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Volume 24, No. 1, Art. 8 – Januar 2023

Sozialwissenschaftsgeschichte performativ erzählt. Hintergrund und Entstehung des Webcomics "Pragmatism Reloaded. Die Siedlerinnen von Chicago"

Ursula Offenberger, Leah Stange, Sofia Kohler & Anna Maria Kamenik

Zusammenfassung: Mit performativen Sozialwissenschaften erhalten Fragen von Wissenschaftskommunikation und von Gegenstandsangemessenheit neue Bedeutung. Dies wird in diesem Beitrag veranschaulicht, indem wir den Entstehungszusammenhang und die Hintergründe des Webcomics "Pragmatism Reloaded. Die Siedlerinnen von Chicago" in den Blick nehmen, in dem die Geschichte des Forscherinnenkollektivs des Chicagoer Hull House Settlements und insbesondere die Entstehung der "Hull-House Maps and Papers" (RESIDENTS OF HULL-HOUSE 2007 [1895]) erzählt wird. Für unsere Auseinandersetzung mit dem Gütekriterium der Gegenstandsangemessenheit verbinden wir Aspekte der Wissenschaftskommunikation mit der Debatte um performative Sozialforschung und performatives Lernen und argumentieren, dass durch den Webcomic und seinen Entstehungsprozess wesentliche Merkmale der Lebenspraxis von Hull House – methodische Pionierinnenarbeit durch die Nutzung von Visualisierung und die Bedeutung von Kunst für die Gestaltung demokratischen Zusammenlebens – aufgegriffen und in neuer Form verarbeitet wurden.

Keywords: Chicagoer Pragmatismus; Hull House; Webcomic; performative Sozialforschung; Gegenstandsangemessenheit; Didaktik der Sozialwissenschaften

Inhaltsverzeichnis

1. Zum Webcomic und zur digitalen Ausstellung "Pragmatism Reloaded. Die Siedlerinnen von Chicago"

2. Sozialforschung und Sozialreform im Hull House Settlement

3. Webcomics als Medium von Wissenschaftskommunikation und als Modus performativer Sozialwissenschaft: zur Frage der Gegenstandsangemessenheit performativer Methoden

3.1 Wissen(schaft)skommunikation mit Comics

3.2 "Pragmatism Reloaded" als performative Sozialwissenschaft

3.3 Zur Debatte um die Gegenstandsangemessenheit performativer Methoden

4. Fazit

Danksagung

Anmerkungen

Literatur

Zu den Autorinnen

Zitation

 

1. Zum Webcomic und zur digitalen Ausstellung "Pragmatism Reloaded. Die Siedlerinnen von Chicago"

Durch aktuelle Diskussionen um performative Sozialwissenschaften rücken sowohl Fragen von (zielgruppenangemessener) Wissenschaftskommunikation als auch von Gegenstandsangemessenheit der Forschungs- und Erschließungsmethoden in den Blick. Am Beispiel eines abgeschlossenen Projektes sollen diese Fragen im vorliegenden Beitrag diskutiert werden. Es handelt sich um den Webcomic und die damit verbundene digitale Ausstellung Pragmatism Reloaded. Die Siedlerinnen von Chicago, die von Dezember 2020 bis Mai 2021 auf einer Webseite der Universität Tübingen sowie auf einem Instagram-Account der Comicautor:innen1) sequenziell veröffentlicht wurden und weiterhin zugänglich sind. Mit der Geschichte des Webcomics folgten wir den zwei Protagonist:innen Agathe und Franke durch eine gegenwartsbezogene, fiktionale Rahmenhandlung und tauchten in die Lebens- und Arbeitspraxis des Chicagoer Hull House zu Ende des 19. Jahrhunderts ein. Dabei wird insbesondere die Entstehung der "Hull-House Maps and Papers"-Studie (RESIDENTS OF HULL-HOUSE 2007 [1895]) in den Blick genommen, die als ein klassisches Dokument der frühen empirischen Sozialforschung und als Meilenstein in der Entwicklung sozialräumlicher Kartierungsverfahren gilt. Der Webcomic entstand im Zusammenhang eines Masterseminars im Wintersemester 2019/20, das von Ursula OFFENBERGER geleitet wurde, und in dem Anfänge empirischer Sozialforschung in den USA betrachtet wurden. Die Seminarthemen umfassten pragmatistische Theorie, die Entstehung (akademischer) Disziplinen in den Jahren der Universitätsgründung in Chicago und die Lebens- und Arbeitspraxis im Hull House. Ziel war es, den Beitrag von forschenden Frauen in den Anfängen der empirischen Sozialforschung in den USA zu beleuchten und ein Verständnis davon zu fördern, wie diese Beiträge in der Geschichtsschreibung der Sozialwissenschaften in Vergessenheit geraten sind. Im Anschluss an das Seminar verfassten einzelne Studierende und Ursula OFFENBERGER in Co-Autor:innenschaft ein Manuskript über das Forscherinnenkollektiv von Hull House. Die Studierenden (die dann als wissenschaftliche Hilfskräfte angestellt wurden) hatten verschiedene Möglichkeiten zur Beteiligung: als Verfasser:innen von Hintergrundtexten, die über Hyperlinks mit dem Comic verbunden wurden, in der Mitwirkung an einer digitalen Ausstellung über Hull House als Sozialreformprojekt und als Co-Autor:innen des Manuskriptes für die Comicerzählung. Das Manuskript wurde im Frühjahr 2020 von einer Illustratorin für das Format eines Webcomics adaptiert und zeichnerisch umgesetzt. Der Webcomic ist in einzelne Strips aufgeteilt, die zwischen Dezember 2020 und Mai 2021 wöchentlich auf einer eigenen Webseite und auf Instagram veröffentlicht wurden. Im Februar 2021 veranstalteten wir ein Symposium, bei dem die wissenschaftlichen und historischen Hintergründe der Erzählung beleuchtet wurden. Die beiden Hull House-Expertinnen Ingrid MIETHE und Inga PINHARD hielten einen Vortrag und kommentierten den Webcomic. Im Mai 2021 wurde auf der Webseite des Comicprojektes eine digitale Ausstellung eröffnet, in der zentrale Themen und Personen rund um das Hull House der 20. Jahrhundertwende beleuchtet wurden. Die digitale Ausstellung stellt eine dreidimensionale Simulation des historischen Lesesaales der Tübinger Universitätsbibliothek dar – der Lesesaal spielte bereits im Comic eine prominente Rolle, um die Stadt und die Universität Tübingen als Studienort zu inszenieren. Mit der Wahl dieses Raumes als Vorbild für einen virtuellen Ort wurde der Gegenwarts- und Ortsbezug des Comicprojektes unterstrichen. So zielte das Comicprojekt insgesamt darauf ab, durch verschiedene Formate der Wissenschaftskommunikation und Öffentlichkeitswirkung diverse Zielpublika zu erreichen. Inzwischen wird der Webcomic, der in deutscher und englischer Sprache vorliegt, an verschiedenen Universitäten und Hochschulen für die Begleitlektüre in einschlägigen Lehrveranstaltungen verwendet. Im Dezember 2020 erhielt das Kollektiv den Lehrpreis der Universität Tübingen für besondere Leistungen im Bereich der Hochschullehre. [1]

Im Webcomic wurde Seminarstoff aufgegriffen, indem wissenschaftliches Wissen mit fiktionalen Elementen verbunden wurde: Die beiden fiktiven Charaktere Agathe und Franke reisen aus dem Tübingen des 21. Jahrhunderts ins Chicago des ausgehenden 19. Jahrhunderts und begegnen dort unter anderem den Siedlerinnen von Hull House. Ihre Erlebnisse dort vermitteln den Lesenden des Comics einen Eindruck von den Lebens- und Arbeitszusammenhängen im Hull House. An vielen Stellen ist der Comic mit Hyperlinks zu wissenschaftlichen Quellen und selbst verfassten Hintergrundtexten versehen. Die comicspezifischen Visualisierungen wurden genutzt, um die Narration nicht nur textbasiert, sondern auch visuell voranzutreiben, Räume und Materialität darzustellen, Atmosphäre zu schaffen und Affekte hervorzurufen. Die Entwicklung der Narration und der bildlichen Erzählung im Autor:innenkollektiv war dabei ein performativer Schaffensprozess, für den nicht zuletzt Überlegungen zur Gegenstandsangemessenheit wissenschaftlicher Darstellungsformate ausschlaggebend waren. Entsprechend lautet die leitende Fragestellung für diesen Artikel, inwiefern die Methode, die gemeinschaftliche Produktion eines Webcomics, dem Gegenstand als angemessen gelten kann. Unsere These ist, dass mit dem digitalen Format sprachlicher und visueller Wissenschaftskommunikation ebenso methodisches Neuland betreten wird, wie es die Protagonistinnen der Erzählung – die Bewohnerinnen des Hull House Settlements in Chicago – selbst damals getan hatten. Gleichzeitig beanspruchen wir, uns mit dem Comic in aktuelle Debatten zu performativer Sozialwissenschaft und performativem Lernen einzuschreiben. Somit bilden nicht nur das Ergebnis, sondern auch der Entstehungsprozess des Webcomics zentrale Elemente des Performativen. [2]

Im Folgenden beleuchten wir zunächst den historischen Hintergrund des Hull House Settlements und stellen wesentliche Aspekte der Lebens- und Arbeitspraxis in den Mittelpunkt (Abschnitt 2). Im Anschluss daran reflektieren wir über Webcomics als Medium der Wissenschaftskommunikation und als Methode performativer Sozialwissenschaften, wobei wir den Webcomic zum Ausgangspunkt für die Frage nach der Gegenstandsangemessenheit performativer Methoden nehmen (Abschnitt 3). Im Fazit (Abschnitt 4) bündeln wir zentrale Punkte zur Diskussion um Gegenstandsangemessenheit und fragen nach Möglichkeiten und Grenzen der Nutzung von Comics für die Wissenschaft. [3]

2. Sozialforschung und Sozialreform im Hull House Settlement

Im folgenden Abschnitt führen wir zunächst in jene Inhalte ein, die für die Erstellung des Webcomics und der dazugehörigen Ausstellung grundlegend waren. Dazu gehören die Darstellung der relevanten Personen, deren geleistete Arbeit und die damit verbundene Bedeutung des Hull House für die Geschichte der Sozialwissenschaften. [4]

