Volume 4, No. 2, Art. 31 – Mai 2003

"Ihretwegen bin ich invalide!" – Einige methodologische Reflexionen über die Grenzen verbaler Datengewinnung und Datenauswertung und der Versuch, aus dem Erkenntnispotential ethnopsychoanalytischer Konzepte zu schöpfen1)

Silvia Heizmann

Zusammenfassung: Anhand eines Fallbeispieles aus einer Schweizer Working Poor-Studie setzt sich die Autorin mit einem Interview auseinander, das sie zunächst als misslungen betrachtete, weil sie dessen verbalen Informationsgehalt als eher "mager" einschätzte. Durch die ethnopsychoanalytische Orientierung am Konzept der Irritation sind zwei weitere Ebenen ins Blickfeld gerückt, die nebst dem Wort als Erkenntnisquelle herangezogen werden: Während des Interviews traten starke Gefühle auf, und auf der Inszenierungsebene geschah Auffälliges. Die Autorin hatte zunehmend den Eindruck, dass es gerade bei diesem Fallbeispiel von entscheidender Bedeutung ist, das verbal Geäußerte mit dem nicht verbal Inszenierten und emotional Übertragenen in Beziehung zu setzen und zusammen zu denken. Die Interviews wurden im Rahmen der Studie objektiv hermeneutisch ausgewertet, wobei die Erlebensdimension – sowohl der Forschenden wie der Beforschten – völlig außer Acht gelassen wird. Im Zentrum des Artikels steht die Frage nach dem Erkenntnisgewinn durch explizit eingesetzte Subjektivität, wie das DEVEREUX als neues Paradigma in die Sozialwissenschaften eingeführt und die Zürcher Schule weiterentwickelt hat.

Keywords: Ethnopsychoanalyse, Subjektivität, Epistemologie, Reflexivität, objektive Hermeneutik, Working Poor

Inhaltsverzeichnis

1. Ausgangslage: Irritationen

1.1 Das Konzept der Irritation

1.2 Erste Irritation: Ein "mageres" Interview

1.3 Zweite Irritation: Erste Erfahrungen in der Interpretationsgruppe

2. Fallbeschreibung

2.1 Verbale Daten – Argumentationslücken: terra incognita

2.2 Inter-Agierte Daten – Nicht Gesagtes, Unsagbares und Un-Erhörtes

2.2.1 Inszenierungen

2.2.2 Übertragungen

3. Auswertungen

3.1 Objektive Hermeneutik: Strukturhypothese

3.2 Ethnopsychoanalytisches: Inszeniertes und Übertragenes

3.3 Zusammenfassend

Anhang

Anmerkungen

Literatur

Zur Autorin

Zitation

 

"Im Anfang war das Wort."
(Johannesevangelium, Anfangssatz)

"Im Anfang war die Tat."
(Freud, Schlusssatz von Totem und Tabu)

1. Ausgangslage: Irritationen

Im Rahmen eines schweizerischen Nationalfonds-Projektes (NFP 45 "Probleme des Sozialstaates", http://www.sozialstaat.ch/d/sicherheit/maeder_u.html) über "Working Poor in der Schweiz: Wege aus der Sozialhilfe" (2000 – 2002) wurden vertiefende Interviews durchgeführt, in denen es darum ging, die subjektive Perspektive von Menschen zu verstehen, die trotz regelmäßigen Erwerbseinkommens auf Sozialhilfe angewiesen sind. Ich beteiligte mich am qualitativen Teil der Studie, insbesondere weil ich die vorgesehene Auswertungsmethode, die objektive Hermeneutik, besser kennen lernen wollte. Allerdings tauchten bald verschiedentlich Irritationen auf und durch das Innehalten und Nachdenken über dieses mehrfache "Stolpern" hat sich etwas Neues entwickelt, das ich nun darlegen möchte. Die folgenden methodologischen Reflexionen und Analyseschritte sind ohne vorhergehende Absicht alleine aus den Fragen dieses Projektrahmens und einem schon bestehenden von mir durchgeführten narrativ und problemzentriert orientierten Interview heraus entstanden. [1]

Ich werde zunächst das Konzept der Irritation vorstellen (Abschnitt 1.1) und in einer ersten Anwendung zwei zentrale Irritationen thematisieren, die zum Ausgangspunkt für die weiteren Überlegungen geworden sind: Auf der einen Seite die "verbale Magerkeit" und emotionale Intensität eines Interviews (Abschnitt 1.2) und auf der anderen Seite die erlebte Zwiespältigkeit während des Interpretationsvorganges der Auswertungsgruppe und das Bemerken von methodologischen Widersprüchlichkeiten (Abschnitt 1.3). Angeregt durch diese Ausgangslage, und die Forschungsfrage nach der subjektiven Betroffenheit der Interviewten fokussierend, stellten sich mir grundsätzliche Fragen zur Methodik, aus denen zunehmend das Bedürfnis und die Lust entstanden ist, eigene methodische Vorstellungen konkret an besagtem Beispiel auszuprobieren. Was ergibt sich aus demselben Material durch Anwendung verschiedener Auswertungstechniken? Das Instrument einer "floatenden" subjektiven Irritierbarkeit wende ich von diesem Moment an gezielt im Sinne der im theoretischen Teil beschriebenen ethnopsychoanalytischen Forschungshaltung auf verschiedenen Ebenen des weiteren Forschungsprozesses an. Dies betrifft also nicht nur das Interviewmanuskript, sondern auch Agitationen und Interaktionen im und rund um dieses Projekt. [2]

Die Ausgangslage dieses Artikels war zwar wohl geprägt von der Idee eines Vergleiches zweier Auswertungsinstrumente, es handelt sich schlussendlich aber nicht um einen Methodenvergleich. Durch wiederholte Auseinandersetzung mit dem Material hat sich der Schwerpunkt meiner Überlegungen zunehmend auf ethnopsychoanalytische Konzepte verlagert und die folgende Darstellung ist einerseits zum systematischen Nachzeichnen der Irritationen und Skizzieren ihrer Erkenntnispotentiale am konkreten Fallbeispiel und andererseits zur detailreichen Zusammenstellung der zugrunde liegenden theoretischen und methodisch-technischen Instrumente geworden. Entsprechend der breiten Forschungshaltung gehen auch die Ergebnisse teilweise über den engeren Rahmen des besprochenen Falles hinaus und haben die Gestalt von Denkanregungen und kritischen Bemerkungen, was die Aussagekraft der andiskutierten theoretischen und praktischen Punkte jedoch keineswegs entschärft. [3]

Eine erste Analyse der transkribierten verbalen Daten zeigt Irritationen hinsichtlich der Argumentationslogik auf: so genannte Argumentationslücken. Eine weitere Durchsicht des Rohmaterials zeigt, dass ein zentraler Punkt vom interviewten Paar nicht thematisiert wird: die eigene Befindlichkeit (Abschnitt 2.1). Diese in die Argumentationslücken gefallene Befindlichkeit wird aber um so stärker agiert; anstatt über Gefühle zu sprechen, werden diese direkt ausgeübt, inszeniert und übertragen. Die nähere Betrachtung des Inszenierungs- und Übertragungsgeschehens ergibt einerseits neue, eigentlich überhaupt erst Antworten auf die Forschungsfrage nach der Betroffenheitsperspektive (Abschnitt 2.2 und 3.2). Zudem können aufgrund dieser nicht verbalen Daten wichtige Hinweise – nicht nur – für die sozialarbeiterische Berufspraxis gewonnen werden. Grundsätzliche methodologische Fragen werden durch die Reflexion erkenntnistheoretischer Hintergründe aufgeworfen (Abschnitt 1 und 3.3). [4]

1.1 Das Konzept der Irritation

Meine Überlegungen gründen auf dem Hintergrund einer ethnopsychoanalytischen Denkweise, deren Grundprinzip die Anerkennung und der explizite Einsatz der eigenen Subjektivität ist. Der Fokus wird dabei auf die Tatsache gerichtet, dass sozialwissenschaftliche Daten sich in sozialen Interaktionen abspielen; die Beziehung zwischen den untersuchenden und den untersuchten Subjekten wird befragt, weil davon ausgegangen wird, dass die Gestaltung der Forschungsbeziehung und das gegenseitige sich Einlassen Einfluss auf die Beschaffenheit der Informationen nimmt. DEVEREUX hat solche subjektiven, aktiven und vor allem unbewussten Einflüsse in Forschungsprozessen beschrieben und deren paradigmatische Bedeutung diskutiert.2) Subjektivität und der damit eng verflochtene "brodelnde Kessel" des Es, in dem die "logischen Denkgesetze nicht mehr Das Konzept der Irritation"3) betrachtete er nicht als "Störung", sondern – in Anlehnung an FREUD – als "via regia", als Königsweg zum Wissen, als grundlegendes Erkenntnismittel, deren Ausklammern nur zu Realitätsverzerrungen und Entstellungen führen würde. Mit seiner Forderung nach einem Wechsel des Blickpunktes von der befragten zur forschenden Person schafft DEVEREUX eine neue epistemologische Ausgangslage für die Sozialwissenschaften.4) Diese Reflexion der Forschungsgrundlagen und Erkenntnisbedingungen erinnert an die menschliche Involviertheit in wissenschaftlichem Arbeiten und an die eigenen Wissensgrenzen und setzt gewissermaßen das KANT'sche Aufklärungsprojekt, das "Geschäft der Selbsterkenntnis" fort (KANT, KrV, A XI). KANT hatte im Vorfeld seiner Untersuchung über die Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis eine "Umänderung der Denkart", die so genannte kopernikanische Revolution5) vollzogen, in der sich ebenfalls eine Verschiebung vom Objekt zum Erkenntnissubjekt vollzog und das Subjekt zum Kriterium für Objektivität wurde – allerdings nur auf Vernunftebene. [5]

Das Hauptinstrument für die Reflexion des Einflusses der Forscherin ist die Berücksichtigung der Gegenübertragung, die DEVEREUX als zentrales Phänomen und entscheidendes Datum jeglicher Sozialwissenschaft betrachtet. Mittels der Gegenübertragung kann Unbewusstes erkenn- und analysierbar werden. DEVEREUX bezieht sich auf FREUD, der mit der Übertragung einen Prozess beschrieben hat, der in allen Interaktionen stattfindet, und den dieser zunächst als "Hindernis" und später als "Hebel" für Erkenntnisgewinnung in der psychoanalytischen Situation bezeichnete.6) [6]

Mit Übertragung wird klassisch-psychoanalytisch die unbewusste Wiederholung konflikthafter, meist sehr früh und in der Familie geprägter Beziehungsformen (Eltern- und Geschwisterrollen) seitens der AnalysandInnen bezeichnet. Diese Sicht wurde ethnopsychoanalytisch erweitert, indem auch das Übertragen "historisch erfahrener sozialer Machtverhältnisse und institutioneller Rollen" und "kultureller Interaktionsmuster" seitens der Untersuchten miteinbezogen wurde.7) Von innerpsychischen Umgangsweisen kann dann nicht nur auf individuelle subjektive Sinngebung, sondern auch auf latente Strukturen der Gesellschaft geschlossen werden.8) [7]

Gegenübertragung meint die unbewussten emotionalen Reaktionen auf das Gesprächsgegenüber und insbesondere auf dessen Übertragungen, meint die persönliche affektive Verstrickung mit dem Forschungsgegenstand. "Auch das logischste und wissenschaftlichste Gedankensystem hat seine subjektive Bedeutung für das Unbewusste der Person, die es entwickelt oder annimmt", so DEVEREUX (1984, S.41). Gegenübertragungsreaktionen produzieren Irritationen und Störungen im Prozess der Wahrnehmung und beeinflussen Wissenskonstruktion und Theoriebildung. DEVEREUX ging davon aus, dass der Forschungsgegenstand und der Kontakt mit dem Fremden immer auch eine mögliche Konfrontation mit eigenem Verdrängten beinhaltet und deshalb Ängste auslösen kann, welche sich dann in den wissenschaftlichen Methoden niederschlagen. Als Abwehrreaktion werde viel methodischer und theoretischer Aufwand betrieben, um die Erfahrung der Angst und der Ohnmacht gegenüber dem Material zu bannen und eine Distanz zu sichern.9) Durch eine Analyse der zugeschriebenen Rollen durch die bewusste Handhabung der Gegenübertragungen, Irritationen und Angstgefühle könne die unbewusste Dimension der eigenen persönlichen und kulturspezifischen Einflüsse reflektiert werden,10) wodurch sich die Wahrnehmung sozusagen entzerren und einen unverstellteren – DEVEREUX sprach sogar noch von einem wirklich objektiven11) – Zugang zum Untersuchungsgegenstand finden lasse.12) Gleichzeitig sagen die emotionalen Bewegungen, die Gegenübertragungsreaktionen auf die Forschungssituation auch etwas über die latenten Strukturen der untersuchten Verhältnisse aus (NADIG 1986, S.39f; 1992, S.153; vgl. DEVEREUX 1984, S.338). [8]

Der Begriff der Übertragung wird teilweise auch als Überbegriff für beide Richtungen des "intimen Dialogs von Unbewusst zu Unbewusst" (DEVEREUX 1984, S.190) gebraucht13) und meint generell die Tatsache der Aktualisierung lebensgeschichtlich bedeutsamer Verhaltensweisen und das Verschieben und Wandern der damit verbundenen unbewussten Vorstellungen, das Transferieren und Projizieren von unbewussten Wünschen in aktuelle Situationen. Etwas Übertragenes ist erkennbar an seiner Maßlosigkeit und Situationsunadäquatheit.14) Übertragung, so PONTALIS, sei ein Phänomen, über das man sich "nicht genug verwundern könne";15) sie lasse sich nicht aufzeichnen, sei kein Text und entziehe sich der Ordnung des Diskurses und dem Wunsch, dass die Sache da sein soll und die Verbindung mit ihr gesichert (1992, S.49, 59). [9]

Das Zulassen von durch Forschungssituationen und -beziehungen ausgelösten Befremdlichkeiten, Irritationen und "Störungen" kann als Erkenntnisdatum benutzt werden, als Aussage über die Forschungssituation. Dies entspricht der ethnopsychoanalytischen Forschungshaltung, die NADIG als ein "Eintauchen in das Unvorhersehbare" einer Forschungssituation, als "Sicheinlassen auf das vorläufige Chaos der erhobenen Daten", als ein "Aushalten des (noch) nicht Verstandenen", und als ein "emotionales, körperliches und kognitives Mitfliessen und Wahrnehmen" und "zielloses und ungerichtetes Dasein und Aufnehmen" beschreibt.16) KUBICK nannte diese Forschungshaltung der vorbehaltslosen Hingabe an einen rezeptiven Zustand "floating"17) – in Anlehnung an FREUDs Konzept der gleichschwebenden Aufmerksamkeit, welches es ermöglichen soll, "etwas anderes zu finden, als was man bereits weiss" (1912b, S.377). Was DEVEREUX mit rezeptiver Geistesabwesenheit umschrieb (1984, S.345), ähnelt zudem der Haltung des abduktiven Schlussfolgerns18) und widerspricht den klassisch-traditionellen Vorstellungen und Regeln von Wissenschaftlichkeit; entsprechend groß ist der Anpassungsdruck und die Gefahr der Entwertung.19) [10]

Primäres Ziel ethnopsychoanalytischer Forschung ist das Erkennen von subjektiven Sinnstrukturen, der kulturellen Erfahrung des Subjektes. Dies beinhaltet auch ein Wahrnehmen des bisher nicht zur Kenntnis Genommenen, nicht Sprachfähigen und Versteckten.20) Das Material soll für sich sprechen können. Die Untersuchung orientiert sich entlang der Forschungserfahrungen und -Erschütterungen, vor allem aber entlang der Struktur der erhobenen Daten.21) Angetrieben werde der Erkenntnisprozess beiderseits über gegenseitige Verführung und Neugierde (NADIG & ERDHEIM 1988a, S.66). [11]

