Volume 2, No. 2, Art. 14 – Mai 2001

Rezension:

Michael Kreuzer

Ralf Bohnsack (2000). Rekonstruktive Sozialforschung – Einführung in Methodologie und Praxis qualitativer Forschung (4. durchgesehene Auflage)Opladen: Leske + Budrich, 278 Seiten, ISBN 3-8100-2759-6, DM 36.- / öS 263.- / sFr 33.00.-

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Inhalt und Aufbau des Buches

3. Schlussbemerkung

Literatur

Zum Autor

Zitation

 

1. Einleitung

Ausgehend von methodologisch begründeten Zweifeln, möchte sich BOHNSACK von der traditionellen Gegenüberstellung der qualitativen und quantitativen Sozialforschung lösen. Er befasst sich auch in der vierten Auflage seines Standard-Lehrtextes mit den grundlegenden Merkmalen der rekonstruktiven Verfahren, im Gegensatz zu jenen der hypothesenprüfenden und standardisierten Sozialforschung. Bei der Rekonstruktion von Sozialwissen geht es um die Interpretation der Wirklichkeit "als einer von handelnden Subjekten sinnhaft konstruierten und intersubjektiv vermittelten Wirklichkeit ... Der Begriff der Rekonstruktion verweist dabei auf die immer schon vorgängig stattgefundenen Konstruktionen – eben die Vorstrukturiertheit – sozialer Wirklichkeit, die es verstehend und interpretierend zu analysieren gilt" (JAKOB & WENISERSKI 1997, S.9). Damit wird die rekonstruktive Sozialforschung zu einem integralen Bestandteil einer reflexiven Praxis und deren Entwicklung. [1]

2. Inhalt und Aufbau des Buches

Ausgehend von den hypothesenprüfenden Verfahren und deren Grenzen, wie bspw. die "Beschneidung der Kommunikationsmöglichkeiten derjenigen, die Gegenstand der Forschung sind" (BOHNSACK, S.20) durch die Standardisierung des Kommunikationsprozesses, nähert sich der Autor dem eigentlichen rekonstruktiven Verfahren. Dieses Vorgehen fördert beim Leser eine ganzheitliche Optik und ein breit abgestütztes Verständnis, dies jedoch mit dem Preis, dass die Ausführungen den Rahmen eines einführenden Lehrtextes sprengen. Dagegen versteht es BOHNSACK, die zum Teil vielschichtigen theoretischen Aussagen mit anschaulichen Beispielen zu illustrieren. Die zahlreichen Wiederholungen im einführenden, allgemeinen Teil erleichtern Studierenden das Verständnis. Das zweite Kapitel befasst sich im Rahmen einer umfassenden und kritischen Diskussion mit dem Unterschied zwischen rekonstruktiven und hypothesenprüfenden Verfahren. [2]

Anschließend wird die dokumentarische Methode vor der eigentlichen methodologischen Diskussion am forschungspraktischen Beispiel von Gruppendiskussionen mit Jugendlichen umrisshaft erläutert. In der Folge wird wiederholt auf dieses Beispiel verwiesen. Kapitel vier beginnt der Autor mit einer Einbettung der objektiven Hermeneutik in den allgemeinen Kontext der rekonstruktiven Sozialforschung. Darauf aufbauend beschreibt er die zwei "ineinander verschränkten Grundprinzipien", die gedankenexperimentelle Kontextvariation und die sequenzanalytische Verfahrensweise anhand ausgewählter Beispiele. [3]

Im fünften Kapitel dringt BOHNSACK zu den zentralen methodisch-theoretischen Unterschieden zwischen den phänomenologisch und wissenssoziologisch fundierten Verfahren und jenen der Hermeneutik vor. Der Zugang zu den unterschiedlichen Ebenen der Erfahrungsbildung im Alltag, der für die objektive Hermeneutik von geringem Interesse ist, steht im Zentrum der Methodologie des narrativen Interviews, mit welchem sich der Autor im sechsten Kapitel befasst. Dabei beschreibt er die beiden Bereiche, die Erzähl- und Biographietheorie, welche für jene Empirie unerlässlich sind, die sich nicht von Hypothesen leiten lassen, sondern rekonstruktiv vorgehen. Dabei unterlässt es BOHNSACK nicht, sich mit der Kritik auseinanderzusetzen, welche an das narrative Interview herangetragen wird. [4]

