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Volume 26, No. 3, Art. 2 – September 2025

Narrationen übersetzen – ethische und methodologische Herausforderungen in der qualitativen Sozialforschung

Angela Pilch Ortega

Zusammenfassung: Angesicht der zunehmenden Transnationalisierung lebensweltlicher Verhältnisse sowie der Entstehung multilingualer Räume ist die Auseinandersetzung mit Perspektiven auf Translation für die qualitative Sozialforschung von essenzieller Bedeutung. Die Übersetzung von qualitativen Daten scheint längst nicht mehr nur für die Migrationsforschung relevant. Vor diesem Hintergrund erscheint es zentral, eine kritisch-reflexive Diskussion über adäquate Methoden und Translationspraktiken im Umgang mit Narrationen anzuregen. Ziel dieses Artikels ist es, grundlegende forschungsethische, methodologische und epistemologische Fragen in Bezug auf die Übersetzung von empirischen Daten im Rahmen qualitativer Untersuchungen zu beleuchten und praxisorientierte Herangehensweisen zu skizzieren. Dabei werde ich zum einen kritische Diskurse der Translationswissenschaft aufgreifen und deren Relevanz für die qualitative Sozialforschung ausloten. Zum anderen werden Rahmenbedingungen der qualitativen Sozialforschung anhand des Beispiels einer biografieorientierten Studie im Hochland von Chiapas, Mexiko thematisiert und Überlegungen in Bezug auf die Umsetzung des entwickelten Übersetzungsdesigns der Studie präsentiert. Bei der Studie wurden bei der Erhebung keine Dolmetscher*innen einbezogen, sondern die Erhebung und Übersetzung der narrativen Interviews wurde von mir durchgeführt und sind somit Teil des Forschungsprozesses. Die Ausführungen beziehen sich demnach primär auf die Übersetzung von narrativen Daten und die Verbindung von Forschungs- und Translationstätigkeiten im Kontext multilinguale Sprachräume und Machtverhältnisse.

Keywords: narrative Daten; multilinguale Sprachräume; Übersetzung; Machtverhältnisse; qualitative Sozialforschung; Biografieforschung

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Forschen im Kontext multilingualer Sprachräume und Machtverhältnisse

3. Der Transfer von Bedeutungen: Übersetzung als Entscheidungsprozess

3.1 Narrationen als fluide Bedeutungskonglomerate

3.2 Die Bedeutung der Rolle von Translator*innen: Übersetzungsstrategien zwischen Reproduktion und Transformation von Herrschaftsinteressen

4. Übersetzen von narrativen Interviews: das Beispiel einer biografieorientierten Studie im Hochland von Chiapas

4.1 Rahmen der Untersuchung

4.2 Reflexion erkenntnisleitender Annahmen im Kontext der Biografieforschung

4.3 Herausforderungen bei der Erhebung (postkolonialer) narrativer Daten

4.4 Umsetzung des Übersetzungsdesigns

5. Abschließende Betrachtung

Danksagung

Anmerkungen

Literatur

Zur Autorin

Zitation

 

1. Einleitung

Die globale Vernetzung lebensweltlicher Bezüge sozialer Akteur*innen hat in den letzten Jahrzehnten zur Transnationalisierung sozialer Kontexte beigetragen und dabei multilinguale Sprachräume entstehen lassen, deren Beforschung Fragen, auch in Bezug auf die methodologische Herangehensweise, für die qualitative Sozialforschung aufgeworfen hat. Die Übersetzung von narrativen Daten stellt eine komplexe Herausforderung dar, in deren Rahmen ethische, methodologische und epistemologische Perspektiven geklärt werden müssen. Translationstätigkeiten1) sind dabei als Teil des Forschungsprozesses zu verstehen, in dessen Rahmen wichtige Entscheidungen getroffen werden müssen. Im Zentrum steht nicht nur die Frage, was genau übersetzt werden soll, sondern die Aufmerksamkeit wird vor allem auch auf das Wie der Übersetzung, die Übersetzungsstrategie und den Übersetzungskontext gelenkt (PILCH ORTEGA 2018a). [1]

Die Anwendungsfelder der Forschung, die Translationstätigkeiten erfordern, sind zunehmend heterogen. Transnationalisierung und Mehrsprachigkeit spielen längst nicht nur in der Migrationsforschung eine Rolle. Multilinguale Räume sind mittlerweile ein genuiner Bestandteil der unterschiedlichen Lebenswelten wie auch der Scientific Community. Im Rahmen länderübergreifender Forschungsprojekte oder im Zuge des professionellen Austauschs bei internationalen Konferenzen wird beispielsweise auf übersetzte empirische Daten rekurriert, ohne in der Regel die angewandte Übersetzungsstrategie – auch aufgrund mangelnder zeitlicher Ressourcen – eingehender zu thematisieren. Ähnliche Tendenzen finden sich bei Publikationen, bei denen auf übersetzte qualitative Daten rekurriert wird. Mehrsprachigkeit in der Kommunikation zwischen Forscher*innen, aber auch mit Interviewpartner*innen, stellt mittlerweile eher die Regel als die Ausnahme dar. [2]

Vor diesem Hintergrund erscheint es zentral, Übersetzungstätigkeiten im Rahmen qualitativer Sozialforschung stärker in den Fokus zu rücken und eine kritisch-reflexive Diskussion über adäquate Methoden und Translationspraktiken im Umgang mit Narrationen anzuregen und weiter zu vertiefen. Ziel dieses Artikels ist es, grundlegende forschungsethische, methodologische und epistemologische Fragen in Bezug auf die Übersetzung von empirischen Daten im Rahmen qualitativer Untersuchungen eingehender zu beleuchten und praxisorientierte Herangehensweisen zu skizzieren. Dabei werde ich zum einen kritische Diskurse der Translationswissenschaft aufgreifen und deren Relevanz für Untersuchungen der qualitativen Sozialforschung ausloten. Die Auseinandersetzung mit diesen kritischen Ansätzen, insbesondere das Infragestellen der Möglichkeit sprachlicher Äquivalenzbeziehungen, war für mich – auch in Bezug auf implizite normative Annahmen und Deutungsmuster – besonders gewinnbringend. Die Reflexion erkenntnistheoretischer Perspektiven unterstützte mich dabei, persönliche und fachliche Annahmen in Bezug auf Translationsnormen und -konventionen zu überdenken und kritisch in den Fokus zu rücken. Darüber hinaus werden Rahmenbedingungen der qualitativen Sozialforschung anhand des Beispiels einer biografischen Studie im Hochland von Chiapas, Mexiko (PILCH ORTEGA 2018a) thematisiert und Überlegungen in Bezug auf die Umsetzung des entwickelten Übersetzungsdesigns präsentiert. Anzumerken ist, dass ich als Forscherin die narrativen Interviews nicht nur selbst durchgeführt, sondern die anschließend transkribierten Interviews auch übersetzt habe. Auf die Dienste von Dolmetscher*innen wurde demnach bewusst verzichtet. Die dargelegten Praxisbeispiele geben Einblick in den Umgang mit qualitativen Daten in einem mehrsprachigen (postkolonialen) Kontext, wobei Herausforderungen bei der Übersetzung von transkribierten Narrationen als grundlegender Teil des Forschungsprozesses reflektiert werden. [3]

Zu Beginn gehe ich auf Aspekte des Forschens in multilingualen Räumen ein und beleuchte damit verbundene Machtverhältnisse (Abschnitt 2). Anschließend diskutiere ich den Transfer von Bedeutungen als Entscheidungsprozess. Dabei thematisiere ich Narrationen als fluide Bedeutungskonklomerate und beschreibe Übersetzungsprozesse im Spannungsfeld von Reproduktion und Transformation von Herrschaftsinteressen (Abschnitt 3). Danach gebe ich Einblick in eine Studie in einem postkolonialen Forschungskontext, in dessen Rahmen narrative Interviews übersetzt wurden. Neben dem Rahmen der Untersuchung werden Herausforderungen aufgezeigt sowie die konkrete Herangehensweise anhand von Interviewpassagen skizziert (Abschnitt 4). Abschließend fasse ich meine Schlussfolgerungen zusammen (Abschnitt 6). [4]

2. Forschen im Kontext multilingualer Sprachräume und Machtverhältnisse

Multilinguale Sprachräume, die Hybridisierung von Sprache und das Übersetzen von einer in eine andere Sprache werden besonders dort relevant, wo es darum geht, jenen Akteur*innen eine Stimme zu verleihen, die in benachteiligten Lebensverhältnissen oder in globalen Peripherien ihr Leben auszurichten suchen. Das wissenschaftliche Interesse an außereuropäischen sowie postkolonialen Lebensentwürfen und die Erforschung transnationaler Lebenswelten, etwa im Rahmen biografietheoretischer Untersuchungen (LUTZ 2010; TUIDER & LUTZ 2018), ist nicht erst in den letzten Jahren gestiegen. Dabei gilt es eine besondere Sensibilität in Bezug auf die kulturspezifische Konfiguration und die soziohistorische und soziokulturelle Einbettung dieser Lebensentwürfe zu entwickeln. Zudem müssen auch geopolitische Machtverhältnisse im Spannungsverhältnis von Zentren und Peripherien adäquat adressiert werden. Es stellt sich in diesem Zusammenhang die berechtigte Frage der Legitimität wissenschaftlicher Repräsentation, die eine Reflexion der Wissensproduktion unter hegemonialen Machtverhältnissen erfordert (PILCH ORTEGA 2018a). Im Zuge der gegenwärtigen Debatte im Rahmen der Biografieforschung werden vermehrt postkoloniale Perspektiven herangezogen, um diese in die kritische Betrachtung miteinzubeziehen (TUIDER & LUTZ 2018). [5]

Asymmetrien spiegeln sich nicht nur in Bezug auf Politiken sozialer Anerkennung und die mit der sozialen Positioniertheit einhergehenden Ressourcen und Zukunftsperspektiven wider, sondern auch hinsichtlich der von den Akteur*innen, verwendeten (Erst-)Sprache. Im Zuge empirischer Erhebungen sehen sich benachteiligte Personengruppen vielfach damit konfrontiert, sich in der Dominanzsprache des jeweiligen Nationalregimes artikulieren zu müssen. Die Fähigkeit, sich in einer Sprache hinreichend ausdrücken zu können, bildet eine wesentliche Voraussetzung für die Durchführung narrativer Interviews (LUTZ 2010). Was oft nicht bedacht wird, ist der Umstand, dass solchermaßen entstandene Narrative unter dem Aspekt des "Sprechens im hegemonialen Raum" (PILCH ORTEGA 2023, S.486) betrachtet werden müssen (LUTZ 2010). So hat etwa SPIVAK (1997 [1992]) darauf hingewiesen, dass bei Übersetzungsprozessen der Stellung der jeweiligen Sprache im hegemonialen Feld Rechnung getragen werden muss; ohne dieses Verständnis sei eine Übersetzung weder möglich noch sinnvoll (ENZENHOFER & RESCH 2011; SPIVAK 1997 [1992]). Eine gemeinsame Sprache bei einem Interview ist dabei kein Garant für egalitäre Machtstrukturen, wie GUTIÉRREZ RODRIGUEZ (2007 [2006], 2008) anhand ihrer Reflexionen zu einer Interviewsituation mit einer lateinamerikanischen Hausarbeiterin gezeigt hat. Migrationserfahrung und die spanische Sprache stellten dabei nur bedingt Bezugspunkte dar, den hegemonialen Dynamiken entgegenzuwirken. Der Umstand, dass sich die Interviewpartnerin in der Sprache der ehemaligen Kolonialherren ausdrücken musste, verdeutlicht die langfristige Wirksamkeit kolonialer Diskurse und die damit einhergehende Dynamik der Unterwerfung und Assimilation postkolonialer Lebensverhältnisse (ENZENHOFER & RESCH 2011). [6]

