Volume 1, No. 3, Art. 18 – Dezember 2000

Der Gebrauch einer Textdatenbank im Auswertungsprozess problemzentrierter Interviews

Thomas Kühn & Andreas Witzel

Zusammenfassung: Anhand mehrerer Beispiele aus unserem Forschungsprojekt "Statuspassagen in die Erwerbstätigkeit", das sich mit der Biographiegestaltung und typischen Verlaufsformen des Übergangs junger Erwachsener aus der Ausbildung in die Erwerbstätigkeit beschäftigt, wird der Gebrauch einer Textdatenbank im Auswertungsprozess problemzentrierter Interviews diskutiert. Zunächst wird dazu die im Projekt erstellte "Datenbank biographischer Interviews junger Erwachsener" (DABIE) in ihrem Aufbau vorgestellt. Sie basiert auf einem thematisch und zeitlich differenzierenden Kategoriensystem, und in ihr werden berufs- sowie familienbiographische Orientierungen und Handlungen erfasst. Im Anschluss an die einführende Erläuterung werden verschiedene Formen des Einbezugs der Datenbank in den qualitativen Auswertungsprozess vorgestellt. Die Art und Weise, wie bestimmte Fälle und Kategorien der Datenbank ausgewählt und in die Analysen einbezogen werden, hängt vom Erkenntnisziel und der Komplexität der Fragestellung ab. In unseren Beispielen veranschaulichen wir, dass der Gebrauch einer Datenbank eine wichtige Unterstützungsmöglichkeit für die Auswertung qualitativer Interviews darstellt, indem ein thematisch gesteuerter Zugriff erleichtert und dadurch insbesondere die Handhabung großer Textdatenmengen ermöglicht wird.

Keywords: Auswertung, Textdatenbank, problemzentrierte Interviews, prospektive Längsschnittstudie, junge Erwachsene, Biographiegestaltung

Inhaltsverzeichnis

1. Problemaufriss

1.1 Kennzeichen des problemzentrierten Interviews und Ableitungen für die Auswertung

1.2 Forschungsdesign und Ableitungen für die Auswertung

2. Grundprinzipien und Vorteile des Gebrauchs einer Textdatenbank im Auswertungsprozess problemzentrierter Interviews

3. Vorstellung des Kategoriensystems

3.1 Die Erstellung eines Kategoriensystems

3.2 Aufbau des Kategoriensystems

3.3 Durchführung und Organisation des Kodierprozesses

4. Exemplarische Veranschaulichung von Anwendungsmöglichkeiten der Textdatenbank

4.1 Die Technik der Datenbanknutzung: Auswertungsdateien als Resultate und Zugriffsmittel

4.2 Die Nutzung der Textdatenbank in Abhängigkeit von der Art und Komplexität des Erkenntniszieles

4.2.1 Explorativer Einstieg in ein Forschungsgebiet

4.2.2 Untersuchung einer thematisch eingegrenzten Fragestellung

4.2.3 Komplexe thematische Analysen mit dem Ziel der Entwicklung einer Typologie

4.2.4 Zuordnung von Fällen zu einer bestehenden Typologie und Validierung einer Typologie

4.2.5 Zusammenfassung der verschiedenen Nutzungsformen unserer Textdatenbank

5. Resümee: Der Einsatz der Datenbank im qualitativen Auswertungsprozess

Anhang 1: Das Kategoriensystem der Textdatenbank biographischer Interviews junger Erwachsener (DABIE)

Anhang 2: Beispiel für das kontextbezogene Kodieren von Textpassagen

Anmerkungen

Literatur

Zu den Autoren

Zitation

 

1. Problemaufriss

In diesem Artikel berichten über den Aufbau einer Textdatenbank und über Erfahrungen mit deren Anwendung im Auswertungsprozess qualitativer Interviews. [1]

Das dieser Datenbank zugrundeliegende Textmaterial stammt aus dem Projekt "Statuspassagen in die Erwerbstätigkeit" des Sonderforschungsbereiches 186 der Universität Bremen, in dem mit quantitativen und qualitativen Verfahren Berufsbiographien und -verläufe sowie familienbezogene Statuspassagen einer Kohorte von Absolventinnen und Absolventen einer dualen Berufsausbildung untersucht werden.1) Aus der Grundgesamtheit des quantitativen Panels wurde eine theoretisch begründete Auswahl von Befragten getroffen, mit denen in drei Wellen im Abstand von jeweils ca. drei Jahren problemzentrierte Interviews mit dem Fokus auf den individuellen Biographien, d.h. auf den Orientierungen und Handlungsstrategien von Akteuren durchgeführt wurden (n=91 über alle drei Wellen). Dieses umfangreiche Datenmaterial auszuwerten und für Re-Analysen zugänglich zu machen, erfordert den Aufbau einer Textdatenbank. [2]

Die Beschaffenheit der Textdaten und damit auch die besonderen Erfordernisse des Zugriffs auf Textsequenzen hängt von der Methodik des gewählten Interviewverfahrens ab. Daher werden wir zunächst auf die Besonderheiten des problemzentrierten Interviews (PZI ) (vgl. WITZEL 1982, 1989, 1996, 2000a) eingehen, die zusammen mit der Komplexität des Forschungsvorhabens begründen, weshalb es notwendig ist, nicht einfach nur vollständige Transkriptionen in eine Datenbank aufzunehmen. Vielmehr soll darüber hinausgehend der Bedarf nach einer Entwicklung von differenzierten Strategien für einen systematischen und strukturierten Zugang zu Textsequenzen deutlich werden, wie wir im folgenden erläutern werden. [3]

1.1 Kennzeichen des problemzentrierten Interviews und Ableitungen für die Auswertung

Die Spezifik des PZI besteht darin, dass einerseits durch den Leitfaden zentrale Interviewthemen fallübergreifend vorgegeben sind, für deren Bearbeitung die Befragten andererseits weitgehende Gestaltungsfreiheit haben. Der Interviewer, der idealiter zugleich der Wissenschaftler selbst ist, führt den Befragten in die in Frage stehenden Themen ein und zentriert den weiteren Verlauf des Gespräch durch seine Nachfragen auf eine Art selbstorganisierten Verständigungsprozess. Dabei soll die subjektive Sicht der Problemstellung durch weitgehende Offenheit bezüglich der Reihenfolge und Kontextualisierung der Themen im Interviewverlauf angeregt werden. "Blinde Flecken" im Verständigungsprozess sollen dadurch verhindert werden, dass die Befragten ihre eigenen Relevanzsetzungen ausbreiten sowie Unterstellungen und Missverständnisse in den Fragen der Interviewer korrigieren können. Es gibt also kein starres, festes Ablaufschema der Fragen, statt dessen soll in einer möglichst natürlichen Umgebungssituation ein Gespräch je nach Interesse und sprachlicher Kompetenz der Befragten eher narrativ oder dialogisch geführt werden, in dem sich der Interviewer in seinem Frageverhalten am Gedankengang und "roten Faden" des Befragten orientiert. Diese Offenheit hat nunmehr Konsequenzen für die Beschaffenheit des Textmaterials, das durch die vollständige Transkription der Kassettenaufnahmen von den Interviews entsteht. Spezifische Forschungsfragestellungen sind häufig über den ganzen Text verstreut, weil die weitgehende Gestaltungshoheit der Befragten aber auch die prozessuale "Vorinterpretation" der Explikationen der Befragten durch den Interviewer dazu führt, dass ein Thema im Verlauf des Gesprächs nicht nur ein einziges Mal angesprochen wird, sondern der Befragte sich in mehrfachen Schleifen aus verschiedenen Blickwinkeln zum selben Thema äußert. [4]

Diese kommunikative Eigenart hat mehrere Gründe. Zum einen sind Themen miteinander verknüpft. Beispielsweise kann ein Interviewpartner seine weiteren beruflichen Zukunftsperspektiven etwa in einen Zusammenhang mit der Erörterung seiner Einkommenssituation und mit Handlungsspielräumen in der Arbeit bringen, und dann auch mit seiner Familienplanung verbinden. Zum anderen wird durch das Interview das Gedächtnis stimuliert, es werden Reflexionsprozesse in Gang gesetzt, die dazu führen, dass Themen immer besser erinnert werden, und insbesondere Konflikte und Ambivalenzen sich zunehmend verdeutlichen und daher nochmals in einem späteren Stadium des Interviews auf den Punkt gebracht werden können. Zuletzt trägt auch der Interviewer mit seinen Frageideen dazu bei, bereits thematisierten Fragen neue Gesichtspunkte und Zusammenhänge hinzuzufügen. Weil er schon während der Befragung an der Interpretation der subjektiven Sichtweise der befragten Individuen arbeitet, spitzt er die Kommunikation immer präziser auf das Forschungsproblem zu und greift daher häufig selbst auf bereits angesprochene Thematiken zurück. [5]

Die Offenheit während der Erhebung erschwert den Auswertungsprozess insofern, als der Zugriff auf alle Aussagen zu einem Fragenkomplex des Leitfadens nicht unmittelbar möglich ist, wie es beispielsweise bei einer festen Fragereihenfolge der Fall wäre. Statt dessen müssen im Analyseprozess die über das gesamte Interview verteilten Aussagen zu einem bestimmten Thema gebündelt werden. [6]

1.2 Forschungsdesign und Ableitungen für die Auswertung

Der Umfang und die Komplexität des Forschungsdesigns, wie sie für unser Projekt gegeben sind, steigern den Bedarf nach einer Systematisierung und Strukturierung des Interviewmaterials für den Auswertungsprozess noch erheblich. Entsprechende methodische Herausforderungen entstehen zunächst durch eine unübersichtlich große Materialfülle, die unsere, relativ zu üblichen qualitativen Untersuchungen sehr große Stichprobe von insgesamt über 300 nach den Kategorien Ausbildungsberuf, Geschlecht und Region differenzierten Interviews mit einem Gesamtumfang von mehr als 770.000 Textzeilen mit sich bringt. Wie groß die Datenmenge ist, wird weiterhin daran deutlich, wenn man berücksichtigt, dass ein Interview im Durchschnitt eineinhalb Stunden dauert. [7]

Darüber hinaus führt das Längsschnittdesign dazu, dass die Explikationen der Befragten zu einem Themenbereich sich nicht nur über ein Interview, sondern über mehrere zu verschiedenen Zeitpunkten geführte Befragungswellen verteilen. Eine Analyse dieser thematischen Bezüge zu verschiedenen Interviewzeitpunkten, d.h. der möglichst systematische einfache Zugriff auf thematisch über drei Wellen verteilte und inter- sowie intraindividuell zu vergleichende Textsequenzen ist deshalb so wichtig, weil unsere Lebenslaufanalyse sich sowohl für Ambivalenzen als auch für Wandel oder Konstanz von Orientierungen und Handlungen interessiert. [8]

Auch die Komplexität des in unserem Projekt im Mittelpunkt stehenden Forschungsanliegens, das Bezüge zu verschieden soziologischen und psychologischen Teilgebieten aufweist (vgl. KÜHN & WITZEL 2000), verlangt nach einer computergestützten Datenverwaltung, um der thematischen Vielfältigkeit der Auswertungsmöglichkeiten von biographischen Texten, wie sie in den Anwendungsbeispielen für die Textdatenbank (vgl. Abschnitt 4) zum Ausdruck kommen, gerecht zu werden. Das bedeutet, dass je nach Erkenntnisfortschritt des Projektes oder zur Untersuchung thematisch spezifischer Einzelaspekte von Orientierungen und Handlungen im Lebenslauf immer wieder auf Originaltextstellen zurückgegriffen werden muss. [9]

Dieser Bedarf ergibt sich auch aufgrund der Anforderungen stufenförmiger Auswertungs- und Validierungsprozesse. Lehnt man sich bei der Auswertung qualitativer Interviews an Verfahrensregeln der Grounded Theory (STRAUSS 1991, STRAUSS & CORBIN 1996) an, so müssen in verschiedenen Phasen des Analyseprozesses immer wieder bereits gesichtete Interviewpassagen unter dem sich mit dem theoretischen Erkenntnisgewinn verändernden Blickwinkel aufs Neue betrachtet und re-analysiert werden. Die Validierung am Text dient der Überprüfung, Erhärtung, Modifikation oder dem Verwerfen der verschiedenen Deutungshypothesen. Im Idealfall geschieht sie diskursiv im Forschungsteam, indem die Sichtweisen der verschiedenen Auswerter diskutiert werden, um zum einen bislang nicht explizierte theoretische Vorannahmen der Diskussion zugänglich zu machen und zum anderen eine möglichst umfassende Spannbreite möglicher Lesarten zu erfassen. Für die Auseinandersetzung im Forschungsteam ist es erforderlich, dass ein schneller Rückgriff auf Originaltextstellen und die Erfassung des Kontextes von Zitaten möglich ist. Mit ihm können mögliche Interpretationshypothesen auf ihre Stimmigkeit geprüft werden, indem im Textmaterial nach empirischer Evidenz bzw. Gegenevidenz gesucht wird. [10]

Aus diesen zahlreichen Gründen erschien es für unsere weitere Forschungsarbeit nicht nur förderlich, sondern zwingend notwendig, ein Textdatenbanksystem einzurichten, das nicht einfach nur alle Interviewtexte enthält, sondern auch eine Systematik, die flexible und komplexe Zugriffsmöglichkeiten auf die umfangreichen Interviewtexte eröffnet. Die thematische und zeitliche Bündelung der vollständig transkribierten Interviewtexte ist durch die "Kodierung" der Interviews möglich, das heißt durch die Zuordnung bzw. Indizierung des ganzen Interviewtextes zu Kategorien, die als Sammelcontainer dienen. [11]

Die einzelnen Kategorien sind in ein Kategoriensystem (vgl. Abschnitt 3) eingebettet, das die Grundlage für die Kodierung aller Interviews und damit den Aufbau der Datenbank biographischer Interviews junger Erwachsener (DABIE) bildet. Mit der Hilfe eines Personalcomputers und einer speziellen Datenbankverwaltungssoftware kann in der Folge ein schneller thematischer Zugriff auf Interviewtextsequenzen realisiert werden. [12]

2. Grundprinzipien und Vorteile des Gebrauchs einer Textdatenbank im Auswertungsprozess problemzentrierter Interviews

Betrachtet man die Möglichkeiten des Einsatzes einer Datenbank im Auswertungsprozess qualitativer Interviews, ist auf eine grundlegende Begrenzung hinzuweisen: Auch mit modernen Softwareprogrammen ist es nicht der Computer, der die Auswertungen vornimmt. Die Interpretation von Daten bleibt viel mehr nach wie vor die Aufgabe des forschenden Menschen, da es sich beim Verstehen von Texten nicht um mechanische, algorithmische Prozesse handelt (vgl. auch KELLE 1995, S.3)2). Der Computer bietet aber eine große Unterstützung bei der für die qualitative Sozialforschung notwendigen Verwaltung, (Neu-) Ordnung und Strukturierung von Textmaterial. Im Rahmen qualitativer Forschung geht es darum, Ähnlichkeiten, Unterschiede und Verbindungen zwischen den Inhalten in verschiedenen Textpassagen zu finden. Um dies zu leisten, muss der Forscher ein organisierendes Schema entwickeln, wie es ein Kategoriensystem darstellt, das als ein thematisch begründetes Gefüge von Sammelbegriffen ("Kategorien") aufgefasst werden kann. Ein solches Kategoriensystem bildet nicht den "Endpunkt" von Begriffs- und Theoriebildung, sondern stellt eine Hilfe für weitere thematisch verschiedene Auswertungen dar, wie in den folgenden Abschnitten näher erläutert werden wird. [13]

Ausgangspunkt für die Auswertungen sind Interviewtranskripte. Nachdem ein Textdokument (z.B. ein Interview) in das Anwendungsprogramm3) eingelesen worden ist, wird es von diesem mit Zeilennummern versehen. Der Kodierende entscheidet dabei, "wie viel Text eine relevante und in sich verständliche 'Bedeutungseinheit' ('meaning unit') ausmacht" (TESCH 1992, S.46). In unserem Projekt bildet eine Textzeile die kleinstmögliche Kodiereinheit.

1 Interviewer:

2 Im März 92 war das letzte Interview, und jetzt unsere Frage ist eigentlich, was seitdem

3 so passiert ist. Da waren Sie als Verkäuferin tätig und waren sogar schon auf

4 'ner halben Stelle, wenn ich das richtig sehe. Ja, und jetzt einfach so, was seit dem, was

5 Sie so gemacht haben ...

6

7 Rieke:

8 Ich studier jetzt, und seit, Moment ja, sei 1993, da habe ich angefangen.

...

Abb. 1: Beispiel für den Aufbau eines in das Datenbankverwaltungsprogramm eingelesenen Textdokumentes (am Beispiel des Dokumentes "Rieke") [14]

Die so in die Textdatenbank eingespeisten transkribierten Interviews bilden die Datenbasis für die Kodierung mit Hilfe eines Kategoriensystems, das auch als Index-System bezeichnet werden kann.

