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Volume 25, No. 1, Art. 3 – Januar 2024

Symbolische Grenzziehungen und Stigma-Management von ALG II-Bezieher*innen

Sebastian Jürss

Zusammenfassung: Die Einführung von Hartz IV im Jahr 2005 war ein tiefer Einschnitt für die betroffenen Transferleistungsempfänger*innen. In den begleitenden Diskursen und der öffentlichen Meinung manifestierten sich Bilder von individuellen Fehlleistungen und "typischen" Hartz IV-Empfänger*innen, die Betroffene häufig als stigmatisierend erlebten. In der Folge wurden unterschiedliche Abgrenzungen bemüht, die eine Differenzierung innerhalb des gezeichneten "Kollektivakteurs" Hartz IV-Empfänger*in erlauben. Im Beitrag greife ich diese Delegation, also die Weitergabe von stigmatisierenden Zuschreibungen an Andere (bspw. SHILDRICK & MacDONALD 2013), auf und schlage vor, die Abgrenzungen mit der Theoriefolie der symbolischen Grenzziehungen zu fassen, die als Form des Stigma-Managements (GOFFMAN 1975 [1963]) gelesen werden können. Die Datenbasis meiner Studie besteht aus problemzentrierten Interviews mit ALG II-Bezieher*innen, die mit der dokumentarischen Methode ausgewertet wurden. Ich werde aufzeigen, wie die Grenzziehungen entlang von Erwerbstätigkeit und Respektabilität gezogen werden und rekonstruiere die handlungspraktischen Konsequenzen zwischen Delegation und Nicht-Delegation. Einige sozialpolitische Implikationen für das seit Januar 2023 in Kraft getretene "Bürgergeld" und den weiteren Implementationsprozess werde ich im Schlussteil vorstellen.

Keywords: symbolische Grenzziehungen; ALG II; Stigma; Stigma-Management; Sekundäranalyse; dokumentarische Methode; problemzentriertes Interview; Grounded-Theory-Methodologie

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Institutioneller Rahmen und empirische Zugänge zu Stigmatisierungserfahrungen

3. Methodisches Vorgehen

4. ALG II als Defizit? Stigma-Interpretation und öffentlicher Diskurs

5. Grenzziehungen und Stigma-Management

5.1 Erwerbsarbeit als omnipräsente Grenze

5.2 Moral und Respektabilität

5.3 Weder ängstlich noch eingerichtet – Stabilität

5.4 Inszenierung als Handlungsmacht

6. Diskussion und Ausblick auf das Bürgergeld

Danksagung

Anmerkungen

Literatur

Zum Autor

Zitation

 

1. Einleitung

Die Einführung von Hartz IV (formal Arbeitslosengeld II [ALG II]) im Jahr 2005 war ein tiefer Einschnitt für die ALG II-Bezieher*innen. Begleitet wurde die "Modernisierung" der "Dienstleistungen am Arbeitsmarkt"1) durch mediale und gesellschaftliche Diskurse (OSCHMIANSKY, SCHMID & KRULL 2003; TRAUE, HIRSELAND, HERMA, PFAHL & SCHÜRMANN 2019), bei denen auf bestimmte Bilder und Vorstellungen – oftmals Einzelfälle (DIERMEIER & NIEHUES 2022) – zurückgegriffen wurde. Simplifizierende Diskurse um die Gründe von Erwerbslosigkeit, in denen wahlweise individuelle Fehlleistungen (MARQUARDSEN 2007) oder gar Lebensstilentscheidungen (PATRICK 2014) in den Fokus gerückt wurden, machten eine Positionierung der Betroffenen zu den in ihnen transportierten Inhalten und Anschuldigungen unausweichlich. Wie diese Positionierungen aussahen und welche Strategien im Umgang mit Stigmatisierungen verfolgt wurden, wurde an diversen Stellen untersucht (bspw. GURR & JUNGBAUER-GANS 2017; KNABE, FISCHER & KLÄRNER 2018). Ein herausstechender Befund war die Delegation von bestimmten Vorstellungen, Bildern und Stigmatisierungen an andere ALG II-Bezieher*innen, die als die "typischen" Transferleistungsempfänger*innen identifiziert wurden. Mit den Überlegungen zu symbolischen Grenzziehungen, d.h., wie Personen sich wechselseitig klassifizieren und voneinander abgrenzen (bspw. HILMAR 2021; SACHWEH & LENZ 2018), lässt sich hier anknüpfen. Da es sich bei den "typischen" Repräsentationen in der Regel um abwertende oder diskriminierende Zuschreibungen handelte (aktiviert werden zu müssen implizierte beispielsweise, unwillig und unfähig zu sein; siehe LUDWIG-MAYERHOFER 2010), liegt es nahe, sie als Stigma (GOFFMAN 1975 [1963]) zu verstehen. [1]

Die Stigmatisierungserfahrungen von ALG II-Bezieher*innen sind einschlägig erforscht worden (etwa GURR & JUNGBAUER-GANS 2017) und sollen für diesen Beitrag um die Perspektive der symbolischen Grenzziehungen erweitert werden. Damit werden die Grenzziehungen als Stigma-Management fassbar und ermöglichen es, das Augenmerk auf die Delegation der Stigmatisierung(en) zu lenken. Ich untersuche im Folgenden, welche symbolischen Grenzen von den von mir interviewten ALG II-Bezieher*innen gezogen wurden und wie sie diese Grenzen als Stigma-Management verwendet haben. Mit dem im Januar 2023 eingeführten "Bürgergeld" gehört die Bezeichnung als ALG II-Bezieher*in mittlerweile der Vergangenheit an. Da sich die hier vorgestellte Forschung auf die Zeit vor dieser Reform bezieht, werde ich an der Bezeichnung jedoch festhalten. [2]

Mit dem Konzept der symbolischen Grenzziehungen (SACHWEH 2013; SACHWEH & LENZ 2018) wird untersucht, wie Personen sich wechselseitig klassifizieren, Handlungen bewerten, zu wem sie eine soziale Nähe sehen und welche Ordnungsparameter hierfür herangezogen werden (HILMAR 2021, S.133). Anknüpfend an BOURDIEU (1982 [1979]) und LAMONT (1992) werden als symbolische Grenzziehungen jene Unterscheidungen bezeichnet, mit denen "Akteure Personen, Objekte und soziale Praktiken kategorisieren und voneinander abgrenzen" (SACHWEH & LENZ 2018, S.368). SACHWEH (2013, S.11) unterschied drei Arten von Grenzziehungen: sozioökonomische Grenzziehungen, die anhand von Merkmalen der sozialen Position einer Person (z.B. ökonomischer Status, Herkunftsmilieu) gezogen werden; sie erfolgen in der Praxis meist als Abgrenzung gegenüber unteren Schichten. Bei kulturellen Grenzziehungen stehen Merkmale wie die Vertrautheit mit bestimmten (meist hochkulturellen) Inhalten, Praktiken oder Geschmacksmustern im Vordergrund. Bei moralischen Grenzziehungen wird Bezug auf Werthaltungen und Charaktereigenschaften von Personen (bspw. Ehrlichkeit) genommen. SACHWEH und LENZ (2018) stellten heraus, dass die Grenzziehungen schichtspezifischen Mustern folgten: Mitglieder höherer Schichten definierten sich vornehmlich über ihren sozioökonomischen Status und kulturelle Merkmale; Angehörige unterer Schichten hingegen verwiesen eher auf moralische Kriterien (S.369). Gruppenspezifisch sei ebenfalls der Umgang mit den Grenzziehungen und der assoziierten Nähe oder Zuordnung zu einer Gruppe: In stigmatisierten Gruppen, die eben nicht ohne Weiteres verlassen werden konnten (prototypisch die Gruppe der Erwerbslosen), erfolgte eine Umdeutung bzw. Aufwertung von bestimmten Merkmalen der Eigengruppe bei gleichzeitiger Abwertung einer Fremdgruppe (SACHWEH 2013). Dabei ist die Abwertung nicht per se gegeben, wie GERHARDS und BUCHMAYR (2018, S.371) herausstellten: "Eine symbolische Grenze unterscheidet zunächst einmal zwischen zwei Gruppen, ohne die beiden Gruppen zu bewerten". (Alltags-)Praktisch wird mit der Unterscheidung jedoch meist eine Bewertung vollzogen. Dann kann aus der symbolischen Grenze eine kategoriale und schließlich soziale Grenze werden, die mit den entsprechenden Konsequenzen von Bevorzugung oder Benachteiligung einhergeht (a.a.O., siehe auch LAMONT & MOLNAR 2002). Anschließen lässt sich mit HILMAR (2021, S.133f.) und der Frage, welche konkreten Erfahrungen die Grundlagen für die Mechanismen der Grenzziehung bilden. Für die ALG II-Bezieher*innen würde das etwa bedeuten, den Erfahrungen nachzugehen, die sie mit bestimmten Klassifikationen (wie der Hilfebedürftigkeit; ECKHARDT 2023, S.26ff.) gemacht haben, die ihre Selbstdeutungen (mit)geprägt haben. Der Mechanismus der Grenzziehung als solcher kann "als Verteidigung eines bestimmten normativen Horizonts gegen Abwertungs- und Delegitimierungsprozesse, die als gegen das Selbst gerichtet wahrgenommen werden" (HILMAR 2021, S.133f.), verstanden werden. [3]

Erneut im Fokus stand mit dem im Januar 2023 eingeführten Bürgergeldgesetz (DEUTSCHER BUNDESTAG 2022a) die gesellschaftspolitische Dimension der Grundsicherung: Im begleitenden, öffentlichen Diskurs wurde bisher moniert, dass mit dem Bürgergeld die (Lohn-)Arbeit an Attraktivität verlöre und sich gegenüber dem Transferleistungsbezug nicht mehr lohne (kritisch dazu: BUTTERWEGGE 2022; STEFFEN 2022). Die "Phantasien" von zu üppigen Sozialleistungen (LUDWIG-MAYERHOFER 2017, S.107) sind angesichts der lebensweltlichen Erfahrungen von ALG II-Bezieher*innen weiterhin simplifizierend und diskursiv der Sorge vor einem bedingungslosen Grundeinkommen geschuldet (BECKMANN 2023, S.70). Die wissenschaftliche Bewertung war deutlich unaufgeregter, wobei grundsätzlich die Frage blieb, wie BECKMANN eröffnete, "wie viel Hartz IV [...] im Bürgergeld" (S.55) stecke. Übereinstimmend zeigten BECKMANN (S.69) und BRUCKMEIER (2023, S.75), dass beispielsweise die Konditionalität als Kernaspekt bestehen bleibe und Sanktionen nicht vollständig wegfielen. Sie sollen stattdessen grundlegend reformiert werden (siehe dazu auch WOLFF 2022). Was die Reform letztlich für die Transferleistungsempfänger*innen und ihre gesellschaftliche Bewertung und mögliche Stigmatisierungen bedeutet, ist zum Zeitpunkt dieser Untersuchung noch offen. Denn auch wenn das Bürgergeld "bedingungsärmer" (BRUCKMEIER 2023, S.100) ausgestaltet ist, bleiben Aspekte der Aktivierungsprogrammatik (mehr dazu in Abschnitt 2) bestehen. Ich werde darauf am Ende des Beitrags zurückkommen. [4]

Der Aufbau ist im Weiteren wie folgt: Im zweiten Abschnitt skizziere ich den institutionellen Rahmen des aktivierenden Sozialstaats und die bestehende Forschung zu Stigmatisierungserfahrungen von ALG II-Bezieher*innen. Im dritten Abschnitt erläutere ich die verwendete Methodik, d.h. das theoretische Sampling, die problemzentrierten Interviews und die dokumentarische Methode. Die Ergebnisdarstellung ist zweigeteilt: Zunächst werde ich aufzeigen, welche Zuschreibungen den ALG II-Bezieher*innen als Stigmatisierungen begegneten (Abschnitt 4). Im Anschluss werde ich die Grenzziehungen, die ich als Stigma-Management aus den Interviews rekonstruiert habe, präsentieren (Abschnitt 5). Im sechsten Abschnitt diskutiere ich die Ergebnisse in Bezug auf das 2023 in Kraft getretene, aber noch nicht vollständig implementierte Bürgergeld und die sozialpolitischen Implikationen. [5]