Der Einbezug psychoanalytischer Konzepte und Techniken in sozialwissenschaftliche Forschung kann unterschiedlich gestaltet werden (vgl. NADIG 1996, S.152f): LORENZERs Tiefenhermeneutik bezieht sich als Interpretationsmethode auf die Auswertung der Daten: Die zu Text gewordenen Forschungssituationen und -Gespräche werden gleichschwebend aufmerksam gelesen und die dabei entstehenden Irritationen und Assoziationen ernst genommen als Hinweise auf Bruchstellen und Widersprüche im manifesten Text und als möglicher Zugang zur latenten Textebene, zu verborgenen Sinnzusammenhängen.22) Im Zentrum steht die Text-LeserIn-Relation; es wird nach den Wirkungen gefragt, die der Text auf das Erleben der Interpretierenden hat; gesucht wird nach dem, was sich vom und auf den Text gegen-/überträgt (szenischen Teilhabe) und was sich aufgrund des Übertragenen in der Interpretationsgruppe inszeniert. Dieses "szenische Verstehen" vermag unbewusst gewordene Erlebnisfiguren zu erschließen.23) Die Rekonstruktion verdrängter Sinngehalte und des Sinnes der Verdrängung sind zentrale Bestandteile der Analyse. [12]

Wenn schon in der Datenerhebungsphase mit psychoanalytischen Konzepten gearbeitet wird, steht die Reflexion der bewusst von der eigenen Gegenübertragung begleiteten Forschungsbeziehung im Zentrum. In den über eine längere Zeit regelmäßig stattfindenden selbstreflexiven Gesprächen, wie sie NADIG entwickelt hat, können sich Lebensgeschichten assoziativ und der inneren Logik der Gesprächspartnerin und der gemeinsamen Dynamik gemäß entfalten (1986; 1996, S.154, 158). Die psychischen Bewegungen zwischen Forscherin und Gesprächspartnerin werden als wichtigstes Datenmaterial betrachtet. Entlang der Beziehungsdynamik kann ausschnittweise miterlebt werden, wie das Subjekt auf gesellschaftliche Gegebenheiten reagiert und wie Institutionen auf das individuelle Bewusstsein und Unbewusstsein einwirken. NADIG hat die Forschungsbegegnung insbesondere bei jeweils verschiedenen kulturellen Hintergründen als oszillierenden Prozess zwischen "emphatisch-identifikatorischer Annäherung und reflexiv-abgrenzenden Rückzug" beschrieben.24) Die Begegnung beinhaltet immer Befremdlichkeiten und Irritationen wie Missverständnisse, Empörung, Schockiertheit, Langeweile, Überraschung. Die Forscherin unterbreitet der Gesprächspartnerin ihre Irritationen als konfrontative Fragen oder spiegelnde Feststellungen.25) [13]

Eine ethnopsychoanalytische Begleitung während des gesamten Forschungsprozesses unterstützt die Forscherin darin, die Bedeutung ihrer Subjektivität zu reflektieren, die persönlichen Reaktionen26) und deren Abwehr27) bewusstseinsfähig und dadurch handhabbar machen. Dies geschieht mit Hilfe einer systematischen Dokumentation der Irritationen (Tagebuch), durch Austausch und gemeinsamer Deutung im KollegInnenkreis, mit Hilfe einer Forschungssupervision (NADIG 1996, S.154). [14]

Das Konzept der Irritation wurzelt also in einer Vorstellung von Subjektivität, die rational und emotional, bewusst und unbewusst reagiert und agiert und während eines gesamten Forschungsprozesses beteiligt und involviert ist. Um mögliche persönliche Verzerrungen nicht nur abzubauen, sondern subjektive Reaktionen auch als Hinweise für Aussagen über die untersuchten Verhältnisse nutzen zu können, orientiert sich eine ethnopsychoanalytische Vorgehensweise an den im Forschungszusammenhang entstehenden Irritationen (Störungen, Befremdlichkeiten, übertragungsbedingten emotionalen Auffälligkeiten). DEVEREUX hatte den Grundstein zu dieser neuen Denkweise gelegt; LORENZER hatte das Irritationskonzept für die Text-Interpretierenden-Relation ausgeführt und NADIG weitete es auf die ForscherIn-GesprächspartnerIn-Relation aus. Dieses Konzept bedingt eine floatende, gleichschwebende, abduktive Forschungshaltung des rezeptiven Sich-Einlassens, auf deren Basis Irritationen überhaupt erst als solche wahrgenommen werden können. [15]

An diesem Leitfaden der Irritationen orientiere ich mich, wenn ich nun über einen Ausschnitt der zu Beginn erwähnten Working Poor-Nationalfondsstudie nachdenke. Die Auswertung des Transkriptes habe ich ATLAS.ti-gestützt vorgenommen; meine Irritationen betreffend des verschrifteten Interviewmaterials konnten so als Memos übersichtlich geordnet, Textausschnitte systematisch ausgewählt und mögliche Zusammenhänge auf dem Netzwerkeditor erkundet werden. [16]

1.2 Erste Irritation: Ein "mageres" Interview

Die von der Projektleitung angegangenen Sozialdienste ermunterten arbeitende Sozialhilfebeziehende, sich für Interviews zur Verfügung zu stellen. Frau und Herr K. meldeten sich darauf hin aus eigener Initiative und wünschten das Gespräch gemeinsam und bei sich zu Hause durchzuführen. Unmittelbar nach dem Interview, auf den Bus zurück in die Stadt wartend, hatte ich den Eindruck, dass dieses Gespräch völlig missraten sei und ich eigentlich nichts verstanden hätte. Der verbale Austausch kam mir knapp vor, die Sprache implizit und befremdend, vielleicht "oberflächlich", gespickt mit vielen Stereotypen. Gleichzeitig war aber auf zwei anderen Ebenen einiges geschehen: Die untergründige Färbung war ziemlich aggressiv und ich bekam es zum einen mit starken Gefühlen der Langeweile, Müdigkeit, Ungeduld und Motivationslosigkeit zu tun. Ich hatte schon während des Gesprächs zunehmend das Gefühl, "dass ich diese Leute nicht verstehe" und mir war immer wieder alles andere als klar, wovon eigentlich die Rede war. Zum andern geschah auf der Inszenierungsebene ebenfalls ziemlich viel: Terminverschiebung, Infragestellung der Tonbandaufnahme, Aufstehen und Hinausgehen während des Interviews. Höhepunkt dieser – wie mir schien – "Verständigungsverhinderung" war, als Herr K. aufstand und das Fenster öffnete, um zu sehen, wie die 100-jährige kranke Eiche im Garten umgesägt wurde. Der Kettensägelärm, der daraufhin in die Stube eindrang, übertönte alles andere und eine Verständigung per Wort war nun endgültig nicht mehr möglich. [17]

Erst als ich begann, nachträglich meine Assoziationen aufzuschreiben, kehrte mein Interesse zurück und ich hatte zunehmend den Eindruck, dass es gerade in diesem Fall von entscheidender Bedeutung ist, das verbal Geäußerte mit dem getätigten Inszenierten und Übertragenen in Beziehung zu setzen und zusammenzudenken. [18]

Mein Interesse ist auch ein erkenntnistheoretisches: Wie soll es möglich sein, das Andere in seiner Andersheit überhaupt wahrzunehmen und zu erkennen? Dieses epistemologische Fragen liegt jedem qualitativen Forschen zugrunde. In der abendländischen Philosophie spiegelt sich eine lange Tradition der Trennung von Materiellem und Geistigen, von Körper und Seele, von Erfahrung und Denken. In dieser dualistischen Struktur ist aber auch eine hierarchische Ordnung enthalten: eine Überschätzung des Geistigen und Vernünftigen, beziehungsweise eine Abwertung des sinnlich Wahrnehmbaren und der Gefühle.28) Das Reflektieren dieses Denkerbes bestärkte mich im Vorhaben, nebst dem Verbalen (Sprache als – traditionsgemäß privilegierter – Ausdruck des Denkens) insbesondere auch inter-agierte29) aber nicht minder sprechende Interviewebenen (Inszenierungen und Übertragungen) in Betracht zu ziehen und nicht Ausgesprochenes und nicht Sprachfähiges zu berücksichtigen. [19]

1.3 Zweite Irritation: Erste Erfahrungen in der Interpretationsgruppe

Die Interviews werden im Rahmen dieser NF-Studie in Interpretationsgruppen objektiv hermeneutisch ausgewertet. Dabei wird versucht, hinter den einzelnen subjektiven, manifesten Bedeutungen allgemeine, objektive, latente Sinnstrukturen zu erschließen; zu Strukturgeneralisierungen zu kommen, zu einer Art Grammatik des Sozialen zu gelangen. Die Vorstellung einer Entzifferung von Strukturgesetzlichkeiten basiert auf der Annahme, dass Strukturen nicht als Modell, sondern als selbständige, autonome, ahistorische und invariante Realität zu betrachten seien (REICHERTZ 1991, 224, 228). [20]

Die Teilnahme an der Interpretationsgruppe löste höchst zwiespältige Gefühle aus. Einerseits war ich fasziniert vom Wörtlichkeitsprinzip, vom textnahen Ernstnehmen sprachlicher Formulierungen und Fehlleistungen.30) Das Prinzip der Kontextfreiheit fand ich ebenfalls sehr anregend und es erinnerte mich an das Spiel der freien Assoziation: Zu einer konkreten Textstelle sollen alle erdenklichen sinnvollen Bedeutungen und Lesarten31) unabhängig vom Kontext durch Gedankenexperimente entworfen und gemeinsame Strukturmerkmale eruiert werden; im Laufe der Analyse und aus dem Verhältnis von möglichen zu tatsächlichen Bedeutungen werde sich dann sukzessive die objektive Sinnstruktur des Falles herausschälen.32) [21]

Wiederholt Empörung löste aber das methodische Vorgehen aus, bei dem möglichst früh möglichst riskante und folgenreiche Fallhypothesen generiert werden sollen. Ich empfand es als aufgepfropft, aufgrund rein äußerlicher demographischer Daten zu behaupten, dass die Betroffene (in einem anderen als dem folgenden Fall!) beispielsweise ein "Autonomieproblem" habe, noch ehe sie selbst zur Sprache kommen konnte, noch ehe das Interview besprochen wurde, selbst wenn im Folgenden nach Falsifizierungsmöglichkeiten gesucht werden sollte. Meines Erachtens birgt dies die Gefahr der Reproduktion einer Lehnstuhlsoziologie. Der fragwürdige Gebrauch von Fachbegriffen aus dem Bereich der Psychopathologie und meine ethnologischen Irritationen über die Mutmaßungen zu Migrationsgeschichten schwächten diese Befürchtungen nicht gerade ab.33) [22]

Auch die Tatsache, dass das Kernteam nur aus männlichen Wissenschaftlern bestand, die – prägnant ausgedrückt – über allein erziehende Frauen und sozial abgestiegene und invalide Männer soziologisierten, erweckte meine Aufmerksamkeit. Die "interpretative Omnipotenz" (FLICK 2000, S.263) befremdete mich, die Frage der Definitions- und Interpretationsmacht und der damit verbundenen narzisstischen und aggressiven Aspekte schien mir kaum reflektiert. Ich hatte immer wieder den Eindruck, dass das Material untergeht. Ich war befremdet über das beinahe vollständige Ausklammern der subjektiven Intentionen und der Erlebensdimension der am Forschungsgeschehen Beteiligten (Interviewpartner, Befragerin, Transkriptor, Interpretationsgruppe) (vgl. OEVERMANN et al. 2000, Abs.2, 5) und darüber irritiert, dass die Handlungsgründe ausschließlich jenseits des Subjektes gesucht werden (vgl. REICHERTZ 1991, S.228), obwohl das Verstehen und die Ermittlung der Innenperspektive erstens ein Grundprinzip qualitativen Forschens und zweitens als Forschungsfrage im Nationalfondsprojekt formuliert ist. Ebenso unverständlich und erklärungsbedürftig ist das Übergehen eines der zentralsten Punkte der "qualitativen Wende": des Interaktionscharakters der Forschungstätigkeit. Der DEVEREUX'sche Gedanke der Abwehrfunktion der Methode drängte sich auf (1984; vgl. Anm.9 und Paragraph 8). [23]

Und was geschieht denn nun eigentlich, wenn eine Methode, die "nur" das Wort gelten lässt,34) auf "verbal mageres" Material trifft? Und was können ethnopsychoanalytische Irritationen – wurzelnd im Konzept der Übertragung und des szenischen Verstehens, die auch um ein Erkennen des nicht Sprachfähigen bemüht sind35) und wo das Verhältnis Gesagtes-nicht Gesagtes eine zentrale Rolle spielt – zur Forschungsfrage beitragen?36) [24]

2. Fallbeschreibung

2.1 Verbale Daten – Argumentationslücken: terra incognita

Frau und Herr K. stammen beide aus dörflicher Gegend und kinderreichen Großfamilien. Das Paar hat vor ungefähr 30 Jahren geheiratet, ist zum Zeitpunkt des Interviews 2002 anfangs 50 und hat selbst keine Kinder. Frau K. hatte nach der Verkäuferinnenlehre zeitweise im Gastgewerbeservice gearbeitet. Da die Arbeitszeiten mit jenen des Ehemannes ungünstig lagen, wechselte sie Branche und Stelle. Seit 30 Jahren arbeitet sie nun am selben Ort, und dies gerne, aus gesundheitlichen Gründen aber seit über 10 Jahren nur noch zu 50%. Sie fürchtet aktuell um ihre Stelle, weil es in letzter Zeit Entlassungen gegeben hat. Herr K. musste eine erste Lehre wegen Allergie abbrechen, arbeitete dann als Beifahrer und bald als Lastwagenchauffeur, wie der Vater und drei Halbbrüder. Mit 30 hatte er unverschuldet und privat einen schweren, beinahe tödlichen Unfall, und der damalige Arzt prognostizierte, dass der Aufprall gesundheitliche Folgen haben könnte. Er nimmt auftretende Beschwerden nicht ernst, bis er sich 1998 nicht mehr bewegen kann. Dann beginnen langwierige Invaliditätsabklärungen, mehrere Ärzte mit unterschiedlichen Diagnosen (z.T. 100-prozentige Arbeitsunfähigkeit) sind involviert. Ein Rechtsprozess ist im Gange. [25]

Während zweier Jahre hatte die Firma den Erwerbsausfall zu 80 Prozent übernommen. Die Invaliditätsversicherung (IV) hatte erst Ende Dezember 2001 eine halbe Invalidität festgelegt und die Nachzahlungen kamen erst vor kurzem. Das Jahr 2001 musste also mit Sozialhilfeunterstützung überbrückt werden, nachdem die eigenen Reserven rasch aufgebraucht waren. Frau K. hat die Initiative ergriffen und ist zum Sozialamt gegangen: Besser die Dinge gleich abzuklären, als dass sich Schuldenberge anhäufen und die Situation unübersichtlich werde. Es habe allen Mut und zwei Monate Bedenkzeit gebraucht, um diesen Schritt zu unternehmen, aber es habe sich gelohnt; sie seien mit der Unterstützung der Sozialarbeiterin sehr zufrieden, die zum Glück von auswärts komme und neutral sein müsse. Sie habe das Paar auch nicht gleich "fallen gelassen", sondern über die konkrete IV-Bevorschussung hinaus noch weitere Budgetberatung angeboten, z.B. eine Abzahlungsvereinbarung mit dem Steueramt. [26]

Herr K. hätte damals wie auch heute nie einen Schritt über die Schwelle eines Sozialamtes getan. Nicht aus Stolz, wie er sagt, sondern aus Angst, im kleinen Dorf für den Rest des Lebens stigmatisiert zu sein.37)

11.00 M:

Ja, wir haben einfach nur gedacht ich gehe nicht dort hinauf (zum Sozialdienst) [weil ich hier] fast alle{s} kenne, oder? – Ja, ja – Und Sie wissen, [dass wenn Sie {appa} eine Clique zusammen sind,.. am Stammtisch] - ja - oder so heisst das einmal, der hat da Sozialgeld, oder. – Ja – [{Häb ds Gfräss}/Halt die Fresse (schweig)!] oder so, oder. [27]

Das Paar lebt also von einer halben IV-Rente und von einem halben Arbeitslohn der Frau. Das gehe, sie seien nicht so anspruchsvoll, nie gewesen und verweisen auf ihre Herkunft, wo man schon mit wenig zufrieden gewesen sei, habe sein müssen. Wichtig sei, genügend zu essen zu haben, von den andern akzeptiert zu werden und selbständig sein zu können. Sie seien froh, jeden Morgen aufstehen und das Leben einigermaßen bewältigen zu können "mit dem was man hat"; andere seien noch schlechter dran. [28]

Nur wenige Bekannte und Verwandte sind eingeweiht, die meisten meinen immer noch, Herr K. arbeite als Chauffeur.

