Volume 7, No. 1, Art. 35 – Januar 2006

Rezension:

Jürgen Rausch

David Lohmann (2003). Das Bielefelder Diakonie-Management-Modell (2. Auflage), Reihe: Leiten-Lenken-Gestalten, Band 1. Gütersloh: Chr. Kaiser Gütersloher Verlagshaus, 334 Seiten, ISBN 3-579-02082-X, EUR 29,50

Zusammenfassung: Über sechs Kapitel entwickelt David LOHMANN Anregungen und Handreichungen für ein theologisch-ethisches Unternehmensmanagement diakonischer Einrichtungen, ohne dabei ökonomische Sachzwänge außer Acht zu lassen. Durch das qualitative Verfahren des Vergleichs erschließt der Verfasser dokumentarische Quellentexte und generiert daraus eine Theorie für ein theologisch-ethisches Unternehmensmanagement. Zunächst wird eine Theologie der Diakonie nach den Interpretationen von TILLICHs Modell des "gläubigen Realismus", und WICHERNs theologischer Konzeption zur "Inneren Mission" erschlossen. Als das Essenzielle wird eine kybernetische Theorie auf der Basis einer Diakonie-Theologie formuliert. Aus dem Vergleich verschiedener Führungsmodelle favorisiert LOHMANN das St. Galler Management Modell als Ausgangsmodell für das Management diakonischer Unternehmen. Sukzessive werden die theologischen Grundlegungen für die normative, strategische und operative Ebene den betriebswirtschaftlichen Relevanzen angenähert. Durch den Versuch, aus den Werken zweier Theologen des letzten Jahrhunderts und der eigenen Berufspraxis ein zukünftiges Managementmodell zu formulieren, werden aktuelle Bedürfnisse und Erkenntnisse aus der Praxis der Unternehmensleitung diakonischer Einrichtungen nicht berücksichtigt. Eine systematische Methodologie aus der qualitativen Sozialforschung hätte sich angeboten und die Empirie der Arbeit wertvoll unterstrichen. Am Ende der Analyse steht dann ein Managementmodell für diakonische Unternehmen, das die Interdisziplinarität zwischen Theologie und Betriebswirtschaft betont. Der Band bestätigt damit, dass durch ein dem diakonischen Geist angepasstes Management sowohl Theologie als auch Ökonomie zu einer wettbewerbsfähigen Symbiose geführt werden können.

Keywords: Management, St. Galler Management Modell, diakonische Einrichtungen, Wirtschaftsethik, Unternehmensleitung, Ökonomie, Diakonie-Theologie, Theoriegenerierung, theoretisches Sampling, dokumentarische Datenerhebung, komparative Analyse

Inhaltsverzeichnis

1. Einführung

2. Interdisziplinarität zur Sicherung diakonischer Arbeit

3. Diakonie als Unternehmen

4. Diakonie-Management: Glaubensmotivation vs. Ökonomie

5. Das Proprium als signifikantes Merkmal diakonischen Managements

6. Abschließende Bemerkungen zum (methodischen) Vorgehen LOHMANNs

Literatur

Zum Autor

Zitation

 

1. Einführung

Der prosperierende Wohlstands, der die Nachkriegszeit prägte, ist vorbei. Vielmehr vollzieht sich ein epochaler Umbruch, der auch diakonische Einrichtungen seit den 1990er Jahren erfasst hat, auch wenn sich dieser Umbruch in der Marktwirtschaft bereits seit den 1970er Jahren abzeichnete (vgl. Bericht des Club of Rome "Grenzen des Wachstums", MEADOWS, MEADOWS, ZAHN & MILLING 1972). [1]