5 Arbeit und Beruf

5/1 Arbeitsinhalt

5/2 Einkommen

5/3 Betrieb

...

7 Familie und Partnerschaft

7/1 Herkunftsfamilie

7/2 PartnerIn

...

Abb. 2: Ausschnitthafte Verdeutlichung des Aufbau eines Index Systems in einer Textdatenbank [15]

Jede Kategorie besitzt eine Kennziffer. Die Kategorie Einkommen hat im Beispiel die Kennziffer 5/2. Diese Ziffer gibt Auskunft über die Stellung der einzelnen Kategorie im System. Beispielsweise gehören die Kategorien "Arbeitsinhalt", "Einkommen", "Betrieb" zum Themengebiet "Arbeit und Beruf", die Kategorien "Herkunftsfamilie" und "PartnerIn" zum Themengebiet "Familie und Partnerschaft". Im Rahmen des Kodierens werden einzelne Textstellen des jeweiligen Interviews einer Kategorie zugeordnet. [16]

Diese Zuordnung erfolgt über die Kategorienkennziffer und die kodierten Zeilennummern des jeweiligen Dokuments. Im aufgeführten Beispiel (Abb. 3) wurden unter der Kategorie 5/2 die Zeilen 18-25 des Interviews "Jill" erfasst.

Kategorie 5/2 "Einkommen"

Dokument "Jill", Text units 18-25

18 Interviewer:

19 Aha. Und seit wann ist das klar gewesen, dass Sie bei der Post anfangen möchten?

20

21 Jill:

22 Da bin ich durch ne Bekannte drauf gekommen, weil das Geld beim Friseur ist auch

23 nicht so das Wahre, und denn sagte sie zu mir: Du, versuch’ das doch mal da. Da ist

24 das Geld besser. Ich verdien’ jetzt fast das Dreifache, was ich als Friseurin verdient

25 hätte.

Abb. 3: Beispiel für die Zuordnung einer Textstelle zu einer Kategorie [17]

Eine Kategorie erfüllt somit die Funktion eines "Containers" (RICHARDS & RICHARDS 1995, S.82): sie sammelt Textstellen. Diese Sammlung in verschiedenen nach inhaltlichen Aspekten geordneten Containern hilft bei der Auswertung und Theoriebildung, da der Forscher schnell auf Textstellen aus einem Container zurückgreifen und diese darüber hinaus auch mit Textpassagen aus anderen Containern verbinden kann (vgl. auch MILES & HUBERMAN 1994, S.57, PREIN 1996, S.96). [18]

Was hat man nun mit der Erstellung dieses überdimensionalen "Karteikastens" gewonnen? Alle gesammelten Äußerungen zu einer Kategorie (oder auch zu mehreren) lassen sich "auf einen Blick" betrachten, ohne dass man stets aufs Neue danach im Interview suchen muss. Dies stellt einen großen Vorteil für die Auswertung relativ langer und eher unstrukturierter Texte wie z.B. problemzentrierter Interviews dar. Dieser Vorteil wiegt um so schwerer, je mehr Textdokumente in die Analyse einbezogen werden. Aufgrund der hohen Speicherfähigkeit von Computern und des schnellen Datenzugriffes lässt sich ein kategorienbezogener Vergleich verschiedener Interviews in Sekundenschnelle durchführen, wenn die betreffenden Interviews vorher kodiert worden sind. In der Form eines sogenannten "Retrievals" lassen sich die Ergebnisse der Suche gesammelt betrachten: mit einem einzigen Retrieval können Informationen zu mehreren Fällen und mehreren Kategorien ausgegeben werden (vgl. z.B. KELLE 1995, PREIN 1996).4)

Dokument "Lars"

...

Text units 1059-1066

1059 Lars:

1060 Das Geld muss natürlich auch stimmen und tja ...

1061

1062 Interviewer:

1063 Tut’s das jetzt?

1064

1065 Lars:

1066 Nee! (Lacht).  Also als Verkäufer ist es ganz, ganz mies.

...

 

Dokument "Theo"

...

Text units 1273-1281

1273 Theo:

1274 Ich krieg‘ jetzt ein bissel Geld. Vorher war das wirklich nix.

1275

1276 Interviewer:

1277 Ja. Und bist Du jetzt damit zufrieden?

1278

1279 Theo:

1280 Naa, es is’ scho‘ a bissel mager zur Zeit, aber ich hab‘ ja in Aussicht, dass

1281 das sich demnächst bessert.

...

Abb. 4: Ausschnitthaftes Beispiel für ein einfaches fallübergreifendes, kategorienbezogenes Retrieval: Kategorie 5/2 "Einkommen" [19]

Die Zuordnung der Textstellen zu einer Kategorie wie die Erstellung eines Retrievals geschieht mit Hilfe eines Anwenderprogramms, z.B. NUD.IST. Ohne den Einsatz eines Computers würde eine sich auf Kategoriebildung stützende Auswertung sehr viel mehr Probleme bereiten. Selbst wenn die verschiedenen Interviewtranskripte bereits mit einem Farbstift übersichtlich nach Kategorien am Rand markiert wären, müsste man für die Auswertung zunächst alle Transkripte heraussuchen und sähe sich im Anschluss daran einem großen und unübersichtlichen Stapel von Seiten gegenüber. Würde man alle betreffenden Textpassagen ausschneiden und nebeneinander legen (ein solches Verfahren wird als "Cut and paste"-Verfahren bezeichnet), hätte man nach vielen Stunden bzw. Tagen Arbeit das gleiche Ergebnis, das man mit Hilfe des Computers durch eine einzige Eingabe herbeiführen kann. Der Computer bietet außerdem die Möglichkeit, bei Bedarf eine Textstelle jederzeit im Gesamtzusammenhang des Interviews zu betrachten, was bei einem manuell ausgeschnittenem Absatz wesentlich schwieriger wäre (vgl. auch PREIN 1996, S.98f., KLUGE 1999, S.186). [20]

Sehr vorteilhaft bei der computerunterstützten Auswertung ist außerdem die Vielfalt an logischen Verknüpfungsmöglichkeiten sowohl von Kategorien als auch von Textdokumenten. Anwendungsprogramme stellen verschiedene Verknüpfungsbefehle (wie "und", "oder" etc.) zur Verfügung, so dass ein gezielter Zugriff auf Textstellen nicht nur über einen Kode sondern über die Kombination mehrerer Kodes erfolgen kann. Diese Kodes kann man zum einen fallorientiert zu intrapersonalen oder "horizontalen" Retrievals (KUCKARTZ 1988, S.192) verknüpfen, um etwa über Paraphrasierungen und Verdichtungen komprimierte Fallanalysen zu erstellen. Zum anderen ermöglicht die Anwendung von Kodekombinationen auch interpersonale oder "vertikale" Retrievals (ebenda)5). Beispielsweise können in die Analysen nur die Interviews einer bestimmten Berufsgruppe, einer bestimmten Genusgruppe bzw. einer bestimmten Region einbezogen werden. Eine kategorienbezogene Auswahl von Textstellen könnte beispielsweise darin liegen, dass genau die Passagen unter Nutzung des Anwenderprogramms identifiziert werden, in denen die selektierten Befragten Karrieremöglichkeiten mit Vorstellungen zur Familiengründung verbinden. [21]

Die folgende Abbildung fasst noch einmal die an der computerunterstützten Auswertung beteiligten Komponenten zusammen.

Datenbasis

Index-System

Anwenderprogramm

Transkribierte Interviewtexte, als Textdatei gespeichert

Aus der Interviewthematik und dem Leitfaden abgeleitetes Kategoriensystem

Software-Programm zur strukturierten Eingabe und Abfrage (=Retrieval) von Daten mit vielfältigen Auswahlmöglichkeiten

z.B. die in der Textdatenbank biographischer Interviews junger Erwachsener (DABIE, vgl. Abschnitt 1) enthaltenen über 300 problemzentrierten Interviews aus der Längsschnittstudie des Projekts A1 des Sfb 186 der Universität Bremen

z.B. das Kategorienschema der Textdatenbank biographischer Interviews junger Erwachsener (DABIE) (vgl. Abschnitt 3)

z.B. das Programm NUD•IST

Abb. 5: Komponenten computerunterstützter Auswertung [22]

3. Vorstellung des Kategoriensystems

In diesem Abschnitt beschäftigen wir uns anhand unserer Erfahrungen zunächst mit dem Prozess der Erstellung eines Kategoriensystems als organisierendem Schema für den Kodierprozess (Abschnitt 3.1), ehe wir das von uns erstellte Kategoriensystem in seinem Aufbau vorstellen (Abschnitt 3.2). Abschließend reflektieren wir unsere Erfahrungen mit der Durchführung und Organisation des Kodierprozesses (Abschnitt 3.3). [23]

3.1 Die Erstellung eines Kategoriensystems

Bevor die Interviews kodiert werden können und somit der Aufbau der Textdatenbank erfolgt, muss ein Index System entwickelt werden. Dies sollte anhand der Interviewleitfäden und der exemplarischen Analyse einiger Interviews erfolgen (vgl. KÜHN 1996, KELLE & KLUGE 1999, S.54ff.).6) [24]

Zunächst empfiehlt es sich, eine sogenannte Startliste zu erstellen, die als ein erstes, provisorisches Kategoriensystem mit vielen Kodes in loser Ordnung zu begreifen ist. Damit wird ein Vorschlag von MILES und HUBERMAN (1994, S.58) aufgegriffen:

"One method of creating codes—the one we prefer—is that of creating a provisional 'start list' of codes prior to fieldwork. That list comes from the conceptual framework, list of research questions, hypotheses, problem areas, and/or key variables that the researcher brings to the study." [25]

Im Rahmen einer solchen Startliste werden Vorannahmen und Vorwissen ausgedrückt, eigenes Kontextwissen eingebracht und für weitere Analysen nutzbar gemacht. Die Startliste orientiert sich an in den Interviewleitfäden enthaltenen Themen und an den leitenden Forschungsfragestellungen des Projekts. [26]

Diese Startliste dient einem ersten Probekodieren, das zur Prüfung der Tragfähigkeit dieses ersten provisorischen Kategoriensystems und damit letztendlich zu dessen Verbesserung dienen soll. Dafür sollten zunächst einige exemplarisch ausgewählte Interviews aus verschiedenen Kontexten Zeile für Zeile kodiert werden, das heißt, die einzelnen Textsequenzen den Kategorien zugeordnet werden. Andererseits geht es – im Sinne der Grounded Theory – nicht nur um die Zuordnung zu bereits bestehenden Kategorien, sondern angeregt durch das Datenmaterial eher um die Veränderung bereits bestehender und Entwicklung neuer Kategorien. Das Ziel besteht darin, "Daten analytisch aufzubrechen oder zu knacken" (STRAUSS 1991, S.59), um auf Daten gegründete Konzepte entwickeln zu können. Kategorien werden dabei gebildet, indem die Daten auf Ähnlichkeiten und Unterschiede hin verglichen werden. Kategorien sollten zum einen zentrale Thematiken des Interviews erfassen und zum anderen möglichst klar definiert sein, um eine schnelle Zuordnung ohne einen langwierigen Interpretationsprozess zu ermöglichen. [27]

Qualitätsprüfung der Kategorien

Die zu erstellenden Kategorien als thematische Sammelcontainer müssen während dieses Prozesses wiederholt auf ihre Qualität geprüft werden:

a) Ist die Kategorie hilfreich dabei, eine zentrale Thematik des Interviews zu erfassen? Lassen sich aus den kodierten Inhalten unterschiedliche Umgangs- oder Interpretationsweisen ableiten? Dies ist vor dem Hintergrund zu betrachten, dass das Kategoriensystem möglichst übersichtlich bleiben und daher eine Beschränkung auf für die Untersuchung der Forschungsfragestellung(en) zentralen Themen erfolgen sollte. Gleichzeitig sollten Kodes derart konstruiert sein, dass die durch sie erfassten Inhalte zu einem differenzierten Bild des Untersuchungsgegenstandes beitragen. Nach der Probekodierung der ersten Interviews sollte daher in einer Art ersten "Dimensionalisierung" geprüft werden, welche unterschiedlichen Inhalte zu einer Kategorie deutlich werden, also z.B. bei der Kategorie "Einkommen": "Einkommen als Grundlage für Familiengründung", "Einkommen zur Gewährleistung eigener Unabhängigkeit", "Einkommen zur Befriedigung kostspieliger Freizeitinteressen" etc. [28]

b) Ist die Kategorie klar definiert? Ist eine Zuordnung der Textstellen ohne langwierige Interpretation möglich? Wir betrachten das Kategoriensystem als eine Hilfestellung zur Verwaltung der Daten, nicht jedoch als Endpunkt qualitativer Forschung. Dementsprechend bevorzugen wir eher deskriptive und theoriearme Kategorienbezeichnungen. Diese ermöglichen in späteren Auswertungsprozessen die theoriegeleitete vielfältige Umstrukturierung der Daten und beschränken den Forschungsprozess nicht vorschnell auf wenige theoretische Begriffe. Eine klare, deskriptive Definition der Kategorien erhöht zudem die Nachvollziehbarkeit und Reliabilität der Kodierungen, die in der Regel im Team mehrerer Mitarbeiter und studentischer Hilfskräfte erfolgen. [29]

c) Sind die einzelnen Kategorien voneinander ausreichend trennscharf definiert? Wird eine handhabbare Textmenge erfasst? Um das System übersichtlich zu halten, ist es notwendig, dass die Kategorien Themenbereiche in ausreichendem Maße abdecken, so dass es nicht zu unnötig vielen Überschneidungen im Definitionsbereich kommt. Ein zu großes und fein-verästeltes Kategoriensystem birgt bei der Kodierung die Gefahr, dass einzelne Kategorien bei der Zuordnung von Textstellen einfach "vergessen" werden. [30]

Zuordnungen von Textstellen zu mehreren Kategorien sollen allerdings generell nicht ausgeschlossen werden, im Gegenteil ist dies vielfach sinnvoll. Solche Zuordnungen müssen jedoch inhaltlich begründet sein. Eine zu große Verästelung des Kategoriensystems führt zu mangelnder Trennschärfe aufgrund der häufigen Doppelkodierungen von Textstellen zu einer gleichen Kategorienkombination. Andererseits birgt eine zu "grobe" Verästelung oder Differenzierung die Gefahr, dass zu viele Textstellen von einer Kategorie erfasst werden, und der Auswerter sich nur schwer einen Überblick über die große Textmenge verschaffen kann. [31]

Systemerstellung

Mit dem veränderten Kategoriensystem sollten erneut Probekodierungen an den Interviews durchgeführt werden, um es zu prüfen und zu modifizieren. Bei dieser Modifizierung sollte es dabei in zunehmendem Maße darum gehen, die Kategorien selektiv zueinander ins Verhältnis zu setzen und Oberbegriffe zu bilden. Durch eine solche Ordnung der Kategorien entsteht ein hierarchisch geordnetes System, das anhand einer umgekehrten Baumstruktur veranschaulicht werden kann. Probekodierungen mit Hilfe des sich verändernden und entwickelnden Systems sollten abgeschlossen werden, wenn es sich als weitgehend "gesättigt" erweist, d.h. der Einbezug neuer Interviews nicht mehr zu Veränderungen des Systems führt. [32]

Offenheit und Geschlossenheit des Systems

Bei den von uns als Gliederungssystem der Textdatenbank bestimmten Kategorien oder Kodes handelt es sich um vergleichsweise theoriearme Begriffe. Diese Kodes sind also nicht als "Kernkategorien" zu verstehen, die im Sinne der Grounded Theory am Ende eines Auswertungsprozesses stehen, sondern eher als thematische "Container", die für jeden Auswertungsprozess Hilfestellung und Material für die weiteren Analysen und damit verbundenen theoretischen Begriffsbildungen bieten. Sie stellen eine Unterstützung bei der Auswertung dar, weil in den von uns erhobenen problemzentrierten Interviews eine Vielzahl von Teilthemen angesprochen werden. Sie ergeben sich thematisch aus der Projektfragestellung. [33]

Das Kategoriensystem zeichnet sich somit durch Offenheit und Geschlossenheit zugleich aus. Es ist insofern geschlossen, als dass für den Kodierprozess ein festes Kategorienschema entwickelt wird und nicht im Verlauf des Kodierens neue Kategorien entwickelt werden. Dies ist darin begründet, dass die Funktion des Kategoriensystems darin besteht, einen thematisch begründeten Zugriff auf alle Interviews zu gewährleisten. Nur wenn der durch die Kodes gegebene zeitlich-biographische und thematische Bezug auf alle Interviews hergestellt werden kann, ist eine Vergleichbarkeit der Fälle sichergestellt. [34]

Zum anderen ist es offen insofern, als dass es nicht den Abschluss des Auswertungsprozesses bildet, sondern im Gegenteil eine weitere theoretische Begriffsbildung explizit unterstützen soll. Eine theoretisch begründete zusätzliche Kodierung von Interviews im Zusammenhang mit einer theoretischen Fragestellung ist jederzeit möglich (vgl. auch Abschnitt 4). [35]

