Volume 26, No. 1, Art. 9 – Januar 2025
Sequenzanalytische Verfahren "provinzialisieren": Grenzen der Interpretation als methodische Impulse
Janna Vogl & Lena Dreier
Zusammenfassung: Es ist ein Grundsatz rekonstruktiver Ansätze wie der Sequenzanalyse, dass im Auswertungsprozess Irritationen produziert werden, indem das Material in unterschiedliche Bedeutungszusammenhänge gestellt wird. In diesem Artikel fragen wir mit Blick auf Grenzen, die wir in unseren eigenen Forschungsprozessen ausmachen, nach methodischen Impulsen für sequenzanalytische Verfahren. Die Diskussion dieser Grenzen verorten wir vor dem Hintergrund der post-/dekolonialen Methodenkritik. Dabei setzen wir das Problem der Repräsentation in den Fokus, das wir anhand von zwei Aspekten aufgreifen: 1. als Kritik der Möglichkeiten einer neutralen Wissensproduktion; 2. als Problematisierung der qualitativ-soziologischen Hervorbringung von kategorisierenden Konstruktionen. Vor diesem Hintergrund diskutieren wir, wie die Forderung nach einer Provinzialisierung qualitativer Methoden systematisch in Forschungsprozesse integriert werden kann. Wir fragen, was das für ein sequenzanalytisches Vorgehen bedeutet und stützen uns dabei auf zwei qualitative Studien: empirische Forschungen zu lokalen Formen von Sozialkritik im Rahmen von Frauenorganisationen in Südindien und zu muslimischer Religiosität in den Biografien von Theologiestudierenden. Indem wir das empirische Material anhand ausgewählter Ausschnitte neu lesen, zeigen wir, wie wir sequenzanalytische Verfahren so schärfen können, dass die post-/dekoloniale Forderung einer Provinzialisierung berücksichtigt wird.
Keywords: Sequenzanalyse; provinzialisieren; postkoloniale Kritik; qualitative Methoden; rekonstruktive Methoden; Krise der Repräsentation
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Anschluss und Abgrenzung: postkoloniale Kritik rekonstruktiver Verfahren
3. Empirische Erprobung
3.1 Grenzen des Verstehens
3.2 Grenzen der Deutungsmacht
4. Sequenzanalyse vor dem Hintergrund postkolonialer Kritik weiterdenken
Die Diskussion und Verwendung qualitativer Methoden hat sich in den letzten zwanzig Jahren in die unterschiedlichen Subdisziplinen hinein etabliert und mit der Tendenz zu einer stärkeren Reflexion ausdifferenziert (PLODER 2009, §3-5). Doch insbesondere die hermeneutischen und interpretativen Methoden verbleiben dabei auffällig stark in einem deutschsprachigen Partikulardiskurs, der kaum an Diskussionen angebunden ist, die sich andernorts abspielen. Im vorliegenden Artikel wollen wir eine zentrale Debatte aufgreifen, in der genau diese Beschränkung problematisiert wird und fragen, was postkoloniale Kritik und dekoloniale Ansätze1) für die qualitative Methodenpraxis speziell mit Blick auf rekonstruktive Verfahren bedeuten. [1]
Anhand der seit den 1980er Jahren diskutierten "Krise der ethnographischen Repräsentation" (BERG & FUCHS 1993) greifen wir die Kritik in zwei Hinsichten auf: den Zweifel an einer neutralen Wissensproduktion und die Rolle, die qualitativ-soziologische Forscher:innen selbst bei der Hervorbringung von Differenzkategorien spielen. Darauf aufbauend, diese Kritik aber auch abwägend, unterstreichen wir die Forderung einer Provinzialisierung2) bestehender Methoden (PLODER 2009) und kritisieren darüber hinaus die starre Trennung von Forschungssubjekten als Informand:innen und Forschenden als denjenigen, die Wissen generieren (GERRARD, RUDOLPH & SRIPRAKASH 2017). Damit kritisieren wir zugleich die Idee einer Reflexion der Subjektivität der Forschenden als unzureichendes methodisches Mittel, um mit dem Problem umzugehen, dass die Wissensproduktion durch Machtungleichheiten geprägt ist (S.391). Wir perspektivieren das Problem der Situiertheit in diesem Aufsatz stattdessen mit HARAWAY, die schon 1988 in ihrem berühmten Text "Situated Knowledges" formulierte: "Positioning implies responsibility for our enabling practices" (S.587). Unsere enabling practices speisen sich aus subjektiven Zugängen zur Welt, insbesondere aber aus dem methodischen Instrumentarium, das wir gegen eine Gleichsetzung methodischer und nicht-methodisierter Zugängen ins Feld führen. Im vorliegenden Beitrag problematisieren wir daher nicht unsere individuelle Subjektivität, die zwingender Bestandteil qualitativer Methodenpraxis ist, sondern fragen mit Blick auf unser empirisches Material nach dem Potenzial zur Schärfung rekonstruktiver Methoden vor dem Hintergrund postkolonialer Theoriedebatten. Die Reflexion der eigenen Subjektivität ist nicht hinreichend, da nicht nur durch einen je individuellen Bias Forschung mitproduziert wird (REICHERTZ 2015). Methoden und Forschungstechniken sind einerseits unverzichtbare Versuche, Verstehensprozesse zu kontrollieren und intersubjektiv nachvollziehbar zu machen. Sie können andererseits als unhinterfragte Routinen aber auch die Reproduktion vereinfachender Differenzkategorien fördern. Dies bedeutet konkret mit Bezug auf das Beispiel Sequenzanalyse, das uns interessiert: Vertraut man zu sehr auf die Fähigkeit, mittels Methode Irritationen zu erzeugen, werden manche Grenzen der Methode gerade aufgrund dieser Routine nicht sichtbar. Wir begreifen diesen Artikel also als einen Beitrag zur Schärfung der Methoden, ein Vorhaben das bereits durch unterschiedliche Vorschläge (z.B. BECKER & BURCHARDT 2023; PLODER 2009; REUTER & VILLA 2015a; SIOUTI, SPIES, TUIDER, VON UNGER & YILDIZ 2022) begonnen wurde und weiter erprobt und ausformuliert werden muss. [2]
Es ist im Falle von sequenzanalytischen Verfahren gängige Praxis, durch konsequentes Interpretieren in Gruppen Gewissheiten der Forschenden infrage zu stellen. PLODER und McELVENNY formulierten zum Beispiel, dass die Sequenzanalyse ein Paradebeispiel für eine kollaborative Forschungspraxis sei (2022, S.294). Gewissheiten würden durch die Regeln im Interpretationsprozess offengelegt und explizit ausformuliert. Die kollaborative Explikation denkbarer Kontexte und Deutungen scheint zunächst also ein guter Ausgangspunkt zu sein, um postkolonial inspirierte Kritiken, durch die z.B. darauf gezielt wird, die Interviewsituation konsequent als Interaktion zu verstehen (PLODER 2009), mit sequenzanalytischen Verfahren zusammenzudenken.3) Zugleich gibt es Forschungssituationen, in denen die Anwendung sequenzanalytischer Verfahren oder die Interpretation in Gruppen nicht zwangsläufig dazu führen, die eigenen Gewissheiten zu hinterfragen – es gibt also Grenzen der Methode, die unseres Erachtens besonders vor dem Hintergrund post- und dekolonialer Kritik sichtbar werden. [3]
Weder die Reflexivität noch die intersubjektiv abgesicherte Interpretation reichen damit aus. Vielmehr ist die Kritik an dem neutralen Blick – und eben nicht eines standortgebundenen Blicks – und die Kritik an der Universalisierung von Wissen auch auf andere Aspekte einer rekonstruktiven Methodologie auszuweiten. Neben der Erweiterung der Perspektive z.B. durch mit den jeweiligen Kulturen vertraute Ko-Interpret:innen (z.B. REICHERTZ 2021; SCHRÖER 2009) könnte eine stärkere Reflexion methodischer Grenzen dazu dienen, qualitative Generalisierungsansprüche in ihrem spezifischen Geltungsrahmen zu markieren. Eine solche Art der Reflexion soll es ermöglichen, Grenzen der Methode – die über spezifische Fälle oder Phänomenbereiche hinweg typisiert werden können – aufzuzeigen und die Methoden anhand der entsprechenden Irritationen weiterzuentwickeln. Wir benennen konkret zwei Arten von Grenzen: Grenzen des Verstehens und Grenzen der Deutungsmacht. [4]
In der Suche nach möglichen methodischen Justierungen für eine postkolonial informierte Sequenzanalyse gehen wir im Folgenden zuerst auf einige zentrale Kritikpunkte aus der postkolonialen Debatte an rekonstruktiven Methoden ein (Abschnitt 2). In einem weiteren Schritt führen wir mit Blick auf unsere eigene Empirie und die entsprechenden Auswertungsversuche aus, wo genau wir Grenzen identifizieren und wie sich diese durch Rückgriff auf die post- und dekoloniale Methodenkritik erklären lassen (Abschnitt 3). Zuletzt schlussfolgern wir (Abschnitt 4), wie sich mit den identifizierten Grenzen im Forschungsprozess praktisch umgehen lässt. [5]
