfolge" integrierte ich die Kodes in den übergeordneten Kode Prozess des Entwickelns von Selbstbestimmung. Ein vorläufiges Bedingungsgefüge war identifiziert: Verluste bedingen leidvolle Empfindungen und Rückzug. Ein Prozess des Entwickelns von Selbstbestimmung ist die Voraussetzung für Tätigkeiten in neuen "Freiräumen". Das vorläufige Bedingungsgefüge hielt ich in einem Diagramm fest. Dieses ist in Abbildung 1 zu sehen.



Abbildung 1: Diagramm des vorläufigen Bedingungsgefüges [22]

Nun dienten mir die philosophischen Raumbegriffe (siehe Abschnitt 3.2) als sensibilisierende Konzepte, welche "den analytischen Blick [schärften] und die Abstrahierung [anleiteten]" (KASPAR 2013, S.197). Im Sinne der theoretischen Sensibilität als "Bewusstsein für die Feinheiten in der Bedeutung der Daten" (STRAUSS & CORBIN 1996 [1990], S.30) fiel mir auf, dass für sprachliche Phänomene, die ich der Kategorie Entscheidungen zugeordnet hatte, der Begriff Freiraumerfahrung "einen Erklärungswert" (MEY & MRUCK 2011, S.22) besitzt. Denn mit Schilderungen, angesichts von Verlusten durch die Erkrankung doch auch über andere Handlungsoptionen zu verfügen, thematisieren Erzählende genau die Erfahrung, "dass es auch anders möglich wäre, weil auch andere Möglichkeiten zugelassen [sind, woraus] sich dann ein anderes Handeln entwickeln" (FIGAL & KEILING 2016, S.17) kann. [23]

Um auszuloten, wie Verhältnisse zwischen individuellen Handlungsdispositionen und (sozialen) Kontexten konstruiert werden, analysierte ich zuletzt vier Interviews aus dem Erfahrungsbereich Medizinische Reha26). Die entwickelte theoretische Struktur systematisierte ich abschließend anhand des Kodierparadigmas (STRAUSS & CORBIN 1996 [1990], S.78ff.). Im Schritt des selektiven Kodierens rückte die Kategorie Entscheidungen als Rubikon, an dem Freiraumerfahrungen entstehen und damit als Konzept mit "hoher theoretischer Integrationskraft" (BREUER et al. 2018, S.286) ins Zentrum der Modellierung. Über den Entwurf eines Erzählbogens (BERG & MILMEISTER 2008, §42) explizierte ich das theoretische Modell Mußeerleben in Krankheitszeiten (siehe Abbildung 2). Insgesamt integrierte ich 41 Fälle in die Analyse. Die nun folgende Tabelle 2 liefert eine Übersicht über die Fallauswahl.

In die Sekundäranalyse einbezogene Fälle

N=41

Geschlecht

weiblich (N=18)

männlich (N=23)

Krankheitsbild bzw. Gesundheitsthema

chronisches Schmerzsyndrom (N=20)

Rückenschmerzen (N=6)

Kopfschmerzen (N=4)

Gelenkschmerzen (N=2)

Fibromyalgie (N=2)

Sonstige (N=6)

 

Krebserkrankungen (N=18)

Prostatakrebs (N=11)

Brustkrebs (N=5)

Darmkrebs (N=2)

 

medizinische Reha (N=3)

Brustkrebs (N=1)

Bandscheibenvorfall (N=1)

Autoimmunerkrankung (N=1)

Alter zum Zeitpunkt der Interviewführung

Range (28-78 Jahre)

Durchschnitt (58,3 Jahre)

Berufsstand

berentet (N=28)

berufstätig (N=10)

berufstätig, aktuell arbeitsunfähig (N=2)

arbeitssuchend (N=1)

Familienstand

verheiratet, in Partnerschaft (N=32)

geschieden (N=5)

ledig (N=2)

verwitwet (N=2)

Kinder (N=25)

kinderlos (N=16)

Nationalität

deutsch (N=40)

internationaler Hintergrund (N=1)

Tabelle 2: Übersicht über die Fallauswahl [25]

4.4 Auswertung mit erzähl- und konversationsanalytischen fundierten Verfahren

Bei der Anwendung der GTM fiel mir aus erzähltheoretisch informierter Perspektive auf, dass Sprecher*innen in Textpassagen, die ich der Kategorie Prozess des Entwickelns von Selbstbestimmung zugeordnet hatte, vielfach Positionierungen "entlang der verschiedenen zeitlichen Ebenen" (SCHWABE 2003, §10; WORTHAM 2001) der Erzählung vorgenommen hatten. Ich gewann den Eindruck, dass sich der Sinngehalt der Textpassagen durch eine Positionierungsanalyse (LUCIUS-HOENE & DEPPERMANN 2004, S.196ff.) würde weiter erhellen lassen. Ich entdeckte zudem, dass in Textpassagen, die ich der Kategorie Mußeräume zugeordnet hatte, mitunter aus der "Erlebnisperspektive" (S.136) erzählt worden war. Die Beobachtungen verwiesen auf das im Rahmen rekonstruktiver Analysen wichtige methodologische Prinzip der "Mehrebenenbetrachtung" (S.100)27). Ich untersuchte die entsprechenden Textpassagen mit erzähl- und konversationsanalytisch fundierten Interpretationsverfahren und entwickelte ausgehend hiervon die im Rahmen der Analyse nach der GTM gebildeten Konzepte punktuell datennah und formsensibel weiter (MEY & RUPPEL 2016). [26]

Ich transkribierte fünf Textpassagen nach KRUSE (2015)28). Um das im Rahmen rekonstruktiver Analysen wichtige methodologische Prinzip der Sequenzanalyse bestmöglich zu berücksichtigen, bestimmte ich die kontextuelle Einbettung der zu analysierenden Textpassagen – also ihre zeitliche Position und thematische Rahmung im Interview29). Zudem legte ich die Segmentgrenzen der zu analysierenden Textabschnitte durch die Bestimmung von Gliederungsmarkierern fest (LUCIUS-HOENE & DEPPERMANN 2004, S.110). Dann wendete ich die analytischen Verfahren, die im Rahmen der Rekonstruktion narrativer Identität "auf der globalen Ebene der Gesamterzählung" (SCHWABE 2003, §7) Anwendung finden, nur auf die entsprechende Textstelle an30). Anschließend untersuchte ich die Textstellen hinsichtlich mikrostruktureller Aspekte in einem sequenziellen Vorgehen (§10). Die Ergebnisse meiner Analyse bezog ich punktuell auf die Dimensionen narrativer Identität und perspektivierte sie als Ausdruck narrativer Bewältigung. [27]

5. Ergebnisse

5.1 Das theoretische Modell Mußeerleben in Krankheitszeiten



In dem Modell, das ich mithilfe des Kodierparadigmas entwickelte, sind krankheitsbedingte Verluste einschließlich unbegehbarer Räume die ursächlichen Bedingungen für leidvolle Empfindungen und Rückzug in Rückzugsräume. In Abhängigkeit von Kontextfaktoren kommen handlungsbezogene und interaktionale Strategien zum Einsatz. Das Treffen von Entscheidungen ist das zentrale Phänomen, dessen Konsequenz die Entstehung von Freiräumen und Mußeräumen ist. In Abbildung 2 habe ich das theoretische Modell grafisch in einem Übersichtsdiagramm dargestellt (BREUER et al. 2018, S.285).

Abbildung 2: Diagramm zu dem theoretischen Modell Mußeerleben in Krankheitszeiten [28]

Bei der Präsentation der Grounded Theory orientiere ich mich an der grafischen Darstellung des entwickelten theoretischen Modells. Ich stelle zunächst die Konzepte unbegehbare Räume und Rückzugsräume vor; gefolgt von den Elementen des Konzepts Prozess des Entwickelns von Selbstbestimmung (Grübeln, innere Haltung, wie weiß ich, was ich will – in mich hineinhören, Eigeninitiative – mich informieren, ich weiß, was ich will und Entscheidungen – ich mache das, was ich will). Dann erläutere ich das Konzept äußere Einflussfaktoren (Taktung sowie Pflichten und soziale Rollen) und abschließend die Konzepte Freiräume und Mußeräume. [29]

5.2 Unbegehbare Räume

In den Interviews, die ich analysierte, hatten alle Erzähler*innen über Verluste gesprochen. Sie schilderten, durch die Erkrankung unter Handicaps wie Schmerzen oder einem "Müdigkeitssyndrom" (Frau B, A.41) zu leiden und Tätigkeiten nicht mehr ausüben zu können. Einschränkungen von Tätigkeitsbereichen brachten sie mit unbegehbaren Räumen in Verbindung. Hiervon erzählte Herr T, der zum Zeitpunkt des Interviews 68 Jahre alt war. Er berichtete, seinen Beruf als Pflanzenbauberater aufgrund seiner Schmerzerkrankung aufgegeben zu haben und sprach über den Abschied von der Arbeitsstelle31):

