Volume 9, No. 2, Art. 27 – Mai 2008

Die Show mit der Stimme: Eine [Au]/-[o]-tophonographische Parodie

David D.J. Sander Scheidt

Zusammenfassung: Entsprechend meiner Behauptung, dass die menschliche Stimme als Phänomen weder materialisiert noch lokalisiert werden kann, und zwar weder im (Stimmorgan des) Selbst noch im (Ohr des/der) Anderen, habe ich den Begriff [Au]/[o]-tophonographie als eine Bezeichnung für meine Untersuchung der Möglichkeiten erfunden, Subjektivität im Schreiben und in Schallperformances aufzuführen. In meiner performativen Epistemologie beziehe ich mich auf Theorien zur Performativität im dekonstruktivistischen Sinne (vgl. BUTLER 1993, 1997, 1999/1990; DERRIDA 1988/1972, 1997/1967, 2002/1981; SMITH 1995). Ich möchte über das Theoretische hinausgehend praktische und ästhetische Fragestellungen mit einbeziehen und Begriffe von "Selbst", "Publikum", "Stimme", "Schreiben" und "Kommunikation" hinterfragen. Die Show mit der Stimme ist ein Beispiel für diese Vorgehensweise. Ich parodiere den medizinisch-naturwissenschaftlichen Zugang zur menschlichen Stimme dadurch, dass ich einige seiner möglichen Erscheinungsweisen (die "normale", die "gestörte", die "homosexuelle" und die "transsexuelle" Stimme) als Audiokollage in Form eines Scheintutoriums präsentiere. Dadurch, dass ich Stimmaufnahmen aus verschiedenen Quellen, die gewöhnlich voneinander getrennt gehalten werden (z.B. die "Lehrstimme", die "Forschungsstimme", die "Künstlerstimme", die "Autobiografenstimme"), neu zusammenstelle und in neue Zusammenhänge bringe, schaffe ich einen Raum für eine multidisziplinäre und kreative Untersuchung des Phänomens Stimme.

Keywords: Stimme, Schreiben, Performativität, Kommunikation, Autobiografie, fictocriticism, Subjektivität, Publikum, Geschlecht

Inhaltsverzeichnis

1. Über die vertrackte Lage eines kreativen Schreibers, Schallperformers und Dekonstruktivisten, der in einer Stimmklinik arbeitet, die auf die Diagnostik und Behandlung der "transsexuellen Stimme" spezialisiert ist

2. Wie kann Stimme performativ geschrieben, wie kann Schreiben performativ phoniert werden?

3. Warum ich in einer [Au]/[o]-tophonographie meine Stimme nicht zeigen kann

Danksagung

Anhang

Anmerkungen

Literatur

Zum Autor

Zitation

 

1. Über die vertrackte Lage eines kreativen Schreibers, Schallperformers und Dekonstruktivisten, der in einer Stimmklinik arbeitet, die auf die Diagnostik und Behandlung der "transsexuellen Stimme" spezialisiert ist

In der Logopädie und in der öffentlichen Meinung ist es gängige Praxis, die Stimme im Körper zu verorten, der seinerseits als eine unhinterfragte außersprachliche Realität begriffen wird. Die Stimme wird als ein Organ verstanden, das in zwei geschlechtlichen Ausprägungen vorliegt, deren Eigenschaften als stabil und verallgemeinerbar angesehen werden: die weibliche/männliche Stimme besteht aus weiblichen/männlichen Stimmlippen und einem weiblichen/männlichen Vokaltrakt (vgl. z.B. COLEMAN 1983). Die Stimme wird als ein Produkt von zweigeschlechtlich organisierten Körpern angesehen. Sie wird so dargestellt, als ob sie das geschlechtliche Selbst der StimmerzeugerInnen zu den ZuhörerInnen befördern könnte, die dann in der Lage wären, "unsere Körpergröße, Gewicht, Gestalt, Geschlecht, Alter und Beruf und oft auch unsere sexuelle Orientierung" (KARPF 2006, S.10, meine Übersetzung) aus dem Stimmschall herauszulesen. Als Bestandteil der Diagnostikroutine in Stimmkliniken werden Stimmen in Tonaufnahmen festgehalten, die dann in jene Bestandteile zerlegt werden, die auf einfache Art und Weise gemessen werden können. Indem Schall von Wörtern, Stimmqualität von Tonhöhe, Behauchtheit von Rauheit getrennt und ihre akustischen und perzeptiven Eigenschaften mit Normwerten verglichen werden, werden die Evidenzen für die bereits bestehenden Diagnosen erzeugt und Stimmkategorien geschaffen: die "normale", die "gestörte", die "männliche", die "weibliche", die "homosexuelle" und die "transsexuelle" Stimme. Im Anschluss an die Diagnostik wird ein Therapieprogramm erstellt, um diejenigen Aspekte der Stimme einer Behandlung zuzuführen, die als von der Norm abweichend erkannt wurden. Dabei ist es das Ziel, die Grundfunktion der Stimme wiederherzustellen, nämlich "nicht nur sprachliche Bedeutung sondern auch Persönlichkeitseigenschaften und Emotionen" (TANNER 2006, S.181, meine Übersetzung) von SprecherInnen zu HörerInnen zu transportieren. [1]

Durch meine Arbeit als Praxisanleiter in einer Lehrstimmklinik, die auf die Diagnostik und Behandlung der "transsexuellen Stimme" spezialisiert ist, wurden mir die praktischen Konsequenzen eines rigiden Festhaltens an einem zweigeschlechtlichen biologischen Essenzialismus und an einem positivistischem Zugang zu Kommunikation, Forschung und klinischer Praxis bewusst. Meiner Erfahrung nach gehen wir in unserer Arbeit zu häufig auf eine Art und Weise vor, die die PatientInnen auffordert, akustische Normwerte zu imitieren, anstatt ihnen den Raum zu lassen, mit ihren Stimmen auf persönlich bedeutungsvolle Weise zu experimentieren. Wir scheinen uns auf die Beobachtung derjenigen Verhaltensweisen zu konzentrieren, die in unsere Diagnostikschemata, unsere Behandlungsprogramme und unsere Berichtvorlagen passen, um die vorhandenen Ressourcen so effizient wie möglich zu nutzen. Ich bin daher manchmal der Meinung, dass mein Arbeitsplatz besser umbenannt werden sollte. Und zwar entweder in "normative Abteilung für die Imitation von Idealvorstellungen vom anderen Geschlecht für Menschen mit abweichenden Genitalien" oder in "Abteilung für die wahre Personifikation von biologischem Essenzialismus" oder in "Abteilung für die Sprechpathologisierung von denjenigen, die unter der 'Matrix kohärenter Geschlechtsnormen' " (BUTLER 1999, S.23, meine Übersetzung) leiden. [2]

Da es in Kommunikationskliniken eine Vorstellung davon gibt, dass "Kommunikation" ein zu komplexes Geschehen ist, als dass es als Ganzes beobachtbar oder behandelbar wäre, werden KommunikationswissenschaftlerInnen von der Bürde, sich mit der Vertracktheit einer "holistischen" Perspektive zu beschäftigen, befreit und stattdessen dazu aufgefordert, sich auf die feineren Kategorisierungen zu konzentrieren. Unter dem Vorwand, ein spezialisierteres Angebot machen zu können, wird das komplizierte Ganze aus der Betrachtung ausgeschlossen. Stattdessen werden kleinstmaßstäbliche und beinahe ausschließlich experimentelle Analysen und Interventionen durchgeführt, die ein beeindruckendes Ausmaß an spezialisierten Fähigkeiten und Ausrüstung erfordern, wodurch KlinikerInnen eher als LaboringenieurInnen denn als GesprächspartnerInnen in Erscheinung treten. Deshalb laufe ich ständig Gefahr, bei der Vertiefung in verschiedenartige Analysen und Berechnungen den Überblick über das Ganze zu verlieren, und damit über den Kontext und die Gründe, warum jemand ursprünglich einen Termin bei mir haben wollte. Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, dass die Kommunikationswissenschaft in ihrer Besessenheit von Objektivität auch ohne die persönliche Begegnung mit den PatientInnen auskommen würde. Ich möchte außerdem anmerken, dass meine Disziplin, aufgrund ihrer ausschließlichen Beschäftigung mit der Seite der PatientInnen, dem Austauschaspekt von Kommunikation nicht gerecht wird: nicht nur wird der Beitrag der KlinikerInnen zu den bedeutungserzeugenden Vorgängen in einer klinischen Begegnung (in Form von Produktions-, Rezeptions-, Interpretations- und Zuschreibungsaktivitäten) vollständig außer Acht gelassen, sondern wir scheinen uns auch immun dagegen zu fühlen, dass die PatientInnen unsere Werkzeuge gegen uns verwenden und anfangen könnten, unsere eigenen Störungen, (Geschlechts-) Identitäten, Emotionen und (sexuellen) Vorlieben aus unseren Stimmen herauszuhören. [3]