Der von David LOHMANN verfasste Band widmet sich der Situation der Diakonie unter den Gesichtspunkten notwendiger Ökonomisierung und tradierter christlicher Verantwortung. Auf 323 Seiten entwickelt der Autor seine Theorie eines Diakonie-Management-Modells. Dabei versucht er zwei Disziplinen, die Theologie und die Betriebswirtschaftslehre, zusammenzuführen und stellt ein für die Diakonie modernes Managementkonzept in sechs Kapiteln vor. Im ersten Kapitel werden die Grundlegungen für ein Managementmodell in Bezug auf die theologische Signifikanz der Diakonie aufgezeigt; dabei stützt sich der Verfasser auf die dokumentarische Datenerhebung und seine berufliche Erfahrung in der Zusammenarbeit mit diakonischen Einrichtungen. Zugunsten einer Übergewichtung der persönlichen beruflichen Erfahrungen verzichtet der Verfasser auf weitere Formen qualitativer Datenerhebung wie etwa Experteninterviews. In den weiteren Kapiteln wird zunächst ein SOLL-IST-Vergleich zwischen diakonischer Praxis und erwerbswirtschaftlichem Unternehmen herbeigeführt, um schließlich theologische und betriebswirtschaftliche Aspekte eines Managementmodells für diakonische Einrichtungen zu beschreiben. Insgesamt ist vorab anzumerken, dass LOHMANN bereits von einer Theorie geleitet vorgeht, was sich auch im Sampling für seine Datenerhebung widerspiegelt. Dabei liefern die Publikationen zu WICHERN und TILLICH qualitativ bedeutsames Datenmaterial. Abschließend werden theologische und betriebswirtschaftliche Einzelaspekte zusammengeführt, um zu einer modellhaften Darstellung eines Managementmodells zu gelangen. Durchgängig verweist LOHMANN auf die Notwendigkeit einer Öffnung der Theologie gegenüber anderen Disziplinen. Ihm gelingt es, einen interessanten und gangbaren Weg zwischen theologischer Identität und betriebswirtschaftlicher Notwendigkeit im Geist diakonischer Handlungstraditionen zu beschreiben. [2]

2. Interdisziplinarität zur Sicherung diakonischer Arbeit

Das erste Kapitel beschäftigt sich zunächst mit der Frage, inwieweit glaubensmotiviertes Handeln in moderne Managementstrukturen überführt werden kann, ohne die tradierte Intention der Diakonie zu verlieren, aber dennoch den sozialstaatlichen Herausforderungen entgegenzutreten. Im Mittelpunkt der Ausführungen stehen WICHERNs (1962) Organisationsmodell der Inneren Mission und Paul TILLICHs (1987) interdisziplinäre Betrachtung der diakonischen Wirklichkeit. Bewusst beschränkt der Verfasser sich auf WICHERN und TILLICH als Wegweiser für eine diakonische Grundhaltung. Aus dem analytischen Vergleich beider Theorien generiert der Verfasser seine theoretische Grundlegung eines Diakonie-Management-Modells für diakonische Einrichtungen. Hervorgehoben wird, was für WICHERN wesentlich erschien, dass die "Innere Mission", also die Verbreitung der christlichen Botschaft im eigenen gesellschaftlichen Umfeld, frei jeglicher kirchlicher und staatlicher Bevormundung zu sein habe. Zweck der Inneren Mission, wie LOHMANN weiter ausführt, ist es, die gesellschaftliche Notlage zu lindern und dadurch die Betroffenen für den Glauben zu gewinnen. Aus dem betont unpolitischen Charakter, den die Innere Mission haben sollte, schlussfolgert der Autor, dass nur der freie Verein als übergeordnete Organisationsform für WICHERN infrage kam. Einzig als Fußnote wird auf den gesellschaftspolitischen Aspekt der Vereine hingewiesen. Gleiches findet sich auch bei der Beschreibung der Organisationsstruktur der Inneren Mission. Hier wird das Interesse der Lesernden ebenfalls nur durch eine Fußnote über WICHERNs zukunftsweisendes Organisationskonzept für das Brüderinstitut des "Rauhen Hauses" in Hamburg unzureichend gesättigt. In dem folgenden Abschnitt betrachtet LOHMANN die gegenwärtige diakonische Praxis und endet mit der Feststellung, dass das Proprium, das Signifikante evangelischer Diakoniearbeit, im Gottesdienst verortet und auf die Glaubensmotivation der Mitarbeiter zentriert sei. Institutionelle Strukturen bleiben von einer theologischen Reflexion unberührt. [3]