"i:ch weiß noch gUT, des war (.) äh a- mitte septEMber, (.) versuchsfeld mit, (.) was isch da gstA:nde, getreide war WEG, des andre isch noch alles gstA:nde, mAIS, äh [...] ich bin seller A:bend dort hingfah:re, und bin überall durchglau:fe, ich hab äh, dann war noch ein industrie:vertreter dort, und dem hab ich´s noch gsa:gt, haja vielleicht ischs net so schlimm, dann komme se wieder, ich bin dann NIMMER komme, aber ich hab seller tag im versuchsfeld (.) TRÄNE in de auge ghabt" (Herr T, A.132). [30]

Herr T erzählte hier szenisch-episodisch32), was darauf verweist, dass er über "etwas Erzählwürdiges mit dem Charakter des [...] Besonderen" (LUCIUS-HOENE & DEPPERMANN 2004, S.146) sprach. In einer Ankündigung betonte er, auf ein Ereignis zu sprechen zu kommen, das er noch gut erinnerte. In der Orientierung führte er als Zeit des Geschehens einen Abend im Frühherbst ein und als konkreten Raum das Versuchsfeld. Dieses charakterisierte er anhand der zu diesem Zeitpunkt dort wachsenden Pflanzen, womit er indirekt auf den Wandel der Jahreszeiten rekurrierte, der im Versuchsfeld erlebt werden konnte. Er konstruierte hierdurch den Raum indirekt als mit schönen Erinnerungen verknüpft. In der Komplikation gab er eine Handlungssequenz wieder. Diese bezieht sich darauf, dass durch die Tätigkeit des Gehens für das erzählte Ich33) das Versuchsfeld über die visuelle und haptische Wahrnehmung erfahrbar geworden war. Als Handlungshöhepunkt inszenierte er die Begegnung des erzählten Ichs mit einem "industrie:vertreter". Im Rahmen einer Redewiedergabe positionierte er diese erzählte Figur als Person, die den Abschied vom Versuchsfeld als vorübergehend eingeschätzt hatte ("haja vielleicht ischs net so schlimm, dann komme se wieder". Im Resultat stellte er diese Prognose als falsch heraus ("ich bin dann NIMMER komme") und vermittelte in der Coda die Quintessenz: Seine "Geschichte" handelte von dem endgültigen und schmerzvollen Abschied von dem Raum des Versuchsfelds. [31]

In der sozialen Dimension narrativer Identität (LUCIUS-HOENE & DEPPERMANN 2004, S.63ff.) konstruierte Herr T das Versuchsfeld als konkreten Raum34), der mit schönen Erinnerungen verknüpft war. Ebenfalls in der sozialen Dimension positionierte er das erzählte Ich durch das erzählende Ich als Mensch, der angesichts einer Abschiedssituation über Handlungsspielräume verfügte (BETHMANN, HELFFERICH, HOFFMANN & NIERMANN, 2012) und seine Situation adäquater einschätzen konnte als eine ihm statusmäßig überlegene Person. In der Erzählsituation wusste er die Hörerin performativ mit einer spannenden Episode zu unterhalten und positionierte sich ihr gegenüber implizit als fähiger Erzähler. So entstand eine lokal homogene Identitätskonstruktion als damals wie zum Zeitpunkt des Interviews (sprachlich) kompetente Person. [32]

5.3 Rückzugsräume

Viele Interviewte thematisierten leidvolle Empfindungen, die infolge krankheitsbedingter Verluste aufgetreten waren. Sie sprachen über Emotionen von Trauer, Angst oder Scham. Manche bemerkten, sich angesichts der Verluste, die sie erlitten hatten, hilflos zu fühlen. Hilflosigkeit brachten sie teilweise mit Rückzug in Verbindung. Hierüber sprach Frau M, die zum Zeitpunkt des Interviews 48 Jahre alt war und seit zehn Jahren an Migräne litt:

"dann (.) äh kommt es dass sie sich zurückziehen, weil sie nicht mehr viel machen können, [...] sie machen ihre arbeit, das wochenende findet im bett statt, es folgt wieder zunehmende inaktivitä:t, die natürlich äh GANZ klar auch zu muskulärem schwund führt" (Frau M, A.129). [33]

Die Textpassage besitzt eine argumentative Struktur. Dies verweist darauf, dass Frau M ihre Handlungsorientierungen vor der Zuhörerin plausibilisieren wollte (LUCIUS-HOENE & DEPPERMANN 2004, S.163ff.). Sie formulierte die These, Menschen, die in eine Lebenslage wie sie selbst gerieten, würden sich zurückziehen. Die These belegte sie mit dem Argument, diese Personen könnten nicht mehr viel "machen". Das Argument selbst begründete sie, indem sie den vermeintlichen Lebensstil eben jener Personen beschrieb. Dabei ordnete sie der Zeit der Arbeit das "machen", also die Sphäre des Handelns zu. Das Wochenende konstruierte sie indirekt als Zeit des Nichtstuns, in welcher der Rückzug an den Ort des Betts erfolge35). Sie beschrieb weiterhin, aus dem Rückzug resultiere wiederum "zunehmende inaktivitä:t", wobei hier kein als angenehm empfundenes Dolcefarniente gemeint war36), sondern Nicht-Handeln, das degenerative Prozesse anstößt. Dieses führe zu "muskulärem schwund", womit sie den Verlust von Kraft und Stärke thematisierte. [34]

Indem Frau M die Hörerin mit dem Personalpronomen der Höflichkeitsform "sie" ansprach, beanspruchte sie die Gültigkeit ihrer These für einen von ihr im Narrativen konstruierten, größeren Personenkreis37). Die Argumentation formulierte sie aus einer neutralen Außensicht, wodurch bei der Hörerin ein Eindruck von Distanziertheit und Objektivität der Sprecherin entstanden sein kann (STANZEL 1979). In der Erzählsituation positionierte sie sich damit als Expertin für die Erfahrungen, die Menschen in einer bestimmten Lebenslage machen. Eher implizit positionierte sie sich dagegen als Person, die selbst über geringe Handlungsspielräume verfügt (BETHMANN et al. 2012) und sich zurückzieht38). So entstand eine lokale Identitätskonstruktion, die "flexible und heterogene 'Identitäten in Aktion'" (SCHWABE 2003, §10) in sich vereinte. Im Rahmen der Argumentation konnte Frau M die von ihr umgesetzten "Handlungsoptionen" vor der Hörerin plausibilisieren. Durch die "stützende Atmosphäre der Erzählsituation" (LUCIUS-HOENE 2002, S.182) hatte sie die Möglichkeit zu erproben, ob diese Plausibilisierung gelang und die Hörerin die Darstellung akzeptierend verfolgte. Dieses narrative Probehandeln kann wiederum als wichtige Form der narrativen Bewältigung interpretiert werden (a.a.O.). [35]

5.4 Prozess des Entwickelns von Selbstbestimmung

Ich erläutere nun das Konzept Prozess des Entwickelns von Selbstbestimmung, das aus mehreren, einzelnen Konzepten besteht. Diese sind Grübeln, innere Haltung, wie weiß ich, was ich will – in mich hineinhören, Eigeninitiative – mich informieren, ich weiß, was ich will sowie Entscheidungen – ich mache das, was ich will (vgl. hierzu auch Abbildung 2). [36]

5.4.1 Grübeln

Einige Erzähler*innen thematisierten, dass leidvolle Empfindungen und Rückzug in die passiv getönte, gedankliche Beschäftigung mit Fragen übergehen können, die durch die Erkrankung aufgeworfen wurden (Grübeln). Sie führten aus, sich in Folge ihrer Diagnose mit ihrer Ernährung, Sportlichkeit, ihrem Lebensstil oder der Familienhistorie beschäftigt zu haben:

"[N]ach der Nachricht, dass ich also da Krebs habe, angeblich so ein kleines bisschen, da bekam ich also eine Depression. [Ich] war ja fast autistisch und fürchterlich auf mich bezogen und wusste gar nicht: Was ist nun los? Dann kamen natürlich diese Grübeleien: Hat das mit Deiner Lebensgeschichte zu tun? Hast Du etwas falsch gemacht? Spielt da irgendetwas eine Rolle, was Du in Deinem Leben gelassen oder getan hast?" (Herr H, A.13) [37]