Wenn ich meine "objektive" Perspektive kurzfristig aufgäbe und einen Blick auf mich selbst werfen würde, würde ich feststellen, dass ich nicht als eine reine Personifikation eines Gesundheitswissenschaftlers angesehen werden kann. Stattdessen habe ich mir, wie andere auch, während ich mein Leben innerhalb des diskursiven Rahmens lebe, der mir zur Verfügung steht, verschiedene Subjektpositionen "zusammengebastelt", deren Reibungsflächen, Kollisionen und Zusammenwirken ständig zahllose Szenarien von Durcheinander, Widersprüchlichkeit, Mehrdeutigkeit und Herausforderung bewirken. Die doppelte Art und Weise meiner kreativen Tätigkeit, die bewusst aus schriftlichen und klanglichen Aufnahmen besteht, drängt mich im Weiteren in die widerstreitenden Rollenzuschreibungen eines "Schriftstellers" und "Schalldarstellers". In meiner Rolle als Stimmforscher beziehe ich in der Diskussion um den Begriff der "Kommunikation" auf eine Art und Weise Stellung, die die Versuche anderer StimmforscherInnen zurückweist, zugunsten seiner alltäglichen oder naturwissenschaftlichen Konzeptionalisierung zu argumentieren oder den Begriff "Kommunikation" als etwas Selbstverständliches anzunehmen bzw. als eine gemeinsame Basis, auf die alle weiteren Wissensproduktionen aufbauen könnten. Indem ich, gegen den Strom, zugunsten einer Auffassung von Stimme als einem "performativen" Phänomen argumentiere (was ich im Weiteren tun werde), erzeuge ich eine weitere Dissonanz mit einem Diskurs, in dem die Stimme primär im als zweigeschlechtlich konstruierten Körper der Stimmerzeugenden verankert wird. [4]

Ein Verständnis der Show mit der Stimme als ein Beispiel dafür, was BAKHTIN "double-voiced discourse" (ACZEL 1998, S.480) nennt, wovon die "Parodie" eine Unterart ist, verringert nicht unbedingt die Schwierigkeiten, in die ich verwickelt bin. Gemäß dieser Perspektive soll die Parodie ein Text sein, in dem "die Sprechstimme einen anderen Diskurs besetzt und sich dann bewusst bezüglich der intendierten semantischen Richtung dieses Diskurses daneben benimmt" (ebd., meine Übersetzung). Als ein Verfechter der Dekonstruktion1) ist es für mich einerseits wichtig geworden, die grundsätzliche Unzugänglichkeit jener Intentionen zu betonen, die manche in einem Text zu finden scheinen, und andererseits hervorzuheben, dass es unmöglich ist, eine "semantische Richtung" eines Diskurses zu ermitteln und festzulegen. Als Logopäde, der sich gleichzeitig als Kulturwissenschaftler bezeichnet, als Alltagssprecher, -schreiber, -singer, -leser, und -zuhörer, der seine Subjektivität aus der Perspektive von verschiedenen Lebensaltern dargestellt hat, der in die Rollen von verschiedenen Geschlechtern gedrängt wurde und den regulativen Praktiken verschiedener Sprachen und kultureller Konventionen ausgesetzt ist, ist es unmöglich für mich, die widerstreitenden Stimmen auseinanderzuhalten, nur eine als meine eigene anzunehmen, und dieser als einzigen (durch mein Bewusstsein kontrollierte) Autorität zu verleihen. [5]

2. Wie kann Stimme performativ geschrieben, wie kann Schreiben performativ phoniert werden?

Als ich anfing, die Eignung und ethische Legitimation des medizinisch-naturwissenschaftlichen Zugangs zur menschlichen Stimme infrage zu stellen, begann ich zeitgleich, mich mit einem anderen Problemkreis zu beschäftigen. Es ging mir darum, auszuprobieren, wie ich auf eine Art und Weise schreiben könnte, die eine radikale Herausforderung darstellen könnte für etwas, das mir wie eine Verschmelzung von einem positivistischem Paradigma, einer positivistischen Forschungsmethode und Präsentationspraxis erschien. Während ich mich von dem Realismus, Objektivismus und Quantitativismus meiner Disziplin abwandte, begann ich, über verschlungene Pfade mit einer Art "hybridisiertem Schreiben" (NETTELBECK 1998, S.3, meine Übersetzung) zu liebäugeln, das, weil es "'Kreatives' und 'Kritisches' zusammenbringt" (ebd., S.4, meine Übersetzung) und "fiktionale und poetische Strategien verwendet, um theoretische Fragen zu inszenieren" (GIBBS 2003, S.309, meine Übersetzung), auch als "fictocriticism" bezeichnet wird (vgl. z.B.: KERR & NETTELBECK 1998; GIBBS 2003; HECQ 2005). Dieser Ansatz mit seinem "Fokus auf der Erzeugung anstatt auf der Erklärung von 'Bedeutung'" (NETTELBECK 1998, S.2, meine Übersetzung) ermöglicht es mir, jene Fragen "sowohl zu theoretisieren als auch zu inszenieren" (GIBBS 2003, S.309, meine Übersetzung), die für meine Untersuchung eine Rolle spielen. Auf den Punkt gebracht handelt es sich bei meiner Arbeit um eine Untersuchung jener Komplexitäten, die ein Zugang zur Produktion von Texten und von Subjektivitäts-Inszenierungen mit sich bringt, der nicht so ohne Weiteres in den vorhandenen akademischen und literarischen Bezugssystemen lokalisiert werden kann. Durch das ihn ausmachende "Interesse an Reflexivität, an Fragmentarischem … an Intertextualität … am Aufbiegen von narrativen Begrenzungen und am Hybridisieren von Genres" (NETTELBECK 1998, S.3, meine Übersetzung) eröffnet fictocriticism einen geeigneten Raum für die mysteriösen Kakophonien der menschlichen Stimme. Im fictocriticism geschieht, wie NETTELBECK behauptet, eine "Bewegung zwischen den Polen von Fiktion ('Erfindung'/'Spekulation') und Kritik ('Deduktion'/'Explikation'), von Subjektivität ('Innerlichkeit') und Objektivität ('Äußerlichkeit')" (ebd., S.3-4, meine Übersetzung). Jenes Verschwimmen von Unterschieden und Gegensätzen wird

"nicht nur durch das irreguläre Eindringen einer schwer zu fassenden Subjektivität (das Subjekt, 'das "ich" sagt') sondern auch durch verschiedene andere Hilfsmittel, die Mehrdeutigkeiten in den Text einführen [bewirkt]. Mit Metapher und Metonymie zu spielen, intertextuelle Echos und Analogien zu entfalten, auf einen parallelen Text zurückzuschreiben auf eine Art und Weise, in der man sich auf diesen abwesenden Text bezieht, aber die interpretative Geste vermeidet: Dieses sind alles Hilfsmittel, die auf das simultane Auftreten von mehr als einer Lesart hinweisen. Dies legt nahe, dass fictocriticism nicht nur ein 'Genre' ist, sondern mehr als das; es ist eine Art des Sprechens, ein Verfahren der Performance" (ebd., S.5-6, meine Übersetzung). [6]