3.2 Aufbau des Kategoriensystems

Systemlogik

Das im folgenden vorgestellte Kategoriensystem soll eine theoriegenerierende Auswertung der Interviewtexte unterstützen. Hierfür wurden die aus der vorangegangenen Auswertungspraxis entwickelten zeitlich und thematisch ordnenden Kodes großflächig und als empirisch leere "Sammelcontainer" für Interviewaussagen angelegt. [36]

Das Kategoriensystem teilt sich in drei Hauptverzweigungen auf: zeitlich-biographisch ordnende Kodes der Erwerbsbiographie (vgl. Abschnitt 3.2.1), thematisch-ordnende Kodes der Erwerbs- und Familienbiographie (vgl. Abschnitt 3.2.2) sowie Fallmerkmale (vgl. Abschnitt 3.2.3). [37]

3.2.1 "Zeitlich-biographisch" ordnende Kodes der Erwerbsbiographie

Mit Hilfe der Ereignis- oder Stationenlogik werden die Äußerungen der Befragten biographisch verortet. Dieses Anliegen leitet sich aus den Erfordernissen der Lebenslaufanalyse ab. Es geht in der Auswertung um die Rekonstruktion der Orientierungen und Handlungen in Lebenslaufstationen mit unterschiedlicher Dauer und Sequenzierung. Diese Situationen lassen sich als unterschiedliche Lebenslaufstationen kennzeichnen, die das Individuum auf der Zeitachse der Partizipation in verschiedenen Organisationen verorten, hier: Lehrstelle, Arbeitsplatz, Arbeitslosigkeit, Arbeitsplatzwechsel, Wehr-/Zivildienst, berufliche Umschulung, Fachhochschule etc. Dadurch wird es möglich, dass Handeln von Individuen in Zusammenhang mit institutionellen Kontexten zu analysieren. [38]

Mit Hilfe der Kategorie "Chronologie ab Berufsausbildung" werden Textsequenzen zur Erwerbsbiographie des Befragten nach berufsbiographischen "Stationen" wie Berufsausbildung, erster Arbeitsplatz etc. geordnet, um in der Auswertungsphase die unterschiedlichen Versionen von Orientierungen und Handlungen je nach Interviewzeitpunkt vergleichen zu können. [39]

Die Kodierung erfolgt auf der Grundlage der biographischen Verlaufsskizze, die für jeden Fall vor und während des Kodierprozesses erstellt werden muss. Zur Erstellung empfiehlt es sich bereits während des Interviews zusammen mit dem Befragten die Reihenfolge seiner berufsbiographischen Stationen festzuhalten und auf einem gesonderten Blatt aufzuschreiben. Falls dies aufgrund der Interviewsituation nicht möglich ist, sollte dies auf jeden Fall rekonstruktiv im unmittelbar nach dem problemzentrierten Interview zu verfassenden Postskript (vgl. WITZEL 2000a) erfolgen. Der so erstellte Entwurf einer biographischen Verlaufsskizze sollte von den Kodierenden während des Kodiervorgangs geprüft und gegebenenfalls noch verändert werden.

Station

Dauer

Art der "Tätigkeit"

1

07/89

Abschluss der Friseurlehre

2

08/89-09/89

arbeitslos

3

09/89-04/93

Arbeit als Schwesternhelferin im Altenheim

4

seit 04/93

Mutterschutz und Erziehungsurlaub

Abb. 6: Beispiel einer biographischen Verlaufsskizze (Fall: "Gudrun", Friseurin, Bremen) [40]

Bei der Kodierung wird unterschieden nach der "Vorgeschichte" (Kategorie 2) und dem Verlauf der Erwerbsbiographie ab dem Beginn der Lehre, die im vorliegenden Beispiel (Abb. 7) 1989 abgeschlossen wurde, und die für die Aufnahme in das Sample maßgeblich war (Kategorie 1). [41]

Eine solche Unterscheidung leitet sich aus dem Fokus unserer Untersuchung ab, der auf den berufsbiographischen Verlauf nach Abschluss der Berufsausbildung gerichtet ist, der zunächst relativ viel Kontinuität (vgl. WITZEL & MÖNNICH 1995), dann aber z.T. eine sehr diskontinuierliche Entwicklung (vgl. SCHAEPER, KÜHN & WITZEL 2000) aufweist. Lediglich die Station 1 der verlaufsbezogenen Kodierung ist für alle Befragten als gemeinsamer Bezugspunkt "Berufsausbildung" definierbar, weil sie mit dem Stichprobenkriterium "erfolgreicher Abschluss einer dualen Ausbildung" identisch ist. [42]

Die Stationen der Berufsbiographie werden in sequentieller Folge durchnummeriert. Zweck ist die situationsspezifische Erfassung der realisierten beruflichen Optionen in ihrer biographischen, d.h. zeitlichen Abfolge. Um die Orientierungen und Handlungen in den einzelnen Stationen zu kodieren, haben wir auf ein, in früheren Projektphasen entwickeltes, heuristisches Handlungsmodell zurückgegriffen (WITZEL 2000b). Jede Station wird demnach nach den Elementen des Modells, Aspiration, Realisation und Bilanzierung untergliedert. Aspirationen nehmen die stationenbezogenen Handlungsbegründungen auf. Aus ihnen lassen sich dann in der Auswertung berufsbezogene Interessen, Motive, Handlungsentwürfe oder Planungen rekonstruieren. Realisationen sammeln Aussagen über konkrete Handlungsschritte zur Umsetzung der Aspirationen. Bilanzierungen sind definiert als individuelle Bewertungen von Entscheidungs-, Handlungsfolgen und Kontexterfahrungen. Sie besitzen ein doppelte Zeitperspektive, weil sie nicht nur retrospektive, sondern auch prospektive Reflexionsanteile besitzen, die zu Neubewertungen von Zielen, Erwartungen und Plänen führen. Insofern verkoppeln die Bilanzierungen die einzelnen Stationen. Die Kodierung nach Stationen schließt alle realisierten Schritte der schulischen bzw. beruflichen Biographie, auch Erwerbslosigkeit ein. In der Folge werden die einzelnen Begriffe und die damit verbundenen Anforderungen an die Kodierung beschrieben:

Station – Aspiration

Definition: Unter Aspiration werden alle Äußerungen zusammengetragen, die Auskunft zu der Frage geben: "Warum habe ich mich für diese Station entschieden?"

Es handelt sich also um interessenbezogene Begründungen oder Erwartungen von realisierten Optionen (hier Stationen genannt). Aspirationen beziehen sich auf antizipierte Handlungsbedingungen. Sie geben Auskunft über das Verhältnis des Individuums zu normativen Lebenslaufmustern, institutionellen Anforderungen, Steuerungs- und Kontrollmechanismen, zu den potentiell zur Verfügung stehenden Ressourcen und zur Wahrnehmung der Aufgabenstellung, die sich aus den strukturellen Anforderungen ergeben.

Station – Realisation

Definition: Unter Realisation werden Auskünfte gesammelt, die sich auf die Frage beziehen: "Wie bin ich vorgegangen, um mein Ziel zu erreichen?"

Sie beinhalten die konkreten Handlungsschritte zur Umsetzung der Aspirationen und die individuelle Lösung der Aufgabenstellung im Zusammenhang von Anforderungsstrukturen. Dabei greifen Individuen auf vorhandene Ressourcen zurück, d.h. berücksichtigen die bei der Interessenumsetzung vorgefundenen Bedingungen und setzen die individuellen Mittel für die Verwirklichung von Optionen (z.B. Bildungsniveau, soziales Netzwerk, Unterstützung durch Elternhaus und Peers) ein.

Station – Bilanzierung

Definition: Unter Bilanzierung wird die subjektive Bewertung von Entscheidungs- und Handlungsfolgen verstanden. Bilanzierungen beantworten die Frage: "Wie bewerte ich im Nachhinein diese Station?"

Sie beinhalten Bewertungen der Relation zwischen Aspirationen und Handlungsbedingungen und der berufsbiographischen Tragfähigkeit von Handlungsfolgen. Sie bilden die Erfahrungsgrundlage für die Aufrechterhaltung, Korrektur oder Reduktion von Ansprüchen sowie für Zukunftsplanungen. Zukunftsplanungen bzw. -erwartungen können auch die aktuelle Situation mit einbeziehen: z.B. Wahrnehmungen von Leistungsbewertungen und Förderungen durch Vorgesetzte, Entscheidungsalternativen und Informationszugänge. Aus ihrer Bilanzierung entstehen Einschätzungen zukünftiger Handlungsmöglichkeiten.

Abb. 7: Aspiration, Realisation, Bilanzierung – die Elemente des biographisch-handlungstheoretischen Modells von WITZEL (2000b) [43]

Die Kodierung nach einer biographisch-zeitlichen Logik7) eröffnet die Möglichkeit, alle in den themenbezogenen Kategorien (vgl. Abschnitt 3.2.2) gesammelten Äußerungen in dieser Options- oder Stationsabfolge biographisch zu verorten. Um dies zu gewährleisten, werden nicht nur Aspirationen, Realisationen und Bilanzierungen kodiert, sondern auch "Informationen". Hierbei handelt es sich um eine Restkategorie für weitere berufsbiographische Inhalte wie nicht-wertende Beschreibungen des Arbeitsinhaltes etc., die nicht im Blickpunkt der Erfassung durch die handlungstheoretisch abgeleiteten Kategorien Aspiration, Realisation und Bilanzierung stehen.

Station – Information

Definition: Hierzu zählen alle stationsspezifischen Informationen, die nicht Aspiration, Realisation, Bilanzierung sind.

Beschreibung von Arbeitsinhalten, betriebliche Rahmenbedingungen, Hierarchiestrukturen sowie Fakten zu betrieblichen Veränderungen, z.B. Wechsel des Vorgesetzten, Rationalisierungsmaßnahmen etc., aber auch Familie/Partnerschaft sowie Einstellungen/Orientierungen, wenn diese Informationen in klarem Zusammenhang stehen zu der berufsbiographischen Station.

Abb. 8: Stationsspezifische Kodierung von allgemeinen Informationen [44]

Aus dieser Logik ergibt sich folgendes Kodiersystem:

1 1 Station 1

1 1 1 Station 1: Aspiration

1 1 2 Station 1: Realisation

1 1 3 Station 1: Bilanzierung

1 1 4 Station 1: Information

 

1 2 Station 2

1 2 1 Station 2: Aspiration

1 2 2 Station 2: Realisation

...

Abb. 9: Stationenspezifisches Kodiersystem [45]

Diese möglicherweise zunächst relativ aufwendig erscheinende Konstruktion bedient sich einer "Baumstruktur" bzw. einer hierarchischen Gliederung von Kodes. Dadurch ist zum einen eine nach Station und Aspiration, Realisierung etc. differenzierte Abfrage möglich, was bei dem großen Umfang der erfassten Textpassagen einen großen Vorteil darstellt. Gleichzeitig lassen sich aber auch mittels einer zusammenfassenden Abfrage alle einer Station zugeordneten Textsequenzen betrachten und dies unabhängig davon, ob es sich um Aspirationen, Bilanzierungen oder Informationen handelt. [46]

Unter dem Kode 3 "nicht realisierte und verworfene Optionen" werden alle im Interview thematisierten berufsbiographischen Optionen erfasst, die nicht verwirklicht wurden. Dies umfasst sowohl Optionen, die in der Vergangenheit bestanden und nicht realisiert wurden, als auch aktuelle Optionen, deren Verwirklichung nicht angestrebt bzw. als nicht-realisierbar betrachtet wird. [47]

Mit der Kategorie 4 "berufliche Zukunftsperspektiven" werden Äußerungen gesammelt, in denen der Befragte im Interview sich konkret mit beruflichen Zukunftsperspektiven zum Zeitpunkt des Interviews auseinandersetzt. [48]

3.2.2 "Thematisch"-ordnende Kodes der Erwerbs- und Familienbiographie

Die Akteure beziehen sich auf die Kontextbedingungen der einzelnen Stationen im Lebenslauf als subjektiv wahrgenommene Gelegenheitsstrukturen oder Optionen, d.h. sie richten ihr Augenmerk lebenspraktisch auf Chancen, die sie zu realisieren, und Restriktionen, die sie zu umgehen versuchen. Textsequenzen dieser biographien- bzw. lebenslauftheoretischen Thematik werden mit den "thematisch" ordnenden Kodes erfasst. So werden unter dem Kode "Einkommen" beispielsweise alle Äußerungen der Befragten zu Gehalt etc. gesammelt, unabhängig davon, auf welche biographische Station in der jeweiligen Biographie sich die Äußerungen beziehen. [49]

Aus unserer Projektfragestellung ergaben sich folgende "Oberthemen", denen die einzelnen themenbezogenen Kodes zugeordnet sind: "Arbeit und Beruf" (Kategorien 5/1 bis 5/7), "Soziales Netzwerk" (Kategorie 6), "Familie und Partnerschaft" (Kategorien 7/1 bis 7/7). "Übergreifende Orientierungen und Einstellungen" bildet den weitgefassten Oberbegriff für die Kategorien 8/1 bis 8/4, in denen grundlegende Lebensvorstellungen, Glaubenssätze und gesellschaftliche Deutungsmuster gesammelt werden. [50]

Exemplarisch listen wir an dieser Stelle die Definitionen für das Oberthema "Arbeit und Beruf" auf:

5/1 Arbeit und Beruf – Arbeitsinhalt

Äußerungen, in denen der Interviewpartner seine Tätigkeit schildert, mitteilt, welche Aufgaben er an seinem Arbeitsplatz zu erledigen hat. Dazu gehören Aussagen zur Bedeutung von Arbeit, Interessen, Vorlieben, Abneigungen, Bilanzierungen der Arbeitsinhalte.

5/2 Arbeit und Beruf – Einkommen

Äußerungen, die sich sowohl auf das eigene Einkommen als auch auf allgemeine Einkommenssituationen zum Beispiel im Beruf oder Betrieb beziehen. Erfasst werden hier auch Gesprächspassagen über finanzielle Unterstützungsleistungen (z.B. BaföG oder von den Eltern), Zuschüsse, Haushaltsgeld, Finanzierungs- oder Kostenprobleme.

5/3 Arbeit und Beruf – Betrieb

Äußerungen zum Betrieb als Organisation. Es geht hier um die Bedingungsstruktur des Betriebes. Dabei werden erfasst: Äußerungen zum Betriebsklima, in denen der Befragte die Qualität der sozialen Beziehungen bzw. der Arbeitsbeziehungen thematisiert.

Vergleiche zwischen Betrieben, Äußerungen zum Chef als Gatekeeper, Äußerungen zur Bewerbungssituation um einen Ausbildungsplatz und zur Übernahmeproblematik, Zuständigkeiten (z.B. "was darf ich"), Stellung in der betrieblichen Hierarchie, Qualität der Ausbildung.

5/4 Arbeit und Beruf – Entwicklungsmöglichkeiten

Äußerungen, in denen die berufliche Entwicklung thematisiert wird. Dazu gehören: Äußerungen über Möglichkeiten im Beruf, in der Schule und in der Weiterbildung, z.B. bezüglich von Aufstiegen, zur Arbeitsplatzsicherheit, Einschätzungen der konkreten und allgemeinen Arbeitsmarktsituation, Bezüge auf Unterstützungsleistungen des Arbeitsamts. Bezogen auf das, was angestrebt bzw. erwogen wird/wurde, nicht auf den Status, in dem sich der Befragte befindet, wird unterschieden nach Studium (5/4/1), Schule (5/4/2), Beruf und Sonstiges (5/4/3).

5/5 Arbeit und Beruf – Leistung

Äußerungen, die sich auf Leistung im betrieblichen und beruflichen Kontext beziehen. Dazu gehören: die Wahrnehmung von Leistungserwartungen an sich (Äußerungen wie (zu) locker, nicht ausgefüllt, Stress, Leistungsdruck), das Maß an Leistungsbereitschaft und die Begründung dafür (z.B. Aufstiegsorientierung, Geldorientierung, Pflichtgefühl, Spaß am Arbeiten, Selbstbestätigung durch Erfolg, soziale Anerkennung ...), die Einstellung zu beruflicher Leistung und damit verknüpften Prinzipien wie dem Leistungsprinzip, Einschätzung eigener Leistung, Erklärung eigener Leistungen (z.B. Begabung).

5/6 Arbeit und Beruf – Kompetenzerwerb

Äußerungen, die sich explizit auf den Erwerb von Kompetenzen und Qualifikationen im und für den Beruf beziehen, im Rahmen von Weiterbildung, Schule (zum Erwerb formaler Abschlüsse), Studium, Beruf. Dazu gehören Gesprächspassagen, in denen Fragen wie "was haben Sie gelernt?" diskutiert und Hindernisse oder Hilfen dabei erörtert werden.

5/7 Arbeit und Beruf – Arbeitszeit

Interviewpassagen, die sich auf die zeitliche Organisation der Erwerbsarbeit beziehen;

auch Urlaubsregelungen, Zeitinformationen zur Anreise an den Arbeitsplatz.