Anschaulich wird in den weiteren Ausführungen Paul TILLICHs Konzept des "gläubigen Realismus" vorgestellt. Nur in der dialogischen Auseinandersetzung der Theologie mit anderen Wissenschaften ist sie in der Lage, Lebenswirklichkeit menschlicher Existenz zu gestalten. Trotz der Kürze, in der TILLICHs Ansatz dargestellt wird, gelingt es LOHMANN, dessen Grundgedanken zu vermitteln. Zum Schluss des ersten Kapitels erfolgt der Transfer zu einer diakonischen Theologie und zu einem theoretischen Begründungsansatz, wonach die diakonische Gemeinschaft als "Geistgemeinschaft" die "Repräsentanz des Reiches Gottes" darstellt. Als schlussfolgernde Forderung an ein diakonisches Management resümiert der Verfasser: "Damit ist die zentrale Aufgabenstellung eines diakonischen Management umrissen: Die Strukturen der Diakonie haben die Umsetzung menschgerechter Verhältnisse zu erleichtern." (S.50) – Auf TILLICH berufend gestaltet LOHMANN seine Kategorien für die Entwicklung seiner Theorie, wonach das Management diakonischer Unternehmen einer anderen als einer rein betriebswirtschaftlich orientierten Organisationsstruktur bedarf. [4]

3. Diakonie als Unternehmen

Die folgenden drei Kapitel stellen diakonische Einrichtungen als betriebswirtschaftliche Objekte ("christliche Unternehmen") vor und erörtern die Relevanz der erwerbswirtschaftlichen Organisationsmodelle für ein diakonisches Management-Modell. Dabei wird Fragen zur Vergleichbarkeit der Merkmale heutiger Organisationsformen oder Einflussfaktoren auf die Ausgestaltung der Organisationsstrukturen im Hinblick auf den theologischen Anspruch der "Geistgemeinschaft" nachgegangen. Bekannte Managementmodelle der Wirtschaft werden im Weiteren einer Prüfung unterzogen, inwieweit sie geeignet sind, den scheinbaren Widerspruch zwischen theologisch-ethischer Verantwortung der diakonischen Arbeit und der Notwendigkeit, diakonische Einrichtungen wirtschaftlich effizient zu führen, aufzulösen bzw. einen Konsens zu ermöglichen. Auf dem Hintergrund der noch heute manifestierten Rechtsform "Verein" und der genannten Ressentiments gegenüber anderen Rechtsformen für diakonische Einrichtungen wirkt der von Alfred JÄGER (1992a) gestaltete Begriff "christliches Unternehmen" geradezu provokativ, fordert aber zu Recht die Öffnung diakonischer Theologie hin zur Bereitschaft einer interdisziplinären Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaften, im Besonderen mit der Betriebswirtschaftslehre: "Praktisch sämtliche Aspekte eines gewöhnlichen Wirtschaftsunternehmens sind in diakonischen Werken, selbstverständlich in sehr spezifischer Weise, immer auch sichtbar, je größer und je älter das Unternehmen, desto deutlicher" (S.52) [5]

Über eine vergleichende Auflistung von Organisationsmerkmalen einer Non-Profit-Organisation bei Peter SCHWARZ (1992) und Hans ULRICH (1981) wird schlussfolgernd Alfred JÄGERs Begriff vom christlichen Unternehmen bestätigt. Keine Abgrenzung findet der Begriff "Gewinnorientierung" zu "Gewinnmaximierung" oder "Kapitalmaximierung". Im sich anschließenden Kapitel wird nachvollziehbar die Komplexität diakonischer Einrichtungen durch charakteristische Phasen – der Verfasser bezeichnet sie als "Lebenszyklen diakonischer Arbeit" – dargestellt. [6]

Auf der Festlegung gründend, dass diakonische Einrichtungen Unternehmen sind, werden Aspekte der Unternehmensleitung und -steuerung erörtert. Aufschlussreich ist der Vergleich und das Herausstellen der unterschiedlichen Motivationslagen eines betriebswirtschaftlich orientierten Managements und eines theologisch ausgerichteten Managements. Nicht außer Acht gelassen wird dabei, dass sich ein theologisches Management nicht ausschließlich auf diakonische Theologie berufen darf, vielmehr wird wiederholt der interdisziplinäre Dialog zu den angrenzenden Wissenschaften hervorgehoben. Schlussfolgernd bezeichnet der Verfasser ein auf theologische Aspekte achtendes, auf diakonische Einrichtungen ausgelegtes Handlungsfeld als "diakonisches Management". Das 4. Kapitel widmet sich betriebswirtschaftlichen Aspekten und führt in sachlogischer Abfolge betriebswirtschaftliche Termini hinsichtlich deren inhaltlicher Auslegung im diakonischen Management ein. Flankiert werden die Ausführungen besonders zum Themenbereich Finanzen durch aufschlussreiche Fußnotenvermerke. [7]