Auf der einen Seite scheint fictocriticism für meine Untersuchung das "Verfahren der Performance" par excellence zu sein, weil es vom Zwang zur Abstraktion und zum "Widerhallen" von Abstraktionen befreit und von der Erwartung zu erklären und zu klassifizieren, was nicht geklärt und kategorisiert werden kann. Auf der anderen Seite scheint es dennoch die Materialisierung von Schreiben im traditionellen Sinne zu erfordern, also die Erzeugung einer Ansammlung von gedruckten Buchstaben auf Papier, was diesen einen Anschein von Stabilität und Dauerhaftigkeit verleiht. Da der Begriff "Stimme" [voice] jedoch tendenziell Bezüge zu dem Begriff "Schall" [sound] aufweist, der im Allgemeinen als jene Empfindung verstanden wird, "die im Hörorgan produziert wird, wenn die umgebende Luft auf eine Art und Weise in Schwingung versetzt wird, dass dieses angeregt wird" (THE OXFORD ENGLISH DICTIONARY ONLINE 2007, meine Übersetzung), erkläre ich die fiktokritische Schallperformance zum "Königsweg" der Phonographie (vgl. Die Show mit der Stimme als Beispiel für dieses "Genre"). [7]

Zusammenfassend besteht mein Projekt darin zu untersuchen, wie ich Stimme als subjektiven und, wie ich weiter unten ausführen werde, als "autobiografischen" Schall schreiben könnte. Da mein Ansatz darüber hinaus auf seltsame Weise derart angetrieben wird, dass er weder als Kunstform noch als Forschungsmethode typisiert werden kann, erscheint mein Vorhaben aus klinischer, naturwissenschaftlicher und Alltagswissensperspektive als paradox. Denn müssen wir nicht annehmen, dass es essenziell sei, zwischen "sprechen", "Stimme", "schreiben", "lesen", und "(zu)hören" als "Kommunikationsmodi" zu unterscheiden und uns darüber hinaus auf die Erforschung einer dieser Modalitäten zu spezialisieren, um innerhalb der verfügbaren Rahmen für Wissensproduktion erfolgreich tätig zu sein? Und widerspricht es nicht der akademischen Erwartung, sich auf die Sensibilitäten der "subjektiven Stimme" zu spezialisieren, anstatt dem angeblich Messbaren, Allgemeinen und Zugänglichen den Vorrang zu geben? Wenn ich mich im Weiteren auf eine Untersuchung der "autobiografischen Stimme" festlege, impliziert dies nicht eine Mobilisierung des Konzepts der "Erzählstimme", die als "metaphorische Stimme" [narrative voice] in der Regel als "frei von jeglicher materieller Referenz" (vgl. GIBSON 2001, S.640, meine Übersetzung) verstanden wird, und als solche ohne die Aktivierung der "Stimme im wörtlichen Sinne" jener Schallperformances auskäme, die ich als die geeignetste Version meiner Arbeit ansehe? Und werden wir nicht darüber hinaus fortwährend an die klaffende Entfremdung zwischen der Welt der Kunst und der Universität erinnert, so dass mein Ansatz, der die Perspektiven sich überlappen und die Methoden sich mischen lässt, unglaubwürdig, wenn nicht sogar unwissenschaftlich erscheint? [8]

Die Frage danach, wie Stimme geschrieben bzw. wie Schreiben auf eine Art und Weise phoniert werden könnte, die über die rivalisierende Hierarchie zwischen den verschiedenen Formen der Kommunikation hinausgehen könnte, wie sie von TheoretikerInnen auf dem Hintergrund verschiedener akademischer Disziplinen nahegelegt wird, führt zu dem Problemkreis "Kommunikation" selbst. Wenn ich DERRIDAs Argumentation folge, bin ich geneigt zu fragen, wie ich auf eine Art und Weise schreiben könnte, die diesen Begriff in seiner Überlegenheit als das Konzept eines "Transportmittels oder Übertragungsmediums einer … vereinheitlichten Bedeutung" (DERRIDA 1988, S.1, meine Übersetzung) destabilisieren und ablösen könnte. Wie könnte mein Schreiben also zu einer Befreiung des Begriffes "Stimme" von seiner geerbten Fessel einer vereinfachten Bedeutungstheorie beitragen, die aufgrund ihrer unflexiblen Normativität den Phänomenen, die sie angeblich nur repräsentiert, eine Form von Gewalt zufügt? Hier erscheint ein weiterer Hinweis auf die ethische Dimension meines Projektes, die besonders deutlich wird, wenn berücksichtigt wird, dass der Begriff der Stimme (als Schall) in einer dreifachen Weise gebunden scheint: nicht nur an die Vorstellung einer unkomplizierten Beförderung von Botschaften, sondern auch und insbesondere an Vermutungen über den als zweigeschlechtlich konstruierten Körper und an die Vorstellung vom Selbst, das als sein Kern angesehen wird. [9]

Anders gesagt würde ich es für wichtig halten zu fragen, ob "gesprochene Kommunikation", die oft als selbstverständliche Bedeutungslieferantin missverstanden wird, nicht eher bescheiden in Zusammenhang mit jenen Praktiken gebracht werden sollte, die RÉE "Konversation" nennt; "Diskussionen, die im Medium des Sprechens stattfinden, und die aus Sequenzen, Überlappungen und Vermischungen von stimmlich artikulierten Äußerungen bestehen" (2001 S.789, meine Übersetzung). Wenn daher der Begriff der "Kommunikation" zu einem Set von Aktivitäten dekonstruiert wird, das aus dem Hin-und-Her-Transport von Luftmolekülschwingungen zwischen GesprächspartnerInnen besteht, wenn es "sprechen" genannt wird, und das aus verschiedenen Arten von Arm-, Hand- und Fingerbewegungen besteht, wenn es "schreiben" genannt wird, und das aus einer Kombination aus Ersterem und Letzterem besteht, wenn es "Stimme" in ihren verschiedenen Erscheinungsformen genannt wird, dann wird Folgendes deutlich: Es lässt sich keine einfache Verbindung zwischen diesen Ereignissen zu Begriffen von "Selbst", "Erfahrung" oder "Bedeutung" finden, die darüber hinaus noch so verstanden werden, als ob sie (unverändert) mit Hilfe jener Aktivitäten übermittelt werden könnten. Anders gesagt scheint es eher so zu sein, dass die Problemkreise "Subjektivität", "Objektivität" und "Bedeutungserzeugung" nicht unabhängig voneinander angegangen werden können, da sie alle verwickelt sind mit der schwierigen Frage nach den Effekten des Gebrauchs von Sprache in menschlichen Begegnungen. [10]

Ich werde in diesem Aufsatz versuchen, eine Wiederholung der Fallstricke eines wissenschaftlichen Essenzialismus und jener Sackgassen in Gestalt von Konzepten von "Schreiben" und "Stimme" als Beispiele für lesbaren "Selbstausdruck" zu vermeiden. Daher schlage ich eine Form von Textproduktion vor, die – in der Nachfolge von DERRIDA – das, was traditionell als "Kommunikation" verstanden wird, mit einem neuen Konzept des Schreibens ersetzt, das "das Konzept Sprache überschreitet und einschließt" (1997, S.8, meine Übersetzung). Am Rande sei hier bemerkt, dass es dieses Postulat einer "allgemein graphematischen Struktur jeder Art von 'Kommunikation' " (1988, S.19, meine Übersetzung) ist, das als der Hauptstreitpunkt verstanden werden kann, der die Theorie der Performativität im dekonstruktivistischen Sinne, auf die ich mich in diesem Aufsatz beschränke, von AUSTINs Konzept des "Performativen" unterscheidet (vgl. DERRIDA 1988, für eine detaillierte Diskussion und AUSTIN 1976/1962). Wenn DERRIDA den Begriff "Kommunikation" und seine Unterkategorien durch "Schreiben", wie er es versteht, ersetzt, dann ist dieses Schreiben nicht länger auf eine bewusstseinsgesteuerte Aktivität begrenzt, die von Individuen verfolgt wird, die Buchstaben auf Papier bringen. Stattdessen wird "graphematisch" zu einem Begriff für das, was er als die allgemeinen Bedingungen der Bedeutungserzeugung ansieht, Bedingungen, die sich als inkompatibel mit der Art und Weise, in der "Kommunikation" gewöhnlich verstanden wird, herausstellen. Was sind die Eigenschaften dieses "Graphems", das von nun an auch die Eigenschaften des "Phons" und des "Phonems" bestimmen wird, und dessen, was gewöhnlich als andere Modi von verbalem und nonverbalem "Austausch von Botschaften" oder "Informationstransport" verstanden wird? [11]