Im Jahr 1889 hatten Jane ADDAMS und Ellen Gates STARR das Hull House nach einer Europareise und dem Besuch des Londoner Toynbee Hall Settlements eröffnet (vgl. hierzu REINDERS 1982).2) Toynbee Hall3) war weltweit das erste Settlement, welches 1884 von dem Ehepaar Henrietta und Samuel BARNETT gegründet worden war. Junge Dozenten und Studenten aus Oxford ließen sich dabei in einem "verrufenen" Londoner Armenviertel nieder, um gemäß ihrer viktorianischen Vorstellungen von Tugenden und Werten durch Bildung und Erziehung zur Veränderung der gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnisse beizutragen (PINHARD 2009). Hull House wiederum war zum einen das erste Settlement in Chicago, welches Vorbild für über 400 weitere Settlements in amerikanischen Städten wurde (DORRIEN 2009). Zum anderen war es das erste Settlement weltweit, das überwiegend von Frauen bewohnt und geleitet wurde (BRACHES-CHYREK 2013). Das allgemeine Ziel für die Settlements war es, die prekären Lebensverhältnisse in den umliegenden Stadtvierteln zu verbessern, womit sie Teil einer breiten Reformbewegung in der sogenannten progressive era wurden. Das progressive movement war geprägt von einer gemeinsamen Kritik an den Folgen der "ungezügelten, kapitalistischen Wirtschaftsordnung" (S.133). Hull House wurde in der Folgezeit weit über die Grenzen Chicagos hinaus zum bedeutendsten Settlement seiner Art, was erheblich dem Wirken von Jane ADDAMS als charismatischer Leitfigur zuzuschreiben ist. Hervorragend vernetzt und lokal, regional, national und international politisch aktiv, wurde sie spätestens mit Erhalt des Friedensnobelpreises im Jahr 1931 zur amerikanischen Nationalheldin (DAVIS 1973; SCHNEIDERHAN 2015). [5]

Als das Hull House Settlement gegründet wurde, war Chicago die zweitgrößte Stadt in den USA und seit den 1870er Jahren bis um die Jahrhundertwende von einer hochgradig verdichteten Stadtentwicklung geprägt: Industrialisierung, Massenzuwanderung, rascher technologischer Fortschritt – all das fand auf engstem Raum statt und verlieh Chicago den Charakter eines Brennglases der Modernisierung. Der Bedarf an Arbeitskräften stieg zunehmend. Es waren jedoch Arbeiten, die aufgrund der äußerst schlechten Entlohnung nur ungern von anglo-amerikanischen Arbeiter:innen aus dem Osten übernommen wurden (PINHARD 2009). Dementsprechend wurden vermehrt neue Migrant:innen an den Häfen der USA und Kanadas angeworben. Innerhalb weniger Jahre kamen verschiedenste "Gruppen" an Migrant:innen nach Chicago, zunächst primär aus Irland, Deutschland und Skandinavien (a.a.O.) und schon bald aus Griechenland, Russland, Polen und Österreich-Ungarn (O'ROURKE 2014). Die Stadt wurde nach und nach zum Handelszentrum der umliegenden Regionen und der größeren Städte an der Ostküste. Jedoch blieb Chicago nicht nur Handelsstadt, sondern schon ab den 1830er Jahren wurden hier auch Waren wie Seife oder Ziegel produziert.4) [6]

Die Menschen, die in der Hoffnung auf ein besseres Leben und auf der Suche nach Arbeit nach Chicago kamen, fanden dort schwierige Lebens- und Arbeitsbedingungen vor: Konkurrenz um Arbeitsplätze, katastrophale hygienische Bedingungen und einen angespannten Wohnungsmarkt. Mit der wirtschaftlichen Expansion ging eine Ausbreitung sogenannter "Slums" einher. So wurde auch das Gebäude von Hull House5) ursprünglich in einem der wohlhabenden Viertel der Stadt erbaut, war jedoch selbst schon bald Teil eines solchen Slums (PINHARD 2009). Das Settlement wurde somit in einer Zeit gegründet, in welcher sich der Industriekapitalismus bereits nahezu unreguliert entfaltete, eine Urbanisierung weitestgehend ungesteuert stattfand und die Bevölkerungszahl geradezu explodierte. Eben jene Lebensbedingungen führten gegen Ende des Jahrhunderts vermehrt zu sozialen und politischen Konflikten, zu Klassenkämpfen und Auseinandersetzungen, welche insbesondere in den Reihen des Bürger:innentums die Sorge wachsen ließ, die "gesellschaftliche Ordnung und Stabilität der Stadt und des Landes" (ANHORN 2012, S.241) stünden in Gefahr. [7]

Als Sozialreformprojekt bemühten sich die Siedlerinnen von Hull House in dieser Zeit um praktische Unterstützung, Ausgleich, Interessens- und Konfliktvermittlung und um Fürsorge für unterschiedlich Bedürftige, und zwar primär auf einer kollektiven Ebene, bei der die Gestaltung von Sozialraum und Öffentlichkeit im Mittelpunkt stand. Beeindruckend ist die Liste von Innovationen, die von dort ausgingen. Um nur einige zu nennen: Der erste Kindergarten Chicagos, der erste öffentliche Spielplatz, das erste öffentliche Schwimmbad, die erste öffentliche Turnhalle, die erste Kunstgalerie und vieles Weitere nahm in Hull House seinen Ausgang und prägte seitdem das Stadtbild von Chicago.6) Die durch die Siedlerinnen angestrebte Gestaltung von Öffentlichkeit hatte auch im engeren Sinn politischen Charakter, was sich in der Gründung zahlreicher Gewerkschaften von und für Frauen und in der Einrichtung von Debattierklubs für Arbeiter:innen widerspiegelte (DORRIEN 2009). Hull House erweist sich aus dieser Perspektive als ein Lebens- und Arbeitsraum, in dem Wissenschaft, Kunst, Spiel, solidarisches Zusammenleben, Bildung für alle und Politik für Gerechtigkeit nicht getrennt wurden, sondern eine Einheit bildeten. Ziel war ein demokratisches Zusammenleben, wobei Demokratie als Praxis einer sozialen Ethik verstanden wurde und im umfänglichen Sinne als "Lebensform" galt (ADDAMS 1902). Nicht zuletzt wurden Kunst und ästhetischer Erfahrung das Potenzial beigemessen, Gemeinschaft zu fördern und einen wichtigen Beitrag zur Erziehung zu leisten, weshalb deren Verbreitung in der Nachbarschaft das erklärte Ziel der Settlementarbeit war (vgl. hierzu PINHARD 2009, S.146ff.). Von den Bewohnerinnen von Hull House, welche häufig aus privilegierten Verhältnissen stammten, forderte ADDAMS, dass sie mit der Haltung Studierender ins Hull House kommen und das Settlement als eine Art Klassenzimmer betrachten sollten. In der Rezeptionsgeschichte des Hull House wurde das Argument stark gemacht, dass Hull House sogar als applied university betrachtet werden könne, in welcher Ideen und Lösungen für zahlreiche reale soziale Probleme entwickelt wurden (SCHAAFSMA 2014). Wissen war in diesem Zusammenhang das, was aus gemeinsam geteilter Erfahrung in der Nachbarschaft entstand. Hierzu gehörten auch die intensiven und wegweisenden empirischen Forschungen, die von den residents vorangetrieben wurden. [8]

Die Erziehungswissenschaftlerin Ingrid MIETHE (2012) hat Hull House als eines der wichtigsten Forschungsinstitute seiner Zeit bezeichnet. Anders jedoch als in der neueren US-amerikanischen Forschung über die Bedeutung von Frauen in den Anfängen empirischer US-Sozialforschung (z.B. LENGERMANN & NIEBRUGGE 2007; SCHNEIDERHAN 2011) nimmt Hull House in der deutschsprachigen Geschichtsschreibung bislang eher einen randständigen Platz der Chicago School als eine der Wiegen der US-Sozialforschung ein. So schenkte etwa Hans JOAS in seinen Auseinandersetzungen mit dem US-Pragmatismus dem Hull House kaum Aufmerksamkeit; es wird nur gestreift, als er auf George Herbert MEADs sozialreformerisches Engagement im Hull House verwies (JOAS 2000 [1989], S.28). Erst seit die geschlechterdifferenzierenden Effekte akademischer Disziplinbildungen ins Bewusstsein gekommen sind und Universitäten auch als Segregationsinstanzen betrachtet werden, erfährt der Beitrag außeruniversitärer Forschung für die wissenschaftliche Wissensakkumulation eine gestiegene Wertschätzung, und die engen ideellen, sozialreformerischen Bezüge etwa zwischen ADDAMS, DEWEY, MEAD und weiteren Zeitgenoss:innen der Chicagoer Universität rücken stärker in den Blick. So stellte Reiner KELLER unter Verweis auf jüngere US-Forschung fest, dass die akademische Soziologie "in den disziplinären Gründungs- und Abgrenzungskämpfen zwischen universitärer Soziologie, settlement sociology und Sozialarbeit [...] zur 'Männerwissenschaft' [wurde], während die Frauen auf die vermeintlich 'niederen' Disziplinen des Engagements, also der Sozialarbeit und des 'settlement' verwiesen wurden" (2012, S.31). [9]

Um diese Anfänge einer Neuinterpretation und kritischen Befragung sozialwissenschaftlicher Kanonbildung affirmativ zu flankieren (vgl. hierzu insbes. NIERMANN 2020), stellte das Webcomicprojekt die Forschungsaktivitäten des Hull House in den Mittelpunkt und situierte sie in einem Lebenszusammenhang kollektiver politischer und künstlerischer Praxis. Während letztere dazu angetan war und dazu genutzt wurde, Jane ADDAMS bzw. Hull House als Inbegriff von Wohltätigkeit zu verstehen, richtete sich mit den Forschungsarbeiten von Hull House das Augenmerk stärker auf dessen intellektuelle Bedeutung als Wohn- und Arbeitszusammenhang für die Entwicklung des amerikanischen Pragmatismus als prominenter Denktradition sowie für die damals entstehende empirische Sozialforschung. Zwischen 1892 und 1933 führten die Settlement-Bewohnerinnen insgesamt 23 Untersuchungen durch (MIETHE 2012), wobei deren Feldstudien insbesondere durch die "Hull-House Maps and Papers" (RESIDENTS OF HULL-HOUSE 2007 [1895]) an Bekanntheit gewannen. Sie werden heute als stilbildendes Werk für die später an der Universität entstandene Stadtsoziologie verstanden, weil durch sie die thematische Agenda und methodische Standards der Erforschung gesetzt wurden (DEEGAN 2000 [1988]). Die "Hull-House Maps and Papers" sind eine Aufzeichnung der Aktivitäten des Settlements und eine Momentaufnahme urbaner Probleme. Sie können aus heutiger Sicht als eines der bedeutsamsten Werke US-amerikanischer Frauen in den Sozialwissenschaften vor 1900 betrachtet werden (SEIGFRIED 2013), und sie stellen nicht zuletzt deshalb methodische Pionier:innenarbeit für die Sozialwissenschaften dar, weil in den Maps bestehende sozialräumliche Kartierungsverfahren so weiterentwickelt wurden, dass damit mikrostatistische Ergebnisse über die ethnische Zusammensetzung und die Einkommensverteilung in Stadtteilen visualisiert werden konnten. Als promovierte Sozialwissenschaftlerin war Florence KELLEY7) federführend für die Datenerhebung der "Maps and Papers"-Studie verantwortlich. Auf Grundlage der empirischen Untersuchungen trieb sie politische Reformen voran und rechnete als erste offiziell ernannte weibliche Fabrikinspektorin der USA schonungslos mit dem Sweating-System ab (KELLER 2012; MIETHE 2012).8) [10]

