Volume 4, No. 3, Art. 2 – September 2003

Mediatisierte Paarkommunikation: Ansätze zur theoretischen Modellierung und erste qualitative Befunde

Nicola Döring & Christine Dietmar

Zusammenfassung: Ein wachsender Anteil der Kommunikation in Paarbeziehungen verläuft über technische Medien wie beispielsweise das Festnetztelefon, das Mobiltelefon oder den Internet-Computer. Anhand von mündlichen Leitfadeninterviews mit N=10 Personen (5 Paaren) wurde auf der Grundlage von drei theoretischen Ansätzen untersucht, wie sich Telekommunikationsmedien in den Paaralltag einfügen: 1. Auf der Basis der Theorie der interpersonalen Medienwahl wurden die Mediennutzungsprofile der Paare herausgearbeitet. 2. Anhand der Austauschtheorie wurde betrachtet, inwieweit Paare ihre Medienbotschaften (z.B. Briefe, E-Mails, SMS) als ausgetauschte Ressourcen betrachten und bewusst im Sinne von Equity bilanzieren. 3. Die Bindungstheorie wurde herangezogen, um zu ergründen, wie sich unterschiedliche Bindungsstile im Mediennutzungsverhalten niederschlagen und welche Rolle Telekommunikationsmedien in Bindungssituationen (d.h. bei situationsspezifischer Suche nach Unterstützung des Partners) spielen. Die mittels qualitativer Inhaltsanalyse gewonnenen Ergebnisse zeigen die Vielfalt der paarspezifischen Aneignungsformen von Kommunikationsmedien auf. Die Studie belegt, dass die befragten Paare Medienbotschaften als emotionale Ressourcen behandeln und dass sie Bindungssituationen insbesondere mit Mobilkommunikationsmedien erfolgreich bewältigen können. Andererseits zeigte sich, dass Telekommunikationsmedien neue Kommunikationsprobleme erzeugen. Weitere Forschung ist notwendig, um besser zu verstehen, wie Telekommunikationmedien in Paarbeziehungen eingebettet sind und wie sie die Paarkommunikation verändern.

Keywords: Paarbeziehung, interpersonale Kommunikation, Mobilkommunikation, Theorie der interpersonalen Medienwahl, Austauschtheorie, Bindungstheorie, qualitative Inhaltsanalyse, Leitfadeninterview

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theoretischer Hintergrund

2.1 Theorie der interpersonalen Medienwahl

2.2 Austauschtheorie

2.3 Bindungstheorie

3. Methode

3.1 Mündliche Leitfadeninterviews

3.2 Qualitative Inhaltsanalyse

3.3 Stichprobe

4. Ergebnisse

4.1 Befunde zur Theorie der interpersonalen Medienwahl

4.2 Befunde zur Austauschtheorie

4.3 Befunde zur Bindungstheorie

5. Fazit

Literatur

Zu den Autorinnen

Zitation

 

1. Einleitung

Die interpersonale Kommunikation ist ein zentraler Faktor in Paarbeziehungen. Sie findet in den hochtechnisierten Regionen der Welt in wachsendem Maße auch technisch mediatisiert statt, etwa mittels E-Mail, SMS, Anrufbeantworter-Nachricht, Festnetz- oder Handy-Telefonat. Gründe sind neben der Verfügbarkeit der Medien unter anderem wachsende Berufs- und Freizeitmobilität, getrennte Wohnungen und unterschiedliche Formen von Fernbeziehungen (SCHNEIDER, 2002; SCHNEIDER, HARTMANN & LIMMER, 2001). Nicht umsonst bietet etwa der Mobilfunkbetreiber O2 für Paare einen besonderen Tarif ("O2 GENION DUO"; vgl. auch ONE, 2001). Eine erfolgreiche Partnerschaft basiert auf guter Kommunikation, und heute zunehmend auch auf guter Telekommunikation – eine Lektion, die Nutzer und Anbieter von Kommunikationsdiensten zu lernen haben. Ziel der vorliegenden Studie ist es, mediatisierte Paarkommunikation theoriebasiert anhand von Leitfaden-Interviews mit fünf Paaren zu explorieren. [1]

2. Theoretischer Hintergrund

Es wurden drei theoretische Ansätze gewählt, adaptiert und zusammengeführt: Die Theorie der interpersonalen Medienwahl (2.1), die Austauschtheorie (2.2.) und die Bindungstheorie (2.3) bilden den theoretischen Hintergrund der Studie. Durch die Anwendung dieser verschiedenen Ansätze wird es möglich, sowohl die Gegebenheiten der technisch vermittelten interpersonalen Kommunikation umfassend zu berücksichtigen als auch die Paarbeziehung als komplexe zwischenmenschliche Beziehung differenziert zu betrachten. [2]

2.1 Theorie der interpersonalen Medienwahl

Medienwahl-Modelle geben an, anhand welcher Kriterien (z.B. Medienmerkmale, soziale Normen) Telekommunikationsmedien ausgewählt werden. Ein Kriterium ist dabei auch die wechselseitige Abstimmung der Kommunikationspartner im Sinne interpersonaler Medienwahl (vgl. DÖRING, 2003a, S.146f.; HÖFLICH, 1996, S.81ff; KROTZ, 1998, S.130). Im Verlauf einer Paarbeziehung ermöglichen bzw. erfordern Verständigungs- und Aushandlungsprozesse eine weitgehende Institutionalisierung des Beziehungsalltages – dies betrifft auch die Mediennutzung (vgl. LENZ, 1998, S.219ff). So verabreden Paare etwa, wann sie ihr Handy mitnehmen, unter welchen Umständen eine Rückversicherung per SMS oder ein längeres Festnetztelefonat erfolgen sollen. Zudem muss auf Medien verzichtet werden, über die (vorerst) nur ein Beziehungspartner verfügt. So stellt sich eine erste grundlegende Forschungsfrage: Wie sind paarspezifische Medienensembles und Nutzungsmuster beschaffen? [3]