2. Institutioneller Rahmen und empirische Zugänge zu Stigmatisierungserfahrungen

Der institutionelle Rahmen, in dem sich die ALG II-Bezieher*innen bewegen, ist der des aktivierenden Sozialstaates. Das programmatische Leitbild der "aktivierend[en] Sozialpolitik" (DINGELDEY 2015, S.33) ist das "Fördern und Fordern" (LESSENICH 2003, S.214), und der Fokus liegt auf dem individuellen Verhalten der Sozialleistungsbezieher*innen (MARQUARDSEN 2018). Dabei ist die Prämisse der Aktivierung widersprüchlich: Die "Klienten" seien entweder nicht genügend gewillt und bemüht oder aber nicht in der Lage, eine Stelle zu finden (LUDWIG-MAYERHOFER, BEHREND & SONDERMANN 2009, S.281; MARQUARDSEN 2007). In dieser individualisierenden Deutung von Arbeitslosigkeit (HIRSELAND & RAMOS LOBATO 2014) wird diese als "Ausdruck von Defiziten in der individuellen Motivation und Verfügbarkeit der Person" (MARQUARDSEN 2018, S.140) interpretiert. Die Betroffenen sollen sodann mit entsprechenden (Qualifizierungs-)Maßnahmen2) und einer gewissen "Erziehung" (MARQUARDSEN 2007, S.263) wieder zu "Arbeitsbürger[n]" (PROMBERGER & RAMOS LOBATO 2016, S.330) gemacht werden. In der festgeschriebenen Reziprozitätsbeziehung (LESSENICH & MAU 2005) zwischen Transferleistungsempfänger*innen und Sozialstaat, in der nur dann staatliche Sicherheitsgarantien angeboten werden, wenn bestimmte Vor-, Eigen- und Gegenleistungen (DÖRRE et al. 2013, S.30) erbracht wurden, ist die Form der Wechselseitigkeit einseitig festgelegt ("asymmetrisch"; LESSENICH & MAU 2005, S.272) und sanktionsbewehrt. Den ALG II-Bezieher*innen selbst stehen keine Sanktionsmöglichkeiten zur Verfügung (LUDWIG-MAYERHOFER et al. 2009, S.23).3) Die Anforderungen an die Subjekte sind dabei widersprüchlich und stehen im Kontrast zu ihrer tatsächlichen, lebensweltlichen Lage und mitunter zu ihren Fähigkeiten: Von den ALG II-Bezieher*innen werden Selbstkontrolle und Selbststeuerung, Flexibilität, eine rationale Lebensführung und schließlich Konformität erwartet (PROMBERGER 2009, S.610), mithin Normalitätsvorstellungen, in deren Rahmen die jeweiligen biografischen Erfahrungen und Kompetenzen abseits der Erwerbsfähigkeit nicht zur Geltung kommen. Mit dieser "individualisierten Ursachenzuschreibung" (MARQUARDSEN 2011, S.249) geht soziale Kontrolle einher; "auf eine kurze Formel gebracht, das 'A und O' des 'F[örderns] und F[orderns]'" (LESSENICH 2003, S.218). Für die Betroffenen werden mit der Aktivierung Verschiebungen und "Neupositionierungen" (HIRSELAND & RAMOS LOBATO 2014) erforderlich, weil sie ein entsprechend konformes Verhalten an den Tag legen müssen. Zusätzlich erhöhen die begleitenden öffentlichen Diskurse um "Faulenzer" (OSCHMIANSKY et al. 2003, S.3) und "Leistungsmissbrauch" (S.5; siehe auch TRAUE et al. 2019) den Druck auf sie, wenn ihr Zustand gesellschaftlich als selbstverschuldet gedeutet wird (GURR & JUNGBAUER-GANS 2017; HIRSELAND & RAMOS LOBATO 2014). Aktivierung als Programmatik ist "normative Vorgabe und zugleich institutionalisierte Strategie" (GLOBISCH & MADLUNG 2017, S.324), die als Sozialpolitik einer "absolutistischen Logik" (GLOBISCH 2018, S.81) folgt, d.h., dass Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie deren Entstehungsbedingungen nicht berücksichtigt werden, da Aktivierungspolitik auf einer "ökonomische[n] Selbsterhaltungsmöglichkeit durch Erwerbsarbeit" (a.a.O.) beruht. Die Diskrepanz zwischen subjektiver Aktivität und dem sozialpolitischen Ziel der "employability"4) (GLOBISCH & MADLUNG 2017, S.324) äußert sich unter anderem in deutlichen Anerkennungsdefiziten für die Betroffenen und ihre Deutungen (siehe etwa KNABE, BRANDT, FISCHER, BÖHNKE & KLÄRNER 2018; MOTAKEF & WIMBAUER 2019; MOTAKEF, BRINGMANN & WIMBAUER 2018). [6]

Auf die gesellschaftspolitische Dimension der Aktivierung gingen bereits LESSENICH (2003, 2008) und LUDWIG-MAYERHOFER (2017) ein. Aktivierung als Arbeitsmarktpolitik hatte, so die Autoren übereinstimmend, eine "neue Reziprozität" zur Folge (LUDWIG-MAYERHOFER 2017, S.107; siehe auch LESSENICH 2008), weil sie die Verantwortungsfrage gewissermaßen umkehre: Die Transferleistungsempfänger*innen hätten Verantwortung der Gesellschaft gegenüber.5) LESSENICH (2003) unterschied weiter zwischen einer latenten und manifesten Funktion der Aktivierungsprogrammatik: Manifest war sie für die Betroffenen als eine autoritative Gemeinwohlinterpretation, wonach sie nunmehr in der Pflicht standen, die Transferleistungen zu begründen und die Solidarität der Gemeinschaft nicht über die Maße zu beanspruchen. Die latente Funktion bestand darin, dass die Mehrheitsgesellschaft adressiert wurde, der qua "Employability"-Fokus (GLOBISCH & MADLUNG 2017, S.324; "Arbeit für alle", LESSENICH 2003, S.217) verdeutlicht werden sollte, dass keine Ruhezonen jenseits der Erwerbszentrierung existieren sollten. Die Aktivierungsprogrammatik reihe sich in den gesellschaftlichen Trend des "unternehmerische[n] Selbst" (BRÖCKLING 2007) ein, mit dem Selbstmanagement und -ökonomisierung propagiert werde. Beispielhaft müssen die ALG II-Bezieher*innen die Subjektivierung als unternehmerisches Selbst sowohl gegenüber den Institutionen nachweisen als auch lebensweltlich verfolgen. TRAUE et al. (2019) zeigten an einem Fallbeispiel, wie dies aussehen kann. Die Kontrollelemente (Sanktionen) wurden dabei im Sinne einer ideologischen Rechtfertigung als möglichst "notwendig" und "sinnvoll" präsentiert (LUDWIG-MAYERHOFER 2017, S.105), da zwar die Eigeninitiative – in der Rhetorik des Neoliberalismus die Eigenverantwortung (kritisch dazu NULLMEIER 2006) – im Mittelpunkt steht, aber die ALG II-Bezieher*innen dennoch "ermutigt" werden müssen, diese zu nutzen. Für die ALG II-Bezieher*innen ergibt sich eine ambivalente Positionierung als unwillige und/oder unfähige, aber zugleich verpflichtete Akteur*innen, denen die "halbierte Gemeinwohlorientierung" (LESSENICH 2003, S.218) als Anspruch an sie begegnet, ohne dass sich eine reziproke (gesellschaftliche) Pflicht jenseits des Existenzminimums ableitet. Von diesen einseitigen Ansprüchen an die Betroffenen hin zur Abwertung und Stigmatisierung bei Abweichung von der "neuen Reziprozität" ist es nur ein kurzer Weg. [7]

In Studien zu Stigmatisierungen von Erwerbslosen und ALG II-Bezieher*innen wurde neben den inhaltlichen Dimensionen der Stigmatisierung (etwa GURR & JUNGBAUER-GANS 2017) ebenfalls das Stigma-Management (KNABE, FISCHER et al. 2018; SHILDRICK & MacDONALD 2013) untersucht. Gemeinsamer Ausgangspunkt als theoretische Grundlage war GOFFMANs Stigma-Theorie (1975 [1963]). Inhaltlich befassten sich GURR und JUNGBAUER-GANS (2017) in ihrer qualitativen Studie mit dem Stigma der Arbeitslosigkeit und wie Erwerbslose dieses Stigma wahrgenommen haben. Zwei Ergebnisse sind besonders interessant: Erstens fanden die Autor*innen bei denjenigen Erwerbslosen, die ihre Situation durch eigenes Handeln bedingt sahen und sich stark an der Eigenverantwortung orientierten, Schamgefühle (S.43) und damit eine Überschneidung mit dem Diskurs um selbstverschuldete Arbeitslosigkeit. Zweitens hatte eine Gruppe an Interviewten das Stigma zwar grundlegend akzeptiert, aber durch Konfrontation die Forderung nach einer "Korrektur im Umgang mit ihnen" (S.44) geäußert.6) Damit meinten GURR und JUNGBAUER-GANS jene Interviewten, die sich der Fokussierung auf Erwerbsarbeit nicht unterwerfen wollten und den Stigmatisierungen konfrontativ begegneten, anstatt sie hinzunehmen und sich zu fügen (a.a.O.). Die Rechtfertigungen für den ALG II-Bezug rekonstruierten HIRSELAND und RAMOS LOBATO (2014) anhand von qualitativen Interviews. Die Positionierung mittels medialer und kultureller Repräsentation sowie die veränderte institutionalisierte Grundlage (als Individualisierung von Ursachen) erforderte von den Akteur*innen bestimmte Strategien, mit dem Rechtfertigungsdruck umzugehen. Die Autoren rekonstruierten neben Rechtfertigungsversuchen eine Solidarisierung mit der öffentlichen Meinung, da dadurch ein zumindest symbolisch respektabler Ort im Diskurs beansprucht werden konnte (siehe dazu auch FOHRBECK, HIRSELAND & RAMOS LOBATO 2014). Die "Respektabilität" griffen KNABE, FISCHER et al. (2018, S.174) auf. Sie nahmen Bezug auf Stigmatisierungsprozesse und Kontrollversuche (über die Identität), die von den interviewten Erwerbslosen verfolgt wurden. Respektabilität bedeutete hier die Statussicherheit, die als gesicherte soziale Stellung in Armut behauptet werden musste, da durch die finanziellen Restriktionen ihre gesellschaftliche Position faktisch bedroht war. Die Kontrollversuche spannten sich auf zwischen dem Verschleiern und einer Offenlegung des Stigmas durch die Interviewten. Damit waren individuelle Kosten verbunden, da die "Normalisierungstechniken" (bspw. DÖRRE et al. 2013, S.238)7) in einem Netzwerk zulasten eines anderen sozialen Netzwerks gingen, gerade unter den Restriktionen von stark begrenzten Mitteln wie in Armutslagen. PATRICK (2016) erarbeitete alltägliche Strategien von Transferleistungsbezieher*innen in Großbritannien, die mit dem Stigma des Schnorrers ("scrounger", S.246) konfrontiert waren. Die individuellen Reaktionen lagen zwischen Akzeptanz, Widerstand und Ablenkung als Möglichkeiten, wie die Befragten den Zuschreibungen begegneten. Interessant ist die Feststellung, dass die Interviewten die "anderen" Armen benutzten, um über sich selbst zu sprechen (S.255). Grundlegend griff PATRICK die Annahme verschiedener Stigma-Kategorien nach BAUMBERG, BELL und GAFFNEY (2012) auf. Diese unterschieden zwischen der subjektiven Wahrnehmung der Stigmatisierten, die die Inanspruchnahme von Sozialleistungen als persönliches Stigma ("personal stigma", S.5) erlebten, und der Stigmatisierung durch andere Personen, die als "claims stigma" (S.20) die stigmatisierte Inanspruchnahme bezeichnete. PATRICK (2016, S.247) fasste diese Ausführungen von BAUMBERG et al. (2012) als Dimensionen einer übergreifenden Stigmatisierungserfahrung. HIRSELAND und RAMOS LOBATO (2014, S.198) sowie FOHRBECK et al. (2014, §8.1) verwiesen auf die "Ko-Konstruktion" innerhalb der Gruppe von Armen, die an der Verfestigung von bestimmten Bildern mitarbeiteten, indem schamvolle Momente und Stigmata zwar weitergegeben, aber gleichsam reproduziert würden. "Distanzierungen" fanden sich analog bei SHILDRICK und MacDONALD (2013, S.291) als eine Variante, wie arme Menschen mit ihrer eigenen Situation umgingen. Die Autor*innen rekonstruierten, wie die Armen ihre Lebenssituation erfuhren und wie sie darüber sprachen. In der Studie war nicht direkt von Stigmatisierungen die Rede, jedoch sind mit den "distancing narratives" (a.a.O.) und der Konstruktion von "undeserving poor" (a.a.O.), die vor allem als namenlose Andere ("nameless mass of 'others'", a.a.O.) verblieben, ähnliche Strategien angesprochen, die auf Stigmatisierungserfahrungen hindeuteten. Die Distanzierungen der Interviewten waren geprägt von einem Ablehnen der eigenen Armut, der Normalisierung der Entbehrungen und der Differenzierung entlang von Unterstützungswürdigkeit ("deservingness"; siehe DIETRICH & SCHNAPP 2023, S.37ff.; HEUER & ZIMMERMANN 2020). Dabei konstruierten sie die Unterscheidung zwischen sich und den namenlosen Anderen als ein abstraktes Wir versus die Anderen, was ihnen angesichts von Armut und der zugeschriebenen "welfare dependency" (PATRICK 2014, S.706) eine gewisse Würde und Stabilität ermöglichte (SHILDRICK & MacDONALD 2013, S.301). SHILDRICK und MACDONALD schlossen ihre Studie mit der Feststellung, dass aller diskursiven, individualisierten Ursachenzuschreibungen zum Trotz die Betroffenen keinen "self-blame" (a.a.O.) gezeigt, sondern auf eben jene "Wir"- versus "Sie"-Konstruktionen zurückgegriffen hätten. Hier lässt sich mit den symbolischen Grenzziehungen ansetzen und ein Blick darauf werfen, welche symbolischen Grenzen von den ALG II-Bezieher*innen herangezogen werden, um sich zu den Stigmatisierungen zu positionieren. [8]

