Volume 6, No. 1, Art. 34 – Januar 2005

Sekundäranalyse von Interviews am Beispiel einer Untersuchung über das Spannungsfeld von Beruf und Familie bei Managern

Petra Notz

Zusammenfassung: In dem Artikel wird die Durchführung einer Sekundäranalyse von Interviews aus einer anwendungsbezogenen Perspektive beschrieben. Die Originaldaten stammen aus einer Untersuchung über die "Interessenorientierungen von mittleren Führungskräften", an der die Autorin beteiligt war. Von diesen Interviews konnte in der folgenden Studie über die "Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei Führungskräften" erneut profitiert werden. In dem Text werden neben den konkreten Durchführungsschritten auch die Beiträge und Grenzen der Sekundäranalyse hinsichtlich des Forschungsprojekts thematisiert.

Keywords: Qualitative Daten, Sekundäranalyse, Interviews

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Gründe für die Durchführung der Sekundäranalyse

3. Allgemeine Vorüberlegungen zur Sekundäranalyse

4. Vorgehen bei der Sekundäranalyse

4.1 Kurzbeschreibung der Sekundärdaten

4.2 Inhaltliche Auswahlkriterien

4.3 Durchführung der Analyse

5. Gewinn und Grenzen der Sekundäranalyse

Literatur

Zur Autorin

Zitation

 

1. Einleitung

Sekundäranalysen bieten den Vorteil, vorhandene Daten unter einer anderen Themenstellung erneut zu nutzen. Von dieser Möglichkeit haben wir in einem Projekt Gebrauch gemacht, in dem die "Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei männlichen Führungskräften" (vgl. NOTZ 2001; 2004) im Mittelpunkt stand. In der genannten Untersuchung wurden Interviews mit Managern und ihren Partnerinnen sowie mit Personalverantwortlichen durchgeführt. Dieser Primärerhebung von qualitativen Daten wurde eine Sekundäranalyse von Interviews vorgeschaltet, die aus einer Untersuchung über die "Interessenorientierungen von Führungskräften" (z.B. DEUTSCHMANN, FAUST, JAUCH & NOTZ 1995; FAUST, JAUCH & NOTZ 2000) stammen und an der die Autorin ebenfalls beteiligt war. [1]

Im Folgenden werden die Gründe für die Durchführung der Sekundäranalyse (Abschnitt 2), allgemeine Vorüberlegungen (Abschnitt 3) und die konkreten Durchführungsschritte (Abschnitt 4) erläutert. Zum Abschluss sollen Gewinn und Grenzen der Sekundäranalyse für das Forschungsprojekt beispielhaft veranschaulicht werden. [2]

2. Gründe für die Durchführung der Sekundäranalyse

Die Idee, eine Untersuchung über die "Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei Führungskräften" durchzuführen, war in dem Vorgängerprojekt über die "Interessenorientierungen von Managern" entstanden. Dort wurden einige Fragen zum Spannungsfeld von Arbeit und Privatbereich gestellt. Es handelte sich in der damaligen Untersuchung aber um ein Randthema. [3]

Die Aussagen der Befragten hatten uns jedoch neugierig gemacht. Die Führungskräfte sahen es angesichts der hohen beruflichen Anforderungen als schwierig an, den Bedürfnissen der Familie nach zu kommen. Um zu Hause die Stimmung nicht eskalieren zu lassen, hatten Einige offenbar gut funktionierende Befriedungsstrategien gegenüber der Partnerin und den Kindern entwickelt. Generell fiel auf, dass die Mehrheit es für natürlich hielt, von Erziehungs- und Haushaltsaufgaben befreit zu sein. Angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen in den Geschlechterverhältnissen drängte sich die Frage auf, welche Einstellungen die Partnerinnen zu Hause zu dieser Form des Umgangs mit ihren Belangen und mit der Arbeitsteilung aufwiesen. [4]

Zu Beginn der Untersuchung über die "Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei mittleren Führungskräften" wurde eine Sekundäranalyse dieser Interviews durchgeführt. Sie sollte erste Erkenntnisse darüber liefern, wie Manager Beruf und Familie in die Lebensführung integrieren. Erstens trugen die ausgewerteten Aussagen der Befragten dazu bei, Problemfelder im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu identifizieren. Zweitens eröffneten die Gespräche Hinweise auf die subjektiven Sichtweisen von Führungskräften zu den teilweise konkurrierenden Rollen als Verantwortungsträger einerseits und als Partner und Vater andererseits. Drittens dienten die Interviews als Ideengeber bei der Entwicklung von Leitfäden. Viertens trug die Sekundäranalyse durch das hierdurch erlangte Hintergrundwissen zum Gelingen der Interviews mit den besagten Personengruppen bei. Fünftens schließlich fungierte sie auch als Input aufgrund fehlender Fachliteratur. [5]