2.2 Austauschtheorie

Der Beziehungsalltag lässt sich modellieren als interpersonaler Austausch von Handlungen und Eigenschaften, die im Sinne einer Kosten-Nutzen-Bilanz abgewogen werden. Personen streben dabei einerseits nach einem positiven Kosten-Nutzen-Verhältnis, behalten aber auch die Kosten-Nutzen-Bilanz des Partners im Auge. Gemäß der Equitytheorie (als eines austauschtheoretischen Ansatzes) suchen Partner in einer Paarbeziehung neben Gewinnmaximierung auch Gerechtigkeit bzw. Ausgewogenheit im Vergleich zum Partner (equity; WALSTER, WALSTER & BERSCHEID, 1978; MIKULA, 1992). Eine Paarbeziehung ist demnach umso stabiler und zufriedenstellender, je stärker die Beteiligten den Eindruck haben, dass ihre Kosten-Nutzen-Bilanz derjenigen des Partners entspricht, wobei natürlich eine möglichst positive Kosten-Nutzen-Bilanz für beide optimal ist. Equity kann global, aber auch differenziert nach unterschiedlichen Lebensbereichen eines Paares betrachtet werden (z.B. soziale Unterstützung, Haushaltsführung, Sexualität). [4]

Mediatisierte Kommunikation lässt sich als ein Lebensbereich des Paares auffassen, der von den Beteiligten austauschtheoretisch bilanziert wird. Schließlich sind einzelne Medienbotschaften (insbesondere wenn sie schriftlich und/oder digital vorliegen) speicher- und archivierbar. Tatsächlich nehmen Jugendliche die Anzahl der erhaltenen SMS als Beliebtheitsindikator wahr (vgl. HÖFLICH, 2001; LING & YTTRI, 1999, S.18). Manche Online-Liebespaare sehen in der Anzahl ihrer ausgetauschten E-Mails einen Indikator für Beziehungsqualität (DÖRING, 2003b, S.553). Sofern die Beziehungspartner ihrer mediatisierten Kommunikation Bedeutung beimessen (was gerade bei Fernbeziehungen typischerweise der Fall ist), sollte ein unausgewogener mediatisierter Austausch zu Unzufriedenheit und Konflikten führen, deren Lösung Einfluss auf die Beziehungsqualität hat. Diese Erscheinungen sollen durch die Bearbeitung der zweiten Forschungsfrage beleuchtet werden: Nehmen Paare ihre mediatisierte Kommunikation als Ressourcenaustausch wahr, bilanzieren sie diesen nach Equity-Gesichtspunkten und wie gehen sie dabei mit einem Ungleichgewicht der mediatisierten Paarkommunikation um? [5]

2.3 Bindungstheorie

Die Gestaltung sozialer Beziehungen wird vom jeweils aktualisierten Bindungsstil der Partner mitbestimmt. Nach BARTHOLOMEW (1990) lassen sich – in Anlehnung an das Konzept des internen Arbeitsmodells für enge Bindungen (BOWLBY, 1982) – bei Erwachsenen vier Bindungsstile (sicher, ängstlich, besitzergreifend, abweisend) danach unterscheiden, inwieweit Selbstbild und Partnerbild positiv oder negativ gefärbt sind: Eine Person mit einem sicheren Bindungsstil hat ein positives Bild von sich selbst und auch ein positives Bild von ihrem Partner, so dass eine stabile und vertrauensvolle Bindung entstehen kann. Ein ängstlich gebundener Mensch dagegen hat sowohl ein negatives Selbstbild als auch ein negatives Partnerbild, so dass die Beziehung durch permanente Unsicherheit geprägt ist. Der besitzergreifende Typ zeichnet sich durch ein negatives Selbstbild, aber ein positives Partnerbild aus, deswegen hat er große Verlustängste. Der Abweisende wiederum hat ein positives Selbstbild und ein negatives Partnerbild, deswegen legt er auf Unabhängigkeit und Distanz großen Wert. [6]

Bindungsstile bestimmen, wie Partner sich aufeinander beziehen, vor allem auch kommunikativ. Während Personen mit sicherem Bindungsstil beispielsweise viel und auf intimer Ebene miteinander kommunizieren, pflegen abweisende Bindungstypen eine quantitativ und qualitativ ärmere Kommunikation (vgl. FEENEY, NOLLER & CALLAN, 1994, S.270). Der Bindungsstil sollte auch auf den Umgang mit mediatisierter Kommunikation Einfluss haben. So ist etwa orts- und zeitunabhängige Erreichbarkeit zunächst eine technische Option der Mobilkommunikation. Sie muss jedoch sozial umgesetzt werden (Handy mitnehmen, einschalten, Telefonat entgegennehmen etc.), wobei Bindungsstile insofern eingreifen mögen, als für Besitzergreifende etwa die Erreichbarkeit des Partners im Kontext von Eifersucht und Kontrolle wichtig ist, während Abweisende sich Nischen der Nicht-Erreichbarkeit bewahren wollen. [7]

Neben dem Bindungsstil ist die Bindungssituation ein zentrales Konstrukt der Bindungstheorie. Bindungssituationen sind Situationen, in denen speziell die Unterstützung des Partners und die Rückversicherung der Beziehung gesucht werden, etwa bei Stress, Beziehungskonflikten, Angst oder Einsamkeit (BIERHOFF & GRAU, 1999, S.156ff; FEENEY, 1999, S.371). Bindungssituationen zeichnen sich durch emotionale Dringlichkeit aus, womit der Bezug zur Telekommunikation deutlich wird: Insbesondere Mobilkommunikation kann es gewährleisten, dass Partner sich trotz räumlicher Distanz in unerwartet auftretenden Bindungssituationen spontan mediatisiert unterstützen können. Damit gilt es eine dritte Forschungsfrage zu beantworten: Welche Rolle spielt der Bindungsstil bei der mediatisierten Paarkommunikation und wie nutzen Paare Telekommunikationsmedien speziell in Bindungssituationen? [8]

3. Methode

Die hier vorgestellte Studie basiert auf mündlichen Leitfadeninterviews (3.1), die mittels qualitativer Inhaltsanalyse (3.2) ausgewertet wurden. Die Stichprobe (3.3) besteht aus fünf Paaren. [9]

