Volume 26, No. 3, Art. 18 – September 2025
Die Scham muss die Seiten wechseln. Eine autoethnografische Reflexion über Schwangerschaftsabbrüche angesichts der eigenen Schwangerschaft
Alina Jung
Zusammenfassung: Schambedingtes Schweigen wird häufig als Norm im Umgang mit Schwangerschaftsabbrüchen betrachtet. Doch welche Rolle spielen Emotionen wie Freude, Stolz, Wut, Zuversicht, Verbundenheit oder Rührung? Die Anerkennung dieser emotionalen Vielfalt erfordert eine kritische Auseinandersetzung mit etablierten Diskursregelungen und transformative Impulse, um neue Perspektiven auf Abbrüche zu ermöglichen. Mit diesem Beitrag untersuche ich das familiäre Schweigen zu Abbrüchen anhand einer autoethnografischen Passage (BOCHNER & ELLIS 2022), die in der Emotionssoziologie (SCHERKE 2024), den Affect Studies (AHMED 2004a, 2004b) und der Subjektivierungsforschung (SPIES 2017) theoretisch verortet ist. Darauf aufbauend analysiere ich die Verschiebung von Scham als dominierender Emotion und damit einhergehenden neuen Subjektpositionen. So wird der Prozess des "Seitenwechsels" deutlich – weg von der Scham hin zu einem gemeinsamen Sprachraum, in dem Möglichkeiten für eine entstigmatisierte gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Abbrüchen entstehen.
Keywords: ungewollte Schwangerschaft; Subjektivierungsforschung; feministische Reflexivität; Emotionssoziologie; Affect Studies; Autoethnografie
Inhaltsverzeichnis
1. Vom Schweigen zum Sprechen: wie die Scham die Seiten wechselt
2. Wechselnde Seiten, neue Perspektiven: die theoretische Verflechtung von Reflexivität, Emotionen, Subjektivität und embodied knowledge
2.1 Die Seiten wechseln: feministische Reflexivität und die Relevanz subjektiver Perspektiven in der Forschung
2.2 Zwischen Emotionssoziologie und Affect Studies: warum die Seiten nicht gewechselt werden müssen
2.3 Die Seiten "vernähen": eine Verflechtung von embodied knowledge und Subjektivierungsforschung
3. Mit evokativer Autoethnografie die Seiten wechseln: ein methodischer Anfang
4. Die Scham muss die Seiten wechseln: eine autoethnografische Passage
5. Wenn die Scham die Seiten wechselt: ein transformativer Prozess des Sprechens
"FORMEN WOLLEN NORMEN
NORMEN VOLL ABNORMEN
AB MIT DEN NORMEN
AB
NORMEN (REINSPERGER 2022, S.110)
1. Vom Schweigen zum Sprechen: wie die Scham die Seiten wechselt
Der Ausspruch "Die Scham muss die Seiten wechseln" machte Gisèle PÉLICOT im Herbst 2024 weltweit bekannt (JOERES 2024, S.2). Über Jahrzehnte hinweg betäubte ihr Ehemann sie, vergewaltigte sie selbst und überließ sie 50 weiteren Männern, während er die Taten filmte. Diese systematische geschlechtsspezifische Gewalt wurde bekannt, weil PÉLICOT sich für einen öffentlichen Prozess entschloss, in dem auch die Videos gezeigt wurden. Damit gelang ihr die Rückgewinnung über den bisher geführten Diskurs zu sexualisierter Gewalt, indem häufig noch die Betroffenen beschämt werden. Dies kam für PÉLICOT nicht infrage: Die Scham muss die Seiten wechseln, und die Täter1) sollen sich vor der Öffentlichkeit stellen. Für ihren Mut und ihre Entschlossenheit wurde sie nicht nur in der französischen Gesellschaft gefeiert. Auch in anderen Ländern sorgte der Fall für eine breite öffentliche Debatte über sexualisierte Gewalt und die Verantwortung der Täter*innen. Gisèle PÉLICOT selbst betonte, dass die Scham von den Betroffenen auf die Täter*innen übertragen werden müsse, um das gesellschaftliche Tabu zu brechen und die Betroffenen zu stärken (AREND 2024). [1]
Ich setze mich zwar nicht mit sexualisierter Gewalt auseinander, aber sehe in der prägnanten und selbstbestimmten Aussage PÉLICOTs deutliche Parallelen zu anderen Diskursen, in denen Betroffene für ihre Erfahrungen beschämt werden, was häufig zu Schweigen führt – etwa im Fall von ungewollten Schwangerschaften und Schwangerschaftsabbrüchen. Dass ungewollte Schwangerschaften selten offen benannt werden und mit Scham- und Schuldgefühlen der Betroffenen verbunden sind, thematisiere ich bereits an anderer Stelle (JUNG i.E.). Aufbauend darauf widme ich mich in diesem Artikel Abbrüchen und analysiere, welche funktionalen Wirkungen das durch Scham bedingte Schweigen in diesem Kontext entfaltet, und inwiefern eine kritische Reflexion sowie die mögliche Überwindung der damit verknüpften Handlungsskripte einen erkenntnisfördernden Beitrag leisten können. [2]
In meiner Auseinandersetzung mit Scham geht es mir darum, sie nicht auf individuelles Erleben der Betroffenen zu reduzieren, sondern sie in ihrer strukturellen Dimension sichtbar zu machen. Der von mir eingeführte "Seitenwechsel" markiert dabei eine notwendige Zwischenstation. Er verweist auf die Notwendigkeit eines gesellschaftlichen Bewusstseins für die Bedingungen, unter denen Scham produziert, tradiert und aufrechterhalten wird. Erst wenn eine gesamtgesellschaftliche Scham darüber etabliert ist, Betroffenen keinen selbstbestimmten sprachlichen Raum zu gewähren, kann sich ein Wandel vollziehen. Diese Verschiebung der Scham von den Individuen hin zur Gesellschaft markiert einen notwendigen Prozess der kollektiven Reflexion und Verantwortungsübernahme. Langfristig sollte das Ziel jedoch nicht in einer Umverteilung der Scham bestehen, sondern in ihrer Auflösung: Durch eine Transformation gesellschaftlicher Normen und Machtverhältnisse kann ein vorurteilsfreier, reflektierter Austausch gefördert werden, um über Abbrüche jenseits von Beschämung oder Tabuisierung zu sprechen. [3]
Autoethnografisch reflektiere ich die Abbrüche meiner Cousinen und die Bedeutung dessen, dass ich seit 20 Jahren von ihnen wusste, wir jedoch erst jetzt einen gemeinsamen Sprachraum finden konnten. Ich verstehe den Akt des Erzählens unserer Geschichte als eine Möglichkeit, Erfahrungen, die im Verborgenen liegen, eine Stimme zu geben. Indem ich Worte finde, um diese Erfahrungen auszudrücken und sie mit anderen teile, werden bisher unartikulierte körperliche Empfindungen in einen gemeinsamen Sprachraum verschoben und besprechbar: "By making intricate details of one’s life accessible to others in public discourse, personal narratives bridge the dominions of public and private life. Telling a personal story becomes a social process for making lived experience understandable and meaningful" (ELLIS & BOCHNER 1992, S.79). [4]
Mit der autoethnografischen Passage und ihrer Publikation ermögliche ich es anderen – BOCHNER und ELLIS (2022, S.9) folgend – sich mit der Thematik auseinanderzusetzen, nachzuspüren, wie es sich anfühlt und was es bedeutet, in einer chaotischen und unsicheren Welt zu leben und zugleich Wege aufzuzeigen, wie sich diese Bedingungen aushalten und bewältigen lassen. [5]
Im Verlauf meiner Forschung zu ungewollten Schwangerschaften und Abbrüchen im Projekt "Dialogwerkstatt Schwangerschaftsabbruch"2) wurde ich selbst gewollt schwanger – eine biografische Wendung, wodurch diskursive Spannungen zwischen den Interviewaussagen und meinem eigenen Erleben besonders deutlich hervortreten konnten. Während ich mit gesellschaftlichen Erwartungen von Freude und Redseligkeit konfrontiert war, sprachen die Interviewten häufig zum ersten Mal im Schutz der Anonymität über ihre Erfahrungen. In den ersten Wochen meiner eigenen Schwangerschaft wurde diese Diskrepanz zunehmend offensichtlich, was mich zu einer feministischen Selbstreflexion über mein familiäres Schweigen zu Abbrüchen anregte und mir ermöglichte, meine eigene Schwangerschaft in einem neuen Licht zu betrachten. [6]
Den Ausgangspunkt meiner Selbstreflexion bildet eine theoretische Rahmung, in der feministisch-selbstreflexive Epistemologie, Affect Studies und Emotionssoziologie mit Konzepten zu Subjekttheorie und embodied knowledge zusammengedacht werden (Abschnitt 2). Im Anschluss daran lege ich die Methodik der evokativen Autoethnografie dar (Abschnitt 3). Meine autoethnografische Passage (Abschnitt 4) mündet in einen reflexiven Prozess, in dem ich aus meinen eigenen Erfahrungen Rückschlüsse auf gesellschaftliche Strukturen ziehe (Abschnitt 5). Somit verdeutliche ich, warum Scham in vielen Fällen die zentrale Emotion im Kontext von Abbrüchen darstellt – nicht nur für die Betroffenen. Gleichzeitig zeige ich, warum es lohnenswert ist, diesen Zustand zu überwinden, um eine breitere emotionale Vielfalt zu eröffnen (JUNG & KORN i.E.), sodass perspektivisch Abbrüche schambefreit und als Teil einer Normalbiografie anerkannt werden können, was zur Enttabuisierung und zu einer nachhaltigen gesellschaftlichen Veränderung beitragen würde. [7]
2. Wechselnde Seiten, neue Perspektiven: die theoretische Verflechtung von Reflexivität, Emotionen, Subjektivität und embodied knowledge
Um zu verstehen, was schambedingtes Schweigen im Kontext von Abbrüchen bewirkt, lohnt sich ein Blick durch drei unterschiedliche – aber eng miteinander verwobene – theoretische Brillen: feministische Reflexivität, die Verknüpfung von Emotionssoziologie und Affect Studies, sowie Perspektiven aus Subjekttheorie und das Konzept des embodied knowledge. Diese Zugänge ermöglichen es, Scham nicht als individuelles Gefühl, sondern als ein soziales, diskursiv erzeugtes Geschehen zu begreifen – eines, durch das Handlungsspielräume geordnet und Subjektpositionen mitgeprägt werden. Zusammengenommen ermöglichen diese Ansätze eine Analyse, bei der auch leise, nicht ausgesprochene Wirkungen von Scham sichtbar gemacht werden – etwa auf Beziehungen zu nahestehenden Personen – und der Raum für eine Reflexion darüber eröffnet wird, wie normative Handlungsskripte durchbrochen werden können. [8]
2.1 Die Seiten wechseln: feministische Reflexivität und die Relevanz subjektiver Perspektiven in der Forschung
Die Analyse von Scham erfordert eine Perspektive, mit der nicht nur das Phänomen selbst, sondern auch die epistemischen Bedingungen seiner Erforschung reflektiert werden kann. Feministische Reflexivität bietet hierfür eine theoretische Grundlage, bei der Subjektivität nicht als Störung, sondern als erkenntnisfördernd begriffen wird – eine zentrale Voraussetzung für autoethnografische Forschung (BREUER 2003; SIOUTI & RUOKONEN-ENGLER 2025). Feministische Wissenschaftler*innen dekonstruieren die Vorstellung objektiver, neutraler Forschung und hinterfragen die epistemische Hierarchie zwischen quantitativen und qualitativen Methoden. Insbesondere wird sichtbar, wie verkörpertes Wissen von Frauen, Lesben, intergeschlechtlichen, nichtbinären, transgeschlechtlichen und agender (FLINTA)-Personen, queeren Menschen und People of Colour systematisch marginalisiert wird (FOTAKI & HARDING 2018; GUSCHKE 2023; LORDE 2007 [1984]). [9]