3. Allgemeine Vorüberlegungen zur Sekundäranalyse

Vor der Durchführung einer Sekundäranalyse ist es sinnvoll, sich mit dem Forschungsinteresse und den Erhebungsmethoden der damaligen Untersuchung zu befassen (THORNE 1994, S.269ff.; HEATON 1998). Schließlich werden die vorhandenen Daten unter einer neuen Thematik ausgewertet. Bevor ich konkret auf die Fragestellung, Erhebung und Auswertung der hier im Mittelpunkt stehenden Interviews eingehe, soll diesen Überlegungen im Allgemeinen nachgegangen werden. [6]

Zunächst einmal ist zu reflektieren, inwiefern die damals im Mittelpunkt stehenden Forschungsinhalte mit den gegenwärtigen Untersuchungsinteressen übereinstimmen. Handelt es sich um eine zentrale Fragestellung oder – wie in unserem Fall – um ein Randthema der damaligen Untersuchung? Welchen Erkenntnisgewinn erhofft man sich aus der Sekundäranalyse? Wo setzt der Datenbestand Grenzen? Werden weitere Interviews erhoben, muss überlegt werden, ob neue und alte Daten vergleichend aufeinander bezogen werden sollen und ob der damalige Leitfaden übertragbar ist. [7]

Wenn nicht das gesamte Material von Interesse ist, gilt es zu klären, welche Daten für die Fragestellung interessant sein können. Die Auswahl kann sich z.B. auf die Merkmale der Befragten beziehen (z.B. ihr Alter, die Geschlechtszugehörigkeit, Unternehmenszugehörigkeit), auf inhaltliche Aspekte (z.B. einzelne Fragekomplexe) oder auf Merkmale des Interviews selbst (z.B. Zeitpunkt, Ort des Gesprächs). Werten Forscher/innen eigene Daten aus, erleichtert dies die Selektion, da sie mit den Gesprächspartnern/innen und den Umständen des Interviews vertraut sind. Ist dies nicht der Fall, müssen die Interviews in einer Form archiviert sein, die die gewünschte Auswahl tatsächlich auch zulässt. [8]

Weiterhin ist zu klären, mit welchem methodischen Instrumentarium die Gespräche geführt worden waren. Welche Vorgehensweise wurde bei der Interviewführung gewählt (z.B. Expertengespräche, narratives Interview), in welcher Form wurden die Daten erhoben, aufbereitet und ausgewertet; also welches Material (z.B. Interviews, Feldnotizen) liegt vor und was davon interessiert für die neue Untersuchung bzw. kann wie genutzt werden? Die Datenlage bestimmt nicht nur die Möglichkeiten und Grenzen der Sekundäranalyse, sondern auch die Optionen zur Verzahnung mit dem gegebenenfalls neu zu erhebenden qualitativen Material. Wurden etwa Daten produziert, die auf eine inhaltsanalytische Auswertung abzielten, können sinnrekonstruktive Methoden bzw. sequenzanalytische Verfahren nicht mehr eingesetzt werden. [9]

Weitere Überlegungen betreffen den Personenkreis und die Umstände der Gespräche: Wer wurde interviewt, wo hatten die Interviews stattgefunden und wer hatte sie geführt? Es muss geklärt werden, ob alle Interviews für die Datenauswertung in Frage kommen oder nur eine Teilgruppe. Einen Einfluss auf den Gesprächsverlauf nimmt der Ort, an dem diese geführt worden waren, also ob das Interview in einem öffentlichen Raum, zu Hause oder im Betrieb stattfand. Das Umfeld bestimmt mit, wie stark sich ein Mensch einer gesellschaftlichen Rolle verpflichtet fühlt und wie offen oder zurückhaltend er sich über ein Thema äußern mag. Schließlich wirkt das Geschlecht des Interviewers auf das Gespräch subtil ein (BEHNKE & MEUSER 1999, S.79). Männern wird häufig mehr fachliche Kompetenz zugestanden, Frauen hingegen mehr Empathie für persönliche Probleme. Kurzum: Was kann unter Berücksichtigung dieser Aspekte von den Materialien im Hinblick auf die neue Fragestellung erwartet werden? [10]