3. Methodisches Vorgehen

Für den empirischen Teil meiner Untersuchung habe ich auf Interviewdaten von ALG II-Bezieher*innen zurückgegriffen. Im Forschungsprojekt Gerechtigkeitsvorstellungen von erwerbstätigen Arbeitslosengeld II-Beziehern (Aufstockern) (GEVOAB) haben wir uns qualitativ den Gerechtigkeitsvorstellungen von ALG II-Bezieher*innen genähert.8) Ziel war es, die subjektiven Deutungen zu Gerechtigkeitsprinzipien (FRASER 2003, 2005; MILLER 1999) zu untersuchen. Als Ausgangspunkt haben wir auf das in der Grounded-Theory-Methodologie (GTM; GLASER & STRAUSS 2010 [1967]; STRÜBING 2014) verankerte theoretische Sampling zurückgegriffen. Dabei wechseln sich Rekrutierung und Auswertung ab. Erste Erkenntnisse aus der Auswertung werden dann in die weitere Datengewinnung (und Rekrutierung) einbezogen, um so zu einer theoretischen Sättigung und Theoriegewinnung zu gelangen (GLASER & STRAUSS 2010 [1967]). [9]

Die Gruppe der ALG II-Bezieher*innen ist "äußerst heterogen" (KUPKA & OSIANDER 2017, S.89), da die Grundsicherung für Arbeitsuchende als "letzte soziale Solidarität" (PROMBERGER 2009, S.609) konzipiert ist. Sie greift erst, wenn alle anderweitigen Ansprüche ausscheiden (a.a.O.). Es finden sich dort all diejenigen Bürger*innen wieder, die aus Gründen wie Alter, Krankheit oder Sorgearbeit nur eingeschränkt – als Aufstocker*innen (WALWEI 2023) – einer Erwerbstätigkeit nachgehen können oder erwerbslos sind. Um dieser Heterogenität annährend gerecht werden zu können, verfolgten wir eine möglichst breite Rekrutierungsstrategie und durch die jeweiligen Analysestände geleitete weitere Suche nach Interviewpartner*innen. Die Datenerhebung erfolgte von Ende 2019 bis Ende 2021 und fiel in die Zeit der pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen. Damit waren Anpassungen im Forschungsdesign nötig, da eine Verschiebung ins Digitale für qualitative Forschung nicht ohne Weiteres möglich ist (NICKLICH, RÖBENACK, SAUER, SCHREYER & TIHLARIK 2023; REICHERTZ 2021; SCHIEK, SCHINDLER & GRESCHKE 2022). Für die Erhebung waren problemzentrierte Interviews (PZI; WITZEL 2000) in Kopräsenz geplant, die aber in "mediatisierter" Form (SCHIEK et al. 2022, S.23ff.) durchgeführt werden mussten (siehe zu Online-PZI: RICK 2023). Die Rekrutierung und Durchführung anzupassen ist vor allem im Hinblick auf den Zugang zu vulnerablen Gruppen (wie ALG II-Bezieher*innen) kritisch (REICHERTZ 2021).9) Neben den bewährten Rekrutierungsstrategien über Beratungsstellen und Treffpunkte warben wir mittels sozialer Medien,10) Online-Foren und Schwarzer Bretter für eine Teilnahme an den Interviews.11) Dabei brachte die Online-Akquise eine Selbst-Selektivität mit sich, da nur die ALG II-Bezieher*innen, die einen Internetzugang besaßen (als materielle Voraussetzung) und aktiv nutzten (als lebensweltliche Voraussetzung), erreicht werden konnten.12) Ein Eigeninteresse an der Teilnahme war für die angesprochenen Personen ebenfalls nötig. Unter Umständen haben wir damit bestimmte Gruppen nicht erreichen können. Analog versuchten wir, in einem "Snowball-Sampling" (WOHLRAB-SAHR & PRZYBORSKI 2014, S.184f.) über bereits rekrutierte ALG II-Bezieher*innen weitere Teilnehmende zu gewinnen, was in wenigen Fällen gelang.13) Die Rückmeldungen verwalteten wir mit einem Survey-Tool14). Es stand den potenziellen Interviewpartner*innen offen, neben einer Kontaktmöglichkeit und Präferenzen der Kontaktaufnahme (schriftlich oder telefonisch) weitere Angaben zur Person (wie Alter, Berufsfeld, Wohnregion) mitzuteilen. Die Interviews wurden von mir mit dem Videokonferenz-Tool Zoom15) durchgeführt. [10]

Als Erhebungsmethode haben wir auf das PZI (WITZEL 2000) zurückgegriffen. Mit der dialogischen Ausrichtung sowie der Orientierung an der GTM (§3) ist diese Erhebungsform sehr gut für die Untersuchung von Gerechtigkeitsvorstellungen geeignet. Wie MEY festhielt, gehört zum Instrumentarium eines "diskursiv-dialogischen Verfahren[s]" (1999, S.145) ein gewisser Grad an "Konfrontationen", bei denen die Befragten aber dennoch als Expert*innen ihrer Orientierungen verstanden werden (WITZEL 2000, §12). Der Leitfaden diente als grobe Heuristik der Problemzentrierung und war mit einer Erzählaufforderung zu jedem Themenblock und daran anschließenden Nachfragemöglichkeiten entworfen worden. Ausschlaggebend war der Intervieweinstieg, der mit der Frage nach der Einschätzung der aktuellen Lage der Befragten möglichst offen gehalten war. Im Anschluss wurden die thematischen Setzungen der Befragten vertieft und die weiteren Themenblöcke an die Gesprächsdynamik angepasst (und einer "Leitfadenbürokratie" so entgegengewirkt, HOPF 1987, S.101ff.). Die weiteren Themen waren die Erfahrungen mit dem ALG II-Bezug, wie der Kontakt im/mit dem Jobcenter wahrgenommen wurde und schließlich drei Positionierungsfragen: Erstens wurden die Befragten mit ihrer Armutsnähe konfrontiert (entlehnt von KNABE, FISCHER et al. 2018, S.177f.). Zweitens wurden sie nach einer möglichen Differenzierung der ALG II-Bezieher*innen gefragt. Drittens wurden sie mit dem "Fördern und Fordern" als Grundprinzip der Konditionalität des ALG II konfrontiert. Diese Konfrontationen brachte ich ein, wenn die Themen im Interviewverlauf angedeutet, aber nicht weiter von den Interviewten expliziert worden war.16) Ich zielte so auf eine verständnisgenerierende Kommunikationsstrategie ab, mit der im Interview erworbenes Wissen an die Interviewten zurückgespiegelt wird und sie so die Möglichkeit zur Explikation, aber auch zur Korrektur haben (WITZEL 2000, §16). [11]

In diesem Beitrag untersuche ich die Stigmatisierungserfahrungen von ALG II-Bezieher*innen. Da die Stigmatisierungen nicht vollständig unter die Gerechtigkeitsvorstellungen subsumiert werden können, ist damit ein neuer Blickwinkel auf das Material und damit eine Sekundäranalyse (CORTI, WITZEL & BISHOP 2005; MEDJEDOVIC & WITZEL 2005)17) verbunden. In den Interviews fanden wir mittels der Analyse der Gerechtigkeitsvorstellungen Selbst- und Fremddeutungen über den Status als ALG II-Bezieher*in, die von den Interviewten als Abwertungen bis hin zu Stigmatisierungen interpretiert wurden. Es gab ebenfalls Bezüge zu bekannten Stigmata des ALG II-Bezugs, die auf Fremddeutungen beruhten und bestimmte Reaktionen hervorriefen. Um die Stigmatisierungserfahrungen im ALG II-Bezug untersuchen zu können, wählte ich aus dem Datenkorpus zwanzig Interviews aus, die der Heterogenität der ALG II-Bezieher*innen Rechnung trugen. Lediglich Personen, die nicht mehr im ALG II-Bezug waren, weil sie eine Anstellung gefunden hatten (und damit ihre Existenz allein sichern konnten) oder vor dem Bezug standen, da sie zunächst im Krankengeldbezug nicht anspruchsberechtigt gewesen waren, wurden von mir nicht berücksichtigt. Sie hätten einen Blick von außen auf die Stigmatisierungen qua ALG II-Bezug repräsentiert, während mein Interesse auf der Innenperspektive – den eingezogenen symbolischen Grenzen innerhalb der Gruppe der ALG II-Bezieher*innen – lag.18) [12]

Von den zwanzig ausgewählten Personen waren zum Interviewzeitpunkt 14 erwerbstätig und sechs erwerbslos. Die Erwerbstätigkeit umfasste zumeist einen Minijob, Teilzeittätigkeit oder geringfügige Selbständigkeit. Die Bezugszeiten von ALG II variierten in der Gesamtdauer und im Wechsel von Episoden mit und ohne ALG II-Bezug, wobei die Erwerbstätigkeit meist kurze Zeiträume umfasste. Die Altersspanne reicht von 28 bis 62 Jahren; damit sind jüngere ALG II-Bezieher*innen (etwa nach einer Ausbildung) nicht im Sample vertreten. Der größte Teil der Befragten lebte allein oder mit dem/der Partner*in zusammen. Fünf der Befragten übernahmen als Alleinerziehende die Sorgearbeit für ein oder mehrere Kind(er). [13]