Für DERRIDA bedeutet Schreiben, "eine Marke zu produzieren, die eine Art Maschine konstituieren wird, die ihrerseits produktiv ist … und die Dinge und sich selbst dafür anbietet, gelesen und umgeschrieben zu werden" (1988, S.8, meine Übersetzung). Entsprechend dieser Perspektive funktioniert jegliche Form der Zeichenproduktion jenseits der Anwesenheit der SenderInnen, der EmpfängerInnen und des ursprünglichen Kontexts von Äußerungen, unabhängig davon, ob dieser Kontext als " 'real' oder 'sprachlich'" (ebd., S.9, meine Übersetzung) gilt. Es ist ein wichtiger Aspekt der Dekonstruktion von "Kommunikation", dass Abwesenheit Anwesenheit ablöst als einen der Schlüsselaspekte des Schreibens. Durch diesen Schritt wird jegliche Selbstverständlichkeit, die "Kommunikationspraktiken" und ihren möglichen Effekten anhaftet, entfernt. Der Text (der jetzt ein Schreibgewebe im DERRIDAschen Sinne geworden ist) zeigt sich als eine frei-flottierende Schwingung, die an nichts und niemanden gebunden ist. Er wird zu einer Bewegung, zu der alle TeilnehmerInnen eines Diskurses Zugang haben, einem Stoff, der auf verschiedene Weise und für verschiedene Zwecke genutzt werden kann, für die es kein richtig oder falsch und keine Begrenzung gibt. Niemand kann den Text als Eigentum beanspruchen oder behaupten, dass er oder sie dessen einzig wahre Lesart liefern könnte. Wie ich später weiter diskutieren werde, kann dieser neue Begriff vom Schreiben nicht als ein Verfahren des "Selbstausdrucks" verstanden werden, weil der Text als immun gegenüber der Einspeisung von "Identitäten" oder anderen Formen von imaginierter Selbst-Gegenwart angesehen wird (zum Beispiel ist kein "männliches" oder "weibliches" Schreiben mehr möglich). Weil der Text als bedeutungsfrei angesehen wird, ist es nur noch möglich, ihm Sinn zuzuschreiben, was jedoch nicht mehr als ein passives Sich-Aussetzen oder als eine transparente Übersetzung verstanden werden kann. Was auch immer wir aus dem Text machen, ist ein Tun, das, wie ich später zeigen werde, weder umfassend begriffen werden kann, noch als eine bewusste Handlung oder als etwas, das wir kontrollieren könnten. [12]

Die graphematische Marke ist des Weiteren durch die "Möglichkeit der Loslösung und der Aufpfropfung" (DERRIDA 1988, S.9, meine Übersetzung) strukturiert: sie kann aus einem Kontext herausgenommen und in andere Kontexte eingefügt werden. Anstatt als durch die Hand und den Verstand einer Autorin oder eines Autors kontrollierbar verstanden zu werden, wird Schreiben als ein "ankerloses Treiben" konzipiert, das nach Belieben ausgeschnitten und eingefügt werden kann, und das dadurch, dass es einer ständigen Kontextveränderung ausgesetzt ist, sich in kontinuierlicher Metamorphose befindet. Dementsprechend versteht DERRIDA diese Zitierbarkeit oder Wiederholbarkeit, die er die "Iterabilität" des Schreibens nennt, entsprechend einer "Logik, die Wiederholung mit Alterität verbindet" (1988, S.7, meine Übersetzung). Oder wie KRÄMER es ausdrückt: "Jede durch raum-zeitliche Verschiebung charakterisierte Wiederholung eines Zeichens impliziert zugleich sein Anderswerden; Repetition und die Erzeugung von Differenz verschränken sich" (2004, S.16). Anders dargestellt funktioniert für DERRIDA Iterabilität als eine "zerbrechende Kraft ... deren Historizität und deren ungewisse Implikationen Identität von innen zersprengen"(KIRBY 2006, S.96, meine Übersetzung). Es existieren "Störungszonen ... innerhalb jeden Aspekts der Sprache [und innerhalb jeder Erfahrungsmodalität], weil es keine ursprüngliche Kohärenz gibt, die vor diesem 'Aufbrechen' durch die Sprachoperation bestanden hätte" (ebd., S.97, meine Übersetzung). Dadurch, dass Schreiben durch Abwesenheit und Iterabilität strukturiert ist, erscheint es DERRIDA in einem weiteren Schritt als "eine systematische Produktion von Unterschieden, als die Produktion eines Systems von Unterschieden ... [als] différance" (DERRIDA 2002, S.28, meine Übersetzung), als eine Bewegung, in der "der Bezug zur Anwesenheit, die Referenz zu einer gegenwärtigen Realität, zu einem Sein – immer aufgeschoben sein wird" (ebd., S.29, meine Übersetzung). [13]

Als eine Konsequenz dieses Verständnisses von Schreiben als différance, das "jede Marke, auch die oralen, zu einem Graphem macht" (DERRIDA 1988, S.10, meine Übersetzung), kann "Stimme" nicht länger als eine außersprachliche, indifferente Übersetzungsinstanz einer "natürlichen Realität" verstanden werden, sondern wird als ein technisches und künstliches Hilfsmittel exponiert, das "kulturelle" Ereignisse produziert. Da différance, das "Spiel der Unterschiede" (DERRIDA 2002, S.26, meine Übersetzung), allem vorangeht und alles strukturiert, erweist sich die Stimme als ein Schall, der von der Illusion einer stabilen Anwesenheit des Körpers und der Identität der Stimmerzeugerin oder des Stimmerzeugers abgetrennt ist. [14]

Lassen Sie uns als ein Beispiel die folgende Rekonstruktion eines kurzen Gesprächs mit meinen Eltern betrachten, das aufkam, als ich ihnen den Anfang der Show mit der Stimme vorspielte:

Meine Mutter:

"Wer spricht denn da?"

Ich:

"Ich."

Meine Mutter zu meinem Vater:

"Hättest Du gedacht, dass er das ist?"

Mein Vater:

"Na klar. Hast Du das nicht verstanden? Er hat uns doch gesagt, dass er eine Autobiografie schreibt, dann muss er das doch sein."

Meine Mutter:

"Bist Du das wirklich, David?"

(Während die Show weiterläuft, unterbricht meine Mutter immer wieder, indem sie murmelnd sagt: "Das hätte ich nie gedacht, dass du das bist.")