Erst all diese Prüfungen im Vorfeld ermöglichen es, sich über Ziele, Möglichkeiten und Grenzen einer Sekundäranalyse zu verständigen. Im Folgenden beschreibe ich auf der Basis dieser Überlegungen unser Vorgehen bei der Sekundäranalyse. [11]

4. Vorgehen bei der Sekundäranalyse

4.1 Kurzbeschreibung der Sekundärdaten

Zunächst zu den Forschungsinteressen der damaligen Untersuchung. In dem Projekt, aus dem die Daten stammen, waren die betrieblichen Reorganisationsprozesse in Unternehmen und die Konsequenzen für mittlere und untere Führungskräfte untersucht worden (z.B. DEUTSCHMANN u.a. 1995; FAUST u.a. 2000). Die Gruppe der Führungsmannschaft sah sich selbst zum ersten Mal Rationalisierungsmaßnahmen in größerem Stil ausgesetzt. Entsprechend tief saß der Schock über diese Umwälzungen bei den Betroffenen. Fokussiert wurde in den Interviews, wie die Verantwortungsträger die Veränderungen wahrnehmen und welche handlungsleitenden Konsequenzen sie daraus ziehen. Im Zentrum standen u.a. berufliche Anforderungen und Belastungen, veränderte Karrierewege, der Neuzuschnitt von Verantwortungsbereichen, der Gewinn an Entscheidungsspielräumen und Kompetenzen und das Verhältnis von Arbeit und Freizeit bzw. Familie. Die einen sahen in den Restrukturierungsmaßnahmen eine Verschlechterung ihrer Position im Unternehmen und ihre Karriere einhergehen, die anderen hingegen begrüßten die Umwandlungen als eine Befreiung aus alten Fesseln. In der Mehrheit aber waren sie sich einig darüber, dass sich das Verhältnis von beruflicher Tätigkeit und Freizeit zuungunsten der Freizeit verschoben hatte. Es werde immer schwieriger, den Ansprüchen in der Familie und der Partnerschaft gerecht zu werden. Genau diese Veränderungen im Verhältnis von Arbeit und partnerschaftlicher Beziehung interessierten in dem Nachfolgeprojekt zur "Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei männlichen Führungskräften". [12]

Bei den Daten handelte es sich um leitfadengestützte teilstrukturierte Interviews mit Managern verschiedener Hierarchieebenen aus Großunternehmen der Chemiebranche, Elektrobranche, der Stahl- und der Automobilindustrie. Die Gespräche hatten im Schnitt eineinhalb bis zwei Stunden gedauert und in Räumlichkeiten der Unternehmen stattgefunden. In der Regel war ein Manager von einem Team bestehend aus zwei Forschern interviewt worden. Dieses Team war entweder nur männlich oder gemischt-geschlechtlich besetzt gewesen. Die Interviews wurden auf Band aufgezeichnet und später transkribiert. Ziel war eine inhaltsanalytische Auswertung. [13]

Der Kontakt zu den Managern war durch die Geschäftsleitungen zustande gekommen. Es war nicht nachvollziehbar, wodurch die Auswahl der Befragten im Einzelnen angeleitet war. Einige Führungskräfte hatten sich freiwillig um ein Interview bemüht, andere waren aufgrund ihrer Position, ihres Werdegangs oder einfach, weil es terminlich passte zu den Gesprächen gebeten worden. Das Interesse der Geschäftsführungen lag darin, angesichts der massiven Veränderungen, die sie ihren Leistungsträgern zugemutet hatten, ein allgemeines Feedback über die Stimmungslage der Führungsmannschaft zu bekommen. [14]

Zu den arbeits- und unternehmensbezogenen Themen äußerten sich die Befragten ausführlich und zum Teil sehr offen und kritisch. Je nach Stimmungslage nutzten die Führungskräfte die Gelegenheit, auf Aspekte aufmerksam zu machen, die aus ihrer Perspektive bei den Restrukturierungsmaßnahmen negativ verlaufen waren. Sie stellten alternative Lösungswege dar oder redeten sich einfach nur den Ärger von der Seele. Ein möglicherweise bestehendes Misstrauen gegenüber den Interviewern, dass diese etwa die Geschäftsführung mit vertraulichen Daten versorgen würden, konnte offenbar nicht verhindern, dass sich Emotionen ihren Weg bahnten. [15]