Für die Auswertung der Interviews griff ich auf die dokumentarische Methode (BOHNSACK 2017; BOHNSACK, NENTWIG-GESEMANN & NOHL 2013) zurück. Tragend war die Annahme, dass das ALG II einen gemeinsamen Erfahrungsraum für die Betroffenen eröffnet, da neben der "letzten sozialen Solidarität" (PROMBERGER 2009, S.609) auch die Erwerbsarbeitszentrierung zunächst eine "One-size-fits-all"-Strategie (GLOBISCH & MADLUNG 2017, S.340) impliziert.19) Ursprünglich für Gruppendiskussionen entwickelt, übertrug NOHL (2012) die dokumentarische Methode auf Einzelinterviews. Hauptanliegen ist es, Zugang zum gemeinsamen Erfahrungsraum (der ALG II-Bezieher*innen) zu erlangen und das konjunktive Wissen der Subjekte zur Explikation zu bringen. Grundlage ist dabei die analytische Trennung der zwei Wissensebenen des kommunikativen und konjunktiven Wissens (MANNHEIM 1980; WOHLRAB-SAHR & PRZYBORSKI 2014). Das kommunikative Wissen ist als generalisiertes Wissen um institutionalisierte Abläufe für die Interviewten explizierbar. Dagegen ist das konjunktive Wissen als handlungsleitendes Erfahrungswissen angewiesen auf Explikation durch die Wissenschaftler*innen. Ziel ist es, die Regelhaftigkeit, "dass in einem Fall ein Thema auf eine (und nur eine) bestimmte Art und Weise (d.h. in einem Rahmen) erfahren wird" (NOHL 2012, S.46) zu rekonstruieren. Die Vorgehensweise ist dabei komparativ ("Orientierung am permanenten Vergleich", WOHLRAB-SAHR & PRZYBORSKI 2014, S.199). Für die Untersuchung von Stigmatisierungserfahrungen und Grenzziehungen wählte ich zunächst die Passagen aus, in denen die Interviewten von sich selbst und anderen ALG II-Bezieher*innen sprachen. Darin lässt sich rekonstruieren, welche Erfahrungen und welches kommunikative Wissen zu ihrem Status als ALG II-Bezieher*in sie einbringen und ob Fremddeutungen und Zuschreibungen als Stigmatisierungen gedeutet werden. Ein weiterer Ansatzpunkt waren die Interaktionen mit Sachbearbeiter*innen, in denen Stigmatisierungen erfahren wurden oder sich weiter manifestierten. Im ersten Arbeitsschritt – der formulierenden Interpretation – wurde das von den Interviewten Gesagte zusammenfassend von mir reformuliert. Dies ist als eine erste Abstraktion hin zum dokumentarischen Sinn zu verstehen. Daran schließt die "reflektierende Interpretation an, mit der auf den namensgebenden "dokumentarischen Sinngehalt" abgezielt wird (BOHNSACK et al. 2013, S.15ff). Hier wird unterstützt durch die Textsortentrennung20) der dokumentarische Sinngehalt als soziokultureller Entstehungszusammenhang oder das "Wie" der sozialen Wirklichkeit der Interviewten (WOHLRAB-SAHR & PRZYBORSKI 2014, S.284) erarbeitet. Durch weitere Kontrastierung (mit anderen Textstellen) lässt sich die Regelhaftigkeit des Orientierungsrahmens explizieren. Im nächsten Abschnitt werde ich die Stigma-Interpretationen der Interviewten skizzieren, die sich vor allem aus dem kommunikativen Wissen speisen und in denen die Fremdzuschreibungen sichtbar werden. Anschließend werde ich die symbolischen Grenzen rekonstruieren. [14]

4. ALG II als Defizit? Stigma-Interpretation und öffentlicher Diskurs

Mit den Studien zu Stigmatisierungserfahrungen wurde Bezug auf die begleitenden medialen und politischen Diskurse rund um das ALG II genommen. Für die "Missbrauchsdebatte" rekonstruierten OSCHMIANSKY et al. (2003) und WOGAWA (2000) die Berichterstattung und deren Konjunkturen. Insgesamt gab es kaum positive Deutungsangebote für Erwerbslosigkeit und ALG II-Bezug (siehe jüngst DIERMEIER & NIEHUES 2022, insb. S.181f).21) Wie FOHRBECK et al. (2014) oder HIRSELAND und RAMOS LOBATO (2014) festhielten, war das Zusammenspiel aus öffentlichem und politischem Diskurs für die Betroffenen vor allem als zunehmender Rechtfertigungsdruck spürbar, und es wurden bestimmte "Anrufungen" an sie transportiert (TRAUE et al. 2019, S.161). Diskursiv wurde etwa mit "prominenten emotionalen Fallbeispielen" (DIERMEIER & NIEHUES 2020, S.182) gearbeitet. Auf die Rolle der stereotypen Darstellungen in Medien und politischen Verlautbarungen verwiesen ebenfalls GURR und JUNGBAUER-GANS (2017). Sie zeigten auf, wie diese Darstellungen als kollektive Repräsentationen (BARLÖSIUS 2005) für die ALG II-Bezieher*innen wirkmächtig wurden und eine Positionierung kaum ausbleiben konnte. [15]

Auf die Frage nach der Selbstdeutung zeigten beispielhaft Franz Meier (62)22) und Robert Triemel (59) Bezüge zu den stigmatisierenden Diskursen:

"Dat Image is ja, dat is n Sozialstaatsschmaro- Schmarotzer, sagen wir es mal so, oder des issn Loser" (Herr Meier).

"Ähm, ja, äh. Naja, das Gefühl halt so ein Almosenempfänger zu sein, so äh" (Herr Triemel). [16]

Beide verwiesen auf eine defizitäre Position, in die sie sich als ALG II-Bezieher versetzt sahen. Das Motiv variiert, da mit dem "Schmarotzer" eine deutlich negativ konnotierte, betrügerische Absicht verbunden ist, die als "Almosenempfänger" so nicht greifbar ist. Hier steht mit der Hilfebedürftigkeit die Zuschreibung von Passivität im Zentrum. Ein weiterer Unterschied liegt darin, dass mit dem Image das Stigma des ALG II-Bezugs allgemein angesprochen ist, welches Herrn Meier als Stigmatisierung begegnete. Herr Triemel nahm auf seine Selbstdeutung (sein Gefühl) Bezug, als Almosenempfänger gesehen zu werden, worin sich die Internalisierung der Stigma-Bilder in den Selbstdeutungen zeigte. Beide rekurrierten auf bestimmte Bilder, die im öffentlichen Diskurs flottierten und die als gesellschaftliche Deutungsangebote bei ihnen als Stigmatisierungen aufliefen. Diese traten hier vorrangig als Fremdnarrationen über sie auf, die aber in die Selbstnarrationen "einzusickern" drohten, wenn etwa Herr Triemel von seinem Gefühl berichtete. Beide Motive implizieren keine Rechtsbeziehung. Auf diese bezog sich Claudia Cordes (47): "Also, als ich, äh, selber quasi als, ähm, ja, wie nennt man das? Bittstellerin, Antragsstellerin, ne?" In ihrer Antwort wurde ebenfalls ein Defizit, das einer Bittstellerin, sichtbar. Ihre erste Assoziation war die einer asymmetrischen Beziehung, die erst durch die Korrektur zur Antragstellerin als rechtliche Beziehung mit Ansprüchen und Rechten wurde. Im Kontrast zu den ersten beiden Deutungen wurde das Defizit hier korrigiert, verwies aber trotzdem auf das Ungleichgewicht zwischen den Antragsteller*innen und dem institutionellen Gegenüber. Zwei Aspekte sind für das Stigma-Management hervorzuheben: Die Beispielsequenzen zeigen, wie sich die Stigmatisierungserfahrungen zwischen persönlichem Stigma ("personal stigma", BAUMBERG et al. 2012, S.5) und dem Stigma des Leistungsbezugs ("claims stigma", S.20) aufspannten. Weiter geben die Sequenzen einen Eindruck davon, mit welchem Vokabular die Interviewten ihre eigenen Erfahrungen artikulierten. Dieses war geprägt von den Begleitdiskursen um den Transferleistungsbezug und als institutionalisiertes Wissen für sie alltäglich spürbar, wie Herr Triemel abschließend zeigte:23)

"Mhm (1) ja. (3) Ja wichtig ja, also jetzt so als (1) Schlusswort, sage ich mal, würde ich mir wünschen, dass die Leistungsbezieher nicht immer, ja dass die nicht so verurteilt werden, also in der Gesellschaft, also die stehen ja immer so als Drückeberger da, und äh als faul, Schmarotzer und das würde ich mir wünschen, dass die ein anderes Bild hätten in der Gesellschaft. Also jede, das macht ja niemand gerne, dass er zuhause rumlungert und keine Aufgabe hat, das ist nicht schön, das ist anstrengend, anstrengend ist das auch, obwohl man nichts macht." [17]

Hier handelt es sich um die Konklusion am Ende des Interviews, in der Herr Triemel die Stigmatisierungserfahrungen als ungerechtfertigt und unfair auswies. Er sprach von dem Stigma des ALG II-Bezugs, das aber in Verbindung mit der vorherigen Aussage und im Kontrast zur Selbstwahrnehmung stand, in der niemand freiwillig oder bewusst im ALG II-Bezug verbleiben würde. Er stellte sich in seinem Appell gegen die gängigen, an ihn herangetragenen Deutungen, die als Fremdnarrationen und Stigmatisierungen erschienen. Ein direktes Gegenüber als Agent der Stigmatisierung brauchte es dafür nicht zwingend, und mit dem Kollektivakteur Gesellschaft war die Tragweite seiner Erfahrung zwar abstrakt, aber allgegenwärtig. Dieser kurze Aufriss zeigt Stigma-Inhalte als kommunikatives Wissen und die graduellen Unterschiede in ihrer Internalisierung. Die Zuschreibungen bedrohten das Selbst (als defizitäre, gesellschaftliche Position), wurden aber durchaus differenziert. Die Stigmatisierungserfahrungen kommen dabei mithin ohne direkte Akteur*innen aus. So benannten die Interviewten kaum direkte Interaktionspartner*innen abseits der Arbeitsvermittler*innen, thematisierten aber durchweg die latente Ebene der Stigmatisierung als "Hartz IV-Empfänger" in ihrem Alltag. Im folgenden Abschnitt richte ich den Blick auf die Grenzziehungen und das Stigma-Management, also die konjunktiven Wissensbestände und deren Handlungsfolgen. [18]

5. Grenzziehungen und Stigma-Management

5.1 Erwerbsarbeit als omnipräsente Grenze

Die im Kontext des ALG II allgegenwärtige Grenze verläuft zwischen Erwerbsarbeit und Erwerbslosigkeit. Darauf nahm beispielhaft Herr Triemel Bezug:

"Ähm. Ja. Meinen Sie jetzt nicht arbeitenden ALG-II-Beziehern, oder äh, ja, ähm ja ähm (2) nein, eigentlich nicht. Nein, da sehe ich keinen Unterschied. Also ich fühle mich ein bisschen besser, weil ich arbeite, aber letztendlich bin ich im gleichen System und äh, also da bin ich solidarisch mit denen, die nicht arbeiten, weil ich das selbst kenne das Gefühl äh da dann im Stich gelassen zu werden, ja." [19]

Die vorangegangene Frage des Interviewers bezog sich auf eine mögliche Differenzierung der ALG II-Bezieher*innen, die Herr Triemel als die omnipräsente Frage nach der Erwerbstätigkeit identifizierte. Diese Grenze war grundlegend bekannt und für ihn nicht gänzlich unerheblich – er arbeitete und gehörte damit zu den "Richtigen" – dennoch zog er die Gemeinsamkeit aller ALG II-Bezieher*innen heran: Die Erfahrung der Nicht-Beachtung eröffnete eine Solidarisierungsidee, mit der er die soziale Wirksamkeit der Grenze zu negieren suchte. Wäre diese Grenzziehung wirksam, stünde Herr Triemel nach einem Herzinfarkt und gesundheitlicher Einschränkung in der Gefahr, auf der "falschen" Seite zu landen, da er sich trotz seiner Erwerbsarbeit als Fahrdienstleister nicht mehr aus dem ALG II-Bezug zu befreien vermochte. Die Erwerbstätigkeit als gesellschaftliche Normalvorstellung war ein Maßstab, an dem er institutionell (als ALG II-Bezieher) und gesellschaftlich (in den Vorstellungen über ihn) beständig gemessen wurde. Diese symbolische Grenze der Erwerbsbeteiligung als Ausstieg aus dem ALG II nicht überschreiten zu können – er war bereits im Rahmen seiner Möglichkeiten erwerbstätig – und damit weiterhin Stigmatisierungen ausgesetzt zu sein, brachte ihn zu der anvisierten Solidarisierung. Damit ist hier zunächst ein deutlich abweichender Umgang mit den Stigmatisierungen aufgeworfen, der von einer Nicht-Delegation und symbolischen Nicht-Beachtung einer populären Grenzziehung geprägt war. Die Erfahrung, im Stich gelassen zu werden, war Ausgangspunkt für die anvisierte Nicht-Weitergabe von Zuschreibungen an andere ALG II-Bezieher*innen. Herr Triemel hätte sich diskursiv auf seine Erwerbstätigkeit zurückziehen und damit eine bestimmte Position behaupten können, wurde aber in einer solchen – in seiner Deutung – nicht anerkannt und weiterhin als Transferleistungsempfänger adressiert. Daher konnte er dem Stigma nicht ausweichen. [20]