Das Besondere an den Forschungen des Hull House Settlements war es, dass die Forscherinnen, Sozialreformerinnen und Bewohnerinnen dort lebten, wo sie arbeiteten und daher mit ihrem Gegenstand bestens vertraut waren (DEEGAN 1997): Die Forschungen waren eng mit den gemeinsamen Erfahrungen der Bewohner:innen und der Nachbar:innen verbunden. Diese Vertrautheit mit dem Untersuchungsfeld war sowohl Kern als auch Voraussetzung dieses spezifischen Forschungsansatzes, der "settlement method" (MEAD 1987 [1907], S.391). Hinter den Forschungen stand die Annahme, dass soziale Missstände nur beseitigt werden könnten, wenn ihre Ursachen ergründet würden. So sollten die Ergebnisse der Studien dazu genutzt werden, sozialpolitische Forderungen zu stellen (MIETHE 2012). Erst unter Einbeziehung möglichst vieler unterschiedlicher Standpunkte, so wurde vermutet, könnte Wissen erzeugt werden, um an der Lösung von konkreten Problemen zu arbeiten. Zentral für diese Forschungen war deshalb die Ablehnung einer vermeintlichen Objektivität, wobei davon ausgegangen wurde, dass es keine neutralen, erfahrungsunabhängigen Perspektiven gebe (GREGORATTO 2018). Die Aushandlung pluraler Standpunkte kann auf dieser Grundlage als ein Herzstück pragmatistisch-feministischer Theoriebildung (RUMENS & KELEMEN 2010) verstanden werden, wie sie den "practical pragmatism" (SCHNEIDERHAN 2011, S.594) im Hull House auszeichnete. [11]

George Herbert MEAD, der ebenso wie John DEWEY in freundschaftlich-kollegialer Verbindung zu Jane ADDAMS stand und sich im Hull House sozialreformerisch engagierte (JOAS 2000 [1989], S.28), maß der settlement method einen besonderen Vorteil für die Erforschung der Lebensumstände in den Armenvierteln bei, da ein:e Settlement-Arbeiter:in in der Lage sei, "intelligenter mit dem Elend in seiner Umgebung umzugehen und es besser zu verstehen, weil er dort zu Hause ist" (MEAD 1987 [1907], S.392). Damit grenzte MEAD die Settlement-Arbeit sowohl von der Mission als auch von der wissenschaftlichen Beobachtung ab (a.a.O.), die in relativ großer Distanz zu der jeweiligen Lebenswelt stattfanden. Dennoch sprach er der settlement method keineswegs die Wissenschaftlichkeit ab:

"Das Settlement [...] hat sich nicht in erster Linie damit beschäftigt, Übel zu bekämpfen, sondern herauszufinden, worin die Übel bestehen. Es sah seine Aufgabe nicht darin, vorgefaßte moralische Urteile durchzusetzen, sondern neue moralische Urteile zu bilden. [...] Das Settlement ist seiner Einstellung nach praktisch, aber seinen Methoden nach forschend und wissenschaftlich" (S.396). [12]

Es ist nach dieser Auffassung beim Forschen vor allem darum gegangen, die täglichen Erfahrungen und Interaktionen im Alltag der Menschen zuerst einmal zu verstehen, wobei wissenschaftliche Untersuchungen und alltägliche Erfahrungen keinen Widerspruch darstellten (MIETHE 2012). Die (Forschungs-)Praxis von Hull House war jedoch vor allem eng an die vielfältigen Bemühungen um Sozialreform gebunden. Bereits im Gründungsjahr 1892 warb Jane ADDAMS in öffentlich-akademischen Vorträgen für eine settlement sociology und arbeitete später mit männlichen Kollegen des Department of Sociology der 1892 gegründeten University of Chicago zusammen (KELLER 2012), welche um die Jahrhundertwende ebenfalls in enger Verbindung zur Sozialreformbewegung standen (a.a.O.). Die institutionelle Trennung war weitestgehend auch eine Geschlechtertrennung, was jedoch nicht über die intensiven Kooperationsbeziehungen hinwegtäuschen sollte. Mary Jo DEEGAN, die sich um eine geschlechtersensible Disziplingeschichte der US-Soziologie besonders verdient gemacht hat, schrieb:

"Hull-House was the central institution for women sociologists from 1892 until 1920. During this period, Hull-House residents worked closely with the men of the University of Chicago. Together, they formed a basis for American sociology. Because of sexism within the profession and the ultimately marginal status of the applied sociologist's career, this entire institutional network and foundation for Chicago sociology has been significantly devalued" (2000 [1988], S.50). [13]

Die Chicagoer Schule der Stadtforschung gilt weithin als eine der Wiegen empirischer Sozialforschung in den USA, mit Wirkung nicht zuletzt auch in den deutschsprachigen Raum. Die dort entstandenen, für das 20. Jahrhundert wegweisenden Theorietraditionen von Pragmatismus und symbolischem Interaktionismus haben die qualitative Sozialforschung und ihre Erkenntnis-, Wissenschafts- und Handlungstheorie maßgeblich geprägt, und die dort verwendeten empirischen Forschungsmethoden der teilnehmenden Beobachtung und des Nahkontaktes mit Feldmitgliedern werden bis heute prominent mit den klassischen Studien der Chicagoer Schule legitimiert. In den ersten beiden Jahrzehnten seit der Gründung des Hull House pflegten die Siedlerinnen freundschaftliche Beziehungen zu den männlichen Kollegen, die an der Universität Chicago arbeiteten.9) Dennoch wollten sie explizit kein Teil der Universität werden, weil sie um ihre Unabhängigkeit fürchteten (DEEGAN 1997) und grenzten sich stattdessen ganz gezielt von ihr ab (STAUB-BERNASCONI 2016). Die von den Bewohnerinnen des Hull House durchgeführten Forschungen – allen voran die "Hull-House Maps and Papers" – waren dennoch von den universitären Kollegen ihrer Zeit hochangesehen (DEEGAN 2000 [1988]). Die thematische und methodische Ausrichtung der "Hull-House Maps and Papers" wirkte stilbildend für die akademische Forschung: Deren Inhaltsverzeichnis liest sich wie die gesamte Agenda der späteren Chicagoer Stadtforschung (DEEGAN 1997). Als Albion SMALL 1895 das American Journal of Sociology ins Leben rief, fehlten über Jahre hinweg in keiner Ausgabe Beiträge von Hull House-Bewohnerinnen (a.a.O.). [14]

Dass die Frauen im deutschsprachigen Raum heute retrospektiv noch immer primär als Praktikerinnen der Sozialarbeit eingeordnet werden (MIETHE 2012), ist vermutlich ein wichtiger Grund dafür, dass sie hierzulande kaum als Forscherinnen und Intellektuelle wahrgenommen werden (HAMINGTON 2009). Bei näherer Betrachtung war für die Settlement-Arbeit charakteristisch, dass sie sich dem heute bestehenden Verständnis einer Trennung von Wissenschaft und Praxis sowie voneinander abzugrenzenden akademischen Disziplinen entzog. Die Entstehung universitärer Disziplinen wie der Soziologie und der sozialen Arbeit in den USA lässt sich auf eben jenen Zeitraum datieren, von dem auch der Webcomic handelt. In einer engen Fokussierung der Geschichte der Chicago School auf die Geschichte der Universität geht diese Verflechtung verloren, und so erklärt sich auch, weshalb die Chicago School weiterhin vor allem als eine Geschichte weißer Männlichkeit erzählt wird (DEEGAN 1997). Die Verflechtung von race und gender als Kategorien von Ein- und Ausschluss wird auch mit Blick auf einen Kollegen von Jane ADDAMS deutlich, der das Hull House besuchte und mit ADDAMS in Briefkontakt stand: William Edward Burghardt DUBOIS, ein schwarzer Soziologe, Philosoph, Journalist, Bürgerrechtler und Vertreter der Atlanta School of Sociology.10) Ihn ereilte in der Geschichtsschreibung ein ähnliches Schicksal wie Jane ADDAMS und die Bewohnerinnen von Hull House: prominent bei den Zeitgenoss*innen, aber einem sozial strukturierten Vergessen bei der Etablierung des Klassiker:innenkanons ausgesetzt. Im Vergleich zur geschlechtsbezogenen Dimension des sozial strukturieren Vergessens von Geschichtsschreibung ist die race-bezogene Dimension hierzulande bislang noch weniger im Bewusstsein, allerdings gibt es erste Ansätze, in denen auf die Notwendigkeit einer Perspektivverschiebung hingewiesen wird (NIERMANN 2020, im Druck). [15]

Sowohl das wissenschaftliche als auch das sozialreformerische Engagement der Hull House-Bewohnerinnen war eingebunden in eine breite kultur-, gesellschafts-, arbeits- und bildungspolitische Agenda. Das Hull House war demnach ein Ort der Begegnung mit Gemeinschaftsaktivitäten zwischen den Siedlerinnen und deren Nachbarschaft sowie Angeboten, die auf die (angenommenen) Bedürfnisse der Menschen rund um das Hull House ausgerichtet waren. Eine große Bedeutung kam dabei Veranstaltungen zur künstlerischen und kunsthandwerklichen Entfaltung der Teilnehmenden zu, etwa in der Buchbinderei, der Keramik, dem Theaterspiel, dem Malen und Zeichnen oder dem Chorgesang.11) Inspiriert von der arts and crafts-Bewegung12) wurden solche Betätigungsmöglichkeiten für Fabrikarbeiter:innen als Gegengewicht zur Entfremdung von Kopf und Hand betrachtet sowie als Brücke zu ihren Herkunftskulturen und -praktiken. Die Pflege traditionellen (Kunst-)Handwerks wie Spinnen oder Weben stellte auch eine Bemühung dar, für solche Traditionen in der "Neuen Welt" Wertschätzung zu zeigen; dies kam in besonderer Weise im "Labor Museum" zum Ausdruck, das im Hull House eingerichtet wurde und in dem die Möglichkeit geboten war, solche Techniken zu praktizieren (JACKSON 2000, S.105f.; PINHARD 2009, S.164f.). Kindern und Jugendlichen schließlich sollte das künstlerische Arbeiten Räume zum Spielen eröffnen und ihnen die Möglichkeit zu ästhetischer Erfahrung geben, um damit, so die Annahme, einen Beitrag zu ihrer Demokratieerziehung und Persönlichkeitsentwicklung zu leisten. Insgesamt sollte niederschwellig Teilhabe ermöglicht, zu Gemeinschaftsaktivitäten befähigt und über die gemeinsame ästhetische Praxis ein affektiv besetztes Zusammengehörigkeitsgefühl geschaffen werden. Dabei wurden nicht nur traditionelle Kunst(handwerks)fertigkeiten benutzt, sondern auch damals neue Formen wie die Fotografie (JOHNSON 1989). [16]

