Volume 7, No. 2, Art. 5 – März 2006

Rezension:

Rudolf Schmitt

Irit Kupferberg & David Green (2005). Troubled Talk. Metaphorical Negotiation in Problem Discourse. Berlin: Mouton de Gruyter, 221 Seiten, ISBN 3-11-018416-8, 32.95 Euro

Zusammenfassung: Das Buch beginnt mit einer Sammlung sehr heterogener Forschungsmethoden, die genutzt werden sollen, um Textmaterialien aus öffentlichem Sprechen über Lebensprobleme in Radio, telefonischer Beratung oder Internetforen zu analysieren. Während dieser Teil eher verwirrt, stellt sich der größte Teil des Buches als informierte und dichte Kommentierung psychosozialer Beratung in nicht-traditionellen Medien heraus. Es ist daher für Beratungs- und Therapieausbildungen zu empfehlen.

Keywords: Problemgespräche, Metaphernanalyse, Telefonseelsorge, internetgestützte Beratung, Radiogespräche

Inhaltsverzeichnis

1. Forschungsmethodischer Hintergrund

2. Material und Auswertung

3. Fazit und Empfehlung

Anmerkungen

Literatur

Zum Autor

Zitation

 

1. Forschungsmethodischer Hintergrund

Wie sprechen postmoderne Selbste über ihre Lebensprobleme? Dieser Frage stellen sich KUPFERBERG und GREEN, indem sie zunächst auf FOUCAULTs Idee der Formierung der Subjekte durch Straf-, Erziehungs-, medizinische und psychologische Diskurspraktiken zurückgreifen. Sie kritisieren jedoch, dass FOUCAULT tatsächliche lokale Diskursmechanismen nicht untersucht habe. Die auf ihn zurückgehende "critical discourse analysis" (CDA) untersuche zwar reale Kommunikation, jedoch mit Voreingenommenheit, d.h. sie sei auf Auswertungskategorien wie Hegemonie, Ideologie, Klasse, Gender, Rasse, Diskriminierung und Interessen, Macht oder Status eingeschränkt.1) Die AutorInnen dagegen zitieren zustimmend ein Vorgehen, das reale Kommunikation nach einer Variante der Konversationsanalyse, der "institutional conversation analysis" (ICA) mikroanalytisch untersucht. Damit wollen sie die Analyse historischer "macro-forces" und die mikroanalytische Beschreibung individueller Ausdrucks- und Handlungsmöglichkeiten gleichermaßen fassen. Ihnen erscheint dieser doppelte Zugriff freilich noch nicht ausreichend, sie ziehen in ihrem "functional approach to discourse" noch den narrativen Ansatz nach BRUNER und BROCKMEIER hinzu und ergänzen die Konversationsanalyse um die Möglichkeit, Kontextwissen ad hoc zur Interpretation einzubringen. Als tatsächliche Auswertungsmethode erwähnen sie jedoch noch kurz "a qualitative method that is located in the middle of the interpretative continuum between the phenomonological and hermeneutic poles" (S.39), die von der Analyse von Positionierungen der Sprechakteure nach BAMBERG inspiriert sei (ohne beides auszuführen). Darüber hinaus ergänzen sie diese methodischen Zugänge um ein "four-world-model", das Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in der Welt der KlientInnen und die Gegenwart der TherapeutInnen in der Interpretation präsent halten soll. Aber auch das reicht ihnen nicht: Als sechste methodische Überlegung wird die These eingeführt, dass figurative Sprache eine bedeutende Rolle in der (gemeinsamen) Bedeutungsherstellung in Problemgesprächen spielt. Die dazugehörende Diskussion von LAKOFFs und JOHNSONs kognitiver Linguistik gipfelt jedoch in dem Vorwurf, dass dort menschliche Kommunikation auf die linguistische Manifestation von konzeptuellen Mustern reduziert werde – so kann man LAKOFF und JOHNSON misslesen, wenn man übersieht, dass deren kognitive Linguistik aus einer anderen Disziplin mit anderen Aufgaben entstammt und die Bezugnahme auf diesen Ansatz in den Sozialwissenschaften erst der Entwicklung einer eigenständigen Methode bedarf (SCHMITT 2003). Zentrale Errungenschaften des Ansatzes von LAKOFF und JOHNSON werden nicht erfasst2) – eine andere und ältere Metapherntheorie hätte es wohl auch getan. [1]