Schematisch gefasst interpretierte Herr Triemel die Differenzierungsfrage als die sattsam bekannte Unterscheidung entlang der Erwerbstätigkeit, wobei Arbeitslose als Almosenempfänger*innen (siehe Abschnitt 4) keine anerkennungswürdige Position einnehmen. Aus seiner Erfahrung des "Übrigbleibens" (in der Literatur als "Parking" Effekt [GREER, SCHULTE & SYMON 2018, S.1428] beschrieben) leitete er eine gemeinsame Erfahrung mit anderen ALG II-Bezieher*innen ab, die ihn zu einer (symbolischen) Solidarisierung brachte. Er beteiligte sich nicht an der Delegation von bestimmten Eigenschaften an die Anderen, wohl wissend, dass ebenjene Stigmatisierungen ihn selbst betreffen könnten. Er versuchte gewissermaßen die Grenzziehung zu umgehen, indem er die Gemeinsamkeit vor der Differenz stellte und zugleich auf eine höhere Ebene, die des "Systems", verwies, die für alle Betroffenen das Gleiche (Nicht-Beachtung) bereithalten würde. Hintergrund für die Solidarisierung war seine eigene Geschichte, in der er durch einen Herzinfarkt und andere gesundheitliche Probleme in den ALG II-Bezug gekommen war. Die Erkrankungen standen einer vollumfänglichen Erwerbsbeteiligung im Wege, wodurch die Solidarisierung als gegenseitige Anerkennung plausibel wird: So wenig er andere ALG II-Bezieher*innen abwerten wollte, wäre mit einer solidarischen Position die Anerkennung seiner Person und persönlichen Biografie verbunden, auf die er sonst keinen Einfluss nehmen konnte. Durch die geteilte Erfahrung sah er sich als einen "typischen" Fall im Sinne der systemischen Vernachlässigung bestimmter ALG II-Bezieher*innen, die überindividuell sei. Damit richtete sich dieser Umgang mit den Stigmatisierungserfahrungen und der Verweigerung der Delegation gegen die negative Individualisierung und "Schuldfrage" im öffentlichen Diskurs, in dem den Betroffenen die Arbeitslosigkeit als individuelles Versagen zur Last gelegt wird. Die Solidaritätsidee als Nicht-Delegation war ein Versuch, erfahrene Zuschreibungen und Stigmatisierungen nicht weiterzutragen, indem Herr Triemel beispielhaft auf die gemeinsame Erfahrung und soziale Nähe hinwies. [21]

5.2 Moral und Respektabilität

Die Erwerbstätigkeit spielte als symbolische Grenze innerhalb der Gruppe der ALG II-Bezieher*innen eine wichtige Rolle. Wollte Herr Triemel beispielhaft die Tragweite dieser Grenze umdeuten, war sie für andere ALG II-Bezieher*innen ein wichtiges Kriterium für eine Selbstdeutung als respektable Transferleistungsempfänger*in. Ausgangspunkt waren ebenfalls die popularisierten, stigmatisierenden Bilder von "typischen Hartz IV-Empfänger*innen" etwa bei Helga Hansen: "Leistungsbezug macht lethargisch, weil man versorgt wird. (I: Ja) Und man gibt die Verantwortung für sein Leben ab." Frau Hansen nahm hier Bezug auf das kommunikative Wissen über den ALG II-Bezug und die gegen die Bezieher*innen in Stellung gebrachten Zuschreibungen. Zunächst affirmierte sie diese Setzungen schlagwortartig, subsumierte sich unter das Stigma und gab die bekannten Positionierungen von Versorgung und Lethargie als einem passiven Erleben wieder. Im Begriffspaar "Verharren und Bewegung" (FEHR 2022, S.390) als Deutungsrahmen stand sie im Weiteren auf der "richtigen" Seite der Aktivität, die mit Autonomie und Handlungsfähigkeit konnotiert ist:

"Nein, für mich äh also ich ich ich hab, ich empfinde das nicht für mich so, weil ich ja äh mich aktiv auch weiterbilde und so weiter, lese und und äh ich versuche, auf andere Ansätze zu kommen, ja." [22]

Sie präsentierte sich im Sinne des "unternehmerischen Selbst" der Aktivierung: Weder mangelte es ihr an Motivation (sie fände andere Ansätze) noch verbleibe sie auf der Stelle oder in Passivität (sie bilde sich aktiv weiter, wie sie betonte). Mit dieser Positionierung distanzierte sie sich von den Stigma-Bildern und "typischen" Transferleistungsempfänger*innen. Diese Positionsbehauptung bedurfte aber einer Absicherung:

"Aber ich bin dadurch ja auch ziemlich aufgefallen, weil ich dann gesagt habe, ich finde diese Stigmatisierung nicht in Ordnung. Also ich fand auch nicht toll, dass er jetzt seit 18 Jahren oder seit über zehn Jahren nicht gearbeitet hat, fand ich auch nicht gut. Das habe ich ihm auch direkt gesagt. Aber äh es ist ja sein Leben, also da habe ich ja nicht drüber zu entscheiden." [23]

Sie sprach über ihren Nachbarn, der als Erwerbloser bekannt sei und dafür abgewertet wurde. Sie distanzierte sich zunächst von dieser Stigmatisierung, ihr Handeln war aber ambivalent: Da sie selbst ALG II-Bezieherin war, ging sie zu ihrem Nachbarn auf Distanz, indem sie ihm einen gewissen Unwillen zuschrieb (er hat zehn Jahre nicht gearbeitet) und die Ablehnung ihm gegenüber als Repräsentanten des Stigmas artikulierte. Zugleich war ihr die Stigmatisierung, die sie im Grunde selbst hätte treffen können, unangenehm und moralisch fraglich, wie die Relativierung am Ende der Sequenz zeigt (da sie nicht über das Leben anderer zu entscheiden hätte). Die Ambivalenz wurde in der Distanzierung fortgeschrieben: Die direkte Ansprache gegenüber ihrem Nachbarn war weder nötig noch gerechtfertigt, wie sie selbst einräumte, wurde aber dennoch von ihr unternommen. Er verblieb über das weitere Interview "geschichts- und namenlos" (SHILDRICK & MacDONALD 2013, S.291). Als jüngerer ALG II-Bezieher schien er einem anderen Legitimationszwang zu unterliegen, was Frau Hansen nur andeutete, aber nicht konkretisierte. Sie war älter und gesundheitlich eingeschränkt, wohingegen ihr Nachbar als jung, noch nie gearbeitet (also unverdient) und unwillig beschrieben wurde. Die moralische Grenzziehung ist hier ein durchscheinender Bezugspunkt: Frau Hansen stand mit ihrem Selbstmanagement (im Sinne des unternehmerischen Selbst; BRÖCKLING 2007) und der Distanzierung von typischen ALG II-Bezieher*innen diskursiv auf der "richtigen" Seite und nahm ebenjenen (metaphorisch) respektablen Ort ein, der ihr eine eigene Aufwertung erlaubte. Indem sie sich richtig verhielt, sich nicht mit ihrer Position abfand – sie bildete sich aktiv weiter – in die Delegation einstimmte und ein lebensweltlich unmoralisches Beispiel greifbar war, konnte sie die Anschuldigungen von sich weisen. Für das Stigma-Management ist die Legitimität wiederum zweitrangig: Warum ihr Nachbar nicht arbeitete und welche Gründe er dafür gehabt haben mag, wurde im Gesprächsverlauf nicht weiter thematisiert. Er stand durch diese Vereinfachungen ihrer Lage diametral gegenüber, da sie als ältere und chronisch erkrankte ALG II-Bezieherin nur noch wenig Möglichkeit für sich jenseits des Transferleistungsbezugs sah. Als Rückzug gegenüber einem omnipräsenten Rechtfertigungsdruck blieb ihr die symbolische Grenze entlang der Moral und der Respektabilität, die sie diskursiv herstellte, indem sie sich auf die Seite der Aktivierungsimperative stellte und die Stigmatisierungen weitergab. Die Reproduktion dieser Stigmatisierungen und die Ko-Konstruktion (FOHRBECK et al. 2014) der typischen Beispiele als "symbolische Gewalt" (LUDWIG-MAYERHOFER 2017, S.105ff.), die durch die Aktivierungsprogrammatik evoziert und in der öffentlichen Meinung weitergetragen wird, zeigte sich bei einem weiteren Fallbeispiel. Petra Grude (31) war zum Interviewzeitpunkt in einer Umschulung zur Gesundheitsmanagerin. Auf die Frage nach einer Differenzierung antwortete sie wie folgt:

"Ach, ich mag eigentlich kein Schubladendenken, das war doof, dass ich das jetzt so formuliert habe @(1)@. Da haben Sie mich jetzt gekriegt mit. Also ähm ich will dieses Thema mit den Schubladen eigentlich gar nicht aufmachen. Aber ich weiß halt, dass-, ich habe Menschen kennengelernt und natürlich habe, wenn man selbst ALG II bezieht, ähm lernt man viele Menschen kennen, die das auch tun und auch wenn man vor allem so wie ich dann irgendwie noch irgendwie ne Erkrankung hat, hat, sich viel da bei Menschen aufhält, ähm die eben dann auch ALG II oder Sozialhilfe beziehen. Und ich habe viele kennengelernt, die ähm einfach schwarzgearbeitet haben, ähm damit sie das einfach, dann haben die halt äh Hartz IV bezogen und ähm schwarzgearbeitet und haben sich da, ja, ich weiß nicht wie viel in die Tasche gestopft und ich bin halt immer so, also ich war immer ehrlich zu denen, ich habe immer mitgemacht, ich hatte nie ne Leistungskürzung, ich habe alles, alles mitgemacht. Und auch diese ganzen, ne, also da ist auch ganz viel Frust bei mir einfach, dass ich sag, ich bin, bin da echt durch alles gegangen und ich gebe alles und ähm gefühlt werde ich dafür bestraft." [24]

Frau Grude war sich der Zuschreibungen und Stigmatisierungen bewusst, die ein bestimmtes Denken "in Schubladen" mit sich bringt. Sie distanzierte sich, griff aber dennoch die Möglichkeit zum Elaborieren auf. In der Metapher des Schubladendenkens kam der Zwangsgemeinschaftscharakter der Zuschreibungen zum Ausdruck, aufgrund dessen sie als Fremdzuschreibung in der Regel zum monolithischen Block der "Hartz IV-Empfänger*innen" gerechnet wurde (ebenjene Schublade). Die typischen Vertreter*innen der Stigmatisierungen traf Frau Grude hingegen unfreiwillig im Rahmen von verschiedenen Gelegenheiten, die alle den Bezug zum ALG II aufwiesen. Die Negativbeispiele hätten sich dadurch ausgezeichnet, dass sie sich durch "Schwarzarbeit" bereichert hätten und unmoralisch verhielten, indem sie ein maximales Eigeninteresse verfolgten.24) Dem gegenüber stand Frau Grude als diejenige ALG II-Bezieherin, die sich stets korrekt verhalten hatte und nicht mit Verfehlungen auffällig geworden war (keine Leistungskürzung implizierte richtiges Verhalten). Deutlich ist hier die Grenzziehung entlang der Moral: auf der einen Seite diejenigen, die sich mit "Schwarzarbeit" selbst bereichern, auf der anderen Seite Frau Grude als respektable Transferleistungsempfängerin ohne Verfehlungen. Die behauptete Respektabilität drückte sich über das richtige Verhalten, "Compliance" mit den Anforderungen (HIRSELAND & RAMOS LOBATO 2014, S.186) und schließlich die Distanzierung gegenüber den Anderen aus. Stärker als bei Frau Hansen trat die versagte Anerkennung als Frustrationsmoment hervor: Compliance und das richtige Handeln führten nicht zu einer anderen Positionierung, vielmehr sah sich Frau Grude bestraft, weil sie trotz ihrer Eigenbemühungen auf das Existenzminimum festgeschrieben blieb. Die Frustration über die Nicht-Anerkennung drückte sie über die Bezüge zu den typischen ALG II-Bezieher*innen als Repräsentant*innen der Stigmatisierten aus, die im Gegensatz zu ihr die Bestrafung erhalten müssten. Hier läuft wiederholt das Aktivierungsversprechen von Reziprozität ("Fördern und Fordern") leer: Frau Grude war bemüht und sicherte sich diskursiv über die Distanzierungen ab, erfuhr aber für ihr Bemühen keine "Gegenleistung". Problematisch waren für sie die Zuschreibung zum Kollektivakteur ALG II-Bezieher*in und die damit verbundenen Assoziationen, denen sie mit ihrer eigenen Respektabilitätskonstruktion begegnete. Diese war jedoch prekär und nur relational zu den Negativbeispielen aufrechtzuerhalten. Die Compliance mit den Regeln konnte etwa normativ nicht "belohnt" werden, da die aktive Mitarbeit schlichte institutionelle Voraussetzung war, für die keine weitere Würdigung oder Anerkennung vorgesehen war. Auffällig ist in ihrer Beschreibung, wie fragil die Konstruktion von Respektabilität ist. Die Nicht-Anerkennung kann eine Erosion der Compliance zur Folge haben, die in der Frustration bereits durchscheint. Hier zeigt sich, dass ohne Anerkennung die eingenommene respektable Diskursposition folgenlos – und damit die moralische Grenzziehung als Stigma-Management prekär – bleibt. [25]