3.1 Mündliche Leitfadeninterviews

Auf der Basis der theoretischen Vorüberlegungen wurde ein Interview-Leitfaden erstellt mit Fragen zu vier Themenblöcken:

Ergänzend wurden nach dem Interview a) ein Partnerschaftsfragebogen zur Erfassung von fünf Beziehungsdimensionen (Konflikt, Liebe, Altruismus, Sicherheit, Investment; nach BIERHOFF & GRAU, 1999, S.70ff) eingesetzt und b) die Selbstklassifikation der Bindungsstile (DOLL, MENZ & WITTE, 1995) erhoben. [11]

Die Befragungspersonen wurden nach dem Schneeballverfahren rekrutiert, wobei hinsichtlich der Lebensumstände (z.B. Alter, Tätigkeit, Formen des Zusammenlebens) auf Variation geachtet wurde. Zudem wurden nur Paare interviewt, bei denen die Auskunftsbereitschaft beider Partner über das recht intime Thema "Paarkommunikation" gegeben war. Von den Interviews mit einem weiteren Paar wurde wegen ungenügender Bereitschaft zur Auskunft abgesehen. Die Partner wurden getrennt voneinander in ihren Privatwohnungen befragt. Die Interviews dauerten zwischen 40 und 60 Minuten, wurden auf Tonband aufgezeichnet und vollständig transkribiert. Die Namen der Beteiligten wurden pseudonymisiert. [12]

3.2 Qualitative Inhaltsanalyse

Die Auswertung des Materials erfolgte gemäß der qualitativen Inhaltsanalyse nach MAYRING (1997, 2000). Als Auswertungseinheit wurde ein transkribiertes Interview beziehungsweise wurde bei Kategorien, die sich in erster Linie auf das Paar und weniger auf das Individuum bezogen, das Textmaterial beider Partner im Zusammenhang ausgewertet. Zum Beispiel war das bei equitytheoretischen Sachverhalten der Fall, die grundlegend auf Angaben beider Partner im Wechselspiel zu bewerten sind. Als Codiereinheit wurde eine einzelne Aussage (zusammenhängende Sinneinheit) definiert. Bei der Erarbeitung der Analysekategorien wurde ein deduktiv-theoriegeleitetes Vorgehen mit einem induktiv-materialbasierten kombiniert. Es wurden zehn Hauptkategorien herausgearbeitet, anhand derer die Transkripte codiert wurden: (1) Nutzung von Kommunikationsmedien, (2) Kommunikationsgewohnheiten, (3) Koordinierung der Mediennutzung bzw. des Kommunikationsverhaltens, (4) Bilanzierung technisch mediatisierter Kommunikation, (5) Equity, (6) Inequity, (7) Erreichbarkeit per Kommunikationsmedien, (8) erlebtes Kontrollverhalten per Medien, (9) erlebte Eifersucht, die sich per Medien äußert und (10) erlebte Bindungssituationen. Zur Sicherstellung der Intracoder-Reliabilität wurde nach einem Monat eine nochmalige Codierung der zehn Transkripte vorgenommen, wobei keine wesentlichen Differenzen auftraten. Die erhaltenen Ausprägungen der Kategorien wurden entsprechend der theoretischen Fragestellungen betrachtet und auf Effekte untereinander analysiert. [13]

3.3 Stichprobe

An der Interviewstudie nahmen fünf Paare (N=10 Personen) teil. Sie waren im Mittel 23 Jahre alt (Standardabweichung: 5 Jahre). Die durchschnittliche Dauer der aktuellen Paarbeziehung betrug zwei Jahre. Unter den Befragten waren fünf Studenten, zwei Erwerbstätige, zwei Schüler (Gymnasium 12. Klasse) und ein Auszubildender. In Anlehnung an die Unterscheidung von Beziehungsphasen nach LEVINGER (1980) konstatierten die Partner von zwei Beziehungen übereinstimmend, dass sie sich in einer Bestandsphase befinden. Die Partner der anderen drei Paare machten jeweils unterschiedliche Angaben, sie meinten ihre Paarbeziehungen befänden sich in Aufbau-, Bestands- oder Krisenphase. Tabelle 1 zeigt die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Überblick, wobei die Paare nach der Dauer der Beziehung, beginnend mit der am längsten dauernden Beziehung, geordnet wurden.

Paar

Beziehungsdauer

Alter

Tätigkeit

Paar

Phase

Räumliche Distanz

Face-to-Face-Treffen

Maria & Michael

3 Jahre

21
23

Studentin
Azubi

Bestand
Aufbau

450 km

jedes 2./3. Wochenende

Katharina &
Olaf

2,5 Jahre

23
27

Studentin
Student

Bestand

gemeinsamer
Haushalt

täglich

Agnes & Erik

2 Jahre

20
23

Studentin
Student

Bestand

70 km

jedes
Wochenende

Christina &
Andreas

1,5 Jahre

33
28

Erwerbstätig
Erwerbstätig

Aufbau
Bestand

gemeinsamer
Haushalt

täglich

Nicole & Fabian

1 Jahr

18
17

Schülerin
Schüler

Bestand
Krise

10 km

täglich

Tabelle 1: Stichprobenbeschreibung [14]

Zwei Paare lebten im gemeinsamen Haushalt, ein Paar lebte ca. zehn Kilometer getrennt mit fast täglichen Treffen und ein Paar lebte über 70 Kilometer getrennt in einer Wochenendbeziehung. Weiterhin ist in der Studie eine ausgesprochene Fernbeziehung vertreten (Maria & Michael). Über die fünf aktuellen Paarsituationen hinaus konnten weitere Erfahrungen aus der Vergangenheit der Paare erfasst werden. So hatten zwei Paare (Katharina & Olaf sowie Agnes & Erik) wegen Auslandsaufenthalten größere Distanzen erlebt. Ein Paar (Nicole & Fabian) konnte auf eine Trennungsphase zurückblicken, nach der die Beziehung aber erneut aufgenommen worden war. Alle Befragungspersonen besaßen ein Handy, bis auf Michael hatten alle einen Festnetz-Telefonanschluss, und sieben der Interviewten nutzen das Internet auch zur privaten Kommunikation. [15]