35.64 F:

//Sie kennen ja die Situation nicht,.. oder,.. von uns!

35.66 I:

Kennen sie nicht?

35.67 F:

Nein, das //(M setzt an) erzählt man ja nicht, oder. Aber//

35.68 M:

//Die meinen heute noch ich habe...

35.70 F:

///Er sei Millionär! (lacht)

35.70 I:

///das erzählen Sie nicht..

35.73 M:

////ich sei ein halber Millionär

35.73 F:

////Nein, nein, das... (lachend)

35.76 I:

//Aha, Sie haben das Ihren Kollegen gar nicht//

35.79 F:

//{Hä-ä}, nein, {hä-ä}, solches Zeug...

35.79 I:

//erzählt? (erstaunt)

35.80 F:

Die wissen nicht mal, dass er nicht arbeitet. Dass er nicht mehr arbeiten kann.

35.84 M:

Das wissen viele noch nicht..

35.86 F:

{Hä-ä}, - Ah, ja?! – {Hä-ä},.. {Dä het sich gar ned drfür}/Er scheut sich davor (etwas in Anspruch zu nehmen)

35.89 I:

(A)'ha (erstaunt)...

35.90 M:

[Also, doch,] wenn jemand fragt, sage ich schon, [und dann] gebe ich Auskunft: "Wenn Du einmal so weit kommst, kommst Du dann schon noch auf die Welt". [29]

Die Behinderung ist ihm auch im Turnverein nicht anzusehen, es gibt nur ab und zu Bemerkungen, wenn er nicht mehr mithalten kann, die aber offenbar mit Humor bewältigt werden:

38.00 M:

//Die Turnerkollegen wissen es schon einige. Nicht alle... aber die meisten wissen einfach.. dass ich nicht mehr so kann wie ich... – ja – Oder, ich kann mich nicht mehr.. krümmen wie ich.. – ja – will, oder. – Ja, ja – Oder äh jetzt im Volleyball, was einmal einer sagt, wenn wir Volley machen... wenn der Ball am Boden ist,.. ich kann sie nicht mehr nehmen: du bist ein {Tschalpi}/Tolpatsch – (Frau lacht heraus), – und,.. und, ich kann ich kann mich ja nicht so schnell herunter... Ich muss dann noch... oder... (F lacht) – wie ein Krüppelchen auf den Boden, oder. – Ja – Und dann ist der Ball auch schon wieder weit fort, oder. [30]

Wie er mit der Tatsache umgeht, nun plötzlich ganztags nicht mehr arbeiten zu können, bleibt aber letztlich unklar, dürfte angesichts des geäußerten Berufsstolzes und der "Arbeitermentalität" aber zentral sein. Einmal wird erwähnt, dass das Zuhause bleiben eine schlimme Umstellung war. Und an einer Stelle sagt Herr K., dass er sich manchmal beinahe schäme für die Unsichtbarkeit seines Leidens. Was das für die Ehepartnerin bedeutet, wird ebenso wenig erhellt, es bleibt bei der Andeutung von Besorgnis, die entweder im Lärm der Motorsäge (Rückenbeschwerden Mann), oder in der Stille einer langen Pause (Entlassungsangst Frau) untergeht. [31]

Das Paar fasst seine Befindlichkeit nicht in Worte und redet insgesamt auf einer Faktenebene, führt sozusagen einen technischen Diskurs; es geht um Rechnungen, Ärzte, Spritzen, einen Anwalt, Ämter, "Pontius bis Pilatus". Sogar der Höhepunkt verbalisierter Befindlichkeit erweckt beinahe eher den Eindruck ausgeschiedener Körperflüssigkeit denn von Schmerzempfinden:

21.42 M:

Das ist äh eigentlich,.. also ich, ich bin oft.... mit..ich bin oft.... mit Augenwasser (= Tränen) arbeiten gegangen, ich habe gedacht, das vergeht dann wieder,.." [32]

Auf die Frage hin, wie es gehe mit dem Umgang mit Knappheit, erwidert die Frau, alle anderen Möglichkeiten ausschließend, dass es gehen muss (und ist im Anschluss an diese Aussage gereizt und ungeduldig):

22.45 F:

Äh, es muss einfach gehen! Ich kann nirgends etwas {ga hüüsche}/verlangen gehen, oder.. – ja – Gibt mir niemand nichts.

27.60 F:

Jajaa, es gibt dann einfach schon Sachen, oder, man kann sich dann nichts mehr leisten, oder... Das ist, das muss man einfach akzeptieren, was will man [auch]? [33]

Sprachlich fallen weiter viele argumentative Kluften und Übergangslosigkeiten auf: Von als gering eingestuften Beschwerden zur plötzlich eintretenden Katastrophe, die wie von außen "angeschmissen" erscheint:

21.10 M:

Ich habe {gäng}/immer ein bisschen Rückenschmerzen gehabt. – Mhm – Aber einfach, ich habe, ich habe es aushalten können, oder. (Uhr schlägt laut) – Ja – Und dann ist der Tag gekommen, an dem ich nicht mehr gehen konnte.

21.30 I:

... Ja, Sie haben dann sehr viel ausgehalten, bis es nicht mehr //gegangen ist.

21.35 M:

//Ja, ich konnte einfach nicht mehr gehen. – Ja – ... Also, nur noch {schnaage}/kriechen. [34]

Ausgelassen ist auch hier die Befindlichkeit. Und die eigene aktive Seite scheint sich auf das Durchbeißen zu konzentrieren. Was außerhalb des Aushaltenkönnens ist, erscheint als Schicksal. Es ist, als ob nichts wäre z.B. zwischen dem Bild, das die anderen sich von ihm machen und seinem "Fix und fertig-Sein":

B 3.1 M:

Ja, die meinen, das sei, ja der Chauffeur sieht ja kräftig aus, oder. – Ja – Und, und.. nachher sind Sie dann {uf dr Schnurre} (= k.o.). [35]

Ebenso unverständlich bleibt der Sprung von: "was wollen Sie" zu "hätten Sie doch":

B 12.3 M:

Oder, das was... Das was mich einfach immer gestört hat, wenn's geheissen hat, Sie hätten nie Probleme, oder. – Mhm – Hat es einfach immer geheissen, dann habe ich, als ich das erste Mal nach A. (zum IV-Amt) gehen [musste], habe ich gesagt, eben: Ja, Sie haben [einen super guten] Lohn, also, was wollen Sie noch mehr. – Mhm – Und der Tag kommt einfach, dass es einfach heisst, oder.... Und {heid Zyt gnuäg ghäbä}/hätte genug Zeit gehabt, oder. [36]

Die häufig gebrauchte Formulierung "es hat geheissen" kommt auch an vielen weiteren Interviewstellen im Zusammenhang mit einer Vorwurfshaltung vor; z.B. dass er sich eine Umschulung erschleichen wolle. Sein Leiden wird amtlich nicht anerkannt. Die Vorwürfe der Institutionen treffen aber quasi auf "Argumentationslücken" und "Übergangslosigkeiten", auf Bereiche, die dem Paar offensichtlich nicht zur Verfügung stehen, auf "terra incognita". Das Paar selbst ist überzeugt, alles in seiner Macht stehende unternommen zu haben. Es ist nun nachvollziehbarer, dass die Institutionsebene in einem unbeeinflussbaren Außen angesiedelt erscheint. [37]

Aufgrund dieser sprachlichen Auffälligkeiten und Irritationen erinnerte ich mich an Bernsteins Konzept38) des restringierten Codes: Vieles ist implizit, es wird kaum etwas erklärt oder ausformuliert, gerade eigene An- und Absichten, Bedeutungen und Gefühle nicht. Auffällig z.B. auch die Begriffsabkürzung: Statt von "Sozialdienst" spricht das Paar durchgehend von "Sozial", "zum Sozial gehen". [38]

Die Schicksalhaftigkeit und Ohnmacht v.a. gegenüber Ämtern und Institutionsvertretenden fällt anhand vieler sprachlichen Formulierungen auf. Es kommt ein Ausgeliefertsein gegenüber Expertenmeinungen wie dem Dorfklatsch zum Ausdruck. Andererseits wird aber auch ein Experte eingeschaltet, der Partei für einen ergreift und ein Machtwort sprechen kann, können sollte:

6.30 M:

Und machen können Sie gar nichts... (gegen den IV-Beschluss) Das ist...

6.35 F:

Also es läuft, oder, äh,.. wir haben es dem Anwalt {ufä}/hinauf gegeben, schon.

 

--------------------------

7.00 M:

Und dann hat die IV gesagt, wir lehnen es (= vom Anwalt gefordertes weiteres Gutachten) ab (trocken, enttäuscht).

7.04 F:

Ja

7.05 I:

Mhm ...

7.07 F:

.... (M und F wollen gleichzeitig anfangen) Schon das ist eigenartig, oder. – Mh –

7.10 M:

Das ist einfach, also dann,... äh... quasi man muss sagen, man ist machtlos.

 

--------------------------

36.7 M:

Und das Verrückte ist einfach, heute wenn Sie etwas so haben, oder... Sie kommen ohne Anwalt nicht mehr da durch... – Mhm – ...Sie kommen nicht mehr weiter... Da stehen Sie einfach auf einmal vor einer Mauer, und....... [Man wird] schon alles probieren, aber... – Mhm – Das muss schon einer sein, der Macht hat, einfach, ein Wort schreiben kann. ... Oder, die gewissen Briefe schreiben... [39]

Auch die Sozialarbeiterin "schreibt Briefe" an Ämter und das Paar ist froh über diese Unterstützung. Frau K. selbst hat ebenfalls Anwaltsfunktion:

6.50 F:

Und er ist bei fünf Doktoren gewesen... – Ja – Oder, daran liegt es nicht. Er kann nicht mehr mehr unternehmen!

10.90 F:

Ja er kann ja nichts dafür, dass er nicht mehr arbeiten kann, oder? [40]

2.2 Inter-Agierte Daten – Nicht Gesagtes, Unsagbares und Un-Erhörtes

2.2.1 Inszenierungen

2.2.1.1 Reden? – Ins Gerede kommen!

Das Paar K. wünscht eine Verschiebung des auf Mitte Dezember 2001 angesetzten Interviews, wegen "Weihnachtsstress". Ich muss mehrmals anrufen, um einen neuen Termin festlegen zu können. Am Telefon informiere ich kurz über die Ziele des Projektes (Wie kann die Sozialhilfe verbessert werden?) und des Interviews (zuhören und verstehen, wie Menschen mit der Tatsache von Sozialhilfebezug umgehen). Die Ankündigung der Absicht, das Interview auf Band aufzunehmen, bereitete dem Paar offensichtlich Mühe. Ich sichere wiederholt Vertraulichkeit und Anonymität zu und erkläre genau, was darunter zu verstehen sei. "Na dann nehmen Sie das Gerät mal mit, wir werden dann sehen!", lässt Herr K. die Situation im Ungewissen. Nach Rücksprache mit dem Projektleiter schlage ich dem Paar dann vor Ort vor, dass wir das Aufnahmegerät laufen lassen und sie am Ende des Gesprächs entscheiden sollen, ob sie die Kassette behalten oder dem Projekt zur Verfügung stellen wollen. Ich versuchte zu erklären, dass es für die Auswertung wichtig sei, sich genau auf das Gesagte stützen zu können und nicht darauf, was ich vielleicht nur unvollständig festhalten oder erinnern könne, oder vermute, was sie gesagt hätten. Herr und Frau K. äußerten die Befürchtung, dass "etwas rausgehen könnte, das nicht rausgehen sollte", dass "etwas Böses entwischen könne", das dann negativ auf sie zurückwirke. [41]

Das Paar inszeniert und präsentiert als erstes einen Spannungsbogen rund um das Reden: Einerseits reden wollen – sie melden sich freiwillig für das Interview – bei gleichzeitigem Verschieben des Gesprächstermins und der Angst vor dem Entschlüpfen von "Bösem", vor Vertrauensbruch und in der Folge vor Klatsch und unwiderruflichem Stigma. Wie viel darf man sagen? Was muss verschwiegen werden? Das Gesagte kann ja ganz unterschiedlich ausgelegt werden; schließlich kommen sogar die Spezialisten zu widersprüchlichen Diagnosen. Fatalerweise scheint aber auch das "Verschweigen" der Beschwerden Herrn K. seitens der Ämter zum Vorwurf gemacht zu werden. Durch das Aushandeln per technischen Diskurs wird die Vertrauensfrage gestellt. Noch bevor ich richtig Platz genommen habe und das Gerät eingeschaltet ist, kommt eine weitere Infragestellung: Sie würden inzwischen keine Sozialhilfe mehr beziehen, ob denn ein Gespräch überhaupt noch nötig sei? Diese Logik steht im Gegensatz zur Stammtischlogik, wo man "die Fresse" halten soll, wenn man Sozialhilfebezüger ist. Ebenfalls vor dem offiziellen Beginn fragte Frau K., ob sich denn viele für ein Interview gemeldet hätten – Nein, es laufe eher etwas harzig zur Zeit – Es sei halt nicht einfach darüber zu reden, bemerkte sie. Dies ein weiterer Hinweis auf das Problemfeld "Reden – ins Gerede kommen". Und am Schluss die Frage, ob das Interview denn etwas nütze. [42]

Diese im Vorfeld verhandelte Thematik spiegelt sich im Anfang des Interviews. Im Anfang ist das Wort und die Tat seitens der Interviewerin gleichzeitig:

0.00 I:

//dann mal einschalten.. und.. ähm..... ja.. das ist das Mikrophon. Ich denke [das geht] so, äh... Vielleicht noch ein klein bisschen näher zu Ihnen. .......

0.30 F:

Es dreht sich.

0.33 M:

Ja, es dreht sich, ja. – (Lachen der Interviewerin) – {Momoll}/Dochdoch.

0.40 I:

Gut, dann. Also: Meine erste Frage ist: Wir interessieren uns ja für die Lebenssituationen eben von Menschen, die zwar einerseits arbeiten, und aber {gliich}/ trotzdem, äh, angewiesen sind eben noch auf Unterstützung vom Sozialdienst. Oder angewiesen sind, gewesen sind in Ihrem Fall. Ähm.... Am liebsten würde ich jetzt anfangen, dass Sie mal erzählen von dem Zeitpunkt, wie das gewesen ist, wie das angefangen hat; Warum haben Sie zum Sozialdienst gehen müssen? Was ist da/{dort} passiert? Dass Sie das einmal ein bisschen schildern. Was ist, also warum haben Sie Sozialhilfe beantragt und wie haben Sie das damals empfunden?