Bei den Fragen, die den privaten Bereich berührten hingegen, äußerten sie sich häufig vage und zurückhaltend. Ein Grund hierfür dürfte darin liegen, dass die Thematik in den Geschäftsräumen unpassend erschien. Insbesondere bei diesen Fragen wurde Blickkontakt zum weiblichen Interviewer gesucht. [16]

Insgesamt lagen Interviews sowohl mit unteren, mittleren als auch mit oberen Managern vor. Nur eine einzige Frau war darunter. Da in dem neuen Forschungsprojekt männliche Führungskräfte des mittleren Managements im Mittelpunkt standen, sollten nur Interviews sekundäranalytisch ausgewertet werden, bei denen die Gesprächspartner ebenfalls diese Merkmale aufwiesen. Aus dem vorhandenen Pool konnten 40 Interviews in die Analyse einbezogen werden. [17]

4.2 Inhaltliche Auswahlkriterien

In dem Forschungsvorhaben, innerhalb dessen die Sekundäranalyse vorgeschaltet wurde, sollte untersucht werden, ob jüngere, männliche Führungskräfte in ein Dilemma geraten zwischen den gestiegenen beruflichen Anforderungen einerseits und den partnerschaftlichen Ansprüchen andererseits. Glaubten sie, beiden Lebenssphären gerecht zu werden? Welche Beziehungsmodelle liegen dem zugrunde? Hierfür waren Interviews mit Managern (im Alter bis zu 40 Jahren) und ihren Partnerinnen sowie Gespräche mit Personalverantwortlichen in Unternehmen geplant. [18]

Die genannten Themen standen, wie gesagt, nicht im Zentrum der Interviews, die sekundäranalytisch ausgewertet werden sollten. Es ging dort vorrangig um die subjektiven Sichtweisen der Führungskräfte hinsichtlich der organisatorischen Veränderungen und den Konsequenzen für die berufliche Arbeit. Gefragt worden waren die Manager dort gleichwohl, wie sich für sie die private Situation unter diesen Bedingungen im Moment darstelle. Diese Interviewsegmente waren für die Sekundäranalyse von zentralem Interesse. [19]

Da sich Beruf und Privatbereich gegenseitig beeinflussen, konzentrierten wir uns darüber hinaus auf Interviewpassagen, die den beruflichen Bereich fokussierten. So hatte etwa die Umsetzung des "internen Unternehmerleitbildes" zur Folge, dass sich die Betroffenen immer weniger von "ihrem Aufgabenbereich" distanzieren konnten. Der Zugriff des Unternehmens umfasste zunehmend die ganze Person, so dass es schwieriger wurde, sich klar abgegrenzte Zeiten für die Familie zu erhalten. Von Interesse waren beispielsweise auch die veränderten Karrierewege. Wird der Aufstieg in der Managementhierarchie nunmehr mit einem Auslandsaufenthalt verknüpft, tangiert dies auch die Lebenssituation der Partnerin und der Kinder. Schwierige Arbeitsbedingungen, die zu Stress führen, belasten die familiäre Sphäre. Umgekehrt gilt: Private Probleme, beispielsweise eine Beziehungskrise, ein Trauerfall in der Familie, lassen sich während der Arbeit nur schwer verdrängen. Aussagen über Arbeitsbedingungen und die Arbeitssituation waren folglich interessant, insoweit diese Konsequenzen für den privaten Bereich vermuten ließen. Insgesamt umfassten diese Aspekte lediglich Teile eines Gesprächs. Einstellungen zu Interessenvertretungen beispielsweise waren für uns nicht von Belang. [20]

Auf der Basis der obigen Überlegungen wurden inhaltliche Kriterien zur Auswahl der Interviewsegmente entwickelt. [21]

4.3 Durchführung der Analyse

Bei der Durchführung einer Sekundäranalyse mit inhaltsanalytisch auszuwertendem Material können verschiedene Wege eingeschlagen werden. Wir entschieden uns dafür, mit einem gewöhnlichen Textverarbeitungsprogramm zu arbeiten. Es erfüllte den Anspruch, Textsegmente aus dem Gesamtzusammenhang heraus zu kopieren und in eine andere Datei einzufügen oder Textteile auf eine bestimmte Weise zu formatieren. [22]

Zunächst wurde eine fallbezogene, anschließend eine fallübergreifende Auswertung vorgenommen. Diese beiden Auswertungsformen ermöglichten zwei verschiedene Zugänge zu den Daten: Zu Aussagen über ein Thema konnte anhand der fallübergreifenden Sekundäranalyse gelangt werden. Erschienen die Überlegungen eines bestimmten Managers als besonders interessant, waren die Interviewsequenzen dieses Gesprächs über die fallbezogene Auswertung zugänglich. [23]