Die Tragweite von Machtkonstellationen im Zusammenhang mit Sprache sowie die dominante Wirksamkeit bestimmter Übersetzungskonventionen ist auch in der Praxis des Dolmetschens bei Gericht oder bei der Fremdenpolizei erkennbar. In Österreich obliegt das Interpretationsmonopol in diesen Settings des Community Interpreting den gerichtlich beeideten Dolmetscher*innen, wobei homologe, wortgetreue Übersetzungen nach wie vor präferiert werden. Nach PRUNČ (2000) ist die Beibehaltung dieser Translationsnorm nicht nur dysfunktional, sondern auch Ausdruck einer "bestimmten Interessenskonstellation", die darauf abziele,

"das Interpretationsrecht an der jeweiligen Aussage des/der Einvernommenen, Beschuldigten oder Angeklagten für sich allein zu beanspruchen. Dass man dabei auf Grund des laienhaften Verständnisses von Textualität lediglich an der Textoberfläche ansetzt, ist ein kulturelles Erbe, das von der ebenfalls ideologisch begründeten Wortgläubigkeit bzw. dem Logozentrismus abendländischer Kultur herrühren dürfte" (S.29). [7]

Der oberflächliche Transfer von Bedeutungen bringt zudem mit sich, dass sich die jeweilige Mehrheitssprache in ihrem Dominanzanspruch reproduzieren kann und andere Sprachen als defizitär adressiert werden können (a.a.O.). Das asymmetrische Verhältnis der Interaktionspartner*innen in den genannten Settings wird anhand des Festhaltens an dominanten Übersetzungskonventionen deutlich, das m.E. (aus translationstheoretischer Perspektive) zurecht kritisch betrachtet wird. Darüber hinaus wird auch eine unterschiedliche Gewichtung der Interessen und Bedürfnisse der Interaktionspartner*innen sichtbar. [8]

Im Rahmen einer qualitativen Untersuchung in vier europäischen Ländern sind MOSKAL, FASSETTA, IMPERIALE und SPURWAY (2024) aus einer erziehungswissenschaftlichen und soziologischen Perspektive u.a. der Frage nachgegangen, inwieweit Dolmetscher*innen auch emotional in das Übersetzungsgeschehen eingebunden sind und inwieweit institutionelle Grenzen dabei überschritten bzw. herausgefordert werden. Im Besonderen haben die Autor*innen die Bedeutung einer trauma-informierten Praxis in Bezug auf Translationstätigkeiten hervorgehoben, die besonders im Umgang mit Asylsuchenden wesentlich erscheint. Die von MOSKAL et al. angeführten Beispiele veranschaulichen vor allem die Problematik eines normativen Rollenverständnisses von Übersetzer*innen bzw. Dolmetscher*innen, nämlich möglichst neutral, unsichtbar und objektiv zu agieren. In der genannten Studie stand das normative Rollenverständnis mitunter in einem direkten Widerspruch zum Selbstverständnis von Dolmetscher*innen. Letztere brachten sich in diesen Kontexten auch als Mediator*innen und Unterstützer*innen (beispielsweise von Asylbewerber*innen) ein, wobei die Bedeutung des Aufbaus eines Vertrauensverhältnisses unterstrichen wurde. [9]

Die folgende Schilderung einer britischen Dolmetscherin, die in der Studie von MOSKAL et al. interviewt worden war, verdeutlicht die Problematik und die Konsequenzen, die ein normatives Rollenverständnis2) mit sich gebracht hätte, wenn diese nicht, entgegen dem institutionellen Auftrag, interveniert hätte. Die Interviewpartnerin hob zudem die Relevanz von Kontextwissen in Bezug auf den soziokulturellen Hintergrund von Klient*innen bei Translationsprozessen hervor.

"Knowledge of the country of the clients is helpful. In Syria, I know events, names, places and culture. For example, I was in court and the appellant in the previous court session told the court the name of the place he came from and then he repeated the name in the session I was interpreting but pronounced it differently. The court said that he was lying. So, I said to the judge: 'I am sorry to intervene but this is a dialect issue and he is talking about the same place but he pronounces the name of the place in his dialect'. And the judge was very helpful; he addressed the appellant again to clarify the situation. I was happy I intervened because it was something that could affect the appellant's life. (Interpreter, UK. English in the original)" (S.8). [10]

MOSKAL et al. thematisierten diese Problematik als "ethical dilemmas" (S.9) und wiesen auf die "double role" (S.8) hin, die Dolmetscher*innen in diesen Kontexten einnähmen, was auch zur Folge habe, dass institutionelle Rahmen und Vorgaben mitunter überschritten und herausgefordert würden. Schade ist jedoch, dass die Autor*innen angesichts der empirischen Befunde trotzdem am normativen Dogma der unsichtbaren Rolle von Dolmetscher*innen festhielten. Dieses normative Rollenverständnis von Translationstätigkeiten gründet auf einem post-positivistischen Wissenschaftsverständnis, dass in der Translationswissenschaft bereits seit den 1990er Jahren kritisiert wurde (u.a. VENUTI 1992). [11]

Ebenso wiesen KOSKINEN und POKORN (2021) auf dieses ethische Dilemma hin. Translator*innen sehen sich demnach mit der Frage konfrontiert, welche Erwartungen der involvierten Akteur*innen sie erfüllen sollen bzw. wem sie sich verpflichtet fühlen. Der Auftrag, primär berufsethischen Kodizes zu folgen – beispielsweise dem Professionsverständnis von Translator*innen als neutralen Vermittler*innen – steht mitunter in einem direkten Konflikt mit der ethischen Haltung, den involvierten Akteur*innen keinen Schaden zuzufügen. Vor diesem Hintergrund hat sich das regelbasierte Professionsverständnis von Translator*innen (auch anhand der Forschung) weiterentwickelt. Machtverhältnisse, Voreingenommenheit und die eigene Handlungsfähigkeit werden (vor allem in Konfliktsituationen) zunehmend als wesentliche Faktoren des Interaktionsgefüges anerkannt (MELLINGER & BAER 2021). [12]

Die Übersetzungsstrategie, die vorherrschenden Konventionen von Translation sowie das Rollenverständnis von Translator*innen sind demnach für Translationstätigkeiten entscheidend. Das Herauslösen von Bedeutungen aus ihrer Sinntextur, aus ihrer kultur- und sprecher*innenspezifischen Konfiguriertheit erschwert es besonders im Zuge asymmetrisch angelegter kommunikativer Strukturen, sich Gehör zu verschaffen. Entscheidungen, die auf dieser Grundlage getroffen werden, bestimmen dann etwa über das Recht auf Asyl, eine Aufenthaltsberechtigung oder sogar strafrechtliche Verfolgung, was für die Betroffenen existenzielle Konsequenzen mit sich bringen kann. [13]

Auch bei der Frage der Übersetzung von qualitativen Daten wird der Blick auf hegemoniale Macht- und Herrschaftsverhältnisse gerichtet, in die das translatorische Handeln verstrickt ist. Übersetzungen können m.E. keineswegs als (wert-)neutrale Produkte verstanden werden, die sich anhand von objektiven Kriterien vollziehen lassen (PILCH ORTEGA 2023). Eine ähnliche Position vertraten auch BASSNETT und LEFEVERE, die darauf hingewiesen haben, dass Übersetzung "like all (re)writings, is never innocent" (1990, S.11). Bei Forschungsprozessen sind Translationstätigkeiten demnach in komplexe Dynamiken von Machtkonstellationen, herrschenden Normen und Konventionen verwoben, die es kritisch in den Blick zu rücken gilt. [14]

3. Der Transfer von Bedeutungen: Übersetzung als Entscheidungsprozess

Der Transfer von Bedeutungen im Zuge von Übersetzungstätigkeiten stellt, wie gezeigt, eine komplexe Herausforderung dar, durch die wichtige ethische, epistemologische und methodologische Fragestellungen in den Fokus gerückt werden. Übersetzungstätigkeiten werden, so die Annahme, durch herrschende (normative) Konventionen, Machtverhältnisse sowie divergierende Vorstellungen beeinflusst. Normative Zugänge des Übersetzens sowie die damit einhergehende Annahme einer Äquivalenzbeziehung zwischen Sprachen sind zunehmend fragwürdig geworden, wie die wissenschaftliche Diskussion in der kritischen Translationswissenschaft verdeutlicht (PRUNČ 2000). Der Anspruch auf Äquivalenz zwischen Ausgangstext und Übersetzung war stets Teil kontroverser Debatten; insbesondere die Idee, dass eine Übersetzung das Original 1:1 abbilden könne, wurde zu Recht verworfen. So verweist beispielsweise auch ECO (2001 [2000]) auf die naive Vorstellung äquivalenter Beziehungen zwischen Sprachen, die über Synonyme hergestellt werden könne, und die nicht zu akzeptieren sei:

"Equivalence in meaning cannot be taken as a satisfactory criterion for a correct translation, first of all because in order to define the still undefined notion of translation one would have to employ a notion as obscure as equivalence of meaning, and some people think that meaning is that which remains unchanged in the process of translation. We cannot even accept the naïve idea that equivalence in meaning is provided by synonymy, since it is commonly accepted that there are no complete synonyms in language" (S.9). [15]

REISS und VERMEER (1991 [1984]) betrachteten etwa Übersetzungen eher als kulturellen denn als linguistischen Transfer und betonten, dass Übersetzungsprozesse durch herrschende Konventionen und dominante Regelwerke beeinflusst seien. Translation wird vor diesem Hintergrund als Entscheidungsprozess (LEVÝ 1981) sichtbar, in dessen Rahmen Ziel und Zweck der Übersetzung in Bezug auf das Forschungsinteresse geklärt werden müssen. Die von REISS und VERMEER (1991 [1984]) in die Diskussion eingebrachte Theorie des "Skopos" (S.139), innerhalb dessen Ziel und Zweck einer Übersetzung festgelegt werden sollten, dient demnach als Entscheidungsinstanz für die Übersetzungsstrategie. Was letztendlich als eine gute oder schlechte Übersetzung gilt, ist Teil eines gesellschaftlichen Aushandlungsprozesses und kann nicht a priori festgelegt werden, wie PRUNČ (2000) betonte. Er plädierte in diesem Zusammenhang anstelle eines normativen Verständnisses für einen offenen, deskriptiven Zugang zu Translation. Vor diesem Hintergrund erscheint es wesentlich, unterschiedliche Perspektiven auf Übersetzungen aufzuzeigen und kritische Diskurse der Translationswissenschaft in die Diskussion über Translationstätigkeiten im Rahmen qualitativer Sozialforschung einzubeziehen. [16]

3.1 Narrationen als fluide Bedeutungskonglomerate

Ausgehend von einer hermeneutischen und relationalen Perspektive auf Translation betonte etwa RICOEUR (2006 [2004]), dass Übersetzungsprozessen auch zwischen Mitgliedern der gleichen Sprachgemeinschaft Bedeutung zukomme, da das Gesagte auch unterschiedlich artikuliert und interpretiert werden könne (ENZENHOFER & RESCH 2011). Er sprach sich zudem dafür aus, über einen rein linguistischen Zugang hinauszugehen und hob die Unmöglichkeit einer perfekten Übersetzung hervor (RICOEUR 2006 [2004]; vgl. auch O'MATHUNA & HUNT 2020). Ein weiterer wesentlicher Aspekt, den er in Bezug auf Translation thematisierte, ist die interpersonelle Dimension, die weit mehr bedeute als eine technische Herausforderung. Diese relationale Perspektive, bei der Übersetzungen als Teil sozialer Interaktion verstanden werden, erscheint für die qualitative Sozialforschung besonders bedeutsam. Texte sind RICOEUR zufolge zudem nicht nur Worte auf einer Seite, sondern Ausdruck von "different visions of the world" (2006 [2004], S.31; vgl. auch O'MATHUNA & HUNT 2020), wobei nicht nur wesentlich sei was, sondern auch wie etwas gesagt werde (MULAYIM & LAI 2017). Die Kommunikation zwischen Menschen berge dabei immer auch das Risiko missverstanden oder zurückgewiesen zu werden (RICOEUR 2006 [2004]; vgl. auch O'MATHUNA & HUNT 2020). [17]