2. Anschluss und Abgrenzung: postkoloniale Kritik rekonstruktiver Verfahren
Diskussionen darum, wie eine postkoloniale Kritik auch in die Soziologie im deutschsprachigen Raum integriert werden kann, finden schon länger statt (z.B. REUTER & VILLA 2015b, S.12). Daran anschließend gilt es aus unserer Sicht, die Kritik auf ihre methodischen Konsequenzen hin weiterzudenken, rekonstruktive Methoden zu befremden und die in ihnen eingelagerten Routinen vor diesem Hintergrund zu hinterfragen. Dass die Kritik hierbei zunächst bei der Selbstüberprüfung und reflexiven Selbstverortung ansetzt, ist, wie HA (2013) formulierte, kein Zufall: Es gehe bei den postkolonialen Sensibilitäten darum, "[...] Ausgangsbedingungen jedes Sprechens und jeder Sprechposition" (S.75) zu beachten und "die eigene Position im Diskurs wie in der Gesellschaft zu lokalisieren" (a.a.O.). [6]
In aktuellen Methodendiskussionen zur postkolonialen Theorie wurden bereits vielgestaltige Debatten angestoßen. Sie reichen von Vorschlägen, die Grundannahmen qualitativer Methoden vollkommen zurückzuweisen (JACKSON 2013; MacLURE 2013) über Korrekturbedarf (z.B. PLODER 2009; SPIES 2009; WINTER 2011) bis hin zu der Erforschung postkolonial inspirierter Forschungsthemen über klassische interpretative Methodendesigns. Im Folgenden zeichnen wir die Kritiken speziell im Hinblick auf die Frage nach, welche Aspekte Anschlüsse bieten, um rekonstruktive Verfahren weiterzuentwickeln. Die verschiedenen Tendenzen und Stränge in der Methodendiskussion um Postkolonialismus lassen sich aus unserer Sicht unter dem übergeordneten "Problem der Repräsentation" versammeln. Für die Diskussion dieses Problems ist die sogenannte "Writing Culture"-Debatte (CLIFFORD & MARCUS 1986) prägend gewesen, die aus postmodernen, poststrukturalistischen und frühen postkolonialen Strömungen entstand und in deren Rahmen essenzielle Zweifel an den bis dahin genutzten ethnografischen Methoden aufkamen (zusammenfassend: PÖHLMANN & SÖKEFELD 2021). Im Ergebnis wurde von einer "Krise der ethnographischen Repräsentation" (BERG & FUCHS 1993) gesprochen, da das im Selbstverständnis der Disziplin verankerte Verhältnis von Forscher:in, Forschungssubjekten und Analyse bzw. Darstellung und Text infrage stand. Die Annahme einer "Krise" oder eines "Problems" der Repräsentation wurde auch in aktuellen, sich klarer auf postkoloniale Kritiken beziehenden qualitativen Methodendebatten als zentrales Diktum aufgegriffen (vgl. z.B. PLODER 2009, §48; WINTER 2011, §5). Insgesamt geht es dabei um die Kritik eines vereinfacht gedachten Verhältnisses der Repräsentation der sozialen Welt durch (qualitativ-)methodische Zugänge. [7]
Bereits seit über zehn Jahren gibt es in der deutschsprachigen Methodendiskussion einen expliziten Bezug auf die postkoloniale Debatte mit der Frage, wie diese zur Weiterentwicklung qualitativer Methoden beitragen kann (BECKER & BURCHARDT 2023; PLODER 2009; REUTER & VILLA 2015a; SIOUTI et al. 2022). Im Rahmen dieser Debatte lassen sich konkretere Versuche identifizieren, die aufgezeigten Probleme in Prozessen der Datenerhebung und -auswertung zu lösen. So wurden Vorschläge gemacht, die "Gewalthaftigkeit" diskursiver Zuschreibungen im Rahmen von Interviewinteraktionen zu berücksichtigen und Irritationen als Orte des "widerständigen" Potenzials der Beforschten zu deuten (PLODER 2009; SPIES 2009); qualitative Methoden als politische Praxis zu verstehen (WINTER 2011) oder die eigenen Kommunikationsweisen zu provinzialisieren und für andere Kommunikationsweisen zu öffnen (ECKERT & CICHECKI 2020, S.160). Im Folgenden skizzieren wir einige dieser Ansätze, dabei nutzen wir die oben aufgezeigten Tendenzen zur Perspektivierung: 1. geht es um Machtkritik, d.h. die Kritik an den mit jeder Wissensproduktion verknüpften Machtfragen und 2. um qualitative Wissensproduktion, also die dekonstruktive Skepsis gegenüber der qualitativ-soziologischen Wissensproduktion. Unser Ziel ist es herauszuarbeiten, welche Ansätze auf welche Weise methodische Übersetzungen der theoretischen Diskussionen um Post- und Dekolonialität vornehmen. Die Verarbeitung poststrukturalistischer Impulse und der Umgang mit dem Problem der Repräsentation führt aus unserer Sicht unter anderem zu zwei geradezu konträren methodischen Lösungen: 3. dem Bezug auf Intuition, also dem Versuch eines Rückzugs auf die eigenen Affekte und auf (letztlich methodisch nicht kontrollierbare) Subjektivität. Subjektivität wird dabei als Kontrast zu einem starken Fokus auf sprachliche Erzeugnisse und textbasierte Analyse in den Blick gerückt. Mit der anderen Lösung werden 4. transparente Wissensansprüche gefordert, d.h. Forschungstechniken sind intersubjektiv nachvollziehbar zu machen, damit deutlich wird, wie genau im Rahmen einer qualitativ angeleiteten Forschungspraxis Wissen produziert wird. Wir machen im Folgenden anhand zentraler Aspekte der bisherigen Diskussion deutlich, dass und warum wir uns mit dem Versuch, rekonstruktive und besonders sequenzanalytische Verfahren weiter zu schärfen, der zweiten Lösung (4.) anschließen. Im Anschluss werden wir ausgehend von dieser Perspektivierung des bisherigen Forschungsstandes unsere Praxis darauf hin befragen, wie man einen kritischen Umgang mit dem eigenen Material weiterdenken könnte. [8]
In einer durch post-humanistische Ansätze inspirierten Methodendiskussion, die unter dem Begriff post qualitative research (ST. PIERRE 2011) firmiert, werden die Logik der Repräsentation, nach der qualitative Methoden funktionieren, sowie die humanistischen Ausgangsannahmen qualitativer Methoden zunehmend generell problematisiert. ST. PIERRE forderte eine "philosophy of immanence" (2021, S.163) und beschrieb den Nutzen poststrukturalistischer Theorien wie folgt:
"Derrida, Foucault, Deleuze, Lyotard, and others refused pre-existing, formalized, systematized, procedural methods and methodology because they over-determine thought and practice, closing off what might be thought and done in favor of doing, thinking, finding, and representing what is, what exists" (S.163-164). [9]
Bei Versuchen, vor diesem Hintergrund dennoch so etwas wie "Methoden" – in Anführungsstrichen – zu formulieren, erfolgte ein Anschluss an die erste oben angedeutete Lösungsstrategie (3. Bezug auf Intuition), sprachliche Erzeugnisse in der Erhebung wurden dezentriert, Affekte der Forscher:innen fokussiert (MacLURE 2013) oder das Paradigma der Interpretation wurde infrage gestellt (JACKSON 2013). [10]
WINTER (2011, §41) hat die Schlussfolgerung gezogen, dass eine wertfreie qualitative Sozialforschung nicht möglich sei. Da auch qualitative Sozialforschung als politische Praxis zu verstehen sei, müsse man sich positionieren. Auch WINTER griff das Problem der Repräsentation auf, wendete sich aber weniger dezidiert von qualitativen Methoden ab, sondern suchte (siehe 2. qualitative Wissensproduktion) eher nach neuen Werkzeugen und Forschungsstrategien einer kritischen qualitativen Forschung. Er landete dabei, ähnlich wie die Ansätze aus dem Bereich der post qualitative inquiry (ST. PIERRE 2021), bei alternativen, weniger sprach- und textzentrierten Formen der Erhebung und Auswertung wie Poesie, Theater oder Performance (siehe 3. Bezug auf Intuition). Damit schlug er eine Erweiterung wissenschaftlicher Produktionsweisen vor, mit denen frühere Formen deutlich überschritten wurden und die in andere Wissensformen übergingen (z.B. explizit von Künstler:innen oder künstlerisch Forschenden produziertes Wissen). Folgt man einem solchen Vorgehen, ergeben sich jedoch eine Reihe von Fragen darüber, wie die Produktionslogiken dieser verschiedenen Wissensformen tatsächlich zusammengebracht werden können, was die Kompetenzen von Wissenschaftler:innen und/oder Kunstschaffenden sind und welche Funktionsweisen von Wissenschaft verloren gehen, versucht man Übergänge zu schaffen. [11]