Ich sehe diese Szene als eine Bestätigung meiner dekonstruktiven Perspektive zur menschlichen Stimme. Denn was bleibt von meiner Stimme, wenn es misslingt, mich durch sie im Ohr meiner Mutter zu repräsentieren, und wenn ich meinen Vater dabei beobachten muss, wie er die nicht auszusprechende Bezeichnung für meine Arbeit zunächst missversteht und sich dann abmüht, meine Stimme mithilfe einer entsprechend fehlgeleiteten theoretischen Herleitung zu rekonstruieren? Wie kann ich selbstbewusst behaupten, identisch zu sein mit einer Schallkollage, die ich aus verschiedenen Quellen und zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort zusammengebastelt habe als die hier gemeinten zehn Minuten, auf die ich mich in diesem Abschnitt dieses Aufsatzes beziehe? Wie kann ich etwas "meine Stimme" nennen, wenn diejenigen, die ihr Playback anhören, mich nicht als denjenigen erkennen, der aus dem Durcheinander der Schwingungen, die die Luft zwischen uns aufwühlen, hätte auftauchen sollen? Zugegebenermaßen habe ich in der "Show mit der Stimme" dasjenige übertrieben, was die Stimme zum Graphem macht: Dadurch, dass ich weitschweifig aus wissenschaftlichen Texten2) und auch aus den Informationsbroschüren zweier meiner Körperpflegeprodukte zitiert habe, habe ich meine Tendenz offenbart, Sprache – wie AUSTIN es ausgedrückt hat – "nicht ernsthaft, sondern auf verschiedene Weise parasitisch, im Vergleich zu ihrem normalen Gebrauch, zu gebrauchen – auf eine Art und Weise, die unter die Lehre der Auszehrung von Sprache fällt" (1976, S.22, meine Übersetzung). Indem ich meine Aufnahmen digital manipuliert habe, und indem ich die eingebaute "text-to-speech-Stimme" meines Computers eingesetzt habe, habe ich zusätzlich die grundsätzliche Unentwirrbarkeit der Stimme von "Kultur, Technik, und Künstlichkeit" (DERRIDA 1997, S.15, meine Übersetzung) herausgestellt und sie somit als "somatechnisches"3) Ereignis dargestellt. Dadurch, dass ich in einer Sprache gesprochen habe, die nicht meine Muttersprache ist, habe ich einen weiteren "Zwischenraum" [spacing] (DERRIDAs Begriff für den Prozess der Trennung von jeglicher Form von gegenwärtiger Referenz) zwischen meine "Identität" und "meine" Stimme eingefügt. [15]

Meine Schallperformance kann daher als eine praktische Umsetzung meiner theoretischen Perspektive verstanden werden, die folgendermaßen zusammengefasst werden kann: Was wir tun und bewirken, wenn wir miteinander sprechen und wenn wir schreiben und lesen, kann nicht als Beispiel für eine Beförderung ("Kommunikation") oder für einen unkomplizierten Austausch von Botschaften (Einheiten, die mit stabilen Bedeutungen gefüllt werden können, die bei ihrer Ankunft "ausgepackt" werden können) zwischen SprecherIn und HörerIn, SchreiberIn und LeserIn verstanden werden. Stattdessen werden Bedeutungen ständig beim Sprechen, Hören, Schreiben und Lesen erzeugt, und da diese Aktivitäten manchmal gleichzeitig, manchmal zeitverschoben geschehen, und da sie sicherlich Aktivitäten sind, die verschiedene Subjekte, Themen und Diskurse einbeziehen, können wir nicht annehmen, dass sie stabile und konsistente Auswirkungen haben werden. Darüber hinaus behaupte ich, dass die sprachlichen Praktiken der Bedeutungserzeugung, des Der-Welt-einen-Sinn-geben, wörtlich verstanden werden müssen als Operationen, die in ihrem Vollzug Bedeutung erzeugen und Welt erschaffen, und die daher nicht als Handlungen verstanden werden können, die einfach auf vorbestehende, außersprachliche Phänomene referieren oder diese repräsentieren oder transportieren könnten. Durch diese Reartikulation erweist sich "Kommunikation" als eine Produktion von instabilen, unvorhersehbaren, vorübergehenden Ereignissen, als ein Beispiel für die Verfahren und die Funktionsweise von Performativität. Die Performativitätstheorie, die ich hier mobilisiere, macht einen wichtigen Schwerpunkt meiner Untersuchung aus. Ich werde immer wieder darauf zurückkommen, wie dieser Begriff in dekonstruktivistischem Sinne verstanden werden kann, und wie dieser spezielle Ansatz zur Kulturwissenschaft reiche Ressourcen für die erneute Untersuchung jener Begriffe beitragen kann, die uns so vertraut geworden sind, dass sie entweder gar nicht hinterfragt werden, oder nicht so gründlich, wie sie hinterfragt werden müssten. Entsprechend der performativen Perspektive, die ich für meine Arbeit angenommen habe, werde ich argumentieren, dass jene Phänomene, die wir gern als stabile, selbstverständliche Erscheinungsformen der Realität ansehen, von denen wir denken, dass wir uns auf sie verlassen könnten als vertraute Werkzeuge, die wir zu weiterer Wissensproduktion einsetzen könnten, wie z.B. unser Selbst, unser Geschlecht, unsere Stimmen, die Texte, die wir schreiben, dass jene Phänomene also eher als etwas angesehen werden müssen, das weder gepackt noch begriffen werden kann. Stattdessen handelt es sich um Ereignisse, die außer Kontrolle geraten sind und insbesondere, gemäß BUTLER, um Produkte derjenigen regulatorischen Praktiken, "durch die Diskurse jene Effekte produzieren, die sie benennen" (1993, S.2, meine Übersetzung). [16]

Als ein Phänomen, das "von [seiner] Reduktion auf die Repräsentation von Wirklichkeit befreit" (KOLESCH 2004, S.24) ist, verliert die Stimme ihre Brauchbarkeit für naturwissenschaftliche Bestrebungen, da deren diagnostische Werkzeuge sie nicht zu fassen bekommen können. Stattdessen erscheint die Stimme, weil sie als ein inszeniertes Geschehen offenbart wurde, als "performatives Phänomen par excellence" (KOLESCH & KRÄMER 2006, S.11), das – ebenso wie andere performative Ereignisse – "die Identität, die es vorgeblich ist, konstituiert" (BUTLER 1999 S.33, meine Übersetzung). Einmal befreit von ihren "metaphysischen Vereinnahmungen" (KOLESCH 2004, S.19) verwandelt sich die Stimme zu einer "paradigmatische[n] Figur der Transgression" (ebd., S.23), die aufgrund ihrer Flüchtigkeit nur "im beständigen Verschwinden" (ebd., S.19) existiert. [17]

Daher scheint es so zu sein, dass die Stimme – wenn überhaupt – nur als vibratorische Kraft zu beschreiben ist, die kontinuierlich dasjenige destabilisiert und in Bewegung versetzt, das ihr begegnet (Stimmlippen, Luftmoleküle, Trommelfelle, Haarzellen des Innenohrs, Gehirnzellen, Gedanken, Emotionen, Worte, Diskurse, Politik). Sie verwirrt durch ihre Ungreifbarkeit, aber ermuntert durch ihre Unkonventionalität und ihren drive. Wird sie als ein performatives Phänomen verstanden, hat sie die Macht, diejenigen Kategorien und Gegensätze, die in den traditionellen Diskursen zur Frage der menschlichen Kommunikation von zentraler Bedeutung sind zu durchkreuzen. Mein Projekt erweist sich daher hauptsächlich als ein Infragestellen der Schreibmethode und der Schreibbarkeit von Phänomenen, die, wie die Stimme, nicht als außerhalb der komplexen Bewegung von Textproduktion gedacht werden können. [18]

3. Warum ich in einer [Au]/[o]-tophonographie meine Stimme nicht zeigen kann

Aufgrund einer möglichen Irreführung durch den Gebrauch der Bezeichnung "[Au]/[o]-tophonographie" – ein Begriff, der leicht als "Autobiografie" missverstanden werden könnte, wenn man ihn ausspräche (wie oben geschehen) – könnten ZuhörerInnenschaften es für angemessen halten, meine Arbeit nach Informationen über mein "Selbst" abzusuchen. Außerdem könnten sie möglicherweise erwarten, dass die Bedeutung dessen, was sie dann als meine Versuche des "Selbstausdrucks" verstünden, entweder direkt in ihre Gehirne geliefert4) würde oder – falls es sich um aus ästhetischer Sicht anspruchsvollere Arbeiten handelt – dass sie zwischen den Zeilen lesen müssten, wer ich bin und was ich über mich sagen will. Idealerweise, so könnten sie vielleicht denken, würden sie einen Aufsatz im Internet finden, in dem ich meine Arbeit erkläre und damit auch mich selbst. Leider kann ich dies hier nicht leisten. [19]