Mit seiner Kritik an wortwörtlichen Übersetzungen hob RICOEUR (2006 [2004]) auch den Widerstand von Translator*innen hervor, die sich abseits der Idee von Äquivalenz von Sprachen in gefährliche Gefilde vorwagten, um der Bedeutung unterschiedlicher Rhythmen und Pausen zwischen den Worten nachzugehen. Er beschrieb dies folgendermaßen:

"They gave up the comfortable shelter of the equivalence of meaning, and ventured into hazardous areas where there would be some talk of tone, of savour, of rhythm, of spacing, of silence between the words, of metrics and of rhyme" (S.38). [18]

So brachte er auch zum Ausdruck, dass Übersetzungen stets mit einem Verlust des Sinngehalts verbunden sind, was akzeptiert werden müsse. Thematisiert wird hier das Dilemma für Übersetzer*innen, die zwischen Loyalität und Verrat am Ausgangstext wählen müssen bzw. darum ringen, Bedeutungen adäquat von einem Sinnkontext in einen anderen zu transferieren, was letztendlich zu scheitern drohe, wie FEDERICI anmerkte:

"What Ricoeur does here is examine, from a hermeneutical perspective, the translator's dilemma of choosing between fidelity and betrayal, or equivalence and inadequacy, which is to say the impasse caused by the collision of the assertion of the untranslatability of the source text with the work of translation that occurs nonetheless" (2006, S.224). [19]

Was hier angesprochen wird sind Grenzen des Übersetzbaren und der Umstand, dass Texte bzw. Narrationen immer auch interpretiert werden müssen und erst durch Bedeutungszuschreibungsprozesse der beteiligten Interaktionspartner*innen ihre Wirksamkeit entfalten. Die "relative Übersetzbarkeit von Texten" wurde auch von ENZENHOFER und RESCH (2011, §70) als Annahme in der Translationswissenschaft thematisiert. Sie sprachen von "semantische[n] Lücken zu anderen Sprachen" (a.a.O.) sowie Herausforderungen beim Übersetzen von "Metaphern, Sprichwörtern und kontextspezifischen Ausdrucksformen" oder "Umschreibungen für Nicht-Sagbares (sprachliche Tabus)" (§101), die zusätzlicher Informationen bedürften, um interpretiert bzw. verstanden zu werden3). [20]

Narrationen erscheinen vor diesem Hintergrund als instabile Gebilde, als fluide Bedeutungskonglomerate, die eben immer einer Interpretation bedürfen. Hier finden sich wesentliche Parallelen zu biografietheoretischen und sozialwissenschaftlichen Perspektiven, zum einen das Postulat der Unhintergehbarkeit von Interpretation und der Subjektivität von Interpret*innen, zum anderen die Annahme, dass Narrationen immer auch einen "Sinnüberschuss" (ALHEIT 2003, S.14f.) an Bedeutung bereithalten, der im Zuge einer Selbstthematisierung für die Erzählenden nicht fassbar ist. Auch PRUNČ (2000) verwies in seiner kritischen Betrachtung auf den instabilen Charakter von Texten, Narrationen und Geschichten, die sich einer "simplifizierenden Eindeutigkeit entziehen" (PILCH ORTEGA 2018a, S.145). PRUNČ führte hierzu näher aus:

"Je klarer der Text, also auch jener des Originals, von den Textwissenschaften als instabiles Gebilde erkannt wird, das sich jeder vereinfachenden Vereindeutigkeit entzieht und dessen Sinn gesellschaftlich jeweils konkret auszuhandeln ist, desto größer wird auch die Bedeutung der bewußt subjektiven Interpretation der TranslatorInnen im transkulturellen Kommunikationsprozeß (Arrojo 1998)" (PRUNČ 2000, S.49). [21]

Vor allem mit der in die Diskussion eingebrachten Skopostheorie erfuhr der Ausgangstext einer Übersetzung eine bestimmte Form der Entthronung in der Translationswissenschaft. Translation wurde von REISS und VERMEER (1991 [1984]) als "Informationsangebot" (S.103) für einen bestimmten soziokulturellen Zielkontext betrachtet, wobei Übersetzer*innen als Interpret*innen bzw. Rezipient*innen unter vielen verstanden wurden (vgl. auch PRUNČ 2007). So schrieb VERMEER bereits in den 1980er Jahren:

"Was es [...] gewiß nicht gibt, ist 'der' Ausgangstext. Es gibt nur einen je spezifisch interpretierten Ausgangstext [...]. 'Der' Ausgangstext kann also auch nicht [...] Grundlage und Ausgangspunkt für 'die' Übersetzung sein [...]. Er ist entthrohnt, die Translation dieser Fiktion enthoben" (1986, S.42). [22]

Wie bereits angemerkt wurde, betrachteten REISS und VERMEER (1991 [1984]) Translationen vielmehr als soziokulturellen als einen linguistischen Transfer. Übersetzung skizzierten sie in diesem Zusammenhang als eine Sonderform der Interaktion, bei der – aus einer handlungstheoretischen Perspektive – vor allem die Intention, also das Ziel und der Zweck einer Translation, in den Blick gerückt werden sollte. Das formulierte Ziel einer Übersetzung – der Skopos – fungiere dann als "oberste Entscheidungsinstanz für translatorisches Handeln" (PRUNČ 2000, S.15). ENZENHOFER und RESCH betrachteten die Skopostheorie als Form der "Kontextualisierung des Übersetzungsprozesses" (2011, §57), die der qualitativen Sozialforschung entgegenkomme. [23]

3.2 Die Bedeutung der Rolle von Translator*innen: Übersetzungsstrategien zwischen Reproduktion und Transformation von Herrschaftsinteressen

PRUNČ (2000) beschrieb Translation als einen rekursiven Annäherungsprozess, wobei er hervorhob, dass die Idee eines idealen Translats lediglich ein idealtypisches Konstrukt darstelle. Er kritisierte zudem jene reduktionistischen Zugänge zu Translation, in denen die (kultur-)semiotische Einbettung von Texten vernachlässigt werde und Texte als rein sprachliches Phänomen betrachtet würden. In seinem Artikel "Vom Translationsbiedermeier zur Cyber-translation" hob er die "Arbitrarität des Zeichens", die "Arbitrarität des Referenzbereiches des Begriffs Translation" sowie die "Arbitrarität der Translationsnormen und -konventionen" (S.10) hervor und skizzierte eine "Typologie möglicher Skoposbeziehungen" (S.20)4). [24]

Neben Translationsverboten bzw. -verzicht unterschied PRUNČ primär zwischen homologen, analogen und dialogischen Translationsformen. Als homologe Translation beschrieb er jene Übersetzungsstrategien, bei denen Oberflächenelemente des Ausgangstextes eindimensional in einen Zieltext transferiert werden. PRUNČ kritisierte dabei vor allem, dass im Falle einer homologen (morphematischen) Übersetzung – bei der das Wort als maximale Einheit herangezogen wird – Bedeutungen des Gesagten bzw. des Geschriebenen aus ihrer soziokulturellen Einbettung herausgelöst würden. Bei analogen Translationen als möglicher Skoposbeziehung zwischen Ausgangstext und Zieltext sei man hingegen bestrebt, Elemente der Oberfläche des Ausgangstextes "durch funktionsäquivalente Elemente des jeweiligen zielsprachlichen Sprach- und/oder Kultursystems" (S.32) abzubilden. Analoge Translationsstrategien gründeten dabei auf der Annahme, dass "es ein objektives, formales oder inhaltliches tertium comparationis zu AT [Ausgangstext] und ZT [Zieltext] gibt, anhand dessen der Grad der Entsprechung der einzelnen Textelemente beurteilt werden kann" (a.a.O.). Für PRUNČ war die Leitidee – nur das zu übersetzen, was dasteht – Ausdruck eines "Translationsbiedermeier" (S.34). Den (ideologischen) Ursprung sah er in der im europäischen Kontext verorteten Bestrebung, die "Illusion einer gemeinsamen, objektiv überprüfbaren und sprachlich ebenso objektiv widerspiegelten Realität aufrechtzuerhalten" (S.36). Als dialogische Translation bezeichnete PRUNČ jene Übersetzungsstrategien, bei denen Ausgangstexte so aufbereitet werden, dass sie an einen möglichen soziokulturellen Zielkontext angepasst werden können. Im Unterschied zu äquivalenzorientierten normativen Zugängen des Übersetzens, bei denen Translator*innen möglichst neutral und unsichtbar bleiben sollen, treten Übersetzer*innen nun als Gestalter*innen und Interpret*innen eines (Übersetzungs-)Textes in Erscheinung. Unter trialogische Translation fasste PRUNČ schließlich jene Übersetzungen, bei denen sich Übersetzer*innen aktiv in den Dialog zwischen Ausgangstext und Zieltext einbringen. Deren aktive Rolle bei Translationsprozessen wird hierbei noch stärker akzentuiert. [25]

Die dialogisch und trialogisch angelegten Übersetzungsstrategien erscheinen vor allem dort relevant, wo asymmetrische Machtbeziehungen mit Blick auf die jeweils involvierten Sprachen und soziokulturellen Kontexte vorhanden sind. Übersetzung wird demnach als Instrument verstanden, hegemonialen Diskursen entgegenzuwirken und Prozesse der Dekolonialisierung voranzutreiben. Denn eine Übersetzungspraxis im Dienste von Herrschaftsinteressen erlaube es, "die Komplexitäten der linguistischen und kulturellen Differenzen, die erfahrenen Inferioritäten und Superioritäten sowie das Phänomen eines machtvollen Zentrums und seiner machtlosen Peripherie in eine ästhetisch angenehme Form zu bringen und als historische Bewegung vom Primitiven zum Zivilisierten zu deuten" (PRUNČ 2007, S.290). [26]

Auf die Verstrickung von Translationen in globale Machtverhältnisse wies auch CARBONELL I CORTÉS (1997) hin und betonte, dass Übersetzung nicht nur als Brücke zwischen Sprachen und unterschiedlichen soziokulturelle Kontexten fungiere, sondern auch Othering-Prozessen von Differenzsetzungen Vorschub leiste:

"[...] la traducción como puente entre culturas puede llegar a ser también un motivo de separación, un crisol de diferencias, al reafirmar viejos estereotipos o incluso al crear nuevos. […] La traducción, que se inscribe sobre todo en la práctica ideológica del contexto de destino, puede convertirse en un medio de dominio cultural al utilizar las estrategias de contención propias del discurso colonial" (S.15f.).