In einer kritischen Diskussion post-humanistischer Ansätze haben GERRARD et al. (2017) einige Vorschläge gemacht, um postkoloniale Perspektiven für qualitative Methoden fruchtbar zu machen und verhandelten dabei die Macht (siehe 1. Machtkritik), die auch in die qualitative Datenproduktion eingelagert ist. Sie stellten fest: "As scholars [...], we are acutely aware of the ways in which research knowledge [...] actively contributes to producing, objectivizing, measuring and comparing particular subjects" (S.385). Mit Blick auf SAID (2004) nahmen sie an, dass die globale politische Ökonomie akademischer Arbeit (GERRARD et al. 2017, S.387) und Wissensproduktion in den sichtbaren Bereich qualitativer Sozialforschung geschoben werden müsse. Der akademische Blick, so ihre Kritik, richte sich weiter auf die indigenisierten, ghettoisierten und orientalisierten Communities (S.388) – und, so könnte man ergänzen, "die Anderen". Insbesondere hier, so ihr Argument, solle aber nicht die Reflexion und das Aufzeigen der Affekte und Machtgebundenheit der Forscher:in die Folge sein. Das Aufzeigen von deren Affekten und Intuitionen, wie es im Rahmen der post qualitative inquiry in den Fokus gerückt wurde (siehe z.B. MacLURE 2013), könne in Bezug auf postkoloniale Kritiken im Gegenteil besonders prekär sein, da in der Tendenz Forschungsprozesse und -praktiken re-mystifiziert (GERRARD et al. 2017, S.390) würden. Diese Kritik lässt sich verstehen, wenn man bedenkt, dass mit einem solchen Vorgehen oft die soziale Konstitution von Affekten und Intuitionen ausgeblendet wird, und deren Entstehen als nicht nachbildbare Fähigkeit der Forscher:innenpersönlichkeit erscheint. GERRARD et al. argumentierten daher, dass – wenn der akademische Blick auf "die Anderen" gerichtet werde – politische und ethische Überlegungen innerhalb globaler sozialer Ungleichheiten (S.391) in den Forschungsprozess einbezogen werden sollten (siehe auch VON UNGER 2022, S.86). [12]
Die zweite Lösungsstrategie im Umgang mit dem Problem der Repräsentation (siehe 4. transparente Wissensansprüche) findet sich vielfach in der deutschsprachigen Diskussion. Der Text – als Interview und Grundlage für die Interpretationen – erfährt hier wieder stärkere Bedeutung. Es wird allerdings ganz genau nach den Produktionsbedingungen dieses für die qualitativen Methoden so zentralen Elementes gefragt. Wir greifen diesen Aspekt ausführlicher auf, weil er uns besonders gewinnbringend für die Frage erscheint, wie sequenzanalytische Verfahren provinzialisiert werden können. [13]
Inspiriert durch KÖNIGs (2020 [1984]) Plädoyer für eine engere Zusammenarbeit von Soziolog:innen und Ethnolog:innen und vor dem Hintergrund von eigenen Forschungen in Singapur, fragte MATTHES schon in den 1980er Jahren: "Was geschieht, wenn die mit dem Einsatz erzählanalytischer Verfahren vollzogene Umsetzung des 'Fremdheitspostulats' auf die eigene Gesellschaft (Kultur) gleichsam verdoppelt [...] wird dadurch, dass der (westliche) Sozialforscher solche Verfahren in anderen Gesellschaften (Kulturen) einsetzt?" (1985, S.312). [14]
Im Ergebnis warnte er davor, dass die wissens- und erzähltheoretische Fundierung solcher Verfahren "von der Gefahr einer [...] Universalisierung von in eurozentrischer Perspektive gewonnenen Annahmen bedroht" (S.324) sei. Denn eine solche eurozentrische Fundierung habe, so MATTHES, forschungspraktische Konsequenzen: Was das Spektrum des jeweils gesellschaftlich Erzählbaren oder Nicht-Erzählbaren, Formen narrativer Kompetenz oder kulturelle Basisregeln des Erzählens seien, könne sich stark unterscheiden. Ohne das entsprechende Wissen um solche "Erzählkulturen" würden von "westlichen" Forscher:innen mit dem Interview dann dennoch (zumindest scheinbar) erfolgreich Erzählungen hervorgebracht, die die durch die eigene Kultur geprägten Vorannahmen nicht infrage stellten, aber ein völlig unzureichendes Bild davon generierten, was die eigentlich interessierenden Lebens- und Erfahrungskontexte ausmache (S.313-315). Durch den starken kulturellen Kontrast, den MATTHES wählte, ist sein Vorschlag besonders aufschlussreich: In der Konsequenz kann man daraus ableiten, dass Erhebungen so gestaltet werden müssen, dass sie auch Erzählungen zulassen, die – aufgrund des zumindest zu Beginn des Forschungsprozesses jeweils spezifisch beschränkten Zugangs zu "Erzählkulturen" – zunächst nicht erwartet werden können. [15]
Unter anderem im Anschluss an MATTHES entspann sich eine Diskussion zu qualitativen Methoden in interkulturellen und intrakulturellen Kontexten. Dabei wurde zunächst nicht explizit auf die postkoloniale Debatte Bezug genommen, die in der deutschsprachigen Soziologie erst später zum Thema wurde (siehe z.B. REUTER & VILLA 2015a). Auch aktuell wird teilweise eher mit Begrifflichkeiten wie Interkulturalität oder der Suche nach einem differenzierten Kulturbegriff argumentiert als mit Rückgriff auf das post- oder dekoloniale Vokabular (z.B. CAPPAI 2008; REICHERTZ 2021). CAPPAI schlug vor, dass besonders die rekonstruktiven Methoden sich auch für interkulturelle Forschungskontexte eigneten, da sie "gegen die Neigung gut gerüstet zu sein [scheinen], Differenz vorschnell zu assimilieren" (2008, S.131). Im Anschluss an seine Feststellung ließe sich jedoch fragen, wie das Verstehen von Differenzen (im Sinne der Lesartenbildung) gerade in sehr unterschiedlichen kulturellen Kontexten in der Interpretation generiert werden kann. CAPPAI argumentierte also weniger für eine Provinzialisierung, sondern prüfte eher, inwiefern Forschende durch bestehende rekonstruktive Methoden zu einer methodischen Sensitivität für Differenzen gelangen. [16]
PLODER (2009, §5) setzte am Irritationspotenzial der Beforschten an. Sie erarbeitete auf Grundlage bereits ausgearbeiteter Vorschläge Ideen, um Irritationen in Erhebungssituationen wahrscheinlicher zu machen. Demnach sei erstens eine Haltung aufzugeben, in der Forschende den Interviewten eine Unwissenheit vorspielten. Dem vorzuziehen sei ein offenes Gespräch über die soziologische Sicht auf den Forschungsgegenstand, sodass der Diskurs in die Interviewsituation einbezogen würde (§31f.). PLODER plädierte dafür, vor allem methodologische Veränderungen vorzunehmen, insofern Widerständigkeiten und Irritationen von Beforschten zugelassen würden und hybride Identitäten überhaupt erkannt, anerkannt und folglich nicht vereindeutigt würden. Ein Teil dessen sei das "subversive Zuhören" (§34), also ein Zuhören, das den Anderen auch dann Raum gebe, wenn das Privileg der Forschungsrolle in Gefahr sei oder andere Themen oder Meinungen sichtbar würden. Zweitens zeigte PLODER Herangehensweisen in der Deutung der Daten auf, die für unser Vorgehen besonders wichtig sind: Sie schlug vor, eine Irritation der Erwartungen der Interviewenden tatsächlich als solche in der Deutung zu benennen und das "widerständige" (§45) Potenzial, das genau im Bruch dieser Erwartungen durch Interviewte liege, nicht zu übergehen oder zu ignorieren. Auch hier, so ließe sich schlussfolgern, geht es also um eine inhaltlich geleitete Sensibilität den empirischen Daten gegenüber. In der Konsequenz, so PLODER, seien Interpretationen nicht als letztgültige Auslegungen, sondern als unabgeschlossene Lesarten zu verstehen. [17]