5.4.2 Innere Haltung

Die Patient*innen schilderten weiterhin, Grübeln über die Erkrankung und ihre Ursachen stimuliere die Entwicklung einer inneren Haltung den veränderten Lebensumständen gegenüber. So bekannten manche, mit Veränderungen zu hadern. Frau L, welche die Diagnose Morbus Sudeck39) erhalten hatte, räumte ein, sie habe einen "Hass" (A.80) auf ihre Erkrankung und wünsche sich ihr altes Leben "einfach [...] wieder zurück" (a.a.O.). Andere schilderten, mit der Zeit die Umstellungen, die mit ihrer Erkrankung einhergegangen waren, besser akzeptiert zu haben. Hierauf ging Frau J ein, die unter Arachnopathie, einer seltenen Erkrankung der Wirbelsäule, litt. Sie erzählte, nur vier Stunden am Tag stehen zu können und formulierte die These, "Zustimmung" (A.67) zu ihrer Situation sei die beste innere Haltung, die sie einnehmen könne. Ihren Standpunkt begründete sie wie folgt:

"ich bin ja nicht FREI, wenn ich IMMer WIEder mich festklammere an DIE person, die ich mal FRÜHER gewesen bin; und ich bin auch nicht FREI, wenn ich immer etwas WILL, was was einfach über meine möglichkeiten geht; und (.) ich fühl mich aber FREI (.) ähm, wenn ich sagen kann, GUT, das IS JETZT SO mein leben; und DA will ich jetzt versuchen, das beste draus zu machen" (Frau J, a.a.O.). [38]

Frau J konstruierte hier drei Argumente syntaktisch und rhythmisch weitgehend parallel. Auf diese Weise stellte sie mögliche innere Haltungen kontrastierend gegenüber. Zunächst argumentierte sie, "FREI", also unbelastet und selbstbestimmt, könne sie nicht sein, wenn sie sich auf das Individuum mit bestimmten Wesenszügen und sozialen Rollen fixiere, das sie in der Vergangenheit gewesen sei. Damit spielte sie auf eine nostalgische Haltung an, die das Freisein verhinderte. Im zweiten Argument sprach sie mit dem gebeugten Modalverb "WILL" an, die eigenen Absichten auf etwas zu richten, das außerhalb der eigenen "möglichkeiten" liegt, also eigene Ressourcen, Fähigkeiten oder Mittel übersteigt. Damit rekurrierte sie auf eine Haltung der Hybris, die das Freisein ebenso verhindere. Im dritten Argument wird durch die oppositive Konjunktion "aber" angezeigt, dass es nun im Gegensatz zum Vorangegangenen darum ging, wie ein Gefühl der Freiheit entsteht (RUDOLPH 1996). Mit dem emphatisch vorgebrachten "GUT das IS JETZT so" spielte Frau J auf eine Haltung der entschlossenen Zustimmung an. Die Lokaldeixis "DA" in Verbindung mit dem Modalverb "will" verweist darauf, dass die Sprecherin eine Haltung der Zustimmung insbesondere damit in Verbindung brachte, die eigenen Absichten und Intentionen auf den Versuch zu richten, noch verbleibende Lebensmöglichkeiten zu entfalten. [39]

Im Sinne einer "sukzessiven Sinnspezifikation" (LUCIUS-HOENE & DEPPERMANN 2004, S.218) präzisierte Frau J, was sie mit ihrer These meinte, indem sie Argumente für sie formulierte. So sei eine Haltung der "Zustimmung" zu Veränderungen deshalb vorzuziehen, weil hierdurch ein Gefühl der Freiheit entstehe. Damit verweisen die Strukturelemente der Argumentation auf ein Deutungsmuster der Erzählerin: Zum Zeitpunkt des Interviews war ein Gefühl persönlicher Freiheit ein wichtiger Wert, an welchem sie ihr Handeln orientierte (S.254). Zentral hinsichtlich der Verhandlung narrativer Identität war damit die implizite Selbstpositionierung als Person, die ihr Handeln an bestimmten Werten ausrichtete. Zudem positionierte sich Frau J explizit als Person, die angesichts starker Einschränkungen zwischen unterschiedlichen inneren Haltungen wählen konnte, also über Kontrollmöglichkeiten verfügte (BETHMANN et al. 2012). Damit war der Gestaltung der persönlichen Geschichte an dieser Stelle die Entwicklung einer Zukunftsperspektive inhärent: Sie wurde so erzählt, dass sich mit ihr weiterleben ließ (GERGEN & GERGEN 1987). Dies stellt wiederum eine Form der narrativen Bewältigung dar (LUCIUS-HOENE 2002). Die Entwicklung einer inneren Haltung der Zustimmung oder Akzeptanz brachten die Patient*innen vielfach damit in Verbindung, ihre (veränderten und neuen) Absichten genauer zu explorieren. Diese Schilderungen habe ich konzeptuell gefasst als wie weiß ich was ich will – in mich hineinhören. [40]

5.4.3 Wie weiß ich, was ich will – in mich hineinhören

Einige Erzähler*innen schilderten, sie explorierten, worin ihre (neuen) Absichten und Intentionen genau bestünden. Hierzu hörten sie in sich hinein und stellten sich die Frage, was ihnen guttue und helfe. Sie sprachen über die bewusste Reflexion (leiblicher) Empfindungen und von Bedürfnissen unter Ausschluss des Äußeren und der Erwartungen anderer. So erläuterte Frau U, was ihr geholfen habe, eine Rehaklinik für sich zu finden: "Auf sich zu hören, auf die innere Stimme zu hören. Und versuchen herauszufinden: Was hilft mir? Oder was möchte ich, wie stelle ich mir das vor?" (A.235) Die Bildung neuer Intentionen und Absichten brachten die Erzählenden damit in Zusammenhang, Initiative zu zeigen. [41]

5.4.4 Eigeninitiative – mich informieren

Die Erzähler*innen erklärten, um zu wissen, was sie möchten, sei neben dem Prozess der bewussten Reflexion von Empfindungen und Bedürfnissen das Wissen um Handlungsmöglichkeiten in unterschiedlichen Lebensbereichen notwendig (Eigeninitiative – mich informieren). Sie sprachen darüber, sich über Behandlungsangebote, Umschulungen oder Freizeitbeschäftigungen zu informieren und nahmen hier nicht auf einen inneren, sondern auf einen in die äußere Umwelt gerichteten Prozess Bezug. Frau M erwähnte: "[Ich] hab' so die Angewohnheit, was interessant sein könnte für mich, [wenn es ausliegt] als Broschüre, dass [ich] das dann einfach so, ja, prophylaktisch durch[lese]. Ja, kommt an, kommt nicht an" (A.57). [42]

5.4.5 Ich weiß, was ich will

Die Erzählenden brachten das Zeigen von Eigeninitiative damit in Verbindung, schließlich zu wissen, was sie möchten. Nicht alle gingen darauf ein, diesen Zustand erreicht zu haben. Frau L erzählte, sie habe die vage Idee, in ihrer freien Zeit Rentner*innen im Alltag zu unterstützen. Sie bemerkte jedoch, ihr fehle der "Pepp oder [...] Tritt, um zu sagen, "ja, ich mach das mal". Dagegen stellte Frau S dar, genau zu wissen, wie sie ihre Zeit gestalten möchte. Sie war zum Zeitpunkt des Interviews 63 Jahre alt, berentet und verheiratet und erzählte, bereits seit zehn Jahren unter Rückenschmerzen zu leiden. Infolge einer Operation hätten sich diese jedoch stark gebessert, und nun gebe es umso mehr Dinge, die sie tun wolle. In dieser Hinsicht unterscheide sie sich von ihrem Ehemann:

"Die Schere geht auseinander. Also nicht im Bösen, aber ich will leben, ich will alles genießen, und des äh, des ma- teilt er nicht mit mir, der, er ist ruhig, er will ruhig, er will seine Ruhe, er will zuhause bleiben, er will nicht viel fort, und ich will natürlich nur-, ich will das und das und das und das, weil ich so viel entbehren musste. Ich will ins Konzert, ich will ins Theater, ich will verreisen, und da gehen jetzt unsere Wege [auseinander]" (Frau S, A.139). [43]

Die Patient*innen schilderten weiterhin, das Wissen darum, was sie tun möchten, könne in das Treffen von Entscheidungen übergehen. Wie die Grafik des theoretischen Modells zeigt (vgl. Abbildung 2), kann der Prozess des Entwickelns von Selbstbestimmung also darin münden, dass konkrete Handlungsentscheidungen getroffen werden. [44]

5.4.6 Entscheidungen – ich mache das, was ich will

Viele Patient*innen sprachen darüber, neu gebildete Absichten in die Tat umgesetzt zu haben (Entscheidungen – ich mache das, was ich will). Herr R war zum Zeitpunkt des Interviews 50 Jahre alt und erzählte, zehn Jahre zuvor habe sich bei ihm infolge einer Beinvenenthrombose das postthrombotische Syndrom entwickelt. Abgeleitet aus seiner eigenen Krankheitserfahrung habe er entschieden, selbst Schmerztherapeut zu werden:

"ich wollte [...] was suchen wo ich sag ich kann mir die zeit selber EINteilen. [...] ICH wollte aus dem ganzen systEM raus, dieses systEM zwölf stunden arbeiten zu müssen und abhängig sein von (.) leuten, die dir immer was VORgeben; ich wollte [...] für mich sagen NE ich möchte SELBST entscheiden können, WIE ich arbeite, WAS ich mache" (Herr R, A.92). [45]

In berichtendem Stil stellte Herr R ein Ereignis in seinen zentralen Veränderungsaspekten dar (LUCIUS-HOENE & DEPPERMANN 2004, S.153). Das Pronomen "ich" zeigt in Verbindung mit dem Modalverb "wollte" an, dass es hier wiederum um die Absichten und Intentionen des erzählten Ichs ging. Diese waren in diesem Fall darauf gerichtet, einen Beruf zu finden, in welchem die "zeit" im Sinne der Stunden eines Tages selbst eingeteilt werden konnte. Die frühere Arbeitsstelle bezeichnete Herr R in diesem Zusammenhang als "systEM", womit er auf eine wirtschaftliche Organisation mit starren Hierarchien anspielte, in welcher autoritäre Führungsstile der Gültigkeit hegemonialer Zeitnormen Vorschub leisteten. Die Verben "VORgeben" und "EINteilen" konstruierte er rhythmisch parallel, wodurch er die Notwendigkeit, sich im Rahmen der bisherigen Arbeit in personelle Abhängigkeiten zu fügen, mit der Möglichkeit, die Zeit im Rahmen der neuen Arbeit nach eigenem Ermessen zu gestalten, kontrastierte. Mit dem hervorgehobenen "NE" und "SELBST" thematisierte er abermals den Unwillen des erzählten Ichs, sich Vorgaben zu fügen sowie dessen Absicht, über Form und Inhalt der Arbeit "SELBST" zu bestimmen. [46]

Zentral war die Positionierung des erzählten Ichs durch das erzählende Ich als Person, die angesichts irreversibler körperlicher Einschränkungen über konkrete Handlungsmöglichkeiten verfügt (BETHMANN et al. 2012) und die berufliche Karriere vorantreiben kann. Damit konterkariert die Darstellung die objektivierende Master Story des medizinischen Systems (LUCIUS-HOENE 2002, S.182), eine chronische Erkrankung gehe in aller Regel mit beruflichen Einschränkungen einher. Herrn R "rettete" im Zuge des Erzählens eine "persönliche Gegengeschichte". Dies entspricht wiederum einer Form narrativer Bewältigung (S.183). [47]

5.5 Äußere Einflussfaktoren

Auf den Prozess des Entwickelns von Selbstbestimmung wirken äußere Einflussfaktoren, die ihn befördern oder behindern. So thematisierten die Erzählenden Vorgaben, welche ihnen durch Akteur*innen in institutionellen Einrichtungen gemacht wurden. Sie sprachen über Therapiepläne, die zu eng getaktet seien. Frau O schilderte, ihr Alltag werde durch ein umfangreiches Behandlungsprogramm strukturiert, das "keine Freude" (A.16) mache. Sie erläuterte, widerwillig und durch äußere Vorgaben gelenkt zu handeln: "[D]u musst dies oder das, die Ärzte sagen, Du musst schwimmen und laufen so gut es geht" (a.a.O.). Rehakliniken beschrieben Erzählende mitunter als "Getriebe" (Frau V, A.558), "Bienenstock" (Frau V, A.443) oder "Maschinerie" (Frau W, A.19) und nahmen damit auf funktionalistische Abläufe Bezug. Andererseits wurden Vertreter*innen institutioneller Einrichtungen als Akteur*innen charakterisiert, die Informationen bereitstellten, Behandlungsalternativen aufzeigten und zu individuellen Entscheidungsfindungen beitrugen. Frau B bezeichnete ihren Arzt als "Lotsen" (A.6), der die Behandlung ihrer Brustkrebserkrankung zu ihrer Zufriedenheit begleitet habe. [48]

Auf der sozialen Ebene sind Pflichten und soziale Rollen wichtige Einflussfaktoren. Frau U erklärte, sich für den Aufenthalt in einer Rehaklinik entschieden zu haben, da sie dort ihren alltäglichen Verpflichtungen nicht habe nachkommen müssen: "Weil ich einfach mich auf mich konzentrieren wollte und etwas nur für mich machen wollte und nicht wieder in diese Abhängigkeit kommen, wie im alltäglichen Leben [...], hier haste [einen] Termin, hier haste [eine] Verabredung" (A.33). Auf die Elternrolle gingen Erzählende differenziert ein: Manche konstruierten die damit einhergehende Verpflichtungen als etwas, das ihr Handeln von außen strukturierte und eine Barriere für selbstbestimmtes Handeln darstelle. Besonders Verpflichtungen, die mit der Mutterrolle einhergingen, wurden aber vielfach nicht als Müssen, sondern als Wollen benannt, womit die Verpflichtungen als verinnerlicht präsentiert wurden. Zudem wurden familiäre und freundschaftliche Bindungen häufig nicht als etwas gefasst, das mit Erwartungsdruck und Pflichtgefühl assoziiert ist. [49]

5.6 Freiräume

Mit Schilderungen von Entscheidungen nahmen die Erzähler*innen auf Freiraumerfahrungen Bezug. Sie thematisierten, angesichts der Verluste, die sie erlitten hatten, doch auch andere Handlungsoptionen zu haben und sprachen damit über die "Erfahrung, dass es auch anders möglich wäre, weil auch andere Möglichkeiten zugelassen [seien, woraus] sich dann ein anderes Handeln entwickeln" (FIGAL & KEILING 2016, S.17) könne. Die Patient*innen erläuterten, Tätigkeiten, die solchen Freiraumerfahrungen entsprängen, würden selbstbestimmt ausgeübt werden, da sie den eigenen Absichten Ausdruck verliehen. Zugleich könnten diese Tätigkeiten eher funktional strukturiert sein, wenn mit ihnen Ziele wie die Sicherung des Lebensunterhalts oder die Verbesserung der Gesundheit verfolgt würden. Beispielsweise erklärte Frau U, sie wolle durch ihr Therapieprogramm in der Rehaklinik "fit werden" (A.14). [50]

5.7 Mußeräume

5.7.1 Erzählen über Mußeräume

Die Erzählenden sprachen auch davon, sich im Alltag Zeit für sich zu nehmen. Sie schilderten, Tätigkeiten in dieser Zeit bezögen sich darauf, konkrete Räume aufzusuchen und diese zu gestalten, indem "Dinge" (FIGAL & KEILING 2016, S.17) räumlich angeordnet würden. Sie erwähnten auch die Einnahme von Ruhepositionen in konkreten Räumen und dass erst dies ein Tätigsein erlaube, welches "Möglichkeit und Unbestimmtheit" (S.9) erfahrbar werden lasse. Weiterhin thematisierten sie, dass dieses Handeln nicht dem Erreichen von Zielen diente, sondern ergebnisoffen und selbstzweckhaft sei, da es nur auf die eigene Person bezogen sei und beispielsweise mit Wohlbefinden einhergehe. [51]

5.7.2 Muße als Reflexion, Routine und Emotion

Herr Z thematisierte einen solchen Mußeraum. Zum Zeitpunkt des Interviews war er 77 Jahre alt und hatte fünf Jahre zuvor die Diagnose Darmkrebs erhalten. Er erzählte, sich nach der erfolgreichen Behandlung seiner Erkrankung dazu entschieden zu haben, regelmäßig Führungen durch eine Kapelle zu geben. Dort nehme er sich auch Zeit für sich:

"un (.) ää:h wie=gsagt wenn ich jeden (.) tAg auf die kapElle gE:H, (.) auch bei gAnz schwÜlem wEtter, (.) un ich wEIß es kommt kein mEnsch, dann isch NIX im OpferstOck, (.) ich setz mich- ich schalte die musik AN, ich setz mich HIN, (.) und BETE oder denke über meine famILIE nAch=ich nÜtz also den besUch auf der kapElle um SELBSCHT (.) de nUtze zu habe um=um IN MICH zu (.) kEhre; also die krEbserkrAnkung !UND! die depressiO:ne, die ham mich nicht von der kirche entfErnt, vom glaube entfErnt, sondern habe mich nÄher (.) rAnrücke lasse" (Herr Z, A.66). [52]