1.00 F:

Mhm. Ja da bin ich {ummi} zuständig (lachend). Also in den Sozialdienst sind wir gekommen, weil der Mann von der Krankheit her nicht mehr arbeiten gehen konnte, oder – mhm – Und die IV hat noch nichts bezahlt und ist schon drei Jahre angemeldet gewesen...

1.30 I:

Ja

1.32 F:

...Und nachher hat er zwei Jahre noch den Lohn gehabt, noch 80%. – ja – Und das ist gut gegangen. Und dann ist die Zeit abgelaufen gewesen, oder. [43]

Frau und Herr K.'s Bemerkung, dass "es sich dreht", könnte als eine Art Bestätigung der Einwilligung gelesen werden: "okay es kann losgehen", "momoll", "doch doch". Die Interpretationsgruppe fragte danach, was sich denn alles drehen könnte: 1) die Tonbandspule; 2) ein Karussell; 3) die Konversation 4) die Umwelt bei Schwindel oder unter Drogeneinfluss. Meine Gedanken kreisten außerdem um Galilei's berühmten Satz "Und sie dreht sich doch!", der auf einen Paradigmenwechsel hinweist. Könnte es sein, dass das angehört, beim Wort genommen und auf Band fixiert zu werden, ein solch neues Paradigma für das Paar bedeutet? [44]

Jedenfalls gestaltete sich das Ein- und Ausschalten in der Folge zu einem vielschichtigen Thema. Nicht nur sind inhaltlich viele Institutionen in die Lebensgeschichte der beiden eingeschaltet: die Unfallversicherung, diverse Ärzte, die Invaliditätsversicherung, der Sozialdienst, ein Anwalt. Die Thematik wird auch auf Geräteebene weitergeführt; so erwähnt Herr K. noch einige aufschlussreiche Punkte, nachdem das Tonband am Ende des Interviews ausgeschaltet war. Auch während des Interviews wird das Ausschalten des Gerätes, bzw. das "Unterlaufen" der Aufnahme zum Thema, wie weiter unten ersichtlich wird. [45]

2.2.1.2 Hin-Weg – hinweg

Auf dem Hinweg fällt mir die Wegbeschreibung von Herrn K. auf: zwei Autogaragen und ein Polizeiposten. Es gibt aber noch andere markante Punkte an diesem Weg. Die Interviewerin wird entlang beruflicher Orientierungspunkte des Gesprächspartners und der "Zensur" geleitet. Auf der langen geraden Straße gehend, habe ich plötzlich den Eindruck, vom wartenden Interviewpaar beobachtet zu werden. Ich fühle mich an Feldforschungssituationen erinnert, wo den Ansässigen keine Regung der Fremden entging. Mein Eindruck sollte sich bewahrheiten; Frau K. bemerkt beim Hereinbeten, dass ich zu weit und an ihrem Haus vorbeigegangen sei; sozusagen an ihnen vorbei. Beim Feldeintritt klingt die Befürchtung an, übergangen zu werden. [46]

2.2.1.3 Die Verständigungsverhinderung

Wir sitzen in der Stube, das Paar nebeneinander auf dem Sofa, ich schräg vis-à-vis. Der restringierte Code, der vieles unausgesprochen impliziert und kaum etwas erklärt, macht es anstrengend, den Gesprächsinhalt zu verfolgen. Dass Herr K. streckenweise äußerst undeutlich spricht, ist vielleicht auch auf den Einfluss der Schmerzmedikamente zurückzuführen. Die mittransportierten affektiven Botschaften sind heftig und widersprüchlich. Dass Frau K. wiederholt die Interviewsituation verlässt – auffälligerweise mehrmals genau dann, als ich im Begriff war, das Wort an sie zu richten – wirkt irritierend. [47]

Auch Herr K. steht auf und setzt sich ab. Als er Motorsägelärm hört und bemerkt, dass die alte kranke Eiche im Garten gefällt wird, öffnet er das Fenster, schaut hinaus und scheint dermaßen fasziniert vom Umsägen des Baumes zu sein, dass alles andere unwichtig wird. Der eindringende Lärm ist so laut, dass ich die Worte von Frau K. nicht mehr verstehen kann. Herr K. will, dass für diese Momente das Aufnahmegerät ausgeschaltet wird:

12.70 F:

//Ja, ja. Also [.. wie gesagt], ich bin gut gefahren mit dieser Frau (die Sozialarbeiterin) - Ja – Sehr gut, Hut ab. – Ja – Und sie hilft uns auch weiter,.. sie schreibt auch viel [für uns].

 

(Fenster wird geöffnet, die Kettensäge im Hintergrund wird ziemlich laut)

12.90 F:

[Nein ich muss sagen, von dem her bin ich eigentlich froh.] – Ja – Und wenn wir [[.......]]// - ja -

13.00 M:

{Tüet er o abstelle?!} Wollen Sie auch abschalten? Wollen Sie abschalten? (nachdrücklich)

13.08 I:

J-a?... Sonst kann ich es einfach laufen lassen. Ich lasse es einfach weiterlaufen.//

13.12 M:

Neein, das ist etwas anderes, das draufkommt.

13.15 F:

Wieso? – (I lacht leise, im Hintergrund immer noch penetrant die Kettensäge)

13.16 M:

Ich hole Holz. –

13.28 F:

Hä?

13.29 M:

Ich wollte Holz von dort oben. Die machen die Eiche um... (I lacht, F auch)

13.34 F:

Nein, er [will [..]]!//

13.36 M:

Die sind am Baum fällen, grad] (schliesst Fenster)

13.39 I:

Ähä (belustigt)

13.40 F:

Und jetzt wollen wir einfach schon probieren, oder, selber, (M sagt etwas) ja selber irgendwie. – ja – Ist nicht [[..]]... (undeutlich)

13.48 M:

[Das gibt's ja nicht!] [48]

Was ist das andere, was nicht registriert werden sollte? Warum ist Herr K. dermaßen fasziniert, als der Baum gefällt wird? Registriert ist v.a. das Geheul der Kettensäge, gefällt wird ein mächtiges Symbol an Lebenskraft und -dauer.

17.80 F:

Ja, - mhm - doch, [ich muss sagen...] (im Hintergrund immer noch dezent Kettensäge) Dann hat sie (die Sozialarbeiterin) eine Aufstellung gemacht, und dann hat sie geschrieben, oder, uns fehle im Monat, sagen wir hundert Franken alte Steuern zahlen, und dann macht die Krankenkasse und die neuen Steuern und alles ausgerechnet.. sagt sie, fehle uns einfach schon 300 Franken, aber wir leben dann schon auf dem Minimum, oder, – ja – das ist dann nicht etwa,.. zehn (Franken) hier (oder dort) mehr ausgeben und so, nei-nein,.. und dann seien wir immer noch (Kettensäge wird laut; M hat das Fenster wieder geöffnet) 300 Franken unter dem Minimum, oder. – Ja – (Die Kettensäge ist sehr laut. F spricht lauter:). Das schon. – Ja – Aber die hat das geschrieben, oder, jetzt hoffen wir, dass das klappt, nicht? – Ja – Und dann bin ich danach dann..

18.30 I:

Erleichtert gewesen? (spricht lauter, dann Kettensägepause)

18.33 F:

Ja. – Ja – Das macht mich schon noch ein bisschen nervös, das. – mhm – Aber [ansonsten haben wir es eigentlich glücklich im Moment (lachend) hehehe]. – Ja, ja, mhm – Weil, nicht wahr, es gibt andere, die noch {münger}/schlechter dran sind.. – mhm – [wir haben jeden Tag etwas zu Essen..] – ja – Ja, es ist egal, (Kettensäge geht wieder los, laut, penetrant) wenn man wenigstens etwas zu essen hat, oder... – ja (lacht) – ... [Aber eben, bei ihm das Problem das kommt immer schlimmer (Rücken) [..]].

18.70 I:

Das habe ich gerade nicht verstanden.

18.80 F:

[Mit dem Rücken das wird immer schlimmer.]

18.85 I:

Ja, ja.

18.86 F:

Das ist eben auch das Problem. – Mhm – ... Aber eben, man darf nicht immer so weit denken, wir [lassen es einfach kommen wie es kommt]

 

(Kettensägengeheul!!!)

 

(Kettensägengeheul!!!)

19.10 I:

Ja,..... Jetzt nimmt es glaub' ich nicht gut auf, wenn’s, wenn es so laut ist,//

19.15 F:

//Ja //

19.16 I:

//das ist eben nicht die beste Qualität.

19.18 F:

Aha.. (zum Mann, humorvoll) Mach das Fenster zu! (gemeinsames Lachen) Geh ins Schlafzimmer hinaus! (I lacht) Es nähme nicht gut auf, [... komm], du kannst ins Schlafzimmer hinaus, und dort// (Kettensägengeheul)

19.30 I:

//Das ist eben noch so ein älteres Gerät, // (M schliesst Fenster)

19.33 F:

//Ja, ja. //

19.34 I:

//das so reagiert auf Geräusche und dann... (belustigt)

19.38 M:

Noch grad eine Minute, und dann fällt er um (der Baum)..

19.41 F:

Eben, geh ins Schlafzimmer hinaus um zu schauen!

19.45 I:

(lacht)

19.46 M:

Nein, das kann ich hier auch. [49]

Die Interviewerin ist verblüfft und kann es nicht fassen, dass Herr K. nicht bemerkt, dass er die Gesprächssituation verunmöglicht. In ihrer plötzlich übergroßen Lust auf Zurechtweisung zögert sie einzugreifen, handelt ihren Protest schließlich ebenfalls auf technischer Ebene ab und übernimmt, ausweichend, den Gerätediskurs des interviewten Paares. Sie wechselt vom "ich verstehe nicht" (was quasi wirkungslos bleibt) zum "es nimmt nicht auf" (was Wirkung zeigt).39) Sie versteht die beständige Infragestellung der Aufnahme nicht und möchte endlich dieses Interview machen. Das akademische Über-Ich hält nicht gerade viel von solchen Störungen. [50]

In dieser letzten Interviewpassage geraten auch die Zuständigkeiten durcheinander; im Anschluss weiß die Interviewerin nicht mehr, an wen sie sich wenden soll. Und eigentlich ist auch nicht ersichtlich, wieso nun die Frage nach dem Beschäftigungsgrad des Mannes folgt. Hat sich die Interviewerin vielleicht vom 100-prozentigen Fall der 100-jährigen Eiche beeinflussen lassen?

19.48 I:

(lachend) Ä-hä.... In dem Moment, als das passiert ist, eben, als Sie nicht mehr arbeiten konnten, dann, eh, haben Sie, oder hat er (verlegenes kurzes Lachen) hundert Prozent gearbeitet als Chauffeur?

19.60 F:

Er, ja. [51]

Hat das Geheul der Kettensäge einen Zusammenhang mit der nicht verbalisierten Befindlichkeit und dem Schmerz des Herrn K.? Tatsache ist, dass das penetrante Motorengeheul Herrn K. absorbiert und das Gespräch zwischen der Interviewerin und Frau K. verunmöglicht. Es ist Frau K., die so nicht zur Sprache kommt. Obwohl sie ganz zu Beginn das Wort ergreift, offenbar in einer Art Zuständigkeitsaufteilung, fällt sie aber zunehmend aus dem Gespräch. Zum einen setzt sich real durch Verlassen der Interviewsituation ab und zum andern kündet sie im Gespräch mehrmals an, dieses jetzt dann verlassen zu müssen, v.a. in Situationen, wo vom Leid und der Invalidität des Mannes die Rede ist. Dieses Leid ist offenbar auch für die Interviewerin schwer auszuhalten; sie geht ebenfalls auf Distanz und wechselt das Thema, als Herr K. von seinen Einschränkungen spricht:

24.60 M:

[... Früher] habe ich viel selber machen können, jetzt kann ich das eben nicht mehr machen. – Ja – .. Ich konnte jetzt alles machen am Auto..

24.80 I:

...Sie haben ein Auto? [52]

Auch die gegen Ende ausgedrückte Ungeduld von Frau K. (husten, räuspern, Tonfall) könnte als ein Absetzen (vom Befindlichkeitsdiskurs) interpretiert werden; auch in eigener Sache, wenn es um ihre Budgetverwaltung geht – als ob die Befindlichkeit sowieso klar sei. Ihre eigenen Beschwerden gehen unter, dabei ist sie in einer ähnlichen Situation; dass sie nämlich aus gesundheitlichen Gründen nur noch 50% arbeiten darf. Es wird nie zum Thema, dass eigentlich auch sie Anspruch auf eine halbe IV-Rente hätte. Alles dreht sich um die Arbeitsunfähigkeit des Mannes. [53]

2.2.2 Übertragungen

2.2.2.1 Anklage!

Dass mir im Verlauf des Gespräches zunehmend die Lust vergeht und ich müde und ungeduldig werde und abschweife, führe ich später auf die emotionalen Botschaften der Gesprächspartner zurück. Einerseits werde ich zur Anwältin ihrer Worte, wie ich mich zu Beginn selbst definiert hatte (vgl. Paragraph 41). Auch im von mir formulierten Ziel der Untersuchung – Betroffene zu verstehen und dadurch Einfluss auf die Institutionen zu nehmen, bzw. die Sozialhilfe zu verbessern – spielt die Anwaltsfunktion mit. Andererseits aber komme ich aus einer Welt, gegen die zumindest Herr K. massive Anklagen erhebt. Seine starke Betonung und Identifikation mit dem Büezertum und der Arbeitermentalität transportiert untergründig Anklagendes gegenüber Studierten und deren verheerend falschen Vorstellungen seiner Lebenswelt. Am Deutlichsten wird dies, als er von einem Transportauftrag für die Universität erzählt, wo er die Aufgabe fasste, die schwere Ladung in den Keller zu tun:

B 2.40 M:

//Sie haben eben,.. in A. hinten im Kantonsspital gemeint: Jaja, ich fahre jetzt in S. fort am Morgen um fünf, – mhm – ..fahre nach Z. runter [..], dort kann ich wieder, .. [am Abend] fahre ich wieder nach G. runter. Habe ich gesagt: ja,... man kann nicht einfach leer herumfahren, laden müssen Sie auch. Und das sehen sie einfach nicht... – mhm – ...das haben sie nicht kapiert, oder – Ja, ja, ja – oder, Sie äh,.. Sie kommen jetzt von der Uni?

B 2.80 I:

Ja.