Der Hauptgrund für mein Unvermögen, meine Arbeit und mich zu repräsentieren, ist, dass ich das, was als "mein" Handeln und Sein erscheint, im Allgemeinen nicht als externe Phänomene begreife, auf die ich einfach referieren könnte, sondern als Prozesse, deren Effekte mit Textproduktion verflochten sind und die daher, wie oben erwähnt, als nicht repräsentierbare, "performative" Ereignisse angesehen werden müssen. In diesem Abschnitt möchte ich diese Perspektive insbesondere auf den Problemkreis der "[Au]/[o]-tophonographie" anwenden. Der Vorteil dieses Begriffs im Hinblick auf mein kritisches Unterfangen ist, dass er weder sofort verständlich noch leicht auszusprechen ist. Wenn man versuchen würde, diese stark zitierende und pervertierende Wortkonstruktion zum ersten Mal auszusprechen, dann würde man sie wahrscheinlich in Teile zerlegen müssen und so etwas Ähnliches sagen wie: Auto/oto/phono/graphie. Aber, wie wir sehen können, das Übertragen jener Grapheme in gesprochene Sprache – ob als Ganzes kaum verständlich gemurmelt oder analysiert in Fragmente, die einfacher gesprochen werden können – trägt nicht zur Erzeugung einer eindeutigen Bedeutung bei. Selbst wenn wir aus dem Altgriechischen übersetzen zu Selbst/Ohr/Stimme/schreiben, schreibt diese Ansammlung von Wörtern nicht ihre Essenz in unsere Gehirne hinein. Das ist unbequem, aber nicht unsere Schuld. [20]

Wir können nicht davon ausgehen, dass die [Au]/[o]-tophonographie als eine deutlich künstliche, technische und kulturelle textliche Konstruktion und kritische Praktik einen einheitlichen Bedeutungskern in sich trägt, der sich uns, die wir nur unsere Sinne öffnen müssten und diese "Wahrheitserscheinung" einfach einwirken lassen müssten, einstimmig offenbaren würde. Wie BARTHES schreibt, "[e]in Text ist aus vielfältigen Schriften zusammengesetzt, die verschiedenen Kulturen entstammen und miteinander in Dialog treten, sich parodieren, einander in Frage stellen" (2002, S.109), und beinhaltet als solcher nicht "einen einzigen, irgendwie theologischen Sinn … (welcher die 'Botschaft' des AUTOR-Gottes wäre)" (ebd., S.108), der entziffert oder von A nach B transportiert werden könnte. Diese Argumentation begrenzt die Möglichkeiten eines vereinfachten Verständnisses des Prozesses der Bedeutungserzeugung in Textproduktion und -rezeption und daher in Schreiben und Lesen, Sprechen und Zu(hören), in der Konversation, in der Kommunikation. Stattdessen offenbart BARTHES Uneindeutigkeiten, Instabilitäten und Widersprüchlichkeiten in einem Bereich menschlicher Erfahrung, dessen reibungsloses Funktionieren weitestgehend als selbstverständlich angesehen wird. [21]

Auf ähnliche Art und Weise hinterfragt SMITH die allgemein verbreitete Annahme eines unkomplizierten Verhältnisses zwischen Begriffen von "Selbst" und autobiografischem Schreiben. Sie schreibt:

"Das 'Selbst', das so oft in 'Selbst-Ausdrucks-Theorien' der Autobiografie heraufbeschworen wird, ist nicht ein Substantiv, ein Ding, das darauf wartet, durch den Text materialisiert zu werden. Es gibt kein essenzielles, originäres, kohärentes autobiografisches Selbst … das irgendwo 'innerhalb' des erzählenden Subjekts lokalisiert wäre … [und] das auf die Überführung zu einer Oberfläche wartet" (1995, S.17, meine Übersetzung). [22]

So wie der Text für BARTHES "nur im Rahmen einer Produktionsaktivität erfahren werden kann" (1977, S.157, meine Übersetzung), existiert das Selbst für SMITH nicht vor dem Schreiben, sondern es entsteht während des Schreibens, durch den Gebrauch von Sprache. Sie schreibt: "Narrative Performativität konstituiert Innerlichkeit. Das bedeutet, dass das Innenleben oder Selbst, das angeblich vor dem autobiografischen Ausdruck oder der [autobiografischen] Reflexion existiert, als ein Effekt des autobiografischen Erzählens anzusehen ist" (1995, S.18, meine Übersetzung). [23]

Wenn ich das Selbst, meinen "Auto"-Part, als einen sprachlichen Effekt begreife, dann kann ich nicht im vorhinein wissen, was ihn ausmacht, ich werde tatsächlich niemals in der Lage sein, ihn zu determinieren, weil er immer "im Entstehen" sein wird. Das, was ich tun kann, ist, mich immer wieder zu fragen: Wie entsteht das – notwendigerweise flüchtige – autobiografische Subjekt? Als eine Konsequenz dieses radikalen Infragestellens jeglicher Form von einheitlicher, stabiler und kohärenter Subjektposition zersprengt die performative Perspektive den "autobiografischen Kontrakt" (vgl. LEJEUNE 1982, meine Übersetzung) der traditionellen Autobiografie, der von einer Identität zwischen (als "männlich" konstruiertem) Autor, Erzähler und Protagonist ausgegangen ist. Keines seiner versprengten und gründlich zerrissenen Fragmente scheint für die klassische Rolle des Helden geeignet gewesen zu sein, da ihr früheres erfolgreiches Auftreten nicht mehr außerordentlichen, selbsttätig erarbeiteten Leistungen zugeschrieben werden kann. Stattdessen muss Handlungsfähigkeit jetzt, gemäß BUTLER, als ein Effekt der "reiterativen und zitierenden Praktiken" (1993, S.2, meine Übersetzung) unpersönlicher Machtstrukturen verstanden werden. [24]

In SMITHs Worten bringt der performative Ansatz zur Autobiografie die traditionelle Vorstellung vom Autobiografen als Repräsentanten des "universellen Subjekts" (vgl. SMITH 1993, meine Übersetzung) in "seiner privilegierten Stellung als Urheber von Bedeutung, Wissen, Wahrheit" (ebd., S.8, meine Übersetzung) ins Wanken. Außerdem weist er auf den fragwürdigen Status der Autobiografie als Schreibform in ihrer traditionellen Konzipierung hin. SMITH bezeichnet die Autobiografie als "einen der Masterdiskurse des Westens … [, der] hilfreich dabei war, das bürgerliche Subjekt zu konsolidieren, das sich selbst als Individuum, rational, frei, autonom verstand ... [, und der] die historischen Kräfte reflektierte, die Personen in eine bestimmte Form von Subjektivität pressten" (ebd., S.18, meine Übersetzung). Sie arbeitet den Sexismus, Rassismus und jene anderen ausschließenden Praktiken heraus, welche der Autobiografie als Genre innewohnen, welches sie als eine Verschmelzung von Subjektivitätstheorien, Erzählpraktiken und Wertvorstellungen aus der Zeit der Aufklärung darstellt. Weiterhin weist sie auf die Problematik der "normativen (maskulinen) Individualität" (ebd., S.3, meine Übersetzung) des "universellen Subjekts" hin, die sie als abhängig davon ansieht, das zu evakuieren, was sie "das Farbige" nennt, "das heißt, dasjenige, das kulturell als das Andere, als exotisch, renitent, irrational, unzivilisiert [und] lokal identifiziert wird" (ebd., S.9, meine Übersetzung): "Frauen, Mütter und das Feminine galten im Text der traditionellen Autobiografie ... [als] das 'Durcheinander und die Unordnung' des Nichtidentischen, das der Autobiograf in seinem Kampf um Selbst-Identität und um seine Erzählung von einer kohärenten Vergangenheit beiseite räumen musste" (1993, S.19, meine Übersetzung). [25]