Auf den ersten Blick weist auch diese Darstellung die charakteristische Binnenstruktur der szenisch-episodischen Erzählung auf (LABOV & WALETZKY 1973 [1967|). In einer Ankündigung sprach Herr Z an, auf bereits Bekanntes zu sprechen zu kommen, was interaktiv aufmerksamkeitssteuernd gewirkt haben kann. In einer Orientierung vermittelte er, auch unter schwierigen Bedingungen ("auch bei gAnz schwÜlem wEtter") die Kapelle zu besuchen, um dort alleine Zeit zu verbringen. In der Komplikation nutzte er eine Reformulierung ("ich setz mich- ich schalte die musik AN, ich setz mich HIN"), was darauf verweist, dass es für ihn bedeutsam war, genau diese genetische Beziehung zwischen den Handlungselementen erzählerisch herzustellen40): Er stellte dar, dass auf das Gehen zur Kapelle die handlungsbezogene Gestaltung des Raums folge, indem die Musik angeschaltet werde. Hierauf werde die Ruheposition des Sitzens eingenommen. Beide Handlungen hätten den Zweck, den konkreten Raum der Kapelle über Wahrnehmungsprozesse auf spezifische Weise erfahrbar zu machen. Als Handlungshöhepunkt inszenierte Herr Z das Beten respektive das Nachdenken. Er präsentierte hier beide Handlungen als denkbar und spielte damit auf den potenziellen Charakter des Handelns an. In einem Resultat vermittelte er, das reflexive Tätigsein habe selbstzweckhaften Charakter, da es der inneren Einkehr diene. Trotz seiner Ergebnisoffenheit könne es produktiv werden, indem es die eigene Person durch Einsicht bereichere. Zuletzt präsentierte Herr Z die Quintessenz der "Geschichte": Die beiden Erkrankungen fungierten als Katalysator für die eigene spirituelle Entwicklung. [53]

Herr Z stellte keine einzelne Episode re-inszenierend dar, sondern erzählte iterativ, indem er "wiederholt Auftretendes in eine einzelne Darstellung" (LUCIUS-HOENE & DEPPERMANN 2004, S.125) zusammenfasste. Auf diese Weise konstruierte er das mußevolle Handeln als routinemäßig. Er setzte zudem Akzente und Pausen in dichterem Rhythmus. Durch das Setzen von Akzenten in regelmäßigen Abständen drückte er wahrscheinlich Emphase aus (S.242), wobei mit einem zum Ausdruck kommenden Affekt in der Regel vorgegeben wird, den während des Geschehens vorherrschenden Affekt zu reproduzieren (S.39f.). Damit weist die Form der sprachlich-kommunikativen Vermittlung der "Geschichte" darauf hin, dass das Handeln von Emotionen begleitet wurde. [54]

5.7.3 Die Muße der Hörerin

Das rhythmische Setzen von Pausen bedeutete eine Verlangsamung der Sprechgeschwindigkeit, was sich interaktiv als "Spannungssteigerung durch Verzögerung" (LUCIUS-HOENE & DEPPERMANN 2004, S.242) ausgewirkt haben kann und zudem der Hörerin das intensive und detailreiche Nachvollziehen des Gesagten ermöglichte. Auch die Vermittlung emotionaler Betroffenheit kann einen Effekt auf die Hörerin gehabt haben, die wahrscheinlich "in die Darstellung hineingezogen" (S.228) wurde und "die Gelegenheit zum symbolisch vermittelten Miterleben" (a.a.O.) erhielt. Somit wurden keine Reaktionen der Hörerin manifest; dennoch zeichnen sich die Konturen einer Muße in Form der aktiven imaginären und emotionalen Beteiligung an der erzählten Welt ab (FLUDERNIK, KLINKERT & MÜLLER 2023)41). Vor allem Ausdruck von Gefühlen schaffte zudem ein interaktives Faktum, welches das empathische Mitschwingen der Hörerin gefördert haben kann. Mit ihrer "Resonanz auf die vermittelten Gefühle" (LUCIUS-HOENE & DEPPERMANN 2004, S.40) hat sie möglicherweise die affektive Auseinandersetzung mit Erinnerungen gestützt und eine "Halte-Funktion" ausgeübt (LUCIUS-HOENE 2002, S.75). Dies ließe sich wiederum als Form der narrativen Bewältigung verstehen (a.a.O.). Insgesamt liegt es damit nahe, dass die Art und Weise, wie Herr Z über Muße sprach, kontaktknüpfend wirkte, also eine phatische Funktion hatte. [55]

6. Fazit

6.1 Zusammenfassung der Ergebnisse

Im Rahmen der Auswertung nach Grounded-Theory-Methodologie ergab sich die zentrale These, dass für Freiraumerfahrungen im Kontext der Krankheitserfahrung ein Prozess des Entwickelns von Selbstbestimmung Voraussetzung ist. Eine Freiheit von Formen der Fremdbestimmung durch die Erkrankung, aber auch von manchen Rollenerwartungen und Verpflichtungen war damit nicht einfach gegeben, sondern wurde "aktiv und willentlich erarbeitet und erkämpft" (BENGEL & MÜLLER 2023, S.118). Die These war weiterhin, dass auch für selbstbestimmtes, eher funktional strukturiertes Handeln sowie das Schaffen von Zeit für sich aktivisch-emanzipatorische Momente relevant sind (siehe Abschnitte 5.6 und 5.7). Nur das Handeln in Muße selbst, charakterisierbar als selbstzweckhaft und ergebnisoffen, wirkte nicht als gekennzeichnet durch eine "Bewegung des Wollens", die entsteht, wenn durch ein Handeln ein bestimmtes Ziel erreicht werden soll (a.a.O.). Dennoch entstand der Eindruck, dass "Muße-Handeln" produktiv werden kann, wenn es etwa mit der – beiläufigen – Entstehung neuer Einsichten einhergeht (siehe Abschnitt 5.7.2). In der Folge diskutiere ich die zentralen Befunde hinsichtlich Forschung zu (narrativer) Krankheitsbewältigung und Muße. Abschließend reflektiere ich mein methodisches Vorgehen. [56]

6.2 Inhaltliche Reflexion

6.2.1 Prozess des Entwickelns von Selbstbestimmung

Der Prozess des Entwickelns von Selbstbestimmung kann darin münden, dass Entscheidungen getroffen werden, durch die eigenen Intentionen Ausdruck verliehen wird. Die Ergebnisse der Auswertung nach der GTM entsprechen damit dem Postulat der psychologischen Copingforschung, dass sich die Bewältigung einer chronischen Erkrankung prozesshaft vollzieht (BENGEL et al. 2003). Sie weisen zudem Bezüge zu sozialwissenschaftlichen Konzeptionen auf, in welchen ebenfalls dieser Aspekt einer Prozesshaftigkeit der Krankheitsbewältigung betont wurde (CORBIN, STRAUSS & HILDENBRAND 2010; SCHÜTZE 1995). Für die Maßnahmeplanung ist relevant, dass die Schritte des Prozesses des Entwickelns von Selbstbestimmung Kompetenzen darstellen, die im Kontext von Schulungen in der medizinischen Rehabilitation erlernt werden können (REUSCH & FALLER 2022). So weist das Konzept wie weiß ich, was ich will – in mich hineinhören Bezüge zur Praxis der Achtsamkeit auf. Hier nehmen Praktizierende intentional eine beobachtende Grundhaltung ein und versuchen, sich ihrer momentanen Erfahrungsinhalte gewahr zu werden (SCHMIDT 2014). [57]

Der GTM-Auswertung folgend kann ein Prozess des Entwickelns von Selbstbestimmung auch scheitern. Dies verweist auf die große Bedeutung von Kontextfaktoren für das individuelle Handeln (KARBACH et al. 2012). In Bezug auf ein Scheitern des Prozesses des Entwickelns von Selbstbestimmung ist das Konzept der Rückzugsräume relevant. Rückzug wurde in der rehabilitationspsychologischen Literatur bereits als prekäre Folge krankheitsbedingter (Über-)Belastung beschrieben (KRÄMER & BENGEL 2020). [58]

Die Analysen mit erzähl- und konversationsanalytisch fundierten Interpretationsverfahren ergaben, dass Erzählende entlang des Prozesses des Entwickelns von Selbstbestimmung Aspekte einer narrativen Identität mit der Hörerin verhandelten, indem sie sich z.B. als Mensch mit einer bestimmten inneren Haltung oder als Person, die ihre Absichten in die Tat umsetzte, positionierten. Sie nutzten also den kommunikativen Rahmen der Erzählsituation, um "identitätsbezogene [...] Arbeiten" (OHLBRECHT & MEYER 2020, S.419), die im Rahmen der Krankheitserfahrung anfielen zu leisten. In diesem Zusammenhang gilt es zu beachten, dass prinzipiell alle Interaktionen zwischen Patient*innen und anderen Menschen Prozesse der interaktiven Widerspiegelung und Aushandlung sind und genutzt werden können für die im Rahmen der Krankheitserfahrung anfallende Identitäts- und Biografiearbeit. Die Bewältigung einer Erkrankung kann daher unterstützt werden, wenn etwa Akteur*innen in der medizinischen Rehabilitation "bereit sind, die Begleitung [der] Identitätsarbeit als Teil ihrer Aufgabe [...] anzuerkennen" (LUCIUS-HOENE & NERB 2010, S.103; vgl. auch SCHULZE 2008). [59]