[Als Brücke zwischen den Kulturen kann die Übersetzung auch zu einer Ursache der Trennung werden, zu einem Schmelztiegel der Unterschiede, indem sie alte Stereotypen bestätigt oder sogar neue schafft. […] Die Übersetzung, die vor allem in die ideologische Praxis des Zielkontexts eingeschrieben ist, kann zu einem Mittel kultureller Beherrschung werden, indem sie die dem kolonialen Diskurs innewohnenden Strategien der Eindämmung nutzt.] [27]

Übersetzung rufe, wie CARBONELL I CORTÉS betonte, eben auch alte wie neu geschaffene Stereotype an, die durch die Translation reproduziert würden und sich so in den ideologischen Deutungshorizont eines Zielkontextes einschrieben. Vor diesem Hintergrund erscheinen jene Translationsstrategien, mit denen dominanten (kolonialen) Herrschaftsstrategien entgegenwirkt werden soll, bedeutsam. Ein besonders radikales Beispiel in Bezug auf das Aufbrechen postkolonialer Verstrickungen von Translationsprozessen ist das Konzept der anthropophagischen Übersetzung (PRUNČ 2000). Die in den 1970er und 1980er Jahren in Brasilien in Erscheinung getretene "translatorische Avandgarde" (VIEIRA 1997, S.106) nutzte die Metapher des Kannibalismus ironisierend, im Sinne eines "Verschlingen[s] der Originale" (PRUNČ 2007, S.294), um Asymmetrien zwischen den jeweiligen soziokulturellen Kontexten auszuhebeln. Wesentlich an dieser Strategie ist, dass der Zielkontext und nicht der Ausgangskontext im Zentrum der Übersetzungsstrategie steht. Translator*innen werden hier in besonderem Maße als Erzeuger*in eines neuen Textes sichtbar (PRUNČ 2000). Insbesondere in der durch postkoloniale Perspektiven beeinflussten Translationswissenschaft wird Übersetzung als wirkungsvolles Instrument verstanden, um hegemoniale Herrschaftsverhältnisse aufzubrechen. Wichtige Impulse lieferten die Arbeiten von NIRANJANA (u.a. 1992) und SPIVAK (u.a. 1997 [1992])5). In der postkolonialen Theorie wird Übersetzung als Aneignung und Wiederaneignung von Kultur (PRATT 2008 [1992]) verstanden und ist Ausdruck transkultureller Identitäten (RAMA 2004 [1982]) und epistemischer Macht (KORAK & SCHOEGLER 2025). Translation kann demnach als Herrschaftsinstrument für die Reproduktion von Ungleichheitsverhältnissen und hegemonialen Diskursen eingesetzt werden oder um – im Sinne einer Ermächtigung – diesen gezielt entgegenwirken. [28]

Ähnliche Strategien, sich dominanten Diskursen entgegenzustellen und mit normativen Konventionen zu brechen, finden sich bei feministischen Perspektiven im Umgang mit patriarchalen Strukturen. Die Translationspraxis "Rewriting in the feminine" (LOTBINIÈRE-HARWOOD 1991, S.162) verweist auf eine Übersetzungsstrategie, bei der Textteile quasi gekidnappt werden, um diese neu zu schreiben mit dem Ziel, Frauen und deren historische und persönliche Erfahrung sichtbar zu machen und den "Anspruch auf eine einzige, männlich dominierte Wahrheit zurückzuweisen" (PRUNČ 2007, S.298). Mit Rekurs auf GODARD (1990) beschrieb PRUNČ diese Herangehensweise folgendermaßen:

"Translation als aktive Form des Endlosen Neu-Lesens (re-reading) und Neu-Schreibens (re-writing) bekenne sich zur Manipulation des Textes und trage die Zeichen dieser Manipulation offen zur Schau. Ihr Ziel sei nicht die mimetische Abbildung des AT [Ausgangstextes], die Erhaltung der Identität zwischen AT und ZT [Zieltext], sondern die Betonung der kritischen Differenz zwischen beiden. Im Sinne des womanhandling brächten sich die Translatorinnen selbstbewusst in den Prozess der radikalen Hinterfragung männlich dominierter Sinnzuschreibungen und der permanenten Sinnstiftung durch Neukontextualisierungen ein" (2007, S.298). [29]

Ein weiteres Beispiel des gezielten Eingreifens in den Übersetzungsprozess findet sich bei VENUTI (1995), für den dem Sichtbarmachen der Translator*innen eine wichtige Bedeutung zukommt (VENUTI 1992). Vor allem im Zuge normativer Übersetzungsstrategien fristeten Übersetzer*innen – im Dienste einer vermeintlichen Objektivität und Neutralität – ein unsichtbares Schattendasein6). VENUTI (1995) kritisierte darüber hinaus, dass Ausgangstexte oft gezielt ästhetisch an dominante soziokulturelle Zielkontexte angepasst würden und – Mithilfe einer "domesticating method" (S.20) – alles Irritierende und Fremde verwischt werde. Demgegenüber stellte VENUTI die Strategie der "foreignizing translation" (a.a.O.) – das gezielte Verfremden von Bedeutungsgehalten im Übersetzungsprozess, um "die Vieldeutigkeit des Ausgangstextes aufzuzeigen und gegen den Druck des Vereinheitlichens Widerstand zu leisten" (PILCH ORTEGA 2018a, S.144f.). VENUTI führte in dieser Hinsicht näher aus: "Foreignizing translation is a dissident cultural practice, maintaining a refusal of the dominant by developing affiliations with marginal linguistic and literary values at home, including foreign cultures that have been excluded because of their own resistance to dominant values" (1995, S.148). [30]

Das Verfremden von Textteilen bei einer Übersetzung kann dabei als Strategie verstanden werden, Leser*innen und Interpret*innen gezielt zu irritieren, um einer vorschnellen Vereinheitlichung entgegenzuwirken. VENUTI verfolgte mit dieser Perspektive durchaus das Ziel, "die Übersetzung als Akt des Widerstandes gegen Eurozentrismus und Rassismus, kulturellen Narzissmus und Imperialismus zu etablieren" (PRUNČ 2007, S.304). Wesentlich erscheint jedoch, dass mit der Strategie des aktiven Eingreifens in Ausgangstexte nicht die Schleusen der Beliebigkeit geöffnet werden. Die trialogische Translation birgt eben auch die Gefahr, Translation "zu einem willfährigen Werkzeug hegemonialer Machtstrukturen" (PRUNČ 2000, S.51) werden zu lassen. [31]

Vor diesem Hintergrund sollte die Bedeutung der kritischen Reflexion von Machtverhältnissen, gewählten Übersetzungsstrategien und herrschenden Konventionen von Translationen nicht unterschätzt werden. Der Transfer von Bedeutungen im Zuge von Übersetzungstätigkeiten wird in diesem Sinne als Entscheidungsprozess sichtbar, innerhalb dessen wichtige Fragen geklärt werden müssen. [32]

Aktuellere Ansätze in der Translationswissenschaft – vor allem im Zusammenhang mit qualitativer Forschung – verdeutlichen einen umfassenderen Blick auf Translation. Die Translationspraxis wird dabei nicht nur als situative Tätigkeit verstanden, sondern auch als Teil eines komplexen sozialen Interaktionsgefüges betrachtet, innerhalb dessen die Handlungsfähigkeit von Dolmetscher*innen und Übersetzer*innen Bedeutung erhält. KORAK und SCHOEGLER (2025) betonten etwa den vermittelnden Charakter, der Übersetzer*innen in den unterschiedlichen (sozialen) Kontexten zukomme. Übersetzungstätigkeit ist hiernach ein kreativer Akt, bei dem die Stimme der Übersetzer*innen sowie deren habituelles Hintergrundwissen unwiderruflich in die Übersetzung einfließe. Zudem verwiesen die Autor*innen auf den Aushandlungscharakter von Übersetzungsprozessen, der wiederum zentral durch unterschiedliche Machtpositionen beeinflusst werde. Die vielfältigen Entscheidungsprozesse im Zuge von Translationen sind dabei auch an ein Ungleichgewicht in Bezug auf Informationen, Wissen, Handlungsfähigkeit und Kontrollvermögen gebunden. KORAK und SCHOEGLER hoben zudem hervor, dass sich die Interpretation und Übersetzung des Gesagten oder Geschriebenen einer vollständigen Kontrolle durch die Forscher*innen entziehe7). Daher sollten bei qualitativen Untersuchungen, bei denen auf die Dienste von Dolmetscher*innen zurückgegriffen wird, die besonderen Rahmenbedingungen hinreichend berücksichtigt werden, indem alle Akteur*innen an den Aushandlungsprozessen beteiligt und Entscheidungen auch im Rahmen der Publikation offengelegt werden. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Translationstätigkeiten im Rahmen qualitativer Forschung steht jedoch auch in der Translationswissenschaft noch am Anfang. [33]

Im folgenden Abschnitt wird nun anhand einer biografietheoretischen Studie in Chiapas (Mexiko) die Umsetzung des entwickelten Übersetzungsdesigns exemplarisch veranschaulicht und die praktische Herangehensweise durch Beispiele beleuchtet. [34]

4. Übersetzen von narrativen Interviews: das Beispiel einer biografieorientierten Studie im Hochland von Chiapas

Der Umgang mit narrativen Daten, die von einer Sprache in eine andere transferiert werden, erfordert nicht nur spezifische Kenntnisse der jeweiligen Sprachen, sondern auch ein umfassendes hermeneutisches Wissen in Bezug auf die kulturspezifische Konfiguration und die soziohistorische sowie soziokulturelle Einbettung der Lebensentwürfe der Interviewpartner*innen, um Bedeutungen mit einer hinreichenden Sensibilität von einem Sinnkontext in einen anderen transferieren zu können. Wie bereits aufgezeigt, stellen Narrationen fluide und instabile Gebilde dar, die erst durch die Interpretationsleistung ihre Bedeutungen entfalten und sich einer vereinfachenden Deutung entziehen. Besonders wesentlich erscheint daher eine hinreichende Sensibilität für den komplexen Übersetzungsprozess zu entwickeln und wichtige Fragen in Bezug auf die Übersetzungsstrategie – unter Berücksichtigung des forschungsleitenden Interesses und des jeweiligen methodologischen Zugangs – im Vorfeld zu klären. [35]

Übersetzungen sind mit vielschichtige Entscheidungsprozesse verbunden, die nicht unabhängig von dem jeweiligen Ziel einer Übersetzung, den jeweiligen Kontexten und damit einhergehenden Macht- und Herrschaftsverhältnisse getroffen werden können8). Da Übersetzer*innen m.E. entscheidend an der Produktion eines neuen Textes beteiligt sind, sollten Entscheidungen transparent gemacht sowie das Ziel und der Zweck der Translation offengelegt werden. Die Entscheidung, sich umfassend am Ausgangstext zu orientieren und möglichst nahe am Text zu bleiben, muss dabei ebenso auf den Prüfstand gestellt werden wie die gezielte Veränderung eines Ausgangstextes, um möglichen hegemonialen Deutungsmustern entgegenzuwirken. Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden auf die Entwicklung und Umsetzung eines Übersetzungsdesigns im Zuge einer biografieorientierten Untersuchung im Hochland von Chiapas eingegangen. Das gewählte Design stellt dabei nur eine von möglichen Herangehensweisen im Umgang mit narrativen Interviews in einem multilingualen Raum dar. [36]

4.1 Rahmen der Untersuchung

Das forschungsleitende Interesse der Studie galt (biografischen) Lern- und Bildungsprozessen, die in Auseinandersetzung mit Erfahrungen sozialer Ungleichheit hervorgebracht werden. Die empirische Untersuchung war am Forschungsstil der Grounded-Theory-Methodologie (GLASER & STRAUSS 1998 [1967]) orientiert9). Im Fokus standen "eigensinnige Suchbewegungen des transformierenden Gestaltens und 'Aufbrechens' prekärer, marginalisierter und benachteiligender Lebensverhältnisse" (PILCH ORTEGA 2018a, S.135f.). Zentral war die Frage, "wie soziale Rahmenbedingungen wahrgenommen und gedeutet werden, welche Handlungsspielräume Subjekte für sich erkennen und nutzen, welche Barrieren und Grenzen diesbezüglich sichtbar werden und welche soziale Praxen Subjekte im Umgang mit diesen entwickeln" (S.136). [37]

Im Zuge der Studie "Lernprozesse sozialer Bewegung(en). Biographische Lerndispositionen in Auseinandersetzung mit Erfahrungen sozialer Ungleichheit" (PILCH ORTEGA 2018a) habe ich insgesamt 42 narrativ-biografische Interviews mit unterschiedlichen Akteur*innen im Hochland von Chiapas durchgeführt10). Dreißig der Interviewpartner*innen sprachen eine indigene Sprache als Erstsprache. Aufgrund des multilingualen Sprachraums entwickelte ich ein Übersetzungsdesign, um die Funktion und Zielsetzung der Übersetzung in Bezug auf mein Forschungsinteresse und die methodologische Herangehensweise im Rahmen der Biografieforschung zu klären. Auf Basis der Auseinandersetzung mit kritischen Diskursen der Translationswissenschaft schien es mir wesentlich, den Übersetzungsprozess als Entscheidungsprozess sichtbar und nachvollziehbar zu machen. Die Auseinandersetzung mit möglichen Skoposbeziehungen (im Sinne von PRUNČ 2000) war für die Herausbildung einer kontextspezifischen Sensibilität besonders hilfreich. Die Reflexion ermöglichte es, die Verflechtung von Übersetzungspraktiken mit vorherrschenden Übersetzungsnormen und -konventionen wahrzunehmen und ein Gewahrsein dafür zu entwickeln, inwieweit sich meine Übersetzungsstrategien zwischen Reproduktion und Transformation von Machtverhältnissen bewegten. [38]