B 2.81 M:

Jetzt, jetzt haben Sie sich, das ist mir eben ein paar Mal passiert, auch, so Uni und so Zeugs, oder, liefern müssen: "Ja, stellen Sie das nur in den Gang hinein... Oder in den Keller runter". Und dann sind das zwei Tonnen. [54]

Mit diesem Beispiel werde ich implizit angegriffen, bzw. getestet; er sagt damit: "Wegen Leuten wie Ihnen bin ich invalide." Bin ich auch jemand, die ihn als unwert betrachtet? Wenn ich mir ein zutreffendes Bild machen will, soll ich berücksichtigen, dass er schwere Lasten – könnte man einfügen: Belastungen? – tragen musste, so schwer, dass sie einen mit der Zeit unwert machen. Die Arbeitermentalität beinhaltet unausgesprochen, dass mit Arbeiten körperliche Anstrengung und Handwerkliches gemeint ist. Die universitäre Kopfarbeit muss suspekt erscheinen, v.a. wenn sich die "Studierten" in für das befragte Paar entscheidenden Dingen dermaßen uneinig sind (Diagnosen). Auch betreffend Wahrnehmung von Leiden und Gesundheit gilt es offenbar erst ernst, wenn der Körper streikt und sich nicht mehr "krümmen" lasse. Dazu würde die Empörung passen, die Herr K. empfindet, als er "zu einem Psychiater geschickt" wird; er sei doch nicht im Kopf krank, sondern brauche einen Rückenspezialisten, ruft er aus – längst nachdem das Aufnahmegerät ausgeschaltet ist. [55]

Die Anklage wird am Ende des Interviews von Herrn K. noch einmal als zentraler Punkt hervorgehoben: die (IV–)Bürokratie sei eine "Wand", eine "Bremse", die ihnen das Leben schwer mache. Im von ihm benutzten Begriff "von Pontius zu Pilatus secklä (= rennen)" für die Darstellung der Begegnung mit den Ämtern und dem Verwiesen werden von einer Institution zur anderen, klingt ebenfalls (vielfältig) An-Klage an; auch jene über die Vergeblichkeit des sich Abmühens. Es ist auch die Anklage, dass der Schmerz übergangen wird und dass man nicht erhält, worauf man ein Anrecht zu haben glaubt. Sogar die Ausländer werden verdächtigt, mehr zu kriegen. Herr K. ist deswegen zum "Toben" zumute.

8.00 M:

[Das ist eigentlich, eben] ... das ist einfach das, dass wir dann, ich bin, ich wäre nie zur Sozial (-hilfe) gegangen.

8.10 I:

Ja

8.11 F:

[Mh-pn] (verneinend), ich bin gegangen...

8.15 I:

Sie sind gegangen?

8.20 F:

(energisch, sehr laut) //Ich habe gesagt, wenn die IV nicht zahlen will dann geh ich!

8.25 M:

[Ich wäre zur IV ein bisschen toben gegangen].

8.30 F:

Ja, das wäre er wahrscheinlich machen gegangen. – Ja –

8.36 M:

Kommt’s noch soweit? – Ja – Habe ich noch gesagt. Aber es ist einfach, äh,.. es muss einfach irgendwo an einem Ort eine Grenze sein. – Mhm – Aber wo? – Mhm – ..Oder, es hat geheissen, man hat jeden Doktor gemacht, man hat alles gemacht, (gereizt) ich bin nach T. runter gegangen, aber dort habe ich eben [leider schließlich] nur zwei Tage hingehen können, - mhm - weil ich es sonst vor Rückenschmerzen fast nicht mehr ausgehalten hätte. Dann hat es geheissen,.. ich habe das, ich habe das gezielt machen wollen. [56]

Die nicht ausformulierte Anklage gegenüber Ämtern und Amtsvertretenden ist sozusagen das passende Gegenstück zu den von Herrn K. formulierten (vermeintlichen oder tatsächlichen) Vorwürfen seitens der Institutionen. [57]

Aufgrund des Erlebten stellte ich Thesen darüber auf, was sich in der Interpretationsgruppe an Dynamik abspielen könnte. Folgende schien sich zu bewahrheiten:40) "Man wird vielleicht die Lust verlieren und nicht das ganze Interview behandeln wollen, abkürzen wollen. Vielleicht gibt es Terminverschiebungen/-kollisionen." Jemand verpasste den Zug und kam eine Stunde später an; drei von sechs verabschiedeten sich vorzeitig. Und insgesamt, so der Projektleiter, der an allen Interpretationsrunden dabei war, habe er die Beteiligten des Kernteams noch kaum je so wenig motiviert erlebt. [58]

2.2.2.2 Verständnis?

Während des Gesprächs habe immer wieder das Gefühl, das Geschilderte nicht zu verstehen; nicht wegen des Dialektes, sondern aufgrund des Schilderungsstils, des Codes, der so eigenartig erklärungslos selbstverständlich daherkommt, aber gleichzeitig doch eigentlich alles andere als klar ist. Ich hake aber oft nicht nach, weil ich zwischendurch immer wieder überwältigt werde vom Gefühl, dass dies sowieso keinen Sinn machen würde und durch die Erklärungen alles nur noch unübersichtlicher werde. Ich meine zunächst zu verstehen, nicke oft und bestätige das Gesagte und bin diesbezüglich aktiver als mir lieb ist. Wo ich die unzähligen manipulativen "wir-verstehen-uns-doch-(hoffentlich)"-Angebote durchbreche und auf die Differenz beharre, befremdet und verunsichert dies offenbar rasch.

7.20 M:

Oder [{loset jetz}/hören Sie], ich bin nicht ein Rassist, aber man muss bald ein Ausländer sein... Da kommt man zu mehr Geld von denen (der IV).

7.38 I:

Meinen Sie? (leise lachend)

7.39 M:

Ja

7.40 F:

[Du], wenn ich manchmal höre, was die Leute, also ich habe mit vielen Leuten Kontakt, oder, wenn man in einem so grossen Betrieb arbeitet, 300 Personen arbeiten. Also manchmal könnte man schon [],.. da müssten wir uns eben auch langsam fragen, oder.....

7.62 I:

....Mhm, was denn?

7.64 F:

Wie die existieren... – Mh.. mhm – Die bekommen überall Geld!. ............... Also unser Ding ist jetzt einfach schon einfach selbständig,.. [so schauen und].. [59]

Am Ende des Gespräches habe ich definitiv das Gefühl, eigentlich gar nichts verstanden zu haben und ich gehe zurück mit der Überzeugung, dass dieses Interview missraten ist. Als ich Wochen später ein erstes Mal das gesamte Interview anhöre gewinne ich andere Eindrücke; ich finde das Gespräch jetzt interessanter, erkenne den Humor und finde sogar meine vermeintlich überaktive Beteiligung sympathischer. [60]

Dieser momentane Gesamteindruck des Nichtverstehens und der Hoffnungslosigkeit mag vielleicht auch etwas vom Unverständnis des Paares gegenüber ihrer eigenen Situation widerspiegeln. Obwohl die Verständnis-Frage seitens des Paares eher umgekehrt als ein: "Ja verstehen Sie denn nicht?" gestellt wird und an Klarheit appelliert – die stellenweise Gereiztheit von Frau K. könne diesbezüglich gedeutet werden. Herr K. fragt am Schluss, ob ich denn überhaupt den regionalen Dialekt verstehe. Also quasi, ob ich sie denn überhaupt verstanden hätte, verstehen könne, und im weiteren Sinne vielleicht auch, ob ich Verständnis habe. Und ganz am Schluss das Angebot, fast schon die Aufforderung, falls nötig, ruhig dann auch telefonisch noch nachzufragen. [61]

3. Auswertungen

3.1 Objektive Hermeneutik: Strukturhypothese

Die Auswertung dieses Interviews im Rahmen der Nationalfondsstudie fand an einem langen Nachmittag statt; als Interpretationsgruppe anwesend waren der Projektkoordinator und gleichzeitig Methodenspezialist, zwei für das Projekt fest angestellte und ein weiterer wissenschaftlicher Mitarbeiter und die Autorin als ehrenamtliche wissenschaftliche Mitarbeiterin und der extra für die Transkription dieses Interviews engagierte Student, der die Einladung nutzte, um die Auswertungsmethode praxisnah kennenzulernen. Ich habe versucht, die Herleitung der Strukturhypothese zu skizzieren und deshalb nur die diesbezüglich relevanten Stellen ausgesucht. Die kommentarlose Darstellung soll etwas von der Atmosphäre der Auswertungsgruppe, beziehungsweise von der Forschungshaltung der objektiven Hermeneutik wiedergeben; beispielsweise das faszinierende wortwörtliche Sezieren oder den irritierend behauptenden Tonfall, der mit zum Anlass für meine methodologischen Reflexionen geworden ist (vgl. Abschnitt 1.3). Nachträglich verfeinerte Interpretationsschritte sind in die Darstellung mit eingeflossen.

1.00 F:

Mhm. Ja da bin ich {ummi} zuständig (lachend). [62]

Diese erste Reaktion auf die Einstiegsfrage, die an beide, Frau und Herr K. gerichtet war, die Frage nach der Lebenssituation und die Erzählaufforderung (warum haben Sie Sozialhilfe beantragt, wie hat das angefangen und wie haben Sie das damals empfunden?) (vollständiges Zitat s. Paragraph 43) ist auffällig: Wofür ist Frau K. zuständig? Sie reklamiert die Zuständigkeit in der Interviewsituation. Das heißt, dass die Zuständigkeit für bestimmte Themen explizit geregelt ist. Das heißt auch, dass die Sprecherin davon ausgeht, dass das nicht der Normalfall ist; dass die Interviewerin das nicht erwartet und deshalb erklärt werden muss. Frau K. geht davon aus, dass von außen die traditionelle Rollenverteilung erwartet wird. Diese ist jetzt umgekehrt und das muss hervorgehoben werden; normalerweise ist es der Mann, der nach außen repräsentiert. These: Das Paar ist überfordert mit der Situation. Sie müssen sich als Ehegatten anders verhalten als gewohnt.

1.00 F:

Mhm. Ja da bin ich {ummi} zuständig (lachend). Also in den Sozialdienst sind wir gekommen, weil der Mann von der Krankheit her nicht mehr arbeiten gehen konnte [63]

Die Formulierung "in den Sozialdienst kommen" fällt auf. Man kann 1) in eine Abhängigkeit kommen, 2) in einen Schlamassel, 3) in eine Situation, oder 4) ins Gefängnis. Diesen vier Möglichkeiten gemeinsam ist das räumliche Merkmal, dass die Person jeweils als ganze "in" etwas hineingerät, quasi unintendiert. Der Sozialdienst wird nicht einfach als Einrichtung wahrgenommen, deren Leistungen man in bestimmten Situationen bewusst in Anspruch nehmen kann. Der distanzierende Ausdruck "der Mann" markiert dessen Abwesenheit; sie spricht über ihn, aber eigentlich müsste er sich melden. Sie geht nun ganz klar davon aus, dass von außen die traditionelle Rollenverteilung erwartet wird, aber er erfüllt diese nicht und versagt darin. Die ebenfalls unspezifische Formulierung "die Krankheit" weist darauf hin, dass es egal ist, um welche Krankheit es sich handelt; es interessiert nur der Funktionsausfall des Mannes: Er soll das Geld heranschaffen.

1.70 F:

Und dann haben wir gesagt, wenn die IV nicht zahlen will... Dann habe ich die IV angerufen, und dann hat die IV, die IV mir gesagt ich solle auf den Sozial... [64]

Hier bestätigen sich die Überlegungen zur Zuständigkeit: Die Rollenumkehrung ist eine Besonderheit, die nach außen expliziert werden muss, abgestützt und legitimiert durch die Institution der Invaliditätsversicherung (IV), die dies der Frau scheinbar nahe legt: "Die IV hat mir gesagt ich solle." Es ist nicht die Rede von einem "wir". These: Das Paar hat eine Krise, weil die traditionelle Rollenverteilung nicht klappt; die Zuständigkeiten müssen expliziert werden. Jetzt ist die Einkommensquelle vollständig in der Zuständigkeit der Frau. Sie kümmert sich darum, sie nimmt es in die Hand. Unklar ist, ob sie das widerwillig tut oder ob sie diese neue Position auch auskostet.

5.50 I:

Und Sie könnten denn leben von einer halben, halben IV-Rente?

5.55 M:

Dank dass die Frau arbeitet.

5.58 I:

Sie arbeiten?

5.60 F:

Ja, aber ich//

5.62 M:

//halbtags [65]

Dass die Frau arbeitet, ist eine Ausnahme, denn der Dank richtet sich an etwas, das nicht selbstverständlich ist. Sie ist es, die ihm ein Leben mit nur einer halben IV-Rente ermöglicht. Auch die Interviewerin ist überrascht. Und die Frau selbst relativiert die Tatsache ihrer Erwerbstätigkeit ebenfalls sogleich. – Gottseidank arbeitet die Frau nur halbtags und erinnert den Mann nicht noch mehr an seine Untauglichkeit – insofern profitiert er seinerseits von ihrer physischen Eingeschränktheit. Ab der Interviewstelle 5.62 ist zwingend klar, dass die neue Rollenverteilung nur widerstrebend angenommen wird und innerlich nicht akzeptiert ist. These: Die Frau beantragt für ihre eigene teilweise Arbeitsunfähigkeit keine Invaliditätsrente, weil das nicht ins traditionelle Rollenbild passt; sie würde sich sonst auf dieselbe Ebene stellen wie ihr Mann. Sie betrachtet ihre Arbeit nicht als vollwertig. Um so mehr beansprucht der Mann seine Invaliditätsrente. [66]

Strukturhypothese: Die erzwungene Transformation eines traditionellen Rollenverständnisses aufgrund der Invalidität, bzw. Krankheit des Mannes wird vom Paar nicht gemeinsam bewältigt, sondern aktiv von der Frau übernommen. Da diese dabei aber auf die Autorität der IV angewiesen bleibt, emanzipiert sie sich dennoch nicht. Und der Mann hat das Problem, eine eigenständige (neue) Position zu finden.41) [67]

3.2 Ethnopsychoanalytisches: Inszeniertes und Übertragenes

Als erstes wird ein großes Spannungsfeld rund ums Reden ins Zentrum gerückt. Grundlegend damit verbunden ist die Vertrauensfrage und die Befürchtung, übergangen zu werden. Könnte das zu entwischen drohende und folglich elektromagnetisch festgehaltene "Böse" die Anklage gegenüber den machtvollen Experten sein, die einen übergehen? Deren "Vorwürfe" treffen beim Paar seinerseits auf Unverständnis, bzw. fallen in die Argumentationslücken des restringierten Codes. Vielleicht aber ist das Reden und genau Angehörtwerden auch etwas paradigmenwechselhaft Neues oder zumindest Ungewohntes im Leben des interviewten Paares. Die Art und Weise ihrer verbalen Ausdrucksmöglichkeiten lässt ebenfalls darauf schließen. Ebenso der Hinweis des Mannes, dass man schon als Kind habe "selbständig" sein müssen: "Oder, da hat es dann nicht geheissen, jetzt kannst du dann der Mutter sagen gehen oder dem Vater." Das Einschalten des Gerätes, das die Worte registriert und festhält, und des Anwaltes, der sie ebenfalls anhörte und vertritt, wird quasi zu einer Art Leitmotiv, um das sich vieles dreht. [68]

Am Auffälligsten ist das Hereinlassen des Motorsägelärms, der gleichzeitig zur Interviewzäsur – möglicherweise Zensur? – wird. Warum will Herr K., dass das Aufnahmegerät hier ausgeschaltet wird? Was ist das "andere", das "nicht draufkommen" soll? Was bedeutet das Umsägen des Baumes für ihn? Identifiziert er sich mit dieser Situation? Ist das allesübertönende Geheul der Kettensäge stellvertretender Ausdruck seines nicht artikulierten Schmerzes und übersprungenen Befindlichkeit? Übertönt das Geheul die Befindlichkeit der Frau? Möchte er das Gespräch zwischen den beiden Frauen verhindern und wenn ja, warum? Reagiert er auf empfundenes Unverständnis der Interviewerin und geht seinerseits auf Distanz? Oder will er bei diesem einmaligen Ereignis einfach nur dabei sein und schert sich nicht um intellektuelle Gesprächskultur? [69]