6.2.2 Mußeräume

Der GTM-Auswertung zufolge ist die Entstehung von Mußeräumen auf Rahmungshandlungen angewiesen, wie dies von Hans-Georg SOEFFNER (2014) aus soziologischer Perspektive beschrieben wurde. Er betonte, damit Muße entstehen könne, sei eine "Hinwendung zu einer außeralltäglichen [...] Zeit- und Raumgestaltung" (S.43) notwendig. Hinsichtlich Rahmungshandlungen erschien im untersuchten Kontext nicht nur das Schaffen von Zeit für sich bedeutsam, sondern auch das Aufsuchen konkreter Räume und ihre Gestaltung sowie die Einnahme von Ruhepositionen. Die Ergebnisse der GTM-Auswertung verweisen darauf, dass Muße raumbezogene Dimensionen aufweist; zuallererst aber als Praktik erscheint, die "zwischen alltäglichem Handlungszwang und einem Nirwana jenseits aller Aktivität" (S.37) angesiedelt ist. Da das Tun in Muße produktiv zu werden scheint, ist es als Bewältigungsressource abseits der konkreten Maßnahmeplanung interessant und relevant (BENGEL & MÜLLER 2023). Die Analyse der Erzählungen mit erzähl- und konversationsanalytisch fundierten Verfahren verwies auch auf zeitliche und emotionale Dimensionen von Muße (siehe Abschnitt 5.7.2). Im Kontext von Krankheitserfahrungen war zudem bedeutsam, dass die Form des Sprechens über Muße möglicherweise phatische Wirkungen entfaltete (siehe Abschnitt 5.7.3). So fördert der Ausdruck von Gefühlen das empathische Mitschwingen von Zuhörenden, wodurch die Erzählung "zu einer gemeinsamen Konstruktion" (LUCIUS-HOENE 2008, S.92) werden kann. Aspekte der Erkrankung können hierdurch "in sozial und kulturell geteilte Bedeutungen integriert werden" (a.a.O.). Dies lässt sich als wichtige Form der narrativen Bewältigung werten. [60]

Mittels der GTM ließ sich das Konzept der Muße erweitern und differenzieren. So schien für Muße im untersuchten Kontext das Vorliegen eines gewissen Maßes an Entscheidungsmöglichkeiten respektive Selbstwirksamkeit Voraussetzung gewesen zu sein. Es ist anzunehmen, dass bei chronischen Erkrankungen eine grundlegende Krankheitsbewältigung (in Form eines Prozesses des Entwickelns von Selbstbestimmung) stattgefunden haben muss, bevor es Patient*innen wieder möglich ist, in Muße die Gedanken schweifen zu lassen oder Tagträumen nachzuhängen (CHEAURÉ 2017). [61]

6.3 Methodische Reflexion

Bei der Anwendung der GTM dienten philosophische Raumbegriffe als sensibilisierende Konzepte, welche den analytischen Blick schärfen und die Abstrahierung anleiten sollten (KASPAR 2013, S.197). Vor allem der Begriff Freiraumerfahrung erwies sich im untersuchten Kontext als sehr fruchtbar. Anhand der entwickelten Grounded Theory konnten die philosophischen Begriffe aber auch ergänzt werden. So zeigte ich, dass für die Art und Weise, wie konkrete Räume erfahren wurden, Erinnerungsprozesse (siehe Abschnitt 5.2) sowie visuelle, haptische und auditive Wahrnehmungsprozesse (siehe Abschnitt 5.7.2) zentral waren. Zwar habe ich meine "präkonzeptuell geprägte theoretische Sensivität [...] selbstreflexiv durchgearbeitet" (BREUER et al. 2018, S.248). Dennoch enthalten die Konzepte Freiräume und Mußeräume einen "hohen Anteil an Idealisierungen und Abstraktionen" (S.254) und es ist fraglich, ob sie noch ausreichend "die Aura ihres empirischen Referenzobjekts besitzen" (BREUER 2010, S.76). [62]

Die erzähl- und konversationsanalytisch fundierten Interpretationsverfahren entlehnte ich dem "Paradigma rekonstruktiver Forschung" (SCHWABE 2003, §8). Auch hier spielt Vorwissen im Vorfeld einer empirischen Untersuchung eine Rolle, indem es sich etwa auf die Formulierung von Forschungsfragestellungen auswirkt. Dennoch ist hier das methodologische Prinzip der "Datenzentrierung" (LUCIUS-HOENE & DEPPERMANN 2004, S.107) wichtig, welches besagt, dass das Vorwissen der Forschenden in einem Spannungsverhältnis mit der Aufgabe steht, "die immanente Struktur des Interviewtextes selbst zu rekonstruieren" (S.106). In diesem Zusammenhang ist bedeutsam, dass keine*r der Erzähler*innen explizit über Muße sprach. Hierdurch blieb bei mir zumindest ein Restzweifel bestehen, ob für sie im Interview das Konzept wirklich "orientierungsrelevant" (a.a.O.) war. Um weiter zu explorieren, inwiefern Patient*innen mit chronischen Erkrankungen ein Muße-Konzept nutzen, um ihre Erlebnisse zu deuten, könnte in zukünftigen qualitativen Studien explizit nach Muße gefragt werden. [63]

Anmerkungen

1) In diesem Beitrag geht es ausschließlich um chronische Erkrankungen. Diese bilden eine Gruppe von Krankheiten "mit unterschiedlicher Ätiologie, Pathogenese, Symptomatik und Prognose" (KRÄMER & BENGEL 2016, S.26). Sie haben gemeinsam, dass sie meist langfristig bestehen und keine kausale Therapie möglich ist (BENGEL & HELMES 2011). Sie können progredient, also sich sukzessive verschlechternd verlaufen. Möglich sind auch rezidivierende Verläufe, bei welchen sich der Gesundheitszustand in zeitlich abgrenzbaren, wiederholt auftretenden Phasen akut verschlechtert. Bei persistierenden Verlaufsformen bleiben Symptome "in konstanter Ausprägung dauerhaft bestehen" (KRÄMER & BENGEL 2016, S.27). <zurück>

2) "Biografie" soll im Rahmen des Beitrags als aus der Gegenwartsperspektive entworfenes retrospektives kognitives Konstrukt verstanden werden, das auf den Lebenslauf als Abfolge objektivierbarer Geschehnisse und auf die subjektiven Interpretationen bezogen ist, mittels welcher Individuen ihre Lebenserfahrungen aus gegenwärtig-pragmatisch motivierter Perspektive in einen Sinnzusammenhang bringen (FUCHS-HEINRITZ 2005). Die Konstruktion biografischer Erfahrung soll als Grundlage für Identitätsbildungsprozesse angesehen werden (LUCIUS-HOENE & NERB 2010). Unter "Identität" wird in Anlehnung an interaktionistische und sozialkonstruktivistische Theoriebildung eine Struktur verstanden, die vorrangig im sprachlich-symbolischen Bereich konstituiert ist und in den verschiedenen Teilbereichen des Lebens fortwährend sozial ausgehandelt wird (ABELS 2006). <zurück>

3) Die qualitative Studie führte ich im Rahmen des Projekts Muße in Krankheitszeiten – Freiraum und Neuorientierung angesichts von Verzicht und Verlust durch. Dieses war ein Teilprojekt des Sonderforschungsbereichs 1015Muße. Grenzen, Raumzeitlichkeit, Praktiken, der von 2017 bis 2022 an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg angesiedelt war. Der Sonderforschungsbereich wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft gefördert. Dieser Beitrag ist Teil meiner Dissertation. <zurück>

4) Dies gilt für Modelle der Krankheitsbewältigung unterschiedlicher theoretischer Provenienz. <zurück>

5) Die Defizitorientierung verweist auf den – implizit bleibenden – Einfluss des biomedizinischen Krankheitsmodells auf die Theoriebildung. In dem Modell, das Anfang des 19. Jahrhunderts unter Einfluss der Naturwissenschaften entwickelt wurde, wurde der menschliche Körper analog zu einer Maschine erklärt, deren Funktionen durch die Analyse von Organstrukturen und -systeme erschlossen werden könnten. Entsprechend wurden Erkrankungen als "Defekte" der körperlichen Strukturen und Systeme gesehen (FALTERMEIER 1994). Aus dieser Denkweise resultierte die klassische Definition von Gesundheit als "Abwesenheit von Krankheit" (OHLBRECHT & MEYER 2020, S.416). <zurück>