Im Folgenden gehe ich auf Aspekte des Forschungsdesigns ein, die mit dem Übersetzungsprozess in einem direkten Zusammenhang stehen. Dabei soll beispielhaft veranschaulicht werden, inwiefern biografietheoretische Annahmen in Bezug auf den Transfer in einen postkolonialen Kontext reflexiv in den Blick genommen und adaptiert wurden. Teil der Entwicklung des Designs war die Reflexion meiner Positioniertheit im Forschungsprozess, durch die auch epistemologische Fragen zu Forschung in postkolonialen Kontexten aufgeworfen wurden. Darüber hinaus wird der Erhebungsprozess thematisiert, zum einen, um Einblick in die Dynamik der Datenerhebung zu geben und zum anderen wegen der Bedeutung für die Aneignung kontextspezifischen Wissens. Schließlich wird die Umsetzung des entwickelten Übersetzungsdesigns auch anhand von Beispielen präsentiert. [39]

4.2 Reflexion erkenntnisleitender Annahmen im Kontext der Biografieforschung

Teil des Forschungsprozesses war die kritisch reflexive Auseinandersetzung mit biografietheoretischen Annahmen, die problematisiert und anhand der Forschungserkenntnisse weiterentwickelt wurden11). Biografie wird in der Biografieforschung als soziales Konstrukt betrachtet. Biografische Konstruktionen können als "komplexe Handlungen" (DAUSIEN 1996, S.573) verstanden werden, die nicht voraussetzungslos sind, sondern sich in sozial strukturierten Interaktionskontexten vollziehen. Die Hintergrundstrukturen weisen als "pragmatische[r] Sinnzusammenhang" (a.a.O.) sowohl ermöglichende als auch behindernde Potenziale auf. Da sich Biografie unter bestimmten soziohistorischen Dynamiken herausbildet12), kann das damit einhergehende Konzept m.E. nicht ohne Weiteres in andere soziokulturelle Kontexte transferiert werden, ohne Gefahr zu laufen, eurozentrische Perspektiven und Annahmen universell zu setzen13). [40]

In meiner Studie war es daher besonders relevant, den sozialen Rahmenbedingungen der Interviewpartner*innen und der Perspektive, aus der heraus die sozialen Akteur*innen erzählten, besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Deren sozialen Eingebundenheit kommt in dem Untersuchungsfeld und vor allem in ländlichen Gebieten auch aufgrund fehlender wohlfahrtsstaatlicher Strukturen eine entscheidende existenzielle Bedeutung zu. Die "Muster sozialer Bezugnahme14)" (PILCH ORTEGA 2018a, S.394) und deren spezifische Ausprägung (z.B. die Varianz in Bezug auf Ich-Wir-Balancen), waren demnach von besonderem Interesse. Das Wir einer Erzählung, innerhalb dessen das Ich mitunter auch in den Hintergrund tritt, erhält vor diesem Hintergrund eine andere Bedeutung, als dies in einem nicht-postkolonialen Kontext der Fall wäre. Darüber hinaus muss den spezifischen Rahmenbedingungen einer Interviewsituation – etwa dem Aspekt des "Sprechens im hegemonialen Raum" (PILCH ORTEGA 2023, S.486) sowie der performativen Ebene von Biografie, dem Doing Biography (DAUSIEN & KELLE 2005, S.200) – im Forschungsprozess besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. [41]

Weitere Annahmen in der Biografieforschung bzw. in der qualitativen Forschung, nämlich die "Unhintergehbarkeit von (Inter-)Subjektivität" (MEY & MRUCK 2020, S.518), der Perspektivität und der Interpretation (u.a. REICHERTZ 2016), erscheinen für Übersetzungsprozesse ebenso bedeutsam. Im Sinne des interpretativen Paradigmas (WILSON 1973) werden Forscher*innen nicht als neutrale und objektive Akteur*innen verstanden. Wesentlich ist es daher sowohl den Standort des Sprechens reflexiv in den Blick zu nehmen als auch die Verstrickung der Fachdisziplin in globale Dominanzstrukturen. Entscheidend ist demnach die kritische Beleuchtung der eigenen Positioniertheit im Forschungsprozess, insbesondere im Kontext postkolonialer Forschungsfelder sowie bei der Analyse von (postkolonialen) Narrationen (PILCH ORTEGA 2023). Als Forscherin, die die Daten in dem genannten Forschungsprojekt erhoben und übersetzt hat, war ich maßgeblich an der Produktion von Wissen beteiligt. Vor diesem Hintergrund war es für mich wichtig, während des gesamten Forschungsprozess die Verwobenheit meiner (europäischen) Perspektive in Machtverhältnisse sowie die sich daraus ergebenden Konsequenzen kontinuierlich zu reflektieren und Annahmen, die Teil meines soziokulturellen (habitualisierten) Hintergrundwissens waren, auf den Prüfstand zu stellen. Zentral war zudem die Erkenntnis, dass das von mir produzierte Wissen lediglich eine europäische Perspektive darstellte, die als Interpretationsangebot zur Verfügung gestellt wurde und ich auf den Anspruch, andere zu repräsentieren, vollständig verzichtete. Vielmehr lag der genannten Studie das Verständnis zugrunde, dass Differenzen und Ähnlichkeiten zwischen den unterschiedlichen soziokulturellen Kontexten einen relationalen Raum schaffen, der als Erkenntnispotenzial genutzt werden kann, indem die Perspektive sowie die impliziten Annahmen der Forscher*innen im Akt der Betrachtung sichtbar werden15). Die betrachteten Subjekte werden implizit zu Beobachter*innen der Betrachter*innen (PILCH ORTEGA 2018a). Demnach verraten der analytische Blick und die Vorgehensweise ebenso viel über die Forschenden und die sozialen Deutungsstrukturen, in die diese eingebettet sind. Wenn wir interpretieren, geben wir vieles über uns selbst preis, auch wenn wir uns dessen während des Prozesses nicht immer bewusst sind. "In diesem Sinne versteht sich die empirische Untersuchung als Versuch, den durch die Diskrepanz der Perspektiven aufgespannten relationalen Raum als Chance zu nutzen, Erkenntnisse zu generieren, die weder hier noch dort eindeutig verortet sind" (S.104). [42]

In Bezug auf das erkenntnisleitende Interesse in der Biografieforschung kann durchaus von einer hohen Ausgangstextorientierung ausgegangen werden. Zentral erscheint für diesen Forschungszugang das Rekonstruieren von Sinnstrukturen, die im Zuge narrativ-biografischer Stegreiferzählung zum Ausdruck gebracht werden (PILCH ORTEGA 2018a). Aus einer biografietheoretischen Perspektive gilt es, subjektive Binnensichten zu erschließen, die Auskunft über das Selbst- und Weltverhältnis von sozialen Akteur*innen sowie eigensinnige Konstruktionsprozesse sozialer Wirklichkeiten geben. Für einen Übersetzungsprozess bedeutet dies m.E., dass dem Gesagten, den intersubjektiv hergestellten Sinnfiguren, eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird. Bei Übersetzungen müssen demnach komplexe Sinnfiguren und -strukturen zum einen mit einer hinreichenden Sensibilität transferiert werden. Zum anderen müssen die entwickelten Lesarten der Übersetzung an den Deutungshorizont der Leser*innen einer Studie auf eine Weise anschließen, die die in den Narrationen enthaltene Vieldeutigkeit nicht unnötig begrenzt und die gleichzeitig eine (gemeinsame) Verstehensbasis schafft, die als Grundlage für eine tiefergehende Diskussion von Forschungsergebnissen im Rahmen der Scientific Community dient. Im Rahmen einer strukturellen Beschreibung werden (kontrastierende) Lesarten entwickelt, die eben nicht nur das Was der Erzählung, also den Inhalt des Gesagten abbilden, sondern die Analyse zielt darauf ab, Narrationen interpretativ zu rekonstruieren und strukturell aufzubrechen. Die angebotenen Lesarten sollen dabei plausibel und nachvollziehbar dargelegt werden. Folglich wird nicht von einer Eindeutigkeit von Sinngehalten ausgegangen (PILCH ORTEGA 2018a). Dies erscheint für Übersetzungsprozesse insofern wesentlich, als Übersetzungsangebote als mögliche Lesarten des Ausgangstextes präsentiert werden können, mit der Möglichkeit, den Transfer von Bedeutung im Zuge der strukturellen Beschreibung zu problematisieren und alternative Übersetzungsmöglichkeiten zu thematisieren. [43]

4.3 Herausforderungen bei der Erhebung (postkolonialer) narrativer Daten

Wie bereits erwähnt, kommt der Aneignung von kontextspezifischem Wissen sowie der Erkundung der sozialen Rahmenbedingungen nicht nur für den Forschungsprozess, sondern auch für die Übersetzung von Narrationen eine zentrale Bedeutung zu. Während meiner Felderkundung und bei der Erhebung der empirischen Daten verbrachte ich oft viele Wochen in verschiedenen (oft sehr abgelegenen) Dörfern. Die Felderkundung ermöglichte es mir, wichtige Einblicke in das Alltagsleben und die lebensweltlichen Verhältnisse der Interviewpartner*innen zu gewinnen und unterstützte die Herausbildung der theoretischen Sensibilität. Der (postkoloniale) Forschungskontext erforderte dabei ein hohes Maß an Flexibilität, und als Forscherin sah ich mich immer wieder mit Situationen konfrontiert, in denen ich spontan das geplante Vorgehen verwerfen und modifizieren musste. Aufgrund der umfassenden Militarisierung der Region sowie gewaltsamer Konflikte durch paramilitärische Gruppen wurde der Zugang zum Forschungsfeld erschwert und erforderte zudem die Kooperation mit regionalen Menschenrechtsorganisationen. Darüber hinaus war es für mich wesentlich, bestehende Machtverhältnisse bei der Teilhabe am Alltag und bei der Datenerhebung hinreichend zu berücksichtigen. Der Aufbau eines Vertrauensverhältnisses sowie eine uneingeschränkte Transparenz in Bezug auf das Forschungsinteresse waren dabei – auch aus einer ethischen Perspektive – unabdingbar. Aufgrund der sozialpolitischen Lage war es zudem von hoher Relevanz, den Interviewpartner*innen die Anonymität zu garantieren. Im Rahmen der Untersuchung wurden auch Aktivist*innen interviewt, die Repressalien ausgesetzt gewesen wären, wenn ihre Identität nicht angemessen geschützt worden wäre. Angesichts dieses ethischen Dilemmas habe ich in manchen Fällen entschieden, die Interviewpassagen nicht für die Darstellung der entwickelten Kategorien zu verwenden, um die Interviewpartner*innen zu schützen. Bei Interviews mit Mitgliedern der unterschiedlichen (indigenen) Widerstandsbewegungen musste, neben dem persönlichen Einverständnis, auch die Zustimmung der sozialen Bewegung eingeholt werden, was mitunter sehr viel Zeit und Geduld beanspruchte. Wesentlich für den Forschungsprozess war es zudem, die Dynamiken sozialer Ungleichheit in marginalisierten Gebieten persönlich zu erleben. Es ist eine Sache, sich theoretisch mit prekären Lebensverhältnissen, Diskriminierung und gewaltsamen Konflikten zu beschäftigen, jedoch eine ganz andere, diese direkt und hautnah zu erleben. Als Forscherin war ich mehrmals mit Situationen konfrontiert, bei denen ich in akuten Notsituationen weder eine gesundheitliche Versorgung noch ausreichend Nahrung oder sauberes Trinkwasser zur Verfügung hatte. Zudem konnte ich einen Eindruck gewinnen, was es bedeutet, im Alltag mit Bedrohungen durch paramilitärische Übergriffe konfrontiert zu sein (PILCH ORTEGA 2018a). [44]