HARDING (1993) und HOOKS (1984) betonten in der feministischen Standpunkttheorie gelebte Erfahrungen, Emotionen und Perspektivenvielfalt, anstatt dominante Sichtweisen zu privilegieren. So forderte HARDING (1993) mit der "strong objectivity" (S.71) Reflexivität als transparente Form epistemischer Verantwortung, um die eigene Position im Erkenntnisprozess offenzulegen – nicht nur als Methode, sondern als ethische Haltung (PLODER 2022). Verletzlichkeit zuzulassen, wozu es Räume der Unterstützung und "academic kindness" (THALER & JAUK-AJAMIE 2022, S.4) benötigt, ist somit Voraussetzung für strong objectivity. [10]
KÜHNER, PLODER und LANGER (2016) untersuchten die Rolle der Subjektivität der Forscher*innen im Wissensproduktionsprozess und unterschieden zwischen "weak reflexivity", bei der die Subjektivität der Forscher*innen als störender Faktor betrachtet und "strong reflexivity", bei der deren Position als eine kritische Ressource für die Datenerhebung und -interpretation wertgeschätzt wird (S.700; siehe auch BREHM & LANGER 2025). Bei letzterer wird davon ausgegangen, dass Wissen stets mit Selbstwissen verflochten ist (PLODER 2022). In diesem Sinne eröffnete mir die Erfahrung einer gewollten Schwangerschaft einen neuen Zugang zur Relektüre meiner früheren Forschung, mein Interpretationshorizont wurde erweitert. Die strong reflexivity steht damit in engem Zusammenhang mit Konzepten wie dem "situierten Wissen" (HARAWAY 1995 [1988], S.73) und der Standpunkttheorie (HARDING 1993, 2005 [2003]), in denen die subjektive Erfahrung nicht als Defizit, sondern als epistemische Ressource aufgefasst wird. Forschung wird hier – PLODER und STADLBAUER (2016) folgend – als ein performativer und transformativer Prozess begriffen, in dem sich Forschende und Forschungsfeld wechselseitig beeinflussen. Diese Haltung spiegelt sich besonders in autoethnografischen Ansätzen wider, in denen persönliche Narrative nicht nur zugelassen, sondern gezielt als Zugang zu gesellschaftlich relevanten Erfahrungsräumen genutzt werden. Dabei betonte RAMBO (2016), dass Vulnerabilität nicht als Schwäche, sondern als erkenntnisleitendes Moment zu verstehen sei. Gleichzeitig entstehen Spannungen zwischen individueller Offenheit und institutionellen Erwartungen, da wissenschaftliche Autorität zunehmend an biografische Transparenz gekoppelt wird (PLODER 2022). [11]
Gerade in der Spannung zwischen Stärke und Fragilität, Nähe und Isolation zeigt reflexive Praxis ihr aufschlussreiches – und zugleich herausforderndes – Potenzial: Es werden neue Perspektiven auf das Zusammenspiel von persönlicher Erfahrung, Forschung und gesellschaftlichem Wandel eröffnet. WETTERGREN (2015) argumentierte, dass bei feministischer Reflexivität Wissen immer an die Position der forschenden Person gebunden ist und subjektive Erfahrung erkenntnistheoretisch relevant wird. Wissen ist stets situiert, und subjektive Erfahrung besitzt einen eigenständigen epistemologischen Wert. [12]
Aufbauend auf diese Überlegungen rücke ich im nächsten Abschnitt die Rolle von Emotionen in gesellschaftlichen Prozessen in den Fokus. Die Emotionssoziologie und Affect Studies bieten theoretische Ansätze, um zu analysieren, wie Scham nicht nur als individuelles Gefühl, sondern als gesellschaftlich strukturiertes Phänomen wirkt. [13]
2.2 Zwischen Emotionssoziologie und Affect Studies: warum die Seiten nicht gewechselt werden müssen
Um Rückschlüsse aus der individuellen feministischen Selbstreflexion auf zugrunde liegende soziale Dynamiken zu ziehen, ist ein fundiertes Verständnis von Emotionen und Affekten notwendig. Denn Emotionen sind für "die Funktion von zwischenmenschlichen Beziehungen und die Integrität größerer sozialer Einheiten von zentraler Bedeutung" (SCHEVE 2009, S.36). Ein transdisziplinärer Ansatz, durch den die grundlegenden Aspekte von Emotionen und Affekten – ihre trennende ebenso wie ihre verbindende Funktion – erklärt werden, dient als zentrale Grundlage. Auf dieser Basis zeige ich in Abschnitt 5, weshalb Scham in vielen Fällen die erste und zentrale Emotion im Kontext von Abbrüchen ist – und zwar nicht nur für die Betroffenen selbst. Gleichzeitig verdeutliche ich, wie sich Scham überwinden lässt, indem sie zuvor die Seiten wechselt. [14]
Zunächst schließe ich mich SCHERKE (2024) an und plädiere für einen "pragmatischen Umgang" (S.197) mit dem Emotions- bzw. Affektbegriff, um disziplinübergreifende Implikationen hinsichtlich ihrer Anschlussfähigkeit für die Emotionssoziologie zu prüfen. Die Begriffe Emotion und Affekt können "sowohl in unspezifischer Weise als allgemeiner Ausdruck für (körperliche und/oder geistige) Empfindungen verwendet werden, als auch als Sammelbezeichnung für spezifische Empfindungen, die zusätzlich mit eigenen Emotionswörtern wie 'Freude', 'Trauer' oder 'Scham' bezeichnet werden" (S.19). Entscheidend sei dabei die "Einbettung von Akteur*innen und damit auch von Emotionen/Affekten in soziale Zusammenhänge" (S.197). Diese Auslegung betrachte ich als maßgeblich, da sich die autoethnografische Passage in Abschnitt 4 methodisch von JUNG (i.E.) – in der ich eine klare emotionssoziologische Position einnahm – sowie von JUNG und KORN (i.E.) – wo wir unter Rückgriff auf WETHERELL (2015) eine praxeologische Affektperspektive verfolgten – unterscheidet. Stattdessen beziehe ich mich in Anlehnung an AHMED (2004a) auf Erkenntnisse der Affect Studies, um deren Anschlussfähigkeit zu prüfen. [15]
AHMED (2004a, S.46) zeigte durch ihr Konzept der "affective economy" eine theoretisch anschlussfähige Erweiterung der emotionssoziologischen Perspektive auf: sie verstand Emotionen nicht als individuelle innere Zustände, sondern als soziale Handlungen, durch die Bedeutungen erzeugt, Machtverhältnisse stabilisiert und gesellschaftliche Strukturen geformt werden. Emotionen besitzen demnach keine feste Existenz, sondern entstehen erst durch ihre performative Äußerung und Wiederholung. Daher fragte AHMED nicht "What are emotions?", sondern "What do emotions do?" (S.4). Emotionen gehören nicht dem Individuum allein, sondern prägen das Werden des Körpers. AHMED (2006) beschrieb diese affektive Bindung als "sticky" (S.40): Bestimmte Gefühle heften sich hiernach an Objekte, Subjekte oder Gruppen, wodurch sie im sozialen Raum spezifische Bedeutungen und Wertungen erhalten. Diese affektive Haftung prägt die Wahrnehmung und Behandlung sozialer Akteur*innen, durch sie werden gesellschaftliche Positionen stabilisiert oder verschoben und Kollektive mit positiven oder negativen Affekten aufgeladen. Somit sind Emotionen nicht nur individuelle Erlebnisse, sondern dynamische, relationale und machtvolle soziale Kräfte, durch die gesellschaftliche Strukturen geformt werden (AHMED 2004a). [16]
Bei Abbrüchen zeigt sich diese affektive Dynamik besonders deutlich. Scham bleibt nicht einfach ein individuelles Gefühl, sondern zirkuliert in gesellschaftlichen Diskursen, durch sie werden moralische Urteile geprägt und Schwangere ungewollt innerhalb eines affektiven Ordnungsgefüges verortet. Die affektive Haftung der Scham verweist auf tief verwurzelte gesellschaftliche Normen, in denen Schwangerschaft mit Reinheit und Mutterschaft mit weiblicher Erfüllung gleichgesetzt wird (JUNG i.E.; JUNG & KORN i.E.; JUNG, NOSSEK & DUBISKI 2025; MILLAR 2020). Ein Abbruch stellt in diesem Rahmen eine affektive Störung dar, indem die normativen Erwartungen irritiert werden. Die Betroffenen können sich daher als von der Gesellschaft entfremdet oder moralisch abgewertet empfinden. [17]
Wie affektive Ordnungen Körper in gesellschaftlich vorgegebene Bahnen lenkten, beschrieb AHMED (2006, S.157) mit dem Konzept der "disorientation". Diese Ordnungen sind jedoch nicht statisch: Affektive Desorientierungen können Irritationen auslösen und so transformative Prozesse anstoßen. Der Körper, der aus dem normativen affektiven Raster herausfällt, eröffnete eine Leerstelle innerhalb der "affective economy" (AHMED 2004a, S.46; 2006, S.140). Diese Irritation ermöglichte es mir, bestehende Strukturen infrage zu stellen und alternative Positionierungen zu erproben. Indem sich Bruchstellen und Dynamiken affektiver Ordnung zeigten, wurde der Körper zu einem Akteur, durch den normative Grenzen überschritten wurden und neue Bedeutungsräume erschlossen werden konnten. Aus dieser Perspektive markierte Desorientierung eine kritische Konstellation, in der Zugehörigkeit und gesellschaftliches Miteinander neu verhandelt werden konnten. Sie eröffnete die Möglichkeit, den Einfluss normativer Strukturen auf Subjektivität bewusst zu reflektieren und zu transformieren. [18]
Indem ich autoethnografisch arbeite, mache ich meine eigene affektive Verortung sichtbar und nutze diese Öffnung, um neue Perspektiven auf Abbrüche zu entwickeln. Im Zentrum steht die Frage, wie Emotionen durch gesellschaftliche Diskurse gesteuert werden und Scham affektiv an Abbrüche gebunden wird. Mit der Analyse dieser Mechanismen verdeutliche ich, wie sowohl individuelle Erfahrungen als auch soziale Strukturen durch affektive Zuschreibungen geprägt werden. In Verbindung mit dem Konzept der "disorientation" (AHMED 2006, S.157) ist Scham nicht nur als Belastung, sondern auch als potenzieller Ausgangspunkt für Widerstand und Neubewertung begreifbar. Diese Verschränkung von Emotionssoziologie und Affect Studies bildet den Kern meines Erkenntnisinteresses: Durch autoethnografische Reflexion lassen sich affektive Ordnungen herausfordern und neue Spielräume für Agency und kollektive Handlung sichtbar machen. [19]