Vielleicht stellt die gefallene Eiche auch den unterbrochenen Stammbaum dar? Das Interview kreist um die Invalidität und Arbeitsunfähigkeit des Mannes, um seine nach dreißig Jahren unterbrochene Berufs– und somit typisch-traditionellen Männerrolle. In diesem Zusammenhang fällt nachträglich die im Interview nie angesprochene Kinderlosigkeit des Paares auf, die Nichtelternschaft, welche für die ländlich-traditionsbewusste Gegend eher ungewöhnlich ist. Die Frau musste sich schon viel früher mit der Nichtverwirklichung einer typischen Frauenrolle, der Mutterschaft, auseinandersetzen. Hausfrau zu sein jedenfalls betrachtet sie als "normal", etwas, das "einfach dazugehört, wenn man verheiratet ist". "Kinder zu haben ebenso", ist man geneigt, hinzufügen. Auf eine unterschiedliche Bewertung der Erwerbsarbeit und Elternschaft zwischen den Geschlechtern weist auch die Tatsache hin, dass die halbe Invalidität der Frau kaum zum Thema wird. [70]

Mit der nonverbal übertragenen Anklage gegenüber "Studierten" rückt die "Arbeitermentalität" ins Blickfeld und damit die Betonung des Körperlichen, sozusagen Schweißtreibenden, der physischen Kraft und Geschicklichkeit. Herr K. misstraut den Intellektuellen vielleicht nicht ganz zu Unrecht. Wer studiert hat, war hauptsächlich mit Kopfarbeit beschäftigt und mehr oder weniger mit dem Denkerbe konfrontiert; der (Über-) Betonung des Geistigen und der sprachlichen Ausdrucksfähigkeit und der damit verbundenen Geringschätzung des Körperlichen. Das "Büezertum", die Arbeitermentalität ist sozusagen eine Art Gegenstück zum Denkerbe, mit umgekehrter Abwertung. So wird auch die Verständnisfrage erklärbarer; schließlich muss eine jahrtausendealte abendländische Spaltung überwunden werden. Der Ohnmacht und Schicksalhaftigkeit gegenüber der Institutionenwelt, deren elaboriertem Code und verbaler Potenz steht die Hoffnung auf ein anwältliches Machtwort entgegen. Frau K. betont, dass sie es als wichtige Unterstützung erfahren habe, dass die Sozialarbeiterin der Amtssprache mächtig ist und "Briefe schreibt", also sozusagen soziologische Übersetzungsarbeit leistet. [71]

Zu dieser Logik passt auch, dass Herr K. nichts von Psychosomatik wissen will, vom Zusammenhang des Körperlichen mit dem Seelischen und Geistigen. Allein die Körpersprache gilt, auch in Bezug auf Gesundheit. Der Körper drückt den Schmerz aus. Für die Unsichtbarkeit seines Leidens schämt er sich. Diese Körpersprache war schlussendlich der Grund dafür, dass dieses Interview überhaupt stattgefunden hat. [72]

3.3 Zusammenfassend

Die irritierende verbale Magerkeit eines Interviews und das während dieses Interviews bei der Interviewerin zunehmend dominierende und nachträglich ebenfalls irritierende Gefühl von Desinteresse und Misslingen (vgl. Anm.10, 24) hat diese um so deutlicher auf die Fährte nicht verbal ausgedrückter und unbewusst agierter Botschaften geführt. Diese Spur wurde bestärkt durch die Logik und das Erleben der Auswertungsmethode der objektiven Hermeneutik einerseits und die Reflexion des abendländischen Denkerbes andererseits. Welche Erkenntnisse also mögen diese emotional übertragenen und inszenierten Taten, gelesen als Daten, nun bergen? [73]

Dass das Reden ein Problem ist und sich in einem enormen Spannungsfeld abspielt, wird ganz zu Beginn per Inszenierung mehrfach mitgeteilt, bildet sozusagen die Ouvertüre des Gesprächs. [74]

Die nichtformulierte aber übertragene Anklage vermag die Argumentationssprünge etwas zu erhellen: es ist schwierig, jemanden direkt anzuklagen, von dem man abhängig ist (Kundin, Arzt) und/oder von der man sich Anwaltschaft und Parteinahme erhofft (IV-Amtsvertreter, Versicherung, Interviewerin). In diesen (restringierten) Verbalisierungslücken ist die Befindlichkeit angesiedelt, der Schmerz, und damit auch die daraus entstandene Klage, die Anklage, die Vorwürfe. Die Methode der objektiven Hermeneutik, die sich für das subjektive Erleben überhaupt nicht interessiert und dies auch nicht thematisiert,42) kann diesen Konflikt des Subjektes nicht erkennen; springt gemeinsam mit dem Paar über die Befindlichkeiten und wundert sich allenfalls über die sich breit machende Lustlosigkeit. Auch die nachträglich am unbewussten Interaktionsgeschehen interessierte Interviewerin wundert sich über die Lustlosigkeit und führt diese auf das Übertragungsgeschehen zurück. Die Feststellung, dass auch die Interviewerin den Schmerz des Mannes kaum aushält und ebenfalls über Befindlichkeiten hüpft oder Tendenzen entwickelt, den Interviewpartner zurechtweisen zu wollen, kann Hinweise dafür liefern, in was AmtsvertreterInnen angesichts dieses Fallbeispiels verwickelt werden mögen. Ein Resultat der Übernahme der Übertragungsangebote wäre dann das Übergehen des Leids43) (der Mann übergeht es selbst und vermittelt damit, dass es übergangen worden ist, übergangen werden kann) oder amtliche Vorwürfe (Angriff und Manipulation kann zu Desinteresse, Abweisung, Zurechtweisung und Moralisierung verleiten) – mit verheerenden Folgen für die Betroffenen, die dann tatsächlich "nie" zu "ihrem Recht" kommen und sich in ihren Vorurteilen bestätigt finden. Die Institutionen würden dadurch einen individuellen Konflikt verlängern und zementieren. Es wäre sinnvoll, solches Interaktionsgeschehen in der Aus- und Weiterbildung von Institutionsvertretenden zu berücksichtigen. [75]

Parallel zur Anklage wirkt auch die ebenfalls versteckt mitgeteilte Hoffnung auf Verständnis, der Appell an Parteinahme und Anwaltsfunktion.44) Herr und Frau K. selbst stellen das aktuelle Leid in biografischen Zusammenhang, wenn sie sagen, dass "man" schon früh habe "selbständig" sein müssen und als Kind den Eltern sein Leid nicht klagen konnte.45) Anwaltschaftliche Machtworte sollen nun die restringierten verbalen Lücken überbrücken helfen. Auf reflektiertem erkenntnistheoretischem Hintergrund ergibt dies weiter brisanten Sinn: Der Appell an das Verstehen könnte auch gelesen werden als Bitte, die Jahrtausende alten Abwertungen nicht zu reproduzieren.46) Anklage und Verständnisbitte passen in gewisser Weise zusammen; zusammengezogen mag der Appell und die Hoffnung mitschwingen, die Anklage zu verstehen. [76]

Indem sich die objektive Hermeneutik dem Problem des interaktiven Charakters und der intersubjektiven Verstrickungen im Forschungsprozess nicht stellt, sondern in kartesianischer Tradition eine von einem "Selbst" völlig unabhängige "Sache" postuliert, reproduziert sie theoretische Spaltungen und deren implizite Abwertungen (vgl. Anm.36, 28). Die oben diskutierten Resultate – vom Bemerken nicht formulierter Befindlichkeiten zum Erkennen agierter Botschaften – können auf dieser Grundlage gar nicht wahrgenommen werden.47) Wenn nun aber subjektives Empfinden als Forschungsgegenstand nicht interessiert, gibt es ein grundsätzliches Problem mit der Forschungsfrage der Studie; im Projekt ging es ja gerade darum, die subjektive Perspektive betroffener Working Poor verstehen zu wollen. [77]

Ich habe mich auf ein sozialwissenschaftliches Paradigma bezogen, das nicht nur das Erkennen (bewusster wie unbewusst gewordener) subjektiver Sinnstrukturen und der kulturellen Erfahrung des Subjektes zum Ziel hat, sondern zudem die eigene – emotional und rational reagierend postulierte – Subjektivität als zentrales methodisches Instrument einsetzt und das am besonderen Erkenntnisgebiet des Unterdrückten und Unbeachteten interessiert ist. Durch das Ernstnehmen meiner subjektiven, irritierenden Gefühle während des Forschungsprozesses – Entwertung (Gefühl des Missratens), Abgrenzungswunsch (Desinteresse, Gefühl des Nichtverstehens) – ist meine Neugierde wieder geweckt und dadurch der Blick auf das Interaktionsgeschehen gelenkt worden, aus dem, in der Tat, einiges zu entnehmen war: die Anklage und die Verständnisbitte konnten so erkannt und in Zusammenhang mit dem Gesagten (z.B. Bedeutung der Anwaltschaft) gebracht werden. Daraus wiederum haben sich wichtige Hinweise für die Praxis erschließen lassen. [78]

Indem die Ethnopsychoanalyse gewissermaßen das Verhältnis Wort – Tat fokussiert und Inszenierungen und Übertragungen als sprechend betrachtet, kann überhaupt erst ersichtlich werden, in welcher Vielfalt das Thema Sprache im vorgestellten Fallbeispiel auftaucht: Zunächst als problematischer Spannungsbogen reden – schweigen; als ein an Sozialhilfeabhängigkeit gekoppeltes Sprachverbot am Stammtisch ("Heb's Gfräss!"), das vielleicht auf ein "Halt's Maul!" des restringierten Code fällt; als Sprachfähigkeit (gegenüber dem Bewusstsein); als verbale Im-/Potenz (über keine/Machtworte verfügen), als undeutliches und evtl. durch Medikamente gedämpftes Reden von Herrn K.; als Körpersprache (Invalidität); als Nichtthematisierung der Teilinvalidität von Frau K.; als Nicht-transkribieren-Wollen der gesprochenen Worte; evtl. als "Geheul" der Motorsäge; und schließlich als theoretisches Konzept zweier verschiedener Sprachcodes. [79]

Anhang: Transkriptionsregeln

F, M, I

Frau (Interviewpartnerin), Mann (Interviewpartner), Interviewerin

[xyz]

vermuteter Wortlaut

[[...]]

sehr unverständlich, etwas konnte nicht übersetzt werden

//

Unterbrüche, Gleichzeitigkeiten

unterstrichen

Betonung, laut

normal

Betonung normal, verständlich

klein

leise

...

Pausen (Anzahl Punkte stellt die Dauer der Pause dar)

(kursiv)

Kommentare der transkribierenden Person

{ }

Dialektausdruck

– ja, mhm –

Kommentare der Interviewerin

13.00

Das Zähllaufwerk des Transkriptionsgerätes gibt ungefähre zeitliche Anhaltspunkte wieder: "40.00" entspricht der 45. Minute des Interviews;

B 5.71

"B" entspricht der B-Seite der Kassette bzw. der zweiten Hälfte des Interviews.

Anmerkungen

1) Dieser Artikel basiert auf einem überarbeiteten Paper (Methodologische Überlegungen zur Inszenierung einer Gesprächsverhinderung; fr.: "A cause des gens comme vous, je suis invalide!" – Quelques réflexions méthodologiques sur l'importance du non-verbal dans l'entretien), das ich am 7. EASA-Kongress im August 2002 in Kopenhagen im Rahmen des Workshops "Rapport, Dialogue, and Subjectivities. The Ethnopsychoanalytic Approach towards Ethnographic Experience" vorgestellt habe (siehe http://easa.uni-miskolc.hu/conferenceworkshops/rapportdialogue.htm; broken link, FQS, November 2003).
An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich bei allen am Austausch Beteiligten für die anregenden Gespräche, Gedankenanstöße und Unterstützung bedanken. <zurück>

2) Georges DEVEREUX (1984) bespricht die Einflussfaktoren Geschlecht; Alter; historisches Umfeld; soziokulturell gelenkte Denkgewohnheiten; soziale Gewohnheiten und Zugehörigkeiten; berufliche Position; die Art und Weise, wie die Forscherin positioniert ist und verstanden wird in der Gesamtgesellschaft; wissenschaftliche Methoden und Vorlieben; persönliche Voraussetzungen, blinde Flecken, unbewusste Bedürfnisse und Konflikte. <zurück>

3) FREUD über das Es: "Es ist der dunkle, unzugängliche Teil unserer Persönlichkeit; [...] (bitte entsprechend im Text korrigieren) Wir nähern uns dem Es mit Vergleichen, nennen es ein Chaos, einen Kessel voll brodelnder Erregungen. [...] Von den Trieben her erfüllt es sich mit Energie, aber es hat keine Organisation, bringt keinen Gesamtwillen auf, nur das Bestreben, den Triebbedürfnissen unter Einhaltung des Lustprinzips Befriedigung zu schaffen. Für die Vorgänge im Es gelten die logischen Denkgesetze nicht, vor allem nicht der Satz des Widerspruchs. Gegensätzliche Regungen bestehen nebeneinander, ohne einander aufzuheben oder sich voneinander abzuziehen, [...] Es gibt im Es nichts, was man der Negation gleichstellen könnte, auch nimmt man mit Überraschung die Ausnahme von dem Satz der Philosophen wahr, dass Raum und Zeit notwendige Formen unserer seelischen Akte seien. Im Es findet sich nichts, was der Zeitvorstellung entspricht, keine Anerkennung eines zeitlichen Ablaufs [...]. [Verdrängte] Wunschregungen [...] sind virtuell unsterblich, verhalten sich nach Dezennien, als ob sie neu vorgefallen wären [...]." (1933, S.80). Diese Beschreibung beinhaltet eine Anspielung auf Kants Anschauungs- (Raum und Zeit) und Denkformen (zwölf, u.a. Kausalität und Negation), die dieser als a priori Erkenntnisbedingungen menschlicher Existenz deduzierte. <zurück>

4) DEVEREUX betrachtete die Psychoanalyse primär als eine Methodologie und Epistemologie (1984, S.327, 329, 336, 353) in Anlehnung an FREUD, der das 1933 folgendermaßen formulierte: "Ich sagte Ihnen, die Psychoanalyse begann als eine Therapie, aber nicht als Therapie wollte ich sie Ihrem Interesse empfehlen, sondern wegen ihres Wahrheitsgehalts, wegen der Aufschlüsse, die sie uns gibt über das, was dem Menschen am nächsten geht, sein eigenes Wesen, und wegen der Zusammenhänge, die sie zwischen den verschiedensten seiner Betätigungen aufdeckt" (S.169). <zurück>

5) KANT: "Bisher nahm man an, alle unsere Erkenntnis müsse sich nach den Gegenständen richten; [...] Man versuche es daher einmal, ob wir nicht [...] damit besser fortkommen, dass wir annehmen, die Gegenstände müssen sich nach unserem Erkenntnis richten, [...] Es ist hiemit eben so, als mit den ersten Gedanken des Kopernikus bewandt, der, nachdem es mit der Erklärung der Himmelsbewegungen nicht gut fort wollte, wenn er annahm, das ganze Sternheer drehe sich um den Zuschauer, versuchte, ob es nicht besser gelingen möchte, wenn er den Zuschauer sich drehen, und dagegen die Sterne in Ruhe liess." (KrV, B XVI) <zurück>

6) Vgl. FREUD 1912a. FREUD hatte das Potential des Phänomens der Übertragung durch das Nachdenken über eine misslungene therapeutische Analyse entdeckt. Unter dem Fall Dora, einer eigenwilligen jungen Patientin, die die Behandlung bei FREUD abgebrochen hatte, kann dieser Reflexionsprozess nachvollzogen werden. Im Nachwort beschreibt er Übertragungen als "Neuauflagen, Nachbildungen von Regungen und Phantasien, die während des Vordringens der Analyse erweckt und bewusst gemacht werden sollen, [...] Um es anders zu sagen: eine ganze Reihe früherer psychischer Erlebnisse wird nicht als vergangen, sondern als aktuelle Beziehung zur Person des Arztes wieder lebendig." Es seien "Neudrucke, unveränderte Neuauflagen" (1905, S.279f). Diese werden jedoch von der übertragenden Person als "wirklich" erlebt (vgl. STRASSBERG 1998, S.52). <zurück>