ECKERT und CICHECKIs (2020) Ansatz lässt sich dem Anliegen zuordnen, transparent zu machen, wie (auch ausgrenzende) Wissensansprüche mithilfe qualitativer Methodologien generiert wurden und werden (siehe 4. transparente Wissensansprüche). Sie legten mit Bezug auf die postkoloniale Debatte und den Begriff der Provinzialisierung dar, dass durch positivistische Vorannahmen eine Weiterentwicklung der Methoden verhindert werde und argumentierten somit, dass gerade die konsequente Umsetzung sozialtheoretischer Grundlagen einer interaktionistischen qualitativen Sozialforschung im Wege stehe. Daraus leiteten sie eine Provinzialisierung der Kommunikationsweise v.a. in biografischen Interviews ab, die Sprechweisen voraussetzten, die in der europäischen Moderne verankert seien (S.160). Sie forderten, die eigenen Kommunikationsweisen in unterschiedliche Richtungen gegenüber intersektional diskriminierten Positionen zu öffnen (S.161). [18]
Die aufgegriffenen Aspekte zeigen, dass je nach methodischer Konsequenz, die aus der postkolonialen Kritik gezogen wird (entweder 3. ein Bezug auf Intuition oder 4. auf transparente Wissensansprüche) sequenzanalytische Verfahren jeweils ganz unterschiedlich hinsichtlich ihrer Nützlichkeit und Validität als Methode bewertet werden dürften. Wenn sprachliche Erzeugnisse und textbasierte Verfahren generell auf dem Prüfstand stehen und das Problem der Repräsentation als ein Problem aufgefasst wird, dass sich in diesen basalen Zugängen zum "Feld" und zu den "Daten" manifestiert, macht es keinen Sinn mehr, an Versuchen textbasierter Interpretation festhalten zu wollen. Allerdings geben GERRARD et al. (2017) einen ersten Hinweis darauf, dass die Transparenz und Intersubjektivität des Auswertungsprozesses, die sequenzanalytische Verfahren mit sich bringen, eben gerade auch mit Blick auf post- und dekoloniale Kritiken besonders wertvoll sein könnten. [19]
Der Überblick über die Autor:innen, die Entwürfe dazu vorgelegt haben, wie sich das Problem der Repräsentation konkret auf die Erhebungs- und Auswertungsverfahren der qualitativen Forschung übertragen lässt, zeigt, dass es zahlreiche Überlegungen dazu gibt, wie mit Machtfragen (1. Machtkritik) und der ko-konstruierenden Funktion qualitativ-soziologischer Wissensproduktion (2. qualitative Wissensproduktion) umgegangen werden kann. Der Vielzahl an Studien, in denen sich Vorschläge zur Übersetzung postkolonialer Kritiken in qualitative Methoden finden lassen, steht eine bereits angestoßene (BECKER & BURCHARDT 2023) und weiter zu führende Diskussion um methodische Stellschrauben gegenüber. Diese zu identifizieren erfordert es, unsere Erhebungs- und Auswertungspraktiken konkret am Material zu hinterfragen. Wir wollen also im Folgenden ausführlich auf Ausschnitte aus unserem empirischen Material eingehen. Es geht uns dabei darum, das Problem der Repräsentation und zugleich die Idee der Provinzialisierung als Teil einer möglichen Lösungsstrategie für die Sequenzanalyse auszuloten. Wir machen in unserem Forschungsprozess exemplarische Situationen aus, durch die typische Grenzen in Bezug auf das übergeordnete Problem der Repräsentation aufgezeigt werden, um die Thesenhaftigkeit, die in der Aufforderung nach Provinzialisierung und der Idee der Machtartikulation der Wissensproduktion liegt zu konkretisieren. [20]
Wir schlagen als einen ersten Schritt vor, Provinzialisierung in der qualitativen Forschung als einen Vorgang zu verstehen, in dem die Grenzen, Spezifika und Besonderheiten des Gegenstands und der Forschungsperspektive deutlich sichtbar gemacht werden. Dieser Gedanke lässt sich dann auch in eine Gegenbewegung zu bisherigen Grundlegungen sequenzanalytischer Verfahren überführen, mit denen versucht wird, universale Aussagen auf der Basis einseitiger kultureller Verankerungen zu treffen. [21]
Schaut man nun ganz konkret zunächst auf den Interpretationsprozess und auf die Konzeption der objektiven Hermeneutik (OEVERMANN, ALLERT & KONAU 1980), aber auch ihre Weiterführung etwa bei WERNET (2000), so sehen wir insbesondere in der Lesartenbildung ein zentrales Moment, in dem Normalitätsannahmen in den Interpretationsprozess einfließen. Eine Sequenz oder Lebenspraxis wird dafür zunächst ohne konkretes Hintergrundwissen gelesen, um mögliche Kontexte gedanklich und möglichst erschöpfend zu erschließen, in denen dies gesagt, gemacht oder vollzogen werden könnte. Hierbei spielt aus unserer Sicht die Kenntnis von Lebenswelten und Lebenspraktiken eine erhebliche Rolle für die Möglichkeiten, die die Interpretierenden erschließen können. Es ist ausschlaggebend für die Deutung, ob sie unterschiedliche kulturelle Kontexte kennen, aber auch, welche Normalitätsannahmen damit jeweils einhergehen. Dabei werden Grenzen des Normalen konzeptionell bereits gesetzt und auch im Interpretationsprozess – tritt man einen Schritt zurück – sichtbar.4) So schrieb etwa OEVERMANN mit Bezug auf psychologische Grenzen des Normalen: "In der wissenschaftlichen Forschungspraxis können wir dagegen darauf vertrauen, dass eine sorgfältige Rekonstruktion der Protokolle hinsichtlich ihrer objektiven Sinnstruktur jederzeit und problemlos in der Lage ist, Operationen der strategischen Täuschung oder der neurotischen Selbsttäuschung aufzudecken" (2004, S.332). [22]
Wir hinterfragen hier mit Blick auf eine post- und dekoloniale Weiterentwicklung dieses grenzenlose Vertrauen in das Aufdecken von (Selbst-)Täuschungen, gerade aufseiten der Forschenden. In den oben nachgezeichneten Problemfeldern, die in der postkolonialen Debatte aufgemacht werden, wird Kritik in Bezug auf die etablierten Methoden deutlich, die auch rekonstruktive Verfahren stärker trifft als bisher diskutiert. Um auf diese Problematik empirisch genauer einzugehen, diskutieren wir im Folgenden Grenzen, die wir anhand von zwei Beispielen aus unseren Forschungsprojekten ableiten: erstens die des Verstehens, um zu zeigen, dass in sequenzanalytischen Verfahren eine Fiktion des Universalverstehens gepflegt wird und damit auch Deutungen generiert werden, die als Referenz auf die Lebenswelt der Forschenden Sinn ergeben, aber nicht zum Verständnis der Lebens- und Erfahrungswelt der Interviewten beitragen (Abschnitt 3.1). Und zweitens geht es um die Grenzen der Deutungsmacht: Gehen die Forschenden mit einer starken ethischen Sensibilität etwa gegenüber dem Ungleichheitserleben der Interviewten an das Material heran, kann das auch zu einer zu starken Schließung des Interpretationsprozesses und einer Überrepräsentanz von deren Deutungen führen. So bleiben andere Lesarten, in denen dieses Erleben dezentriert wird, unentdeckt (Abschnitt 3.2). [23]
Im ersten Beispiel zeigen wir, dass Deutungsangebote nicht darauf beschränkt sind, welche Erfahrungen die Forschenden selbst gemacht haben. Wohl aber sind sie davon abhängig, welche Lebenswelten sie kennen, über welche sie Informationen besitzen bzw. sich verschaffen und welche sie gedankenexperimentell folglich aufrufen können. Die Interpretationen sind also Ergebnis des Interaktions- und Wissensgefüges, in das Forschende sich im Rahmen des Deutungsprozesses begeben. [24]
Das Beispiel stammt aus dem Projekt "From Agency to Action?" (VOGL 2020), für das Teilnehmende an Programmen von Frauenorganisationen im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu interviewt wurden.5) Es handelt sich um die Eingangssequenz aus einem biografischen Interview mit einer Frau im Alter von circa 60 Jahren, die 20 Jahre lang eine zentrale Figur in einer lokalen Frauengruppe in dem Dorf war, in dem sie lebte. Auch nachdem sie aufgrund ihrer zunehmenden Verarmung als Witwe und der Schwierigkeit, die Spareinlage zu bezahlen, aus der Gruppe ausschied, war sie eine bekannte – wenn auch zunehmend bemitleidete – Persönlichkeit. Die Frauengruppe war zum Zeitpunkt des Interviews bereits seit über 20 Jahren aktiv und über das Dorf hinaus für Interventionen in Fällen häuslicher Gewalt, von Vergewaltigung oder von anderen Formen von Gewalt gegen Frauen bekannt.
"JV: My first question is: Can you tell me about your life? From young age until today? You can tell as much as you want and take yourself time to speak and think.
LM6): What she's asking first is to tell about your life from your young age till now.