(a) Fallbezogene Auswertung

Wie erwähnt wurden zur Durchführung der Sekundäranalyse inhaltliche Kriterien entwickelt. Für diese Kriterien wurden "Oberbegriffe" gebildet, wie Karriere, Arbeitszeiten, Freizeit, Familie etc.. Jedes transkribierte Interview wurde nun auf diese Oberbegriffe hin durchgearbeitet. Es wurde bewusst auf die Suchfunktion des Textverarbeitungsprogramms verzichtet. Die Gespräche sollten in ihrer Gesamtheit erfasst werden, um zu vermeiden, dass wichtige Aussagen unbeachtet bleiben und damit verloren gehen. Der Leitfaden, der die halbstrukturierten Gespräche anleitete, diente hierbei als Lesehilfe. Meine Teilnahme an dem Forschungsprojekt trug zur Erleichterung dieses Arbeitsschritts bei, da ich mit den Interviews bereits vertraut war. Interessante Textstellen wurden am PC aus den Originaldaten herauskopiert und in eine neue Datei eingefügt. Jeder kopierte Abschnitt wurde mit einer Überschrift versehen. Darin enthalten war neben dem allgemeinen Oberbegriff eine Präzisierung der Aussage und falls nötig ein Verweis auf einen oder mehrere weitere Oberbegriffe. Des Weiteren wurden diese Überschriften mit Hinweisen zum Gesprächspartner (Name, Alter, Firma) versehen sowie mit der Stelle im Interview, aus der die Sequenz stammte. Sowohl die Namen der Manager als auch der Firmen wurden hierbei durch Pseudonyme ersetzt. Für jede Person wurde zudem ein kurzes Profil erstellt. Vermerkt wurden dort Ausbildung, beruflicher Werdegang, die Karriere im Unternehmen, die derzeitige Position, die Familiensituation sowie die soziale Herkunft. Das Profil wurde allen Aussagen vorangestellt und sollte zum Verständnis der Gesprächsausschnitte beitragen. [24]

Hier ein Beispiel zur Veranschaulichung:

Familie: Belastungen und Auswirkungen auf die Familie

Müller (37)/Firma Abay, S.15

"Na gut, eine Belastung ist natürlich, die da durchkommt, sag ich mal, im privaten Bereich, das geht in Richtung Familie. Sie müssen natürlich dann 'ne Familie haben, die damit zufrieden ist, dass sie Sie zweimal die Woche sieht. Oder wie ich, ich hab keine Kinder, halt nur 'ne Frau haben, ... ." [25]

"Familie" stellt den Oberbegriff dar, während die Stichworte "Belastungen und Auswirkungen auf die Familie" die Inhalte der Textpassage präzisieren sollen. Der zitierte Manager heißt Müller und arbeitet in der Firma Abay. Die Stelle könnte im Originalausdruck auf Seite 15 im Gesamtzusammenhang nachgelesen werden. Beide Zeilen wurden als Überschrift im Textverarbeitungsprogramm formatiert. [26]

Alle Gesprächssequenzen der 40 Interviewpartner wurden in einer gemeinsamen Datei abgespeichert. Anschließend wurde ein Inhaltsverzeichnis erstellt, so dass über die Namen der Befragten auf die Inhalte zugegriffen werden konnte. [27]

In einem zweiten Durchgang wurde nun eine fallübergreifende Auswertung durchgeführt. [28]

(b) Fallübergreifende Auswertung

Zuerst wurden alle Aussagen zu einem Oberbegriff über alle Gespräche hinweg zusammengefasst. Erleichtert wurde dieser Vorgang durch die Formatierung der Begriffe als Überschrift. Am Ende lag beispielsweise eine Palette an Äußerungen zum Thema "Arbeitszeit", "Karriere" oder "Familie" vor. [29]

Der nächste Arbeitsschritt fand nun innerhalb eines Oberbegriffs statt. Es wurden unterhalb der Ebene eines Oberbegriffs "Unterbegriffe" eingefügt, um das Datenmaterial innerhalb einer Thematik zu ordnen. Dies war leicht möglich, weil wir ja schon zu Beginn bei allen Überschriften, also bei jeder Interviewsequenz eine inhaltliche Präzisierung hinzugefügt hatten (siehe Beispiel oben). Ähnliche Äußerungen konnten folglich unter einen möglichst aussagekräftigen Unterbegriff zusammengeführt werden. Unter dem Oberbegriff "Karriere" wurden u.a. folgende Unterbegriffe als Unterüberschriften eingefügt: "Typische Karrierewege", "Neue Karrierewege – Aufstiegsbegrenzungen und Alternativen"; bei dem Thema Familie waren es u.a. "Familienorientierung versus Karriereorientierung", "Befriedungsstrategien" oder "Auswirkungen beruflicher Belastungen auf die Familie". [30]