Diese Ausführungen verdeutlichen, dass die Bewohnerinnen von Hull House vielseitig engagiert, hervorragend vernetzt und anerkannt waren. Sowohl mit der settlement method als auch durch die Weiterentwicklung sozialräumlicher Kartierungsverfahren leisteten sie methodische Pionierinnenarbeit für die entstehende empirische Sozialforschung. Diese Forschung wurde ebenso in den Dienst der wissenschaftlich angeleiteten Sozialreform gestellt wie die Bildungs- und Erziehungsarbeit und die damit verbundene Wertschätzung von Kunst und Spiel. [17]

3. Webcomics als Medium von Wissenschaftskommunikation und als Modus performativer Sozialwissenschaft: zur Frage der Gegenstandsangemessenheit performativer Methoden

3.1 Wissen(schaft)skommunikation mit Comics

Die Inhalte des vorangegangenen Abschnitts waren auch Gegenstand des Masterseminars, aus dem der Webcomic "Pragmatism Reloaded" hervorgegangen ist. Auf Grundlage der zentralen Themen der Seminardiskussionen hat im Nachgang der Veranstaltung eine Gruppe interessierter Seminarteilnehmenden mit der Seminarleitung ein Manuskript verfasst, welches jene Themen beinhaltete und in eine literarische Form brachte: Es wurden gemeinsam Charaktere, Szenen, Handlungen und eine Dramaturgie entwickelt und eine Geschichte geschaffen, in der die historischen Ereignisse und die wissenschaftlich gesicherten Befunde aufgegriffen und unter Hinzufügung fiktionaler Elemente verdichtet wurden. Während das Manuskript von Leah STANGE, Karina WASITSCHEK, Sofia KOHLER und Ursula OFFENBERGER verfasst wurde, nahm die professionelle Illustratorin Maike GERSTENKORN die Aufbereitung in ein Storyboard und das Anfertigen von Zeichnungen vor. Sie konzipierte die szenischen Arrangements der Bilder, die Dialoge, das Aussehen und die Eigenschaften der Charaktere in engem Austausch mit der Gruppe. Das Manuskript, das bis auf einzelne Szenen nicht auf Sprechblasendialoge ausgelegt war, musste an die semiotischen und narrativen Eigenarten das Comicgenres angepasst werden (vgl. hierzu PACKARD et al. 2019). Das beinhaltete, den Erzählbogen in die Taktung der Comicstrips einzupassen: Vier Bilder (Panels) bildeten einen Streifen (Strip), der jeweils in einer mehr oder weniger ausgeprägten Pointe mündete. Es handelt sich also um eine spezifische Erzählform, in die der Stoff "gegossen" werden musste und bei dem das Erzählen in Bildern den Textfluss begleitete, unterstützte, kommentierte und manchmal sogar, wie bei silent panels ohne Sprechblasen, ersetzte. Durch Comics wird somit die Bedeutung von Sprache zugunsten visueller Kommunikation und einer Multimodalität von Darstellungsformen dezentriert, welcher in der Comicforschung ein "dramatische[r] Reichtum" (PACKARD 2018, S.123) zugesprochen wird. [18]

Die Wahl eines Mediums für Wissenschaftskommunikation, in dem Sprache zugunsten von Bildern dezentriert wird, ist angesichts des logozentrischen Selbstverständnisses von Wissenschaft begründungsbedürftig. Sprache, gegossen in Aufsätze, Monografien oder Vorträge, ist das angestammte Terrain von Wissenschaft und so sind nichtsprachliche Formen von Wissenschaftskommunikation einem vergleichsweise höheren Rechtfertigungsdruck ausgesetzt. Einen historischen Ausgangspunkt für die Verwendung von Comics als Wissenschaftskommunikation bildet ihr Einsatz für Bildungs- und Erziehungszwecke. Dabei wurde die Eignung von Comics als Erziehungsmedium für Kinder und Jugendliche seit den 1950er Jahren zunächst kontrovers diskutiert (BARBERIS & GRÜNING 2021). Sie galten als Jugendliteratur, und es wurde ihnen ein fester Platz im Reigen der literarischen Gattungen zugewiesen. Dies blieb nicht ohne Folgen für das soziale Ansehen des Mediums insgesamt: "the infantilization of comics reinforced their position as popular art and their low status in the market of symbolic goods" (S.128). Der Frage nach der Eignung von Comics für Erziehungszwecke war diese Statuszuschreibung freilich nicht zuträglich – was natürlich nicht bedeutete, dass die in Zeitungen, Heften und in anderer Form publizierten Geschichten nicht (trotzdem) gern gelesen wurden. [19]

Diese Bewertung von Comics beruhte auf einem in den 1950-1970er Jahren vorherrschenden elitären und funktionalen Verständnis von Kultur, demzufolge Hoch- und Populärkultur hierarchisch unterschieden waren und Kultur primär moralischen und Bildungszwecken zu dienen hatte (a.a.O.). Durch intellektuelle Traditionen wie die der Cultural Studies wurde zwar seit den 1960er und 1970er Jahren eine solche Auffassung von Kultur nachhaltig infrage gestellt und ein weiter Kulturbegriff propagiert. In der ersten Generation der prominenten Birminghamer Schule der Cultural Studies wurden Comics jedoch noch aus ihrer Wertschätzung von Populärkultur ausgeschlossen, da mit ihnen eine Amerikanisierung der britischen Kultur befürchtet wurde (S.129). [20]

Mit der Entstehung der Sozialfigur der "Comic-Künstler:innen" veränderte sich das Feld seit den 1960er Jahren (zunächst in Europa), und auch die akademische Auseinandersetzung mit dem Genre bis hin zur Entstehung von Comic Studies seit den 2000er Jahren beförderten den Imagewandel (BOLTANSKI 1975; GABILLIET 2013). Seitdem wächst auch hierzulande die Zahl an produzierten Sach- und Wissenschaftscomics, allerdings in deutlich höherem Maße in den Naturwissenschaften (SCHRÖGEL 2017). Der Nutzen für Lehr-/Lernzwecke ist dabei inzwischen weitgehend unbestritten, zumal durch Studien zum Einsatz von Comics in (hoch-) schulischem Unterricht in den Naturwissenschaften gezeigt wurde, dass Sach- bzw. Wissenschaftscomics "den Vorteil einer höheren Motivation zur Auseinandersetzung mit dem Thema bringen, andere Gruppen erreichen können und die Einstellungen zur Beschäftigung mit Wissenschaft verbessern" (Abs. 3). [21]

Reinhold LEINFELDER, Alexandra HAMANN und Jens KIRSTEIN begründeten diesen didaktischen Vorteil damit, dass Sach- bzw. Wissenschaftscomics als "Slow Media" gelten könnten, also als

"nichtlineare Kommunikationsformate [...], welche zu ihrer Wissenserschließung einer umfassenden persönlichen Beschäftigung der Leser_innen oder Betrachter_innen bedürfen. Das Medium muss in Raum und Zeit verortet werden und gleichzeitig verschiedene Sinne direkt bzw. über synästhetische Ansätze ansprechen [...]. Im Sinne von Slow Media lassen sich auch Sachcomics zu komplexen Themen grundsätzlich mit wissenschaftsbasierten Ausstellungen vergleichen, da sie dominant visuell gestaltet sind, Informationen zu Mehrebenennarrativen verbinden, individuelle Geschwindigkeit beim Erfassen erlauben und damit gleichzeitig erhöhte 'partizipative' Aktivität beim Zusammensetzen der Informationen und Themen im Kopf erfordern [...]. Comics sind hierbei insbesondere durch ihre Bildsprache motivierend, visualisierend, permanent, intermediär und populär" (2015, S.45). [22]

Durch die Nutzung von Formaten wie Ausstellungen oder eben auch Comics, die aus anderen Praxiszusammenhängen als der Wissenschaft stammen und für Zwecke der Wissenschaftskommunikation adaptiert werden, kommt es zu Grenzverwischungen, die in den Sozialwissenschaften auch kritisch bewertet werden. So problematisierten Bernt SCHNETTLER und Stefan BAUERNSCHMIDT (2018) ein Verschwimmen von Wissenschaft mit anderen Feldern, wenn Bilder für Zwecke der Wissenschaftskommunikation verwendet würden. Mit externer (d.h. an außerwissenschaftliche Akteur:innen gerichteter) Wissenschaftskommunikation werde auf gestiegene Erwartungen von Politik und Öffentlichkeit reagiert, wissenschaftliches Handeln und dessen Ergebnisse offenzulegen. Am Beispiel des hochschulischen Imagefilms argumentierten sie, dass der Rückgriff auf wissenschaftsexterne und häufig visuelle Kommunikationsformate einen Autonomieverlust für die wissenschaftliche Selbstorganisation zur Folge haben könnte. [23]

Im Ergebnis hatte eine so oder anders begründete Zurückhaltung zur Folge, dass Sozialwissenschaftler:innen, die sich mit visueller Kommunikation und der Bildhaftigkeit des Sozialen befasst haben, den Schwerpunkt auf der Analyse ebendieser Kommunikation legten und visuelle Formate weniger als Medium der eigenen Ergebnisdarstellung nutzten. Ausnahmen finden sich in den Media Studies, Literary Studies, Gender Studies oder Postcolonial Studies, in denen Comics inzwischen einen legitimen Stand als wissenschaftliche Kommunikationsformate erlangt haben (BARBERIS & GRÜNING 2021, S.136). Die Grenzen zur Populärkultur werden hier mitunter bewusst überschritten und wissenschaftliche Ergebnisse dazu verwendet, um Geschichten marginalisierter, von der Geschichte vergessener Personen zu erzählen, oder von solchen, die bis dahin eher an der Seite oder im Hintergrund von prominenten Personen standen. Beispiele jüngeren Datums, in die Ergebnisse aus den Gender Studies und den Postcolonial Studies aufgenommen wurden, sind die Comicstrips von Liv STRÖMQVIST in "I'm Every Woman" (2019) zu Partnerinnen berühmter Männer wie Albert EINSTEIN oder Elvis PRESLEY und die (sowohl erzählerisch als auch zeichnerisch hoch ansprechende) Comicerzählung von Simon SCHWARTZ (2012) über den Afroamerikaner Matthew HENSON, der als Mitglied einer Polarexpedition 1909 als erster Mensch den Nordpol erreichte. [24]

Die Suche nach prominenten Beispielen aus den Sozialwissenschaften, die für eine Traditionsbildung in Anschlag gebracht werden können, führt unweigerlich nach Frankreich. Einen Meilenstein bildete dabei die Zusammenarbeit von Pierre BOURDIEU mit dem französischen Comicautor Jean-Claude MÉZIÈRES in der von BOURDIEU und Luc BOLTANSKI herausgegebenen Zeitschrift Actes de la recherches en sciences sociales. Indem etwa in dem Beitrag "La lecture de Marx" (BOURDIEU 1975) Auszüge eines Textes von MARX zusätzlich in drei Sprechblasen gezeigt werden, wurde mit der bis dahin herrschenden Tradition von Wissenschaftsdarstellung gebrochen, und auch weitere Beiträge der Zeitschrift "proposed a new way of using visual materials in scientific works, giving them a desacralizing function regarding established paradigms" (BARBERIS & GRÜNING 2021, S.130, unter Verweis auf BOURDIEU 1975 und CHADOIN & HOUDEVILLE 2017). [25]