Über grundsätzliche Forderungen an ein Management im diakonischen Bereich kommt der Autor rasch zu Konkretionen. Der Schwerpunkt liegt in der konstruktiven Auseinandersetzung mit dem St. Galler Management Modell, einem von der Hochschule St. Gallen entwickelten ganzheitlichen Führungsmodell für Unternehmen. Jedoch wird nicht versäumt, vor einer uneingeschränkten Übernahme zu warnen, was die Konsequenz widerspiegelt, mit der der Autor die Spezifika diakonischer Einrichtungen gerade auch hinsichtlich ihrer Zieldefinitionen als Signifikanz gegenüber erwerbswirtschaftlichen Unternehmen bereits hervorgehoben hat. [8]

4. Diakonie-Management: Glaubensmotivation vs. Ökonomie

Das 5. Kapitel ist mit 152 Seiten das umfänglichste der insgesamt sechs Kapitel und beschreibt die Entwicklungsschritte hin zu einem diakonischen Managementmodell. Das Spannungsfeld zwischen theologischen Grundperspektiven und ökonomischem Pragmatismus entlädt sich in der Vorstellung eines "Diakonie-Managementmodells". Durch die additive Vorgehensweise bei der Beschreibung der Handlungsdimensionen werden die Überlegungen des Verfassers nachvollziehbar und führen zu einem eigenständigen Führungsmodell für diakonische Unternehmen. Dabei gewinnt das Modell hinsichtlich einer Gesamtkonzeption für das Management, die Unternehmensorganisation und die Handlungsabläufe im Diakonie-Unternehmen an Konkretion. Die Annahme, wonach eine Interdependenz zwischen christlicher Motivation und theologischer Konzeption und der Gestaltung von Strukturen und Prozessabläufen im diakonischen Unternehmen besteht, wird in den folgenden Ausführungen deutlich:

"Ein diakonisches Managementmodell ist die theoretische Abbildung eines als Geistgemeinschaft charakterisierten Diakonie-Unternehmens, die aus der theologischen Grundperspektive die einzelnen Attribute dieses Unternehmens darstellt, bewertet und mit der Beschreibung integrativer Sollkonzepte den Mitgliedern der Geistgemeinschaft einen Orientierungsrahmen und eine Gestaltungshilfe für das eigene Handeln bieten will. Als theologisches Modell ist es durch die wirtschaftsethische Relativierung gekennzeichnet, die immer wieder sachgemäße und menschengerechte Gesichtspunkte verbindet." (S.167) [9]

Im weiteren werden die Dimensionen des St. Galler Management Modells – die normative, die strategische und die operative Dimension – mit ihren Einfluss nehmenden Faktoren auf ein Diakonie-Managementmodell erörtert. Deutlich kommt der berufliche Hintergrund des Verfassers (Firmenkundenbetreuer in einer Privatbank) in diesem Teil zum Ausdruck. Die eigene Berufspraxis wird hier mit der Arbeit im Feld gleichgestellt, verleitet aber zu einer vorweggenommenen Interpretation im Sinne des Forschungsgegenstandes. Inwieweit sich diese Erfahrungswerte systematisch für die wissenschaftliche Arbeit auswerten lassen bzw. ausgewertet wurden, wird den Lesenden vorenthalten. Bei den Ausführungen zum strategischen Management wird m.E. der Initiativkraft diakonischer Einrichtungen für die Aktivierung neuer Märkte zu wenig Bedeutung zugesprochen. Nur zu reagieren statt zu agieren führt dann zu den von LOHMANN prognostizierten Entwicklungsverläufen, nach denen Kürzungen des Sozialetats und damit einhergehend eine Verringerung von Leistungsangeboten zu verminderter Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen Anbietern sozialer Dienste führen. – Vermerkt sei noch, dass der Verfasser auch in diesem Kapitel nicht versäumt, durch teilweise umfängliche Fußnoten seine Ausführungen zu bereichern. [10]