Abb. 10: Definition der Kategorien zum Oberthema "Arbeit und Beruf" [51]

3.2.3 Fallmerkmale

Die Unterscheidung nach Fallmerkmalen ist unentbehrlich, um Fallvergleiche durchzuführen. Sie ermöglicht es, die Auswahl der zu untersuchenden Fälle genau einer Fragestellung anzupassen. [52]

Hier werden nicht einzelne Textstellen den Kodes der Gruppe "Fallmerkmale" zugeordnet, sondern das ganze Interview.8)

Interviewphase

Erst-, Zweit- oder Drittinterview

Region

Bremen oder München

Ausbildungsberuf

Für die Aufnahme in die Stichprobe maßgeblicher Ausbildungsberuf

Geschlecht

Weiblich oder männlich

Schulabschluss

Schulabschluss vor Beginn der Lehre, die für die Aufnahme des Falles in die Stichprobe maßgeblich ist

Alter

Unterteilt nach Altersgruppen: Geburtsjahrgänge

1955-1964, 1965/1966, 1967/1968, 1969/1970, 1971

BGM

Berufsbiographischer Gestaltungsmodus (BGM)

Hierbei handelt es sich um eine im Projekt entwickelte Typologie verschiedener berufsbiographischer Orientierungen und Handlungsweisen (vgl. WITZEL & KÜHN 1999)

Berufe der Eltern

Unterschieden nach Mutter und Vater und bestimmten Gruppen: Arbeiter, Facharbeiter, Angestellter, leitender Angestellter, Beamter, Beamter i.h.D., Selbständiger, Hausfrau/-mann

Ld-Nr.

Fallkennzahl (jeder Interviewpartner wird durch eine spezifische Nummer gekennzeichnet, z.B. "Willy" = Fallkennzahl 1)

Abb. 11: Definition der Kategorien "Fallmerkmale" [53]

3.2.4 Zusammenfassung: Kodierlogik biographischer Interviews

Eine nach Fallmerkmalen, thematisch und zeitlich-biographischen Kategorien unterscheidende Systemlogik lässt sich für alle biographischen bzw. Lebenslauf-Studien empfehlen, um Textstellen sowohl zeitlich, thematisch und nach einer spezifischen Fallauswahl flexibel und in wechselnden Verbindungen einordnen und analysieren zu können. Sie wird in der folgenden Abbildung "Kodierlogik biographischer Interviews" schemenartig zusammengefasst dargestellt.

Zeitlich-biographisch ordnende Kodierung

Thematisch-ordnende Kodierung

Kodierung nach Fallmerkmalen

Kodierung von Textsequenzen

Kodierung von Textsequenzen

Kodierung des gesamten Interviews

Dient der zeitlich-biographischen Verortung der Äußerungen, zum Beispiel durch Einteilung in biographische Stationen

Dient der Gliederung der Äußerungen nach themenbezogenen Schwerpunkten des Interviews

Dient der Schaffung von differenzierten Auswahlmöglichkeiten für Fallanalysen und Fallvergleiche

Abb. 12: Kodierlogik biographischer Interviews [54]

3.2.5 Übersichtsartige Auflistung des Kategoriensystems

Abschließend werden alle Kategorien der Textdatenbank biographischer Interviews junger Erwachsener (DABIE) und ihre Kennzahlen überblicksartig aufgelistet (siehe das DABIE-Kategoriensystem in Anhang 1). [55]

3.3 Durchführung und Organisation des Kodierprozesses

Anhand des nach diesen Vorarbeiten in unserem Projekt festgelegten Kategoriensystems wurde die relativ aufwendige Kodierung aller Interviews im Verlauf des Jahres 1997 von mehreren studentischen Mitarbeiter unter unserer Betreuung und Planung durchgeführt. Kodieren als interpretativer Akt erfordert eine gewisse Einarbeitung in die Fragestellung des Projektes, in unserem Falle insbesondere Grundinformationen über Berufs- und Schullaufbahnen und andere Kontextinformationen. Zur Einarbeitung der Studentinnen und Studenten ließen wir ein Interview zunächst doppelt kodieren, indem die Kodierung jeweils durch den Student bzw. die Studentin und durch einen der betreuenden Mitarbeiter durchgeführt wurde. [56]

Im Anschluss daran wurden die vorgenommenen Kodierungen verglichen und auftretende Ungleichheiten besprochen und am Text geprüft. Dabei wurden einige Definitionen und Abgrenzungen der Kategorien zur Verdeutlichung überarbeitet. Wichtig war uns dabei außerdem, dass die Studenten lernten, die Textsequenzen nicht kontextfrei und zu eng auszuschneiden, sondern bei ihrer Zuordnung zu Kategorien darauf achteten, die Blöcke so zu wählen, dass die Textsequenzen in sich verständlich blieben (siehe ein Beispiel für das kontextbezogene Kodieren von Textpassagen in Anhang 2).

Diese Betreuung der Studenten war zunächst mit einem sehr hohen Zeitaufwand verbunden. Sie gewährleistete dafür aber auch zum einen die sorgfältige Definition und Dokumentation des Kategoriensystems und zum anderen erhöhte sie die Kompetenzen der studierenden Kodierer für ihre darauffolgende selbständige Kodierarbeit. Um die Reliabilität der Kodierung zu sichern, wurde die Textzuordnung diskursiv in kleinen Gruppen präzisiert und kontrolliert. BORN, KRÜGER und LORENZ-MEYER (1996, S.56) nennen diese Vorgehensweise "disjunktive Gruppentechnik". [57]

Die Kodierung erfolgte anhand des ausgedruckten und mit Zeilennummern versehenen Interviewtranskripts. Die einer Kategorie zuzuordnenden Zeilennummern wurden zunächst auf einem gesondert dazu erstellten "Eingabevordruck" aufgelistet. Nach der Kodierung des gesamten Interviews wurden sie in das Anwenderprogramm NUD.IST eingegeben, dem bereits vor dem Beginn der Kodierung der Interviews die Datenbasis und das Index System als Grundlage der Datenbank zur Verfügung gestellt wurde.

Eingabevordruck - Fall: Heinrich Ba. (Drittinterview)

4/2

Einkommen

4/3

Betrieb

4/4/1 berufliche Entwicklungsmöglichkeiten Studium

4/4/2 berufliche

Entwicklungsmöglichkeiten

Schule

4/4/3 berufliche Entwicklungsmöglichkeiten

Beruf und Sonstiges

535-542

2128-2136

2474-2501

2-162

544-825

911-2064

2986-2125

2235-2293

2347-2411

 

681-693

2-533

544-611

672-780

827-1998

2033-2064

2086-2169

2235-2411

2524-2552

Abb. 13: Beispiel für einen Eingabevordruck (Ausschnitt) [58]

4. Exemplarische Veranschaulichung von Anwendungsmöglichkeiten der Textdatenbank

Nachdem wir in den vergangenen Abschnitten Grundprinzipien und Vorteile des Gebrauchs einer Textdatenbank im Auswertungsprozess erläutert und das von uns entwickelte Kategoriensystem vorgestellt haben, wollen wir im folgenden anhand von einigen Beispielen aus unserer Projektarbeit die Anwendungsmöglichkeiten unserer Datenbank veranschaulichen. Dazu fassen wir zunächst die von uns verwendeten verschiedenen Auswertungsdateien als Resultate und Zugriffsmittel der Datenbanknutzung zusammen (Abschnitt 4.1). [59]

Die im Anschluss vorgestellten Beispiele verdeutlichen den Einsatz der Textdatenbank in unterschiedlichen Auswertungsphasen, wobei die Gestaltung der Auswertungsmethode und damit die Art der Textdatenbanknutzung von der Art und Komplexität der Erkenntnisziele unterschiedlicher Forschungsvorhaben abhängig sind9):

4.1 Die Technik der Datenbanknutzung: Auswertungsdateien als Resultate und Zugriffsmittel

Vom Blickwinkel der Datenbanknutzung haben die Auswertungsdateien insgesamt eine zentrale Funktion für die theoriegeleitete Kategorienselektion in Abhängigkeit von spezifischen Fragestellungen. Daher stellen wir diese, als Resultate und Zugriffsmittel der Datenbanknutzung zu begreifenden Auswertungsdateien zusammenfassend an den Anfang unserer exemplarischen Veranschaulichung von Anwendungsmöglichkeiten der Textdatenbank. [61]

Wir wollen in diesem Zusammenhang nicht die an die Grounded Theory angelehnte Auswertungsmethode systematisch darstellen, sondern uns auf die Rolle der Auswertungsdateien als Ergebnis und/oder Ausgangspunkt für die Datenbanknutzung beschränken. Mit dem induktiv-deduktiven Wechselspiel der theoriegenerierenden Textinterpretationsprozesse entstehen über die Retrievalfunktion der Datenbank die Auswertungsdateien "Einzelfall", "Fallvergleich" und "Ideen". Diese sind wiederum Ausgangspunkt für einen theoriegeleiteten Suchprozess mithilfe der Datenbankkodes und ermöglichen weitere Analysen, die zu einer "Sättigung" von bisher entwickelten Begriffen und Kategorien führen. Das erkenntnisleitende Wechselspiel führt zu neuen Varianten von Auswertungsdateien und damit einhergehend zur Erweiterung, Verfeinerung und Korrektur des entstandenen, empirisch gesättigten theoretischen Konzepts. Auf allen Auswertungsstufen finden Validierungsprozesse statt, die ständig Re-Analysen von Textpassagen und damit einen systematischen Zugang zur Textdatenbank notwendig machen.

Die "Technik" der Textdatenbanknutzung

Kategorienselektion (Retrievals)

  • einfache Anwendung oder logische Verknüpfung

  • horizontal oder vertikal

  • zeitlich-biographisch

  • themenbezogen

  • merkmalbezogen

Auswertungsdateien

als Resultate und Zugriffsmittel der Datenbanknutzung

Übersichtsdateien:

  • biographische Verlaufsskizze

  • Compressed Retrievals

  • Zitate

Memo-Dateien:

  • Einzelfall

  • Fallvergleich

  • Ideen

  • Frageliste

  • Thematisches Suchraster

  • Empirische Vorarbeiten/Notizen aus früheren Auswertungsphasen (quantitativ und qualitativ)

Abb.14:Beschreibung der Zugriffsmöglichkeiten auf die Textdatenbank [62]

Übersichtsdateien

Übersichtsdateien bilden mit komprimierten Paraphrasen und knappen Deskriptionen eine anschauliche, auf die notwendigsten oder prägnantesten Informationen reduzierte Datengrundlage für den folgenden, stärker analytischen Auswertungsprozess, wie er in den Memo-Dateien dokumentiert ist. [63]

Biographische Verlaufsskizzen (vgl. Abb. 7 in Abschnitt 3.2.1) fassen den berufsbiographischen Verlauf zusammen. Sie sind eine zentrale Voraussetzung für die Anwendung der zeitlich-biographischen Kodes der Textdatenbank. [64]

Compressed Retrievals sind unterschiedlichen Kodes zugeordnete Kombinationen aus Paraphrasierungen oder Kernaussagen, die die komplexen Retrievals übersichtlicher machen und zusammenfassen. Sie enthalten auch prägnante Zitate. Compressed Retrievals sind mit Zeilennummerierungen versehen, so dass zur vertieften Analyse oder Validierung der Zugang zum Originaltext der Datenbank gesichert ist (vgl. Abschnitt 4.2.3). [65]

Zitate-Dateien enthalten themenspezifisch geordnete Original-Textsequenzen (mit Verweis auf die Datenbankquelle), die als interessant für weitere Satz-für-Satz-Analysen betrachtet werden. [66]

Memo-Dateien

Memos sind nach STRAUSS und CORBIN (1996, S.169): "Schriftliche Analyseprotokolle, die sich auf das Ausarbeiten der Theorie beziehen". Wie bei den Übersichtsdateien ist der Zugang zum Originaltext der Datenbank gesichert. Bei Einzelfalldateien handelt es sich um fallspezifische Zusammenfassungen zentraler deskriptiver oder analytischer Auswertungsresultate. Diese können unterschiedlich aufgebaut sein: zu Beginn der Auswertung eher skizzenhafter Natur, am Ende die Auswertungen zu verschiedenen Kodes der Datenbank zusammenfassend. Fallvergleichsdateien enthalten Auswertungsresultate von Fallkontrastrierungen. Ergebnis kann dabei eine Typologie sein. [67]

Einzelfallanalysen und Fallvergleichsdateien entsprechen in engerem Sinne den "theoretischen Notizen", d.h., sie sind "Produkte des induktiven und deduktiven Denkens über tatsächlich und möglicherweise relevante Kategorien, ihre Eigenschaften, Dimensionen, Beziehungen, Variationen, Prozesse und die Bedingungsmatrix" (STRAUSS & CORBIN 1996, S.169). Diese Ausarbeitungen unterliegen Prozessen der kommunikativen Validierung, d.h. der kritisch-konstruktiven Kontrolle insbesondere durch andere Mitglieder des Forschungsteams. Das bedeutet, dass es immer wieder zu neuen Produktvarianten kommt, die "die früheren widerlegen, berichtigen, bekräftigen, erweitern und verdeutlichen" (a.a.O., S.170). [68]

Ideendateien bieten Raum für Hypothesen, analytische Ideen und offene Fragen. Die Ideendateien begleiten den Auswertungsprozess damit auch als Ausdrucksmöglichkeit für die psychologische oder soziologische Phantasie und Kreativität. Spontane, skizzenhafte, theoretische Ideen sowie Assoziationen, Hypothesen, kritische Anmerkungen oder Zweifel werden hier getrennt von der sachlich-zusammenfassenden, systematisch-analytischen Darstellung in der Einzelfallanalyse und im Fallvergleich erfasst. Kreativ kann z.B. auch ein eher spielerischer Umgang mit unterschiedlichen Kodes der Datenbank sein. Die Bedeutung von Kreativität als unverzichtbarer Komponente der Grounded Theory betonen STRAUSS und CORBIN (1996, S.12):

"Kreativität manifestiert sich in der Fähigkeit des Forschers, Kategorien treffend zu bezeichnen, seine Gedanken schweifen zu lassen, freie Assoziationen zu bilden, die für das Stellen anregender Fragen notwendig sind, und Vergleiche anzustellen, die zu neuen Entdeckungen führen. Wie wir später sehen werden, sensibilisieren diese Vergleiche den Untersucher und befähigen, mögliche Kategorien wahrzunehmen und relevante Bedingungen und Konsequenzen zu erkennen, wenn sie in den Daten auftauchen." [69]

Fragelisten dienen explorativen Analysen mit Hilfe der Datenbank. Sie enthalten Überlegungen zur Gestaltung der Suche nach geeigneten Textfundstellen, indem zu ausgewählten Kategorien zugeordnete Textstellen unter dem Blickwinkel einer theoretisch begründeten Fragestellung auf ihre Ergiebigkeit geprüft werden (vgl. Abschnitt 4.2.1). Soweit verkörpern Fragelisten teilweise das, was STRAUSS und CORBIN (1996, S.169) "Planungs-Notizen" nennen. [70]

Thematische Suchraster verbinden offene theoretische Konzepte im Sinne der "Sensitizing concepts" (BLUMER, 1954, S.7) mit einer Systematik der Fragestellung an das empirische Material. Sie sensibilisieren den Untersucher für die Wahrnehmung sozialer Bedeutungen in konkreten Handlungsfeldern (vgl. auch KELLE 1994, S.232ff., 307ff.). Udo KELLE spricht dementsprechend von "theoretischer Sensibilität", worunter er "die Verfügbarkeit brauchbarer heuristischer Konzepte [versteht], die die Identifizierung theoretisch relevanter Kategorien im Datenmaterial und die Herstellung von Zusammenhängen zwischen diesen Kategorien, d.h. von Hypothesen, ermöglicht" (KELLE 1994, S. 312). In diesem Sinne schließen thematische Suchraster an die explorative Auswertungsphase an und strukturieren den weiteren Verlauf der Forschungsarbeit gerade auch in Hinblick auf die Nutzung der Textdatenbank. [71]

In der Auswertungsarbeit kann auf empirische Vorarbeiten oder Notizen aus früheren Auswertungsphasen zurückgegriffen werden, in der andere Fragestellungen im Mittelpunkt standen. Durch die Betrachtung der Ergebnisse aus einem veränderten Blickwinkel werden Notizen und Ideen häufig überhaupt erst in ihrer theoretischen Bedeutung erkannt, in andere Zusammenhänge gestellt und unter neuen Kategorien erfasst. Sie können beispielsweise den Ausgangspunkt für erweiterte Analysen etwa mit einem entsprechend veränderten thematischen Suchraster bilden. Auch vorangegangene quantitative Ergebnisse können strukturierend auf die weiteren qualitativen Analysen wirken, wenn sie i.S. einer Methodenkombination genutzt werden und zum Beispiel als Ausgangspunkt für eine Gruppenbildung der qualitativen Fälle dienen (vgl. die Ausführungen im Abschnitt 4.2.2). [72]