Abschließend wurden wieder alle Statements mit ihren Oberbegriffen und ihren Unterbegriffen in einer Datei gespeichert und ein Inhaltsverzeichnis erstellt. Das Inhaltsverzeichnis gab also einen Überblick über Ober- und Unterbegriffe und sorgte für einen schnellen Zugriff auf spezifische Themen. [31]

Im Rückblick hat sich diese pragmatische Auswertungsstrategie als tragfähige und für unsere Zwecke geeignete Vorgehensweise erwiesen. [32]

5. Gewinn und Grenzen der Sekundäranalyse

Die Ziele für eine Sekundäranalyse können je nach Forschungsprojekt sehr unterschiedlich sein: Das vorhandene qualitative Datenmaterial kann als Ideenpool für die Konzeption von Forschungsanträgen dienen, es kann zu vergleichenden Zwecken genutzt werden, als Grundlage für Qualifizierungsarbeiten, als Möglichkeit Geld und Zeit zu sparen, weil eigene Erhebungen zu aufwändig erscheinen oder es kann zu Lehrzwecken bei der Methodenausbildung in Seminaren verwendet werden, um nur einige Möglichkeiten zu nennen (THORNE 1994, S.266f.; THOMPSON 2000). [33]

Wie eingangs erläutert, hatte die Sekundäranalyse für uns vor allem den Zweck, inhaltlichen Input für die laufende Untersuchung zu geben. Es ging um die Erarbeitung von Hintergrundinformationen, die zur Konzeption und Durchführung der neuen Untersuchung beitragen sollten. [34]

Dabei dienten die ausgewerteten Aussagen der Befragten erstens dazu, Problemfelder von Managern im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu identifizieren. So verhalf uns die Analyse zu einem tieferen Einblick in das Selbstverständnis von Führungskräften in ihrer Rolle als Leistungsträger. Die Arbeitsintensität ist hoch und Führungskräfte fühlen sich ständig auf dem Prüfstand, ob sie den Anforderungen auch genügen. Fehler zu machen, berührt die professionelle Identität: "Dass man also keinen groben Fehler macht. Also wo am Ende entsprechend eben halt auch Kosten entstehen, ja auch eben nicht nur Kosten, ja so Gesichtsverlust, so in die Richtung." Die Figur des in den Systemzwängen gefangenen Managers schälte sich heraus: Eine begrenzte "Auszeit" für die Familie ist nicht möglich vor dem Hintergrund der impliziten Vorstellung eines stetig aufsteigenden und allzeit verfügbaren Managers: "Wenn man da mal eingestiegen ist, muss man eigentlich weitersteigen oder man geht gleich wieder runter." Beklagt wurde, dass es den Partnerinnen an Verständnis fehle für diese Zwänge: "Oder wenn man dann Vorwürfe bekommt", [weil man nicht angerufen hat, obwohl man es versprochen hat] "und man so dann erklärt, 'ja da waren den ganzen Tag so viele Anrufe und ich hab dann gar keine Zeit mehr gehabt', dann hat man also zu Hause kein Verständnis. Das ist aber jeden Tag so. Das heißt auch da ist permanent eigentlich ein schlechtes Gewissen." [35]