Insgesamt wird diese tour de force durch verschiedenste methodische Möglichkeiten der Textinterpretation auf vierzig und nicht sehr dicht bedruckten Seiten präsentiert – sozusagen eine Lupe mit angebauter Säge, welche an eine Kneifzange montiert wurde, an der mit Hilfe eines Magneten eine zweiseitige Pinzette haftet, die daran angeschlossene Kaffeemaschine (für das Narrative!) nicht zu vergessen – und man kann sich vor dem empirischen Teil mit reduzierten Erwartungen entspannt zurücklehnen: Was kommt denn nun? [2]

2. Material und Auswertung

Das Material besteht aus einer umfangreichen Sammlung von ins Englische übersetzten Problemgesprächen aus israelischen Radio-Sendungen samt den vorselektierenden Gesprächen mit den AnruferInnen, Mitschriften von Telefon-Hotlines (da dort eine Aufzeichnung verboten war) und schriftlichen Dokumenten aus problemorientierten Internetforen. Wie wird Bedeutung von Laien und Professionellen in dieser medienvermittelten Kommunikation hergestellt, wie präsentiert und (re-) konfiguriert sich ein Selbst auf diesen Bühnen? KUPFERBERG und GREEN fassen diese Sphären als Orte ernstzunehmender Problem-Kommunikation auf, nicht ganz unähnlich der Provokation, die NESTMANNs (1988) Untersuchung über die Problemkommunikation mit TaxifahrerInnen, GastwirtInnen, FriseurInnen und MasseurInnen im deutschen Sprachraum darstellte. [3]

Die Interpretation von insgesamt 21 Fallvignetten umfasst dann Dreiviertel des Buches. Es sind genaue Lektüren der Kommunikationsabläufe, die sehr breit kommentiert werden; medienorientierte Selektionen und Ausschlüsse werden dabei ebenso thematisiert wie metaphorische Zuspitzungen. Die gesprächsanalytische Identifikation von rhetorischen Strategien wird zwanglos in Kontakt mit klinisch-psychologischen Überlegungen gebracht. Nur noch ab und zu wird auf die zu Beginn des Buchs entfaltete Methodenvielfalt angespielt – diese diente eher als Erlaubnis, unterschiedliche Auffälligkeiten interpretieren zu dürfen, auch wenn man von klinischer Seite nun nicht allem folgen mag. Mehrfach wird auch auf psychoanalytische Theoriebestände zurückgegriffen, auch wenn diese am Anfang noch gar nicht benannt wurden, ebenso werden entwicklungspsychologische Hintergrundannahmen zur Pubertät wie Theorien der Sucht fallbezogen genutzt. Diese Partien sind gut lesbar, interessant und direkt ausbildungsgeeignet für Beratung und Therapie. Gerade auch die Limitationen der jeweiligen Medien werden deutlich. Insbesondere zeigt sich als entfaltungsverhindernde Machtstruktur im Radiogespräch die Vorauswahl der interessanten Problempräsentierenden, die unter hohem Zeitdruck einen Unterhaltungswert erbringen sollen, und deren Überformung durch ratschlagende Instantlösungen der Professionellen alles andere als therapeutisch gelungen ist. Ob es aber zu dieser Einsicht den Rückgriff auf FOUCAULT gebraucht hätte, ist wirklich fraglich. Dagegen wird kasuistisch sehr schön herausgearbeitet, wie in einer gelingenden Besprechung von Schwierigkeiten Metapher und Narration einander ergänzen und aufeinander verweisen, und wie Problempräsentierende, die nur abstrakte Bilder präsentieren oder denen eine bildliche Zuspitzung ihrer Narration unter diesen Umständen nicht gelingt, von diesen Kontexten nicht profitieren. Gelingende, d.h. Anschlussmöglichkeiten erweiternde und misslingende Interventionen sind unter dem Mikroskop des informierten Kommentars gut präsentiert. [4]