7) NADIG 1986, S.45, vgl. S.44, 50 und 1992, S.157 und ERDHEIM und NADIG, 1991, S.191. NADIG veranschaulicht dies anhand ihrer Feldforschungserfahrung in Mexiko, wo sie als reiche Weiße, als Kommunistin, als Spionin und als Evangelistin betrachtet wurde, wo also historisch Erfahrungen mit "Weißen" auf die Forscherin projiziert und wiederholt wurden. Bei ihrer Untersuchung in der eigenen Gesellschaft seien sie und ihre Mitarbeiterinnen v.a. mit übertragenen anwaltschaftlichen Hoffnungen und Erwartungen konfrontiert worden (NADIG, GILBERT, GUBELMANN & MÜHLBERGER, 1991, S.77). <zurück>

8) NADIG 1986, S.48; vgl. PARIN, zitiert nach HEINRICHS 1985, S.47f, S.155: Über Rollenidentifikationen verinnerlichte gesellschaftliche Verhältnisse und Widersprüche können durch das "Aufklären der Subjektivität enthüllt" werden (vgl. auch PARIN 1989, S.98, zitiert nach: REICHMAYR 1995, S.85). Die Zürcher Schule (PARIN, PARIN-MATTHÈY, MORGENTHALER, ERDHEIM, NADIG) vertritt einen gesellschaftskritischen Ansatz. ERDHEIM und NADIG betonen, dass es nicht um das "Verständnis der Genese von Symptomen" geht, sondern um das "Verständnis historisch-ethnischer Zusammenhänge" (1991, S.191f). Es wird ein struktureller Zusammenhang zwischen kritischer Ethnologie, Ethnopsychoanalyse und feministischer Sozialwissenschaft hergestellt: der gemeinsame Gegenstandsbereich des und das gemeinsame Erkenntnisinteresse am "Fremden, Unbeachteten, am Unterdrückten"; Macht- und Gewaltverhältnisse werden immer mitreflektiert (ebd. S.193; vgl. auch NADIG 1996, S.143 und 1991, S.213 sowie Anm.16, 22. <zurück>

9) DEVEREUX: "Leider lässt sich auch die beste Methodologie, unbewusst und missbräuchlich, in erster Linie als Beruhigungsmittel, als angstbetäubendes Manöver verwenden, und in dem Fall produziert sie wissenschaftliche 'Resultate', die nach Leichenhaus riechen und für die lebendige Realität nahezu irrelevant sind." (1984, S.103) <zurück>

10) NADIG nennt beispielsweise blinde Flecken, Machtverhältnisse, Androzentrismen in Theorien (1986, S.39f; vgl. auch DEVEREUX 1984, S.282). In der eigenen Kultur ist das noch schwieriger, da man gemeinsame kulturelle (auch unbewusst gewordene) Annahmen teilt und es mit impliziten Selbstverständnissen zu tun hat. "Es hat sich gezeigt, dass in der eigenen Gesellschaft nicht nur der Befremdungsschock in die Irre führen kann, sondern auch die Irritation vor dem allzu Bekannten. Sie äußert sich in einem nicht immer bewussten Distanzierungs-, Abgrenzungs- oder Absetzungswunsch, der sich auch in der Entwertung und Herabminderung des Interesses äußern kann. Wir haben entdeckt, dass oft gerade an diesen Punkten der Distanzierung zentrale, gesellschaftlich unbewusst gemachte Konflikte zu entdecken sind. [...] Die Gefahr besteht in der gemeinsamen unbewussten Übereinstimmung gegenüber einem Phänomen, die sich bei beiden als blinder Fleck und als Tabu auswirkt. Das Aufspüren dieses eigenen und gemeinsamen Unbewussten verläuft nicht wie in der Psychoanalyse über die Irritation am Neurotischen im Gegenüber, sondern vor allem über die Irritation den eigenen Entwertungen und eigenen Rationalisierungen gegenüber" (NADIG 1992, S.194f. Hervorhebungen: S.H.). Leitfaden ethnopsychoanalytischer Gespräche bleibe hier wie vor "das Fremde"; die Befremdung und Irritation, die in jeder Beziehung entsteht (ebd.; vgl. NADIG et al. 1991, S.76 und NADIG 1991, S.245 sowie Anm.24). <zurück>

11) DEVEREUX – die klassische Terminologie (Subjekt/Objekt) übernehmend – hielt es für möglich, durch Bewusstmachung der subjektiven Verzerrungen "wirkliche Objektivität" (1984, S.282) zu erreichen und "die Realität in ihren eigenen Kategorien" (1984, S.254), sozusagen "nackt" zu begreifen (vgl. BOKELMANN 1987, S.19f). <zurück>

12) Diese ethnopsychoanalytische Technik der Selbstreflexion stelle keine Garantie gegen Fehlinterpretationen und Projektionen dar, erhöhe aber die Bereitschaft und Möglichkeiten, "persönliche oder kulturelle Einflüsse wahrzunehmen und ihr Vorkommen als ein Datum zur Sache zu interpretieren" (NADIG 1996, S.153; vgl. auch S.149). <zurück>

13) Z.B. KERNBERG, der in Anbetracht der Schwierigkeiten der Unterscheidung der unbewussten Reaktionen beider Seiten den Akzent auf den Interaktionsprozess legte; vgl. GIAMI, http://www.ethnopsychiatrie.net/giami.htm. <zurück>

14) FREUD beschrieb die Übertragung auch als "völligen Wechsel der Szene", als "plötzlich hereinbrechende Wirklichkeit", wie "Feuerlärm während einer Theateraufführung" (1914, S.310). <zurück>

15) 1992, S.49. Auch FREUD fand die Tatsache der Übertragung befremdlich, "das Merkwürdigste" (1938, S.100; vgl. LAPLANCHE & PONTALIS, 1996, S.551). Als das Merkwürdige an der Übertragung wird spezifischer die Wiederholung betrachtet (STRASSBERG 1998, S.65). <zurück>

16) Diese Haltung wird verglichen mit den psychoanalytischen Konzepten des Übergangsraums (WINNICOTT) und des Containers (BION); die Forscherin ist dann in der Funktion eines Gefäßes und bietet Raum für Unaussprechliches, noch nicht Sprachfähiges und Unverständliches. Dies eignet sich besonders gut für den Erkenntnisgegenstand des Unbeachteten und Unterdrückten (vgl. Anm.8; NADIG 1992, S.154f; 1998, S.196ff; 2000b, S.95f. und während der Tagung Das Schicksal der Ethnopsychoanalyse, Zürich, 14.-15.12.2001; NADIG & REICHMAYR 2000, S.80f). <zurück>

17) KUBIK, Formeln der Abwehr, Tagungsreferat, Das Schicksal der Ethnopsychoanalyse in Theorie und Praxis, Zürich, 14.-15.12.2001, vgl. REICHMAYR 2002, S.10. <zurück>

18) Wie sie z.B. REICHERTZ beschrieben hat (1995, S.273-280). <zurück>

19) In diesem Zusammenhang sei auf zwei weitere Konzepte verwiesen: jenes des "sozialen Sterbens" (NADIG 1986, S.43ff; 1992, S.155; ERDHEIM 1984, S.24f, 76, 133) und der akademischen "Hackmaschine" (NADIG & ERDHEIM, 1988b). <zurück>

20) Vgl. RIPPL 1993, S.29 und Anm.16. FREUD ging von einem Widerspruch zwischen individuellen Bedürfnissen und gesellschaftlichen Anforderungen aus und entwarf ein konflikthaftes Persönlichkeitsmodell, in dem das "Ich" immer den bestmöglichen Kompromiss zwischen den sexuell-triebhaften Bedürfnissen der Einzelperson ("Es") und den gemeinschaftlichen Regeln ("Überich", Gewissen) sucht. ERDHEIM formulierte den Antagonismus für die Ethnopsychoanalyse um: Der Konflikt besteht nun in den familiären versus den kulturellen Strukturen. Mit dieser Konzeption wird die Adoleszenz zentral (1984; 1988, S.191-214; ERDHEIM & NADIG 1991, S.194). <zurück>

21) "Dies bedeutet, dass sich die Forscherin bei der Auswertung sehr unmittelbar in Form von mehrmaliger Lektüre auf das Material einlässt und sich erlaubt, irritiert, abgestossen, erstaunt und erfreut zu reagieren. Zugleich wird sie zu Ideen, Hypothesen und theoretischen Schlüssen angeregt. Sie muss diese rationalen und emotionalen Bewegungen festhalten und in ihrem Ganzen als Ausdruck kultureller Strukturen zu verstehen suchen" (NADIG 1992, S.154). Verinnerlichte Tabus und Grenzen der eigenen Kultur können durch ein (durch eine eigene Analyse erworbenes) Bewusstsein um die Funktionsweisen des eigenen Unbewussten besser erkannt werden (NADIG 1996, S.149). <zurück>

22) In der tiefenhermeneutischen Textanalyse wird davon ausgegangen, dass das Material nicht ganz verständlich werden kann, wenn man sich mit den bewusstseinsfähigen Erwartungen, Intentionen oder Sorgen der manifesten Textoberfläche begnügt, sondern erst wenn die unbewussten und verdrängten Sinngehalte, Wünsche Träume oder Ängste der latenten Ebene berücksichtigt werden. Diese verdrängten Gehalte und intrasubjektiven Erfahrungen wiederum sollen in ihrer gesellschaftlichen Bedingtheit und Relevanz analysiert werden. Tiefenhermeneutik versteht LORENZER immer auch als Kulturanalyse und Gesellschaftskritik. Die Zähmung der Psychoanalyse zum politisch und kulturell unanstößigen Heilverfahren könne sich auf deren Begründer nicht berufen. (2001, S.105, 107; KÖNIG 2000, S.561, 567; vgl. NADIG & ERDHEIM 1988a, S.75; s.auch Anm.4, 8). In diesem Zusammenhang sei ebenfalls auf den Begriff des "Medicozentrismus" verwiesen (PARIN & PARIN-MATTHÈY 2000, S.61ff; vgl. auch ERDHEIM & NADIG 1991, S.196; ERDHEIM 1991, S.41f und 2001). <zurück>

23) Es werden drei Ebenen des szenischen Interpretierens unterschieden: die Szenen des Textes, die Szenen zwischen Text und Interpretin und die Szenen in der Gruppe (vgl. KÖNIG 2000, S.557). <zurück>

24) NADIG 1986, S.39f, 47ff; und 1996, S.154f. In der eigenen Gesellschaft verlaufen die Irritationen entlang einer anders definierten Achse von fremd und bekannt; sie drücken sich z.B. in Distanz und Desinteresse aus (vgl. NADIG 1991, S.245 und 1992, S.194f und Anm.10). <zurück>

25) Das Ansprechen offensichtlicher Zusammenhänge und Widersprüche soll ein Anwachsen der Ängste (psychoanalytisch gesprochen: der "negativen Übertragung") und Abbruch der Beziehung verhindern. <zurück>

26) Ängste, Konflikte, Sexualität, Anziehung, institutionelle Identifikation ... <zurück>

27) Solche Prozesse der Unbewusstmachung sind: Projektion, Idealisierung, Exotisierung, Pathologisierung, Verleugnung, Verdrängung, Ungeschehenmachen, Entwertung ... <zurück>

28) Die Trennung und Hierarchisierung ist schon in der Antike vorhanden: Für PLATON waren die Ideen unvergängliche Urbilder und eigentliche Wirklichkeit; die konkrete Welt dagegen bloße schattenhafte Abbilder. Leib und Sinnlichkeit galten ihm als Fesseln des Strebens, sich vom Sinnlichen zum Geistigen und damit Unsterblichen zu erheben. In der Um- und Aufbruchstimmung der Neuzeit versuchte DESCARTES einen radikalen Neuanfang und fand den sicheren archimedischen Punkt im "cogito ergo sum" – ich denke, also bin ich – in der absoluten Gewissheit des autonomen Ichs, bzw. der Vernunft. Sowohl äußere wie innere Sinneswahrnehmungen betrachtete er als unzuverlässig und unsicher und folglich ohne entscheidende Bedeutung für die Erkenntnis. Nur die angeborenen Vernunftstrukturen hielt er für fest und unbezweifelbar; auf ihnen allein könne wahre Erkenntnis beruhen. Er behauptete ein vollständig von der materiellen Welt unabhängig existierendes denkendes Bewusstsein (cartesianischer Dualismus). LOCKE und HUME im Gegenzug behaupteten, dass für jegliche Erkenntnis die Erfahrung vorrangig sei und Ideen erst aus Gewohnheiten entstünden, die sich in die tabula rasa – das unbeschriebene Blatt, das das Bewusstsein vor jeder Erfahrung sei – einschreiben. Das wahrnehmende und erkennende Subjekt steht in dieser Konzeption dem Objekt passiv gegenüber. KANT versuchte, den kartesianischen Rationalismus mit dem Empirismus der englischen Aufklärer zu verbinden und ging davon aus, dass Erkenntnis durch eine Synthese von Erfahrung und Denken, von Anschauung und Begriff entstehe. Doch die traditionskräftige Spaltung setzte sich auch danach fort als Idealismus und Materialismus. Obwohl KANT eine Gleichwertigkeit der beiden grundsätzlichen Erkenntnisarten behauptete – dem aktiven verstandesmäßigen Denken und dem passiven sinnlich empfundenen Wahrnehmen – galten ihm das Empirische, die Erfahrung als bloß zufällig und zerstreut; Gefühle als beliebig und ohne Notwendigkeit und also auch keiner wissenschaftlichen Erkenntnis förderlich. Feministische Erkenntniskritikerinnen haben die Verflechtungen der dualistisch verfassten Kategorienstruktur philosophischer Systeme mit der Geschlechterdifferenz aufgezeigt und dessen implizite Wertigkeiten kritisiert: So durchzieht das Oppositionspaar männlich/weiblich das Bedeutungsgewebe der gesamten westlichen Kultur und schlägt sich in kulturellen Codierungen nieder; binäre Oppositionen wie Kultur/Natur, Vernunft/Gefühl, Logik/Intuition, rational/irrational, aktiv/passiv, objektiv/subjektiv, abstrakt/konkret, sind jeweils männlich, bzw. weiblich besetzt. Mit "weiblich" wird assoziiert, was als von der Norm abweichend, unwissenschaftlich, bzw. erkenntnisbehindernd betrachtet wird (DOUGLAS 1991, MINNICH 1994, LIST 1993). Auch NADIG und ERDHEIM weisen auf das in Max WEBER beschriebene "männliche und heldenhafte Selbstverständnis des Wissenschaftlers" hin, wonach Subjektivität und das sich Einlassen auf andere den Charakter von Weiblichkeit annehme (1988a, S.81). MUSTO bringt das cartesisch dualistische Denken in historisch-politischen Zusammenhang mit dem Imperialismus: Es sei ein "abendländische Spezifikum" die Welt in Subjekt und Objekt zu entzweien und Erkenntnis als Konfrontation zweier unabhängiger Instanzen – ein erkennendes Subjekt und ein zu erkennendes Objekt – zu denken, das auf dem Hintergrund der historischen Praxis der Eroberung einer vergegenständlichten und daher verfügbar geworden geglaubten Welt betrachtet werden müsse (1983, S.252f). <zurück>