Zweitens eröffneten die Gespräche Hinweise auf die subjektiven Sichtweisen von Führungskräften zu ihren Rollen als Leistungsträger einerseits und als Partner und Vater andererseits. So war ein Ergebnis der Sekundäranalyse, dass die beruflichen Anforderungen häufig als konkurrierend zu den partnerschaftlichen Verpflichtungen empfunden werden. Typischerweise fühlten sich die Befragten mit dem Unternehmen und ihrer beruflichen Tätigkeit stark verbunden. Wenn die oben zitierte Führungskraft von einem "schlechten Gewissen" gegenüber der Partnerin und der Familie spricht, dann macht dies indirekt auf eine Prioritätensetzung aufmerksam. Als aufschlussreich erwiesen sich in diesem Zusammenhang die Hinweise auf Befriedungsstrategien gegenüber den Lebensgefährtinnen und die dahinter stehenden partnerschaftlichen und familiären Vorstellungen: Die Partnerinnen wurden etwa gelegentlich auf Auslandsreisen mitgenommen. Dies fungierte implizit als eine Art Entschädigung gegenüber der Ehefrau für die beruflich bedingten Abwesenheitszeiten von zu Hause. Gleichzeitig konnten die Manager den Frauen vor Augen führen, dass Reisetätigkeiten kein Vergnügen darstellen, sondern in erster Linie als arbeitsintensiv und stressig zu sehen sind. "Ja, und dann habe ich versucht, zweimal pro Jahr meine Frau mitzunehmen, ja, dass sie sieht, dass ich da nicht irgendwo wie ein Fürst lebe." Dass die berufliche Tätigkeit des Mannes gegenüber einer Erwerbstätigkeit der Frau Vorrang hatte, wurde implizit unterstellt. Wenn davon gesprochen wurde, dass beide Seiten "Kompromisse" zu machen hatten, bedeutete dies folglich für beide Geschlechter etwas völlig Unterschiedliches: Die Partnerin hatte zu akzeptieren, dass die berufliche Tätigkeit einen großen Raum im Leben des Mannes einnahm, während der Mann hin und wieder seiner Frau zuliebe auf diesen Raum verzichtete. "Wenn beide Partner so tätig wären, dann wahrscheinlich wird die Beziehung gestört". [36]

Aufbauend auf obige Erkenntnisse, diente die Sekundäranalyse drittens als Ideengeber bei der Entwicklung von Leitfäden, zum einen für die offenen Interviews mit Führungskräften und ihren Partnerinnen (Mann und Frau wurden jeweils getrennt interviewt) und zum anderen für Expertengespräche in Unternehmen. So sollten etwa mit Hilfe des Leitfadens für die Paare Erzählungen angeregt werden, die Hinweise auf den Stellenwert der beruflichen Tätigkeit des Mannes und der Frau in der Paarbeziehung gaben. Uns interessierte, ob die Paare mehrheitlich traditionelle Muster der Arbeitsteilung in der Partnerschaft präferierten, so wie es sich in der Sekundäranalyse schon abgezeichnet hatte. Wir bauten den Leitfaden auf, indem wir die Befragten nach der Vergangenheit, der Gegenwart und ihren Zukunftsvorstellungen fragten. In einem ersten Frageteil wurde also nach der Geschichte der Paarbeziehung gefragt: wie sich das Paar kennen gelernt hat, wie sich das erste Zusammenleben im Haushalt und hinsichtlich der beruflichen Tätigkeit gestaltete. In einem zweiten Teil wurde auf die gegenwärtige Situation in der Beziehung eingegangen. Auch hier ging es um die Organisation des Alltags, die häusliche Arbeitsteilung und die berufliche Arbeit von Mann und Frau. Schließlich sollten sich die Paare zu Hoffnungen und Wünschen für die Zukunft äußern. Mit Hilfe dieser zeitlichen Komponente konnte etwa untersucht werden, ob Führungskräfte im Verlauf ihrer Beziehung sich stärker mit ihrer beruflichen Arbeit identifizierten und wie sie dies mit den (sich vielleicht auch wandelnden) Erwartungen ihrer Partnerinnen in Einklang bringen konnten. Weiterhin konnte hierdurch analysiert werden, welche Vorstellungen Manager und ihre Partnerinnen hinsichtlich der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern haben. Die Sekundäranalyse hatte den Blick für diese geschlechtsbezogene Partnerschaftsvorstellungen und für Befriedungsstrategien geschärft. Bei dem Leitfaden, den wir für die Personalverantwortlichen entwickelten, fragten wir beispielsweise nach Möglichkeiten für Führungskräfte in Teilzeit zu arbeiten. Dabei wurden wir von der in den Systemzwängen verhafteten Figur des Managers angeleitet, wie sie in der Sekundäranalyse bei der Identifizierung der Problemfelder von Managern herausgearbeitet werden konnte. [37]

Viertens trug die Sekundäranalyse durch das hierdurch erlangte Hintergrundwissen zum Gelingen der Interviews mit den besagten Personengruppen bei. Die Erzählungen der Manager hinsichtlich der Arbeitsbedingungen beispielsweise waren leichter nachvollziehbar, aber auch der betriebsbezogene Blickwinkel der Personalverantwortlichen wurde deutlicher. [38]

Fünftens schließlich fungierte die Sekundäranalyse auch als Input aufgrund feh-lender Fachliteratur. Zu diesem Zeitpunkt existierten im deutschsprachigen Raum kaum Forschungsarbeiten über das Thema "Führungskräfte und Familie". [39]