Im Einzelfall kann man andere Auffassungen haben: So hätte im Fallbeispiel eines Problemchats mit einem suizidalen 15jährigen (S.107-120) eine systematische Metaphernanalyse erbracht, dass gerade die metaphorische Armut seiner Lebenskonzeption (Identität ist Haben von Dingen / Haben von Macht, "schneller" auf dem Weg des Lebens sein) von den Teilnehmern des Problemchats besser reflektiert wird als vom Kommentar der InterpretInnen – so fehlen z.B. Bindungsmetaphern in seiner Sprache. Solches zu erkennen, hätte eine verlässlichere Methode vorausgesetzt. Dieses Beispiel illustriert sehr schön, wie die wenigen Metaphern des Klienten sehr gut seine Narration ergänzen und kommentieren; dies erlaubt viele Anschlussmöglichkeiten des Teilnehmenden. Auch ist die Entscheidung, aus den im Material vorzufindenden verschiedenen Metaphern manche als "organizing tropes" hervorzuheben und andere zu vernachlässigen, nicht immer nachvollziehbar. Ferner scheint es sich im Fallbeispiel auf Seite 120f. um einen Menschen in einer schizophrenen Episode zu handeln, dessen Sprache darum von Teilnehmenden des Forums nicht verstanden wird. Die Deutung seiner Beschreibung, in ihm sei ein Licht aufgegangen, als "bloße" Metapher ist vermutlich eine Fehldeutung3). Die Verstörung der übrigen Chat-Gemeinde wird hier als Information nicht zur Interpretation genutzt. Aber das sind eher Kleinigkeiten. Über eine reine Metaphernanalyse hinaus wird hier auch die Art des Gebrauchs von Metaphern (z.B. ihre forcierte Wiederholung) analysiert, nicht nur semantische Strukturen. Insgesamt werden als klinisch relevante Themen verhandelt: Trennungsängste, psychotische Krisen, Suizidalität, Coming out, Einsamkeit und diverse Abhängigkeiten. Der kurze Schlussteil wiederholt einige der hier bereits diskutierten Phänomene. Das Resümee, dass metaphorische Figuren in Beratungen "shorten processes and make them more effectiv", erweist sich als unreflektierte ökonomische Metaphorik. Ein Literatur-, Autoren- und Sachindex schließen das Buch ab. [5]

3. Fazit und Empfehlung

Das forschungsmethodische Chaos zu Beginn des Buches hat nicht verhindert, ein interessantes Buch zu schreiben. Die mit dem Untertitel geweckte Erwartung auf aktuelle Debatten der Metapherntheorie wird nicht eingelöst. Ein weiterer Kommentar zu nicht immer nachvollziehbaren Samplingstrategien oder nicht diskutierten Gütekriterien qualitativer Forschung erübrigt sich daher, wenn man dem Text als Praxisbuch gerecht werden will. Dennoch gibt das Buch auch Hinweise für die qualitative Forschung:

Das Buch ist empfehlenswert für PraktikerInnen der psychosozialen Beratens. Zusammen mit den in der Ausbildung sehr gut brauchbaren Publikationen von SACHWEH (2000, 2002) aus der gesprächsanalytischen Tradition finden hier (endlich!) linguistische und soziologische Vorgehensweisen und Hintergrundannahmen ihren Niederschlag in empirisch gehaltvollen Texten, die zur Weitung des psychologisch verengten Horizonts für Aus- und Fortbildungszwecke sehr hilfreich zu sein versprechen. [7]

Anmerkungen

1) Was so pauschal nicht allen Vertretern der FOUCAULTschen Diskursanalyse vorgeworfen werden kann, vgl. DIAZ-BONE (2005). <zurück>

2) So nehmen sie die von LAKOFF und JOHNSON dokumentierten metaphorischen Konzepte als fixe Größen, ohne sie am Kontext neu und anders zu entwickeln (S.52), oder behandeln Vergleiche nicht als Metapher (S.100), was in der kognitiven Perspektive jedoch zusammenfällt etc. <zurück>

3) Hier wäre zum Metaphernverständnis in schizophrenen Episoden einiges nachzutragen, wobei bereits in älterer Literatur Wesentliches vorliegt (SPITZRER, LUKAS, MAIER & HERMLE 1994; HEINZ, LEFERINK, BÜHMANN & HEINZE 1996). <zurück>

Literatur

Buchholz, Michael B. & Kleist, Cornelia von (1997). Szenarien des Kontakts. Eine metaphernanalytische Untersuchung stationärer Psychotherapie. Gießen: Psychosozial Verlag.