Sundari: In my family, there are my mother, my father, my elder brother, my elder sister, and me. We are five members. My name is Sundari, my brother's name is Satvik, my sister's name is Kakali. When I was young, my father died. My mother was there. My mother arranged the marriage for my brother, she also arranged the marriage for my sister. My sister has three sons. Four sons, one baby died immediately. Another baby died after some time. Now, my sister had two children. My sister as well as her husband died. My brother also has one daughter. She's the mother of Sahana [a girl we had visited together before]. Then my brother died. My sister died, her husband also died. They gave me to [name of a village], near [name of next big town] and I got one son. When my son was seven years old, my husband died. [...] The children were not in control7) because they were very small and I was supposed to save them. That's why I never married again. I made my sister's sons to study till 10th standard. [...] I have brought them up to a certain level. It was very difficult" (Interview mit Sundari, 6. März 2015). [25]
Das Interview mit Sundari analysierten wir in einer Interpretationsgruppe mit soziologischer Expertise, in der niemand außer Janna VOGL Hintergrundwissen zum südindischen Kontext hatte. Es fiel erstens die sofortige Einbettung in den eigenen Familienkontext auf, die sich durch die ganze Eingangssequenz zog. Sundari begann trotz der Aufforderung, über ihr eigenes Leben zu erzählen, mit einer Erzählung über ihre Familie. Sie stellte sogar alle Mitglieder ihrer Familie mit Namen vor. Zweitens wurde das Aneinanderreihen von Todesfällen bemerkt und die vielen Schwierigkeiten, die Sundari herausstellte. Es wurde die Annahme geäußert, dass dies auf Sundaris prekäre Lebensumstände verweise. Ihre Erzählung folge keinem Muster individualisierender Zurechnung, noch betonte sie individuelle Entscheidungen und Möglichkeiten. Stattdessen stünden Notwendigkeiten, auf die sie reagieren musste, im Fokus. Insgesamt gab es eine gewisse Ratlosigkeit, wie diese Erzählung zu lesen sei. Als Ergebnis der Diskussion einigten wir uns dann darauf, dass Konzepte individueller Autonomie für Sundari nicht plausibel sein würden. Dies zeigt eine Parallele zu einer gängigen Lesart in der Forschungsliteratur zu lokalen Frauenorganisationen in der Region, mit der oft betont wird, dass Frauen den Wert von familiärer Zugehörigkeit schätzten und Konzepte individueller Autonomie bzw. die Anliegen von Frauenorganisationen generell damit eher geringe Plausibilität erlangen könnten (z.B. KABEER 2011). [26]
Infolge der Unzufriedenheit mit den Deutungen, die in der Forschungswerkstatt gefunden wurden, suchte Janna VOGL nach weiteren möglichen Bedeutungen. Eine andere Interpretation der Sequenz erschloss sich nach weiterer Recherche, insbesondere nach der Lektüre bestehender Arbeiten zu biografischen Erzählungen von Frauen in Südindien (vgl. z.B. RAM 2007). So argumentierte MATTHES (1985, S.315), dass es starke kulturelle Unterschiede über das gebe, was als "narrative Kompetenz" gelte, und welche Arten von Erzählungen hiermit verknüpft seien. In Bezug auf Tamil Nadu stellte RAM heraus, dass das Alter und die Akkumulation schwieriger Erfahrungen eine wichtige Bezugsgröße narrativer Kompetenz seien: "Young, unmarried women are not regarded as having suffered as yet—and they themselves refer the ethnographer to older women who have the most 'beautiful' stories: to those who have experienced hardships and dealt with them" (2007, S.150). [27]
Mit diesem Hintergrundwissen kann man Sundaris Einstiegssequenz nun völlig anders interpretieren: Die schwierigen Erlebnisse und Todesfälle in der Familie, die sie direkt zu Anfang des Interviews aufzählte, waren auch ein Nachweis über ihre – nicht nur narrative – Kompetenz. Diese Art der Kompetenz, das Durchleben schwieriger familiärer Erfahrungen, konnte auch innerhalb der lokalen Frauengruppe als Begründung Plausibilität erlangen, warum gerade Sundari als "Anführerin" geeignet und über Jahre hinweg immer wieder gewählt worden war. [28]
Dass die Narration für die Interpretierenden in der Forschungswerkstatt nicht wirklich verständlich war, deutete sich einerseits durch das Gefühl der Ratlosigkeit an. Andererseits wurden dennoch Interpretationsangebote gemacht. Man könnte hier von Zugzwängen des Interpretierens sprechen: Hinter diesen steht dann einerseits eine spezifische Situation, in der sich eine Gruppe zusammenfindet, um sich den Interviewtext sinnhaft zu erschließen, d.h., es wird qua definitionem nach Sinn und Erklärungen für das zu interpretierende Datenstück gesucht. Es ist aber auch eine Logik des Verstehenwollens bzw. der Aufrechterhaltung von Sinnverstehen im Spiel, die sich in Alltagssituationen ähnlich findet. Innerhalb rekonstruktiver Methoden ist es kaum möglich, zu dem Schluss zu gelangen, dass die Erzählung nicht nachvollzogen werden kann, da über die Interpretation Sinn hergestellt wird (ähnlich wie etwa aus den künstlich hergestellten Abweichungen in GARFINKELs Krisenexperimenten [1973 (1967)] wiederholt versucht wurde, Sinn zu generieren). Schaut man kritisch auf Auswertungsprozesse, so ließe sich die These aufstellen, dass eine Fiktion des Universalverstehens gepflegt wird – und gepflegt werden muss. Denn die Auswertung basiert auf der Annahme, das Gesagte, Geschriebene und Getane verstehen zu können und durch die Explikation der Sinnbezüge Deutungen zweiten Grades hervorbringen zu können. Wann jedoch machen Forschende sich im Auswertungsprozess bewusst, wo die Grenzen auch des intersubjektiven Verstehens liegen? Und wie lässt sich das Interpretationsangebot einordnen, wenn diese Grenzen nicht bewusst gemacht und dokumentiert werden? [29]
Die oben kurz geschilderten Deutungsangebote, die in der Forschungswerkstatt gemacht wurden, haben einen gemeinsamen Kern: Mit ihnen wird die Erzählung von Sundari als Abweichung von einer implizit angenommenen "Normalerzählung" gelesen, sie wird damit in der Referenz zu den Forscher:innen bekannten Biografien sinnhaft. Die Annahmen über die Art der zu erwartenden Erzählung, die hinter einer solchen Interpretation stehen, sind kulturell sehr spezifisch und greifen ein unter anderem in Deutschland zentrales Muster der Selbstthematisierung auf, das entlang der individualisierenden Zurechnung von lebensgeschichtlichen Ereignissen strukturiert ist. Wenn zum Beispiel die sofortige Einordnung in den Familienkontext hervorgehoben wurde, fungierte die Erzählung von Sundari als "Anderes". Die Interpretierenden stellten die Annahme in den Raum, dass hier eine für Indien typische, "kollektivistische Orientierung" sichtbar werde. Dies half jedoch nicht zu verstehen, wie Sundaris Erzählung in ihrem eigenen Lebens- und Erfahrungskontext einzuordnen wäre. Letztlich wurde das Ziel verfehlt, die subjektiven Deutungen der Befragten oder kulturellen Bedeutungen des Feldes mit zu rekonstruieren. Dies wird allerdings, je nach Vorwissen der Interpretierenden, nicht unbedingt sichtbar. Während eine "Haltung der Verfremdung" im sequenzanalytischen Paradigma als Ressource zählt und der (künstliche) Abstand zum Material gerade eine Strategie und Stärke sequenzanalytischer Verfahren ist (PRZYBORSKI & WOHLRAB-SAHR 2021, S.322), kommt dieses Vorgehen an seine Grenzen, wenn die Referenz des Fremdseins – und damit die vorläufige Unmöglichkeit zu verstehen – nicht offengelegt wird. [30]
Das Beispiel zeigt, dass für methodische Verstehensprozesse nicht nur nötig ist, das Material künstlich von bekannten Routinen oder Lebenswelten abzurücken, sondern zuallererst auch eine gemeinsame kommunikative Basis notwendig ist, die in interkulturellen Verstehensprozessen aufwändiger herzustellen ist (SCHRÖER 2009), aber auch in intrakulturellen Kommunikationssituationen nicht anstandslos vorausgesetzt werden sollte.8) Mit einem methodischen Zugang, der zumindest verhältnismäßig nah an eigenen Lebens- und Erfahrungskontexten erprobt und entwickelt wurde, gerät das tendenziell in Vergessenheit. Wenn eine solche geteilte kommunikative Basis nicht besteht, werden die Verständnislücken durch Interpretationsangebote gefüllt, die vor dem Hintergrund der eigenen bzw. der zugänglichen Lebens- und Erfahrungskontexte und Referenzen generiert werden. Im beschriebenen Beispiel wurden Grundannahmen über erzählanalytische Verfahren herangezogen, über die die Grenzen des Verstehens kaschiert wurden. Dies waren Annahmen über Formen narrativer Kompetenz oder über spezifische Muster der Selbstthematisierung, die als typisierte "Normalerzählung" und Abgrenzungsfolie für "andere" Erzählungen dienten. Es resultiert damit die Frage, wie es gelingen kann, unbekannte Formen narrativer Kompetenz oder bisher nicht verständliche Muster der Selbstthematisierung in die Auswertungspraxis als Hintergrundfolie miteinzubeziehen. [31]
Um es erneut zu betonen: Aus unserer Sicht bedeutet eine Provinzialisierung nicht, dass eigene Erfahrung über die Deutungskompetenz entscheidet. Zentral ist vielmehr die Bereitschaft, sich in die Sinnprovinz einzudenken, auch wenn die dafür erforderliche Lektüre und weiterführenden Gespräche, Beobachtungen und Interaktionen nicht unmittelbar die Forschungsfrage tangieren. Aus dem Anspruch, Grenzen des Verstehens sichtbar zu machen, folgt auch die strikte Trennung von Expert:innen und Lai:innen aufzugeben. In der Konsequenz bedeutet dies, im weiteren Sinne mit dem Feld vertraute Personen (z.B. Kenner:innen des tamilischen Kontexts, tamilische Muttersprachler:innen oder allgemein nicht-interviewte Angehörige des Feldes) in die Deutungsprozesse einzubeziehen.9) [32]
Im Folgenden gehen wir auf die Grenzen der Deutungsmacht im Rekonstruktionsprozess ein. Diese bleiben – analog zum ersten Beispiel – oft implizit, weil wir über Interpretationen Sinn herstellen. Im zweiten Beispiel zeigen sich die Grenzen soziologischer Interpretation, wenn Erfahrungen psychologisch gedeutet und damit stark auf die Folgen für das Subjekt hin untersucht werden. Dabei handelt es sich um das Erleben von Machtunterschieden und Gewalt. Bei deren Analyse entsteht die Schwierigkeit, Ungleichheitsverhältnisse nicht zu reproduzieren und sie dennoch beschreib- und benennbar zu machen. Eine Lesart, für die veranschlagt wird, dass sie über den subjektiven Sinn hinausgeht, ist dann besonders prekär, wenn die Deutung der eigenen Lebensgeschichte ausgeprägte Verletzungen enthält. Der Umgang hiermit unterscheidet sich stark danach, ob die Lebenswelt der diskriminierten Person den Forschenden bekannt ist oder nicht.10) Um diese These zu erläutern, schauen wir im Folgenden beispielhaft auf die Rekonstruktion einer Diskriminierungserfahrung. [33]
In der Studie "Der Islam als akademische Praxis" (DREIER 2023) berichteten viele Studierende von Diskriminierungen in ihrer Schulzeit. Eine Interviewte führte dies besonders intensiv im Interview aus, da solche Erlebnisse diese Lebensphase für sie geprägt hätten. Sie führte dies zunächst darauf zurück, dass sie das einzige türkische Mädchen auf dem Gymnasium war, im Weiteren aber auf ihre Religionszugehörigkeit, wegen der ihre Mitschüler:innen annahmen, dass sie keinen Alkohol trinke und nicht auf Partys gehe.