29) In der psychoanalytischen Theorie spielt der Gegensatz Handlung/Sprache eine zentrale Rolle: FREUD sprach von (unbewusstem) "Agieren" und "Wiederholen" statt (bewusstwerdendes, in Worte gefasstes) "Erinnern" und "Berichten". Das Übertragen kann als eine Form von Agieren betrachtet werden, einer Aktualisierung früheren Verhaltens. Der Begriff "agieren" beinhaltet aber auch die "Zuflucht zu motorischen Aktionen" und geht weit über den Begriff der Übertragung hinaus (PONTALIS & LAPLANCHE 1996, S.34ff, 46f). Inszenierungen sind ebenfalls eine Form von Agieren, worauf der englische Begriff "acting out" (Theaterspiel, eine Rolle spielen) anspielt. Vergangene Erfahrungen werden als gegenwärtige Realität in Szene gesetzt, szenische Darstellungen enthalten wichtige Informationen. STREECK spricht von einer "Grammatik der Tat" (2002, S.250). "Agieren" hat z.T. auch einen pejorativen Beiklang angenommen, weil Agieren im Vergleich zu sprachlichen Äußerungen als niedrigere psychische Entwicklungsstufe aufgefasst wurde, in einem Modell sich gegenseitig ausschließender Möglichkeiten von entweder agieren und wortlos handeln oder symbolisch ausgedrücktes sprachlich gefasstes Fantasieren und Denken (ebd. S.251ff). Dies muss nicht nur im Kontext des evolutionistischen Paradigmas der vorletzten Jahrhundertwende betrachtet werden, sondern auch im Zusammenhang des westlichen Denkerbes, das zentral Oppositionen, bzw. Spaltungen beinhaltet, die Wertungen tradieren: so wäre das Wort die Norm und die Inszenierungen die Abweichung (vgl. ebd. S.254 und Anm.28). <zurück>

30) So führte beispielsweise die grammatikalische Vagheit der Eingangssequenz eines (anderen!) Interviews auf weitere Spuren und Thesen: "Und dadurch, dass ich meine Lehrabschlussprüfung als Coiffeuse damals nicht geschafft habe, habe ich natürlich das Diplom auch nicht gehabt und wenn man so Arbeit sucht, ist das natürlich auch nicht super bezahlt, oder." Wörtlich gelesen beansprucht die Sprecherin, für die Arbeitssuche bezahlt zu werden. In den folgenden Interviewabschnitten verdichtete sich durch die wiederholte Bezeichnung des Sozialhilfegeldes als "Lohn" die Spur dieser "Anspruchshaltung", der nachzugehen für die Interpretation dieser Biographie wichtig war. <zurück>

31) Hier stellt sich die Frage, was von wem als "sinnvoll" erachtet wird. Im Gegensatz dazu geht es bei den freien Assoziationen darum, auch scheinbar "Sinnloses" in Betracht zu ziehen: "Sie werden versucht sein, sich zu sagen: Dies oder jenes gehört nicht hierher, oder es ist ganz unwichtig, oder es ist unsinnig, man braucht es darum nicht zu sagen. Geben Sie dieser Kritik niemals nach und sagen Sie es trotzdem, ja gerade darum, weil Sie eine Abneigung dagegen verspüren. [...] Sagen Sie also alles, was Ihnen durch den Sinn geht." (FREUD 1913, S.468). <zurück>

32) Wenn beispielsweise die ersten auf dem Band registrierten Worte des zu besprechenden Interviews lauten:

0.00 Interviewerin: //dann mal einschalten...

fällt als erstes auf, dass das Objekt fehlt. Was also kann alles eingeschaltet werden? 1) ein Gerät, 2) eine Person. In beiden Lesarten geht es um eine Zäsur; eine neue Situation wird eingeleitet (Krimi am TV schauen, Anwalt einschalten). In den nächsten Sätzen stellte sich heraus, dass das Aufnahmegerät gemeint war; das Einschalten eines Anwaltes und anderen Institutionsvertretenden spielte aber im weiteren Verlauf ebenfalls eine wichtige Rolle. <zurück>

33) Hier drängt sich die Frage auf – den NATHAN'schen bzw. MORO'schen "Deutungskreis" vor Augen (siehe z.B. STURM 2001, S.218-237) – warum denn keine Fach- oder LänderexpertInnen eingeladen werden. Umso mehr, als es zum Grundverständnis der objektiven Hermeneutik gehört, dass die Interpretierenden "kompetente Mitglieder der untersuchten Sprachgemeinschaft" sein sollten. (REICHERTZ 1991, S.225) <zurück>

34) Eine zentrale These OEVERMANNs ist, dass die Welt vollständig vertextet werden könne (REICHERTZ 1991, S.227). <zurück>

35) Gegen-/Übertragung ist kein Text (PONTALIS), sondern "pure Tat". Szenische Anteilnahme ist das Mittel, um "die durch die Sprache gesetzte Grenze des Verstehens" zu überschreiten, um Wirkungen auf das Unbewusste bewusst zu machen (KÖNIG 1995, S.214); vgl. Anm.29. <zurück>

36) Der Begründer der objektiven Hermeneutik, OEVERMANN, greift dieses Vorgehen prinzipiell an: "Bestritten wird vielmehr, dass aus der der psychoanalytischen Therapie analogen Kunstlehre der subjektiven Verfügbarkeit von Gegenübertragungs-Empfindungen so etwas wie eine relevante Methode der empirischen Sozialforschung folgen könnte." (1995, S.175). OEVERMANNs teilweise ziemlich aggressiv-polemische "Begründungen" zeugen von einiger Unkenntnis (ethno-) psychoanalytischer Theorie und Technik; vgl. Anm.4, 8, 22. OEVERMANN stellt in einer althergebrachten "Entweder-oder-Logik" eine "Sachzugewandtheit" einer "narzisstischen Dauerreflexion" gegenüber (ebd. S.177). Verwiesen sei diesbezüglich auf NADIG 1996, S.152; vgl. Anm.12, 21. Das seit der qualitativen Wende thematisierte Problem der intersubjektiven Verstrickungen im Forschungsprozess lässt sich nicht dadurch lösen, dass in kolonialistischer kartesianischer Tradition an einer von einem "Selbst" völlig unabhängigen "Sache" festgehalten wird (vgl. MUSTO und Anm.28). <zurück>

37) Das Gespräch fand in Schweizerdeutsch statt und die Transkription wurde mit Absicht dialekt- und materialnah ins Hochdeutsche übersetzt. Transkriptionsregeln siehe Anhang. <zurück>

38) BERNSTEINs These lautete, dass die soziostrukturellen Bedingungen die Sprechweisen determinieren. Er unterschied den restringierten Code der Unterschicht vom elaborierten Code der Mittelschicht. Der restringiete Code ist gekennzeichnet durch kurze, grammatikalisch einfache oder unvollständige Sätze; eine wenig differenzierte und eher starre Auswahl von Adjektiven, Adverbien und Konjunktionen; häufiger Gebrauch von verstärkenden (soziozentrischen) Wendungen wie "nicht wahr", "da sehen Sie" (im Gegensatz zu egozentrischen Redefolgen wie "ich denke" des elaborierten Codes); häufige Verwendung von traditionellen Wendungen und Aphorismen und starren Wortfolgen; eine beschreibende, konkrete Erzählweise; häufig befehlende Hinweise; Vermischung von Tatsachenfeststellung und Begründung; Überwiegen der emotionellen und nonverbalen Kommunikationskomponenten vor den logischen; fehlende sprachliche Vermittlung eigener Absichten in Interaktionen – im Gegensatz zum elaborierten Code, wo in vielfältiger Weise subjektive Ansichten, Bedeutungen und Gefühle verbalisiert werden.

Als Beispiel wird immer wieder die (Eltern-)/Mutter-Kind-Interaktion angeführt: "Halt's Maul!" (Unterschichtmutter) versus "Mir wäre es lieber, du machtest weniger Lärm mein Schatz." (Mittelschichtmutter). Oder zur Situation einer durch den Fußball spielenden Sohn eingeschlagenen Fensterscheibe: "Dass mir das nicht noch einmal vorkommt! Was wird der Hausmeister sagen?!" versus "Du solltest wirklich langsam wissen, dass man nicht gegen Fenster zielen darf. Jetzt frieren Meiers und es kostet viel Geld. Mama ist ganz traurig über ihr ungezogenes Kind" (vgl. ABELS & STENGER 1989, S.171-176; DECHMANN & RYFFEL 1990, S.206-209). <zurück>

39) Hier könnte man mutmaßen, dass das erstere ("ich verstehe nicht") wirkungslos bleibt, weil es vielleicht eher zu den egozentrischen Redefolgen des elaborierten Codes gehört, wohingegen das Verweisen auf die Umstände (es ist ein Interview und es nimmt nicht auf) eher dem restringierten Code, bzw. der Lebenswelt der Interviewten entspricht; vgl. Anm.38. <zurück>

40) Insgesamt hatte ich noch stärker damit gerechnet, dass es zu Missverständnissen kommen könnte oder zu Unwillen gegenüber dem Paar und ich vermutete auch, dass die Frau untergehen könnte. Interessantes spielte sich zudem rund um die Transkription des Interviews ab: Niemand wollte das Gespräch transkribieren und die gesprochenen Worte vertextlichen (inklusive der Autorin). Es vergingen Wochen und Monate, in denen die Kassette immer weiter herumgereicht wurde, und ich wurde regelmäßig von der Befürchtung heimgesucht, dass das Band verloren gehen könnte. Schließlich wurde ein Sonderbudget bewilligt und kurzfristig ein Student für diese Aufgabe engagiert. <zurück>

41) Das Nationalfondsprojekt ist zu diesem Zeitpunkt (April 2003) noch nicht beendet und es gibt noch keinen offiziellen Schlussbericht, bzw. die Gesamtauswertung ist noch ausstehend. Aus der Einsicht, dass dem Paar durch das Hineinrutschen in die Armutssituation eine Veränderung der Lebenswelt abverlangt wird, könne aber etwa dahingehend gefolgert werden, dass Institutionsvertretende sich der veränderten Lage ihrer Klientel bewusst sein müssen und – im obigen Falle – beispielsweise den Mann darin unterstützen müssten, ihm eine Umorientierung zu erleichtern (persönliche Mitteilung von Stefan KUTZNER, Projektleiter). <zurück>

42) "Sie [die objektive Hermeneutik] richtet sich statt auf den subjektiv gemeinten Sinn der 'Autoren' von Ausdrucksgestalten auf deren objektive oder latente Sinnstrukturen und trachtet diese nicht durch Nachvollzug oder Perspektivenübernahme, sondern durch explizite Verwendung jener bedeutungsgenerierenden Regeln zu entziffern, die in der ursprünglichen Situation der Generierung der Ausdrucksgestalt als Erzeugungsregeln faktisch am Werk waren." (OEVERMANN et al., https://ssl.humanities-online.de/download/reihe.html) <zurück>

43) "Nein, die (= IV) haben das Zeug (= Antrag) gar nicht angeschaut!" (F: 4.45), "dort bei der IV,... dort stecken sie Sie in ein Couvert [...] und danach, und vielleicht nehmen sie dich dann mal..." (M: 4.58). Natürlich muss mitberücksichtigt werden, dass die IV-Bürokratie vielleicht auch ohne diese Übertragungsangebote die Fälle in einem Couvert und das Couvert in einem Stapel versorgt und angesichts der finanziellen Nöte die Anträge vielleicht tendenziell misstrauisch-ablehnend behandelt. Kommt aber beides zusammen – das Problem, sein Leid darzustellen, um Unterstützung zu bitten und gleichzeitig anzuklagen einerseits und andererseits eine Institution, deren finanzielle Unterstützungsmöglichkeiten sehr beschränkt sind – werden sich die Konflikte verschärfen und bestätigen. <zurück>

44) Spuren davon sind auch im Interview zu finden: Als Herr K. erzählt, ihm sei vorgeworfen worden, er wolle nicht arbeiten sondern nur vom Umschulungsangebot profitieren, entfährt es der Interviewerin in quasi beschützender Manier: "We-wer hat das gesagt?" Die Wirkung des Anwaltschaftsappells ging soweit, dass eine Kollegin, die dieses Paper in Rohzustand las, der Autorin – zu Unrecht, wie diese nach wie vor findet – Pathologisierung des Herrn K. unterstellte. <zurück>

 

B 1.7 M: Oder, man hat dann selbstständig, schon müssen selbstständig, ... sein müssen. – Ja –

.............. Oder, da hat es dann nicht geheissen, jetzt kannst Du dann der Mutter sagen gehen

.............. oder dem Vater. – Mhm –

B 1.9 F: Aber das merkt man schon, dass er schon von früher her auch, - Ja – //

B 1.9 M: Eben//

B 2.0 F: //immer hat arbeiten müssen. Und, ich möchte sagen, - ja - von nichts kommt das nicht,

............. mit dem Rücken. – Ja – Das sage ich ihm: Von nichts kommt nichts. – Ja, ja – Und

............. nachher Chauffeur, das ist noch eines, aber die Tonnen, die sie da im Zeug herum// <zurück>

46) Im übrigen ist es interessant, dass die extremste Formel philosophischer Seinsbegründung durch das Denken – "cogito, ergo sum" – ich denke, also bin ich – sich in der Beschreibung des elaborierten Codes wieder findet (vgl. Anm.28 und 38): als so genannte egozentrische Redefolge im Gegensatz zu den soziozentrischen Redefolgen des restringierten Codes: "ich denke" versus das auf das Gegenüber Bezug nehmende und um Versicherung bedachte "nicht wahr", bzw. das häufig verwendete "oder" im besprochenen Fallbeispiel. Hier eröffnet sich ein breites Diskussionsfeld über die Kulturbedingtheit, Wertigkeiten und Auswirkungen verschiedener "Codes", das an die Diskussionen um die Defizit- bzw. Differenzhypothese anschließt.
Gerade im Zusammenhang mit dem vorliegenden Working Poor-Fall bietet sich an, die "Seins-Formeln" weiterzuweben in Richtung: "Ich habe genug zu essen, also bin ich"; "Ich bin sozial akzeptiert und nehme aktiv am Vereinsleben teil, also bin ich"; "Ich bin invalide und kann nicht mehr arbeiten, also bin ich sozial ein bisschen gestorben"; "Ich bin froh, jeden morgen aufstehen zu können und das Leben einigermaßen bewältigen zu können mit dem was ich habe, also bin ich" ... <zurück>

47) Es gab sogar tatsächlich einen "objektiv hermeneutischen" Versuch des Absprechens der Resultate dieser an der Subjektivität orientierten kleinen Fallstudie. <zurück>

Literatur

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Zur Autorin

Silvia HEIZMANN, lic.phil. Ethnologin, Diplomassistentin am Departement für Sozialarbeit und Sozialpolitik der Universität Fribourg, Schweiz. Unterrichtet Kritisches Denken und Qualitative Forschungsmethoden. Themenschwerpunkte: Ethnopsychoanalyse, feministische Erkenntniskritik, Körper und Tanz.

Kontakt:

Silvia Heizmann

Universität Fribourg
Dep. Sozialarbeit + Sozialpolitik
Rte des Bonnesfontaines 11
CH – 1700 Fribourg

E-Mail: Silvia.Heizmann@tiscalinet.ch (Revised FQS, October 2005)

Zitation

Heizmann, Silvia (2003). "Ihretwegen bin ich invalide!" – Einige methodologische Reflexionen über die Grenzen verbaler Datengewinnung und Datenauswertung und der Versuch, aus dem Erkenntnispotential ethnopsychoanalytischer Konzepte zu schöpfen [79 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 4(2), Art. 31, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs0302315.

Revised 6/2008

Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research (FQS)

ISSN 1438-5627

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