Mit der Respektabilität als moralischer Grenzziehung ist der Versuch verbunden, die Stigmatisierungen an diejenigen zu delegieren, die diesen Zuschreibungen und Bildern entsprechen würden. Hierzu werden im sozialen Umfeld oder in der Nachbarschaft entsprechende Vertreter*innen identifiziert und benannt. Da die Gruppe der ALG II-Bezieher*innen nicht ohne Weiteres verlassen werden kann – mitunter reicht die Erwerbsarbeit wie im Beispiele von Herrn Triemel dazu nicht aus – hatten die Interviewten mit der moralischen Grenzziehung eine symbolische Grenze innerhalb dieser Gruppe als Stigma-Management eingezogen, durch die sie sich auf der richtigen Seite platzierten. Indem sie beständig diejenigen identifizierten, die den Diskursen entsprächen, umgingen sie eine Selbststigmatisierung, die aber nur zulasten Anderer gelingen konnte. Darin liegt ein tragisches Moment, das HIRSELAND und RAMOS LOBATO im Anschluss an BOURDIEU formulierten: "Sie nehmen sich selbst gegenüber den herrschenden Standpunkt ein und sind so sowohl Ausübende als auch Opfer [...]" (2014, S.198). [26]

5.3 Weder ängstlich noch eingerichtet – Stabilität

Neben der Grenze entlang der popularisierten Stigmata von Leistungsmissbrauch und Unwilligkeit (OSCHMIANSKY et al. 2013) bemühten sich die Interviewten in einem zweiten Schritt um eine Grenze gegenüber denjenigen ALG II-Bezieher*innen, die überfordert seien oder sich bedroht sähen durch die Anforderungen des ALG II-Bezugs. Claudia Cordes war zum Zeitpunkt des Interviews alleinerziehende Mutter und arbeitete als Sozialpädagogin mit erwerbslosen Jugendlichen. Sie führte wie folgt aus:

"Und, und, äh, bestimmen können, was sie zu tun haben oder auch nich', um Gottes Willen, niemals 'Hartz IV'-Empfänger werden, das is' ja, der, der 'wahre Tod', so ungefähr, so, das kriegt man ja so'n bisschen vielleicht vermittelt und wenn man so ganz behütet aufwächst, dann macht einem das alles Angst. (1) Soll ja auch 'n bisschen so sein, man soll ja nich' unbedingt zum Jobcenter gehen und da Kunde werden. (1) 'ne? Also das andere Extrem is' ja nun, irgendwie, die Jugendlichen, die so aufwachsen, schon dritte Generation Hartz IV-Empfänger, (1) für die völlig klar is', ey, 'schmuss gar nix machen und äh, 'pff, mir doch egal, irgendjemand zahlt schon mein Essen'." [27]

Neben den bekannten Positionierungen der "eingerichteten" ALG II-Bezieher*innen baute sie eine zweite Position derjenigen auf, die im Arbeitslosengeldbezug eine Bedrohung sähen. Dabei reflektierte sie eine reale Exklusionsdrohung (der "wahre Tod" als Zuspitzung) und die Prämisse, den ALG II-Bezug möglichst zu verhindern (kein "Kunde werden"). Zu beiden Positionen eingerichtet versus bedroht/ängstlich konnte sie auf Distanz gehen und zugleich die Instabilität als Teil der Stigma-Inhalte von sich weisen. Die von ihr polarisierend aufgebaute Positionierung als "dritte Generation Hartz IV-Empfänger" (der Eingerichteten) war geprägt von den Begleitdiskursen (und einer angedeuteten, generationalen Fortschreibung von Bedürftigkeit), während die angstbesetzte Deutung des ALG II für sie über ihre Arbeit greifbar war. Die "Ängstlichen" oder bedrohten ALG II-Bezieher*innen wurden in der Regel nicht direkt adressiert, da sie als diskursive Positionierung deutlich seltener vorkamen. Die symbolische Grenze verlaufe dabei, wie Frau Cordes erläuterte, entlang von Einstellung und Erfahrungswissen:

"Mhh (1), das is' so'n bisschen diese, diese Reife, dass man irgendwann eben erkennt 'Okay, klar! Ich hab die Möglichkeit auch komplett vom Amt zu leben und alles abzulehnen, was die mir geben' oder, öhh, öhh, oder 'Ich mach Maßnahmen mit', das is' aber so dieses 'Nich' die Verantwortung für das eigene Leben in die ei-, in die Hände nehmen', sondern eben das immer (1), ähh, von anderen bestimmen zu lassen." [28]

Hier spielte neben ihrem Alter die langjährige Erfahrung im ALG II-Bezug eine wichtige Rolle als biografisches Wissen und angesammeltes Verwaltungskapital (CLOUET, FREIER & SENGHAAS 2022). Weiter war mit ihrem Alter und der Rolle als Mutter eine gewisse Verantwortung verbunden, die sie hier als Maßstab heranzog. Im Sinne der Individualisierung war die Verantwortungsübernahme von herausragender Bedeutung und verbunden mit Autonomie. Die Randbedingungen blieben hingegen unerwähnt. Der Eigenwert einer solchen Setzung der Eigenverantwortung ist deckungsgleich mit der forcierten Individualisierung (siehe kritisch zur Eigenverantwortung und ihrem Verhältnis zur Politik NULLMEIER 2006). Die beiden von ihr eingeführten Positionen vereinten die Nicht-Verantwortung für das eigene Leben als zu eingerichtet und damit "versorgt" bzw. zu ängstlich und damit der Abschreckung der Aktivierung gefolgt zu sein, miteinander. Die Souveränität, die Frau Cordes reklamierte, lag in ihrer relativ gesicherten Stellung begründet, da sie über ihre Elternschaft eine andere Legitimität für den (aufstockenden) ALG II-Bezug geltend machen konnte. Im Sinne der Unterstützungswürdigkeit war sie durch die Elternschaft weniger stark unter gesellschaftlichem Legitimationsdruck und qua Erwerbstätigkeit eben nicht erwerbslos.25) Beide Faktoren stehen für eine "höhere" Position in der Anerkennungs- respektive Legitimationsordnung. Durch die Elternschaft erhält die Erwerbsarbeit eine zusätzliche Bedeutung als symbolische Grenze:

"also f-, das, für mich isses eben wichtig, dass meine Kinder eben auch sehen, dass ich auch (1) arbeiten gehe, weil mir die Arbeit ja trotz der Maßnahme, die ich jetz' nich' so toll finde, aber ja trotzdem (1,5) macht es mir trotzdem Spaß. Also (1,5) es, es macht ja auch was mit dem Selbstwertgefühl." [29]

Die Erwerbsarbeit ist hier nicht nur materiell nötig, sie ist eng mit einer gesellschaftlichen Normalitätsvorstellung (jenseits des ALG II-Bezugs) verbunden. Analog zu den Aktivierungsprämissen (jede Arbeit ist besser als keine; LUDWIG-MAYERHOFER 2017) war primär der Fakt Arbeit bedeutsam, während die tatsächliche Ausgestaltung (Arbeitsbedingungen, Arbeitszeit) hintanstand. Damit wurde die Respektabilität als symbolische Grenze erweitert, da zu ihr neben der gesicherten Position das richtige Verhalten (im Falle der Elternschaft die Vorbildfunktion) gehörte. HIRSELAND (2016) stellte heraus, wie die Selbstverortungen von Menschen im ALG II-Bezug als moralische Distinktion interpretiert werden können: Die sozialmoralischen Kategorien, die von den Interviewten in der Studie von HIRSELAND referiert wurden, dienten in der Regel dazu, sich nach "ganz unten" abzugrenzen (S.370) und eine mittige Position (als selbst gedeutete Mitte der Gesellschaft) einzunehmen. Diese Abgrenzung findet sich auch in der Respektabilität verankert, indem die Interviewten die Abgrenzungen gegenüber den ängstlichen, bedrohten beziehungsweise instabilen ALG II-Bezieher*innen – als Vertreter*innen der Nicht-Verantwortung –vornahmen, die in einer gedachten sozialen Ordnung unter ihnen stehen und das gesellschaftliche "ganz unten" (a.a.O.) repräsentieren würden. [30]

5.4 Inszenierung als Handlungsmacht

Im Kontrast zu der Konstruktion von Respektabilität stand ein Stigma-Management, in dem die Interviewten die Stigmatisierungen als Instrument im Deutungskonflikt mit dem Jobcenter einsetzten. Olaf Stein (56) arbeitete zum Zeitpunkt des Interviews in Teilzeit als Logistiker und war nach einer Erkrankung nunmehr eingeschränkt arbeitsfähig. Seine Erfahrung mit dem Jobcenter beschrieb er wie folgt:

"Äh hm, Ja ziemlich abfällig. Ziemlich abfällig sogar. Ganz klar. Im Endeffekt wollten die mir schlechte Laune beibringen und mich loswerden. Völlig klar. Da haben die sich aber geschnitten @(1)@. Weil in der Situation, wenn man Hilfe benötigt, kann man nicht wieder gehen." [31]

Er reflektierte hier eine Aktivierungsprämisse, die als geteiltes Wissen für ALG II-Bezieher*innen allgegenwärtig ist: Es sei besser, nicht im Arbeitslosengeldbezug zu sein, und um das zu erreichen, werde den Hilfebedürftigen institutionell auf eine bestimmte Art und Weise begegnet – sie würden abwertend behandelt und sollten sich fügen. Herr Stein beschrieb, wie er sich der Erziehungsagentur Sozialstaat (LESSENICH 2012, S.59ff.) unterordnen und die Zuschreibungen annehmen sollte. Die abfällige Behandlung und implizite Zuweisung eines Defizits – wie andere Bedürftige müsse er erzogen werden und solle wenig erwarten –schilderte er als grobe Ungerechtigkeiten, die sein Anliegen nach Hilfe konterkarierten. Es war ihm, wie er betonte, nicht möglich, sich einschüchtern zu lassen; er konnte aber auch nicht ausweichen und sich so den Zuschreibungen entziehen. Daher wählte er einen anderen Weg, mit den Stigmatisierungen umzugehen. In Erwartung, weiterhin wie ein typischer ALG II-Bezieher adressiert zu werden, nahm er den Deutungskonflikt für einen Folgetermin an: "Dann hab' ich mir den Abend vorher 'ne Flasche Whiskey gegeben, bis in die Nacht hinein. Und danach noch 'nen Döner gegessen. Und ich weiß, was am nächsten Morgen passiert." Herr Stein inszenierte eine Identität, die jenen Vorstellungen über ihn entsprach, mit denen er zuvor konfrontiert war. Er imitierte eine stereotype und stigmatisierende Vorstellung von ALG II-Bezieher*innen. Damit demonstrierte er seine Vorstellung von Definitions- und Handlungsmacht über die Situation, die er als feindlich ihm gegenüber deutete. Der nächste Termin verlief deutlich abweichend: "Hat also wunderbar geklappt. Sie war auch auf einmal ziemlich still. @(1)@ Anstatt vorher so ähm ja niedermachend im Prinzip. Und ähm wir haben das Ding einfach durchgezogen und dann irgendwann nochmal nen Termin gemacht und fertig." In seiner Deutung war die Inszenierung erfolgreich, und er konnte seine Deutungsmacht demonstrieren, da die Sachbearbeiterin defensiver auftrat und weitere Konfrontationen vermied ("ziemlich still"). Anstatt die Zurechtweisung und Demütigung hinzunehmen, die mit der Stigmatisierung einherging, forderte Herr Stein durch die Inszenierung einen anderen Umgang mit sich ein. Die Konfrontation wurde von ihm aktiv ausgetragen, indem er sich die stigmatisierenden Zuschreibungen angeeignete und sich revanchierte für die Attribuierungen, durch die in der Regel die ALG II-Bezieher*innen als Kollektivakteur*innen "Hartz IV" mitsamt den Implikationen von Erziehungsbedürftigkeit und Passivität abwertet würden. Wäre er tatsächlich so, wie ihm nahegelegt wurde, hätte zunächst die Beseitigung seiner Vermittlungshindernisse und damit ein deutlich größerer Betreuungs- und Verwaltungsaufwand für die Sachbearbeiterin durch die neue "Kundengruppe" (LUDWIG-MAYERHOFER 2010, S.32) im Vordergrund gestanden. Grundsätzlich hätte sich hier eine weitere Eskalation anschließen oder aber die Beziehung weiter verschlechtern können. Eine vertrauensvolle Beziehung schien für ihn aber grundlegend infrage zu stehen, da ihm im Kontakt abschätzig begegnet worden war. In Reaktion darauf nahm er die Inszenierung im Deutungskampf als Ventil, um die unfairen und ungerechtfertigten Zuschreibungen (Stigmatisierung) für sich einzusetzen. [32]