4.2 Die Nutzung der Textdatenbank in Abhängigkeit von der Art und Komplexität des Erkenntniszieles

4.2.1 Explorativer Einstieg in ein Forschungsgebiet

Beginnen wollen wir unsere Darstellung zur Nutzung der Textdatenbank in verschiedenen Auswertungsphasen mit der Veranschaulichung, wie man für explorative Analysen zu einem neuen Forschungsthema auf die Textdatenbank mit dem Ziel der Konkretisierung der Fragestellung zurückgreifen kann. [73]

Als Beispiel verweisen wir auf unsere Auswertung zum Einfluss der Region, in der die Befragten leben, auf die Statusübergänge in den Beruf und die weitere Gestaltung der Berufsbiographie (vgl. SCHAEPER, KÜHN & WITZEL 2001). Die Auswertung der Interviews bezog sich dabei auf die subjektive Wahrnehmung von und individuelle Auseinandersetzung mit beruflichen Gelegenheitsstrukturen. Dieser Thematik widmeten wir uns vor dem Hintergrund der Differenz regionaler Strukturen: München als eher günstiger und Bremen als eher ungünstiger Arbeitsmarktregion: Wie wird die regionale Chancenstruktur wahrgenommen? Gibt es eine Bereitschaft zur geographischen Mobilität? Ist diese abhängig von den beruflichen Chancenstrukturen in den beiden Regionen? Ist umgekehrt eher eine Heimatverbundenheit vorzufinden, mit dem Ideal eines möglichst wohnungsnahen Arbeitsplatzes? Wie wird diese Verbundenheit ausgedrückt und begründet? Überwinden Arbeitsmarktprobleme, Karriereansprüche und höhere Bildung diese Immobilität? Welche Rolle spielen dabei Geschlecht und die geplante Familiengründung? [74]

Betrachtet man diese Fragestellung im Hinblick auf die Nutzung unserer Textdatenbank, so wird eine Besonderheit deutlich: Die Region wurde in den theoretischen Vorüberlegungen, d.h. auch im Interviewleitfaden, zwar als bedeutsame Kontextvariable konzipiert – daher ist sie im Kategoriensystem der Textdatenbank unter "Fallmerkmale" (30/2) enthalten – nicht aber als eigenständige Kategorie der subjektiven Orientierungen und Handlungen. Das bedeutet, dass die Verknüpfung von verschiedenen Kategorien mit dem Merkmal "Region" bei der Datenbankabfrage nicht unbedingt explizite Aussagen zur Region zu Tage fördert. Da also eine entsprechende Kodierung von Aussagen im Interview fehlte, mussten in einem ersten Schritt "Einstiegsmöglichkeiten" in die Textdatenbank gesucht werden. [75]

In einer als explorativ zu charakterisierenden Auswertungsphase wollten wir einen Überblick darüber gewinnen, welchen Raum das Thema "Region" in den Interviews einnimmt und in welchen Formen es auftritt. In einem ersten Versuch erprobten wir alternativ zu der Verwendung des Kategoriensystems die Funktion "Search Text", die bei der Suche nach einzelnen Wörtern ("String Search") oder Wortverbindungen ("Pattern Search") behilflich ist. Für einen Einstieg in die Forschungsthematik ist dieses Suchsystem jedoch nicht gut geeignet, weil es die Begrifflichkeit voraussetzt, die – von den Anforderungen einer gegenstandsbezogenen Theorie her betrachtet – erst im interpretativen Diskurs unter Rückgriff auf Einzelfallanalysen entsteht. Das bedeutet, dass sich der subjektive Bezug zur Region nicht nur oder selten mit den Begriffen "Heimat" oder "München" bzw. "Bremen" ausgedrückt wird, sondern in vielfältigen sprachlichen Varianten wie z.B. "ich bin hier verwurzelt" oder "groß geworden", mit den umgebenden Menschen "verankert" etc. [76]

Aufgrund der Unergiebigkeit der Wortsuche wandten wir uns wieder dem themenbezogenen Kategoriensystem zu und versuchten theoretisch zu antizipieren, in welchen Kodes thematisch relevante Äußerungen zu erwarten waren. Dabei ging es uns nicht um eine vorschnelle Einengung auf eine geringe Anzahl von Kategorien, sondern eher um eine breit gestreute, thematische Kategorienauswahl anhand logischer Vorüberlegungen, die aus dem Leitfaden und der Definition der Kategorien resultierten. Für diese Kategorien erstellten wir eine Frageliste zu regionenspezifischen Problemstellungen, die zumindest theoretisch in den vorgegebenen thematischen Rahmen passten. Wir vertrauten damit implizit darauf, dass während des Interviews die gesuchte Thematik mithilfe von Fragen des Interviewers angeregt oder auf der Grundlage von Relevanzsetzungen der Befragten von diesen selbst expliziert wurden. In der Anwendung der Liste ging es dabei zunächst einmal darum, eine Auswahl von ergiebigen Kategorien und Fällen vorzunehmen. [77]

Die Form einer derartigen Liste wird auszugsweise im folgenden Beispiel dokumentiert.

Verworfene und gescheiterte Optionen (Kategorie 3)

Werden verworfene und gescheiterte Optionen in den Zusammenhang gebracht zu regionspezifischen Strukturen / Chancen? (sowohl allgemein als auch individuelle Entscheidungen, Optionen)

Werden regionspezifische Hindernisse bei der Gestaltung der Berufsbiographie deutlich?

Zukunftsperspektiven Beruf (Kategorie 4/3)

Welchen Stellenwert besitzen regionale Gesichtspunkte (Wohnort, Arbeitsort etc.) bei der Bewertung von Zukunftsperspektiven?

Gibt es regionspezifische Muster wie sich die Zukunftsperspektiven bei den Befragten im Laufe ihrer Biographie verändern?

Abb. 15: Beispiel für eine Frageliste [78]

Angelehnt an das Prinzip der selektiven Stichprobe in der Grounded Theory (GLASER & STRAUSS 1967) begannen wir die Auswertungsarbeit mit je vier Fällen aus den Regionen Bremen und München. Fallweise erstellten wir im folgenden mit Hilfe von NUD.IST Retrievals, das heißt, wir trugen die Äußerungen eines Befragten aus den Interviews zu diesen Kategorien zusammen. Diese als Reports in einem üblichen Textverarbeitungsprogramm abgespeicherten und daher zur Validierung auch der Auswertungsschritte leicht zugänglichen Retrievals wurden dann anhand der leitenden Forschungsfragen ausgewertet. Zentrale Gesichtspunkte hielten wir fallspezifisch in eher skizzenhaften Einzelfall-Memos fest. Aufgrund des noch wenig strukturierten Suchprozesses wurden verschiedene über Einzelfallanalysen hinausgehende weitere Zusatzinstrumente kreiert: Zitate-Dateien, in denen wir besonders interessante Textsequenzen zur Satz-für-Satz-Analyse zusammengestellt haben oder Ideendateien, die Notizen zur Gesamtthematik, offene Fragen, Ideen zur Gestaltung der Suche nach geeigneten Textfundstellen und andere Anregungen für die weiteren Auswertungsschritte sammelten. Sie dienen gemeinsam der zunehmenden "Sättigung" von bisher entwickelten Begriffen und Kategorien. Die Möglichkeit des Rückbezugs auf die Zitate im originalen Wortlaut ist eine zentrale Bedingung für eine spätere Ergebnisüberprüfung, die möglichst im Prozess der diskursiven Validierung, d.h. im Teamdiskurs von zwei bis drei Auswertern erfolgen sollte. Damit sind diese Dateien vom Blickwinkel der Datenbanknutzung Zusatzinstrumente, um einen erneuten Zugriff auf die Textdatenbank auf unterschiedlichen Stufen des Erkenntnisfortschritts zu organisieren.

Für die räumliche Mobilität:

Melissa F. wäre aufgrund verbesserter Einkommenssituation 170 km entfernt weggezogen (zu Cousin, Eltern ziehen nach) (I, 1471, 1491).

Gleichzeitig spricht gegen die räumliche Mobilität:

1. die Arbeitsbedingungen trotz verbesserten Einkommens (spezielle Ausbeutung durch Verwandtschaftsverhältnisse, II, 3578, III, 3928) und

2. hauptsächlich ihr Freund (I, 1524, II, 1136, 1266), der ihr einerseits beruflich nichts in den Weg legen wollte, andererseits aber nicht bereit war, mit ihr umzuziehen - wegen seiner eigenen Verwandtschaft im Heimatort (III, 3601, 3743, 3832)

3. Auch bezogen auf ihren ursprünglichem Traumberuf (Maskenbildnerin): führt sie neben der Ablehnung des Berufes als mögliche Perspektive (ungeregelte Arbeitszeit, Nachtschicht) die Notwendigkeit des flexiblen Einsatzortes an, der ihrer Partnerschaft (II, 2677) widerspricht.

Gleichzeitig wird eine Ambivalenz beim Abwägen des Pro und Contra der räumlichen Mobilität deutlich: Rückblickend wäre es eigentlich ihrer Meinung nach eine Förderung ihrer Selbständigkeit gewesen (II, 2690), aber ihr habe der Mut gefehlt und sie sei "verankert ... bei Menschen", d.h. gebunden in bestehenden emotionalen, sozialen Beziehungen, hier: Elternhaus (II, 2708, III, 3903, 3928)

Folgende Themen fallen auf und sollten bei der Auswertung anderer Fälle berücksichtigt werden:

1. Thema: Selbständigkeit, d.h. auf eigenen Füßen stehen, im Zusammenhang mit Verlassen des Wohnortes.

2. Thema: Festhalten an vertrauten Bedingungen (beruflich und privat), d.h. Ablehnung einer räumlichen Mobilität wegen "neuer", d.h. unbekannter Bedingungen.

3. Ambivalenz beim Abwägen des Pro und Contra der räumlichen Mobilität.

Abb. 16: Ausschnitthaftes Beispiel für eine Ideendatei (am Beispiel der Friseurin Melissa F.) [79]

4.2.2 Untersuchung einer thematisch eingegrenzten Fragestellung

Nach den explorativen Analysen geht es in der nächsten Forschungsphase um die Untersuchung einer thematisch eingegrenzten Fragestellung. [80]

Beispiel: Wahrnehmungen regionaler Differenzen

Im nächsten Auswertungsschritt wird die Fragestellung eingegrenzt und präzisiert. Diese Konkretisierung wurde durch ein "thematisches Suchraster" unterstützt, das die weiteren fallvergleichenden Auswertungen leitete und strukturierte (vgl. folgende Abbildung).

1. Wahrnehmung regionaler Differenzen

  • Entwickeln Individuen selbst die Thematik, d.h. denken sie von sich aus schon regional oder erst, wenn der Interviewer das Thema einführt?

  • Was sind die Inhalte der Differenzen? Arbeitsmarkt, Arbeitsbedingungen, Wohnmöglichkeiten oder -probleme, Land und Leute (Heimatgedanke)

  • Woher stammen die Informationen? Z.B.: Hinweise vom Arbeitsamt (Arbeitsmarkt), Zeitung

2. Resultate der individuellen Auseinandersetzung mit regionalen Kontexten auf der Grundlage beruflicher und privater Interessen

  • Prinzipielle oder praktische Bereitschaft zur räumlichen Mobilität (unterteilt in weitere Entfernungen wie Bremen-München und kleinere Entfernungen wie Unterregionen Bremen Mitte und Bremen Nord oder "Speckgürtel" Niedersachsen und Bremen, d.h. Pendler):Unter welchen Bedingungen (explizit oder von der Datenlage her) entsteht die Bereitschaft zur Mobilität, d.h. unter welchem "Druck" stehen die Individuen?Wie werden private und berufliche Aspekte aufeinander bezogen (z.B. private Probleme zugunsten der Vermeidung beruflicher Schwierigkeiten in Kauf genommen)? Vorübergehender Ortswechsel zu Ausbildungszwecken?

  • Ablehnung räumlicher Mobilität (unterteilt in weitere Entfernungen wie Bremen-München und kleinere Entfernungen wie Unterregionen Bremen Mitte und Bremen Nord oder "Speckgürtel" Niedersachsen und Bremen, d.h. Pendler):Allgemeine Unsicherheit gegenüber neuen Arbeits- und Lebensbedingungen (was man kennt, das kennt man)?Verlust des Freundes- und Bekanntenkreises, Festhalten an räumlicher Nähe zur Herkunftsfamilie, zur eigenen Familie/Partnerschaft? Wohnproblematik (doppelter Haushalt, billiges Wohnen bei Herkunftsfamilie)? Anfahrtswege?

Abb. 17: Beispiel für ein thematisches Suchraster [81]

Bei den folgenden Auswertungen wurde das thematische Suchraster auf Kategorien wie "Wohnen", "verworfene und gescheiterte Optionen" und "berufliche Zukunftsperspektiven" beschränkt, die sich als besonders ergiebig herausgestellt hatten. [82]

Unter Berücksichtigung der Strukturmerkmale Geschlecht, Beruf und Region wurden gezielt weitere Fälle in die Analysen einbezogen. In Anlehnung an das "Theoretical sampling" der Grounded Theory wurde für weitere Fallvergleiche in Abhängigkeit vom Erkenntnisstand gezielt nach möglichst ähnlichen oder unterschiedlichen Fällen in der Stichprobe gesucht. Es zeigt sich hier, wie wichtig es ist, mit den biographischen Verlaufsskizzen zumindest eine grobe Zusammenfassung über die Gesamtgestalt eines Falles zu haben, die einen leicht zugänglichen Überblick gewährleistet10). Aus den Verlaufsskizzen ließ sich beispielsweise ersehen, ob es in der Biographie der Befragten zu einem Ortswechsel gekommen ist oder ob trotz Erwerbslosigkeitsphasen und vergleichsweise geringerer Chancen keine räumliche Mobilität festzustellen war. Fallspezifische Zusammenfassungen und fallübergreifende Notizen der erweiterten fallkontrastierenden Analyse wurden in einem durch die Fragen des "themenbezogenen Suchrasters" strukturierten Fallvergleichs-Memo festgehalten. Die Retrievalfunktion der Textdatenbank, die Datenverknüpfungen in den Reports und die Sammlung idealtypischer Aussagen in den Zitate-Dateien ermöglichten dabei eine wiederholte Analyse wichtiger Textpassagen, bis die Begriffe und Konzepte empirisch "gesättigt" waren. [83]

Der Gebrauch der Textdatenbank lässt sich für dieses Auswertungsbeispiel, dessen Fragestellung nicht direkt mit dem vorgegebenen Kategoriensystem abgedeckt war, folgendermaßen zusammenfassen: Einfache, auf einzelne Kategorien und einzelne Fälle bezogene thematische Abfragen dienten in einer ersten Auswertungsphase der Präzisierung der Fragestellung und der Identifizierung ergiebiger Fundstellen für die Forschungsthematik (vgl. Abschnitt 4.2.1). [84]

In der zweiten Phase wurde auf die Vorarbeiten der stark explorativen Auswertungsphase zurückgegriffen, indem die Analysen in ein die weiteren Auswertungen strukturierendes thematisches Suchraster gebündelt wurden. Dieses thematische Suchraster und die biographischen Verlaufsskizzen bildeten die Instrumente, um über die Retrievalfunktion der Textdatenbank eine relativ große Fallzahl mit ergiebigen Textpassagen in die Analysen einbeziehen zu können. [85]

Beispiel: individuelle Gestaltungs- und Umgangsformen mit Diskontinuitätsphasen in der Erwerbsbiographie

Wir wollen im folgenden zeigen, dass der Untersuchung einer thematisch eingegrenzten Fragestellung nicht immer eine explorative Phase der Datenbanknutzung vorangehen muss, sondern dass Fall- und Kategorienauswahl auch theoretisch begründet sein kann bzw. sich auf bereits geleistete empirische Vorarbeiten stützen kann. [86]

Die Fragestellung der individuellen Gestaltungs- und Umgangsformen mit Diskontinuitätsphasen in der Erwerbsbiographie und den damit verbundenen verschiedenen biographischen Motiven und Perspektiven ergibt sich aus der umstrittenen These einer zunehmenden Individualisierung von Lebensläufen und damit einhergehenden Tendenzen wachsender Differenzierung, Pluralisierung und Destandardisierung (vgl. SCHAEPER, KÜHN & WITZEL 2000). Der quantitative Untersuchungsteil richtet seine Aufmerksamkeit auf die Verschiedenartigkeit und Pluralität von Berufsverläufen, auf die Dauer und Abfolge von Zuständen wie Erwerbstätigkeit, Arbeitslosigkeit, Bildung und Familienarbeit. Für die qualitative Analyse stellt sich die Frage, wie die Akteure mit den Folgen einer möglichen Auflösung normalbiographischer Orientierungsmuster, Prekarisierung und Flexibilisierungen von Erwerbsformen und -verläufen umgehen. Welche Orientierungen und Handlungsstrategien entwickeln sie angesichts höherer biographischer Gestaltungsmöglichkeiten und -zwänge? Ist Diskontinuität z.B. Ausdruck eines "Floundering" in undurchschaubaren, konjunkturabhängigen Strukturen des Arbeitsmarktes und des Bildungssystems und nimmt sie damit prekäre Züge an? Ist sie Resultat einer strategischen Karriereplanung oder ergibt sie sich aus der Nutzung von Handlungsspielräumen, die es ermöglichen, Fehleinstiege in den Arbeitsmarkt zu korrigieren, im Bildungssystem erfahrene negative Selektionen zu kompensieren oder Diskrepanzen zwischen beruflicher Realität und beruflichen Ansprüchen zu beheben? [87]