5. Das Proprium als signifikantes Merkmal diakonischen Managements

Das abschließende Kapitel nimmt Bezug zu den Ausführungen des 5. Kapitels und relativiert die dortigen Ausführungen zu einem Diakonie-Managementmodell dahin gehend, als dass sie ein exemplarisches Konstrukt beschreiben, sich dieses Managementmodell in der Praxis also noch nicht bewähren konnte. Unter Laborbedingungen wird dargestellt, wie im gegenwärtigen gesellschaftlichen und sozialpolitischen Kontext diakonisches Management gestaltet werden kann" (S.318). Sehr realistisch wird die erfolgreiche Umsetzung eines Diakonie-Managements hinsichtlich des zu erwartenden Erfolges am größten beim Neuaufbau einer diakonischen Einrichtung verortet. Gleichsam appelliert der Verfasser an Leitungs- und Funktionsträger, sich auf Veränderungsprozesse einzulassen. Dabei versteht LOHMANN das Proprium als das Resultat eines theozentrischen Selbstverständnisses hinsichtlich der Aufgabe und Aufgabenerfüllung. Das diakonische Proprium grenzt diakonisches Management von erwerbswirtschaftlichen Leitungsstrukturen ab. Nicht erwerbswirtschaftliche Ziele wie etwa Umsatzsteigerung oder Gewinnmaximierung stehen im Vordergrund. Die Zentrierung auf die theologische Sinnmitte leitet das Handeln.

"Sofern es gelingt, über ein theologisch zentriertes Management-Modell die Leitungsstrukturen von Diakonie-Unternehmen so zu gestalten, dass sie bei aller Berücksichtigung notwendiger ökonomischer Sachfragen die Schaffung von Lebensbedingungen im Horizont des Neuen Seins ermögliche, kann Diakonie dem 'prophetischen Prinzip' gerecht werden, und in einer ökonomisch zentrierten Gesellschaft exemplarisch einen gangbaren Weg aufzeigen, der Erfolg nicht einseitig auf Einzelgesichtspunkte verkürzt. Diakonisch ist Erfolg die Umschreibung für die Nutzung von Lebens-Potentialitäten unter Anwendung der Hilfsmittel des Managements." (S.323) [11]

6. Abschließende Bemerkungen zum (methodischen) Vorgehen LOHMANNs

LOHMANN formuliert ein Diakonie-Management-Modell, im Wesentlichen entlehnt den Theorien von WICHERN und TILLICH, und unterlegt deren Vorstellungen eines Propriums für ein Management-Modell durch seinen eigenen beruflichen Hintergrund. Der Verfasser versucht, aus seiner Berufspraxis gewonnene und subjektiv bewertete Erkenntnisse mit den qualitativen dokumentarischen Daten abzugleichen und zu einer Theorie zu formulieren. Außer Acht lässt er dabei die Erhebung von Daten aus dem Feld. Durch eine Überbetonung subjektiver Erfahrungswerte basiert die Theoriegenerierung deshalb auf unsystematischem Wissen. Gerade bei der Auswertung des dokumentarischen Materials hätte ein empirisch-methodisches Vorgehen nach Methoden der qualitativen Sozialforschung die Validität der Thesenformulierung gewahrt. Eine Analyse des Materials im Sinne rekonstruktiver Forschung hätte dann ein Verfahren wie etwa das der Grounded Theory sensu GLASER und STRAUSS (1998) verlangt. Grounded Theory ist eine prozessgesteuerte und umfassend offene Methode der rekonstruktiven Sozialforschung, in deren Verlauf eine gegenstandsbezogene Theorie erst entwickelt wird. Dieser prozessuale Charakter der Grounded Theory, der sich auch in einer offenen und flexiblen Gestaltung des Samples zeigt, ist hier nicht erkennbar. Das Verfahren nach GLASER und STRAUSS stellt einen expansiven Prozess dar. Das dreistufige Kodieren des Datenmaterials ist sehr zeitaufwändig, muss aber im Rahmen einer solchen Qualifizierungsarbeit, wie sie LOHMANN verfasst hat, nicht in vollem Umfang angewandt werden. Anstelle eines im Umfang reduzierten Kodierungsprozesses stimmt der Verfasser das Datenmaterial mit persönlichen Erfahrungswerten ab. Der Eindruck, dass nach verifizierenden statt nach generierenden Aspekten qualitative Daten erhoben wurden, drängt sich auf. Unter Umständen hat der fehlende prozessuale Charakter der Thesengenerierung und der Versuch einer frühen Verifizierung der eigenen Hypothese weitere alternierende Kategorien für die Erarbeitung eines Managementmodells vereitelt. Gerade bei der Formulierung eines praxisrelevanten Managementmodells für diakonische Einrichtungen bringen m.E. persönliche Erfahrungen, Vorbehalte bzw. Grenzen des Führungskaders dieser Einrichtungen für die Ausgestaltung eines Theorie-Modells zur Unternehmensführung ein wissenschaftlich äußerst relevantes Datenmaterial hervor, das die vorliegende Arbeit LOHMANNs in ihrem empirischen Anspruch bereichert hätte. [12]