Zur Analyse dieses Prozesses bot das empirisch-emotionssoziologische Verständnis SCHERKEs (2024) einen hilfreichen Zugang: Sie untersuchte, wie gesellschaftliche Diskurse über Emotionen individuelles Handeln prägten. Mittels sozialer Normen wird nicht nur definiert, welche Gefühle als angemessen gelten, sondern auch, welche gezeigt werden dürfen oder müssen. Emotionen sind dabei als soziale Phänomene zu verstehen – sie entstehen in Interaktionen, erzeugen Handlungsimpulse und wirken zurück auf das soziale Umfeld. Sie verbinden "Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft" (S.12) und entfalten so eine doppelte Relevanz: für individuelles Handeln und den sozialen Kontext. Diese Perspektive ließ sich mit AHMEDs (2004a, 2004b) Ansatz erweitern, die Emotionen als gesellschaftlich vermittelt fasste. Subjekte und Subjektivierungsprozesse sind demnach Effekte vergangener Normierungen, die Empfindungen prägten (URAL 2022). AHMED betonte:
"Emotions are what move us, and how we are moved involves interpretations of sensations and feelings not only in the sense that we interpret what we feel; but also in that what we feel might be dependent on past interpretations that are not necessarily made by us, but that come before us. Focusing on emotions as mediated rather than immediate reminds us that knowledge cannot be separated from the bodily world of feeling and sensation [...]" (2004a, S.171). [20]
SCHERKE (2024, S.13) hob hervor, dass Emotionen nicht rein individuelle Phänomene, sondern sozial situiert sind; sie entstehen im Zusammenspiel von "Erinnern, Fühlen und Entscheiden". In ihrer sozialen Wirksamkeit markieren sie den Status von Beziehungen, indem Zugehörigkeit gestiftet oder Abneigung erzeugt wird. Gesellschaftliche Normen bestimmen, welche Emotionen erwartet werden. Durch diese diskursiv vermittelten "feeling rules" (HOCHSCHILD 1979, S.551) wird festgelegt, was empfunden und gezeigt werden darf. In diesem Sinne umfassen Emotionen nicht nur subjektives Erleben, sondern verkörperten kollektive Bedeutungen – von Scham bis Freude (SCHERKE 2024). [21]
In interaktionistischen Ansätzen in der Emotionssoziologie werden Emotionen nicht lediglich als Zustände betrachtet, die Individuen besitzen, sondern als Prozesse, die aktiv ausgeführt und in sozialen Interaktionen realisiert werden (SCHEER 2012; SCHERKE 2024). Damit wird – ähnlich wie in den Affect Studies – die Prozesshaftigkeit von Emotionen betont. In letztere wurde dies als "Affizieren und Affiziertwerden" (RECKWITZ 2016, S.173) gefasst und die körperlich-situative Dimension hervorgehoben. Während Vertreter*innen der Emotionssoziologie Emotionen als soziale Praktiken beschrieben, fokussierten die Vertreter*innen der Affect Studies ihre Dynamik und Wirkmacht – in beiden Perspektiven werden Emotionen und Affekte als relationale und veränderliche Prozesse verstanden. Daran schließt differenzielles Emotions- und Affektverständnis problemlos an:
"Es ist dasselbe relationale Affizierungsgeschehen, das Körper ausrichtet, markiert und sozial positioniert, das in den etablierten Vokabularen und Skripten des Emotionalen formiert, mobilisiert und verbreitet wird. Affekt und Emotion lassen sich nicht in getrennte Register bannen, sondern müssen als Teilmomente desselben grundlegenden Wirkungsgeschehens bestimmt werden. Dabei bezeichnet 'Emotion' die benennbare und durch kulturelle Skripte präfigurierte Seite dieser Dynamik, die ihrerseits in steter Transformation und Bewegung begriffen ist, während 'Affekt' das jeweilige Vollzugsmoment, die konkrete Wirkweise, also die sinnlich-materiellen Einwirkungsereignisse des Affektgeschehens fokussiert" (SALBY 2018, S.74). [22]
Ich greife SCHERKEs (2024, S.206) Hinweis auf, dass in der Emotionssoziologie der "gesellschaftskritische Anspruch mancher Vertreter*innen der affect studies" kritisiert worden sei. Deren Ziel liege nicht in der Entwicklung eines "in sich kohärente[n] wissenschaftliche[n] Programms" (a.a.O.), sondern im Aufzeigen von Einseitigkeiten und gesellschaftlichen Problemlagen. Im Kontext meines eigenen emotionssoziologischen Ansatzes sehe ich mich dazu angeregt zu verdeutlichen, dass hier kein Widerspruch bestehen muss. Vielmehr erfordern gesellschaftliche Problemlagen eine differenzierte Auseinandersetzung sowohl auf empirischer (JUNG i.E.; JUNG & KORN i.E.; JUNG et al., 2025) als auch auf reflexiv-interpretativer Ebene – in meinem Fall durch eine autoethnografische Perspektive –, die sich wechselseitig bereichern und ergänzen können. Durch meine affektive Positionierung schaffe ich nicht nur eine Verbindung zu den Lesenden, sondern auch Transparenz für die "Affektivität der Forscherin [...] als Teil des thematisierten Geschehens" (SALBY 2018, S.77). Durch diese Perspektive wird der "transformative Impuls" (S.79) aus AHMEDs Ansatz auf die Emotionssoziologie übertragen und eine "alternative Episteme [eröffnet], die aus der Immanenz des Affektgeschehens selbst erwächst" (a.a.O.). Ich spreche mich damit für eine theoretische Haltung aus, durch die ich als Forscherin involviert bin und alternative Dringlichkeiten sowie andere Weisen des Weltbezugs eröffnet werden – jenseits hegemonialer akademischer Sichtweisen (SALBY 2018). So wird eine vertiefte Analyse emotionaler Dynamiken möglich insbesondere im Zusammenspiel mit akteur*innenzentrierten emotionssoziologischen Ansätzen. [23]
SCHERKEs (2024, S.10) Betonung von "Emotionen für soziale Situationen jeglicher Art" und ihre systematische Analyse lässt sich mit AHMEDs Verständnis von Emotionen als soziale Handlungen, durch die gesellschaftliche Bedeutungen erzeugt werden, verbinden. Die hieraus folgenden performativen Prozesse, die erst durch ihre äußere Ausdrucksweise entstehen und ihrerseits soziale Strukturen prägen, führten mich zu der Frage: Welche funktionalen Wirkungen entfaltet das durch Scham bedingte Schweigen im Kontext von Abbrüchen, und wie kann eine kritische Reflexion sowie eine Überwindung der damit verbundenen Handlungsskripte erkenntnisfördernd sein? Die Integration von AHMEDs Ansatz in die Emotionssoziologie eröffnet wertvolle Anknüpfungspunkte, um das Forschungsfeld um dynamische, performative Dimensionen zu erweitern. [24]
Durch die methodologische Auseinandersetzung mit der evokativen Autoethnografie (Abschnitt 3) und die autoethnografische Passage (Abschnitt 4) verdeutliche ich, dass die Verbindung von Emotionssoziologie und Affect Studies für mein Vorgehen zentral ist. Erst durch diese Verknüpfung wird es möglich, individuelles Erleben systematisch in Beziehung zu gesellschaftlichen Machtverhältnissen und sozialen Strukturen zu setzen. Damit zeigt sich analytisch, welche Emotionen in einer Gesellschaft als legitim gelten und wie Forschende die Regulation ihres Ausdrucks durch soziale Normen untersuchen (SCHERKE 2024). [25]
2.3 Die Seiten "vernähen": eine Verflechtung von embodied knowledge und Subjektivierungsforschung
Aufbauend auf emotionssoziologischen und affekttheoretischen Perspektiven nehme ich in diesem Abschnitt die Verflechtung von "embodied knowledge" (BARBOUR 2018, S.221; siehe auch THANEM & KNIGHTS 2019) und Subjektivierungsprozessen in den Blick. Durch diese theoretische Rahmung verbinde ich feministische Selbstreflexivität mit der Analyse diskursiv verorteter Emotionen und schaffe so die Grundlage für ein Verständnis autoethnografischer Passagen als durch Diskurse, Affekte und Körpererfahrungen konstituierte Erkenntnisräume. [26]
Biografien entstehen nicht nur durch individuelle Konstruktionsprozesse aus gelebtem, erlebtem und erzähltem Leben, sondern sind tief in gesellschaftliche Diskurse und Machtverhältnisse eingebettet: "Diskurse sind als 'gesellschaftliche, institutionelle und gruppenspezifische Regeln' zu verstehen, die die Art und Weise bestimmen, was, wie und wann über bestimmte Themen gesprochen werden darf und welche Themen ausgeblendet werden" (SPIES 2017, S.69; siehe auch ROSENTHAL 2008). Diskurse sind dabei von affektiven oder emotionalen Gehalten durchdrungen (MALLI 2024) und tragen zur "Errichtung emotionaler Normen und affektiver Gemeinschaften" (S.29) bei. Erzählte Lebensgeschichten verweisen daher nicht nur auf persönliche Erfahrungen, sondern auch auf zeitgebundene gesellschaftliche Normen, innerhalb derer bestimmte Subjektpositionen eingenommen werden (DAUSIEN 2006; FISCHER-ROSENTHAL 1995). Das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft wird in der Biografieforschung als dynamischer Aushandlungsprozess zwischen persönlichem Handeln und kollektiv vermittelten Deutungsmustern verstanden (SPIES 2017), wobei Identität und soziale Position fortlaufend verhandelt wurden. Diese Zusammenhänge lassen sich – trotz methodologischer Unterschiede – auch auf meine autoethnografische Passage (Abschnitt 4) übertragen: Denn die (Auto-)Biografie verweist auf die gesellschaftlichen Kontexte, in denen sie entstand (a.a.O.). Meine autoethnografische Passage kann so als Schnittstelle zwischen mir – dem Subjekt – und den gesellschaftlichen Diskursen verstanden werden. Auch ich machte die Erfahrung, dass "gesellschaftliche, institutionelle und gruppenspezifische Regeln" (ROSENTHAL 2008, S.171) festlegten, welche Themen im familiären Kontext von Schwangerschaft(sabbrüchen) sagbar waren – und welche verschwiegen wurden. [27]
Hier schließe ich mich SPIES (2017) Vorgehen an, die HALLs Überlegungen zu Diskurs und Subjekt gewinnbringend miteinander verbunden hat und aufzeigte, wie Individuen diskursive Positionen einnehmen und sich mit ihnen identifizieren. HALL (2004a) unterschied zwischen Subjektpositionen – den Plätzen innerhalb eines Diskurses, die das Individuum einnehmen muss, um sprechen zu können – und Positionierungen, der Praxis der Identifikation mit einer bestimmten Position (SPIES 2017). Diese Verbindung ist nie identisch, da HALL die Artikulation zwischen Individuum und Diskurs betonte und somit auch Handlungsfähigkeit der Subjekte berücksichtigte (SPIES 2017). Subjektpositionen sind keine festen, unveränderlichen Identitäten, sondern können von den Einzelnen aktiv geformt und gestaltet werden, wobei dies nie vollständig und immer im Rahmen gesellschaftlicher Normen geschieht (HALL 2004a [1996]; SCHÄFER & VÖLTER 2005). HALL (2004a [1996]) differenzierte in diesem Zusammenhang zwischen dem Individuum und der (Subjekt-)Position. Die dadurch entstandene Verbindung zwischen Subjektpositionen und Positionierungen bleibt jedoch nicht statisch, sondern wird als dynamisch und veränderbar verstanden (LACLAU & MOUFFE 2006 [1985], siehe auch SPIES 2017). In diesem Kontext verwies HALL (2004b, S.173) auf den "Punkt des Vernähens" und griff das Konzept der Artikulation auf. Damit wird das Subjekt als ein "fragmentiertes, widersprüchliches" (HALL 2004b [1985], S.58) Konstrukt verstanden, das immer wieder neu positioniert wird und sich in einem fortwährenden Prozess von Identifikation und Verhandlung mit den verfügbaren Diskursen befindet. Inwiefern Schamgefühle nicht nur Menschen mit Abbrucherfahrungen betreffen und welche Subjektpositionen sich daraus für mich als nahestehender Person über die Jahre hinweg ergaben, wird noch zu zeigen sein. [28]