Die Sekundäranalyse leistete folglich für das hier beschriebene Projekt hilfreiche Vorarbeiten. Dennoch konnte sie nur begrenzt zur Untersuchung über die Vereinbarkeitsprobleme bei Führungskräften beitragen. In der ursprünglichen Studie interessierte vorrangig, wie Manager ihre Arbeitssituation wahrnehmen und weniger, wie sie Beruf und Familie in ihre Lebensführung integrieren. Auf diesen Fokus waren die betreffenden Personen im Interview denn auch vorbereitet. Da im Management – ein Ergebnis der späteren Untersuchung – der Privatbereich vom Berufsleben strikt abgetrennt wird, fiel es manchem schwer, sich auf Fragen zu dieser Thematik einzulassen. Als interessant erwies sich demzufolge auch das Unausgesprochene, das versachlichende Ausweichen oder das sich Drumherumwinden der Befragten. Hilfreich war letztlich, dass wir durch die Sekundäranalyse Hinweise auf Deutungsmuster von Führungskräften vorab herausarbeiten konnten. [40]

Insgesamt lässt sich resümieren: Obwohl die Forschungsinteressen der beiden Untersuchungen unterschiedlich waren, konnten wir von der Durchführung der Sekundäranalyse profitieren. Ob es generell sinnvoll ist, vorhandene Daten unter einer anderen Fragestellung zu verwenden, lässt sich nur im Hinblick auf den Einzelfall beantworten. Zumindest aber sollte in der qualitativen Sozialforschung der Blick für die Möglichkeiten geschärft werden, die Sekundäranalysen bieten. [41]

Literatur

Behnke, Cornelia & Meuser, Michael (1999): Geschlechterforschung und qualitative Methoden. Opladen: Leske und Budrich.

Deutschmann, Christoph; Faust, Michael; Jauch, Peter & Notz, Petra (1995). Veränderungen der Rolle des Managements im Prozess reflexiver Rationalisierung. Zeitschrift für Soziologie, 24(6), 436-450.

Faust, Michael; Jauch, Peter & Notz, Petra (2000). Befreit und entwurzelt. Führungskräfte auf dem Weg zum "internen Unternehmer". München: Rainer Hampp Verlag.

Heaton, Janet (1998). Secondary Analysis of Qualitative Data. Social Research Update, 22. Verfügbar unter: http://www.soc.surrey.ac.uk/sru/SRU22.htm [Datum des Zugriffs: 27. Okt. 2004 [Broken link, FQS, August 2005]].

Notz, Petra (2001). Frauen, Manager, Paare. Wer managt die Familie? Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei Führungskräften. München: Rainer Hampp Verlag.

Notz, Petra (2004). Manager-Ehen. Zwischen Karriere und Familie. Konstanz: UVK-Verlagsgesellschaft.

Thompson, Paul (2000, Dezember). Re-using Qualitative Research Data: A Personal Account [48 paragraphs]. Forum Qualitative Sozialforschung/Forum: Qualitative Social Research [Online Journal], 1(3), Art. 27. Verfügbar unter: http://www.qualitative-research.net/fqs-texte/3-00/3-00thompson-e.htm [Datum des Zugriffs: 27. Okt. 2004].

Thorne, Sally (1994). Secondary Analysis in Qualitative Research: Issues and Implications. In Janice M. Morse (Hrsg.), Critical Issues in Qualitative Research Methods (S.263-279). Thousand Oaks: Sage.

Zur Autorin

Die hier beschriebene Forschung wurde am Forschungsinstitut für Arbeit, Technik und Kultur e.V. (FATK) in Tübingen durchgeführt, in dem Petra NOTZ langjährige wissenschaftliche Mitarbeiterin war. Ihre Schwerpunkte liegen in den Bereichen Managementforschung, Geschlechterforschung und berufliche Bildung. Seit 2004 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Institut für berufliche Bildung, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik (INBAS) in Offenbach.

Kontakt:

Dr. Petra Notz

Institut für berufliche Bildung, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik (INBAS)
Herrnstraße 53
D-63065 Offenbach

E-Mail: notz@inbas.com

Zitation

Notz, Petra (2005). Sekundäranalyse von Interviews am Beispiel einer Untersuchung über das Spannungsfeld von Beruf und Familie bei Managern [41 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 6(1), Art. 34, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs0501347.

Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research (FQS)

ISSN 1438-5627

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