Hier wird die Frage danach, wie man schreiben könnte, wieder als ein ethischer Problemkreis offenbart, der mich, dessen Name und dessen Tätigkeit leicht dahingehend missverstanden werden kann, als ob ich mit "der Tyrannei des ariden 'Ich', das durch einen grauen und formlosen Nebel alles Farbige verschleiert, das innerhalb seines Blickfeld liegt" (SMITH 1993, S.3-4, meine Übersetzung) gemeinsames Spiel machen würde, in eine schwierige Position bringt. Ich muss daher einen Weg finden, der mich vermeiden lässt, in die Fußstapfen meiner VorgängerInnen zu treten oder gedrängt zu werden, von wo aus ich mein Publikum (so wie es dieses vielleicht möchte) glauben machen würde, dass ich es mit den gefährlichsten und spannendsten Abenteuern aufnehmen könnte (z.B., dass ich von Helikoptern entweder auf Hochhausdächer springen könnte oder mit meinen Füssen, die automatisch mit Skiern verbunden werden, während meine Pilotenuniform sich in einen Skianzug verwandelt, auf schneebedeckten Bergen landen könnte, die ich dann mit eleganten Slalomschwüngen heruntersausen würde, wobei ich unbeirrbar Feinde jeglicher Art zur Strecke bringen würde, bevor ich – jetzt mit einem beigen Anzug und Slippern bekleidet – mit einer schönen Blonden an einem exotischen Bazar zusammentreffe, die mich mit Gewürzen füttert, die mich in den siebten Himmel heben, was eine Gelegenheit geben würde, einen langen Blick auf ihre und einen kurzen Blick auf meine Geschlechtsteile zu werfen, bevor ich nach fünf Minuten zu ihr sage würde, dass ich gehen müsse, weil es Arbeit zu tun gebe, woraufhin ich mit meinem Fünfradantriebjeep durch die Wüste zu einer Oase brausen würde, wo ich mit einem Cocktail in der Hand neben dem Pool stehend einen Gangstertypen träfe, dem ich mich, zuerst mit meinem Nachnamen gefolgt von meinem Vornamen, vorstellen würde), während ich meinen Auftrag erledige. [26]

Ich weiß, dass es nicht ausreicht, um mich anders "darzustellen", "meine Stimme zu zeigen" oder anders von anderen "wahrgenommen" zu werden, einfach zu verlautbaren, dass [Au]/[o]-tophonographie keine Schreibpraktik eines weißen, männlichen, heterosexuellen Agenten ist. Stattdessen wird es eher nötig sein, dasjenige, was als ein fest verschweißter Begriff von "Kommunikation" erscheint, als eine unkomplizierte Art und Weise, Verständigung zwischen Menschen zu erreichen, radikal zu dekonstruieren, was dann vielleicht ermöglichen würde, eine neue Perspektive bezüglich der Handlungsfähigkeit von Subjekten in der Bedeutungsproduktion zu entwerfen. [27]

Wie ich anfangs erwähnte, ist der Problemkreis der Handlungsfähigkeit in der Performativität, die Frage des wer schreibt und wer spricht, in der Kulturwissenschaft heftig umstritten. GIBBS und TILSON schlagen zum Beispiel vor, den Begriff "Schreiben" mit "Textproduktion" zu ersetzen, um den produktiven Effekt "sowohl des Schreibens als auch des Lesens" (1982, S.2, meine Übersetzung) herauszustellen. Wenn wir diesen Vorschlag auf den Bereich der "Phonation" anwenden, mit dem wir es hier insbesondere zu tun haben, wird deutlich, dass wir von einer Gleichzeitigkeit von Prozessen des "Phonierens" und des "Hörens" oder "Zuhörens" auszugehen haben: Da "Phonation" im Allgemeinen als "die Produktion ... von Stimmklang" (THE OXFORD ENGLISH DICTIONARY ONLINE 2007, meine Übersetzung) verstanden wird, der seinerseits sowohl im "Stimmorgan" als auch im "Hörorgan" produziert wird, schlage ich vor, den Begriff "Schallperformance" zu verwenden, um auf die gemeinsamen produktiven Aktivitäten von "SprecherInnen" (die sich in der Regel beim Sprechen auch selbst hören oder wahrnehmen) und der "ZuhörerInnenschaft" hinzuweisen. Daher ist es an dieser Stelle sinnvoll, ausdrücklich den Begriff des "Produzierens" um Prozesse der Perzeption, Interpretation und Attribution zu erweitern. [28]

Im Hinblick auf den "Oto"-Part der [Au]/[o]-tophonographie (das Ohr, die Hörerin, der Hörer, das Publikum) könnten wir daher fragen: Wie sind wir als die ZuhörerInnenschaft an der Erzeugung der Subjekte und Themen der [Au]/[o]-tophonographie beteiligt? Diese Frage berücksichtigt erneut den Wandel, den die Theorie der Performativität bewirkt hat. Er hat den Effekt, dass jene Subjekte und Themen nicht länger so verstanden werden können, als könnten sie als stabile, bereits existierende, außersprachliche "Wesen" dargestellt werden. Stattdessen müssen sie als in der textuellen Performance entstehend angesehen werden, die immer eine intersubjektive Interaktion ist. Hier wird deutlich, dass wir in eine Inszenierung von Unentwirrbarkeit verwickelt sind, ohne die Möglichkeit zu haben, auf eine Art von Anker oder solide Basis zu referieren: Die Subjekte und Themen, die in der [Au]/[o]-tophonographie geschaffen werden, unabhängig davon, ob sie "SprecherInnen" oder "HörerInnen" oder "SchreiberInnen" oder "LeserInnen" oder Themen anderer Art genannt werden – wie in unserem Fall die Problemkreise des "Selbst", der oder des "Anderen", der "Stimme", des "Schreibens" und der "Kommunikation" – können weder unabhängig voneinander betrachtet werden, noch können wir annehmen, dass wir sie gut genug kennen, um sie als selbstverständlich betrachten zu können. Anstatt es uns zu ermöglichen, uns auf die Sedimentation ihres "Seins" als einem vertrauten Fundament für weitere Wissensproduktion zu verlassen, scheint der Umgang mit performativen Ereignissen uns eher fortwährend in Trab zu halten, indem er in Zustände von Instabilität und Flüchtigkeit hineinzieht. Daher erscheint die Fabrikation von "auto", "oto", "phono" und "graphie" als produzierende und produzierte Ereignisse in der [Au]/[o]-tophonographie als unentwirrbar miteinander verflochten. [29]

Diese Dinge machen die Aufgabe des Schreibens komplexer, weil deutlich wird, dass dies kein Anfang ist. Ich bin bereits in einen bestehenden Signifikationsprozess involviert. Ich bin immer schon geschrieben worden, und ich habe immer schon meine Geschichte geschrieben, die Geschichte meiner Stimme. Trotzdem sind mir die Prozesse des Phonierens und des Phoniert-Werdens unvertraut geblieben – vielleicht da sie in der Regel aufgrund ihrer fortwährenden Wiederholung unbemerkt vorüberziehen. Während ich mich ständig danach sehne und mich ständig von anderen gedrängt fühle, meine Stimme zu zeigen, werde ich mit der Vergeblichkeit meines Bemühens konfrontiert. Jeder Aspekt meines gewählten und mir aufgedrückten Projekts scheint mir bereits zu entgleiten, wenn ich mir nur vorstelle, dass ich es angehen werde: Ich werde zum Zeugen des Geschehens, in dem meine Untersuchungsgegenstände ihre Flüchtigkeit inszenieren. Ich finde mich bereits verflochten mit dem, von dem ich mir vorstelle, dass ich es erst noch tun werde: Ich kann mir mich selbst nicht jenseits des Zeigens meiner Stimme vorstellen, und dennoch verhilft dies mir oder jemand anderem nicht dazu, die entstehenden Schwingungen zu ergreifen und zu entdecken, wer ich bin. Niemand weiß, wo oder was meine Stimme ist, sie verwandelt und verliert sich in ihrer endlosen Veränderbarkeit. Weil sie nicht lokalisiert oder materialisiert werden kann, kann ihr "Sein" nicht außerhalb ihrer Darstellung gedacht werden. Die Inszenierung meiner Stimme wird zum Thema und zur Methode meiner Untersuchung, zu ihrem unzugänglichen Ergebnis und zu ihrem unbestimmbaren Genre. [30]