Die Dynamik der Positionierung ermöglicht eine differenzierte Betrachtung von Identität und Subjektivität. Identität ist nicht statisch oder unabhängig von sozialen Kontexten, sondern entsteht in Auseinandersetzung mit Diskursen und den darin verfügbaren Positionen. Dennoch bleibt das Subjekt nicht vollständig determiniert – durch Artikulation eröffnen sich Handlungsspielräume, die es ermöglichen, Subjektpositionen anzunehmen, zu modifizieren oder zurückzuweisen (LACLAU 1981 [1977]). Für HALL (2004b [1985], S.58) gab "[es] kein essentielles, einheitliches 'Ich' – nur das fragmentierte, widersprüchliche Subjekt, das ich werde", wodurch das Vernähen von Subjekt und Diskurs deutlich wird. [29]
Durch biografieanalytische und autoethnografische Zugänge wird die Möglichkeit eröffnet, Positionierungen zu rekonstruieren, die durch Diskurse hervorgebracht werden und die Verankerung des Individuums in gesellschaftliche Machtverhältnisse erkennen lassen. Diese Positionierungen beziehen sich auf aktuelle Diskurse zum Zeitpunkt des Erzählens, können jedoch auch historische Subjektpositionen widerspiegeln, die das Erleben prägten oder später das Verständnis formten. Frühere Positionierungen werden dabei durch dominante gegenwärtige Diskurse beeinflusst, da es "keine einfache 'Wiederkehr' oder 'Wiederentdeckung' einer ursprünglichen Vergangenheit geben [kann], die nicht durch die Kategorien der heutigen Zeit hindurch erfahren wird" (HALL 1994 [1992], S.24). Zugleich sollte Subjektivität nicht mit vollständiger Selbstreflexivität gleichgesetzt werden. Identität ist nicht vollkommen durchschaubar, da das sprechende Ich nie mit dem Subjekt identisch ist. Subjektpositionen werden nicht bloß zugewiesen, sondern entstehen durch Investitionen. Positionierungen werden durch solche Investitionen angenommen, während sie gleichzeitig affektiv gebunden und in alltägliche Praktiken eingeschrieben und gefestigt werden. Sie sind damit zugleich Ausdruck individueller Erfahrungen und Effekt gesellschaftlicher Machtverhältnisse, die Identifikation ermöglichen, aber auch begrenzen (HALL 1994 [1992]). [30]
Dieses Verständnis ist zentral für die Autoethnografie, da die Vorstellung eines kohärenten, autonom sprechenden Subjekts problematisiert wird. Autoethnografische Reflexion kann keine reine Selbstaufdeckung sein, sondern ist durch verfügbare Diskurse vermittelt. Gerade Brüche, Ambivalenzen und Scham werden so sichtbar: Scham markiert das Scheitern an diskursiven Anrufungen und verweist auf die Normativität von Subjektivierungsprozessen (SCHEFF 1990). In autoethnografischen Analysen wird sichtbar, wie Subjekte mit zugeschriebenen Positionen ringen, sie verhandeln oder transformieren – ein Prozess, in dem sich Artikulation und Identifikation ständig neu formieren. Die innerhalb einer biografischen Erzählung eingenommenen Positionierungen verweisen auf Subjektpositionen im Diskurs und erlauben damit einen Rückschluss darauf,
"[...] welche Diskurse derzeit oder aber in der Vergangenheit von Bedeutung sind bzw. waren. Es lässt sich so die Wirkmächtigkeit von Diskursen als empirische Frage bearbeiten, da z.B. untersucht werden kann, welche Subjektpositionen unhinterfragt eingenommen werden, welchen widersprochen wird und welchen Einfluss andere Diskurse – und die damit einhergehenden Subjektpositionen – auf diese Möglichkeiten oder auch Einschränkungen ausüben" (SPIES 2017, S.84). [31]
Scham zeigt sich an Bruchstellen normativer Anrufungen und macht zugängliche oder verwehrte Subjektpositionen erkennbar. Autoethnografie dient damit nicht nur der Reflexion individueller Erfahrung, sondern auch der Analyse jener diskursiven Strukturen, in deren Rahmen Subjektpositionen zugänglich oder verwehrt werden. [32]
In diese Überlegungen fügt sich das Konzept des "embodied knowledge" (BARBOUR 2018, S.221) als ergänzende Perspektive ein, um die körperliche Dimension von Subjektivierungsprozessen zu beleuchten. Vor diesem Hintergrund verstehe ich Emotionen nicht bloß als psychische Zustände, sondern als in Körper eingeschrieben und sozial vermittelt (AHMED 2004a, 2004b, 2006). In ihnen werden Wahrnehmung, Handlung und Erinnerung geformt. Der Körper fungiert damit als Träger von Wissen und als Speicher von Erfahrungen, die sich jenseits des Sagbaren in Gestik, Affekt oder Verhalten äußern (BARBOUR 2018; THANEM & KNIGHTS 2019). Durch das Konzept des embodied knowledge wird veranschaulicht, wie Diskurse nicht nur bewusst angeeignet, sondern auch körperlich internalisiert werden – auch durch nonverbale Schamreaktionen. [33]
Auf diese Weise kann ich aufzeigen, wie körperlich gespeicherte Erlebnisse sowohl die Erinnerungen selbst als auch deren narrative Struktur prägen. Indem ich die in feministischen Epistemologien geforderte Reflexivität aufgreife, nutze ich die Verkörperung als Ressource, um subjektive, oft marginalisierte Perspektiven als valide Quellen von Wissen zu etablieren. Wie WINTER (2010) hervorhob, liegt gerade in der Anerkennung subjektiver Erfahrung ein erkenntnistheoretisches Potenzial: Es wird nicht weniger, sondern anderes Wissen sichtbar, und die Begrenztheit vermeintlich objektiver Zugänge wird offengelegt. Subjektivität ist damit kein methodisches Defizit, sondern eine Bedingung dafür, Machtverhältnisse und blinde Flecken im Forschungsprozess herauszuarbeiten. Gleichzeitig sind so soziale und kulturelle Kontexte erkennbar, die Wahrnehmung und Interpretation von Wissen beeinflussen. Mit dem Konzept des embodied knowledge realisiere ich HARDINGs (1993) Idee der strong objectivity, indem sowohl der Körper als auch die sozialen Verhältnisse aktiv in die Produktion von Wissen einbezogen werden. [34]
In Bezug auf Abbrüche wird embodied knowledge auch für die Perspektive nahestehender Personen, die selbst nicht direkt betroffen sind, entscheidend. Die eingeschriebene Scham kann zu einer Vermeidung des Themas oder non-verbalen Reaktionen führen, die zur Verfestigung des gesellschaftlichen Tabus beitragen. Insofern erweitere ich den Zusammenhang zwischen Subjektivierungsprozess und Diskurs durch das Prisma des embodied knowledge. Der durch Diskurse konstituierte Rahmen strukturiert, welche Subjektpositionen angenommen und ausgehandelt werden. [35]
Biografische Erzählungen entstehen in einem Wechselspiel aus Diskursen, Subjektivierungen und embodied knowledge. Sie sind mehr als narrative Identitätskonstruktionen innerhalb sozialer Regeln – physisches und emotionales Erleben wird kontinuierlich einbezogen. Die Verbindung von sprachlich vermitteltem und verkörpertem Wissen verdeutlicht die Komplexität von Identität, die sich auch in unbewussten Praktiken manifestiert. Mit der autoethnografischen Passage berücksichtige ich die Vielschichtigkeit meines Themas: Sie ermöglicht es mir, sowohl den Einfluss sozialer Diskurse als auch körperlich eingeschriebene Erfahrungen von Scham und Abbrüchen zu analysieren. Im nächsten Abschnitt widme ich mich daher einer detaillierteren Methodendarstellung. [36]
3. Mit evokativer Autoethnografie die Seiten wechseln: ein methodischer Anfang
Schreiben als Erkenntnisprozess – das war der Ausgangspunkt für Carolyn ELLIS und Arthur BOCHNER (1992), die sich auf die Idee des "writing as a method of discovery" beriefen (RICHARDSON & ST. PIERRE 2005, S. 961). Durch diesen Zugang wurde Wissen nicht als objektiv gegeben, sondern als situativ, fragmentarisch und subjektiv verstanden. Auch für DÜRING (2020) entsteht Erkenntnis aus Erfahrung – immer "unvollständig und beschränkt" (S.24). Die Grenzen zwischen Forschenden und Beforschten beginnen zu verschwimmen. Autoethnografie wird damit zu einem Raum, in dem das Persönliche politisch wird: Wenn das Selbst (auto) im sozialen Kontext (ethnography) verortet wird und neue, reflexive Perspektiven entstehen (ELLIS, ADAMS & BOCHNER 2011, §1). [37]
Ziel der evokativen Autoethnografie ist es, nicht nur zu beschreiben, sondern auch etwas auszulösen. Erkenntnis durch Erfahrung, angestoßen über ein Schlüsselerlebnis – eine "epiphany" (DENZIN 1989, S.70; ELLIS & BOCHNER 1992, S.80). Dabei werden persönliche Erfahrungen mit kulturellen Bedeutungen verwoben und im Austausch mit den Lesenden gemeinsam Sinn konstruiert (ADAMS, HOLMAN JONES & ELLIS 2015; BOCHNER & ELLIS 2022). Diese "Hinwendung zum Innen – als Spiegel und Brennglas des Außen" (PLODER 2021, S.156) macht das eigene Erleben zum Ausgangspunkt soziologischer Analyse. Lesende werden eingeladen, sich selbst in Beziehung zu setzen – was neue Einsichten ermöglicht. [38]
Autoethnografie oszilliert zwischen gelebtem Selbst und analytischem Blick. Für ELLIS (2007) galt: Wer über sich schreibt, schreibt immer auch über andere. Damit lassen sich Geschichten erzählen, die von außen sonst unsichtbar bleiben – und dominante, ausschließende Narrative durchbrechen (BOCHNER 2001; DÜRING 2020). Gerade in feministischer Forschung eröffnet dieser Zugang die Möglichkeit, subjektive Erfahrung emotionssoziologisch zu reflektieren – und den Prozess der Erkenntnis selbst sichtbar zu machen (PLODER 2021). Denn Bedeutung entfaltet sich in der Praxis wissenschaftlicher Arbeit: in der Forschung, in der Erzählung, im Lesen (PLODER & STADLBAUER 2013). [39]
