Volume 3, No. 3, Art. 6 – September 2002

Rezension:

Anja Kassel

Roland Bader (2001). Learning Communities im Internet. Münster: Lit Verlag, 373 Seiten, ISBN 3-8258-5614-3, EUR 25,90

Zusammenfassung: In dieser überarbeiteten Dissertation beschäftigt sich Roland BADER ausführlich mit dem Handlungsfeld der außerschulischen Medienpädagogik und interaktionistischen Konzepten des Lernens. Lern- und sozialpsychologische Konzepte wie beispielsweise die "Activity Theory" werden dargestellt. BADER widmet sich im Weiteren den Lernenden Gemeinschaften. Im Anschluss an die theoretischen Erörterungen wird anhand der sorgsam beschriebenen Fallstudie in der pädagogischen Weiterbildung deutlich, wie die Aneignung von Netzkompetenz bei PädagogInnen trainiert werden kann. Hierbei sind für BADER Gestaltung und Grenzen von Learning Communities wesentlich. Als ein Ergebnis ist die Kohärenz der Kommunikation in Gruppen in Bezug auf den Erfahrungsaustausch, auch außerhalb der Aufgabenstellung, zu sehen.

Keywords: Virtuelle Lerngruppen, Lernen, Kommunikation, Medienkompetenz, Fallstudie, pädagogische Weiterbildung, Medienpädagogik, qualitative und quantitative Forschung

Inhaltsverzeichnis

1. Ziel und Aufbau des Buches

2. Theoretische Ansätze zu "Lernen@Internet"

3. Untersuchungsbeispiel: Online-Lernprojekt Kokon

4. Fazit

Zur Autorin

Zitation

 

1. Ziel und Aufbau des Buches

Der Autor ist seit vielen Jahren in der außerschulischen Jugendarbeit und der Weiterbildung mit Neuen Medien tätig. In diesem Zusammenhang beschäftigt ihn besonders die Frage der notwendigen Kompetenzen der PädagogInnen, die im außerschulischen Bereich Computer- und Internetkurse durchführen. Die Gestaltung von Weiterbildungsangeboten für Computer muss sich methodisch und didaktisch an die Gegebenheiten des Arbeitsfeldes, an die Bedingungen und Zielsetzungen orientieren. BADER interessiert, in welcher Weise Lernen in kleinen Gruppen gestaltet werden kann, um PädagogInnen den Erwerb von Medienkompetenz zu ermöglichen. [1]

Das Buch gliedert sich neben der Einleitung in zwei Teilbereiche. Im theoretischen Teil werden in vier Unterkapiteln außerschulische Medienpädagogik, interaktionistische Konzepte des Lernens, Lernen als soziale Praxis sowie Kommunikation und Lernen im Internet bearbeitet. Im empirischen Teil stellt BADER sein Lernprojekt Kokon vor, in dem Dimensionen der Aneignung beim verteilten Lernen in Kleingruppen untersucht wurden. Ergebnisse seiner Untersuchung werden im Kapitel "Herstellung gemeinsamer Problemräume in virtuellen Gruppen" vorgestellt, Schlussfolgerungen für die Gestaltung kollaborativer Online-Szenarien folgen. Im Anhang findet sich neben Fragebögen ein Interneterfahrungsbericht aus der Arbeit mit Jugendlichen (N@tbox). [2]

2. Theoretische Ansätze zu "Lernen@Internet"

Der theoretische Einstieg erfolgt über die Diskussion zur Medienkompetenz. Im Kapitel Interaktionistische Konzepte des Lernens ist der Fokus auf die Eigenaktivität der Lernenden gelegt. Die situationale, soziale und kulturelle Einbettung von Lernprozessen wird thematisiert. Lernen wird als ein Prozess angesehen, in dessen Verlauf sich das Verhältnis eines Subjekts zur Umgebung verändert, auch als interaktionistische Konzepte benannt. Da der Computer ein Aneignungswerkzeug ist, wird das Konzept der Aneignung unter den theoretischen Konzepten der Activity Theory einbezogen. Weiterhin erfolgt eine Verfeinerung durch die Vorstellung der theoretischen Konstrukte der situierten Kognition. Diese Ansätze ergänzen sich, da sie Lernen ebenso wie Handeln als Interaktion von Akteuren mit dem Kontext begreifen. Im Konzept der Aneignung wird die Gegenständlichkeit und die Vermittlung menschlicher Tätigkeit betont, in den situierten Theorien steht der Aspekt der Abstimmung an die Angebote und Erfordernisse der Umwelt im Vordergrund. Durch das Aufzeigen von drei Lernsoftwares (LOGO: Kinder lernen programmieren; Sherlock II: Lernprogramm für Techniker zur Wartung eines Flugzeugtyps; Writing Partner: "Schreibstilhilfe") wird dargelegt, wie wichtig die Einbettung ebendieser in einen Kontext ist. [3]