Den Anspruch, soziologische Arbeiten zu fiktionalen Narrationen zu verarbeiten und dadurch Forschungsergebnisse einem größeren Publikum bekannt zu machen, verfolgen aktuell auch die Herausgeber:innen und Verfasser:innen der Sociorama-Kollektion, einer französischsprachigen Serie von Comicheften, in denen die Ergebnisse sozialwissenschaftlicher Studien verarbeitet werden. Die Comicerzählung wird erst nach Vorliegen der Ergebnisse entwickelt, und der Forschungsprozess selbst ist nicht Gegenstand der Erzählung:

"In Sociorama albums, cartoonists (sometimes together with sociologists) imagine sociologically grounded graphic fictions: a whole story and fictional characters inspired by sociological descriptions and scientific results. As such, Sociorama addresses very different questions than those raised by the use of drawing during fieldwork for anthropologists and sociologists [...] [S]ociological knowledge, conditions of investigation, ethnographic materials, and their analysis and interpretations are blended together into the form of a fiction" (BERTHAUT, BIDET & THURA 2021, S.266). [26]

Ein weiteres prominentes Beispiel stellt das Projekt "ERcComics" dar, in dem Forschende der Universität Sorbonne und Mitarbeitende einer Pariser Kommunikationsagentur zwischen 2015 und 2019 insgesamt 18 Webcomics veröffentlicht haben, die verschiedene Forschungsarbeiten aus dem Horizon 2020-Programm der Europäischen Union zum Gegenstand hatten. Eines davon, "Beauty", hat einen schönheitssoziologischen Hintergrund: Am Beispiel der Model-Industrie wird gezeigt, wie Schönheitsstandards sozial geformt werden. Als soziologische Begründung für die Entwicklung ihres Webcomicformates argumentierten die Forscherin Giselinde KUIPERS und die Illustratorin Fiammetta GHEDINI (2021), dass die Standardformate sozialwissenschaftlicher Ergebnisdarstellung nicht das anregen würden, was Charles Wright MILLS (2000 [1959]) in seinem gleichnamigen Buch als "the sociological imagination" bezeichnet hatte, nämlich ein Nachdenken über die Verwobenheit persönlicher Erfahrung mit gesellschaftlichen Verhältnissen. Der von KUIPERS und GHEDINI realisierte Webcomic ziele dagegen darauf ab, die soziologische Vorstellungskraft der Lesenden anzuregen. Hierfür sei eine dreifache Übersetzungsarbeit der Forschungsergebnisse notwendig gewesen: vom Analytischen zum Narrativen, vom Konzeptuellen zum Konkreten und vom Sprachlichen zum Visuellen. Für letzteres stellten sie fest:

"Thinking in a different sensory modality forces you to think through new things. Thus, the visual form is simultaneously a way to reach different publics and convey different kind of information, and to cast thought processes in a new light" (2021, S.160). [27]

3.2 "Pragmatism Reloaded" als performative Sozialwissenschaft

Mit den vorangegangenen Ausführungen lassen sich Wissenschaftscomics als ein Fall von performativer Sozialwissenschaft fassen. Hierunter werden etwa kunstbasierte oder kreative Methoden bzw. Forschung verstanden, mit denen "Kunst und Wissenschaft wechselseitig aufeinander bezogen werden (können) und […] auf Praktiken der Kunst […] zurückgegriffen wird, um Forschungsergebnisse zu 'übersetzen'" (MEY 2020, S. 202). Ein zentrales Anliegen ist, die Dominanz der Sprache als Ausdrucksmedium zu überwinden und die Rezeptionsmöglichkeiten wissenschaftlicher Ergebnisse zu erweitern. Damit eröffnen sich auch Spielräume, Publika jenseits des engeren wissenschaftlichen Feldes zu adressieren. Performative Sozialwissenschaftler:innen streben eine Demokratisierung von Wissenschaft in dem Sinne an, dass eine Teilhabe an Forschung nicht nur wenigen Expert:innen vorbehalten sein soll. Der Rückgriff auf künstlerische Ausdrucksformen wie Fotografie, Tanz, Theater, Ausstellungen oder literarische Gattungen soll dies sowohl während der Produktion als auch während der Distribution und Rezeption wissenschaftlichen Wissens ermöglichen, und nicht selten werden Forschungsteilnehmende durch gemeinsame künstlerische Praxis in Erkenntnisprozesse involviert (JONES 2017; JONES et al. 2008; LEAVY 2015 [2011]). Patricia LEAVY hat die Debatte um performative bzw. kunstbasierte Sozialwissenschaft maßgeblich geprägt. Seit vielen Jahren betreibt sie Interviewforschung mit Frauen und Männern über Geschlechterthemen und den Umgang mit dem eigenen Körper. Aus einem Überdruss heraus, Artikel in hölzerner Sprache für Zeitschriften zu schreiben, die nur wenige Fachleute lesen, und von deren Inhalten die Menschen, über die sie handelten, nichts hatten, verfasste sie 2011 den Roman "Low-Fat Love" (2015 [2011]). Diesem schloss sich 2017 eine Sammlung von illustrierten Kurzgeschichten an (LEAVY & SCOTTI 2017), die sie aus den vielen Zuschriften zusammenstellte, welche ihr nach der Veröffentlichung des Romans zugegangen waren. In ihrem Methodenlehrbuch, in dem sie in eine kunstbasierte Sozialforschung ("arts based research") einführte, in die sie verschiedene künstlerische Ausdrucksformen für die Verarbeitung von Forschungsergebnissen einband, schrieb sie als Erläuterung für ihren Roman:

"Through the fictional format I was able to deliver the content, layer more themes, portray composite characters sensitively, create empathetic understandings, promote self-reflection in readers, create longer-lasting learning experiences for readers, and most important, get the work out to the public. [...] This is the power of arts-based research (ABR). And yes, it is different than other approaches to research, but no less rigorous or valid" (2015, S.2). [28]

In dieser Spielart empirischer Sozialforschung, die etwa in Verbindung mit partizipativer Forschung (vgl. hierzu BERGOLD & THOMAS 2012) auch im deutschen Sprachraum gegenwärtig an Bedeutung gewinnt, werden wissenschaftstheoretische, methodologische und zeitdiagnostische Begründungen der Forschungspraxis aus Debatten um Demokratie sowie Rechenschaft und Verantwortlichkeit von Forschung herangezogen. Ein Aspekt hiervon ist die Zugänglichkeit wissenschaftlichen Wissens. Zugänglichkeit, Niederschwelligkeit, Verständlichkeit wurden auch im Hull House-Comicprojekt aufgegriffen hinsichtlich der Sprachverwendung, der Genrewahl und der technischen Umsetzung. Ziel war es einerseits, den Kreis der Adressat:innen gegenüber dem "herkömmlichen" akademischen Publikum auszuweiten, was wir durch die von uns gewählten Distributionsformen der Webseite und des Instagram-Kanals zu erreichen versuchen. Andererseits zielt performative Forschung darauf ab, bei den Rezipient:innen Affektreaktionen hervorzurufen, was im Comic beispielsweise durch den nichtsprachlichen Ausdruck von Ekel, Freude, Ehrerbietung oder Trauer ermöglicht werden soll. Folgende Szene, in der die beiden fiktiven Charaktere Agathe und Franke die Hull House-Bewohnerin Florence KELLEY zu einem Hausbesuch bei der fiktiven Familie Liporelli begleiten, um mit ihnen ein Interview zu führen und Daten für die "Hull-House Maps and Papers"-Studie zu gewinnen, kann dies verdeutlichen:



Abb. 1: Ausschnitt aus Kapitel drei des Webcomics, https://digital-humanities.uni-tuebingen.de/webcomics/pragmatism-reloaded/webcomic.html?c=c03&e=e01&s=00#, Strip Nr. 13 [Zugriff: 9. August 2022; da die einzelnen Strips nicht verlinkt sind, führt der angegebene Link zum betreffenden Kapitel, von wo aus Strip Nr. 13 selbst angesteuert werden muss] [29]

Die Art, wie die Affektreaktionen der Protagonist:innen zeichnerisch dargestellt sind, schafft im Vergleich zur rein textlichen Darstellung eine größere Unmittelbarkeit und kann damit eine direktere Reaktion auslösen. Die großstädtische Lebenswirklichkeit im Chicago des späten 19. Jahrhunderts, etwa mit ihren gesundheitsgefährdenden hygienischen Zuständen, wird so anschaulicher, und es fällt leichter, sich in die Lebensbedingungen hineinzuversetzen, die den Ausgangspunkt für die sozialreformerische Arbeit in Hull House bildeten. Damit verbindet sich die Absicht, bei Rezipient:innen einen ähnlichen Resonanzraum zu erzeugen – einen Raum, durch den Verstand und Gefühl gleichermaßen angesprochen und (affektive) Reaktionen hervorgerufen werden – etwa Bewunderung für die Leistungen der Siedlerinnen von Hull House, Trauer, dass an vielen Orten der Welt auch heute noch (und wieder) widrige Lebensbedingungen herrschen, oder Empörung darüber, dass die wissenschaftliche Leistung der Siedlerinnen weitgehend aus den Annalen der (männlich dominierten) Sozialwissenschaftsgeschichte getilgt worden ist. Es sind dies jedoch keine Ge-, sondern Angebote zur Deutung, denn der Charme des Comics liegt gerade auch in seiner spielerischen Leichtigkeit: Wer mag, kann tiefere Ebenen erkennen, die Geschichte lässt sich aber auch ohne diese lesen und verstehen. Die einen oder anderen Leser:innen mögen sich an die Geschichten von Asterix und Obelix erinnert fühlen, die von Kindern und Erwachsenen unterschiedlich, aber gleichermaßen mit Gewinn gelesen werden können. [30]

Comics zeichnen sich gerade in ihrer materiellen Form als Hefte oder in Tageszeitungen durch ihre Flüchtigkeit, Vergänglichkeit und Zeitgebundenheit aus. Für Webcomics, die wie in unserem Fall auch häufig über soziale Medien wie Instagram verbreitet werden, ist diese Beschreibung gleichermaßen zutreffend. Und ebenso beiläufig und kürzer getaktet sind die damit verbundenen Lesetechniken: Auf der Toilette, in der U-Bahn, im Wartezimmer – Smartphones sind fast immer dabei und werden von vielen in solchen Situationen genutzt. Die Lektüre von Webcomics geht mit spezifischen Seh- und Schnitttechniken einher, die mit dem digitalen Lesen und dessen häufig kürzeren Intervallen verbunden sind.13) Das von uns gewählte Medium ist somit an alltagsweltlich weit verbreitete Rezeptionsgewohnheiten angepasst bzw. wird versucht, sich in diese einzufügen. Dies trifft auch auf den Instagram-Auftritt auf dem Profil "pragmatism_reloaded" (@grünbergkollektiv) zu, durch den die serielle Veröffentlichung des Webcomics begleitet wurde: Die zwischen Dezember 2020 und Mai 2021 wöchentlich veröffentlichten Episoden wurden auf Instagram von uns kommentiert und mit tagesaktuellen Ereignissen in Verbindung gebracht. Hierbei wurde teilweise auch an die bereits erwähnte besondere Bedeutung von Affekten für die visuelle Kommunikation angeschlossen, wie im folgenden Beispiel eines Strips, der die Situation der Chicagoer Textilarbeiter:innen zum Gegenstand hat:



Abb. 2: Ausschnitt aus dem Instagram-Auftritt des Webcomics, https://www.instagram.com/p/CMLC3Q1joGd/ [Zugriff: 9. August 2022]. Bitte klicken Sie hier oder auf die Abbildung für eine Vergrößerung. [31]

Die Ausdrucksstärke, durch die in diesem Panel visuell Bedrückung erzeugt wird, entsteht durch die reduzierte Formsprache und den Wechsel der Hintergrundfarbe. Der den Strip abschließende Kommentar "Drückst du die Löhne, drückst du die Arbeiter" wird hierdurch bildlich untermalt. in dem begleitenden Kommentar auf dem Instagram-Profil wurden Parallelen zu zeitgenössischen Verhältnissen in der Textilindustrie gezogen und vertiefende Links und einschlägige Hashtags platziert. [32]

Indem in dem Webcomic nicht nur die Entstehung der "Hull-House Maps and Papers" gezeigt wird, sondern eine Vielfalt von Aktivitäten und Engagements in dem und rund um das Hull House, wurde die Forschungsarbeit in einen Lebenszusammenhang eingebettet, der die Entfaltung friedlichen und demokratischen Zusammenlebens zum Ziel hatte. Deutlich wird dies nicht zuletzt im vierten Kapitel des Webcomics: Hier erhalten die Protagonist:innen Agathe und Franke, die auf einer Zeitreise nach Hull House gelangt sind, eine Führung von Jane ADDAMS durch die Räumlichkeiten. Sie treffen verschiedene Gruppen an, die gerade ein Musik- oder Theaterstück einstudieren oder einen Zeichenkurs abhalten. Franke setzt sich zu einem der Kinder und zeichnet mit. Diente diese Szene ihrer Autorin Leah STANGE einer vertieften Auseinandersetzung mit den Charaktereigenschaften der Figur Franke (vgl. §35), so lässt sie sich doch auch so lesen, dass eine Parallele zwischen Hull House und dem Webcomic-Projekt aufgezeigt wird. Denn in beiden Fällen kommt künstlerischen Ausdrucksformen zentrale Bedeutung für die kollektive Arbeit zu: im einen Fall der Arbeit für Demokratieerziehung und Gemeinschaftsentwicklung, und im anderen der Arbeit an einem aus einem universitären Seminarkontext heraus entstandenen Gemeinschaftswerk, durch das der Blick für historische Verschränkungen von Sozialwissenschaft und Sozialreform sowie die Bedeutung von Frauen für die Anfänge empirischer Sozialforschung geschärft werden sollte. In beiden Fällen spielt ästhetische Praxis eine Schlüsselrolle zur Erreichung der Ziele – eine Parallele, die auf unserem Verständnis von Gegenstandsangemessenheit basiert, weil durch die Wahl der Ausdrucksform und den Prozess ihrer Entstehung ein prominenter Teil der Praxis von Hull House selbst aufgegriffen wurde. Der (künstlerische) Schaffensprozess rund um den Webcomic stellt somit, jenseits des Inhalts der Erzählung, ein Moment der Re-Konstruktion des Erzählstoffes dar (OFFENBERGER 2021). Der Weg war das Ziel, könnte man sagen – und somit standen für das Webcomicprojekt auch Fragen nach der Prozessgestaltung im Mittelpunkt. In der Auseinandersetzung mit dem Lehrstoff ging es dabei neben dem kognitiv-intellektuellen Verstehensvorgang auch um sinnliches Erleben und die Emotionalität der Verfasser:innen. Diese Vielfalt an Zugängen sollte nicht ausgeklammert, sondern stattdessen als zentrale Ressource für die Comicerzählung verstanden werden. [33]

In unserem Projekt möchten wir zeigen, dass Wissenschaft und Kunst sich nicht diametral gegenüberstehen (DORNER-PAU 2021, S.88), sondern sich gegenseitig befruchten können. Darüber hinaus kann beides ein Zugang zum jeweils anderen sein: Ein künstlerisches Projekt kann Zugang zu einem wissenschaftlichen Thema bieten, und Interesse an einem wissenschaftlichen Thema kann den Zugang zu künstlerischen Formaten wie Theaterstücken, Ausstellungen oder eben Comics erleichtern. Gerade Student:innen sind jedoch v.a. das Format der Hausarbeit oder des Referates gewöhnt, und auch der sonstige wissenschaftliche Diskurs ist beinahe frei von performativen Formaten (MEY 2020, S. 220). Es war demnach ein Wagnis, sich dem Material um Hull House performativ anzunähern. Ein Schlüsselmoment war es, mit der Figur Franke zu arbeiten. Leah STANGE entwickelte u.a. die Zeichen-Szene, in der Franke sich lustvoll dieser Tätigkeit hingibt und dabei Freundschaft mit den Kindern aus Hull House schließt.



Abb. 3: Ausschnitt aus Kapitel vier des Webcomics: Franke nimmt an einem Zeichenworkshop in Hull House teil, https://digital-humanities.uni-tuebingen.de/webcomics/pragmatism-reloaded/webcomic.html?c=c04&e=e01&s=00, Strip Nr. 6 [Zugriff: 25. September 2022; da die einzelnen Strips nicht verlinkt sind, führt der angegebene Link zum betreffenden Kapitel, von wo aus Strip Nr. 6 selbst angesteuert werden muss] [34]

In einem Erfahrungsbericht reflektiert sie diesen Prozess wie folgt:

Mir war vor dieser Szene nicht klar, wer Franke ist, doch im Akt des szenischen Schreibens war es, als spränge Franke zwischen den Zeilen hervor und offenbarte sich mir als Figur in ihrer:seiner Komplexität, und es wurde deutlich, welche Rolle Franke in diesem Comic spielen würde. Hier wird plastisch, was FISCHER-LICHTE (2012, S.42) mit folgendem Satz meinte: "Was durch performative Akte hervorgebracht wird, entsteht erst, indem dieser Akt vollzogen wird." Darüber hinaus machte mir Franke das Material sehr viel zugänglicher. Ich verstand nun, worauf ich Wert zu legen hatte bei der weiteren Führung durch Hull House: Welche Fragen stellt Franke, was ist für Franke interessant? Franke half mir bei der Spurensuche in und über Hull House. Die Notwendigkeit, eine Szene zu schreiben, entwickelte also nicht nur ein besseres Verständnis dafür, um welche Figuren es im Comic ging, sondern ermöglichte darüber hinaus eine tiefere Auseinandersetzung mit der Thematik Hull House. Doch nicht nur das szenische Schreiben als performativer Akt, sondern auch das Hineinversetzen in die Figur selbst ließ die Thematik für mich greifbarer werden. Das Betrachten einer Thematik durch die Augen eines anderen Menschen – und sei es auch nur eine Comicfigur – erweiterte den Blick auf das Thema und zeigte mir neue Perspektiven und Fragen auf.

Der Comic entstand mit dem Ziel, das Thema Hull House innerhalb, aber auch abseits wissenschaftlicher Kontexte verständlich darzustellen und einen Rahmen zu schaffen, das Thema zu erfassen und bei Interesse weiter zu vertiefen. So sollten Lesende durch den Comic niederschwellig herangeführt werden und eine emotionale Bindung zu den Charakteren und der Geschichte aufbauen können – aufseiten von uns Forscher:innen und aufseiten der Rezipient:innen. Beispielsweise kann durch Frankes Blick die dem Hull House eigene Verbindung zwischen Wissenschaft, Kunst und performativer Arbeit auf unterschiedlichen Ebenen besser verstanden werden. Franke ist ein Genussmensch und demnach an allem Ästhetischen interessiert. Mit diesem Blick bin ich in der Literatur auf Spurensuche gegangen, um auf entsprechende Erfahrungen in Hull House zu stoßen. Durch Franke kam ich mit Themen in Berührung, die mir in meinem Studium vorher noch nie begegnet waren: Was hat Ästhetik mit Bildung zu tun? Warum kann Kochen demokratisch sein? Franke weckte mein genuines Forschungsinteresse und zeigte, wie vielfältig und kreativ sozialwissenschaftliche Forschung sein kann. Diese Figur hat deswegen eine bedeutende Rolle in meiner akademischen Sozialisierung eingenommen.

Auch die Figur von Agathe, die im Comic wie Franke in der Gegenwart an der Universität Tübingen tätig ist, sollte genau diese Funktion erfüllen: Identifikation stiften und helfen, den Lehrstoff auf eine neue Weise zu erschließen. Mit beiden wird darauf hingewiesen, dass Wissenschaftspraxis raum-zeitlich stets situiert, an materielle Gegebenheiten gebunden ist und dass durch sie Material vermittelt wird. Ebenfalls soll durch sie daran erinnert werden, dass soziale Praxis nie ein einsames Unterfangen ist – wie es tradierte Bilder des heroisch isolierten Wissenschaftlers häufig darstellen –, sondern dass sie immer in Denk- und Arbeitskollektiven stattfindet. Die Forschung, Praxis und Sozialreform von Hull House verdeutlicht dies par excellence. Und entsprechend regte die Auseinandersetzung damit zu der Frage an, wie demokratische Wissenschaftspraxis (zumindest in unserem eigenen Umfeld) organisiert werden kann. [35]

3.3 Zur Debatte um die Gegenstandsangemessenheit performativer Methoden

Die Comicerzählung, in der der Text auf wenige Sprechblasen beschränkt und die Stoffvermittlung in ein narratives Genre eingebunden ist, kann etablierte Formate der Wissenschaftskommunikation ergänzen, niemals ersetzen. Damit verbunden ist ein Plädoyer für eine Vervielfältigung der Genres von Wissenschaftskommunikation, wie es bereits in seit den 1980er Jahren geführten wissenschaftssoziologischen und -philosophischen Debatten auftauchte. Diese kreisten zentral um den Begriff der Reflexivität (vgl. hierzu auch die Beiträge in MRUCK, ROTH und BREUER 2002 und in ROTH, BREUER und MRUCK 2003; MRUCK & MEY 2019) und wurden mit wissenschafts- und erkenntnistheoretischen Fragen danach verbunden, wie wir wissen können, was wir über die Welt wissen, und wie wir dem Umstand Rechenschaft tragen können, dass unsere Beobachtung immer von einem Standpunkt aus erfolgt. Die Auseinandersetzungen der 1980er Jahre mündeten in Bemühungen um sogenannte "new literary forms" von Wissenschaftskommunikation wie etwa Dialog, Theaterstück, Parodie, Parabel, Limerick, Antivorwort, Antieinführung, paralleler Text, narrative Kollage, Pressebericht oder Enzyklopädie (ASHMORE 1989, S.66, mit Literaturverweisen auf entsprechende Beispiele). Einen zentralen Stellenwert in diesen Bemühungen erhielten Ironie und Humor, was man als Hinweis darauf lesen kann, dass Wissenschaftler:innen zwar ernsthafte Arbeit leisten, sich selbst aber nicht zu ernst nehmen sollten im Vergleich zu anderen Weisen, Wissen über die Welt zu erzeugen, und obwohl es riskant sein kann, die Geltungsansprüche von Wissenschaft zu hinterfragen). Als eine Strategie zur Erhöhung von Reflexivität schlug Bruno LATOUR (1988, S.173) vor, die Anzahl der Textgenres zu vervielfältigen:

"To the few wooden tongues developed in academic journals, we should add the many genres and styles of narration invented by novelists, journalists, artists, cartoonists, scientists and philosophers. The reflexive character of our domain will be recognized in the future by the multiplicity of genres, not by the tedious presence of 'reflexive loops'". [36]

LATOUR begegnete damit einer Gefahr, die er in der sozialwissenschaftlichen Auseinandersetzung um Reflexivität wahrnahm, nämlich der eines infiniten Regresses, bei dem sich Reflexivität um Reflexivität ihrer selbst bemüht, die sich wiederum um Reflexivität ihrer selbst bemüht und so weiter. Die Vervielfältigung von Genres der Wissenschaftskommunikation diene deshalb dem Ziel, auf die Kontingenz wissenschaftlicher Wissensproduktion hinzuweisen, ohne deren Robustheit infrage zu stellen. [37]

In den aufgeführten Debatten zur Verknüpfung wissenschaftlicher mit künstlerischer Praxis nimmt die Reflexion über den gewählten Darstellungsmodus und die Begründung der Wahl bestimmter künstlerischer Mittel eine wichtige Rolle ein (vgl. auch MEY 2020, S.219). Kip JONES, einer der Pioniere der performativen Sozialwissenschaften, betonte, dass die Wahl künstlerischer Ausdrucksformen nicht dem Zeitvertreib frustrierter Akademiker:innen geschuldet sein dürfe, sondern vielmehr der Beantwortung einer Forschungsfrage und/oder der Weitergabe von Ergebnissen an die Öffentlichkeit dienen müsse (JONES 2014). Insbesondere müsse erklärt werden, was mit der Erweiterung von Ausdrucksformen auf nichtsprachliche Kommunikation erreicht werden solle. Margret SCHREIER (2017) sah den Unterschied zwischen qualitativer Forschung und performativen Sozialwissenschaften darin, dass erstere konzeptuelles und diskursives Wissen erzeuge, während zweitere Problembeschreibungen und alternative Sichtweisen entwickelten. Das performativ erzeugte Wissen zeichne sich durch eine verhältnismäßig größere Vorläufigkeit und Revidierbarkeit aus. (Affektive) Reaktionen sollten bewusst hervorgerufen werden, und der Adressat:innenkreis werde vorsätzlich ausgeweitet, um auf die Veränderung gesellschaftlicher Wirklichkeit abzuzielen. Günter MEY (2020, S.220) merkte hierzu einschränkend an, dass nicht jedes science-to-public-Format und nicht jede Disseminationsform als performativ gelten könne:

"Je eindeutiger die Resultate übersetzt werden (ob als Broschüre oder YouTube-Video) und je konventioneller die Realisierung an die jeweils gängige Rezeption angelegt ist und auf schnelle (verständliche) Konsumtion zielt, umso mehr wird der zentrale Anspruch performativer Sozialwissenschaft auf Irritation, Perspektivierung und Einbezug verfehlt – und damit nicht zuletzt ihr subversives Moment." [38]

Der Performativitätsbegriff trage ein Moment der Kritik in sich, und es wird der Anspruch formuliert, dass die gewählten Formate reflexive Distanzierung zum Dargestellten ermöglichen und dazu einladen. Gleichzeitig solle das Ausdrucksmedium den beforschten Gegenstand auf eine gegenstandsangemessene Weise hervorbringen. Der Begriff der Gegenstandsangemessenheit empirischer Methoden hat in der Debatte um die Methodologie qualitativer Forschung eine lange Tradition, in Form der Auseinandersetzung um die Adäquanz von Max WEBER begonnen und fortgesetzt von Alfred SCHÜTZ oder auch von Harold GARFINKEL (vgl. hierzu STRÜBING, HIRSCHAUER, AYAß, KRÄHNKE & SCHEFFER 2018; zu GARFINKEL vgl. auch GERST, KRÄMER & SALOMON 2019). Bis heute liegt dem Verständnis von Gegenstandsangemessenheit qualitativ Forschender die Annahme zugrunde, dass Methoden den feldspezifischen Besonderheiten angepasst werden müssen und nur bedingt standardisiert werden können. Erfindungsreichtum, die Orientierung an Faustregeln und die prozessuale Herstellung von Passungsverhältnissen zwischen Feld und Methode gelten dabei als die Maximen, an denen sich Forschende stärker zu orientieren haben als an Lehrbuchwissen über methodisch "sauberes" Vorgehen. An ein solches Verständnis von Gegenstandsangemessenheit lässt sich die Praxis performativer Sozialforschung anschließen. Denn die Einsicht darin, dass soziale Wirklichkeit nicht rein sprachlich verfasst ist, sondern als multikodal (MORITZ & CORSTEN 2018) gelten kann, macht den Einbezug von Methoden naheliegend und in manchen Fällen auch erforderlich, bei denen Materialitäten, Sinnlichkeit, Ästhetik und Affekte zentral berücksichtigt werden. Sofern also von einer ebenso sprachlich wie nicht-sprachlich, materiell, visuell und ästhetisch verfassten Sozialwelt ausgegangen wird, ist der Einbezug künstlerischer Methoden zu deren Re-Präsentation grundsätzlich als gegenstandsangemessen zu betrachten, und der traditionelle Erfindungsreichtum qualitativer Methoden der Felderschließung und -konstitution vergrößert sich durch den Rückgriff auf künstlerische Verfahren (JONES et al. 2008; MEY 2020). [39]

4. Fazit

Die künstlerische Ausdrucksform erwies sich in unserem Projekt als ein Mittel der intensivierten Wissensaneignung und der gleichermaßen kognitiven, ästhetischen und sinnlichen Erfahrung von Vergangenheit und Geschichte sowie deren Gegenwartsbezügen. Auch wenn es sich hierbei nicht um ein genuin qualitativ-empirisches Projekt handelte, lassen sich hieraus doch Schlüsse für die mögliche Bedeutung performativer und kunstbasierter Sozialforschung ziehen: Der Schulterschluss qualitativer Methoden mit künstlerischen Weisen der Welterzeugung kann einen von mehreren notwendigen Wegen bilden, um Relevanz, Aktualität und transformatives Potenzial interpretativer Forschung unter Beweis zu stellen, und um bei der Vermittlung wissenschaftlicher Ergebnisse in gesellschaftliche Öffentlichkeiten hinein immer wieder neue, anregende und zum Nachdenken einladende Wege zu beschreiten. [40]

Als studentisches Lehr-/Lernprojekt wurden durch den Webcomic sowohl durch den Entstehungsprozess als auch durch das Ergebnis tradierte Grenzziehungen von Lehre, Forschung und Wissenschaftskommunikation überschritten. Zentrales Medium war dabei die Arbeit an dem Comic als einem künstlerischen Format, in dem Visualität, Affektgeladenheit und Dialog bzw. Interaktion zentrale Bedeutung erhalten. Mit der Wahl dieses Formates war das Plädoyer verbunden, die Diskussion um Gegenstandsangemessenheit qualitativer Forschungsmethoden um das Repertoire kunstbasierter oder performativer Sozialforschung zu erweitern, um Methoden der Gegenstandskonstitution zu entwickeln, in denen materielle, sinnliche, affektive und ästhetische Dimensionen von Wirklichkeit angemessener als bislang repräsentiert sind. [41]

Im Fall von "Pragmatism Reloaded" waren insbesondere drei Kriterien wichtig für die Wahl des Webcomics als Ausdrucksform: Zum Ersten sollte damit dem Visuellen für die Darstellung der Forschungsergebnisse von Hull House Bedeutung beigemessen werden. Die Kartierungsverfahren galten für die damalige Zeit als hochinnovativ und machten "Schule", indem die Methode in der vornehmlich an der Universität ausgebildeten Chicago School der Stadtforschung übernommen wurde. Diese Mischung aus bildlicher und textlicher Darstellung haben wir mit dem Webcomic übernommen und damit auf den Mehrwert von Multimodalität für die Wissenschaftskommunikation hingewiesen und darauf, dass diese keine Erfindung des 21. Jahrhunderts ist. Zum Zweiten wurde die Bedeutung von Kunst und Spiel für das Leben im Hull House ein wichtiges Kriterium für unsere Überlegung zur Gegenstandsangemessenheit. Beide bildeten zentrale Bestandteile der dort typischen Praxis von Demokratie als Lebensform. In der Bildungsarbeit für Kinder und Erwachsene spielten sie entsprechend ebenso eine wichtige Rolle, ebenso wurde in der Gestaltung der Wohn- und Arbeitsräume Wert auf Ästhetik gelegt. In dem Webcomic trafen die künstlerischen Formen der Zeichnung und der teilweise fiktionalen Erzählung aufeinander. Wenn etwa die Odysseus-Figur im historischen Lesesaal zum Leben erwacht oder Franke in den Zeichenkurs der Kinder im Hull House einsteigt, wird mit der Phantasie gespielt, um die Auseinandersetzung der Rezipient:innen mit den historischen Umständen kognitiv und affektiv anzuregen. Und zum Dritten schließlich sollte die Niederschwelligkeit des Mediums Webcomic widerspiegeln, was für die Lebens- und Arbeitspraxis im Hull House zentral war: nämlich die Ausrichtung und Anpassung der Unterstützungs- und Vergemeinschaftungsangebote an die Lebensbedingungen der Zielgruppen. Gab es beispielsweise in den Gründungsjahren von Hull House keine Kindergärten, wurde ein ebensolcher gegründet. Kamen etwa Bewohnende des Viertels in großer Zahl aus Mexiko, wurde mexikanische Keramikarbeit angeboten. In unserem Fall sollte der Webcomic vornehmlich junge Erwachsene mit Interesse an Sozialwissenschaften begeistern. Deren Lebenswelt und Lektürepraxis ist durch die Nutzung von Smartphones geprägt, und hieran schließt das Format des Webcomics an. Daneben werden weitere Brücken in jugendkulturelle Sinnwelten geschlagen, etwa durch die zeitgenössisch-politisierenden Kommentare der Comicstrips auf Instagram. Auf diese Weise wurden die Lebenswelten der Produzent:innen und der (avisierten) Rezipient:innen zu einem integralen Bestandteil der Gegenstandskonstitution. [42]