Ausgehend von meiner eigenen Schwangerschaft frage ich, wie sich körperliche und emotionale Veränderungen auf mein Verständnis der Interviewdaten3) auswirkten – insbesondere im Kontrast zu den Erfahrungen ungewollt Schwangerer. Viele Interviewte berichteten von Scham und Sprachlosigkeit (JUNG et al. 2025; WETTERGREN 2015), während meine Schwangerschaft gesellschaftlich positiv bewertet wurde. Der daraus entstehende Unterschied im Sagbaren rückte meine eigene Rolle als Forschende stärker in den Fokus: Bereits im Rahmen der ELSA-Studie ("Erwartungen und Lebenslagen ungewollt Schwangerer – Angebote der Beratung und Versorgung") führte ich Interviews mit Betroffenen ungewollter Schwangerschaften und Partnergewalt (JUNG, KORN, WINTER & BRZANK 2023). Ihre Erzählungen, oft erstmals geteilt, prägten nicht nur mein Forschungsinteresse, sondern auch meine persönliche Auseinandersetzung mit dem Thema, inklusive der Verpflichtung zur Selbstreflexion. Wie WINTER (2010) betonte, steht diese Form der Selbstreflexivität zugleich im Kontext der Krise der Repräsentation, in der klassische Vorstellungen von Objektivität und Neutralität infrage gestellt wurden. Für mich ist Forschung über affektiv aufgeladene und gesellschaftlich normierte Erfahrungen nicht ohne eine kritische Reflexion der eigenen Position denkbar. Subjektivität – auch die der Forschenden – ist stets relational und diskursiv vermittelt; sie entsteht im Spannungsfeld gesellschaftlicher Normen, innerhalb derer sich sowohl die Erfahrbarkeit von Situationen als auch deren Sagbarkeit konstituiert. Erst durch die Auseinandersetzung mit meinen affektiven Reaktionen und Vorannahmen lässt sich nachvollziehen, wie normative Ordnungen in biografischen Erzählungen materialisiert und zugleich hinterfragt werden können. [40]
Um meine eigene Geschichte zu erzählen, greife ich auf Erinnerungen der letzten 20 Jahre zurück – unterstützt durch die Erzählungen meiner Cousinen und Mama. Die Form ist fragmentarisch, aber chronologisch. So entsteht Raum für Bedeutungsverschiebungen und neue Perspektiven (COUSER 1997; GOODALL 2001). Wie SCHERKE (2024) betonte, ist nicht das objektive Erleben zentral, sondern dessen Darstellung, da so die soziale Prägung von Emotionen offenbart wird. Die persönliche Erzählung wird damit zur "experience of the experience" (ELLIS & BOCHNER 1992, S.98): ein Prozess des Nach- und Weiterdenkens, in dem Verstehen erst allmählich entsteht. [41]
Bereits 1992 beschrieben ELLIS und BOCHNER ihre Erfahrungen mit einem Abbruch autoethnografisch und formulierten eine Einsicht, die ich an dieser Stelle aufgreifen und in den Kontext meiner eigenen Forschung stellen möchte: "They [the vignettes of our narrative] act back on us, emotionally and cognitively, evoking new feelings, ideas, and constructions of our experience. They also are intended to evoke responses from readers or audience members" (S.98) Die evokative Autoethnografie erlaubt es, Lesenden einen Einblick in andere Erfahrungen zu geben und dabei Parallelen sowie Unterschiede zum eigenen Erleben zu erkennen. Sie eröffnet die Möglichkeit, die eigenen Erfahrungen im Verhältnis zu anderen Erfahrungen zu reflektieren. [42]
Mit evokativen Autoethnografien wird nicht der Anspruch auf universelle Wahrheiten erhoben, sondern es geht um subjektive, emotional dichte Erzählungen, durch die Verstehen ermöglicht und Veränderungen angestoßen werden können (PLODER 2021). Operiert wird mit Nähe statt Distanz: Über Geschichten werden körperliche und emotionale Dimensionen erfahrbar, wodurch Lesende eingeladen sind, die je eigenen Perspektiven zu hinterfragen. Dieser Zugang eignet sich besonders um Übergänge, Brüche und Krisen – etwa im Zusammenhang mit Scham und Schweigen rund um Schwangerschaftsabbrüche – zu analysieren und gleichzeitig individuelle sowie gesellschaftliche Transformationsprozesse zu beleuchten (a.a.O.; siehe auch PLODER & STADLBAUER 2016). Wie WINTER (2010) herausstellte, gewinnen autoethnografische Ansätze gerade dadurch an Bedeutung, dass die Grenzen klassischer qualitativer Forschung überschritten und neue Formen methodologischer Innovation eröffnet werden. [43]
Mit meiner autoethnografischen Erzählung erweitere ich frühere empirische Arbeiten (JUNG i.E.; JUNG & KORN i.E.; JUNG et al. 2025) um eine emotionale Tiefenschärfe. Dabei erhebe ich keinen Anspruch auf objektive Wahrheit, sondern verstehe sie als reflexiven Beitrag, in dem mein persönliches, akademisches und berufliches Erleben miteinander verflochten sind (BERRY 2005; POULOS 2008; TILLMANN 2009). Die Nachvollziehbarkeit der Erzählung ergibt sich nicht aus vermeintlicher Neutralität, sondern aus transparenter Positionierung und methodischer Offenheit (BOCHNER 2002). Dieser Zugang kann konventionelle Erwartungen irritieren, entspricht jedoch meinem feministischen Forschungsselbstverständnis, in dessen Rahmen ich Selbstreflexion als erkenntnistheoretisch fruchtbar begreife (ELLIS 2004). [44]
BOCHNER und ELLIS (2022) verstanden Autoethnografie nicht als eine Methode der Ordnung und Stabilität, sondern als Zugang zu Ambiguität, Widerspruch und Kontingenz. Sie bezogen sich auf die Erkenntnis, dass der Forschungsprozess im Zweifel und in der Unsicherheit verwurzelt ist: "To be alive is to be uncertain. Autoethnography suits us, and people similar to us, because it is a genre of doubt, a vehicle for exercising, embodying, portraying, and enacting uncertainty." (S.15) Gerade in diesem Modus lassen sich Schamgefühle und Schweigen analytisch erfassen. Ein solcher Zugang zur Subjektwerdung und zur kritischen Reflexion gesellschaftlicher Normen kann letztlich dazu beitragen, Abbrüche im öffentlichen Diskurs zu enttabuisieren und Raum für progressive Debatten zu schaffen (BOCHNER 2002; ELLIS et al. 2011). [45]
Mit der Frage, wie ich verantwortungsvoll mit den Geschichten anderer umgehen kann, rückte ein zentrales ethisches Anliegen in den Fokus: Wie kann ich achtsam handeln, ohne meine Rolle als Wissenschaftlerin aus dem Blick zu verlieren (GUILLEMIN & GILLAM 2004)? ELLIS (2007) betonte, dass Forschende oft unterschätzten, wie relevant und verständlich ihre Arbeit auch außerhalb der Wissenschaft sein könnte – wenn sie denn zugänglich erzählt würde. Deshalb nutze ich die Autoethnografie, um komplexe Erfahrungen nachvollziehbar zu machen und Wissen dialogisch zu vermitteln. Dabei ist das Erzählen persönlicher Geschichten nie ohne Risiko: Familienbeziehungen oder soziale Bindungen, die im Schreiben sichtbar werden, können gestärkt, aber auch belastet werden. Deshalb wende ich die Prinzipien relationaler Ethik an, die eng mit feministischer und kommunitaristischer Ethik verbunden sind (DENZIN 2004) und durch die Verantwortung, Fürsorge sowie die Anerkennung wechselseitiger Verbundenheit im Forschungsprozess betont wird (DENZIN 2004; GILLIGAN 1982; SLATTERY & RAPP 2003). Ich gehe davon aus, dass ich meine Geschichte nicht allein besitze, sondern dass sie zugleich die Geschichten anderer Menschen enthält. Die Zusammenarbeit mit den Beteiligten der autoethnografischen Passage war für mich, wie auch für ELLIS (2007), eine der komplexesten ethischen Herausforderungen meines Forschungslebens. [46]
Aus diesen Gründen habe ich mein Vorhaben behutsam mit allen Beteiligten besprochen. Den ersten Schritt machte ich, indem ich meinen Cousinen einen Brief schrieb – ein vorsichtiger Versuch, das innerfamiliäre Schweigen über ihre Abbrüche zu durchbrechen. In der Folge tauschten wir uns in Telefonaten, SMS und Sprachnachrichten aus, wobei sie mir ihre Sicht auf die Ereignisse schilderten und wir gemeinsam alle Fragen zum weiteren Vorgehen klärten. Die autoethnografische Passage habe ich nicht nur meinen Cousinen, sondern auch meinen Eltern als meinen engsten Vertrauten in diesem Familiensystem zur Durchsicht gegeben. Dadurch entstanden erneute Gespräche, in denen wir Erinnerungen abglichen und uns intensiv austauschten. Mit allen Beteiligten habe ich ausführlich besprochen, in welcher Form sie im Text erscheinen möchten und wie ich ihre Wünsche in Bezug auf eine Publikation berücksichtigen kann. Somit ist die Passage das Ergebnis unserer gemeinsamen Arbeit, der alle zugestimmt haben. Für das Vertrauen, das mir die Beteiligten entgegengebracht haben, und für die gewachsene Nähe, die daraus entstanden ist, bin ich äußerst dankbar. [47]
4. Die Scham muss die Seiten wechseln: eine autoethnografische Passage
Aus einer familiären Perspektive bin ich in einer weiblich-geprägten Welt aufgewachsen. Überall Frauen. Zahlreich. Stark. Vorbilder. Verletzlich. Omas. Ihre Schwestern. Mütter. Ihre Schwestern. Ihre Schwägerinnen. Meine Tanten. Ihre Kinder. Meine Cousinen. Meine Schwester. Insgesamt sind wir neun Cousinen. Die fünf älteren nur unwesentlich älter, mir sehr nahe. Physisch wie emotional. Wir sehen uns regelmäßig. Mehrmals die Woche. Die Bande sind eng. Vertraut. Eng. Zu eng? Eng. Einschnürend? Eng. Umarmend? Eng. Sind sie das wirklich? Ist es bestärkend, in einer Gruppe groß zu werden? Ja. Hilft es, das Schweigen zu brechen? Muss nicht so sein. [48]
Aber das Patriarchat wirkt. Es drückt. Von oben. Von der Seite. Von unten. Auf den Körper. Auf die Psyche. Aufzuwachsen in einer weiblich-geprägten Welt bedeutet noch lange nicht, dass das enge normative Korsett verschwindet, dass gesamtgesellschaftliche Tabus verschwinden oder dass eine transparente Kommunikation gepflegt wird. Wir kennen die Regeln. Ich kenne sie. Was wird besprochen? Mit wem? Was wird stillschweigend hingenommen? Ohne dass es mir jemand erklären muss, weiß ich davon. Wir tragen schon damals alle die Scham in uns. Sie ist keine individuelle Schwäche oder persönliche Unsicherheit, sondern ein internalisiertes Gefühl, das sich über Generationen hinweg durch soziale Erwartungen, Disziplinierungsmechanismen und subtile Formen der Kontrolle verfestigt hat. Das Patriarchat wirkt eben. In den 1980er und 1990er Jahren im ländlichen Deutschland bedeutete das auch, den Einfluss der katholischen Kirche zu spüren. Offiziell ist diese Familie gläubig. Wie es sich gehört. [49]
2005
Zwei meiner Cousinen, die mir bis in die Teenagerjahre nahestanden, sind ungewollt schwanger und entscheiden sich für einen Abbruch. Innerhalb von drei Monaten zwei Cousinen. In der Großfamilie wird nicht darüber gesprochen. Ich weiß nicht, wer davon weiß. Wer wusste es damals schon? Wer weiß es heute? Meine Mama hat Geburtstag, und es soll eine große Feier geben. Da meine Cousinen nicht kommen können, erfährt es meine Mama zwangsläufig und erzählt auch mir davon – macht mich zur Geheimnishüterin. Ich war damals 15, meine Cousinen 16 und 21.