4. Ergebnisse

Im Folgenden werden die explorativen Befunde für die Theorie der interpersonalen Medienwahl (4.1), die Austauschtheorie (4.2) und die Bindungstheorie (4.3) vorgestellt. [16]

4.1 Befunde zur Theorie der interpersonalen Medienwahl

Die fünf befragten Paare zeigten in ihrer jeweils aktuellen Beziehungsphase sowie in insgesamt drei berichteten vergangenen Phasen sehr unterschiedliche Nutzungsmuster (siehe Tab. 2). Die Partner nutzen am häufigsten die Kommunikationsmedien SMS, Handy- und Festnetztelefonat zur Kommunikation miteinander; Zettelkommunikation war an gemeinsames Wohnen (durchgängig oder zumindest am Wochenende) gebunden. Die partnerschaftliche Nutzung von Internetmedien, wie E-Mail oder Chat, ging mit allgemein starker Internetnutzung einher.

Befragte Paare und
Beziehungssituation

Handy-Telefonat

Festnetz-Telefonat

SMS

E-Mail

Brief

Chat IM

Zettel

450 km Distanz
Maria & Michael

mind. 2 täglich

selten

5x Woche

selten

selten

/

/

gemeinsamer HaushaltKatharina & Olaf

selten

selten

selten

täglich

selten

/

ja

Auslandsaufenthalt
Katharina & Olaf

oft

1x Woche

täglich

1x Woche

selten

selten

/

70 km Distanz
Agnes & Erik

selten

2x Woche

5x Woche

selten

selten

täglich

ja

Auslandsaufenthalt
Agnes & Erik

selten

täglich

täglich

5x Woche

selten

oft

/

gemeinsamer HaushaltChristina & Andreas

bis 15 täglich

bis 5 täglich

bis 15 täglich

/

/

/

ja

10 km Distanz
Nicole & Fabian

selten

2x Woche

2x täglich

selten

selten

selten

/

Trennungsphase
Nicole & Fabian

/

/

oft

oft

oft

/

/

Tabelle 2: Interpersonale Medienensembles und Nutzungsmuster der 5 Paare in ihren aktuellen sowie in drei vergangenen Beziehungsphasen (Hauptmedien durch Fettdruck hervorgehoben) [17]

Während etwa das zusammenlebende Studentenpaar Katharina (23) und Olaf (27) zum Befragungszeitpunkt viel Zeit in der gemeinsamen Wohnung verbrachte und täglich per E-Mail kommunizierte (über ihr wohnungsinternes Netzwerk, wenn beide ohnehin gerade am Rechner arbeiteten), brachte es das ebenfalls zusammenlebende Versicherungsvertreterpaar Christina und Andreas, dessen Alltag durch starke Berufsmobilität geprägt war, auf bis zu 15 Handy-Telefonate und ebenso viele SMS pro Tag. In den Interviews wurde deutlich, dass beide Partner ihre interpersonale Medienwahl unter anderem an Mobilitätsverläufe im Tagesablauf, an Kostenabwägungen und an Medienpräferenzen anpassten. Bei den befragten Paaren fanden sich typischerweise je ein bis zwei hinsichtlich Häufigkeit und Bedeutung dominante Kontaktmedien. [18]

Sowohl zusammenlebende Paare mit hoher Mobilität wie die befragten Versicherungsvertreter als auch Fernbeziehungspaare begleiteten einander mit mediatisierten Kontakten teilweise regelrecht durch den Tag, wie dies Maria (21) und Michael (23) taten (450 km Distanz):

"Meistens weck ich ihn per Telefon, so um 6, halb 7, weil er immer Angst hat, dass er verschläft. Dann geh ich an die Uni bis abends, da schreiben wir uns vielleicht mal ne SMS, oder so. Abends telefonieren wir meistens, da erzählt jeder so, was er am Tag erlebt hat und dann rufen wir uns noch einmal kurz zum Gute-Nacht-Sagen an." (22-28) [19]

Einen Ritualisierungscharakter haben insbesondere mediatisierte "Guten Morgen"- und "Gute Nacht"-Kontakte. Bei den zwei befragten Fernbeziehungspaaren hatte sich jeweils ein Hauptkontakt (im Sinne von Medienwahl und Zeitpunkt für ausführlichen Austausch) etabliert als Ergebnis eines Koordinierungsprozesses, der auch die Abwägung differierender Mediennutzungspräferenzen beinhaltet. So hatte sich beispielsweise bei Agnes (20) und Erik (23), die in einer Wochenendbeziehung leben und beide starke Internet-Nutzer sind, eine annähernd täglich stattfindende abendliche Chat-Kommunikation entwickelt. Agnes bevorzugte ursprünglich die Kommunikation per Festnetztelefonat, aber sie war mittlerweile auch mit dem ICQ-Chat mit Erik zufrieden und empfand ihn als durchaus hochwertiges Medium auch für Beziehungsfragen. Diese Einstellungsänderung war bedingt durch ihr gewonnenes Wissen über Eriks Kommunikations- und Mediennutzungsverhalten: "Telefonieren funktioniert bei ihm nicht wirklich, weil Erik nicht so gern am Telefon redet. [...] Ich denke Erik kann sich schriftlich besser ausdrücken. Ich denke er kann manche Sachen schriftlich einfach * besser sagen." (84, 167). Erik ist sich bewusst, dass Agnes auch sehr gern mit ihm telefoniert. So kommt es – man kann es als Kompromiss bei der interpersonalen Medienwahl interpretieren – mindestens einmal wöchentlich auch zu einem Telefonat zwischen den Partnern (siehe oben Tab. 2). [20]

4.2 Befunde zur Austauschtheorie

Von den fünf befragten Paaren berichteten vier, dass sie Medienkontakte bilanzieren und ihnen dabei Equity wichtig ist (siehe Tab. 3). Dasjenige Paar (Agnes und Erik), für das telekommunikative Equity keine Rolle spielte (Agnes: "Ich sehe das nicht so." [333]; "Ich hasse so was [Bilanzierung]" [340]), zeigte gleichzeitig anhand der Investment-Skala (vgl. 3.1) ein sehr geringes Engagement für die Beziehung: Wenn ohnehin nur wenig gegeben und genommen wird, spielt Bilanzierung offensichtlich auch keine große Rolle. Diejenigen Befragten, die mehr in ihre Paarbeziehungen investierten, behandelten mediale Botschaften teilweise sehr explizit als Ressourcen: Sie sammelten Briefe und Zettel voneinander, archivierten E-Mails und druckten sie aus oder schrieben sich SMS-Botschaften aus dem Handy in ein Heft ab, um sie aufzubewahren. Die medialen Botschaften wurden dabei insbesondere als emotionale Ressourcen (Ausdruck von Zuwendung und Zuneigung des Partners) aufgefasst.