"und ich hab gemerkt dass es nicht an meinem=Nationalität lag (.) ganz klar nicht (.) also die wurde auch benutzt um mich halt zu diskriminieren und und zu mobben oder so aber (1) mh ich=es es gab ja auch en türkischen Jungen zum Beispiel der=alles mitgemacht hat und der war genau so cool wie sie also es ging eher darum dass ich aus religiösen Gründen nicht mitgemacht habe" (Interview mit Lale, 11. Juli 2017).11) [34]
In der Erzählung machte Lale deutlich, dass es nicht an ihrer Nationalität lag, dass sie diskriminiert wurde, sondern an ihrer Religiosität. Zugleich wird implizit klar, dass damit kein eindeutiger Grund für die Diskriminierung festzumachen ist. Obwohl sie mit 14 Jahren den Wunsch äußerte, ein Kopftuch zu tragen, überzeugte ihre Mutter sie, damit zu warten, um den Mitschüler:innen nicht noch mehr Gründe für einen sozialen Ausschluss zu liefern. Die Exklusionserfahrungen, die Lale machte, hatten für sie zur Folge, dass sie sich zunehmend in der Schule unwohl und diskriminiert fühlte. Auch wenn sie mehrfach kurz vor einem Schulwechsel stand, absolvierte sie ihre Hochschulreife auf der Schule. [35]
Als sie das Studium der Islamischen Theologie begann, habe sich der Druck gelöst, der aufgrund dieser Erfahrungen auf ihr lastete:
"es war für mich auch so en Entkommen (1) aus diesen (.) also es=i- es ist leider so weil ich ja diese Erfahrungen mit meinem Jahrgang //mhm// gemacht habe [LD räuspert sich] dass ich dann aus einem aus einem nicht-muslimischen aus einer nicht-muslimischen //mhm// Umgebung in eine muslimische Umgebung flüchten wollte (.) und das war (.) [Universitätsstadt 3] war für mich wie en @Schlaraffenland@ //mhm// also ich war wirklich nur unter Muslimen in diesem Studiengang auch (.) und das hat sich so gut angefühlt ich hab mich total frei gefühlt keiner hat mich verurteilt für das was ich gemacht hab" (Interview mit Lale, 11. Juli 2017). [36]
Das Studium stellte einen Kontrast zu den früheren Erfahrungsräumen von Lale dar. Während sie in der Schule als Expertin für den Islam angesprochen und als vermeintlich gläubige Muslimin von Peeraktivitäten ausgeschlossen worden war, empfand sie es als "Schlaraffenland", im Studium nicht mehr erklären zu müssen, dass sie Muslimin ist oder dafür "verurteilt" zu werden. Im Studiengang Islamische Theologie fand sie eine muslimische Binnenstruktur vor. Sie fühlte sich nun als Teil ihres Umfelds, da sie von einer Muslimin mit Kopftuch in der Schule zu einer Studentin unter anderen muslimischen Studierenden wurde. Aufgrund ihrer Diskriminierungs- und Stigmatisierungserfahrungen erschien das Institut für Islamische Theologie als Ort, an dem ein neues Verständnis ihres Selbst ermöglicht wurde. [37]
Wir befassten uns mit dem Interview in einer Interpretationsgruppe dreier Soziolog:innen mit unterschiedlichen thematischen Expertisen. Im Mittelpunkt standen die Erfahrungen der Studentin, aber auch ihr Empfinden, im "Schlaraffenland" zu sein. Wir deuteten dies im Hinblick auf die Schulzeit und das Erleben sozialer Desintegration aufgrund der Diskriminierung, die nicht nur Lale, sondern viele muslimische Studierende gemacht hatten. In der Gruppe war als Grund für Lales Befreiung von der Diskriminierung die (von ihr so genannte) Bedingung formuliert worden, dass sie "wirklich nur unter Muslimen" war. Die Trennung unterschiedlicher Personen nach Religionszugehörigkeit, die damit mitschwang, fiel in der Interpretation zunächst nicht auf. Allerdings problematisierte eine Kollegin beim Lesen der Stelle die religionsbezogene Trennung, die von der Studentin idealisiert worden war. [38]
Mit Blick auf den Prozess der Rekonstruktion kommt damit die Frage auf, inwiefern gerade die Vorsicht im Umgang mit Diskriminierung und mit der Erfahrung von vulnerablen Minderheiten Blindstellen entstehen lässt. Die Folgen einer Trennung unterschiedlicher Lebenswelten, die von der Interviewten als etwas Positives beschrieben worden war, war aufgrund des Fokus auf die Diskriminierungserfahrungen in der Gruppe nicht thematisiert worden. [39]
Dies steht für die Schwierigkeit des vorläufigen Endes einer Interpretation: Ziel und Aufgabe einer sequenzanalytischen Rekonstruktion ist es, Falllogiken und -muster aufzuspüren. Da die Interpretationen zentrale Grundlage für die sukzessive Generalisierung von Fall- und später Gegenstandsthesen sind, sind sie auch auf der Ebene des Falls relevant. Im hier besprochenen Beispiel ist nun interessant, dass die Anerkennung von Diskriminierungserfahrungen eher zu einer Überrepräsentanz der Deutung der Interviewten geführt hatte. [40]
Abgesehen davon, dass immer noch andere Interpretationen möglich sind, ist zu fragen, warum diese Lesart in der Gruppe nicht miteinbezogen worden war. Waren die verletzenden Erfahrungen, wie eben jene, stigmatisiert und diskriminiert zu werden, analytisch schwieriger zugänglich? Genau das Vorgehen sequenzanalytischer Verfahren, Sinn extrem verlangsamt zu erschließen, macht zwar einerseits die Perspektive des Gegenübers verstehbar. In diesem Prozess ist jedoch andererseits deren Problematisierung erschwert, weil über eine Deutung marginalisierender Erfahrungen, die über eine deskriptive Wiedergabe hinaus geht, eben auch Differenz reproduziert werden kann. [41]
Hierin sehen wir eine der Grenzen der Auswertung, die wir hier vorläufig als Grenze der Deutungsmacht bezeichnen. Um die Methode zu schärfen, könnte man sich in der Interpretation verletzender Erfahrungen, über die wir aus forschungsethischen Gründen nur "sorgsam" Deutungsmacht erheben können auf die Praxis des qualitativen Vergleichs (PRZYBORSKI & WOHLRAB-SAHR 2021, S.377f.) stützen. Marginalisierungserfahrungen kommt eine Sonderstellung in sequenzanalytischen Verfahren zu, weil z.B. in einer Situation, in der Forschende als Teil der Gruppe wahrgenommen werden, die die Marginalisierungserfahrung ausgelöst hat, eine Verobjektivierung durch die Forschenden besonders prekär ist. Die Diskriminierung zu reproduzieren sollte vermieden werden, sodass die Analyse dieser Form der Erfahrungen eine besondere interpretative Sensitivität erfordert: Es ist verstärkt zu reflektieren, inwiefern (z.B. psychologische) Aspekte der Erfahrung, die wir rekonstruieren wollen, von uns tatsächlich nicht gänzlich verfügbar gemacht werden können. Allerdings leiten wir daraus nicht ab, Marginalisierungserfahrungen der Interpretation zu entziehen, sondern solche Grenzen der Deutungsmacht als Anlass für einen gezielten, themenbezogenen Vergleich zu nehmen: eine Kontrastierung mit anderen Diskriminierungserfahrungen (beispielsweise Marginalisierung in ganz anderen Mehr- und Minderheitsverhältnissen) vorzunehmen, um ein Verstehen subjektiver – wenn auch verletzender – Erfahrungen zu ermöglichen. Ziel eines solchen Beschreibens und Verstehens wäre es, auch diese intersubjektiv nachvollziehbar und soziologisch erklärbar zu machen.12) Das Problem unterschiedlicher Lesarten (es ist nicht nur Diskriminierung, sondern auch Segregation) und der Unterschied zwischen subjektiven (Diskriminierung) und intersubjektiven Deutungen verweisen zudem darauf, verschiedene Bezugnahmen von Erfahrungen mitzudenken.13) Interpretationen können auch widersprüchlich sein, Erfahrungen multireferentiell. [42]
4. Sequenzanalyse vor dem Hintergrund postkolonialer Kritik weiterdenken
Ausgehend von zwei Beispielen haben wir einen kurzen Einblick in die Logik empirischer Material- und Ergebnisproduktion gegeben und Irritationen und Grenzen aufgezeigt, die dabei entstanden sind: Aus dieser analytischen Perspektive auf die eigene Herstellung von Wissen in der qualitativen Praxis werden die Grenzen des Verstehens und der Deutungsmacht sichtbar. Damit sind zugleich Grundannahmen berührt, die hinter sequenzanalytischen Verfahren stehen und die auch Auswertungsprozesse beeinflussen. [43]