6) Dies gilt für kognitionspsychologische Ansätze. Diese dominieren allerdings das Feld der psychologischen Copingforschung. <zurück>

7) Als wichtigste Verfahren sind die Fragebogenmethode und das halbstrukturierte Interview zu nennen (KRÄMER & BENGEL 2020). <zurück>

8) Die Autoren bezogen sich auf die von BERLIN (1969) behandelte Unterscheidung zwischen negativer und positiver Freiheit und damit auf Formen der Handlungsfreiheit, die sich in sozialen Kontexten zeigten. <zurück>

9) Das Wort "Freiraum" verwendete ich zunächst explizit als forschungspragmatische Analyseheuristik. <zurück>

10) In einer begriffsgeschichtlichen Annäherung an das Wort "Raum" stellten sie fest, dass es bereits im Altgriechischen kein Wort gab, das dem "mit Allgemeinheitsanspruch verwendeten Wort 'Raum' [...] entspricht" (FIGAL & KEILING 2016, S.9). In einer "Vielheit von Begriffen" (S.11) erweise sich das, was "wir 'Raum' oder auch space [...] nennen" (a.a.O.) als "wesentlich plural" (a.a.O.). FIGAL und KEILING nahmen daher plurale Bestimmungen des Räumlichen vor, "allerdings nicht mehr begriffsgeschichtlich, sondern deskriptiv und in diesem offenen Sinne phänomenologisch" (S.12). <zurück>

11) Anders als in der Raumsoziologie (LÖW 2001) wurde menschliche Praktik nicht als für Räumlichkeit konstitutiv angesehen. FIGAL und KEILING (2016) betonten, jedes Handeln sei bereits auf einen "Freiraum des Möglichen angewiesen" (S.16). Dieser sei zunächst nur in der Erfahrung "zugänglich" (a.a.O.). Dennoch hätte auch Handeln räumlichen Charakter, allein deshalb, weil Lebewesen sich immer an einem Ort befänden und auf diese Weise den Raum als "Möglichkeitscharakter des Wirklichen" (a.a.O.) prägten. Handeln könne sich darauf beziehen, dass ein Subjekt Positionen im Raum einnimmt oder selbst "Dinge" (S.17) wie eine Decke auf dem Rasen räumlich anordnet. <zurück>

12) Konkret könnte dies bedeuten, z.B. den Blick schweifen zu lassen. <zurück>

13) FIGAL und KEILING (2016) bezogen damit auch Materialität, die eine Wirkung auf das Subjekt entfaltet, in ihre Überlegungen ein. In diesem Zusammenhang bemerkten sie, "Erwartungen und Vorstellungen" (S.19) eines Subjekts bestimmten mit, wie Materialität erfahren wird. Auf die Rolle, die z.B. Wahrnehmungsprozesse bei der Erfahrung konkreter Räume spielen, gingen sie nicht ein. <zurück>

14) Anzumerken ist, dass das Konzept der Muße und Handlungsfreiheit nicht immer Selbstwirksamkeit beinhaltet (BANDURA 1997). In einer literaturwissenschaftlichen Studie wurde z.B. gezeigt, dass Momente der Trägheit oder Faulheit in phantasiereiche "Träume" (CHEAURÉ 2017, S.281) übergehen können. Diese lassen sich auch als Handeln in Muße verstehen. <zurück>

15) Der "Nachvollzug der Perspektive des anderen entspricht einem zentralen Anspruch der qualitativen Forschung allgemein" (KASPAR 2013, S.181). Um die Perspektive des Gegenübers nachvollziehen zu können, "muss er/sie seine/ihre Position erst im Gespräch entfalten" (a.a.O.). Bei der Analyse sprachlicher Äußerungen mit Methoden der qualitativen Sozialforschung muss beachtet werden, dass die Möglichkeit des Fremdverstehens begrenzt ist: Der Sinn, den Forschende einem Gegenüber unterstellen, kann von dem Sinn abweichen, den dieses selbst den eigenen Erfahrungen verliehen hat (SOEFFNER 2009). <zurück>

16) LUCIUS-HOENE ging nicht genauer auf die Bedeutung des Worts "Lebensraum" ein. Es liegt aber nahe, dass sie lebensweltliche Milieus meinte. In Anlehnung an die Begriffe von FIGAL und KEILING können Milieus auch als konkrete Räume bezeichnet werden (siehe Abschnitt 3.2). <zurück>

17) Grundlegend für diese Sichtweise ist, dass die erzählspezifischen Aufgaben wie etwa qualitative Zuschreibungen zur eigenen Person und interaktive Verhandlung "mit zentralen Aufgaben der Identitätsarbeit zusammenfallen" (SCHWABE 2003, §5) sowie die Betrachtung des Erzählens als "spezifische Form diskursiver Praktik" (LUCIUS-HOENE & DEPPERMANN 2004, S.53). <zurück>

18) In dem Projekt DIPEx Germany wurden ausschließlich Erfahrungen von Patient*innen erhoben, die unter einer chronischen Erkrankung litten. Diese wiesen entweder eine progrediente oder eine rezidivierende oder persistierende Verlaufsform auf (vgl. Abschnitt 1). <zurück>

19) Das Modul Chronischer Schmerz wurde durch den Förderschwerpunkt "Chronische Krankheiten und Patientenorientierung" des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), die Deutsche Rentenversicherung (DRV) sowie durch die Verbände der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) und durch den Verband der privaten Krankenversicherung (PKV) finanziert. Die drei onkologischen Module Brustkrebs, Prostatakrebs und Darmkrebs förderte das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) im Rahmen des Nationalen Krebsplanes. Der Erfahrungsbereich Medizinische Reha wurde durch den Forschungsschwerpunkt "Wege in die medizinische Rehabilitation" der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV Bund) finanziert. <zurück>

20) Eine Arbeitsgruppe im Projekt DIPEx Germany war bis 2020 an der Abteilung für Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie des Instituts für Psychologie der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg angegliedert. Die drei onkologischen Module wurden in Zusammenarbeit mit einer Arbeitsgruppe des Bereichs Charité – Universitätsmedizin Berlin in der Berlin School of Public Health erstellt. <zurück>

21) Patient*innen, die unter chronischen Schmerzen leiden, erfahren ihre Symptomatik in der Regel als wenig kontrollierbar und berichten in diesem Zusammenhang von Gefühlen der Angst und Frustration (THOMM 2016). Häufig erlernen sie aber einen Umgang mit der veränderten Lebenssituation (HALLBERG & CARLSSON 2000). Es lag nahe, dass diese Patient*innen "Freiräume" stark als geprägt durch eine Auseinandersetzung mit der Erkrankung darstellen, was der Fragestellung entsprach. <zurück>

22) Aus Gründen der Anonymisierung bezeichnete ich die Interviewpartner*innen im Text nicht mit ihrem Klarnamen, sondern mit einem zufällig gewählten Buchstaben. <zurück>

23) Die angegebenen Zahlen (z.B. hier A.67) beziehen sich auf die Absatznummerierung des Transkripts in MAXQDA 18. <zurück>

24) Nach BREUER et al. (2018) ist ein "Kategorien-Kandidat" ein (vorläufiges) theoretisches Konzept, das sich in der Phase des offenen Kodierens als vielversprechend herausgestellt hat, aber differenzierter ausgearbeitet und im Zug des axialen Kodierens hinsichtlich seiner Relation zu anderen Konzepten befragt werden muss (S.280). <zurück>

25) Betroffene beschreiben die Diagnosestellung mitunter als "Sturz aus der Wirklichkeit" (GERDES 1986) und stellen sich in diesem Zusammenhang die" Sinnfrage". In diesem Zug reformulieren sie persönliche Werte und Deutungsmuster. Dies kann sich in der Integration als sinnstiftend empfundener Praktiken in das alltägliche Leben ausdrücken (WEIS & FALLER 2012). <zurück>

26) Im Rahmen stationärer rehabilitativer Maßnahmen sind Patient*innen von vielen ihrer alltäglichen (sozialen) Pflichten entbunden, sehen sich aber durch den institutionellen Rahmen mit neuen (sozialen) Regeln und Rahmen konfrontiert (BUSCHMANN-STEINHAGE & WIDERA 2016). <zurück>

27) LUCIUS-HOENE und DEPPERMANN (2004) merkten diesbezüglich an, dass "Sinn in der verbalen Interaktion immer auf verschiedenen Ebenen geschaffen" (S.100) werde, also z.B. auch durch interaktive Verhandlung. <zurück>