Der Autor leitet zu Beginn des siebten Kapitels die Möglichkeiten und Grenzen von Gruppendiskussionen her, indem er diese den Einzelgesprächen gegenüberstellt. Ausgehend vom konjunktiven Erfahrungsraum, der sich in Gruppendiskussionen manifestieren kann, findet BOHNSACK zum Millieubegriff. Diesen bespricht er aus unterschiedlichsten Optiken, grenzt ihn vom Begriff der "Gruppe" und "Gemeinschaft" ab, um schließlich den Nutzen von Gruppendiskussionen in der Milieuanalyse zu begründen. Deren Zusammenhänge mit der Biographieanalyse führt zur Gegenüberstellung des narrativen Interviews mit der Gruppendiskussion. Dabei beschäftigt sich der Autor mit der Frage, "zu welcher Art von Kollektivvorstellungen uns biographische Interviews den Zugang eröffnen" (S.137) und umgekehrt, zu welcher Art der Kollektivität uns die Milieuanalyse auf der Grundlage von Gruppendiskussionen führen kann. [5]

Ausgehend von der begrifflichen Abgrenzung zwischen "Verstehen" und "Interpretieren" kommt BOHNSACK im achten Kapitel auf die teilnehmende Beobachtung zu sprechen. Weiter beschreibt er die Arbeitsschritte im Rahmen einer Textinterpretation. Auf einen knappen Aufriss des historischen Hintergrundes folgt abschließend die Veranschaulichung der prozessanalytischen Typenbildung anhand eines weiteren Beispiels. Anknüpfend an die Aspekthaftigkeit und die Standortgebundenheit des eigenen interpretativen Zugangs, lenkt der Autor im neunten Kapitel die zusammenfassende Diskussion auf die Problematik der Validität der Erhebung und Interpretation, abhängig von der methodischen Vorgehensweise. Im zehnten und letzten Kapitel wird die rekonstruktive Methodologie unter spezifischen Aspekten noch einmal zusammenfassend dargestellt und neu beleuchtet. Dabei geht es um deren praxeologische Fundierung. Das eigentliche Handwerk, die Leitung, Transkription und Interpretation von Gruppendiskussionen wird leider erst im Anhang beschrieben, obwohl es für das Verständnis des vorangegangenen Textes fundamental gewesen wäre. [6]

3. Schlussbemerkung

Die Ausführungen sind von einer außerordentlichen Dichte geprägt, die dem interessierten Leser eine spannende Lektüre gewähren. Der Nachteil solch beziehungsreicher Erörterungen besteht für dieses einführende Lehrbuch in der damit verbundenen Komplexität. Dieser Umstand wird durch die nur knapp erläuterten Fachterminologien zusätzlich verschärft. Trotz des umfangreichen Sachregisters eignet sich dieses Buch durch seine Geschlossenheit, die zahlreichen Bezüge und Verweise, weniger als Nachschlagewerk zur Beseitigung partieller Wissensdefizite. Der Text ermöglicht es dem fortgeschrittenen und interessierten Studierenden sich ein umfassendes Verständnis der behandelten Thematik anzueignen. [7]

Literatur

Jakob, Gisela & Wensierski, Hans-Jürgen von (Hrsg.) (1997). Rekonstruktive Sozialpädagogik. Konzepte und Methoden sozialpädagogischen Verstehens in Forschung und Praxis. Weinheim: Juventa.

Zum Autor

Michael KREUZER ist zur Zeit wissenschaftlicher Assistent am Institut für Marketing und Unternehmensführung an der Universität Bern. Forschungsschwerpunkte sind: Werbewirkungsforschung, integrierte Kommunikation und strategische Unternehmungsführung; Arbeit an einer Dissertation zur Individualität von Kundenbedürfnissen.

Kontakt:

Michael Kreuzer

Institut für Marketing und Unternehmungsführung
Universität Bern
Engehaldenstrasse 4
CH-3012 Bern

E-Mail: michael.kreuzer@imu.unibe.ch

Zitation

Kreuzer, Michael (2001). Rezension zu: Ralf Bohnsack (2000). Rekonstruktive Sozialforschung – Einführung in Methodologie und Praxis qualitativer Forschung [7 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 2(2), Art. 14, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs0102140.

Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research (FQS)

ISSN 1438-5627

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