Wir stimmen dem Vorschlag zu, das Problem der Repräsentation, das Anstoß zu dieser Perspektivierung qualitativer Auswertungspraktiken gegeben hat, über eine Provinzialisierung (REUTER & VILLA 2015b) der Deutung in einem ersten Schritt in die Forschungspraxis zu übersetzen. In Bezug auf die Sequenzanalyse verstehen wir "provinzialisieren" als eine Haltung, durch die die Wahrscheinlichkeit erhöht wird, dass die ans Material herangetragenen Erwartungshorizonte bzw. Interpretationsangebote auch dort als verfehlt oder unvollständig sichtbar werden, wo es erstaunlich stabile Mechanismen gibt, dies zu verhindern. Mit unseren Beispielen haben wir gezeigt, dass diese Mechanismen auch im Rahmen rekonstruktiver Verfahren zum Tragen kommen können, in die Irritationen systematisch eingebaut werden sollten. So können beispielsweise in Fällen von Diskriminierungserfahrungen nur vorsichtig Deutungsangebote gemacht werden, was dazu führen kann, dass Deutungen, die nicht denen der Interviewten entsprechen, nur schwer in den Blick kommen (Beispiel 2). Die subjektive Deutung bleibt hier also aus einer ethischen Sensibilität heraus zu dominant. Es kann andersherum der Fall sein, dass Interpretationsangebote gemacht werden, ohne dass eine wirkliche Basis zum Verständnis der Erzählung besteht. Oft werden solche Grenzen des Verstehens durch die Verwissenschaftlichung von Unwissen überdeckt: Es wird in kulturell spezifischen Kontexten entstandenes Fachwissen angeführt, welches deswegen ebenfalls unpassend ist (Beispiel 1). Abschließend wollen wir diskutieren, welche Folgen die Forderung einer Provinzialisierung für 1. die Praxis der Auswertung und 2. Generalisierungsansprüche der Sequenzanalyse hat. Methodologische Schlussfolgerungen, die sich sicherlich auch aus den Überlegungen ableiten lassen, bleiben dabei aus pragmatischen Gründen zunächst außen vor. [44]
Welche Rückschlüsse sind für die Praxis der Auswertung zu ziehen? Um die Irritation lebensweltlicher (Vor-)Annahmen im Interpretationsprozess wahrscheinlicher zu machen, schlagen wir auf Grundlage des ersten Beispiels vor, kulturell spezifische Narrative zu dezentrieren und damit eine Überrepräsentation spezifischer kultureller Deutungen aufzugeben. Insoweit sollten zeitlich und örtlich spezifische Formen der Selbstthematisierung nicht als Norm, sondern als Kontrastfolie angesetzt werden. Eine Technik, die hier provinzialisierend wirkt, ist, empirisches Material aus sehr unterschiedlichen Kontexten systematisch zu kontrastieren, also gerade nicht zu singularisieren, sondern maximale Kontraste zu nutzen. Die Kopräsenz unterschiedlicher Kulturen der Erfahrungen, der Erzählweisen muss sich in der Kopräsenz unterschiedlicher Deutungen widerspiegeln. [45]
Wir halten an der Prämisse der Sequenzanalyse fest, über die Auseinandersetzung mit dem empirischen Material in einem kleinschrittigen, extensiven Deutungsprozess Sinn zu erschließen. Wir widersprechen damit dem vereinfachenden Schluss, dass subjektive Erfahrung die Voraussetzung für Wissen ist. Wichtig wäre es allerdings, kritisch zu realisieren, dass Auswertungsprozesse in Interpretationsgruppen manchmal vor allem das versammelte Unwissen über den durch die Linse des Interviewtextes betrachteten Kontext aufzeigen. Diesem Dilemma zu entkommen, bedeutet auch die in Lesarten produzierten Sichtweisen auf das empirische Phänomen als Daten zu verstehen, in denen Zuschreibungen ebenso (re-)produziert werden wie emergierende sozialwissenschaftliche Kategorien. Interpretationsangebote im Forschungsprozess wären damit radikal als vorläufig zu behandeln, da zunächst nicht klar ist, wie viel sie über den tatsächlich interessierenden Lebens- und Erfahrungskontext aussagen. [46]
Wir rufen damit zum einen zu einer größeren Bescheidenheit auf: Es sollte aktiv gefragt werden, ob die Interpretationsgruppe in der Lage ist, die jeweilige Aussage zu verstehen. Um zu dem Eingeständnis zu kommen, dass man hier an eine Grenze gelangt, ist es nötig, die Referenzen der für die Sequenzen angebrachten Interpretationen zu prüfen. Vor dem Hintergrund welcher Erfahrungs- und Lebenskontexte werden sie sinnhaft? In Bezug auf welche historisch-kulturellen, sozialen Kontexte wird damit das Gesagte verortet? Ist es vorstellbar, dass andere mögliche Referenzen in der Gruppe nicht abrufbar sind, sodass bestimmte Deutungen systematisch verstellt sind?14) Gelangt man an diesen Punkt, ist es anschließend möglich, nach Wegen zu suchen, diese Deutungen über z.B. eurozentrische Verengungen hinweg ebenfalls einzubeziehen. Dafür ist es zum anderen notwendig, von vornherein unterschiedlich disziplinär und regional versierte Perspektiven auch in die Auswertung mit einzubeziehen, um Zusammenhänge zwischen Interpretationen und dem jeweiligen kulturellen Kontext, in dem sie Sinn ergeben, erkennen zu können. Davon könnte nicht nur eine kultur- sondern auch eine klassensensible Analysepraxis profitieren. [47]
Es ist im Kontext qualitativer Forschung keine neue Idee, die eigene Position innerhalb des Forschungsprozesses von der Erhebung bis zur Auswertung sichtbar zu machen. Jedoch stellt sich die Frage, welchem Ziel außer dem eines Bekenntnisses dies dient. Feldforschung heißt, konsequent Interaktionsforschung zu betreiben (STRÜBING 2024, S.50f.). Forschende Subjekte sind also selbst Gegenstand der Herstellung und Auswertung von Daten. Macht man die eigene Position sichtbar, wird erkennbar, wer ohne weiteres Kontextwissen gedankenexperimentell welche Lebenswelten aufrufen kann.15) An dem Beispiel der Diskriminierungserfahrungen und ihrer Interpretation wird jedoch auch deutlich, dass eine Scheu der Intersubjektivierung von subjektiven Erfahrungen über die eigenen Lebenswelten hinaus den Interpretationsprozess beschränken kann. Von daher halten wir es für zentral, intersubjektive Lesarten festzuhalten, diese jedoch explizit für spezifische Kontexte zu formulieren und systematisch mit anderen, themenbezogenen Kontrasten zu vergleichen. Dies spricht gegen ein höheres Tempo und eine stärkere Vereinfachung von Interpretationsprozessen und für eine stärkere Verfügbarkeit von Daten zum Vergleich bereits innerhalb dieser. [48]
Systematisch die Kritik an Repräsentationsbehauptungen ernst zu nehmen, die über konkrete geografische und zeitliche Verortungen hinausgehen, bedeutet in Zukunft jedoch noch weitere Schritte zu gehen, um sequenzanalytische Verfahren auch methodologisch weiterzuentwickeln. Als Ergebnis aus den Ausführungen in diesem Artikel lässt sich in Bezug auf die Generalisierungsansprüche der Sequenzanalyse (2.) hier festhalten, möglichst konkret und eng zu fassen, auf welche Einheiten hin verallgemeinert wird. Es macht dann vielleicht nur für bestimmte historisch-kulturelle Kontexte Sinn, einem Muster der individualisierenden Zurechnung von lebensgeschichtlichen Ereignissen ein gegenteiliges Muster entgegenzustellen, das weitgehend um Kollektivität zentriert ist. Die eigene Position zu reflektieren, bedeutet dann keine simplifizierende Reifikation von Klassifizierungen und Zuschreibungen. Stattdessen ginge es darum, die situative Verankerung der eigenen Wissensproduktion anzuerkennen und dafür Sorge zu tragen, dass sich diese Erkenntnis auf den Forschungsprozess und dessen Ergebnisse auswirkt. Durch Deutungen in sequenzanalytischen Verfahren werden Repräsentationen von Lebenswelten entworfen. Eine Explikation der Grenzen ermöglicht es, in den weiteren Interpretationsprozess Sichtweisen miteinzubeziehen, die über bisherige Repräsentationen hinausgehen, oder die Begrenztheit eigener Sichtachsen klar zu benennen. Die Situiertheit der angebrachten Generalisierungsversuche wird so deutlich