Für die Datenauswertung unter dem Gesichtspunkt, wie Diskontinuitäten in der untersuchten Lebensphase vom Ende der dualen Ausbildung bis ca. acht Jahre danach erfahren, gedeutet oder auch gestaltet werden, wurden empirische Vorarbeiten auf der quantitativen Ebene einbezogen. Mithilfe der in der quantitativen Befragung unserer Studie untersuchten unterschiedlichen Formen von Erwerbsbiographieverläufen (vgl. SCHAEPER 1999) konnten unterschiedliche Befragtengruppen gebildet werden: Fälle mit kontinuierlicher Erwerbsbiographie, mit eher kurzen oder eher langen Diskontinuitätsphasen, "Studium" und "Mutterschaft". Die Fälle mit diskontinuierlichen Phasen im Lebenslauf ließen sich außerdem noch nach Diskontinuitäten im Rahmen eines Berufswechsels, eines Betriebswechsels oder einer Fortbildung unterscheiden. Die Systematisierung der Diskontinuitäten im Lebenslauf auf der quantitativen Ebene sichert damit die qualitative Analyse der gesamten Spannweite von Verarbeitungs- und Gestaltungsweisen innerhalb diskontinuierlicher Verläufe. [88]

Als Brücke von den Fallgruppen zur Identifizierung der Fälle mit Diskontinuitätsphasen im Lebenslauf in der Datenbank dient die biographische Verlaufsskizze, in der die erwerbsbiographischen Stationen chronologisch aufgelistet und durchnumeriert sind (vgl. Abschnitt 3.2.1). Mit den Kodes wird das zeitlich-biographische Kategoriensystems genutzt, um thematisch relevante Textstellen zu spezifischen erwerbsbiographischen Stationen zu finden. Bei der Suche nach diesen Textstellen wird dann der Kode noch spezifiziert nach den zur jeweiligen Station gehörigen Aspiration, Realisierung, Bilanzierung und Information, die man sich einzeln oder aber insgesamt anzeigen lassen kann. Das folgende Auswertungsbeispiel verdeutlicht eine derartige Vorgehensweise.

Biographische Verlaufsskizze (Ausschnitt)

von Frauke B., Bürokauffrau München

Station 1 Bürokauffraulehre (Abschluss 1989)

Station 2 Arbeit als Bürokauffrau in Ausbildungsbetrieb (bis Juli 1991)

Station 3 3 Monate "Urlaub", ohne Erwerbstätigkeit (bis Oktober 1991)

Station 4 Arbeit in anderer Firma als Bürokauffrau (bis Februar 1992)

...

Auswertung mit der Textdatenbank:

Im Zentrum der Auswertungen zum Umgang mit einer eher kurzen Diskontinuitätsphase steht bei diesem Fallbeispiel die Station 3. Zu Station 3 wird dementsprechend eine Abfrage in der Datenbank realisiert, die alle Äußerungen (Aspiration, Realisierung, Bilanzierung, Information) dazu zusammenfasst.

Zur Analyse der Diskontinuität im Zusammenhang eines Betriebswechsels ist zu fragen, warum Frauke nicht weiter in ihrem Ausbildungsbetrieb bleibt und warum sie erst nach drei Monaten eine neue Arbeitstätigkeit aufnimmt und wie sie dies realisiert. Insofern sind zu den Stationen 2 und 4 spezifische Abfragen zu machen. In Station 2 wird in der Bilanzierung nach Bewertungen der Ausbildung und des Betriebes gesucht. Dabei geraten auch Handlungskonsequenzen im Zusammenhang mit der Frage nach einem Verbleib in Betrieb und möglichen Übernahmeangeboten seitens des Betriebes in den Blick. In Station 4 suchen wir in der Aspiration nach Gründen für die Auswahl eines neuen Betriebes und nach dem möglichen Aufwand, der für die Realisation notwendig war.

Abb. 18: Beispiel für die Nutzbarmachung der zeitlich-biographischen Kodierlogik für den Auswertungsprozess [89]

Die fallspezifischen Auswertungen wurden zunächst in Form von Einzelfall-Memos gebündelt. Sie stellten die Grundlage für in einem separaten "Memo" festgehaltene Fallvergleiche dar, mit deren Hilfe in unserem qualitativen Material fünf Formen der Gestaltung und Verarbeitung von Diskontinuität identifiziert werden konnten (Ergebnisse u.a. zu diesem Untersuchungsaspekt vgl. SCHAEPER, KÜHN & WITZEL 2000). In beiden Arbeitsschritten konnte jederzeit auf Details im Originaltext mit dem Datenbankprogramm oder auf die Retrievals zurückgegriffen werden, so dass es auch bei diesen Auswertungen zu einem Wechselspiel von induktiven und deduktiven Auswertungsschritten kam. [90]

4.2.3 Komplexe thematische Analysen mit dem Ziel der Entwicklung einer Typologie

Die Fragestellung unterschiedlicher Formen der Antizipation des Übergangs in die Elternschaft ist gegenüber der vorangegangenen Forschungsthematik ungleich komplexer. Im Zentrum der Auswertungen steht die Entwicklung individueller Planungs- und Realisierungsprozesse der Familiengründung über einen Beobachtungszeitraum von ca. acht Jahren. Wann beginnen junge Erwachsene Partnerschaft und Familie zu planen? Sind die Pläne kurz- oder mittelfristig? Kann man überhaupt von Plänen sprechen oder handelt es sich vielfach nur um vage, abstrakte Vorstellungen? Wann wollen sie einen solchen Schritt realisieren? Welche Gründe gibt es für den Aufschub des Kinderwunsches? [91]

Berücksichtigt man beispielsweise Befunde aus der Frauen- und Familienforschung (z.B. GEISSLER & OECHSLE 1996, SCHNEEWIND et al. 1996), dass Frauen mit beruflichen Karriereambitionen den Wunsch nach eigenen Kindern häufig aufschieben, wird deutlich, dass berufliche Orientierungen und Erfahrungen Einfluss auf biographische Pläne nehmen können. Daher muss die Planung der Familiengründung und ihrer zeitlichen Realisierung im Zusammenhang mit der Koordination der Gestaltung der Berufsbiographie betrachtet werden. Welche Rolle spielen berufliche Ausbildung, Perspektiven und beruflicher Status für Art und Zeitpunkt der Familienplanung? [92]

Im folgenden werden wir darstellen, wie wir mit dieser komplexen Forschungsaufgabe umgegangen sind und in verschiedenen Phasen auf die Datenbank zurückgegriffen haben. Dafür kommen wir auch noch einmal auf die Darstellung des explorativen Rückgriffs auf die Datenbank in der ersten Auswertungsphase zurück, um die Einbettung dieses ersten Schrittes in den gesamten Auswertungsprozess zu verdeutlichen. [93]

Einen ersten Einstieg in das Datenmaterial ergibt sich mittels eines themenbezogenen Retrievals auf Basis der zu der Datenbankkategorie (7/7/3) "Kinder-Familiengründung/Zukunft" zugeordneten Textstellen, um zu ergründen, wie die Befragten ihre Vorstellungen, Überlegungen und Planungen zur Familiengründung beschreiben. Die sehr spezifische Fragestellung und die unmittelbare Anwendbarkeit des Kodiersystems durch eine direkt der Thematik zugeordneten Kategorie ermöglichte einen ersten thematischen Überblick über eine bewältigbare Materialfülle, wobei alle Befragten in die Analysen einbezogen wurden. [94]

Das folgende Beispiel dokumentiert auszugsweise den Aufbau eines horizontalen oder themenbezogenen Retrievals zum Kode (7/7/3) "Kinder-Familiengründung/Zukunft", in dem einige zentrale Äußerungen (im Original besteht das Retrieval aus 593 Zeilen) einer Befragten über alle drei Interviewwellen zusammengestellt sind.

Auszüge aus dem themenbezogenen Retrieval zum Kode (7/7/3) "Kinder-Familiengründung/Zukunft"

von Frauke B., Bürokauffrau

1. Interview: (Mai 1990)

...

2381 Frauke:

2382 Man weiß ja nie, was so alles dazwischen kommt (lachen).

2383

2384 Interviewer:

2385 Woran denkst Du?

2386

2387 Frauke:

2388 Man weiß ja nicht, wenn man mal Kinder kriegt oder was, ich mein‘, ich bin

2389 jetzt auch schon 22. Und wenn man da überlegt, in drei Jahren dann bin ich 25, und

2390 dann möchte ich schon ein Kind haben also.

...

2. Interview: (Juli 1992)

...

1501 Interviewer:

1502 So, viele hab‘ ich auch schon interviewt, Bürokaufleute in Ihrem Alter

1503 die denken ja zum Teil schon an Familie und Kinder oder so was. Haben Sie da

1504 schon mal in die Richtung gedacht?

1505

1506 Frauke:

1507 Nein, also ich hab‘ also mit dem Freund, wo ich damals beisammen war,

1508 das war zwar eine langjährige Beziehung, aber ich mein‘, der Freund, der wollte

1509 da schon irgendwie Kinder oder was, also ich mein‘, da hab‘ ich dann gesagt,

1510 nein danke. Da bin ich noch viel zu jung, und da bin ich auch heut‘ noch der Meinung,

1511 dass ich mir da noch recht viel Zeit lassen kann.

...

3. Interview (April 1995)

...

2867 Interviewer:

2868 Wie ist es jetzt mit Familienplanung?

2869

2870 Frauke:

2871 Ja, da hab‘ ich momentan eigentlich gar keine, weil sich da irgendwie gar

2872 nicht die Frage stellt, also da hätt‘ ich jetzt momentan auch – das mag jetzt vielleicht

2873 blöd klingen, aber ich hab‘ einfach keine Zeit.

...

 

Abb. 19: Beispiel für ein themenbezogenes, horizontales Retrieval (beispielhaft für den Kode 7/7/3, Fall: Frauke B., Bürokauffrau)[95]

Die knappen Aussagen enthalten bereits neben dem Bezug des Heiratstermins auf das eigene Alter den interessanten Aspekt, dass Frauke zwar im Mai 1990 die Realisierung eines Kinderwunsches in drei Jahren plant, davon aber deutlich abweicht. Sie wehrt im Folgeinterview einen entsprechenden Wunsch ihres damaligen Freundes ab und schiebt selbst noch im April 1995 diese Planung auf. Solche ersten Auffälligkeiten werden als Fallnotizen wie bei den anderen Auswertungsbeispielen in einem Einzelfall-Memo gespeichert.11) Hinzu kommen erste Ideen für zentrale Themen, die insbesondere aus Fallvergleichen erwachsen. [96]

Die Ausführungen zu Frauke machen zugleich deutlich, dass es eine Reihe von Anschlussfragen gibt, die im vorliegenden Textausschnitt nicht beantwortet werden: Etwa die nach den Gründen für den Orientierungswechsel hin zu einem Aufschub des Kinderwunsches auf unbestimmte Zeit. Es deuten sich zum einen private – Trennung von ihrem Freund – aber auch berufliche – "keine Zeit"-Gründe an. Die Äußerungen der Befragten zur Familiengründung ergänzend müssen daher auf weitere thematische Bezüge untersucht werden. [97]

Für die Beantwortung der komplexen Fragestellung von Verknüpfung von Beruf und Familie reicht die Analyse der Kategorie 7/7/3 "Kinder-Familiengründung/Zukunft" daher nicht aus. Für die folgenden Analysen und die damit einhergehende Nutzung der Datenbank wird theoretisches Vorwissen bzw. werden spezifische Thesen und Fragen (eher deduktive Vorgehensweise oder "axiales Kodieren" i.S. der Grounded Theory, vgl. STRAUSS & CORBIN 1996 ) mit der bisherigen explorativen Auswertungsphase (eher induktive Vorgehensweise) verschränkt, indem systematisch etwa die Kategorien 4 "Berufliche Zukunftsperspektiven" und 8/4 "Geschlechtsspezifische Äußerungen" durch logische Verknüpfungen der Kodes (wir nennen sie "komplexe" Retrievals) mit in die Datenanalyse einbezogen werden. [98]

Darüber hinaus ist ein Zugriff auf das zeitlich-biographische Ordnungssystem der Textdatenbank notwendig, um die Entwicklung beruflicher Karrierevorstellungen in die Analyse integrieren zu können. Für die Identifizierung der individuellen Lebenslaufstationen waren wiederum die biographischen Verlaufsskizzen (vgl. Abschnitt 3.2.1) von Nöten. [99]

Mit der Komplexität der Thematik und der entsprechenden Suchprozesse in der Textdatenbank geht eine Informationsfülle einher, die für eine detaillierte Bearbeitung und den für die anschließend geplante Typenbildung notwendigen Fallvergleich reduziert und verdichtet werden musste. Hierzu erfolgte ein datenreduzierender und deskriptiver Zwischenschritt: die Erstellung von – wie wir sie nennen – "Compressed Retrievals". Sie bestehen aus komprimierten Textteilen, die den Kodes zugeordnet sind, die mithilfe von Paraphrasierungen oder Kernaussagen sowie kurzen und individuell hervorstechenden Zitaten verdichtet wurden (vgl. Abb. 20).

Partner (Kode 7/2)

Fraukes Freund ist Elektriker und arbeitet in derselben Firma wie sie (I, 576).

Partnerschaft (Kode 7/6)

Frauke will mit ihrem Freund nicht zusammenwohnen, weil sie es schöner findet, sich "mal zu sehen", als zu wissen "der kommt jeden Tag heim" (I, 2895). Sie wolle "doch irgendwie meine eigene Selbständigkeit" (I, 2883). Allerdings ist sie sich noch unsicher und denke manchmal daran zusammenzuziehen.

Kinder/Familiengründung/Zukunft (Kode 7/7/3)

In drei Jahren will Frauke gern ein Kind haben (I, 2391), es könne aber auch schneller gehen. Ihr Freund wolle jetzt schon Kinder, sie fühle sich dazu noch zu jung (I, 2451). Frauke möchte gern zwei Kinder haben. Sie würde dann die ersten Jahre nicht arbeiten gehen, bis die Kinder in den Kindergarten kommen (I, 2559).

Berufliche Zukunftsperspektiven (Kode 4)

Frauke will sich weiterbilden (I, 1886). Entweder mache sie einen Kurs an der Abendschule und suche sich dann eine neue Stelle, oder sie wechsele in eine Firma, in der sie intern die Möglichkeit zur Weiterbildung habe (I, 1976). Sie interessiere sich für eine Weiterbildung zur Bilanzbuchhalterin oder zu einer Tätigkeit im Personalbereich (I, 2056f.) Um solche Kurse machen zu können, brauche sie noch ein weiteres Jahr Berufserfahrung (I, 1895).

...