Befragte Paare

Bilanzierung der Medienkontakte

Medien der bilanzierten Kommunikation

Bedeutung von Equity

Erlebte Inequity

Investment in der Beziehung

Maria

+

SMS, Handytelefonat,

++

+

6,6

Michael

+

Brief

++

+

7,0

Katharina

+

SMS, Handy- &

++

+

5,6

Olaf

+

Festnetztelefonat, E-Mail

++

-

5,2

Agnes

-

/

-

-

3,4

Erik

-

 

-

-

1,6

Christina

+

SMS, Handy- &

++

-

8,6

Andreas

+

Festnetztelefonat

+

+

7,7

Nicole

+

SMS,

+

-

2,4

Fabian

+

Festnetztelefonat

+

-

3,0

Tabelle 3: Mediatisierter Paarkommunikation als Ressourcenaustausch (Bilanzierung der Medienkontakte: ja+/nein-; Medien der bilanzierten Kommunikation, Bedeutung von Equity: wichtig++/weniger wichtig+/irrelevant-; erlebte Inequity: ja+/nein-; Beziehungsinvestment: Min=1, Max=9) [21]

Während sechs Befragte keine Erfahrungen mit Inequity in der partnerschaftlichen Medienkommunikation gemacht hatten (z.B. Fabian: "Ich finde es sehr ausgeglichen" [218]), schilderten vier Partner ihre Erfahrungen mit ungleichem Austausch. Die erlebte Inequity in der medialen Kommunikation wurde von den befragten Paaren unterschiedlich bearbeitet. So kann Unausgewogenheit bei Telefonaten einerseits psychologisch problematisch sein als Indikator asymmetrischen Engagements oder aktueller Krise (Katharina und Olaf), sie kann aber auch wegen ungleicher Kostenbelastung zum Thema werden, was z.B. Maria und Michael durch dezidiertes Abwechseln bei den Anrufen ausräumten. Inequity kann aufgrund unterschiedlicher Medienpräferenzen entstehen, so beklagten fast alle befragten Frauen, dass eine ausgewogene Briefkommunikation mit ihren Partnern nicht möglich war, obwohl sie den postalischen Brief als sehr wertvolle Ressource einstuften. Um die durch "Schreibfaulheit" ihres Partners entstandene Unausgewogenheit bei der Briefkommunikation zu eliminieren, reduzierte etwa Maria (21) bewusst ihre eigene Briefproduktion. Sie vollzog dieses Verhalten wie folgt nach:

"Weil es zu unregelmäßig ist [das Briefeschreiben]. Also, wenn er immer schreiben würde, wäre es schön, würde es schon gehen. [...] Für mich ist es aber doof, wenn nichts zurückkommt. [...] Ich bin da auch nicht böse, aber da vergeht mir dann die Lust dran noch mal zu schreiben, wenn ich genau weiß, da kommt ja eh nichts zurück." (138-144) [22]

Es zeigte sich, dass vor allem die Zufriedenheit und Fairness der Nutzung des partnerschaftlichen Hauptmediums (siehe oben Tabelle 2) Einfluss auf die empfundene Equity bei der Medienkommunikation hat. Wie sensibel die Partner auf Inequity reagieren bzw. ob sie überhaupt Inequity empfinden, ist insgesamt sehr unterschiedlich einzuschätzen. Nicole (18) zum Beispiel meinte, dass sie über kleine Differenzen bei SMS und Anrufen hinweg sieht:

"Ich sage mal, wenn es über längere Zeit so wäre, dann ist das schon so, dass man das auch vielleicht vermisst. * Aber meistens denkt man dann daran, dass der andere vielleicht gerade sehr beschäftigt ist oder einfach gerade keine Zeit hat." (236) [23]

Eine dauerhafte Unausgewogenheit bei den medialen Botschaften und Kontaktversuchen würde sie jedoch nicht akzeptieren: "Ich glaub, dass das auch nicht großartig, ich sage mal, Zukunft hätte, weil das nur so einseitig ist" (242). Es scheint lohnend, den Zusammenhängen zwischen Medien-Equity und der Bearbeitung von Medien-Inequity einerseits sowie der Beziehungszufriedenheit andererseits genauer nachzugehen. [24]

4.3 Befunde zur Bindungstheorie

Die Befragten wurden gemäß ihrem Bindungsstil eingestuft (vgl. 3.1), zudem wurden die subjektive Bedeutung von medialer Erreichbarkeit, das Auftreten von Kontrolle und Eifersucht in der Paarbeziehung sowie die Häufigkeit von persönlichen und mediatisierten Kontakten der Paare erfasst (siehe Tab. 4). Interessanterweise zeigte sich eine große Varianz hinsichtlich der Bedeutung von durchgängiger medialer Erreichbarkeit des Partners, auch über einen Bindungsstil hinweg. Von den sicher gebundenen Befragten wurde die Bedeutung medialer Erreichbarkeit des Partners sowohl

Drei Paare stimmten trotz unterschiedlicher Bindungsstile in ihren Erreichbarkeitserwartungen überein. Bei zwei Paaren waren die Erreichbarkeitserwartungen unterschiedlich und vor allem bei einem Partner ambivalent (Ankerzitat: "Das ist so eine Sache mit dem Handy: Auf der einen Seite möchte ich das Ding nicht missen [...] Aber auf der anderen Seite, manchmal ist es eben auch so, da nervt es einfach nur").