Wenn jemand zu mir käme und mich fragen würde: "Was ist die Stimme, was ist meine oder deine Stimme, und wie werden sie zu Schall?" würde ich wahrscheinlich etwas Ähnliches wie das Folgende antworten: "Es scheint mir, dass weder die 'objektive' Stimme als ein allgemeines, universelles Phänomen noch die 'subjektive' Stimme als ein Beispiel für Einstimmigkeit, die ausschließlich zu einer Person gehört, tatsächlich existiert." Was GIBSON über den Begriff der "Erzählstimme" [narrative voice] schreibt, scheint auf den gesamten Bereich der Phonation anwendbar zu sein, unabhängig davon, ob man an ihn aus einer naturwissenschaftlichen, einer literarischen, einer politischen, einer Performance- oder einer performativen Perspektive herangeht: "[Der Begriff der] Stimme ist eine theoretische Konstruktion" (1996, S.146, meine Übersetzung). "Die Annahme einer Stimme konstituiert eine bestimmte Lesart ... Ebenso wie seine endgültige Wahrheit oder essenzielle Bedeutung verschwindet die 'Stimme' eines Texts im Prozess der Interpretation und Re-Interpretation" (ebd., S.151, meine Übersetzung). [31]

Obwohl wir akzeptieren müssen, dass die Frage nach der Bedeutungserzeugung in der Performativität nicht im Sinne von individuellen Anstrengungen verstanden werden kann, kann nach BUTLER in gewisser Weise von Handlungsfähigkeit im Zusammenhang mit Phonographie gesprochen werden. Diese Handlungsfähigkeit darf jedoch nicht mit den Allmachtsfantasien des Kommunikationswissenschaftlers verstanden werden, sondern sie tritt eher in Form eines Fehlschlags in Erscheinung: als das notwendige Versagen performativer Prozesse, normale, homogene und kohärente Subjekte mit einheitlichen Stimmen zu schaffen. So behauptet BUTLER, dass "das Subjekt weder ein(e) souverän Handelnde(r) mit einem rein instrumentellen Bezug zur Sprache ist, noch ein bloßer Effekt, dessen Handlungsfähigkeit sich auf eine Komplizenschaft mit vorangehenden Machtoperationen beschränkt" (1997, S.26, meine Übersetzung). Aufgrund der Tatsache, dass die Macht des Diskurses von Wiederholungen abhängig ist, um einen handlungsähnlichen Status zu erlangen und ihr regulatives Gesetz zu stärken, produziert Performativität nicht nur "die Phänomene, die sie reguliert und begrenzt" (1993, S.2, meine Übersetzung), sondern stellt auch eine "kritische Ressource dar im Kampf um die Reartikulation der Bedingungen von symbolischer Legitimität und Verständlichkeit" (ebd., S.3, meine Übersetzung). [32]

Daher scheint paradoxerweise Subversion dadurch erreicht werden zu können, dass man sich dem zwangsweise repetitiven Gebrauch von Sprache überlässt, der sich jenseits der Kontrolle des sprechenden Subjekts befindet. Weil Subjekte sich "gleichzeitig auf mehreren Bühnen vorfinden und zu heterogenen Identitätsrezitationen aufgefordert werden" (SMITH 1995, S.20, meine Übersetzung), wird eine verhaltensmässige Konformität unmöglich gemacht, und Versagen, "ein Auseinanderklaffen zwischen dem diskursiven Befehl und seinem angeeigneten Effekt" (BUTLER 1993, S.122, meine Übersetzung), wird unvermeidlich. Weil es keine Performativität, keine Stimme, keine Signifikation gibt ohne Wiederholung desjenigen, das als verständlich gilt, ist uns nicht die Wahl gelassen, ob wir wiederholen wollen oder nicht. Aber ohne Wahl oder Notwendigkeit, bewusst bestehende Machtverhältnisse zu untergraben, können wir uns auf eine regelmäßige Produktion eines kakophonen Zusammenprallens von widersprüchlichen Erwartungen verlassen, die eine Perversion – "das Abweichen von demjenigen, das als wahr oder richtig gilt; die Ablenkung von etwas von seinem ursprünglichen und gebührlichen Lauf, Zustand oder [seiner ursprünglichen und gebührlichen] Bedeutung" (THE OXFORD ENGLISH DICTIONARY ONLINE 2007, meine Übersetzung) – jener kulturellen Konstruktionen bewirken könnten, die sich für manche als wenig hilfreich, unzulässig restriktiv oder pathologisierend erwiesen haben. [33]

Die Vorsicht, mit der ich die Präposition in der Überschrift dieses Aufsatzes gewählt habe, scheint daher gerechtfertigt: angesichts der Komplexität der Theorie der Performativität in ihrem Bezug zur Signifikation, die niemals als einfache Repräsentation verstanden werden kann, scheint eine Show der Stimme unmöglich. "Die Show mit der Stimme" versucht daher eher, vielleicht ähnlich wie ihr Modell, die deutsche Kinderfernsehsendung, Die Sendung mit der Maus (WDR, RBB & SWR 1971), eine Bühne für eine "Nachprüfung des Vertrauten" (SPIVAK 1997, S.xiii, meine Übersetzung) zu bieten, auf der die Stimme, wie die Maus, von Zeit zu Zeit auftaucht und wieder verschwindet, aber niemals (eindeutig oder einstimmig) spricht. [34]

Danksagung

Ich danke Jannik FRANZEN für die sorgfältige Durchsicht meines Manuskriptes und seine wertvollen Hinweise.

Anhänge

The show with the voice (PDF-Datei, 100 KB)

Die Show mit der Stimme (PDF-Datei, 108 KB)

The show with the voice (Mp3-Datei, 6 MB)

Anmerkungen

1) Ich benutze den Begriff "Dekonstruktion" und seine Derivate hier gemäß GARVER im Sinne eines "fortlaufenden Arguments gegen die Möglichkeit von etwas Reinem und Einfachem, das als die Basis für die Bedeutung von Zeichen dienen kann" (in DERRIDA 1973, S.XXII, meine Übersetzung). <zurück>

2) BROWN, PERRY, CHEESMAN und PRING (2000), De BRUIN, COERTS und GREVEN (2000), GROSS (1999), KEIL (1994), VAN BORSEL, DE CUYPERE und VAN DEN BERGHE (2001). <zurück>

3) Vgl. http://www.ccs.mq.edu.au/research.php bzgl. einer zusammenfassenden Erläuterung dieses neuen Forschungsgebietes. <zurück>

4) Vgl. DENES und PINSON (1972, S.5, meine Übersetzung):

"Gesprochene Kommunikation besteht aus einer Kette von Ereignissen, die das Gehirn der Sprecherin oder des Sprechers mit dem Gehirn der Hörerin oder des Hörers verbinden. Wir werden diese Kette von Ereignissen die Sprechkette nennen." <zurück>

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Zum Autor

David SCHEIDT promoviert derzeit an der School of Communication, Arts, and Critical Enquiry, La Trobe University, in Melbourne, Australien. In seiner Doktorarbeit verfolgt er einen performativen Ansatz zur Autobiografie und produziert eine Sammlung von theoretischen Aufsätzen, kreativen Texten und Schallperformances. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Beschäftigung mit dem Phänomen "Stimme" und mit Begriffen von "Geschlecht". Er hat in Deutschland Diplom-Logopädie studiert und arbeitet zurzeit als Praxisanleiter in einer Lehrstimmklinik in Melbourne.

Kontakt:

David D.J. Sander Scheidt

School of Communication, Arts and Critical Enquiry
La Trobe University
Victoria 3086, Australien

E-Mail: DDJSander.Scheidt@web.de

Zitation

Scheidt, David D.J. Sander (2008). Die Show mit der Stimme: Eine [Au]/-[o]-tophonographische Parodie [34 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 9(2), Art. 27, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs0802279.

Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research (FQS)

ISSN 1438-5627

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