Abb. 20: Ausschnitthaftes Beispiel für ein Compressed Retrieval (am Beispiel der Bürokauffrau Frauke B.) [100]

Der Zwischenschritt der Compressed Retrievals dient der Erstellung von Fallanalysen, in denen die Informationen aus den Compressed Retrievals nochmals reduziert und zueinander ins Verhältnis gebracht werden, um den berufsbiographischen und familienbiographischen Verlauf überblicksartig zusammenzufassen. Ein Rückbezug auf die Ergebnisse der ersten Bearbeitungsphase oder die Originaltexte in der Datenbank war dabei immer möglich. Dieser Rückkoppelungsschritt erwies sich auch immer wieder als notwendig, weil mit fortschreitender Auswertung sich neue Fragen ergaben, für die der Informationsverlust der Datenreduktion und -komprimierung zu groß war. [101]

Da derartige Fallbearbeitungen mit einem erheblichen Auswertungsaufwand verbunden sind, sind wir zunächst selektiv vorgegangen und haben insgesamt 30 Fallanalysen erstellt. Die Auswahl der in diese Analysen einbezogenen Fälle wurde zum einen auf der Basis der im ersten Auswertungsschritt erstellten themenbezogenen Retrievals getroffen, die für alle Fälle zur Verfügung standen. Dabei wurde die bereits dort sichtbar werdende Spannweite der Orientierungen ebenso berücksichtigt wie der Umfang, den dieses Thema in den jeweiligen Interviews einnahm. Zum anderen erfolgte die Auswahl unter Berücksichtigung von sozialstrukturellen Faktoren wie Geschlecht, Ausbildungsberuf, Region und Lebensalter. [102]

Die Fallanalysen bildeten die Grundlage für einen Fallvergleich, aus dem die Typologie biographischer Pläne zur Familiengründung abgeleitet wurde. Zur Ausarbeitung der zentralen Begriffe und Dimensionen der Typologie wurde ein Fallvergleichs-Memo angefertigt, in der fallvergleichende Analysen enthalten sind. Leitend dafür war die Fragestellung, wie sich in den ersten Jahren nach Ausbildungs-Ende Entscheidungsprozesse zur Familiengründung im Zusammenhang mit der Berufsbiographie entwickeln und welchen Einfluss die Antizipation der Familiengründung auf den Berufsverlauf hat. Als Ergebnis der im Projektteam durchgeführten Fallvergleiche wurden sieben Typen identifiziert (vgl. KÜHN 1999, SCHAEPER & KÜHN 2000). [103]

Betrachtet man die Rolle der Textdatenbank in diesen Auswertungen, so lässt sich ihr zusammenfassend folgende Bedeutung zuschreiben: die Beschränkung auf einen themenbezogenen Kode gewährleistet zu Beginn, in schneller Form einen Überblick über die Spannweite von Orientierungen zu erlangen und deren Entwicklung im Verlauf der Längsschnittstudie analysieren zu können. Um die Interdependenzen von Plänen zur Familiengründung und beruflichen Orientierungen zu berücksichtigen, ist der Einbezug eines größeren Spektrums von themenbezogenen Kodes notwendig. Das in der Datenbank zugängliche umfangreiche Textmaterial muss als Voraussetzung für den mehrdimensionalen und komplexen Fallvergleich mit einem erheblichen Bearbeitungsaufwand verdichtet werden. Die Möglichkeit von themenbezogenen und zeitlich-biographischen Retrievals und der systematisierte Zugang zu einzelnen Originaltextpassagen trotz bzw. wegen der Datenreduktion erleichtert die einzelnen Auswertungsschritte und die Bearbeitung relativ großer Fallzahlen. [104]

4.2.4 Zuordnung von Fällen zu einer bestehenden Typologie und Validierung einer Typologie

Im Unterschied zu den vorherigen Beispielen haben wir die Textdatenbank auch zur Analyse einer relativ großen Zahl von Interviews über drei Erhebungswellen hinweg und deren Zuordnung zu einer bereits bestehenden Typologie verwendet. Die Längsschnitt-Typologie der "berufsbiographischen Gestaltungsmodi" (BGM) (WITZEL & KÜHN 1999, 2000) beschreibt verschiedene Orientierungen und Handlungsstrategien von Akteuren, die diese aufgrund ihrer bildungs- und berufsbiographischen Erfahrungen und Handlungsfolgen über einen Beobachtungszeitraum von acht Jahren hinweg entwickelten. Die Typen geben eine Antwort auf die Frage, mit welchen Orientierungs- und Handlungsmustern junge Erwachsene ihre beruflichen Statuspassagen und Karriereschritte gestalten und für deren Verlauf Verantwortung übernehmen. Anhand der Dimensionen "Arbeitsinhalt", "Karriere", "Einkommen", "Qualifikation" und "Betrieb" unterscheiden wir insgesamt sechs Typen. [105]

Die Typologie wurde auf der Basis von Fallanalysen und systematischen Fallkontrastierungen einer Teilstichprobe von etwa 50 Fällen (von insgesamt n=91 über alle drei Interviewwellen) in unserem Projekt bereits zu einem Zeitpunkt entwickelt und durch mehrfache Re-Analysen validiert, als wir noch nicht auf das Datenbanksystem zurückgreifen konnten. Es verblieb also das Problem, die restlichen 41 Fälle den Typen zuzuordnen. Die Erweiterung der Datenbasis auf die Gesamtstichprobe mit den zentralen Stichprobenmerkmalen Ausbildungsberuf, Geschlecht, und Region ermöglichte eine Maximierung der Fallkontrastierung und aufgrund der systematischen Einbeziehung der verschiedenen strukturellen Kontexte des Übergangs in den Beruf auch eine letzte Validierungsstufe. [106]

Erstens konnten wir uns in der Auswertung der themenbezogenen Kodes der Datenbank bedienen, die mit den Typendimensionen identisch waren: "Arbeitsinhalt", "Betrieb", "Karriere", "Einkommen" und "Qualifikation". Für diese Kategorien wurde somit zunächst ein horizontales oder themenbezogenes Retrieval pro Fall und über die drei Wellen hinweg erstellt. Daraufhin wurde in einem Einzelfall-Memo das Material verdichtet und zusammengefasst. Die Zusammenfassung stellte die Grundlage für die analytische Bestimmung des jeweiligen BGM-Typus dar, die angesichts der Materialfülle trotz vorhandener Textdatenbank mit einem erheblichen Arbeitsaufwand verbunden war. Die endgültige Zuordnung der Fälle zu den Typen war häufig erst nach aufwendigen Diskussionen im Team und z.T. umfangreichen und häufigen Re-Analysen möglich, die umgekehrt aber auch durch die Retrievalfunktion des Datenverwaltungsprogramms erleichtert wurden. Wie in den vorangegangenen Beispielen erläutert, erlaubte die Systematik der Datenbank jederzeit, Validierungen einzelner Auswertungsschritte durch Rückkehr zu Originaltextstellen vorzunehmen. [107]

Zweitens: Um den spezifischen situativen Bezug ähnlicher oder differierender Aussagen analysieren zu können, konnten die themenbezogenen mit den zeitlich-biographischen Kodes kombiniert werden. Damit wurden die in Frage stehenden Umgangsweisen in den unterschiedlichen Stationen des Lebenslaufs und damit über alle drei Interviews des Längsschnitts dann gezielt herausgegriffen. Es ging bei der Beurteilung der Orientierungen und Handlungen im Rahmen der BGM-Analyse darum, einen roten Faden der Biographiegestaltung über alle Stationen hinweg zu finden. Ein roter Faden war aufgrund der handlungstheoretischen Ausrichtung des Konzepts der BGM auch zwischen den einzelnen Orientierungen und den thematisch dazugehörigen Handlungen zu suchen. Konkret konnte man mithilfe der Textdatenbank und dem dazugehörigen Verwaltungsprogramm zwischen den einzelnen Stationen springen, um zu überprüfen, inwieweit z.B. eine Weiterbildungsabsicht im Verlauf der weiteren Biographie zu realisieren versucht wurde oder nicht. [108]

4.2.5 Zusammenfassung der verschiedenen Nutzungsformen unserer Textdatenbank

Die folgende tabellarische Übersicht fasst den Einsatz der Textdatenbank im Zusammenhang verschiedener Forschungsvorhaben zusammen. Als vorläufige, heuristische Analyse verschiedener exemplarischer Auswertungsstrategien gibt sie einen Überblick über die Nutzungsmöglichkeiten der Textdatenbank in verschiedenen Forschungsphasen mit den Extrempolen "Einstieg in ein Forschungsgebiet" und "Dimensionale Analyse mithilfe einer bereits bestehenden Typologie".

Die Nutzung der Textdatenbank in verschiedenen Auswertungsphasen in Abhängigkeit von der Art und Komplexität des Erkenntniszieles

 

 

 

 

 

 

Einstieg in ein Forschungsgebiet

  • Selektion ergiebiger Kategorien in der ersten, explorativen Phase: Eher breit gestreute, thematische Kategorienauswahl anhand logischer Vorüberlegungen, die aus dem Leitfaden und der Definition der Kategorien resultieren. Ziel: Präzisierung der Fragestellung und Identifizierung ergiebiger Kodes, Erstellung einer Frageliste für die Auswertung der Kodierung zu den ausgewählten Kategorien auf ihre thematische Ergiebigkeit oder

  • Selektion einer einzigen Kategorie, Auswertung für alle Befragten, um Spannweite von Äußerungen zu ergründen, Querverbindungen zu anderen Kategorien zu identifizieren und Anschlussfragen zu entwickeln

Auswertungsdateien:

  • Einzelfall-Memos, mit eher skizzenhaften fallbezogenen Analysen

  • Ideendatei, mit Auswertungsideen und -anregungen

  • Zitate-Datei mit interessant erscheinenden Textstellen im Original

 

 

 

 

Untersuchung einer thematisch eingegrenzten Fragestellung

  • Fallauswahl und Kategorienselektion anhand der in der explorativen Phase gesichteten Kodes und theoretischen Vorwissens (z.B. Gruppenbildung für die Analyse)

  • bei Beschränkung des Untersuchungsgegenstandes auf eine spezifische Lebensphase kann bevorzugt auf das zeitlich-biographische Ordnungssystem zurückgegriffen werden

  • aufgrund der spezifischen Fragestellung und der damit verbundenen geringen Materialfülle können alle oder kann ein Großteil der Befragten einbezogen werden

  • thematisches Suchraster mit spezifischen Fragestellungen und Auswertungsperspektiven für Fallauswahl und fallvergleichende Auswertung leitend

 

 

 

 

Komplexe thematische Analysen mit dem Ziel der Entwicklung einer Typologie

  • Fallauswahl und Kategorienselektion anhand der in der explorativen Phase gesichteten Kodes und anhand theoretischen Vorwissens (z.B. Gruppenbildung für die Analyse)

  • bei der Fallauswahl muss auf Breite und Umfang des Datenmaterials ebenso geachtet werden, wie auf den Einbezug ungewöhnlicher Fälle, sozialstrukturelle Merkmale müssen berücksichtigt werden

Verschiedene Auswertungsschritte:

  • Compressed Retrievals zur Verdichtung des umfangreichen Datenmaterials aus komplexen Retrievals

  • Erstellung thematischer, kategorienübergreifender im Detail ausgearbeiteter Einzelfallanalysen als Grundlage für den Fallvergleich

  • ein fallübergreifendes Memo dient dem Fallvergleich und der Typenbildung

 

Auswertung dient der typologischen Analyse von Fällen und der Validierung einer Typologie

  • Dimensionen und Definitionen einer auf der Grundlage einer kleineren Stichprobe bereits entwickelten Typologie begründen eine Auswahl von  themenbezogenen und zeitlich-biographischen Kategorien,

  • Fallauswahl: Alle Befragten,

  • Auswertung: für jeden Fall Erstellung eines Einzelfall-Memos, in dem kategorienweise zentrale Gesichtspunkte verdichtet und analysiert werden.

Abb. 21: Die Nutzung der Textdatenbank in verschiedenen Auswertungsphasen in Abhängigkeit von der Art und Komplexität des Erkenntniszieles [109]

5. Resümee: Der Einsatz der Datenbank im qualitativen Auswertungsprozess

Zweifellos bietet eine Datenbank mit der inzwischen komfortablen Textanalysen-Software eine große Unterstützung bei der für die qualitative Sozialforschung notwendigen Verwaltung und Strukturierung von Textmaterialien. [110]

Der Zugriff auf thematisch geordnete Textsequenzen von qualitativen Interviews, die nicht im Sinne einer "Leitfadenbürokratie" (HOPF 1978) durchgeführt wurden, also kein starres Ablaufschema der Fragen vorzuweisen haben, ist – insbesondere bei einer größeren Stichprobe, längeren Interviews und komplexen Forschungsfragestellungen – nur sehr schwer mit dem althergebrachten Mittel des "Cut and paste" zu bewältigen. Die Datenbank als eine Art überdimensionaler Karteikasten erlaubt mit seinen Kategorien oder Kodes die für eine Auswertung notwendige Reduktion der Datenmenge durch die Möglichkeit eines beschränkten und schnellen Zugriffs auf thematisch relevante Textstellen. Der ständige Rückbezug auf Original-Textstellen ist nicht nur aufgrund des induktiv-deduktiven Wechselspiels des Auswertungsprozesses notwendig. Eine Datenbank mit den vielfältigen Retrievalfunktionen des Datenbankprogramms erleichtert auch die diskursive Validierung der Resultate auf unterschiedlichen interpretativen Abstraktionsebenen, Re-Analyse aufgrund thematisch unterschiedlicher Auswertungsschwerpunkte und nicht zuletzt die Durchführung von Sekundäranalysen. [111]

Bei den von uns als Gliederungssystem der Datenbank entwickelten Kategorien oder Kodes handelt es sich um vergleichsweise theoriearme und großflächige Begriffe. Diese Kodes sind also nicht als "Kernkategorien" zu verstehen, die im Sinne der Grounded Theory am Ende eines Auswertungsprozesses stehen, sondern eher als thematische "Container", die für jeden Auswertungsprozess Hilfestellung und Material für die weiteren Analysen und damit verbundenen theoretischen Begriffsbildungen bieten. [112]

Nach unseren Erfahrungen müssen bei der Anwendung der Datenbank – wie die Überblicksskizze über deren Nutzungsformen (vgl. Abschnitt 4.2.5) zeigt – je nach Komplexität der Fragestellung und Aufgabenstellung in den einzelnen Auswertungsphasen weitere Instrumente zur Unterstützung der Suche nach ergiebigen Fundstellen sowie der Wahrung des Überblicks über umfangreiche Textmengen und Interpretationsresultate entwickelt werden. Um den Kontextbezug von Textpassagen nicht zu verlieren, bedarf es des Gegengewichtes einer zusammenfassenden Betrachtung der Gesamtgestalt der Fälle. Für einige spezifische Fragestellungen genügt dazu eine grobe Übersicht über Verlaufsdaten, wie sie beispielsweise in Form der biographischen Verlaufsskizze gegeben ist. Für komplexere Forschungsvorhaben, wie beispielsweise die Erstellung oder Anwendung einer Typologie, reicht diese jedoch nicht aus. Zusätzlich zu den kategorienbezogenen Abfragen und Auswertungen müssen – auch in die Datenbank einbindbare – Verfahren treten, in denen das Textmaterial verdichtet sowie kategorienübergreifend analysiert und zusammengefasst wird. [113]

Die Erstellung unserer Datenbank war mit erheblichem (insbesondere monatelangem Kodier-) Aufwand von vielen Personen verbunden. Zur analytischen Bewältigung der wohl eher seltenen Materialfülle von über 300 problemzentrierten, biographischen Interviews gab es unseren Erfahrungen nach keine Alternativen zu einer computergestützten Datenverwaltung. Der große Kosten- und Zeitaufwand ist ja insgesamt noch wesentlich größer, wenn man bedenkt, dass die aufwendige Herstellung der Textgrundlage der Datenbank – die mühevollen Interviewtranskriptionen – als Kosten- und Zeitfaktor hinzutreten; gar nicht zu sprechen der Aufwand für die Erhebung der ein bis anderthalb Stunden dauernden, mit Fahrten zu unterschiedlichen Intervieworten und -regionen verbundenen Interviews. Daher sollte in der Planung von Forschungsprojekten geprüft werden, ob statt eigener Erhebungen nicht vielmehr bereits vorhandene Datenbanken als Chance für die Durchführung von Sekundäranalysen betrachtet werden können. [114]

Unserer Meinung nach werden zeitaufwendig und z.T. kostenintensiv gewonnenen qualitativen Daten noch zu wenig für Sekundäranalysen genutzt, deren Durchführung gerade durch die immer wieder verbesserten Datenverwaltungsprogramme (für einen Überblick vgl. z.B. WEITZMAN 2000, ALEXA & ZUELL 2000) erleichtert wird. Zum Ende der Laufzeit des Sonderforschungsbereiches 186 "Statuspassagen und Risiken im Lebenslauf" können wir einen Beitrag dazu leisten, dass solche Analysen getätigt werden, wenn das computergestützte Datenbanksystem "QBIQ" zur allgemeinen wissenschaftlichen Verfügung steht: Mit "QBIQ" wird ein vom Sfb 186 entwickeltes Datenbanksystem bezeichnet, mit dem nicht nur qualitative und quantitative Daten gemeinsam verwaltet werden können, sondern das auch über die wichtigsten Grundfunktionen gängiger Textanalysesysteme verfügt (Kodierung des Datenmaterials, Erstellen verschiedener Arten von Textretrieval etc.) (vgl. KLUGE & OPITZ in diesem Band). Die in diesem Aufsatz vorgestellte Textdatenbank wird in "QBIQ" integriert werden. [115]

Anhang 1: Das Kategoriensystem der Textdatenbank biographischer Interviews junger Erwachsener (DABIE)

Zeitlich-biographisch ordnende Kodes

1 Chronologie ab Berufsausbildung

1 1 Station 1
1 1 1 Station 1: Aspiration
1 1 2 Station 1: Realisierung
1 1 3 Station 1: Bilanzierung
1 1 4 Station 1: Information
1 2 Station 2
1 2 1 Station 2: Aspiration
1 2 2 Station 2: Realisierung
...