 

Bindungsstil

Bedeutung Erreichbarkeit

Kontrolle

Eifersucht

Face-to-face Kontakt

Mediatisierter Kontakt

Maria

Michael

sicher

sicher

groß

groß

+

+

jedes 2./3. Wochenende

mehrmals
täglich

Katharina

Olaf

ängstlich

sicher

mittel

mittel

+

+

täglich

täglich

Agnes

Erik

ängstlich

sicher

gering

gering

-

-

jedes
Wochenende

täglich

Christina

Andreas

Besitz-ergreifend

ängstlich

groß

ambivalent

+

+

täglich

mehrmals
täglich

Nicole

Fabian

abweisend

sicher

mittel

ambivalent

-

+

täglich

täglich

Tabelle 4: Mediatisierte Paarkommunikation und Bindungsstile (Bedeutung medialer Erreichbarkeit, Kontrolle (aufgetreten+; nicht aufgetreten-), Eifersucht (aufgetreten+; nicht aufgetreten-), Häufigkeiten von face-to-face und mediatisierten Kontakten) [26]

Die Zusammenhänge zwischen Bindungsstil (bzw. der Kombination der Bindungsstile beider Partner) einerseits und den Kommunikationsmerkmalen der Paare andererseits sind offensichtlich recht komplex. Es wird deutlich, dass auch die Form des Zusammenlebens und damit einhergehend die Häufigkeit persönlichen Kontakts die Ausprägungen der technisch mediatisierten Kommunikation beeinflussen. So wird in der Beziehung zwischen Maria und Michael, die als einziges der fünf befragten Paare eine optimale "sicher-sicher"-Bindung haben, das negative Erleben von Eifersucht und wechselseitiger Kontrolle bei der Telekommunikation vor allem durch die Bedingungen der Fernbeziehung gesteigert. [27]

Mit Christina (33) und Andreas (28) konnte eine Paarbeziehung mit der Kombination von besitzergreifendem und ängstlichem Bindungsstil untersucht werden. Dies spiegelte sich in sehr starkem Kommunikationsverhalten, das insbesondere von Christina forciert wurde. Andreas, dessen ängstlicher Bindungsstil auch im Zusammenhang mit einem ambivalenten Verhältnis zur Erreichbarkeit zu sehen ist, konnte ihre häufigen Anrufe manchmal nicht nachvollziehen: "Ich überlege auch meistens bevor ich anrufe. [...] Das mach' ich eigentlich schon recht rigoros. Das macht sie gar nicht, da wird eben los telefoniert ..." (190-192). Im Vergleich hierzu machten die Aussagen Christinas zur Bedeutung von Erreichbarkeit und des häufigen Kontaktes deutlich, dass die Sichtweisen beider Partner auf die gemeinsame Telefon-Kommunikation durchaus verschieden waren. Christina fühlte sich wohl mit dem extrem häufigen Kontakt und war sich auch kaum bewusst, dass Andreas dies teilweise übertrieben fand: "Es ist so, wenn etwas Aktuelles entsteht oder anliegt, telefonieren wir sofort zusammen. [...] Also ich bin innerhalb von einer Sekunde am Telefon. [...] Und so ist eigentlich immer Kontakt. Also unsere Rechnung ist sehr hoch" (38-42). Inwieweit divergierende Wahrnehmungen der mediatisierten Paarkommunikation durch verschiedene Bindungsstile beziehungsweise eine bestimmte Konstellation von Bindungsstilen, durch einen möglicherweise unzureichenden Koordinierungsprozess des Mediennutzungs- und Kommunikationsverhaltens (vgl. 4.3) und/oder durch weitere Faktoren bedingt sind, bleibt zu klären. [28]

Von den zehn Befragungspersonen berichteten sieben von selbst erlebten Bindungssituationen und zwei Personen von Bindungsverhalten ihres Partners. Insgesamt konnten aus den zehn Interviews zwölf ausführlich geschilderte Bindungssituationen extrahiert und analysiert werden (siehe Tab. 5). Wichtigster Befund ist, dass insbesondere mobile Kommunikation in Bindungssituationen genutzt wird. Bei allen Bindungssituationen, in denen ein sofortiges Bindungsverhalten folgte, wurden Handytelefonat und/oder SMS genutzt. Ebenfalls zeichnet sich ab, dass die Stärke der Belastung mit einer frühzeitigen Äußerung des Bindungsverhaltens einhergeht. Eine Klassifikation von Bindungssituationen steht aus.

Person

Medium

Zeitpunkt

Anlass / Zitat

Maria

Handy-telefonat

sofort

Albtraum

"Ich träume z.B. oft, dass er mich betrügt, das träum ich ganz oft. Ich denke mal das ist auch durch die Entfernung […] Und wenn ich so was träume, dann ruf ich ihn sofort an. Und er hört mir zu und sagt 'ach komm, schlaf!'" (237)

Michael

Handy-telefonat

sobald Zeit war

Konflikt am Arbeitsplatz

"Es gab auch ein, zwei Situationen, wo ich mit meinem Chef aneinander geraten bin, wo ich auch verzweifelt war und der Meinung, dass das nicht gerechtfertigt ist, und da hab ich sie halt angerufen und hab sie gefragt, was sie davon hält usw." (172)

Michael

Handy-telefonat

sofort

Heimweh

"Dann hatte ich auch richtig Heimweh und so und da wollte ich sie hören und auch getröstet werden." (170)

Katharina

Handy-telefonat

sofort

Sorge um Partner, Mountainbike-Tour

"Weil ich eben wissen wollte, was los ist. Er hatte ja mit dem Handy angerufen und ich wusste, er ist mit dem Fahrrad unterwegs. Ich dachte halt es ist was passiert." (275)

Katharina

Handy-telefonat

sofort

Briefe der Ex-Freundin

"Da habe ich mich über was aufgeregt, was ich gefunden hatte. Das lag unter dem Bett, so eine Kiste mit Fotos von seiner Ex-Freundin." (127)

Olaf

E-Mail

?