BADER greift im Kapitel Lernen als soziale Praxis insbesondere die Frage gruppenorientierten Lernens im Internet auf. Lernen geschieht im Rahmen sozialer Interaktionen, aus der Sicht der Activity Theory im Wesentlichen in der asymmetrischen Interaktion zwischen Partnern mit unterschiedlichen Vorkenntnissen. Dies ist zusammen mit dem Aneignungsbegriff (Übernahme der Sichtweisen einer anderen Person) und der Sicherstellung des wechselseitigen Verständnisses (Grounding) zu betrachten. Software kann in diesem Bezugssystem angesehen werden als Mittel, um den Prozess des Groundings zwischen Interaktionspartnern zu unterstützen. Weiterhin wird mit Aufzeigen des "Communities of Practice"-Modells die Identitäts- und Persönlichkeitsbildung insofern angesprochen, als dass sich neue Motive und Tätigkeiten herausbilden. Demnach findet Veränderung nicht nur innerhalb des Subjekts statt, sondern auch in seiner Beziehung zur Umwelt. Der letzte Teil des Kapitels widmet sich Gruppenprozessen; hierbei wird die Koordination der Kommunikation sowie der Inhalts- und Beziehungsaspekt angesprochen. Lernen wird als Veränderung der sozialen Rolle in der Gemeinschaft gesehen, die gemeinsame Praktiken, Werte und Sichtweisen miteinander teilt. Eine wesentliche Forderung für die Weiterbildung lautet deshalb, dass für die soziale Interaktion zwischen den Teilnehmern neben der unmittelbaren Aufgabenbearbeitung auch auf Beziehungsaspekte zu achten ist. [4]

Abschließend geht BADER im Theorieteil auf Kommunikation und Lernen im Internet ein. Hierbei werden internetspezifische Dienste und die Besonderheiten der computervermittelten Kommunikation beschrieben, die für das Gruppenlernen relevant sind. Die Auseinandersetzung mit DÖRINGs medienökologischem Rahmenmodell macht deutlich, dass die erfolgreiche Nutzung der Optionen des Internets Voraussetzungen auf der Ebene der bestehenden Kompetenzen hat: So sind technische wie soziale Kompetenzen ausschlaggebend dafür, ob die Internetnutzung als bereichernd oder als belastend wahrgenommen wird. Im empirischen Teil des Buches wird anhand des Lernprojekts Kokon die aufgeworfene Frage aufgezeigt, wie Lernen und Medienaneignung mit den Möglichkeiten des Internets gefördert werden können. [5]

3. Untersuchungsbeispiel: Online-Lernprojekt Kokon

Das Untersuchungsobjekt Online-Lernprojekt Kokon wurde mit (13) TeilnehmerInnen ergänzend zum Weiterbildungsprogramm Menschen am Computer/Computermedienpädagogik (MaC*_plus) durchgeführt. MaC*_plus umfasst fünf aufeinander aufbauende Kurseinheiten mit je acht Präsenztagen, kursbegleitend die Arbeit in Peergruppen sowie die Planung, Durchführung und Dokumentation eines eigenen medienpädagogischen Projekts durch die TeilnehmerInnen. Für die Durchführung des zusätzlichen Kurses entstand die Lernumgebung Kokontool. Erfasst wurden Lern- und Aneignungsprozesse auf individueller Ebene sowie Gruppen- und Kommunikationsprozesse. Die Erhebung erfolgte prozesshaft mit quantitativen und qualitativen Methoden. BADER setzte Fragebögen ein zur individuellen und Peergroupermittlung. Kommunikationsprotokolle in Mailinglisten, Onlinefragebögen, Dokumentenauswertung und ein Plenargespräch runden die Erhebung ab. Das Hauptgewicht der Auswertung unter Bezugnahme auf die grounded theory widmete sich den qualitativen Daten – ergänzt durch quantitative Fragebögen. [6]

Geht man davon aus, dass verteiltes Lernen in Kleingruppen als Prozess der Anpassung an die Erfordernisse der Situation zu verstehen ist, so wird sich durch die Erschließung und Nutzung medialer Ressourcen das Verhältnis der Akteure zur Situation verändern. Hierzu gehören soziale, materielle und symbolische Ressourcen im Kontext der Lernenden. Zusammenfassend stellt BADER in vier Ebenen Aneignungsdimensionen vor:

BADER betont, dass bei der Aneignung die Herstellung eines lernförderlichen Kontextes (z.B. funktionierende technische Infrastruktur) ebenso wichtig ist wie die soziale Aneignung der computervermittelten Kommunikation. Alle Aneignungsebenen lassen sich als selbständiges Lernen charakterisieren. Die TeilnehmerInnen müssen ein erhöhtes Maß an Selbstdisziplin, Disziplin bei der Kommunikation und strukturiertem Vorgehen aufbringen. [8]

Um eine Herstellung gemeinsamer Problemräume in virtuellen Lerngruppen zu schaffen, muss laut BADER eine aktive Gruppenleistung erfolgen: Neben inhaltlichen Beiträgen der einzelnen TeilnehmerInnen zur Arbeitsaufgabe sind auch gemeinsame Abstimmungsprozesse der gesamten Gruppe, in denen die Kommunikationsprozesse koordiniert werden, nötig. Die TeilnehmerInnen wurden während der Untersuchung in drei Kleingruppen unterteilt. Es ist deutlich, dass die Kommunikationsdichte mit der Zufriedenheit im positiven Zusammenhang steht. Die Kohäsion in den Gruppen bestimmte den positiveren oder schlechteren Verlauf des Anfertigens von Gruppenergebnissen. Hilfreich sind u.a. Regeln zum Umgang miteinander, beispielsweise über die Frequenz der E-Mail-Bearbeitung. [9]

BADER stellt abschließend die gelungenen und weniger gelungenen Kursergebnisse kritisch vor. Als ein wesentliches Ergebnis für die Gestaltung von Online-Szenarien kann festgehalten werden, dass die Herstellung einer guten Atmosphäre in der Arbeitsgruppe wichtig ist. Der Austausch untereinander muss den TeilnehmerInnen sinnvoll erscheinen, dies ist wesentlich für die Förderung reflektierten Lernens online. Hierfür ist die Aufgabenstellung lenkend. Beispielhaft sei an dieser Stelle die Erfahrung mit Synchronkonferenzen genannt. Die Beteiligten erfassten in diesen ein höheres Maß an sozialer Präsenz untereinander. Dies erwies sich in denjenigen Gruppen als wichtig, die in der Mailingliste wenig Persönliches kommunizierten. Synchronkonferenzen sind förderlich für die Herstellung gegenseitiger Verbindlichkeit. Ein weiteres Ergebnis ist die Kalkulierbarkeit des Zeitrahmens und Aufgabenstellungen, die unterschiedlich kurzfristig, nicht aufeinander aufbauend, absolviert werden können. Für PädagogInnen sollten zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Zum einen sollte die eigene Medienaneignung durch den Arbeitskontext belohnt werden, zum zweiten muss das Umfeld der TeilnehmerInnen Ressourcen bereitstellen, um die angeeigneten Kompetenzen zu nutzen. [10]

4. Fazit

Roland BADER legt ein komplexes Buch vor, dass sich besonders gut für all diejenigen eignet, die sich mit konkreten (teil-) virtuellen Kursgestaltungen befassen und denen das Internet nicht ganz fremd ist: Seine jahrelange Erfahrung in diesem Sektor setzt an manchen Stellen ein erweitertes Verständnis voraus, die Struktur des Buches eröffnet sich nicht immer nachvollziehbar. Aber besonders durch das vorgestellte Lernprojekt Kokon werden Interessierten wichtige (typische) Erfahrungsschätze aufgezeigt, u.a. durch anschauliche Zitate der untersuchten Personen unterlegt. Insgesamt gesehen ist dieses Buch eine lohnenswerte Anschaffung für PraktikerInnen, hat es doch annähernd einen Nachschlagwerkcharakter. [11]

Zur Autorin

Anja KASSEL, M.A. Sozialpsychologie/Soziologie, arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin in dem Drittmittelprojekt "Hochschulen für Gesundheit" (BMBF-Programm "Neue Medien in der Bildung"). Als Teletutorin besteht ein besonderes Interesse an lern- und sozialpsychologischen Aspekten von virtuellen Lernteams.

Kontakt:

Anja Kassel

Fachhochschule Jena
Fernstudiengang Pflege
Postfach 10 03 14
D-07703 Jena

E-Mail: anja.kassel@fh-jena.de

Zitation

Kassel, Anja (2002). Rezension zu: Roland Bader (2001). Learning Communities im Internet [11 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 3(3), Art. 6, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs020368.

Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research (FQS)

ISSN 1438-5627

Creative Common License

Creative Commons Attribution 4.0 International License