Unsicherheit – erschrocken. Besorgt. Erstaunt.
Traurigkeit – beschämt. Einsam. Wohin mit meinem Wissen?
Scham – warum Scham? Sexualität, Normverstoß – sind W I R zu jung, um schwanger zu werden? Verinnerlichte genderspezifische Erwartungen und Rollen. Fremdscham.
Leere – kein Raum zum Sprechen. Keine Worte. Keine Ansprechperson. Taub. Einsam.
S C H W E I G E N – S T I L L E – Ü B E R F O R D E R U N G
Verkapseln – klein machen, wegstecken, den Erwartungen gerecht werden, das Geheimnis hüten.
Wir lebten damals in einer Region, von der ich heute weiß, dass sie zu einer der am schlechtesten versorgten Deutschlands gehört, wenn es um Abbrüche geht. Es gibt nur eine Beratungsstelle, die einen Beratungsschein ausstellt, der Voraussetzung für den Abbruch in Deutschland ist. Diese Beratungsstelle ist christlich geprägt. Im Umkreis von 40 km gab es nur einen Arzt, der Abbrüche durchführte.
Heute – 20 Jahre später – praktiziert dieser Arzt nicht mehr und auch sonst niemand. Schaue ich mir die offizielle Karte der Bundesärztekammer4) an, auf der sich durchführende Ärzt*innen eintragen lassen können, ist da ein Loch. Richtung Osten und Westen niemand. Nach Norden 90 km und nach Süden 100 km. Es dauert mindestens eine Stunde mit dem Auto. [50]
Meine Mama versprach, es nicht weiterzuerzählen. Warum erzählte sie mir davon? Sollte es eine abschreckende Wirkung haben?
Der Vater meiner Cousinen durfte jeweils nichts davon erfahren. Das Patriarchat. Es wirkt. [51]
2007
Eine der beiden Cousinen wird erneut ungewollt schwanger. Ich kann mich nicht erinnern, dass es dieses Mal "eine große Sache" war. Wieder bin ich von meiner Mama informiert worden. Solche Informationen werden ausschließlich matrilinear weitergegeben. Wie habe ich darauf reagiert? Tat es mir leid? War ich traurig? Wollte ich mich in besonderem Maße um sie kümmern? Habe ich es lediglich zur Kenntnis genommen? War es mir unangenehm? Habe ich mich geschämt?
Die Erinnerung ist vage. [52]
2014
Eine von beiden ist erneut schwanger. Nach zwei Abbrüchen trägt sie die dritte Schwangerschaft aus. War sie gewollt? Oder ungewollt? Ich weiß es nicht. Wir haben uns aus den Augen verloren.
Ich denke an damals. [53]
2023
Wie ist es heute? Es ist nicht leicht, über meine jahrelange Arbeit zum Thema ungewollte Schwangerschaften und Abbrüche bei Familienfeiern zu sprechen.
Isolation – allein. Ausweglos.
Angst – unsicher. Angespannt. [54]
Eine andere Cousine fragte mich, was ich eigentlich arbeite und reagierte mit "Oha, krass. Das könnte ich nicht." Sie versucht sofort, das Thema zu wechseln. Es scheint ihr unangenehm. Sie selbst ist Mutter. Neben uns saß eine der Cousinen mit Abbrucherfahrung, und mir war es wichtig zu sagen, wie häufig ungewollte Schwangerschaften und Abbrüche vorkommen, dass es etwas ist, was uns alle betrifft, und dass es vor allem wichtig ist, darüber zu sprechen. Dabei konnte ich der Cousine mit Abbrucherfahrung nicht in die Augen schauen – zu groß meine Angst, dass sie sieht, dass ich von ihrem Geheimnis weiß. Ich schwitze. Werde nervös. Ich will sie nicht bloßstellen. Sie blieb stumm. Sie schwieg. Ich verstummte auch.
Unsicherheit – Wo gibt es weiterhin Tabus in familiären Gesprächen? Die Grenzen sind mir bewusst – ich kenne die Regeln, aber würde sie gerne ausdehnen, überschreiten, niederreißen. Ich bleibe vor dieser Herausforderung stehen, winde mich, spüre Angst, klopfe gegen die Grenzmauer, suche nach einem Riss, arbeite mich viel zu vorsichtig heran, es entsteht ein winziges Loch, Löchlein, am Ende ist es doch nur ein Riss, Haarriss. Kann ich was bewirken?
Stolz? – Welche normativen Grenzmauern konnte ich überwinden? Welche Tabus habe ich mir abgewöhnt? Welche Freiheiten gewonnen, indem ich sprechen kann? Nicht nur über ungewollte Schwangerschaften und Abbrüche. Ist Sprache Macht? Ermutigend. Selbstermächtigend.
Scham – Ich kenne ihr Geheimnis, und sie wissen nichts davon, ich möchte sie unterstützen. Möchten sie das überhaupt?
Angst – Könnte auffallen, dass ich von dem familiären Geheimnis weiß? Entstehen dadurch unangenehme Fragen? [55]
S C H W E I G E N – S T I L L E – Ü B E R F O R D E R U N G
Von Traurigkeit zu Verzweiflung.
Von Zorn zu Wut. [56]
2024 – August und September
Nachdem ich meinen Eltern und der restlichen Familie von meiner gewollten Schwangerschaft erzählte, war die geteilte Freude groß. Meine Eltern und meine Schwester sind sprachlos, Freudentränen steigen auf. Ein Grund zum Feiern. Anstoßen. Frizzante für die einen, Lemon Soda für mich. Die Anspannung fällt von mir ab. Seit zwei Wochen weiß ich davon. Aber ich wollte es ihnen persönlich sagen, wenn wir uns sehen. Umarmungen. Ich fühle mich geborgen. Ich möchte es meiner Oma, meinen Tanten und meinem Onkel selbst sagen. Auch hier ein Übermaß an Freude. Geteilte Freude. Mit mir und meinem Partner. Aber auch mit den werdenden Großeltern. Auch hier werden Freudentränen weggewischt.
Freude – glücklich. Dankbar. Ruhig. Erleichtert. Vertraut. Sentimental.
Stolz – dieses Mal breche ich mit Regeln. Drei Monate warten, bevor ich von meiner Schwangerschaft erzähle? Warum? Damit ich, falls es zu einer Fehlgeburt kommt, niemandem davon erzählen muss? Damit mir die Scham erspart bleibt?
Wut – ja! Sicher nicht. Nicht mit mir. Was soll das? Auch bei gewollten Schwangerschaften zwingen sie uns zum Schweigen? Sie? Wir? Ich? Nein. Enttäuscht. Verärgert. Frustriert.
Verwunderung – wenn sie nach dem Geburtstermin fragen. Kurzes Nachrechnen. "Ah, das sind ja noch acht Monate. Oh."
Rührung – Geburtstagsgratulation und Glückwünsche zur Schwangerschaft. Von euch allen. Danke! [57]
Eine Woche später habe ich Geburtstag. Aus allen Teilen der Großfamilie trudeln Glückwünsche ein. Besonders freute ich mich jedoch über die Nachrichten der beiden Cousinen, die ungewollt schwanger waren.
"[...] Was hören unsere Ohren denn da ...?????!!!!!!! Ihr bekommt NACHWUCHS. Ach meine Liebe, ich freue mich so doll darüber und vor allem für euch, klasse. [...]"
Nachricht von einer der beiden Cousinen zu meinem Geburtstag
"[...] Genieß den Tag! Lass dich feiern! Als zweites wollte ich dir und [Name meines Partners] zur Schwangerschaft gratulieren. Ich hoffe du hast eine wunderschöne Schwangerschaft und kannst es richtig dolle genießen. Und genau, vielleicht sieht man sich bald nochmal, dann würde ich dich gern drücken, und jetzt erst mal einen schönen Tag. [...]"
Sprachnachricht von der anderen Cousine zu meinem Geburtstag
Wenn sie so aufrichtig empathisch sein können, warum fällt es umgekehrt so schwer? Warum fehlt die Offenheit über ungewollte Schwangerschaften und Abbrüche zu sprechen? [58]
2024 – Oktober und November
Wie steht es um meine Erinnerungen? Komme ich mit den Jahreszahlen durcheinander? Es verschwimmt. Fragen an meine Mama tauchen auf. Ich rufe sie an. Ich erzähle ihr von meinem Vorhaben, mich mithilfe von evokativer Autoethnografie mit meinem eigenen familiären Schweigen auseinanderzusetzen. Ich lese ihr Fragmente meiner Erinnerungen vor. Meine Stimme bricht. Tief durchatmen. Weiterlesen. Die Stimme wird wieder dünner. Ich fange mich wieder. Mir steigen Tränen in die Augen.
Zumindest in meiner Kernfamilie wurde das Thema ungewollte Schwangerschaften und Abbrüche in den Jahren meiner Arbeit enttabuisiert. Wir reden beim Essen darüber, beim Spazieren gehen, beim Abwaschen. Meine Eltern lesen meine wissenschaftlichen Texte. Sind schockiert. Spüren, dass das Tabu nur innerhalb dieser Kernfamilie weggefallen ist. Die Grenzmauern halten. Sind standfest. [59]
Ich erfahre, dass meine Mama mich damals zur Geheimnishüterin machte, ohne über die weiteren Konsequenzen nachzudenken. Welche Auswirkungen hat dieses Wissen auf mich? Die Verantwortung, die ich übernommen habe, war ihr damals nicht bewusst. Heute bedauert sie diesen Aspekt. Sie nutzte vor über 20 Jahren die Chance – den Haarriss in der normativen Grenzmauer – um das generelle Schweigen über ungewollte Schwangerschaften und Abbrüche für den Moment zu stoppen. Und verkleinerte das Tabu zumindest zwischen uns beiden. Zumindest für den Moment. Es sollte keine abschreckende Wirkung haben. Sie wollte mir deutlich machen, dass es immer einen Ausweg gibt und ich mit ihr darüber reden kann. Für sie war das Erleben meiner Cousinen ein guter Aufhänger, um dem Tabu etwas entgegenzuhalten, um das Schweigen zumindest partiell zu unterbinden. [60]
Ich schreibe meinen Cousinen jeweils einen Brief. Erzähle von meinem Vorhaben. Die Aufregung steigt. Was tue ich hier? Werde ich alte Wunden aufreißen? Lange gehütete Geheimnisse verraten? Werden Fragen aufkommen, wie ich es überhaupt erfahren konnte? Wird das nachträglich für Unmut sorgen?