Angst vor Betrug (geschildert von Katharina)

"Einmal hat Olaf mir eine Mail geschrieben. Da war er ziemlich sauer, weil, er hatte sich in was rein gesteigert, dass ich ihn betrügen würde." (127)

Erik

Festnetz-telefonat

ritualisiert

räumliche Trennung

"Damals als sie noch in Stuttgart studiert hat, da waren wir ja so regelmäßig zwei bis drei Wochen getrennt, da haben wir uns öfter angerufen." (99)

Christina

Handy-telefonat

sobald Zeit war

Konflikt am Arbeitsplatz

"Das ist einfach so dieses Loswerden. Dich hat ein Kunde beschimpft, "Du schlimmer Hecht" oder was weiß ich. Das gibt es, ja. Und das ist dann schon sehr angenehm, wenn man das mal abladen kann: 'Stell dir mal vor...' Das muss sofort raus." (275-277)

Christina

Festnetz-telefonat

sobald Zeit war

Sorge um Sicherheit der Tochter

"Die letzte Situation war, dass ich erfahren habe, dass meine Tochter nicht mehr krankenversichert ist. […] Und das war eigentlich für mich eine ganz dolle Stresssituation. Da habe ich sofort angerufen. […] Das musste ich loswerden." (281-287)

Nicole

SMS

Nachfrage des Partners

Fahrschulprüfung nicht bestanden (geschildert von Fabian)

"Da hatte sie Fahrprüfung, theoretische Fahrprüfung. Und sie hatte halt nicht bestanden. Da hat sie dann erzählt, dass es nichts geworden ist, aber erst nachdem ich sie darauf angesprochen hatte." (168)

Nicole

SMS + Handy-telefonat

sofort

Treffen des Partners mit Ex-Freundin (geschildert von Fabian)

"Da war ich halt dort und da hat sie halt auch angerufen und geschrieben und wollte wissen, was mir machen." (226)

Fabian

Festnetz-telefonat

sobald Zeit war

Eigene Krankheit

"Da habe ich sie halt angerufen und ihr erzählt, dass es mir nicht so gut ging. Und sie hat mich halt getröstet und so und so erzählt." (162)

Tabelle 5: Mediatisiertes Bindungsverhalten (Kommunikationsmedium, Zeitpunkt der Äußerung und Anlass mit Ankerzitat) [29]

Deutlich wurde, dass technisch mediatisiertes Bindungsverhalten oft eine erfolgreiche Lösung der Situation bewirken kann. Entscheidend hierfür ist sowohl, dass die Belastung trotz räumlicher Trennung kommuniziert wird und der Partner in der vom Belasteten gewünschten Weise verständnisvoll und aufmerksam reagiert, wie Michael dies beispielsweise bei seiner Freundin erlebte:

"Es gab auch ein, zwei Situationen, wo ich mit meinem Chef aneinander geraten bin, wo ich auch verzweifelt war und der Meinung, dass das nicht gerechtfertigt ist, und da hab ich sie halt angerufen und hab sie gefragt, was sie davon hält und so weiter. Wenn ich es ihr erzählt hatte, ging's mir wieder gut, da hatte ich das auf jemand anderen abgeladen. [...] Sie hört selbstverständlich zu und hat auch Verständnis und kann mir vielleicht nicht immer einen guten Rat geben. Aber für mich ist es hauptsächlich wichtig, dass ich mich mitgeteilt habe, dass der Mensch, der mir am Herzen liegt, weiß wie ich mich fühle im Moment und sich damit auch auseinandersetzten kann." (172-176) [30]

Von den in Tabelle 5 beschriebenen Bindungssituationen wurden die meisten (zehn von zwölf) durch das technisch mediatisierte Bindungsverhalten gegenüber dem Partner erfolgreich bewältigt und als beziehungsstärkend erlebt. Dazu trugen auch die Eigenschaften der Kommunikationsmedien bei: So ermöglicht insbesondere das Handytelefonat ortsunabhängige Kommunikation mit der Möglichkeit zu direktem Feedback durch den Partner. Allerdings kann Mobilkommunikation nicht nur bei der Bewältigung von Bindungssituationen helfen, sondern diese manchmal auch erzeugen: Wenn die normalerweise gewährleistete Erreichbarkeit plötzlich nicht gegeben ist (z.B. auf Grund technischer Probleme wie entladener Akku, Funkloch oder Handy nicht mitgenommen) entstehen Sorge, Angst und Stress, weil die Gegenseite die Situation nicht einordnen kann. Katharina (23) und Olaf (27) schilderten ein solches Erlebnis: Olaf war zu einer kurzen Mountainbike-Tour in den Wald aufgebrochen und zum angekündigten Zeitpunkt nicht zurück. Katharina erhielt dann einen Handy-Anruf von ihm:

"Ich habe nur bruchstückhaft etwas verstanden, so als ob jemand keinen Empfang hat. Dann hat das Telefon noch mal geklingelt, ich bin wieder ran und habe immer nur gesagt 'Olaf, ich versteh dich nicht, ich versteh dich nicht'. Dann war Ruhe. Dann hab ich hier ungefähr 25 Mal, wir hatten es auf der Abrechnung drauf, ich glaube ich habe 25 Mal versucht ihn anzurufen und hatte jedes Mal die nur Mailbox dran. Weil ich eben wissen wollte, was los ist. Er hatte ja mit dem Handy angerufen und ich wusste, er ist mit dem Fahrrad unterwegs. Ich dachte halt es ist was passiert. Da macht man sich ja die schlimmsten Gedanken. Liegt er da irgendwo und kann nur mit letzter Kraft sein Handy bedienen. Dann dachte ich mir, gut, er ist im Wald und hat keinen Empfang, er musste aber irgendwann auch wieder an eine Stelle kommen, wo er Empfang hatte. Das zog sich nun und zog sich. Es wurde um vier, es wurde um fünf, halb sechs. Ich saß hier rum und wusste nicht, was ich machen sollte. Dann hatte ich schon überlegt, kurz vor Sechs, du rufst jetzt die Polizei an, die sollen die Bergwacht los schicken ..." (275) [31]