6. Diskussion und Ausblick auf das Bürgergeld

Ich habe die Forschung zu ALG II-Bezieher*innen und ihrem Umgang mit Stigmatisierungen aufgegriffen, um mit dem Konzept der symbolischen Grenzziehungen eine Perspektiverweiterung vorzuschlagen, mit der ich mich den (symbolischen) Grenzen innerhalb des (Zwangs-)Kollektivs der ALG II-Bezieher*innen zugewandt habe. Herausstechender Befund der bisherigen Forschung zu Stigmatisierungserfahrungen von ALG II-Bezieher*innen und Menschen in Armut war die Delegation der Zuschreibungen, Stigmatisierungen und des Rechtfertigungsdrucks an andere ALG II-Bezieher*innen (bspw. FOHRBECK et al. 2014; HIRSELAND & RAMOS LOBATO 2014; SHILDRICK & MacDONAND 2013). Die Abweichung von der Normalitätsvorstellung der "Erwerbsarbeitsgesellschaft" (LUDWIG-MAYERHOFER 2010, S.34) ist für die Erwerbslosen erklärungsbedürftig: Die Begleitdiskurse um die Hartz IV-Reformen um 2004/2005 (bspw. WOGAWA 2000) und das "Bürgergeld" (BUTTERWEGGE 2022; STEFFEN 2022) forcierten – im Einklang mit einem Teil der sozialpolitischen Diskussion (BRUCKMEIER 2023; LUDWIG-MAYERHOFER 2010) – eine individualisierende Schuld- und Verantwortungszuschreibung zulasten der Bedürftigen, denen es an Wille/Motivation und Fähigkeiten mangele und die damit folgerichtig mit Sanktionen und Anreizen (eine Eigenmotivation scheint nicht denkbar) "gesteuert" werden müssten. Damit ist grob der Inhalt des "Stigma Hartz IV" umrissen, welches mit abweichendem Verhalten (bspw. DIERMEIER & NIEHUES 2022) und Erziehungsbedürftigkeit auf den Punkt gebracht werden kann. Diese Zuschreibungen begegnen den Betroffenen als Stigmatisierungen (Abschnitt 4). In Kombination mit der – sozialstaatlich notwendigen – Klassifizierung als hilfebedürftig (siehe dazu ECKHARDT 2023) wird das Stigma-Management als "Verteidigung" gegen die Delegitimierung des Selbst (HILMAR 2021, S.133f.) interessant, weil die Interviewten bestimmte symbolische Grenzen geltend machten, entlang derer die stigmatisierenden Eigenschaften (der Fremdnarrationen) weitergegeben werden konnten. Auf der "anderen" Seite dieser Grenze(n) positionierten sie die "typischen" ALG II-Bezieher*innen, die diskursiv überformt die negativen Eigenschaften auf sich vereinten und von denen eine Distanzierung notwendig war. [33]

Die Ergebnisse der bisherigen Studien (siehe Abschnitt 2), in denen die Delegation an andere ALG II-Bezieher*innen thematisiert wurde, waren Ausgangspunkt dafür, um den Blick auf die Grenzziehungen innerhalb dieser Gruppe zu richten. Mein Fokus lag darauf, welche symbolischen Grenzen von den interviewten ALG II-Bezieher*innen geltend gemacht worden sind. Mit der Erwerbstätigkeit – egal in welchem Umfang oder in welcher Ausgestaltung – war in meiner Studie eine populäre Demarkationslinie deutlicher Bezugspunkt, und es wurde zugleich auf eine gesellschaftliche Deutung als "Erwerbsarbeitsgesellschaft" (LUDWIG-MAYERHOFER 2010, S.34) rekurriert mit der Normalvorstellung eines "Arbeitsbürgers" (PROMBERGER & RAMOS LOBATO 2016, S.330). Darauf aufbauend wurde von den Befragten neben der Erwerbstätigkeit der Respektabilität und der Stabilität als moralischen Grenzen eine große Bedeutung zugeschrieben, die über individuelle Distanzierungserzählungen ("distancing narratives"; SHILDRICK & MacDONALD 2013, S.291) gestützt wurden. Die markante Grenze der Respektabilität als Affirmation der Aktivierungsideen, möglichst konfliktloser Regelbefolgung und schließlich Stabilität erlaubte eine Unterscheidung zu den überforderten oder eingerichteten Anderen respektive gegenüber den Stigma-Bildern. Sie zogen diese moralische Grenze mangels einer tragfähigen ökonomischen Distanz. Eine solche ökonomische Grenze heranzuziehen schied in der Regel aus, da selbst die erwerbstätigen ALG II-Bezieher*innen keine andere Statusposition einnehmen konnten (sie waren weiter im ALG II-Bezug). Sich moralisch respektabel zu positionieren zeichnete sich schematisch dadurch aus, dass sie sich neben dem "richtigen" Verhalten (keine Sanktionen) sicher durch die Bürokratie bewegten und eine selbstverständliche Erwerbsorientierung verfolgten. FISCHER (2019, S.73) nannte dies "subversiven Gehorsam", da hier von den Subjekten die formelle Logik der Erwerbsorientierung eingehalten werde, aber inhaltliche Ansprüche faktisch außen vor blieben respektive nicht weiter thematisiert würden. Indem sich die Interviewten in dieser "richtigen" Moral sahen, reflektierten sie jene Aktivierungsideen, die im gesellschaftlichen Diskurs als Stigmatisierungen von Faulheit oder mangelnder Motivation potenziell allen ALG II-Bezieher*innen begegnen können.26) Dabei identifizierten sie die "Anderen" – die Negativbeispiele – in ihrem sozialen Umfeld, um sich von diesen umgehend und aktiv zu distanzieren (SHILDRICK & MacDONALD 2013, S.291). Hier zeichnet sich die symbolische Gewalt der Aktivierungsideologie ab (LUDWIG-MAYERHOFER 2017; TRAUE et al. 2019), die es für die Subjekte notwendig macht, bestimmte Zuschreibungen und Stigmatisierungen zu reproduzieren und zu delegieren, da eine andere Form, ihnen auszuweichen, kaum möglich ist. Stigmatisierungen zu ignorieren oder einfach zu "übergehen" bedarf einer gesicherten Position, die viele Befragte im ALG II-Bezug und in Armutsnähe weder innehatten noch ohne Weiteres einnehmen konnten. Sie waren jedoch nicht bloße "Opfer" (siehe KNABE, BRANDT et al. 2018, S.206); sie nahmen, wie die Solidarisierungsidee oder die Inszenierung gezeigt hat, durchaus widerständige Positionen ein. Mit der anvisierten Solidarisierung stellte sich etwa Herr Triemel im Rahmen seiner Möglichkeiten gegen die soziale Wirksamkeit der Grenze Erwerbstätigkeit und betonte in der Umkehr die Gemeinsamkeit der versagten Anerkennung, die er als Missachtung deutete. In dieser Missachtung nahm er seine Stellung als deutlich prekär wahr und erfuhr das "Fördern und Fordern" als einseitiges Fordern ohne Förderung. Der in der Literatur beschriebene "Creaming and Parking"-Effekt (GREER et al. 2018),27) den er als "übrigbleiben" benannt hat, ließ für ihn eine Positionierung auf der "richtigen" Seite nicht zu. Mit der partiellen Aneignung und aktiven Inszenierung stand eine weitere Form des Stigma-Managements im Zeichen des widerständigen Handelns. Hier waren wie im Fall von Herrn Stein der Deutungskonflikt und die Handlungsermächtigung vordergründig bedeutsam. Die Zuschreibungen nahm er als Handlungsressource auf. Seine Konfrontation richtete sich dabei gegen die Stigmatisierungsinstanz Jobcenter28) und die Erziehungsagentur Sozialstaat (LESSENICH 2012, S.59ff.), durch die er ungerechtfertigt und ungerechterweise kategorisiert und stigmatisiert wurde. [34]

Mit dem Bürgergeldgesetz wurde eine sozialpolitische Reform des ALG II beschlossen. Seit Januar 2023 ist das Gesetz in Kraft, wird aber erst schrittweise implementiert. Versprochen wurden im Rahmen des Gesetzes ein "mehr an Respekt" und Begegnungen auf "Augenhöhe" (DEUTSCHER BUNDESTAG 2022a; siehe für eine kurze Übersicht: BECKMANN 2023). Die diskursive Begleitung stand dabei wie schon bei der Hartz-Gesetzgebung im Kontrast zu den Lebenswelten der Betroffenen. Inwiefern es sich um einen wirklichen Paradigmenwechsel handelt, ist in der Bewertung noch offen. Die ersten wissenschaftlichen Einschätzungen sind indes ernüchternd (BECKMANN 2023, BRUCKMEIER 2023). Aus den von den Interviewten gezogenen Grenzen und ihrem Umgang mit Stigmatisierungen lassen sich vorsichtig Hinweise für die weitere Implementierung ableiten sowie Themen, die adressiert werden müss(t)en, um einer Perspektive der Betroffenen gerecht werden zu können. Damit wäre die Möglichkeit verbunden, bestimmte Stigmatisierungserfahrungen zumindest abmildern zu können. Mit FRASERs (2005) Trias aus Repräsentation, Anerkennung und Umverteilung können die Themen analytisch geordnet werden:29) Die Delegation verweist darauf, dass es kaum eine erreichbare, anerkennungswürdige Position im ALG II-Bezug für die Betroffenen gibt, die entsprechend im (medialen und gesellschaftlichen) Diskurs auch repräsentiert respektive anerkannt wird ("Repräsentation" bei FRASER 2005, S.75). WRIGHT (2016) schlug bereits vor, aus den Erfahrungen ("lived experiences", S.235) der Betroffenen heraus die sozialpolitische Konzeption von Transferleistungsempfänger*innen zu überdenken. Damit würden die Betroffenen als aktive und handlungsfähige Subjekte adressiert werden können (die Anerkennungsdimension von FRASER 2005, S.73f.). Darüber hinaus müsste ihnen die materielle Ausstattung zur Umsetzung der Handlungsfähigkeit geboten werden ("Umverteilung", S.73), die jedoch schon bei dem "alten" ALG II – noch vor dem Bürgergeld – umstritten war (BRUCKMEIER 2023, S.86). Damit wäre prinzipiell eine Aktivierung als "Handlungsermächtigung" (MARQUARDSEN 2018, S.158) denkbar und würde die "absolutistische Logik" (GLOBISCH 2018, S.81) der Aktivierung überwinden.30) Im Weiteren wäre es fruchtbar, sich vergleichend mit den Stigmatisierungserfahrungen und dem individuellen Umgang erneut zu befassen, beispielsweise mittels eines qualitativen Panels (wie schon HIRSELAND, GRIMM & RITTER 2010 für das ALG II vorgeschlagen haben) in Lebensverlaufsperspektive,31) um den Veränderungen und Umdeutungen der lebensweltlichen Erfahrungen auf die Spur zu kommen. Bleiben die hier als Schlagworte skizzierten Aspekte hingegen ausgespart, droht der Reformprozess als simple Umbenennung erneut – wie schon bei den Hartz-Gesetzen – an Legitimität bei den Betroffenen zu verlieren. [35]

Danksagung

Ich danke Tanja PRITZLAFF-SCHEELE und den beiden anonymen Gutachter*innen für ihre hilfreichen Kommentare und Anmerkungen. Die von mir verwendeten Daten stammen aus dem Projekt Gerechtigkeitsvorstellungen von erwerbstätigen Arbeitslosengeld II-Beziehern (Aufstocker) (GEVOAB), das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und dem Fördernetzwerk Interdisziplinäre Sozialpolitikforschung (FIS) unter dem Kennzeichen FIS.00.00099.19 gefördert wurde.