28) Dieses Transkriptionssystem ist "eine Zwischenform des GAT-2-Minimaltranskripts und des GAT-2-Basistranskripts" (KRUSE 2015, S.353). Es erlaubt unter anderem die Erfassung der Prosodie als wichtiges sprachlich-kommunikatives Verfahren, mittels welchem im Zug des mündlichen Erzählens Sinn hergestellt wird (LUCIUS-HOENE & DEPPERMANN 2004, S.240f.). <zurück>

29) Das Prinzip der Sequenzanalyse besagt, dass jede Äußerung im Interview auf bereits gebildeten Beziehungs- und Wissensstrukturen aufbaut. Der Anspruch, die sukzessive Bildung von Sinn nachzuzeichnen, widerspricht dem Vorgehen des Kodierens nach der GTM. Das Nachvollziehen der kontextuellen Einbettung der zu analysierenden Textpassagen sollte dem Risiko vorbeugen, dass es durch eine zu isolierte Betrachtung zu Fehlinterpretationen kommen würde. <zurück>

30) Hier bestimmte ich v.a. Textsorten. LUCIUS-HOENE und DEPPERMANN (2004) führten aus, das übergeordnete kommunikative Verfahren "autobiografische Erzählung“ werde mit den drei Textsorten Erzählen, Beschreiben und Argumentieren realisiert (S.142; vgl. auch SCHWABE 2003, §9). Das Erzählen kennzeichne, dass ein Geschehen "im Sinne der Wiedergabe eines Wandels in der Zeit" (LUCIUS-HOENE & DEPPERMANN 2004, S.141) thematisiert werde. Im Zuge einer Beschreibung stehe die Charakterisierung von z.B. Personen oder Milieus im Vordergrund (S.143). Bei einer Argumentation gäben Erzählende eine "theoretisch-abstrahierende und bewertende Stellungnahme" (a.a.O.) ab und begründeten z.B. eine persönliche Werthaltung. <zurück>

31) Hinweis zu den verwendeten Transkiptionssymbolen: "[...]" steht für eine Kürzung des Zitats. Worte in einer eckigen Klammer kennzeichnen eine Ergänzung durch mich. "(.)" bedeutet eine Mikropause, die kürzer war als eine Sekunde. "=" symbolisiert Verschleifungen und schnelle Anschlüsse. "–" kennzeichnet Wort- oder Satzabbrüche. Betonte Silben habe ich durch Großbuchstaben hervorgehoben, besonders stark betonte Silben durch Großbuchstaben und ein Ausrufezeichen je vor und nach der Betonung. Ein Fragezeichen symbolisiert eine hochsteigende Intonation. Ein Komma steht für eine mittel steigende oder schwebende Intonation. Ein Semikolon kennzeichnet eine mittel fallende, ein Punkt eine tief fallende Intonation. Ein Doppelpunkt steht für eine Dehnung (KRUSE 2015, S.353ff.). <zurück>

32) LUCIUS-HOENE und DEPPERMANN (2004) bemerkten, hinsichtlich der Textsorte des Erzählens ließen sich das szenisch-episodische Erzählen, das Berichten sowie die chronikartige Darstellung unterscheiden (S.146). Die Chronik zeichne aus, dass autobiographische Ereignisse "unverbunden“ (S.154) aufgezählt würden. Im Zug des Berichtens thematisierten Erzählende detaillierter die "zentralen Veränderungsaspekte" (a.a.O.) von Ereignissen. Beim szenisch-episodischen Erzählen stellten sie eine einzelne Episode dar, in der sich etwas besonders "Erzählwürdiges" (S.146) ereignet habe. Die Darstellungsform weise eine charakteristische Binnenstruktur auf (S.147; vgl. auch LABOV & WALETZKY 1973 [1967]): In einer Ankündigung gäben Erzählende eine Vorschau auf den Inhalt der Erzählung oder rekurrierten auf ihre evaluative Bedeutung. In einer Orientierung führten sie in Zeit, Raum und Umstände der zu erzählenden Handlung ein; in der Komplikation gäben sie die eigentliche Handlung wieder. Anschließend fassten sie das Handlungsergebnis in einem Resultat zusammen. Hieran schließe sich häufig eine Coda an, in der eine "Quintessenz oder Moral der Geschichte“ (LUCIUS-HOENE & DEPPERMANN 2004, S.149) vermittelt werde. <zurück>

33) LUCIUS-HOENE und DEPPERMANN (2004) betonten, Erzählende verfügten zum Zeitpunkt des Erzählens über eine andere Erkenntnisperspektive als zum Zeitpunkt des Geschehens. Dies sei der Fall, weil in der Erzählsituation der Ausgang des erzählten Ereignisses bekannt sei. Die "doppelte[...] Zeitperspektive" (S.24) impliziere eine "Verdopplung des Ich" (a.a.O): Das erzählende Ich in der Erzählsituation stelle das vergangene Ich, das erzählte Ich, als Handlungsträger*in dar (vgl. auch ROSENTHAL 2010). <zurück>

34) LUCIUS-HOENE und DEPPERMANN (2004) rechneten "Schilderungen von Orten und Milieus" (S.63) der sozialen Dimensionen narrativer Identität zu. Sie differenzierten aber nicht, was unter "Orten und Milieus" genau zu verstehen ist, weshalb ich mich im Rahmen des Beitrags an den philosophischen Raumbegriffen orientiere (siehe Abschnitt 3.2). <zurück>

35) Interessanterweise thematisierte Frau M nicht, was am Ort des Betts eigentlich geschah. <zurück>

36) Der Ausdruck Dolcefarniente geht auf den italienischen Ausdruck il dolce far niente zurück, der mit "süßes Nichtstun" übersetzt werden kann (MACCHI 1978, S.198). Gemeint ist also eine Form des Nichtstuns, die als angenehm empfunden wird. <zurück>

37) Der thematische Kontext des Pronomens "sie" impliziert hier, dass Frau M alle Personen meinte, die in eine Lebenslage wie sie selbst geraten. <zurück>

38) Die explizierten Strukturelemente der Argumentation können damit auf ein Deutungsmuster der Erzählerin verweisen (LUCIUS-HOENE & DEPPERMANN 2004, S.254). So liegt es nahe, dass der Rückzug als prekäre, vielleicht sozial sanktionierte "Praktik" gedeutet wurde. Dies würde erklären, warum Frau M sich nur implizit als Person selbst positionierte, die sich zurückzieht. <zurück>

39) Die Erkrankung Morbus Sudeck wird auch als komplexes regionales Schmerzsyndrom bezeichnet (BARTL 2022). Bei diesem Krankheitsbild kommt es nach einer Verletzung oder Operation zu starken, anhaltenden Schmerzen und Gefühlsstörungen in Händen, Armen, Beinen oder Füßen, Die Symptome lassen sich jedoch nicht auf die Verletzung oder Operation zurückführen. Frau L hatte die Diagnose nach einem Arbeitsunfall erhalten. Bei diesem war ihre Hand verletzt worden, was anhaltende Schmerzen in dieser Körperregion nach sich gezogen hatte. <zurück>

40) Unter der "genetischen Beziehung zwischen Handlungselementen" ist nach LUCIUS-HOENE und DEPPERMANN (2004, S.148) die Art und Weise zu verstehen, in der erzählerisch einzelne Elemente einer Handlung untereinander verknüpft werden. Es geht also darum, welche Handlung jeweils zu welcher Folgehandlung führt. <zurück>

41) Noch klarer zeigten sich die Umrisse einer solchen Muße aufseiten der Hörer*innen, wenn Erzählende tatsächlich ein einzelnes Geschehen über verschiedene Darstellungsstrategien re-inszenierten (LUCIUS-HOENE & DEPPERMANN 2004, S.228ff.). <zurück>

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Zur Autorin

Lisa Maria MÜLLER ist Psychologin und war von 2017 bis 2021 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Sonderforschungsbereich 1015 "Muße. Grenzen, Raumzeitlichkeit, Praktiken" an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Ihre Forschungsinteressen umfassen qualitative Gesundheitspsychologie, Erzähltheorie und Muße.

Kontakt:

Dr. Lisa Maria Müller

Arbeitsgruppe für Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie
Institut für Psychologie
Engelbergerstraße 41, D-79106 Freiburg

Tel.: +49-761-203-3046

E-Mail: lm.mueller@outlook.de
URL: https://www.sfb1015.uni-freiburg.de/de/personen/promovierende/lisa-mueller

Zitation

Müller, Lisa Maria (2023). Muße in Krankheitszeiten – eine qualitative Analyse narrativer Interviews [63 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 24(3), Art. 8, https://doi.org/10.17169/fqs-24.3.4024.

Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research (FQS)

ISSN 1438-5627

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