Literatur

Glaser, Barney G. & Strauss, Anselm L. (1998). Grounded Theory: Strategien qualitativer Forschung (aus dem Amerikanischen von Axel T. Paul und Stefan Kaufmann). Bern: Huber.

Jäger, Alfred (1992a). Diakonie als christliches Unternehmen (4. Auflage). Gütersloh: Chr. Kaiser Gütersloher Verlagshaus.

Jäger, Alfred (1992b). Diakonische Unternehmenspolitik: Analysen und Konzepte kirchlicher Wirtschaftsethik. Gütersloh: Chr. Kaiser Gütersloher Verlagshaus.

Jäger, Alfred (1993). Konzepte der Kirchenleitung für die Zukunft: wirtschaftsethische Analysen und theologische Perspektiven. Gütersloh: Chr. Kaiser Gütersloher Verlagshaus.

Meadows, Dennis, Meadows, Donella, Zahn, Erich & Milling, Peter (1972). Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt

Schwarz, Peter (1992). Management in Nonprofit Organisationen: Eine Führungs-, Organisations- und Planungslehre für Verbände, Sozialwerke, Vereine, Kirchen, Parteien usw. Bern: Haupt Verlag.

Tillich, Paul (1973). Systematische Theologie I/II (4. Auflage 1987, herausgegeben von Car Heinz Ratschow). Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk.

Ulrich, Hans (Hrsg.) (1981). Management-Philosophie für die Zukunft: gesellschaftlicher Wertewandel als Herausforderung an das Management. (Schriftenreihe Führung und Organisation der Unternehmung 35). Bern: Haupt Verlag.

Wichern, Johann Hinrich (1962). Sämtliche Werke, Bd. I. Die Kirche und ihr soziales Handeln (herausgegeben von Peter Meinhold). Berlin: Lutherisches Verlagshaus.

Zum Autor

Jürgen RAUSCH, Doktorand und Lehrbeauftragter an der evangelischen Fachhochschule Freiburg und der Universität Hildesheim. Unter der wissenschaftlichen Betreuung von Prof. Dr. SCHREINER und Prof. Dr. SCHWENDEMANN promoviert er zum dem Thema "Das Beziehungsverhältnis zwischen Bildungskonzept und Management am Beispiel allgemein bildender evangelischer Schulen."

Jüngste Veröffentlichung: Rausch, Jürgen (2005). Leben, lernen Schule machen. Handlungsanweisungen und ökonomische Überlegungen für eine gute Schule. Aachen: Shaker Verlag

Kontakt:

Jürgen Rausch

Jacob-Burckhardt-Straße 34
CH-4052 Basel

E-Mail: j.rausch@efh-freiburg.de

Zitation

Rausch, Jürgen (2005). Rezension: David Lohmann (Hrsg.) (2003). Das Bielefelder Diakonie-Management-Modell (2. Auflage) [12 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 7(1), Art. 35, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs0601356.

Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research (FQS)

ISSN 1438-5627

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