Olaf war währenddessen nichts dergleichen passiert. Er beschrieb die Situation im Interview aus seiner Sicht:

"Ich wollte eigentlich nur Bescheid sagen, dass das ein bisschen länger dauert. Ich hatte mich ein bisschen in der Zeit verkalkuliert. Aber, weil bei E-Plus, da ist so ein 'geiler' Empfang im Wald, da ging das ziemlich in die Hose, dass da überhaupt keine Verbindung zu Stande kam." (46). [32]

Bei Bindungssituationen, die durch fehlende Möglichkeit zu mediatisierter oder persönlicher Kommunikation entstehen beziehungsweise verstärkt werden, scheint es unter anderem vom Bindungsstil abzuhängen, wie mit solchen – in den Interviews sehr dramatisch geschilderten – Erreichbarkeitskrisen umgegangen wird: Ein ängstlicher oder besitzergreifender Typ wird vermutlich eher eine Bedrohung vermuten als ein sicherer Bindungstyp. [33]

5. Fazit

Paarkommunikation ist in wachsendem Maße technisch mediatisierte Kommunikation und vor allem auch Mobilkommunikation (vgl. KATZ & AAKHUS, 2002). Dabei stehen Paare vor der Anforderung, gemäß interpersonaler Medienwahl jeweils ein gemeinsames Medienensemble und Nutzungsmuster zu entwickeln. Dies schließt etwa die Etablierung von regelmäßigen oder sogar ritualisierten Hauptkontakten ein. Mediale Botschaften werden in Paarbeziehungen gemäß Austausch- und Equitytheorie laut Auskunft der Befragten tatsächlich als Ressourcen behandelt, teilweise archiviert und bilanziert, wobei der postalische Brief als besonders wertvolle Ressource eingestuft wird. Unausgewogenheit bei der mediatisierten Paarkommunikation wird als beziehungskritisch wahrgenommen und unterschiedlich bearbeitet. Die Zusammenhänge zwischen Bindungsstil, der Bedeutung von medialer Erreichbarkeit sowie Phänomenen von mediatisiert geäußerter Kontrolle und Eifersucht scheinen sehr komplex zu sein. Deutlich ist jedoch die Bedeutung der Telekommunikation in unterschiedlichen Bindungssituationen. Es stellte sich heraus, dass insbesondere die Mobilkommunikation durch technische Erreichbarkeitsstörungen auch neue Bindungssituationen erzeugt. [34]

Die vorliegende Studie exploriert Telekommunikation im Beziehungskontext – eine integrative Herangehensweise, die bislang sowohl in der Kommunikationswissenschaft als auch in der Beziehungsforschung vernachlässigt wurde (vgl. HIRTE, 2000). Die qualitative Methode ermöglichte es durch die gründliche Erfassung und Analyse verschiedener Einzelfälle, das bisher kaum beachtete Forschungsfeld zu erkunden. Eine systematische Betrachtung anderer Fälle (z.B. ältere Paare, Paare mit längerer Beziehungsdauer usw.) ist wünschenswert. Weitere Ansatzpunkte für qualitative und quantitative Folgestudien werden deutlich: So ist etwa eine Klassifikation von Bindungssituationen zu erarbeiten, so dass der Stellenwert mediatisierter Kommunikation sowohl bei der Bewältigung als auch bei der Erzeugung entsprechender Situationen transparent wird. Auch sind die Querbezüge zwischen den einzelnen Ansätzen zu elaborieren: Die Behandlung von Medienbotschaften als Ressourcen, die z.B. auch aktiv archiviert werden (z.B. Ausdrucken von E-Mails, Abschreiben von SMS), lässt kommunikative Equity oder Inequity sichtbarer werden, gleichzeitig werden entsprechende Ressourcen auch wiederum in Bindungssituationen genutzt (z.B. Rezeption der archivierten Botschaften in Situationen von Trennung, Kummer oder Einsamkeit). Schließlich weist das Thema neben der grundlagenwissenschaftlichen Bedeutung auch erhebliche Praxisrelevanz auf: Erfolgreiche mediatisierte Paarkommunikation lässt sich als Spezialfall von Medienkompetenz auffassen. Zudem ist es für Medienanbieter im Zusammenhang mit Produktentwicklung und Marketing von Relevanz, paarspezifische Nutzungsmuster zu kennen. [35]

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Zu den Autorinnen

Nicola DÖRING, Dr. phil., Dipl.-Psych., arbeitet als wissenschaftliche Assistentin am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft (IfMK) der TU Ilmenau. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören soziale Aspekte der technisch mediatisierten Kommunikation, insbesondere der Online- und Mobil-Kommunikation. Nicola DÖRING hat in FQS bereits in einer Sammelrezension "Soziale Netzwerke und Internet-Spielewelten" und "Soziale Identifikation mit virtuellen Gemeinschaften" besprochen, sowie Geschlechterforschung und qualitative Methoden und Technogene Nähe.

Kontakt:

Dr. Nicola Döring

TU Ilmenau, Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft
PF 10 05 65
D-98684 Ilmenau

E-Mail: mail@nicola-doering.de
URL: http://www.nicola-doering.de/

 

Christine DIETMAR, Dipl.-Medienwiss., ist Doktorandin am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft (IfMK) der TU Ilmenau und Stipendiatin der Thüringer Landesgraduiertenförderung. In ihrer Dissertation untersucht sie technisch mediatisierte Kommunikation in Paarbeziehung.

Kontakt:

Dipl.-Medienwiss. Christine Dietmar

Stauffenbergallee 34
D-99085 Erfurt

E-Mail: cdietmar@gmx.de

Zitation

Döring, Nicola & Dietmar, Christine (2003). Mediatisierte Paarkommunikation: Ansätze zur theoretischen Modellierung und erste qualitative Befunde [35 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 4(3), Art. 2, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs030320.

Revised 6/2008

Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research (FQS)

ISSN 1438-5627

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