2 Vorgeschichte

2 1 Studium,
2 2 Schule,
2 3 Beruf

3 Verworfene und gescheiterte Optionen

4 Berufliche Zukunftsperspektiven

4 1 Studium,
4 2 Schule,
4 3 Beruf

Thematisch ordnende Kodes

5 Arbeit und Beruf

5 1 Arbeitsinhalt
5 2 Einkommen
5 3 Betrieb
5 4 Berufliche Entwicklungsmöglichkeiten
5 5 Leistung
5 6 Kompetenzerwerb
5 7 Arbeitszeit

6. Soziales Netzwerk

7 Familie und Partnerschaft

7 1 Herkunftsfamilie
7 2 PartnerIn
7 3 Heirat
7 4 partnerschaftliche Arbeitsteilung
7 5 Wohnen
7 6 Partnerschaft
7 7 Kinder / Familiengründung

8 Übergreifende Orientierungen / Einstellungen

8 1 allgemeine Lebensvorstellungen
8 2 Selbstthematisierung
8 3 Gesamtbilanz
8 4 geschlechtsspezifische Äußerungen

9 Freizeit

30 Fallmerkmale

30 1 Interviewphase

  • 30 1 1 Erstinterview,
    30 1 2 Zweitinterview,
    30 1 3 Drittinterview

 30 2 Region

  • 30 2 1 Bremen
    30 2 2 München

 30 3 Ausbildungsberuf

  • 30 3 1 Bankkauffrau/-mann
    30 3 2 Bürokauffrau/-mann
    30 3 3 Maschinenschlosser
    30 3 4 KraftfahrzeugmachanikerIn,
    30 3 5 FriseurIn
    30 3 6 Einzelhandelskauffrau/-mann

30 4 Geschlecht

  • 30 4 1 männlich,
    30 4 2 weiblich

30 5 Schulabschluss

  • 30 5 1 Hauptschule
    30 5 2 Erweiterter und qualifizierter Hauptschulabschluss
    30 5 3 Mittlere Reife
    30 5 4 Handels- und Wirtschaftsschule
    30 5 5 Fachoberschule
    30 5 6 Abitur
    30 5 7 Kein Schulabschluss,
    30 5 8 Sonstiges

30 6 Alter

  • 30 6 1 Geburtsjahrgang 1955-1964
    30 6 2 Geburtsjahrgang 1965/1966
    30 6 3 Geburtsjahrgang 1967/1968
    30 6 4 Geburtsjahrgang 1969/1970,
    30 6 5 Geburtsjahrgang 1971

30 7 BGM

  • 30 7 1 Betriebsidentifizierung
    30 7 2 Chancenoptimierung,
    30 7 3 Laufbahnfixierung
    30 7 4 Lohnarbeiterhabitus,
    30 7 5 Persönlichkeitsgestaltung
    30 7 6 Selbständigenhabitus

30 8 Berufe der Eltern

  • 30 8 1 Mutter /30 8 2 Vater

    • 30 8 1/2 1 ArbeiterIn, 30 8 1/2 2 FacharbeiterIn,
      30 8 1/2 3 Angestellte(r), 30 8 1/2 4 leitende Angestellte(r),
      30 8 1/2 5 Beamter, 30 8 1/2 6 Beamter im höheren Dienst,
      30 8 1/2 7 Selbständige(r), 30 8 1/2 8 Hausfrau/-mann,
      30 8 1/2 9 Missing Values

30 9 Identitätsnummer

  • 30 9 1 1 Willy
    30 9 1 2 Cornelia ...

Anhang 2:
Beispiel für das kontextbezogene Kodieren von Textpassagen

1201 Julius:
1202 Ja, doch, das hat erst einmal gereicht. Von daher glaube
1203 ich mal, dass es uns nicht schlechter geht als anderen. Wir
1204 haben eigentlich auch viel mehr Freizeit. Deswegen wollten
1205 wir eigentlich auch jetzt, also er war auch Wunschkind.
1206
1207 Interviewer:
1208 Es war richtig geplant?
1209
1210 Julius:
1211 Ja, das war geplant. Sie hatte auch zwei Fehlgeburten vor ihm.

Julius C. gibt in der hier dargestellten Textpassage an, dass es sich bei seinem Kind um ein Wunschkind handelt. Er bringt dies in einen logischen Zusammenhang mit dem Ausmaß an Freizeit, das er hat ("deswegen"). Die Textstelle wird der Kategorie 7/7/1 "Kinder-Familiengründung/Vergangenheit" zugeordnet, bildet aber in diesem Zuschnitt keine eindeutige Sinneinheit:

Zum einen bleibt der Sinngehalt der ersten beiden Sätze undeutlich. Worauf das Wörtchen "das" hinweist, bleibt ebenso unklar wie der Schluss ("von daher") darauf, dass es dem Paar nicht schlechter geht.

Da zum anderen auch der Kontext der Verwendung des Begriffes "Freizeit" und der logische Bezug auf die Familiengründung undeutlich sind, wurden die vorangegangen Textpassagen daraufhin untersucht, ob sie nicht über die offen gebliebenen Zusammenhänge Auskunft geben können. Die unten angegebene Textsequenz wurde in der Folge dem oben dargestellten Textausschnitt hinzugefügt. In dieser Textpassage geht es nicht explizit um die Familiengründung von Julius. Es ist dennoch sinnvoll, sie der Kategorie "Kinder-Familiengründung/Vergangenheit" zuzuordnen, weil sie erläutert, was Julius unter "viel mehr Freizeit als andere" versteht und somit den von Julius eingeführten Zusammenhang von Freizeitmöglichkeiten und der Realisierung einer Familiengründung verständlicher macht. Die Textstelle wird außerdem dem Kode 9 Freizeit zugeordnet. Diese Doppelkodierung ließe sich bei einer Auswertung zunutze machen, wenn alle Textstellen betrachtet werden sollen, in der explizit Äußerungen zur Freizeitgestaltung im Zusammenhang mit Äußerungen zur Familiengründung betrachtet werden sollen (durch eine logische "und" Verknüpfung der Kategorien werden alle Textstellen gesucht, die beiden Kodes zugeordnet werden).

1146 Interviewer:
1147 Aber wenn Sie in den Semesterferien
1148 arbeiten, haben Sie dann eigentlich auch mal Urlaub, wie
1149 machen Sie das dann, oder haben Sie das Bedürfnis gar
1150 nicht?
1151 
1152 Julius:
1153 Doch, das Bedürfnis habe ich schon, aber nee, zur Zeit
1154 nicht, nee. Ich fange eigentlich sofort nach den Klausuren
1155 oder manchmal auch schon mitten in den Klausuren an zu
1156 arbeiten.
1157
1158 Interviewer:
1159 Aha.
1160 
1161 Julius:
1162 Das muss ich dann halt, also gerade jetzt mit dem Kleinen.
1163 
1164 Interviewer:
1165 Also es ist nicht so, daß Sie auch mal sagen, ich muss jetzt
1166 raus, ich hab total.
1167 
1168 Julius:
1169 Nee, das sind dann meistens Tagesausflüge oder so nach
1170 Sylt. Also N. und J., die waren jetzt auf Sylt ne Woche,
1171 letzte Woche. Na ja, was heißt nie Urlaub, das stimmt
1172 nicht, doch optisch. Im letzten Oktober waren wir in
1173 Marokko, also doch, das fiel mir gerade mal so ein.
1174 
1175 Interviewer:
1176 Also in Marokko waren Sie, wie lange denn?
1177 
1178 Julius:
1179 Doch, wir machen schon Urlaub, aber das ist dann meisten
1180 nicht in den Sommerferien, sondern da mach ich das
1181 irgendwie, wenn ich Vorlesung hab und vielleicht gerade
1182 irgendwie mal zwei Wochen nicht arbeiten kann, weil
1183 vielleicht die Produktion steht oder ich aussetzen muss,
1184 weil ich da Drei-Monatsverträge hab und da muss eine Woche
1185 mal nach Beendigung des Vertrages ne Woche aussetzen und
1186 dann kriegt man einen neuen Vertrag. Da muss es halt immer
1187 ein bißchen kurzfristig sein. Und wenn das Konto gut ist,
1188 was heißt gut, so dass man was davon abzweigen könnte
1189 (lacht) ohne daß die Bank was sagt. So haben wir es jetzt
1190 ja auch gemacht im Oktober dann.
1191 
1192 Interviewer:
1193 Wie lange waren Sie denn weg?
1194 
1195 Julius:
1196 Zwei Wochen
1197
1198 Interviewer:
1199 Zwei Wochen, das war dann auch erholsam.

Anmerkungen

1) Befragt wurden Maschinenschlosser, Kfz-Mechaniker, Friseurinnen, Bank-, Büro- und Einzelhandelskaufleute, die 1989/90 in einer eher chancenarmen (Bremen) oder chancenreichen Arbeitsmarktregion (München) ihre Ausbildung abgeschlossen haben. In unsere Untersuchungen werden einige der traditionell am stärksten besetzten Ausbildungsberufe sowohl des Dienstleistungs- als auch des gewerblichen Sektors einbezogen, die zugleich sowohl Berufe mit eher günstigen und ungünstigen Arbeitsmarktchancen als auch typische Frauen-, Männer- und Mischberufe repräsentieren. <zurück>

2) Aufgrund der prinzipiellen Werkzeugfunktion des Computers ist es deshalb auch nicht nötig, sich gegen eine von ihm ausgehende Suggestion und Denkeinschränkung zu wehren, wie es KLUTE (1996, S.163) glaubt, tun zu müssen. Er scheint sich geradezu vom Computer verfolgt zu sehen, wenn er als Gegenmittel nicht nur Forschungstagebücher "aus Papier an verschiedenen Orten" sondern auch Notizen über Bücher "liegenderweise in ca. fünf Kilometern Abstand vom Computer" anfertigt. Man mag ironisch die Frage anfügen, ob fünf Kilometer in Zeiten des Internets wohl ausreichen? <zurück>

3) Es stehen dem Forscher dabei unterschiedliche EDV-Programme zur computergestützten Analyse qualitativer Daten zur Verfügung, sog. "QDA-Software" (QDA="Qualitative Data Analysis"), wie z.B. ATLAS/TI, WINMAX, ETHNOGRAPH, NUD.IST. In unserem Projekt haben wir auf NUD.IST zurückgegriffen, weil es sich durch besonders vielseitige Möglichkeiten auszeichnet (vgl. z.B. FLICK 1995, S.279, MILES & HUBERMAN 1994, S.316). "NUD.IST" steht als Abkürzung für "Non-numerical Unstructured Data Indexing Searching and Theorizing" und gehört zu den führenden Auswertungsprogrammen in der qualitativen Forschung. <zurück>

4) Eine Textpassage kann auch unterschiedlichen Kategorien zugeordnet werden. Gerade in narrativen Sequenzen, prototypisch bei der Eingangserzählung, d.h. nach der Einleitungsfrage des Interviewers, werden häufig mehrere unterschiedliche Themen angesprochen. Aber auch im weiteren Interviewverlauf werden thematische Bezüge in der Regel nicht isoliert hergestellt, sondern mit anderen "Themen" verknüpft, beispielsweise die Darstellung von privaten und beruflichen Zukunftsvorstellungen. <zurück>

5) Udo KUCKARTZ nennt die "vertikalen" auch "themenbezogene" Retrievals. Wir haben hingegen in unserem speziellen Anwendungsfall diesen Begriff verwandt, um die zeitlich-biographischen von themenbezogenen Kodes zu unterscheiden. <zurück>

6) Das der DABIE zugrundeliegende Kategoriensystem wurde in unserem Projekt auf der Grundlage von eigenen Vorarbeiten ausgearbeitet. Zur Auswertung von familienbiographischen Fragestellungen hat Johanna MIERENDORFF (vgl. HEINZ et al. 1996), gestützt vor allem auf den Leitfaden, familienthematische Kategorien entwickelt. Thomas KÜHN (1996) hat in seiner Diplomarbeit zur Beschreibung von berufbiographischen Gestaltungsweisen eine kategoriale Analyse durchgeführt und ein detailliertes Kategoriensystem zur Erfassung berufsbiographischer Gestaltungsweisen ("KATZE BEGE") entwickelt. Diese beiden familien- und berufsthematischen Systeme wurden unter Berücksichtigung des zu erwartenden Kodieraufwands und der Fokussierung auf Projektfragestellungen zu dem hier vorgestellten Kategoriensystem integriert. <zurück>

7) Zur genauen Kodierung der Interviews spezifizierten wir die Definition der Kategorien und gaben konkrete Anweisungen, was als "spezieller Inhalt" zu den Kategorien gehört. Exemplarisch wird hier auf die Konkretisierung der Kategorie "Bilanzierung" eingegangen: Spezielle Inhalte – Bedingungen der Organisation wie Arbeitsteilung, Hierarchie, Arbeitszeit, Einkommen, Konkurrenz, Arbeitsbelastungen. Ausbildungsqualität, z.B. Lernmöglichkeiten, Handlungsspielräume, Arbeitsplatzsicherheit. Berufliche Möglichkeiten wie Verantwortungsbereich, Vielfältigkeit der Inhalte, Differenzen von Ansprüchen und Realität, Betriebsatmosphäre, Bedeutung von Arbeit in der bilanzierten Phase. "Gute" und "schlechte" Seiten der Arbeit. Was hat man aus stationenbezogenen Erfahrungen (für die Zukunft) gelernt, welche Prinzipien leitet man daraus ab? <zurück>

8) Durch die Zuordnung des gesamten Interviews und somit aller Textzeilen zu einer Fallmerkmal-Kategorie, lassen sich bei der Auswertung mit Hilfe einer logischen "und"-Verknüpfung die thematisch relevanten Textstellen per Retrieval anzeigen. Will man beispielsweise den Bezug von Bremer Bankkaufleuten auf berufliche Zukunftsperspektiven betrachten, so werden durch die logische "und"-Verknüpfung der Kategorien 30/2/1 ("Bremen") und 30/3/1 ("Bankkaufmann/-frau") alle Textzeilen gesucht, die beiden Kategorien zugeordnet wurden. Durch die Zuordnung aller Textzeilen zu den Fallmerkmal-Kategorien, werden somit genau alle Interviews von Bremer Bankkaufleuten gefunden. Durch eine "und"-Verknüpfung der Kategorien 30/2/1, 30/3/1 und  4/3 ("berufliche Zukunftsperspektiven") werden aus diesem Textmaterial der Gruppe Bremer Bankkaufleute genau die Äußerungen gefunden, die zur Untersuchung beruflicher Zukunftsperspektiven relevant sind. <zurück>

9) Zur allgemeinen Auswertungslogik vgl. WITZEL (1996). <zurück>

10) Für viele Fälle lagen weitere Ausarbeitungen wie "Falldarstellungen" und "biographische Chronologien" (WITZEL 1996, S.60 ff.) aus früheren Projektphasen vor, die zur interpretativen Einbindung von zu analysierenden Textsequenzen in den Gesamtzusammenhang oder die Gestalt des jeweiligen Falles herangezogen werden konnten. <zurück>

11) STRAUSS und CORBIN (1996, S.169) definieren Memos als "schriftliche Analyseprotokolle, die sich auf das Ausarbeiten der Theorie beziehen." <zurück>

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Zu den Autoren

Thomas KÜHN: Dipl.-Psych., geboren 1971, Studium der Psychologie in Bremen, ist seit 1994 im Sonderforschungsbereich 186 der Universität Bremen tätig, seit 1997 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt im Sonderforschungsbereich 186 "Statuspassagen und Risikolagen im Lebensverlauf" (hierzu weitere Informationen unter: http://www.sfb186.uni-bremen.de). Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen: Biographie- und Lebenslauf-, berufliche Sozialisationsforschung, Familiensoziologie und -psychologie, Methoden der qualitativen Längsschnittanalyse.

Kontakt:

Thomas Kühn

Sonderforschungsbereich 186
Wiener Straße, Postfach 330440
D – 28334 Bremen

Tel.: +49/ (0)421 / 218 4141

E-Mail: tkuehn@sfb186.uni-bremen.de
URL: http://www.kuehn-thomas.de

 

Andreas WITZEL, Dr. phil., Dipl.-Psych.; geboren 1945; Studium in Regensburg und Darmstadt; wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bremen; seit 1990 im Sonderforschungsbereich 186 "Statuspassagen und Risikolagen im Lebensverlauf".

Interessen: Berufliche und vorberufliche Sozialisationsforschung, insbesondere Umgangsweisen Jugendlicher und junger Erwachsener mit ihrer Berufsbiographie und Verarbeitungsweisen gesellschaftlicher Realität; Methoden der interpretativen Sozialforschung, insbesondere qualitative Interview- und Auswertungsverfahren und Verknüpfung qualitativer und quantitativer Methoden.

Kontakt:

Andreas Witzel

Sonderforschungsbereich 186
Wiener Straße, Postfach 330440
D – 28334 Bremen

Tel.: +49 / (0)421 / 218 4141
FAX: +49 / (0)421 / 218 415

E-Mail: awitzel@sfb186.uni-bremen.de

Zitation

Kühn, Thomas & Witzel, Andreas (2000). Der Gebrauch einer Textdatenbank im Auswertungsprozess problemzentrierter Interviews [115 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung/Forum Qualitative Social Research, 1(3), Art. 18, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs0003183.

Revised 7/2008

Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research (FQS)

ISSN 1438-5627

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