Nein. [61]
Beide Cousinen freuen sich sehr über den Brief und sind gerührt, dass es nun die Möglichkeit gibt, auch innerhalb der Familie darüber zu sprechen. Wir telefonieren. Meine Aufregung verfliegt in dem Moment, in dem ich ihre Stimmen höre. Vertraute Stimmen seit so vielen Jahren. Wir sind uns wohlgesonnen – nah. Die engen Bande von damals sind gleich wieder da, auch wenn sie über die Jahre an Spannkraft verloren haben. Davon ist in diesem Moment nichts zu spüren. Sie erzählen mir ihre Geschichten und lesen diese Passage. Ich stimme alles mit ihnen ab. Sie willigen sofort ein. Die Geschichten sollen erzählt werden. [62]
2025 – Januar und Februar
Meine Schwangerschaft schreitet voran. Nun, im achten Schwangerschaftsmonat, ist sie auch für Außenstehende deutlich sichtbar. Die körperlichen Veränderungen nehmen auch in meinem Alltag stetig mehr Raum ein. Bewegungen des Fötus werden immer intensiver, reißen mich aus meinen Gedanken heraus und können auch von außen gefühlt und gesehen werden.
Meine Mama hat Geburtstag. Die Abbrüche jähren sich zum 20. Mal. [63]
Wir feiern mit Familie und Freund*innen zu Hause. Viele Gäste habe ich seit Monaten oder Jahren nicht gesehen und freue mich auf das Wiedersehen. Natürlich wissen sie alle Bescheid: ich bin schwanger. Über Stunden spreche ich mit verschiedenen Personen über meine Schwangerschaft und frage nach ihren Erinnerungen an die eigene Schwangerschaft, aber auch zu ihren Erfahrungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Es ist ein freudiges Thema und hat wie selbstverständlich Platz in dieser Geburtstagsrunde. [64]
Genauso wünsche ich es mir auch für Abbrüche: Nicht die schwangere Person sollte Scham empfinden müssen, sondern die Gesellschaft sollte sich damit auseinandersetzen, warum Betroffenen lange Zeit kein selbstbestimmter Sprachraum zugestanden wurde. Dieser Perspektivwechsel ist jedoch nur eine Zwischenstation. Er dient dazu, die strukturellen Mechanismen offenzulegen, die Scham erzeugen und aufrechterhalten. Langfristig sollte das Ziel nicht die bloße Umverteilung der Scham sein, sondern ihre Auflösung. Erst wenn Abbrüche ebenso wie Fehlgeburten, ungewollte oder gewollte Kinderlosigkeit als selbstverständlicher Teil von Biografien anerkannt werden, kann ein offener und vorurteilsfreier Austausch darüber stattfinden. [65]
In meinem nahen Umfeld habe ich das Löchlein, den Haarriss genutzt und gedehnt. Wir können über die erlebten Abbrüche sprechen. Mit meiner Kernfamilie und den beiden Cousinen habe ich erlebt, was es bedeutet, sich diesem Schweigen entgegenzustellen und es zu brechen. Ich freue mich auf ein nächstes Wiedersehen mit der gesamten Großfamilie und bin gespannt, ob es sich anders anfühlen wird. [66]
5. Wenn die Scham die Seiten wechselt: ein transformativer Prozess des Sprechens
In dieser autoethnografischen Reflexion wird deutlich, dass familiäre Kommunikationsregeln stark von gesellschaftlichen Normen beeinflusst werden. Die unausgesprochene Regel, dass über die Abbrucherfahrungen meiner Cousinen nicht gesprochen werden durfte, zeigt eindrücklich die affektive Wirkkraft normativer Ordnungssysteme. Diese Normen manifestieren sich nicht nur im familiären Schweigen, sondern zeigen sich darüber hinaus auch in anderen Lebensbereichen. Die affektive Haftung an Scham und Schweigen, wie sie AHMED (2004a, S.46) im Konzept der "affective economy" beschrieb, wirkt als zähe, klebrige Struktur, die sowohl meine Cousinen als auch mich über Jahre hinweg gebunden hat. Ziel des Artikels ist es zum Nachdenken anzuregen und solch schambehaftete Normen, die letztlich zum Schweigen führen, zu hinterfragen: "FORMEN WOLLEN NORMEN – NORMEN VOLL ABNORMEN – AB MIT DEN NORMEN – AB – NORMEN". Damit verdeutlichte REINSPERGER (2022, S.110) die Wichtigkeit des Seitenwechsels als Zwischenschritt. Um Betroffene von Scham zu befreien, bräuchte es eine gesellschaftliche Überzeugung, dass die Notwendigkeit der Scham nicht besteht, um sich dann gemeinsam von diesen "Abnormen" zu befreien. [67]
Viele autoethnografische Texte werden weder theoretisch noch method(olog)isch eingebettet und erfahren keine weiterführende Analyse (ELLIS 2003; ELLIS & BOCHNER 1992), eine verständliche Vorgehensweise, wenn das Ziel autoethnografischer Texte bedacht wird. Meine autoethnografische Arbeit verstehe ich in der Tradition ihrer Begründer*innen ELLIS und BOCHNER (1992). Zugleich rahme ich mein Vorgehen durch kritische Reflexion, um den Transformationsprozess sichtbar zu machen. Damit greife ich GONZALEZ SUEROs (2025) Hinweis auf, dass autoethnografische Ansätze insbesondere dann innovatives Potenzial entfalten, wenn biografische Erfahrungen mit wissenschaftlicher Reflexivität verbunden werden. [68]
Durch die emotionssoziologische Rahmung, die durch die theoretischen Ansätze AHMEDs ergänzt wurde, trat die "stickiness" (2004a, S.90) von schambedingtem Schweigen bei meinen Cousinen deutlich hervor. Diese stickiness betraf auch mich als Außenstehende, und ich konnte sie auch in den Interviews, die ich im Rahmen meines Dissertationsvorhabens geführt und ausgewertet habe, deutlich nachvollziehen (JUNG & KORN i.E.; JUNG et al. 2025). In meiner Subjektposition als feministische Wissenschaftlerin schaffte ich es, angenehme Interviewsituationen herzustellen, sodass sich Betroffene öffnen und mir anvertrauen konnten. Die familiär geprägte Subjektposition der Geheimnishüterin steht dem jedoch diametral entgegen. Die affektive Haftung führte über Jahrzehnte hinweg dazu, dass ich die Scham meiner Cousinen durch mein eigenes Schweigen manifestierte. Dies löste einen inneren Konflikt aus, da ich beschämt feststellte, dass mir in der Großfamilie nicht gelang, was mir in anderen Lebensbereichen vertraut ist: einen offenen, vorurteilsfreien Gesprächsraum zu ermöglichen. Ich schämte mich, meinen Cousinen lange keinen Raum eröffnet zu haben, in dem sie ihre Erfahrungen mit ungewollten Schwangerschaften und Abbrüchen teilen konnten. Dies unterstreicht einmal mehr die Bedeutung des Übergangsschritts. Erst wenn die Erkenntnis entsteht, dass ein gemeinsamer Sprachraum notwendig ist, um Scham zu überwinden, kann auch das Thema ungewollte Schwangerschaften und Abbrüche offen angesprochen werden. Letztlich führte meine wissenschaftliche Arbeit aber auch dazu, dass ich die stickiness mit positiven Affekten aufladen und meine Cousinen ansprechen konnte. Hieran wird besonders deutlich, dass Emotionen nicht nur individuell erlebt werden, sondern auch dynamische, relationale und machtvolle soziale Kräfte mit Blick auf gesellschaftliche Strukturen entfalten. Das Erkunden des Unbekannten setzt zugleich voraus, das Bekannte hinter sich zu lassen. Gerade dieser Schritt eröffnete in meinem Fall die Möglichkeit, ein anderes und tieferes Verständnis für das zurückgelassene Feld zu entwickeln (ALSOP 2002). Durch dieses Herausfallen aus der normativen affektiven Ordnung entstand "der Haarriss", "das Löchlein", was geweitet werden konnte. [69]
In der autoethnografischen Passage werden zugleich die für die Emotionssoziologie relevanten und komplexen Prozesse des Erinnerns, Fühlens und Entscheidens sichtbar. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft werden verknüpft, wodurch die Dynamik emotionaler Erfahrungen verdeutlicht wird. Denn Scham mag für viele die vorherrschende Emotion gewesen sein, dadurch gerät die Vielfalt der vorhandenen Emotionen jedoch leicht aus dem Blick: Das schambedingte Schweigen konnte an verschiedenen Stellen aufgrund von vertrauensvollen Beziehungen unterbrochen werden. Meine Cousine vertraute sich ihrer Mutter an, und meine Tante erzählte es im Vertrauen meiner Mama. Aufgrund einer solch positiv aufgeladenen affektiven Haftung, die die verbindende Funktion zwischen allen Beteiligten unterstreicht, habe auch ich davon erfahren. Der Moment, in dem ich auf meine Cousinen zuging, war begleitet von Aufregung – und zugleich getragen von dem Vertrauen, dass wir gemeinsam eine Sprache finden würden für das, was bis dahin ungesagt geblieben war. Diese positiven Emotionen haben sich durch weitere Gespräche mit meinen Cousinen, aber auch mit meinen Eltern vergrößert. Das Schweigen haben wir gemeinsam gebrochen und durften dadurch erfahren, dass das Sprechen über Abbrüche unsere Empathie füreinander stärkt. [70]
Wie in Abschnitt 2 dargelegt, erfordert die Übernahme von Subjektpositionen affektive und praktische Investitionen. Dieses Konzept lässt sich an meiner eigenen Erfahrung mit familiären Abbrüchen nachvollziehen: Damals wurde ich in die Subjektposition der Geheimnishüterin hineingerufen und habe über viele Jahre hinweg in diese Rolle investiert. Als Teenagerin folgte ich der normativen Erwartung, Abbrüche in meiner Familie nicht zu thematisieren. Erst durch meine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit ungewollten Schwangerschaften und Abbrüchen, die Erfahrung meiner eigenen, gewollten Schwangerschaft sowie durch persönliche Reflexion und politische Sensibilisierung entwickelte ich eine neue Subjektposition: die der Verknüpfenden. Diese eröffnete mir die Möglichkeit, zu sprechen, festgefahrene gesellschaftlich geprägte Diskursregelungen zu hinterfragen und Wissen aus verschiedenen Lebensbereichen miteinander zu verbinden. In dieser neuen Verortung gelang es mir, Irritationsmomente zu erzeugen, die ich bewusst in mein familiäres Umfeld zurücktrug. Das "Löchlein", das sich aus Freude, Stolz, Wut und Rührung öffnete, markierte einen produktiven Riss in der affektiven Ordnung. Diese affektiven Störungen führten dazu, dass bestehende Strukturen kritisch betrachtet werden konnten und vertieften zugleich die Bindung zu meinen Cousinen. Scham wurde dabei nicht mehr als zwangsläufige Belastung nach einem Abbruch empfunden, sondern als Ausgangspunkt für Agency und eine Neubewertung der diskursiven Rahmungen. Dadurch tritt die Verknüpfung von Subjektforschung mit dem Konzept des embodied knowledge deutlich hervor und zeigt, wie sich biografische Erfahrungen, affektive Prozesse und wissenschaftliche Reflexion gegenseitig durchdringen. [71]