Wie bereits erwähnt, wurden im Rahmen der Studie nicht alle Interviews in der Erstsprache der Interviewpartner*innen durchgeführt. Diese konnten sich zwar hinreichend in der Zweitsprache Spanisch artikulieren, dennoch war es wichtig, die Erstsprache (Tzotzil, Tzeltal und in einem Fall Zoque) bei der Übersetzung und Analyse hinreichend zu berücksichtigen. Dem Stellenwert der Sprachen im hegemonialen Raum sowie den damit einhergehenden Konsequenzen für soziale Akteur*innen wurde demnach besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Tzotzil und Tzeltal sind die im Hochland von Chiapas am häufigsten gesprochenen Sprachen der indigenen Bevölkerung. Indigene Sprachen sind im untersuchten Kontext, auch wenn sie zum Teil eine Aufwertung erfahren haben, mit diskriminierenden Zuschreibungen verbunden, die mit benachteiligenden Lebensverhältnissen einhergehen und mitunter die Entwertung bestimmter Wissensformen zur Folge haben. Diese werden im öffentlichen Diskurs nach wie vor als Dialekte bezeichnet und dem Spanischen als Sprache der Dominanzgesellschaft untergeordnet. Die Aneignung der Dominanzsprache beeinflusst vor diesem Hintergrund die Teilhabechancen an der Gesellschaft. Ethnisierende Differenzzuschreibungen (auch aufgrund der Sprache) wurden von den Interviewpartner*innen vielfach als Erfahrung sozialer Ungleichheit thematisiert, die einen lernenden Umgang mit sozialer Benachteiligung erforderte. [45]

Die Interviews führte ich auf Spanisch durch. Das Vermögen der Interviewpartner*innen, sich hinreichend in dieser (Zweit-)Sprache artikulieren zu können, war demnach eine Grundvoraussetzung für die Durchführung. Als Forscherin habe ich mich entschieden, selbst zu interviewen und anschließend die spanischsprachigen Transkripte ins Deutsche zu übersetzen. Es konnte also auf die Dienste von Dolmetscher*innen verzichtet werden, da ich als Forscherin sowohl mit dem regionalen Sprachgebrauch als auch mit relevanten sozialen Dynamiken vertraut war16). [46]

4.4 Umsetzung des Übersetzungsdesigns

Um den Übersetzungsprozess transparent zu gestalten, habe ich mich für eine zweisprachige Darstellung der Kernpassagen aus den Interviews entschieden. Auf diese Weise wurde m.E. die Übersetzung der spanischsprachigen Transkripte zumindest als Interpretationsangebot nachvollziehbar gestaltet. Die vollständige Transparenz in Bezug auf wichtige Entscheidungen bei der Übersetzung kann jedoch nicht vollständig, sondern nur bedingt geleistet werden. Angemerkt werden sollte zudem, dass meine Analyse anhand der spanischsprachigen Primärtexte erfolgte, die Übersetzungen der Kernpassagen dienten vorwiegend dem Zweck, die empirischen Daten einer deutschsprachigen Leser*innenschaft zugänglich zu machen. Darüber hinaus wurden ausgewählte Kernpassagen mit Kolleg*innen im Rahmen einer Interpretationsgruppe gemeinsam analysiert. In diesem Zusammenhang diente die deutschsprachige Übersetzung der Interviewpassagen als Grundlage für die kooperative Entwicklung kontrastierender Lesarten. [47]

Der Übersetzungsprozess selbst kann im Kontext einer biografischen Untersuchung als interpretative Suchbewegung beschrieben werden, "innerhalb dessen man sich zwischen den soziokulturellen und sprachlichen Kontexten hin- und herbewegt, mit dem Ansinnen, deutend Sinnkonstruktionen sprachlich zu artikulieren und zu transferieren" (PILCH ORTEGA 2018a, S.146). Dies erforderte bereits eine analytische Herangehensweise und kann als Zwischenergebnis im Analyseprozess betrachtet werden, durch das bereits wichtige Einsichten in die komplexen Konstruktionsprozesse sozialer Akteur*innen eröffnet wurden. Auch RIEMANN kam in Bezug auf die Übersetzung von Narrationen zu einer ähnlichen Einschätzung: "[...] the translation itself is nothing more, but also nothing less, than a first attempt to understand the narrative and to put this down in writing" (2003, §8). Die komplexen Übersetzungsschritte können mit einer umfassenden Zeile-für-Zeile-Analyse verglichen werden. Erzählungen und textliche Inhalte werden systematisch aufgebrochen und kontrastierende Lesarten entwickelt, die wiederum durch die konkreten Textpassagen fundiert werden. Wie bereits angemerkt, bietet die (in der Biografieforschung übliche) Praxis, strukturelle Beschreibungen der Kernpassagen zu verfassen, die Möglichkeit, unterschiedliche (mitunter auch kontrastierende) Übersetzungsvarianten anzubieten und diese hinreichend zu problematisieren und zu kommentieren. [48]

Die in den Interviews auf Tonband aufgenommenen spanischsprachigen Narrationen wurden von mir wortwörtlich transkribiert17). Sprechpausen, Wort- und Satzabbrüche oder Wiederholungen wurden ebenso wenig geglättet wie orthografische Abweichungen. Bedeutsam erscheint in dieser Hinsicht, dass narrative Stegreiferzählungen durch Merkmale der gesprochenen Sprache gekennzeichnet sind, die wesentlich für die Analyse sein können und daher nicht eliminiert werden sollten. Da die Gespräche nicht mit allen Interviewpartner*innen in deren Erstsprache durchgeführt werden konnte, mussten Spezifika eines bestimmten Sprechstils sowie Abweichungen von der Normsprache des Untersuchungskontextes gesondert im Analyseprozess betrachtet werden. Die intensive Auseinandersetzung mit sprachlichen und semantischen Grundstrukturen der in der Region gesprochenen indigenen Sprachen (PILCH ORTEGA 2009) lieferte wichtige Einsichten für den Übersetzungs- und Analyseprozess und unterstützte die Herausbildung einer kontextspezifischen Sensibilität im Umgang mit andersartigen Lebensentwürfen. Die abweichende Konfiguriertheit von Narrationen wurde dabei mit der Annahme in den Blick gerückt, dass Strukturierungsschemata der Erstsprache (auch als Ausdruck von Selbst- und Weltverhältnissen) die Zweitsprache dominant beeinflussen. Augenfällig war in diesem Zusammenhang beispielsweise eine andere Struktur von Erfahrungsverkettungen, etwa in Bezug auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sowie eine differente Konzeption von Innen- und Außenverhältnissen, die in Bezug auf die biografietheoretische Betrachtung besonders interessant erschienen. Für den Übersetzungsprozess galt es, die Bedeutung dieser spezifischen sprachlichen Ausdrucksvarianten eingehend abzuklären, um nicht Gefahr zu laufen, diese überzubewerten. Der Übersetzbarkeit von Narrationen sind jedoch auch Grenzen gesetzt. In dieser Hinsicht sollten m.E. wichtige Entscheidungen, die in Bezug auf die Übersetzung getroffen werden, bei der Darstellung des Forschungsprozesses offengelegt werden. [49]

Ein Übersetzungsprozess, vor allem im Zusammenhang mit narrativen Interviews, ist sehr zeitintensiv. Für eine sinngemäße Übersetzung erscheint es zudem unerlässlich, sich im Vorfeld spezifische Sprachcodes sowie lokal verankerte Bedeutungszuschreibungen zugänglich zu machen. Auf Spezifika des jeweiligen Sprach- und Sprechstils muss ebenso eingegangen werden wie auf Merkmale bestimmter Erzähllinien, etwa aufgrund des Gebrauchs unterschiedlicher Zeitformen bei der Ereignisverkettung, um deren Bedeutung hinreichend erschließen zu können. Die erste Übersetzung stellt meist einen Rohentwurf dar, der in weiteren Schritten verfeinert und modifiziert werden kann. Im Rahmen meiner Studie diskutierte ich Übersetzungsvorschläge mit Akteur*innen des gewählten sozialen Kontextes, die über die entsprechenden Sprachkompetenzen (also Spanisch und Deutsch bzw. auch indigene Sprachen der Region) verfügten und mit den lebensweltlichen Dynamiken des untersuchten sozialen Feldes vertraut waren. In diesem Zusammenhang wurden (Forschungs-)Kooperationen mit regionalen Universitäten, Forscher*innen und sozialen Aktivist*innen im Vorfeld aufgebaut. Die genannten Akteur*innen fungierten zudem als wichtige Auskunftspersonen für regional verankerte Sprachcodes18) und lieferten demnach wichtige Hinweise für die Kodierung der narrativen Daten. Bei der Übersetzung der Kernpassagen von Interviews wurde zudem die bereits beschriebene Methode der "foreignizing translation" (VENUTI 1995, S.148) angewandt. Bestimmte soziale Konzepte und Begriffe wurden gezielt verfremdet und in die deutschsprachige Übersetzung hinein geflochten, um Differenzsetzungen zu markieren und einer voreiligen Deutung entgegenzuwirken. So wurde etwa der Begriff comunidad auch in die Übersetzung übernommen, um auf Unterschiede zu Deutungsmustern in Bezug auf (Dorf-)Gemeinschaft aufmerksam zu machen. Eine ähnliche Vorgangsweise wurde hinsichtlich der Nennung von Bildungsinstitutionen gewählt. Die primaria [Primärschule] wurde als Begriff in die deutschsprachige Übersetzung übernommen und nicht als Volksschule (wie in Österreich üblich) bezeichnet, um Differenzen hinsichtlich der Bedeutungszuschreibung zu verdeutlichen. Mit dieser gezielten Irritation von Leser*innen verfolgte ich das Ziel, suggerierte Ähnlichkeiten zu Strukturen aus dem jeweiligen lebensweltlichen Erfahrungshorizont herauszufordern und reflexive Pausen zu initiieren. [50]

Die folgenden Beispiele sollen nun Einblick in die Übersetzungspraxis in meiner Studie geben. Anzumerken ist, dass die Übersetzungen als Interpretationsangebot fungieren und von den strukturellen Beschreibungen der jeweiligen Interviewpassagen nicht getrennt werden können. Das erste Beispiel bezieht sich auf eine Interviewpassage mit Raúl19) und wurde im Zusammenhang mit Erfahrungen sozialer Ungleichheit ausgewählt. Zunächst werden das spanische Transkript sowie das Übersetzungsangebot in deutscher Sprache dargelegt. Anschließend wird die dazugehörige strukturelle Beschreibung zitiert.

Interwiewpassage: "entonces empiezo a ir a la escuela a repetir el primer año otra vez porque lo que ya había estudiado en mi comunidad no sirvió, no habían papeles, no sirvió de nada entonces volví a repetir y recuerdo que mi propio hermano le daba pena eh le daba vergüenza de, de tener un hermano que pues que no hablaba el español, él ya iba en tercer año de primaria y yo apenas estaba de primero, entonces en la escuela él no me hablaba, me trataba como que con cierto desprecio porque pues él ya tenía sus amigos él es eh cuatro años mayor que yo entonces sentía ya muy adulto y pues yo muy chico no? y viene entonces sin importarme mucho la educación en la vida pues yo iba a la escuela, cumplía con un horario de clases, pues trataba de entender todo lo que me decían porque mi español era bastante malo, tenía muchas dificultades para hablar, para comunicarme (2/19-28).20)

[Übersetzung:] dann begann ich in die Schule zu gehen, und das erste Jahr noch einmal wiederholen, weil was ich bereits in der Comunidad gelernt habe war nutzlos, es gab keine Papiere es war umsonst, dann wiederholte ich [das Jahr] und ich erinnere mich dass es meinem eigenen Bruder peinlich war, ah er hat sich geniert einen Bruder zu haben, der also kein Spanisch sprach, er ging schon in das dritte Jahr der Primaria und ich war gerade im ersten Jahr, dann in der Schule hat er nicht mit mir gesprochen, er hat mich mit einer gewissen Geringschätzung behandelt, weil also er hatte schon seine Freunde, er ist ah vier Jahre älter als ich, also fühlte er sich bereits sehr erwachsen und also ich sehr jung (klein) nicht? und kommt dann, ohne für mich sehr wichtig zu sein, die Bildung (Erziehung) in das Leben, also ich ging zur Schule, ich erfüllte eine Unterrichtszeit, also ich versuchte alles zu verstehen, was sie mir sagten, weil mein Spanisch ziemlich schlecht war, ich hatte große Schwierigkeiten zu sprechen um zu kommunizieren.