markiert. Wir halten hier am sequenzanalytischen Zugang fest, über die Erforschung unterschiedlicher Lebenswelten eine "Repräsentation" zu ermöglichen, meinen aber, dass diese Forderung insbesondere vor dem Hintergrund postkolonialer Kritik bedeutet, die Kontraste zwischen Lebenswelten – über eurozentrische Verengungen hinweg – zu erweitern. Für die Generalisierung im rekonstruktiven Forschungsprozess lädt das zu einer stärkeren Kontrastierung ein und verschiebt den Zeitpunkt der Generalisierung, da eine längere Phase des maximalen Vergleichs vorweggeht. Wenn situierte Wissensansprüche auf der Grundlage ausgewiesener Kenntnisse der jeweiligen Kontexte entstanden sind, können sie in einem zweiten Schritt miteinander in Beziehung gesetzt werden. Auch für die Grundlegung sequenzanalytischer Verfahren gälte dann diese Verschiebung der Generalisierung: Bisherige Grundannahmen, die als anthropologische Konstanten dargestellt werden, sollten zunehmend als kulturell spezifisch verankerte Formen und Referenzen sichtbar werden, die einer global angelegten Methodologie entgegenstehen. Als Folge dieser Einsicht müssten im ersten Schritt dann stärker situierte Wissensansprüche entstehen: Wissen über Kommunikationsweisen, Ideale narrativer Kompetenz oder Formen der Selbstthematisierung in verschiedenen Gesellschaften (siehe dazu BECKER & BURCHARDT 2023) und Subkulturen. In einem zweiten Schritt könnten solche Erkenntnisse über ganz verschieden verankerte Narrative und Kommunikationsweisen wieder miteinander in Beziehung gesetzt und nach Gemeinsamkeiten oder Differenzen befragt werden. Dies würde ermöglichen, die Grundannahmen sequenzanalytischer oder rekonstruktiver Verfahren auf eine Weise neu auszuformulieren, die einer global anschlussfähigen Methodologie und der Multireferentialität der Empirie gerecht wird. [49]
1) Für einen Überblick über Denktraditionen, die sich unter den Begriffen postkolonial und dekolonial finden, siehe BHAMBRA (2014). In BHAMBRAs Darstellung fehlen allerdings systematisch Theoriediskurse aus afrikanischen Ländern, so prägte unter anderem WA THIONG'O (1986) mit seinem Buch "Decolonising the Mind" den Begriff decolonial. <zurück>
2) Mit dem Begriff der Provinzialisierung greifen wir den Gedanken auf, den Dipesh CHAKRABARTY in seinem Buch "Provincializing Europe" (2000) formulierte, nach dem Europa als eine Provinz anstelle eines unausgesprochenen Norm- und inhärenten Vergleichspunktes der Geschichtsschreibung zu verstehen sei. Wir schließen uns nicht notwendig CHAKRABARTYs Vorgehen an, weil die Diskussion seitdem intensiv weitergeführt wurde. Die Dezentrierung jedoch implizit universell gesetzter Vergleichshorizonte halten wir für eine zentrale Denkfigur, die für die Weiterentwicklung qualitativer Methoden genutzt werden kann und zum Teil auch schon genutzt wurde (BECKER & BURCHARDT 2023). <zurück>
3) Auch BETHMANN und NIERMANN argumentierten, dass gerade sequenzanalytische Verfahren, anders als zum Beispiel die Grounded-Theory-Methodologie, sich anbieten, um "Daten mit hoher interaktiver Dichte" zu analysieren (2015, §36). <zurück>
4) Zu dieser Kritik an Idealvorstellungen, die in der Interpretation als Kontrastfolien genutzt werden, siehe BOHNSACK (2008 [2007], S.65). <zurück>
5) In diesem wie auch dem folgenden empirischen Beispiel wurden alle Namen pseudonymisiert. <zurück>
6) Die Interviews wurden auf Tamil geführt und simultan ins Englische übersetzt. Die übersetzten Passagen wurden mit einem Kürzel des Vornamens (Lourdhumary) der Übersetzerin versehen (LM). Janna VOGL (JV) hat Grundkenntnisse des Tamilischen und konnte die Gespräche nachvollziehen. Das Transkript, aus dem hier zitiert wird, ist aus den tamilischen Passagen entstanden, die im Anschluss an die Feldforschung zusammen mit tamilischen Muttersprachler:innen detaillierter als dies in den Simultanübersetzungen möglich war ins Englische übertragen wurden. <zurück>
7) Kursiv gestellte Worte weisen auf englischsprachige Begriffe im Original hin. <zurück>
8) Zur nur graduellen Differenz zwischen der Interpretation von empirischen Daten, die in inter- oder intrakulturellen Kontexten erhoben wurden, siehe auch REICHERTZ (2021). <zurück>
9) Dieser Aspekt wurde bereits in verschiedenen Publikationen betont, in denen gefordert wurde, Ko-Interpret:innen in den Deutungsprozess einzubeziehen und auch genauer zu überlegen, wie sich ein solcher Prozess konkret gestalten lasse (z.B. REICHERTZ 2021; SCHRÖER 2009). <zurück>
10) Hier geht es uns explizit darum, ob Lebenswelten bekannt sind und nicht, ob die zu interpretierenden Erfahrungen selbst gemacht wurden. <zurück>
11) Folgende Zeichen wurden in der Feintranskription genutzt: (.) = kurze Pause; (1) = Pause in Sekunden; @Wort@ = lachend gesprochen; Wort=Wort = zusammenhängend gesprochen; //mhm// = Einschub der Interviewerin. <zurück>
12) Siehe dazu auch BERESWILL und RIEKER (2008, S.427), die in den Forschungsbeziehungen selbst einen wichtigen Verstehensprozess sehen. <zurück>
13) In die Richtung deutet auch der Vorschlag einer Kontingenzsensibilität (BÖCKER, DREIER & JAKOB 2018). <zurück>
14) Im Sinne der Konzeption der dokumentarischen Methode ist die Begrenzung der konjunktiven Erfahrungsräume (BOHNSACK 2008 [2007], S.42) der Interpretierenden zu beachten. <zurück>
15) Die Problematik, die jedoch auch aus einer Insiderposition heraus erwächst und die durch Reflexion vor dem Forschungsprozess nicht aufgefangen werden kann, sondern in dessen Verlauf eine jeweils spezifische Positionalität für die Forschenden produziert, legte ADEMOLU (2024) dar. <zurück>
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Janna VOGL, Soziologin, ist Postdoktorandin am DFG-Graduiertenkolleg 2227 "Identität und Erbe" an der Bauhaus-Universität Weimar. Sie forscht, publiziert und lehrt zu Themen in den Bereichen soziale Bewegungen, post- und dekoloniale Theorien, Kultursoziologie, Gedächtnissoziologie und qualitative Methoden. Ausgewählte Publikationen sind "Scheiternde Begriffe. Eine dekoloniale Praxis empiriegestützter Theoriebildung" (im Erscheinen, in ANICKER, BRICHZIN & KERN: Begriffe als Werkzeuge der Soziologie, Soziale Welt Sonderband); "Petty Corruption in Women's Activism in South India: Metaphor for Critique or Skilled Practice?" (2022, in KANNABIRAN, HOLLSTEIN & HOFFMANN: Discourses on Corruption, New Delhi: Sage).
Kontakt:
Dr. Janna Vogl
Bauhaus-Universität Weimar
Fakultät Architektur und Urbanistik
DFG-Graduiertenkolleg 2227 "Identität und Erbe"
99421 Weimar
E-Mail: janna.vogl@uni-weimar.de
URL: https://www.identitaet-und-erbe.org/category/personen/kollegium/
Lena DREIER, Soziologin, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie der Universität Münster. Ihre bisherigen Forschungsthemen liegen in der Religionssoziologie (insbesondere Islam in Europa), Wissenssoziologie, Kultursoziologie, im qualitativen Längsschnitt und der Bildungsforschung. Ausgewählte Publikationen sind "Kommentar: Methodische Selbstverständlichkeiten hinterfragen / Die Befremdung der eigenen Methode" (2024, in SCHNABEL, WINKEL, SAMMET & YENDELL, Wiesbaden: Springer); "Kontingenzsensibilität. Empirische Kultursoziologie als Forschungshaltung" (BÖCKER, DREIER & JAKOB 2018, in BÖCKER, DREIER, EULITZ, FRANK, JAKOB & LEISTNER; Weinheim: Beltz Juventa).
Kontakt:
Dr. Lena Dreier
Universität Münster
Institut für Soziologie
Scharnhorststr. 121
48151 Münster
E-Mail: lena.dreier@uni-muenster.de
URL: https://www.uni-muenster.de/Soziologie/personen/dreier.shtml
Vogl, Janna & Dreier, Lena (2025). Sequenzanalytische Verfahren "provinzialisieren": Grenzen der Interpretation als methodische Impulse [49 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 26(1), Art. 9, https://doi.org/10.17169/fqs-26.1.4220.