Diese diskursive Erweiterung macht die ambivalenten Funktionen des Schweigens sichtbar, die in ihrer Gleichzeitigkeit den vielschichtigen Prozess verdeutlichen, der erforderlich war, um einen Sprachraum zu etablieren. In der emotionalen Verschiebung spiegelt sich dieselbe Dynamik wider – von Traurigkeit zu Verzweiflung, von Zorn zu Wut. Als Jugendliche bot die Scham meinen Cousinen und mir sogar Schutz, da ungewiss war, wie die Reaktionen innerhalb der Familie und darüber hinaus ausfallen würden. Durch das Schweigen konnte die Fassade gewahrt bleiben – ohne Abwertungen, Vorwürfe oder Stigmatisierungen. Für eine Cousine wandelte sich das absolute Schweigen in ein partielles, das ihr Kontrolle und Autonomie verschaffte, da sie selbst entscheiden konnte, wem sie von ihrer Erfahrung erzählte. Das lange Aufrechterhalten des Geheimnisses stärkte zugleich unser Gefühl von Zusammenhalt und Solidarität, wenn auch unbewusst. Wir konnten uns aufeinander verlassen und das Wissen über Abbrüche dennoch weitergeben. Gleichzeitig führten diese im Verborgenen stattfindenden, intransparenten Prozesse zu einer individuellen Isolation. Ohne eine offene Bezugnahme aufeinander blieb aktive Unterstützung für mich unmöglich. [72]
Durch diese stickiness wird sichtbar, wie eng Biografie und wissenschaftliche Arbeit miteinander verflochten sind. Mit dem selbstreflexiven Zugang meiner autoethnografischen Arbeit knüpfe ich an die Überlegungen bei DAUSIEN, HANSES, INOWLOCKI & RIEMANN (2008) an: Sie schilderten, wie biografische Methoden es Professionellen ermöglichen, ihre Handlungspraxen als Erkenntnisressourcen zu erschließen – durch ein methodisches Verweben von professioneller Praxis und Selbstreflexion. Indem ich mich wissenschaftlich mit ungewollten Schwangerschaften und Abbrüchen auseinandersetze und diese Auseinandersetzung mit meiner eigenen Schwangerschaft verschränkte, gerieten die Grenzen zwischen Forschung und Privatleben, zwischen Alltagswissen und theoretischer Reflexion, zwischen beruflicher Expertise und persönlicher Erfahrung ins Wanken. Doch genau in dieser Grenzverwischung liegt das epistemische Potenzial: Die Erfahrung wird zur Erkenntnisquelle. Durch die Verkörperung von Wissen wird ein reflexiver Zugang möglich, der nicht nur analytisch produktiv, sondern auch gesellschaftlich transformativ ist. Die autoethnografische Passage fungierte hier als Brücke zwischen dem Privaten und dem Akademischen und half zu verdeutlichen, dass intellektuelle Arbeit keineswegs von Lebensereignissen wie Schwangerschaft oder Mutterschaft entkoppelt werden kann. [73]
Die Erfahrung der Schwangerschaft diente als Moment der Desorientierung und hat mein wissenschaftliches Arbeiten nicht unterbrochen, sondern auf andere Weise geprägt: nicht schneller und effizienter, sondern tiefer, durchlässiger und beziehungsreicher. Sie hat meine Perspektive verschoben, mir bisher unbemerkte Leerstellen in meinem Denken aufgezeigt und führte schließlich zur Öffnung eines neuen Sprachraums innerhalb meiner Familie. In einem Wissenschaftsbetrieb, in dem Produktivität, ständige Verfügbarkeit und messbare Leistung als Maßstab für Exzellenz etabliert sind, stellt diese Erfahrung keinen Widerspruch dar, sondern eine Infragestellung dieser Maßstäbe. Es geht um eine andere Form von Produktivität – eine, die sich im Modus der Verlangsamung, der Affizierung und der relationalen Verantwortung entfaltet. [74]
Diese Form der Wissensproduktion rückt etablierte Machtverhältnisse im akademischen Feld in den Fokus kritischer Analyse – ein Befund, den auch BEAUFAŸS (2004) stützte, indem sie zeigte, wie alltägliche Praktiken und Glaubenssätze in der Wissenschaft selektiv wirken, wodurch Frauen häufig marginalisiert werden. Meine Entscheidung, biografische Bezüge herzustellen und affektive Verstrickungen offenzulegen, markiert eine Grenzverschiebung – ein bewusster Bruch mit dem Ideal des neutralen, distanzierten Erkenntnissubjekts. Damit geht eine spezifische Verletzlichkeit einher, besonders für Promovierende, die sich mit autoethnografischen Ansätzen exponieren (FROEBUS 2021; HANRAHAN 2003; NOY 2003). In einer akademischen Kultur, die Objektivität und Distanz höher gewichtet als Situiertheit, bleibt Offenheit ein Wagnis – insbesondere für Forschende ohne gesicherte Position. Zwar berücksichtigen viele qualitative Ansätze Reflexivität, doch die Autoethnografie eröffnet ein Ausmaß an Transparenz und Selbstpositionierung, das sonst selten erreicht wird. Daraus ergeben sich grundlegende Fragen für die Forschungspraxis: Welche Geschichten finden Eingang in die Wissenschaft, welche werden ausgeblendet? Welche Emotionen sind sagbar? Und wie prägen solche Entscheidungen Reputation, Karriere und Anerkennung im wissenschaftlichen Feld?5) Das Sichtbarmachen des Selbst birgt demnach weiterhin Risiken: Wird eine Promotion mit autoethnografischem Anteil in der eigenen Disziplin anerkannt? Wie schwierig ist es, eine passende Betreuung zu finden? Welche Folgen hat sie für Berufungen, Drittmittel, Publikationschancen? [75]
Affektive Reaktionen nicht auszublenden, sondern in die Analyse einzubeziehen, ist für mich mehr als eine methodische Entscheidung – es ist ein epistemisches Statement. Denn Erkenntnis beginnt nicht erst im Blick auf das Andere, sondern in der Auseinandersetzung mit sich selbst: mit den eigenen Ambivalenzen, Verwicklungen, Verletzlichkeiten (LaMARRE 2021). Dort, wo Forschung nicht als distanzierte Beobachtung, sondern als relationale Praxis verstanden wird, wird auch das Politische im Persönlichen sichtbar. Selbstreflexion bleibt nicht ohne Wirkung – sie verschiebt Grenzen, stört gewohnte Kommunikationsformen und schafft neue Räume des Sprechens und Sichtbarwerdens. Dafür braucht es jedoch einen Wissenschaftsbetrieb, in dem solche Momente nicht marginalisiert, sondern als erkenntnistheoretisch bedeutsam anerkannt werden. Die Einbindung affektiver Dynamiken und die Sichtbarmachung von embodied knowledge können somit als Bausteine eines Wissenschaftsverständnisses dienen, das Vielfalt zulässt, Komplexität ernst nimmt und den Raum für transformative Prozesse erweitert. [76]
Dieser transformative Prozess setzt im vertrauten Umfeld an, wo er erprobt und verankert werden kann. Die daraus entstehende Sicherheit schafft die Grundlage, um den Wandel in den gesellschaftlichen Diskurs zu tragen. Es geht dabei nicht nur darum, dass die Scham die Seiten wechselt, sondern sie dauerhaft zu überwinden und einen gemeinsamen Sprachraum zu schaffen. Die Rückgewinnung des Diskurses – im Sinne PÉLICOTs – wird zu einem Akt der Selbstermächtigung: selbst zu entscheiden, ob, wann und wem die eigene Erfahrung mitgeteilt wird; ein Akt, der über das Individuelle hinausweist und kollektive Resonanz entfalten kann. [77]
Mein großer Dank gilt insbesondere meinen Cousinen für ihr Vertrauen und ihre Offenheit. Ebenso bedanke ich mich bei meinen Eltern für die vielen Gespräche und den Austausch. Starke Reflexivität verlangt von Forscher*innen, Verletzlichkeit zuzulassen, und dies erfordert Räume der Unterstützung und Freundlichkeit. Eine solche academic kindness durfte ich mehrfach erfahren: Vielen Dank an das Interdisziplinäre Promotionskolloquium zu Gender- und Diversityforschung bei Prof. Dr. Tina SPIES (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel), an meine Mentorin Daniela JAUK-AJAMIE, Ph.D. (The University of Akron, Ohio) und an die Teilnehmenden der Konferenz "Feminism as a Method" (14.-15. November 2024) an der Faculty of Political and Social Sciences, Scuola Normale Superiore, Florenz für ihr Feedback. Herzlichen Dank auch an meine Kolleginnen Judith DUBISKI, Theresa KÖCHL und Alexa NOSSEK aus dem Projekt "Dialogwerkstatt Schwangerschaftsabbruch" für die gemeinsame Arbeit.
1) Eine gendersensible und inklusive Sprache ist mir ein wesentliches Anliegen. Auf den Fall PÉLICOT bezogen, spreche ich jedoch nur von Tätern, um die Geschlechterdimension ihrer erfahrenen sexualisierten Gewalt zu verdeutlichen. Auch wenn sexualisierte Gewalt überwiegend von Männern ausgeht (ZI MANNHEIM 2025), verwende ich für Aussagen PÉLICOTs, die über ihren Fall hinausgehen, Täter*innen. <zurück>
2) Im Rahmen des Projekts "Dialogwerkstatt Schwangerschaftsabbruch" am Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V. – gefördert durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend von April 2023 bis Dezember 2024 – habe ich Interviews mit Betroffenen und ihnen nahestehenden Personen geführt. <zurück>
3) Meine kumulative Dissertation (JUNG i.E., JUNG & KORN i.E. sowie JUNG et al. 2025) basiert auf 15 problemzentrierten Interviews mit biografisch-narrativem Anteil. Diese wurden im Rahmen des Projekts "Dialogwerkstatt Schwangerschaftsabbruch" geführt. Befragt wurden ungewollt schwangere Personen, die sich entweder für einen Abbruch oder für das Austragen der Schwangerschaft entschieden hatten. <zurück>
4) Vgl. https://liste.bundesaerztekammer.de/suche [Datum des Zugriffs: 26. Januar 2025]. <zurück>
5) Diese und weitere Fragen werden in der FQS-Debatte Von uns selbst sprechen wir! Erkundungen sozialwissenschaftlichen Arbeitens aufgegriffen. <zurück>
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Alina JUNG ist Soziologin und promoviert an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel mit einer Dissertation zur Subjektwerdung ungewollt Schwangerer. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen qualitativer Forschungsmethoden, Emotionssoziologie, reproduktiver Gerechtigkeit und Gesundheit.
Kontakt:
Alina Jung, M.A., MA
Adresse ist der Redaktion bekannt.
E-Mail: alinajung@posteo.de
Jung, Alina (2025). Die Scham muss die Seiten wechseln. Eine autoethnografische Reflexion über Schwangerschaftsabbrüche angesichts der eigenen Schwangerschaft [77 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 26(3), Art. 18, https://doi.org/10.17169/fqs-26.3.4397.