Anmerkungen

1) Der Titel der Kommission, die die Vorschläge zum Abbau der Arbeitslosigkeit unterbreitet hat, war "Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt" (HARTZ et al. 2002). Sie wurde von Peter HARTZ geleitet, woraus sich der umgangssprachliche Name "Hartz IV" für das ALG II ableitete ("IV", weil es sich um das "Vierte[] Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt" handelte, DEUTSCHER BUNDESTAG 2003). <zurück>

2) Ein Überblick über die Maßnahmen der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik findet sich bei MARQUARDSEN (2007, S.264). Eine aktuellere Einschätzung zu den (In-)Kohärenzen des novellierten Sozialgesetzbuches (SGB) II findet sich bei FISCHER (2019). <zurück>

3) Die Eingliederungsvereinbarung ist als Vertrag mit beidseitigen Rechten und Pflichten konzipiert, wobei die tatsächliche Handlungsmöglichkeit der Erwerbslosen gering ist. Wird keine Übereinkunft getroffen, wird die Vereinbarung als Verwaltungsakt angeordnet (siehe zur Thematik auch TRAUE et al. 2019, S.172). Die Sanktionsmöglichkeiten reichen von Leistungskürzungen bis zum Verlust von Leistungsansprüchen, wobei letzterer 2019 vom Bundesverfassungsgericht für teilweise verfassungswidrig erklärt und bis auf Weiteres ausgesetzt wurde (DEUTSCHER BUNDESTAG 2022b). Das Sanktionsmoratorium galt ab Juli 2022 auf ein Jahr befristet. <zurück>

4) Employability meint die Beschäftigungsfähigkeit, also den Erfolg am Arbeitsmarkt. Dabei bildet die Erwerbsarbeit den normativen Referenzrahmen (GLOBISCH & MADLUNG 2017, S.326) der Aktivierung. <zurück>

5) "Diesen Konzepten [der neuen Reziprozität] zufolge stellt der Erhalt von Sozialleistungen primär eine Zumutung an die Gesellschaft dar; sie können daher grundsätzlich nur im Tausch gegen eigene Leistungen bezogen werden [...]" (LUDWIG-MAYERHOFER 2010, S.37). <zurück>

6) Auf die Konfrontation werde ich in Abschnitt 5.4 zurückkommen. <zurück>

7) DÖRRE et al. (2013, S.159) beschrieben beispielhaft die Inszenierung einer Leistungsbezieherin, die gegenüber ihrem Umfeld in der Nachbarschaft weiter einer Tätigkeit nachging und den ALG II-Bezug verschleierte, um so einer antizipierten Stigmatisierung zu entgehen. <zurück>

8) Im Forschungsprojekt waren mehrere Personen an der Konzeption beteiligt. Die Auswertung für diesen Beitrag habe ich allein umgesetzt. <zurück>

9) GÖTZENBRUCKER, GRIESBECK und PREIBISCH (2022) reflektierten verschiedene Erhebungsformen hinsichtlich ihrer Potenziale für Interviewpartner*innen aus vulnerablen Gruppen. Sie betonen u.a. die "Wahlmöglichkeit des Gesprächskanals“ (§43) als bedeutsamen Faktor für ein sensitives Forschungsvorhaben. Damit übereinstimmend haben wir im Projekt verschiedene Gesprächskanäle angeboten, sowohl digital wie auch in Kopräsenz (unter den jeweils möglichen Hygienebedingungen). <zurück>

10) Facebook, diverse Telegramm-Gruppen, Erwerbslosenforen in mehreren Regionen Deutschlands. <zurück>

11) Diese Strategie entspricht dem indirekten Rekrutieren durch "Selbstmeldung" der Interessierten (KOSCHMIEDER, WYSS & PFISTER 2021, §30). <zurück>

12) ULLRICH und SCHIEK (2015) reflektierten die Selektivität und Selbstrekrutierung in ihrem Beitrag zu Forumsdiskussionen im Internet. Das Internet ist als Zugangshürde im Falle der ALG II-Bezieher*innen nicht trivial, da der Internetanschluss aus dem Regelsatz bezahlt werden muss. <zurück>

13) Die verschiedenen Rekrutierungsmöglichkeiten haben KOSCHMIEDER et al. (2021) betrachtet. Für unsere Studie sind vor allem die Gatekeeper (§25) aufgrund der Pandemiesituation schwer erreichbar gewesen, wir haben daher auf Selbstmeldende (§30) zurückgreifen müssen. <zurück>

14) Mit Hilfe des Tools SoSci Survey erstellten wir eine Umfrage, in die die Interessierten ihre Kontaktwünsche eintragen konnten und über den Datenschutz informiert wurden. <zurück>

15) Den Interviewten stand es frei, für die Aufzeichnung die Videofunktion auszuschalten. Für die Auswertung wurden ausschließlich die Audiodateien extrahiert und von mir weiterverwendet. Die Interviewten wurden im Vorgespräch (vor der Aufzeichnung) ausführlich über den Umgang mit den Daten und den technischen Ablauf des Interviews unterrichtet. <zurück>

16) Wenn beispielsweise die Konditionalität, aber nicht das "Fördern und Fordern" erwähnt wurde, ergab sich die Möglichkeit einer Nachfrage zur Positionierung. <zurück>

17) Siehe für Überblicke zu Sekundäranalysen auch COLTART, HENWOOD und SHIRANI (2013) sowie MEDJEDOVIC (2011). <zurück>

18) Wie GEBEL (2022) betonte, ist für die Sekundäranalyse der "datafit“ (§12) zu prüfen, d.h., ob sich die Erhebungsmethode eignet und inwiefern die Trennung von Erhebung und Auswertung relevant ist. Die Daten, die ich verwende, habe ich im Rahmen des Forschungsprojekts GEVOAB selbst erhoben und die Auswertung durchgeführt. <zurück>

19) Die Ausgestaltung der sozialstaatlichen Beziehung hängt zum Teil von den Sachbearbeiter*innen/Arbeitsvermittler*innen ab. Da sie sich aber nur in einem bestimmten Ermessensspielraum bewegen können, bleibt der institutionelle Rahmen ein gemeinsamer Erfahrungsraum für die Transferleistungsbezieher*innen. <zurück>

20) Zu den Textsorten siehe NOHL (2012, S.42). Grundlegend lässt sich das konjunktive Wissen in Erzählungen und Beschreibungen des eigenen Handelns der Interviewten erschließen, während Stellungnahmen und Argumentationen zu eigenem und fremdem Handeln auf gesellschaftlich-geteiltes und damit kommunikatives Wissen verweisen (a.a.O.). <zurück>

21) Für das Narrativ der "nicht lohnenden Arbeit" siehe STEFFEN (2022, S.3). <zurück>

22) Die Namen der Interviewpartner*innen wurden von mir anonymisiert. Bei der Erstnennung ist ihr Alter in Klammern angegeben. <zurück>

23) Hinweis zu den Transkriptionssymbolen: "(1)" steht für eine Pause, wobei die Zahl in Klammern die Länge in Sekunden angibt. "@" symbolisiert ein Lachen beziehungsweise lachend gesprochene Worte. "@(1)@" bezeichnet ein Lachen, das durch eine Pause unterbrochen ist. "(Wort)-" stellt einen Wortabbruch dar. Wenn ein direkter Anschluss folgt, habe ich diesen angegeben. Auslassungen in den jeweiligen Wörtern habe ich mit einem einfachen Anführungszeichen angezeigt (nich'). <zurück>

24) In der "Schwarzarbeit" tritt ein Widerspruch zu den bekannten Vorwürfen der Faulheit zu Tage, der jedoch plausibel ist, wenn die Moral als leitend und Schwarzarbeit als unmoralisch bewertet wird. <zurück>

25) Hier deutet sich bereits an, welchen Gewinn eine intersektionale Betrachtung zusätzlich bringen könnte, die aber nicht Gegenstand dieses Beitrags ist. <zurück>

26) Wie LESSENICH (2003, S.218) es als latente Funktion der Aktivierung beschrieb: "[I]n der das öffentlich angekündigte ‘Dir werden wir helfen!‘ in den Ohren eines strukturell passivitätsverdächtigen Publikums mehr wie eine Drohung denn als Verheißung klingen muss." <zurück>

27) GREER et al. (2018, S.1429) definierten wie folgt "Creaming and parking is a kind of ‘adverse selection’ where clients are selected for assistance in inverse proportion to need." Daraus folgt für ALG II-Bezieher*innen, dass sie mitunter keine Unterstützung erhalten aufgrund von Vermittlungshindernissen ("parking"), während diejenigen, die gut vermittelt werden können, auch mit Unterstützung rechnen können ("creaming"). <zurück>

28) Wie MARQUARDSEN (2018) herausarbeitete, traten die Arbeitsvermittler*innen durchaus als Stigmatisierungsinstanzen auf, indem sie ihren Umgang mit den ALG II-Bezieher*innen mit deren Vermittlungshindernissen und ihrem individuellen Verhalten begründeten. <zurück>

29) FRASER zielte mit ihrem Ansatz auf eine grundlegende Konzeption von Gerechtigkeit ab. Diese Perspektive kann hier als Theoretisierung aufgegriffen werden, da – so die Annahme – damit eine überspannende Idee von Legitimität der sozialpolitischen Programmatik verbunden ist, die für die Betroffenen anschlussfähig sein kann. <zurück>

30) GLOBISCH fasste diese "absolutistische Logik“ wie folgt: "Ermöglichungsbedingungen für die Entwicklung von Fähigkeiten und Fertigkeiten [werden] nicht berücksichtigt" (2018, S.81). <zurück>

31) Mit meinen Ergebnissen habe ich eine intersektionale Perspektive gestreift, da Sorgearbeit und chronische Erkrankungen oder das Alter als Faktoren der Einschränkung der Erwerbsfähigkeit sich überschneiden und die Legitimität für den ALG II-Bezug – wie in der "Deservingness"-Forschung gezeigt wurde (HEUER & ZIMMERMANN 2020, S.390) – ungleich verteilt ist. Hier wäre denkbar, die Studie weiterzuführen und den Wechsel zwischen Erwerbsarbeit und Transferleistungsbezug in den Blick zu nehmen <zurück>

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Zum Autor

Sebastian JÜRSS ist Soziologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter am SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik der Universität Bremen. Seine Forschungsinteressen umfassen soziale Ungleichheit, Gerechtigkeitsvorstellungen, Stadtsoziologie und Methoden qualitativer Sozialforschung. Er promoviert zum Arbeitslosengeld II und den subjektiven Deutungen von ALG II-Bezieher*innen.

Kontakt:

Sebastian Jürss

Universität Bremen
SOCIUM Forschungszentrum für Ungleichheit und Sozialpolitik
Mary-Somerville-Straße 7, 28359 Bremen

E-Mail: s.juerss@uni-bremen.de

Zitation

Jürss, Sebastian (2024). Symbolische Grenzziehungen und Stigma-Management von ALG II-Bezieher*innen [35 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 25(1), Art. 3, https://doi.org/10.17169/fqs-25.1.4066.

Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research (FQS)

ISSN 1438-5627

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