[Strukturelle Beschreibung:] Der Schulbesuch in der Stadt führt dazu, dass das bereits absolvierte Schuljahr in der Comunidad entwertet und als nutzlos klassifiziert wird. Raúl muss das erste Schuljahr wiederholen. Dieser Umstand wird vom Biografieträger auch retrospektiv nicht reflexiv bearbeitet, sondern die erfahrene Ungleichheit wird als etwas Gegebenes betrachtet. Wie die Erzählperspektive verdeutlicht, wird die formale Entwertung von außen vom Akteur als Deutungsmuster übernommen und internalisiert. Darüber hinaus beschreibt der Erzähler eine weitere soziale Hierarchisierung aufgrund soziokultureller Ordnungsmuster. Raúl wird aufgrund seiner mangelhaften Spanischkenntnisse von seinem Bruder mit einer gewissen Geringschätzung behandelt. Die Idee der Höherwertigkeit der spanischen Sprache im Vergleich zu indigenen Sprachen wird als Deutungsmuster sozialer Ungleichheit sowohl von Raúl als auch von seinem Bruder reproduziert. Welche Haltung Raúls Eltern dazu einnehmen, kann anhand dieser Passage nicht geklärt werden. Sichtbar wird jedoch ein Widerspruch zum Eingangssegment, bei dem Raúl seine Erstsprache Tzeltal als eine moderne und wissenschaftlich anerkannte Sprache darstellt. Dem Aneignen der spanischen Sprache kommt in Bezug auf den Zugang zu gesellschaftlichen Funktionssystemen eine entscheidende Rolle zu. Darüber hinaus wird das Alter als relevanter und hierarchisierender Aspekt im Kontext des Heranwachsens sichtbar. Die Schule sowie der Unterricht werden vom Biografieträger als etwas beschrieben, das es zu erfüllen gilt und dem keine relevante Bedeutung beigemessen wird. Der formale Lernkontext Schule wird demnach nicht als reflexiver Bildungskontext in einem humanistischen Sinne erfahren. Sprache tritt dabei als relevanter Verhinderungsfaktor der Teilhabe in Erscheinung" (PILCH ORTEGA 2018a, S.165f.). [51]

Wie aufgezeigt werden soll, wurde keine schöne Übersetzungsform gewählt, sondern vielmehr wird der Charakter einer gesprochenen Sprache erkennbar, die für die Analyse narrativer Interviews wesentlich ist. Die Herausforderung ist dabei, den Text dennoch hinreichend lesbar zu gestalten, was zum Teil durch Satzzeichen als Hilfsmittel unterstützt wurde. Anhand dieser Interviewpassage wird die Hierarchisierung von Sprache in dem untersuchten sozialen Kontext sichtbar. Der Umgang mit Erfahrungen sozialer Benachteiligung war Teil des Forschungsinteresses. Veranschaulicht wird zudem die Methode der gezielten Verfremdung bestimmter Begrifflichkeiten, wie etwa comunidad und primaria, die die Leser*innen irritieren sollen, um voreiligen Interpretationen gezielt entgegenzuwirken. Zudem werden in Klammer alternative Übersetzungsmöglichkeiten angeboten. Die strukturelle Beschreibung ermöglicht es, die in der Übersetzung enthaltenen Bedeutungszuschreibungen ausführlicher zu diskutieren und in einen Gesamtzusammenhang zu stellen. Angemerkt werden sollte zudem, dass in der Studie Falldarstellungen enthalten sind, die mit einem jeweiligen biografischen Porträt der Interviewpartner*innen eingeleitet wurden. Der Gesamtzusammenhang eines Lebensentwurfes ergibt sich daher erst im Zusammenspiel der interpretierten Kernpassagen. Die Rekonstruktion der Erzählperspektive stellt dabei ein Interpretationsangebot dar, das als Lesart zur Verfügung gestellt wird. [52]

Die zweite Interviewpassage gibt Einblick in die Möglichkeit, unterschiedliche Übersetzungsvarianten im Zuge der strukturellen Beschreibung anzubieten. In dem konkreten Beispiel findet sich der Hinweis in der Fußnote. Die Interviewpartnerin Victoria erzählte zunächst von dem Verlust des Vaters als früh erlebten biografischen Bruch, der mit existenziellen Herausforderungen verbunden gewesen sei und dazu geführt habe, dass sie gemeinsam mit ihren Schwestern und ihrer Mutter den Lebensunterhalt bestreiten musste.

Interwiewpassage: "fue muy difícil mi niñez por que como te digo que a los trece años falleció mi papá en ese tiempo terminé la primaria y mi mamá quedó sin dinero sin alimentos y todo eso y yo dejé de estudiar dos años, y luego este trabajamos mucho, casi perdimos todo lo que es juego la este (..)21) la diversión y todo eso porque estuvimos mucho trabajando para mantenernos buscar comida salir adelante y todo eso con mis hermanas y este ya este como a los dieciséis diecisiete años empecé a buscar trabajo pero como dos años sin estudiar la pri, la secundaria dejé de estudiar y luego [me lo] permití entrar a la secundaria yo ni sabía busqué una beca en donde me pudieran ayudar (..) (1/32–39).

[Übersetzung:] meine Kindheit war sehr schwierig weil, wie ich dir gesagt habe, dass mit dreizehn Jahren ist mein Vater verstorben und zu dieser Zeit habe ich die Primaria beendet, meine Mutter blieb ohne Geld zurück, ohne Nahrungsmittel und all das, und ich habe zwei Jahre aufgehört zu lernen (zur Schule zu gehen) und dann dies wir haben viel gearbeitet, wir haben fast all das verloren was das Spiel ist die dies (..) den Spaß und all das weil wir viel gearbeitet haben um uns zu ernähren (zu erhalten) [um] Essen zu suchen [um] vorwärts zu kommen und all das mit meinen Schwestern und dies schon dies, mit sechzehn siebzehn Jahren habe ich begonnen Arbeit zu suchen, aber mit zwei Jahren ohne zu lernen die Prim die Secundaria habe ich aufgehört zu lernen und dann habe ich es mir erlaubt in die Secundaria einzutreten, ich habe nicht einmal gewusst, ich habe ein Stipendium gesucht, wo sie mir helfen könnten.

[Strukturelle Beschreibung:] Die Kindheit wird von der Biografieträgerin, rückblickend betrachtet, als sehr schwierig bewertet. Der Verlust des Vaters hat zur Folge, dass sich die ökonomische Situation für die Familie höchst schwierig gestaltet. Victoria muss schließlich ihre Schullaufbahn abbrechen, da die Notwendigkeit besteht, Geld zu verdienen. Bilanzierend merkt die Akteurin an, dass Spiel und Spaß aufgrund dieser schwierigen Lebenssituation kaum noch Raum erhielten. Auch hier wählt die Akteurin eine Wir-Perspektive, was nahelegt, dass nicht nur sie allein, sondern auch ihre Schwestern von dieser Situation betroffen waren. Der biographische Bruch des Verlustes des Vaters markiert demnach auch ein abruptes Ende der Kindheit. Die kindliche Leichtigkeit und Verspieltheit werden durch die Konfrontation mit der fragilen sozioökonomischen Lage beendet. Die Familie begegnet der erhöhten sozialen Vulnerabilität [...] mittels einer kooperativen Strategie, die auch Suchbewegungen sichtbar macht. Der Zusammenhalt der Familie gewährleistet das gemeinsame Überleben. Alle Familienmitglieder, auch die jungen Frauen, leisten ihren Beitrag, um das ökonomische Überleben der Familie zu sichern. Schließlich erlaubt es die Situation jedoch, dass Victoria ihre Schulbildung fortsetzen kann. Die Bildungsaspiration wird an dieser Stelle nicht näher erläutert. Irritierend wirkt dabei die Wortwahl der Akteurin, sich den Besuch der Secundaria 'erlaubt zu haben'. [Fußnote: Da die Erstsprache der Interviewpartnerin Tzotzil ist, wurden im Zuge der strukturellen Analyse zwei Lesarten entwickelt. Zum einen besteht die Annahme, dass es sich hier um sprachliche Barrieren handelt, die dieser Formulierung zugrunde liegen. Zum anderen kann die Wortwahl jedoch auch auf den Umstand hinweisen, dass die Akteurin bereits im jungen Alter ein hohes Maß an sozialer Verantwortung gegenüber nahestehenden Personen entwickelt hat. Das Erlauben des Schulbesuchs wird bei dieser Lesart als Herauslösen aus einer sozialen Verpflichtung und als Entscheidung, die vom Subjekt selbst getroffen wird, sichtbar. In Anbetracht der Herausforderung, mehrsprachige Narrative zu deuten, muss jedoch auch auf die Gefahr einer Überbewertung 'einzelner Textpassagen' hingewiesen werden.] Die Biografieträgerin sucht nach Möglichkeiten finanzieller Unterstützung in Form eines Stipendiums. [...] Schließlich lernt Victoria eine 'señora' (Dame) kennen, die ihr bzw. ihrer Familie die Gelegenheit eröffnet, in einer Kooperative zu arbeiten. Dieser neu eröffnete Handlungsraum geht dabei mit der beruflichen Identifikation als Kunsthandwerkerin einher. Diesen Abschnitt in ihrem Leben markiert die Biografieträgerin als Wendepunkt bzw. als erfolgreiche Bearbeitung der Verlaufskurvendisposition, die mit dem Tod des Vaters ihren Ausgang genommen hat. Die von Victoria dargestellte Handlungssequenz verdeutlicht eine überindividuell angelegte Bewältigungsstrategie im Umgang mit prekären Lebensverhältnissen. Die Familie bewältigt gemeinsam diese schwierige Lebenssituation, auch wenn dies bedeutet, dass die Heranwachsenden auf vieles verzichten müssen. Anhand der Darstellung wird deutlich, dass sich Victoria als Teil des familiären Gefüges begreift; der sozialen Einbindung kommt demnach eine große biographische Bedeutung zu. Soziale Risiken werden in einem kooperativen Modus erfolgreich abgefedert" (PILCH ORTEGA 2018a, S.269ff.). [53]

Anhand des zweiten Beispiels wird ebenso der Charakter der gesprochenen Sprache deutlich, der den Übersetzungsprozess vor große Herausforderungen stellte. Die im Transkript bzw. in der Übersetzung enthaltenen Klammern und Punkte – "(..)" – verweisen auf Sprechpausen. Wie anhand dieses Beispiels erkennbar wird, erlaubt die strukturelle Beschreibung, auch alternative Lesarten anzubieten und zu begründen. Die Wortwahl der Interviewpartnerin, sich den Besuch der Secundaria "erlaubt zu haben", wirkt auf den ersten Blick irritierend. Vor diesem Hintergrund wurden in dem gewählten Beispiel zwei unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten angeboten. Zum einen wurde auf die Erstsprache der Interviewpartnerin und die Gefahr einer möglichen Überbewertung von sprachlichen Sonderformen aufmerksam gemacht. Zum anderen könnte die Wortwahl auch ein Hinweis auf die soziale Einbettung der Akteurin und die damit verbundene Verantwortung sein, aus der sie sich durch die Entscheidung, die Secundaria zu besuchen, selbst entlassen hat. Die angebotene Übersetzung sowie die alternativen Interpretationen werden als rekursiver Annäherungsprozess sichtbar mit der Intention, die Perspektive der erzählenden Person (aus einer europäischen Perspektive) interpretativ zu rekonstruieren, ohne dabei den Anspruch zu verfolgen, eine einzig gültige Lesart zu präsentieren. Für die Übersetzung und Analyse der narrativen Interviews war die Auseinandersetzung mit Perspektiven der Translationswissenschaft besonders gewinnbringend und unterstütze mich dabei, mich selbst von einem normativen Übersetzungsverständnis zu befreien und die Verstrickung von Übersetzungstätigkeiten in Machtverhältnisse kritisch-reflexiv in den Blick zu nehmen. [54]