Diaz-Bone, Rainer (2005, Oktober). Zur Methodologisierung der Foucaultschen Diskursanalyse [48 Absätze]. Forum qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research [Online-Journal], 7(1), Art. 6. Verfügbar über: http://www.qualitative-research.net/fqs-texte/1-06/06-1-6-d.htm [Datum des Zugriffs: 14.11.2005].

Heinz, Andreas; Leferink, Klaus; Bühmann, Y. & Heinze, M. (1996). Autismus und Konkretismus – widersprüchliche Konzepte schizophrener Denkstörungen. Fundamenta Psychiatrica, 10, 54-61.

Nestmann, Frank (1988). Die alltäglichen Helfer. Theorien sozialer Unterstützung und eine Untersuchung alltäglicher Helfer aus vier Dienstleistungsberufen. Berlin: de Gruyter.

Sachweh, Svenja (2000). "Schätzle hinsitze!" Kommunikation in der Altenpflege (2., durchgesehene Auflage). Frankfurt: Lang.

Sachweh, Svenja (2002). "Noch ein Löffelchen". Effektive Kommunikation in der Altenpflege. Bern: Huber.

Schmitt, Rudolf (2003). Methode und Subjektivität in der Systematischen Metaphernanalyse [54 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research [On-line Journal], 4(2), Art. 41. http://www.qualitative-research.net/fqs-texte/2-03/2-03schmitt-d.htm [Datum des Zugriffs: 15.12.2003].

Spitzer, Manfred; Lukas, M.; Maier, S. & Hermle, L. (1994). Das Verstehen metaphorischer Rede bei gesunden Probanden und schizophrenen Patienten. Ein experimentalpsychologischer Beitrag zum Konkretismus. Nervenarzt, 65, 282-292.

Zum Autor

Rudolf SCHMITT, Studium von Psychologie und Germanistik in Marburg und Berlin, jeweils mehrere Jahre in Einzelfall- und Familienhilfe und Psychiatrie beschäftigt, seit 1997 Professur für Psychologie und Methoden der empirischen Forschung am FB Sozialwesen der FH Zittau-Görlitz, wissenschaftlicher Schwerpunkt: Metaphernanalyse als sozialwissenschaftliches Forschungsverfahren; siehe seine Beiträge in FQS: Skizzen zur Metaphernanalyse sowie Methode und Subjektivität in der Systematischen Metaphernanalyse.

Rudolf SCHMITT hat in zurückliegenden Ausgaben von FQS Besprechungen zu Qualitative Forschung. Ein Handbuch, zu Sozialwissenschaftliche Hermeneutik. Eine Einführung, zu Krankheit verstehen. Interdisziplinäre Beiträge zur Sprache in Krankheitsdarstellungen, zu Leben in Metaphern. Konstruktion und Gebrauch von Sprachbildern und zu Sinnformeln. Linguistische und soziologische Analysen von Leitbildern, Metaphern und anderen kollektiven Orientierungsmustern verfasst.

Kontakt:

Prof. Dr. Rudolf Schmitt

Fachbereich Sozialwesen
Hochschule Zittau/Görlitz
Brückenstr. 1, G 1
02826 Görlitz

E-Mail: r.schmitt@hs-zigr.de
URL: http://www.hs-zigr.de/~schmitt

Zitation

Schmitt, Rudolf (2005). Rezension: Irit Kupferberg & David Green (2005). Troubled Talk. Metaphorical Negotiation in Problem Discourse [7 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 7(2), Art. 5, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs060256.

Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research (FQS)

ISSN 1438-5627

Creative Common License

Creative Commons Attribution 4.0 International License