5. Abschließende Betrachtung

In diesem Artikel habe ich mich mit der Praxis des Übersetzens von qualitativen Daten beschäftigt mit dem Ziel, wesentliche forschungsethische, methodologische und epistemologische Fragen eingehender zu beleuchten. Angesicht einer zunehmenden Transnationalisierung lebensweltlicher Verhältnisse sowie der Entstehung multilingualer Räume ist die Auseinandersetzung mit Perspektiven auf Translation für die qualitative Sozialforschung von essenzieller Bedeutung. Die forschende Auseinandersetzung mit Translation im Zusammenhang mit qualitativer Forschung steht jedoch auch in der Translationswissenschaft noch am Anfang. Ansätze wie etwa die von RICOEUR (2006 [2004]) vertretene relationale Perspektive auf Übersetzung sind m.E. für die qualitative Sozialforschung besonders gut anschlussfähig. Wie anhand der Bezugnahme auf Diskurse der kritischen Translationswissenschaft aufgezeigt werden sollte, kann nicht a priori festgelegt werden, was eine gute oder schlechte Übersetzung ist. Vielmehr ist die Bewertung einer Übersetzung an einen gesellschaftlichen Aushandlungsprozess gebunden, der sich auf Basis unterschiedlicher Übersetzungskonventionen vollzieht. Wie verdeutlicht werden sollte, müssen im Zuge von Übersetzungsprozessen wichtige Entscheidungen getroffen werden, die – im Sinne von Transparenz und Nachvollziehbarkeit – offengelegt werden sollten. Dabei sollte auch das Rollenverständnis von Übersetzer*innen geklärt und ethische Herausforderungen benannt und sichtbar gemacht werden. Translationen können keineswegs als neutrale Produkte verstanden werden, sondern müssen in Bezug auf ihre Verstrickung in hegemoniale Macht- und Herrschaftsverhältnisse betrachtet werden, um nicht Gefahr zu laufen, problematische (normative) Diskurse zu reproduzieren oder Sinngehalte verkürzt, ohne ihre textuelle Einbettung, zu transferieren. Wesentlich für einen Forschungsprozess in multilingualen Sprachräumen ist es daher, den Skopos einer Übersetzung, also das Ziel und den Zweck der Translation, vor dem Hintergrund des Forschungsinteresses und des erkenntnistheoretischen Interesses des methodologischen Forschungszugangs zu klären. Die in diesem Artikel dargelegte Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Skoposbeziehungen war für mich eine wichtige Grundlage für die Entwicklung des Übersetzungsdesigns und soll Leser*innen Hinweise in Bezug auf die Gestaltung von Übersetzungen empirischer Daten geben. Für mich selbst war vor allem die Reflexion normativer Annahmen in Bezug auf Sprache und das Hinterfragen der m.E. relativ hohen Ausgangstextorientierung im Zuge biografischer Untersuchungen besonders fruchtbar. Wie Übersetzungsprozesse gefasst werden können und anhand welcher Kriterien sich diese vollziehen sollten, ist Teil gegenwärtiger kontroverser Debatten. Herausforderungen bei der Übersetzung von narrativen Interviews im Rahmen qualitativer Forschung sollten nicht unterschätzt werden. Eine breitere interdisziplinäre Diskussion in Bezug auf ethische und methodologische Problemstellungen bei Translationstätigkeiten wäre vor diesem Hintergrund wünschenswert und gewinnbringend. [55]

Danksagung

Ich bedanke mich herzlich bei Nadja GRBIC und Sabine KLINGER für den produktiven Austausch und die Anregungen für die Überarbeitung des Beitrags.

Anmerkungen

1) Unter dem Terminus Translation wird in der Translationswissenschaft nach KADE (1968) sowohl das Übersetzen von fixierten, meist schriftlichen Texten als auch das Dolmetschen im Rahmen von kommunikativen Situationen verstanden. Übersetzungen sind wiederholbar und korrigierbar, Dolmetschen hingegen flüchtig und weniger einfach zu korrigieren. Translation stellt demnach ein Überbegriff für Übersetzen und Dolmetschen dar. Der englische Begriff translation verweist hingegen nur auf Übersetzungen, wohingegen interpreting für die Tätigkeit des Dolmetschens verwendet wird. Als Überbegriff für die beiden Aspekte findet sich jedoch auch die Bezeichnung Translation (PÖCHHACKER 2022 [2004]). <zurück>

2) In Großbritannien werden Dolmetscher*innen im Besonderen angewiesen, bei ihrer Übersetzungstätigkeit möglichst unsichtbar in den Hintergrund zu treten (MOSKAL et al. 2024). <zurück>

3) Zu Grenzen der Interpretation von (postkolonialen) Narrationen siehe auch REICHERTZ (2020) und VOGL und DREIER (2025). <zurück>

4) Die Unterscheidung zwischen unterschiedlichen Skoposbeziehungen erscheint insofern relevant, als zum einen auf die Problematik von homologen und analogen Übersetzungsstrategien aufmerksam gemacht werden soll. Diese Formen werden mittlerweile von Übersetzungs-Apps (wie beispielsweise DeepL) angeboten. Zum anderen veranschaulichen dialogische und trialogisch angelegte Translationen die Bedeutung der Rolle von Übersetzer*innen im Rahmen von Übersetzungsprozessen. Besonders in postkolonialen Kontexten ist den Machtverhältnissen im Forschungsprozess und auch bei Übersetzungsprozessen besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Die Beispiele des Einmischens in Übersetzungsprozesse sollen dabei nicht nur alternative Zugänge aufzeigen, sondern auch die Reflexion über die Produktion von Wissen und damit verbundene Entscheidungsprozesse anregen. <zurück>

5) Zur Auseinandersetzung mit postkolonialen Perspektiven in der Translationswissenschaft siehe u.a. SIMON und ST-PIERRE (2000). <zurück>

6) Inwiefern dieses normative Rollenverständnis von Dolmetscher*innen zu einem ethischen Dilemma führt, wurde bereits anhand des Beispiels der Studie von MOSKAL et al. (2024) aufgezeigt. <zurück>

7) Bedeutsam erscheint in diesem Zusammenhang die Annahme, dass (Übersetzungs-)Ergebnisse auch in Bezug auf ihre Interpretation und Rezeption nicht kontrolliert werden könnten. <zurück>

8) In den Entscheidungsprozess sollten alle involvierten Akteur*innen – z.B. Forscher*innen und Dolmetscher*innen – in einem möglichst egalitären Verhältnis eingebunden sein. Ideal wäre zudem im Sinne partizipativer Forschung die Einbindung der Interviewpartner*innen, wobei Übersetzungen ausgehandelt werden müssten. <zurück>

9) Eine detaillierte Beschreibung des methodologischen Zugangs kann in PILCH ORTEGA (2018a, Kap. 4) nachgelesen werden. Thematisiert wird u.a. das Verhältnis von Theorie und Empirie und die Grounded-Theory-Methodologie als Forschungsstil, wobei ich mich primär an den Ausführungen von GLASER und STRAUSS (1998 [1967]) und DAUSIEN (1996) orientiert habe. Bei der Analyse wurden die Narrationsanalyse nach SCHÜTZE (u.a. 1983, 1984) mit den Kodierebenen der Grounded-Theory-Methodologie verschränkt (siehe hierzu PILCH ORTEGA 2018a, Kap. 4.3.2 und 4.4). <zurück>

10) Die Vergleichsgruppen wurden auf Basis "der theoretischen Sensibilität"(GLASER & STRAUSS (1998 [1967]) entwickelt: Es wurden primär Akteur*innengruppen ausgewählt, deren Lebensbedingungen zum einen von benachteiligten und prekären Verhältnissen gekennzeichnet waren. Zum anderen sollten Suchbewegungen eines lernenden Umgangs mit Benachteiligung sichtbar sein. Darüber hinaus wurden im Zuge des Analyseprozesses weitere Erhebungen durchgeführt, um anhand von Kontrastfällen die entwickelten Kategorien differenzierter bestimmen zu können (PILCH ORTEGA 2018a, Kap. 4.4.4). <zurück>

11) In diesem Artikel werden nur jene Aspekte thematisiert, die für Übersetzungsprozesse besonders relevant erschienen. Biografietheoretische Perspektiven werden in der publizierten Studie ausführlich beschrieben und deren Anwendung in postkolonialen Forschungskontexten diskutiert (PILCH ORTEGA 2018a). <zurück>

12) Siehe hierzu u.a. ALHEIT (2008). <zurück>

13) In der Studie wurden die Konstitutionsbedingungen von Subjektivität ausführlich diskutiert (PILCH ORTEGA 2018a). <zurück>

14) Die Kategorie "Muster sozialer Bezugnahme" wurde im Rahmen der Studie anhand der Forschungserkenntnisse entwickelt. <zurück>

15) Als Beispiel dieses Erkenntnisprozesses kann u.a. das von mir entwickelte Konzept der "Soziographizität" genannt werden, durch das (in Anlehnung an die Idee der Biographizität) als relationale Perspektive das Neuschreiben sozialer Verhältnisse und die damit verbundenen (zivil-)gesellschaftlichen Lernprozesse in dem Blick genommen werden (PILCH ORTEGA 2018b). <zurück>

16) Meine Forschungserfahrungen in dem untersuchten sozialen Kontext erstrecken sich mittlerweile über 20 Jahre. Der ursprüngliche Plan, Interviews auch in einer indigenen Sprache durchzuführen, wurde aufgrund der damit verbundenen Herausforderungen verworfen. Darüber hinaus zeigte sich bei Probeinterviews, dass das (für die Biografieforschung) erforderliche Maß an Biografisierung der Lebensgeschichte bei jenen Interviewpartner*innen nicht hinreichend ausgeprägt war, die ausschließlich eine indigene Sprache sprachen. <zurück>

17) Angemerkt werden sollte zudem, dass sowohl Forschung als auch die Transkription von empirischen Daten in einem umfassenderen Sinn als Übersetzungsprozess verstanden werden kann (ROTH 2013): Forscher*innen sind bestrebt, bestimmte soziale Phänomene analytisch zu fassen. Dabei werden (Alltags-)Phänomene in eine wissenschaftliche Sprache übersetzt, und es wird an wissenschaftliche Diskurse angeschlossen. Auch mit der Transkription eines narrativen Interviews wird keine authentische Stimme präsentiert, sondern durch die Verschriftlichung wird eine neue Form sozialer Wirklichkeit erzeugt. <zurück>

18) Wie ich im Rahmen der Felderkundung in Erfahrung bringen konnte, werden regional verankerte Sprachcodes umgangssprachlich als dominio del pueblo [Volkssouveränität] bezeichnet. <zurück>

19) Die Namen der Interviewpartner*innen sowie persönliche Informationen, die Rückschlüsse auf die Person zulassen würden, wurden im Rahmen der Studie anonymisiert. <zurück>

20) Die Angaben in Klammer beziehen sich auf die Seite und die Zeilennummern des Transkripts des jeweiligen Interviews. <zurück>

21) Die Punkte in den Klammern im Interviewtranskript verweisen auf Sprechpausen: ein Punkt steht für eine Sekunde. <zurück>

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Zur Autorin

Angela PILCH ORTEGA ist assoziierte Professorin im Fachbereich empirische Lernweltforschung und Hochschuldidaktik am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft der Universität Graz. Seit 2015 ist sie Convenor des ESREA Network on Migration,Transnationalism and Racisms. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: biografische Lernwelt- und Bildungsforschung, zivilgesellschaftliches Lernen und soziale Bewegungen, Hochschulforschung und Demokratiebildung, Transnationalisierung und postkoloniale Räume, interpretative Sozialforschung.

Kontakt:

Angela Pilch Ortega

Universität Graz
Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft
Merangasse 70/II, A-8010 Graz

E-Mail: angela.pilch-ortega@uni-graz.at

Zitation

Pilch Ortega, Angela (2025). Narrationen übersetzen – ethische und methodologische Herausforderungen in der qualitativen Sozialforschung [55 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 26(3), Art. 2, https://doi.org/10.17169/fqs-26.3.4348.

Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research (FQS)

ISSN 1438-5627

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