Als über Instagram verbreiteter Webcomic erscheint "Pragmatism Reloaded" im Medium der Populärkultur, durch seine reichhaltige Hyperlinkstruktur und den Anmerkungsapparat wird aber zugleich ein dezidiert wissenschaftskritischer Anspruch verfolgt: Mit Blick auf die Verkürzung hiesiger Rezeptionsgewohnheiten legten wir beim Verfassen des Webcomics Wert darauf, Hull House als Forschungseinrichtung in den Mittelpunkt zu rücken, die es zukünftig für die Geschichtsschreibung der Chicagoer Schule prominenter als bisher zu berücksichtigen gilt. Durch das aufmerksamkeitserregende Potenzial des Medienwechsels soll auf Missstände hingewiesen und deren Überwindung angemahnt werden. Hätte die Forschung des Hull House-Kollektivs einen weithin unbestrittenen Platz im Kanon klassischer Sozialforschung und die Forscherinnen rund um Jane ADDAMS den Status als Klassikerinnen der Soziologie, die deren empirischen Methoden den Weg bereitet haben, dann wäre dieser Comic womöglich nicht entstanden. Denn das Comicformat als Medium der Populärkultur schien uns gerade deshalb attraktiv, weil es ein subversives Moment beinhaltet: die Möglichkeit zur komisch-ironischen Distanzierung vom Dargestellten und damit verbunden die Frage, worin und weshalb sich die Darstellung von anderen Darstellungen unterscheidet. Hierin liegt das kritische Moment alternativer Darstellungen, wie sie etwa in den feministischen Comics von Liv STRÖMQVIST zum Einsatz kommen. Der Preis solcher Formen von Kritik ist freilich der, dass mit Comics (allein) bisher kein Kanon sozialwissenschaftlicher Klassiker:innen verändert worden ist. [43]

Danksagung

Unser Dank gilt den Studierenden, die in den Jahren 2019-2021 an den beiden Masterseminaren zu Anfängen der empirischen Sozialforschung in den USA teilgenommen haben, den Mitarbeiter:innen des BMBF-Projektes "Erfolgreich Studieren in Tübingen", der Lehrpreiskommission der Universität Tübingen und dem Tübinger Methodenzentrum für die finanzielle und ideelle Förderung unseres Vorhabens. Ebenso danken wir den Teilnehmer:innen des Webcomic-Symposiums im März 2021 für wertvolle Hinweise zur rückblickenden Reflexion des Comicprojektes. Den Gutachter:innen dieses Artikels danken wir für hilfreiche Anmerkungen zur Überarbeitung.

Anmerkungen

1) Zum akademischen Team für die Manuskripterstellung, die Ausstellungskonzeption, die englische Übersetzung und die Webseitengestaltung gehörten Sebastian BARTELHEIM, Anna Maria KAMENIK, Sofia KOHLER, Kevin KÖRNER, Daniel LIEB, Annika NAGAT, Ursula OFFENBERGER, Leah STANGE und Karina WASITSCHEK. Zeichnungen und Storyboard auf Basis des Manuskriptes stammen von der Illustratorin Maike GERSTENKORN. Anna Irini TSIPOURAS hat den vorliegenden Artikel Korrektur gelesen. <zurück>

2) ADDAMS stammte aus einer Großindustriellenfamilie und konnte daher den Unterhalt für Hull House finanzieren. <zurück>

3) Benannt nach einem Mitarbeiter John RUSKINs, Arnold TOYNBEE, welcher sich für die englische Arbeiter:innenbewegung stark gemacht hatte (PINHARD 2009). <zurück>

4) Nicht zuletzt durch den von Upton SINCLAIR verfassten investigativen Roman "Der Dschungel" (2013 [1906]) rückte insbesondere die stark expandierende Fleischindustrie in den Fokus der damaligen Öffentlichkeit (PINHARD 2009, vgl. auch die Comicadaption "Der Dschungel" von Christina GEHRMANN 2018). Der Roman erhielt große Aufmerksamkeit und zog Gesetzgebungen nach sich, durch die die schlimmsten Ausmaße der Fleischproduktion eingeschränkt werden sollten (KELLER 2012). <zurück>

5) Gebaut wurde die Villa im Jahr 1856 von Charles J. HULL, Jurist, Immobilienmakler und späterer Philanthrop (PINHARD 2009, S.30). <zurück>

6) https://65852203.weebly.com/hull-house-firsts.html [Zugriff: 9. August 2022]. <zurück>

7) KELLEY hatte in Zürich promoviert und kam nach ihrer Scheidung mit ihren Kindern ins Hull House. Als überzeugte Marxistin stand sie bis zu dessen Tod in engem Kontakt zu Friedrich ENGELS und übersetzte und veröffentlichte 1887 etwa die erste englischsprachige Version seines Werkes "Die Lage der arbeitenden Klasse in England" (ENGELS 1950 [1892], vgl. auch LENGERMANN & NIEBRUGGE 2007). <zurück>

8) Die sogenannten sweatshops waren Betriebe und Manufakturen, in welchen überwiegend gering qualifizierte Frauen zu sehr niedrigen Löhnen und sehr schlechten Arbeitsbedingungen arbeiteten. Produkte, die oft zur Textilindustrie gehörten, wurden dabei häufig in Mietwohnungen ohne Trennung von Wohnen und Arbeit (KELLEY 2007 [1895]) günstig vorgefertigt und dann an größere Betriebe geliefert (BRACHES-CHYREK 2017). Das System galt als gut geeignet, um Kinderbetreuung und Lohnarbeit miteinander zu vereinbaren (MIETHE 2012). KELLEY beschrieb auf Grundlage ihrer Untersuchungen in den HHMPs den Zustand des Sweating-Systems wie folgt:

"The sweater differ from the cutters in their relation to the manufacturers, in that the sweaters have no organization, and are incapable of making any organized demand for a standard of price. They are separated by differences of religion, nationality, language, and location. As individuals they haggle with the manufacturers, undercutting each other, and calculating upon their power to reduce theirs; and as individuals they tyrannize over the victims who have the misfortune to work in their shops"(2007 [1895], S.65). Die Arbeiter:innen in den Shops seien in jeglicher Hinsicht als Individuen auf sich allein gestellt, abhängig von dem Wohlwollen der Fabrikbesitzer und getrennt von den Arbeiter:innen in anderen Shops gewesen, insbesondere durch die jeweils "shop-spezifische" Sprache. <zurück>

9) Keine freundschaftlichen Beziehungen bestanden allerdings zu Robert Ezra PARK, der 1913 nach Chicago kam und 1918 eine feste Anstellung an der Universität erhielt. PARK war Verfechter eines entschiedenen Programms der Abgrenzung zwischen Sozialforschung und Sozialreform, in dem die Soziologie eine Naturwissenschaft sein sollte. Der Sozialreformbewegung stand er überaus ablehnend gegenüber und tat sie als "do-goodism" ab – obwohl seine Ehefrau Clara Cahill PARK selbst eine Vertreterin davon war (DEEGAN 2006, S.101). <zurück>

10) Zur Atlanta School of Sociology schrieb Debora NIERMANN (2020, Anm.5): "Hierzulande kaum wahrgenommen, wurde in den USA bereits vor einiger Zeit (BURAWOY 2006, S.14) die Eigenerzählung der disziplinären Entwicklungsgeschichte umgeschrieben bzw. mit Blick auf die Bedeutung der von DU BOIS begründeten Atlanta School zumindest erweitert. DU BOIS zog nach seinem Abschluss als erster afroamerikanischer Promovend an der Harvard University in das – ähnlich wie Chicago – von Industrialisierungs- und Ethnizitätsfragen bewegte Atlanta. Seine für die Rassismusforschung bis heute bedeutsamen Arbeiten 'The Philadelphia Negro' (1973 [1899]) und 'The Souls of Black Folk' (2007 [1903]) basierten auf umfassender Feldforschung und konstituierten die Tradition empirischer Stadtsoziologie bereits zur Jahrhundertwende (MORRIS 2015)". <zurück>

11) Vgl. hierzu die Ausstellung "Participatory Arts: Crafting Social Change at Hull-House" im Chicagoer Hull House-Museum von September 2018 bis Juli 2019, https://www.hullhousemuseum.org/participatory-arts-crafting-social-change-at-hullhouse [Zugriff: 9. August 2022]. <zurück>

12) Die arts and crafts-Bewegung entstand im ausgehenden 19. Jahrhundert in England im Fahrwasser der industriellen Revolution. Durch die Betonung von Kunsthandwerk sollte ein Gegengewicht zu Massenproduktion, wahrgenommener Entfremdung des Menschen von der Arbeit und dem Verlust vorindustrieller Ästhetik geschaffen werden. Ein Vordenker der Bewegung war William MORRIS; eine seiner berühmten Tapeten, von denen nicht wenige seine Tochter entworfen hatte, hing auch im Schlafzimmer von Jane ADDAMS. <zurück>

13) Diesen Hinweis verdanken wir Katharina MIKO-SCHEFZIG. <zurück>

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Zu den Autorinnen

Ursula OFFENBERGER ist Juniorprofessorin am Methodenzentrum der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Tübingen und leitet den Arbeitsbereich Qualitative Methoden und Interpretative Sozialforschung. Ihre Forschungsinteressen umfassen Grounded-Theory-Methodologie und Situationsanalyse, Gender Studies und Wissenschafts- und Technikforschung.

Kontakt:

Juniorprofessorin mit Schwerpunkt Lehre Dr. Ursula Offenberger

Eberhard Karls Universität Tübingen
Methodenzentrum
Fakultät für Sozialwissenschaften
Haußerstraße 11, D-72076 Tübingen

Tel.: +49 (0)7071-2977513

E-Mail: ursula.offenberger@uni-tuebingen.de
URL: https://uni-tuebingen.de/fakultaeten/wirtschafts-und-sozialwissenschaftliche-fakultaet/faecher/fachbereich-sozialwissenschaften/methodenzentrum/institut/personal/offenberger-ursula-prof/

 

Leah STANGE (M.A.) absolvierte ihren Bachelor in Sozialpädagogik, Sozialarbeit und Wohlfahrtswissenschaften in Dresden und hat in Tübingen den Master Forschung und Entwicklung in der sozialen Arbeit studiert. Ihre Forschungsinteressen liegen bei Dekolonialisierung, Autoethnografie und ostdeutscher Identität. Sie arbeitet im Quartiersmanagement der Stadt Herrenberg.

Kontakt:

Leah Stange

Stadtverwaltung Herrenberg
Bronngasse 13, D-71083 Herrenberg

Tel.: +49 (0)7032-2018971

E-Mail: l.stange@herrenberg.de
URL: https://www.herrenberg.de/de/Rathaus/Stadtverwaltung/Mitarbeiter-A-Z/Mitarbeiter?view=publish&item=staff&id=1654

 

Sofia KOHLER (M.A.) hat in Stuttgart an der Dualen Hochschule Soziale Arbeit mit dem Schwerpunkt Elementarpädagogik und in Tübingen allgemeine Erziehungswissenschaft studiert. Sie arbeitet in Magdeburg als Gewerkschaftssekretärin für die GEW Sachsen-Anhalt.

Kontakt:

Sofia Kohler

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Sachsen-Anhalt
Markgrafenstraße 6, D-39114 Magdeburg

Tel.: +49(0)391-7355445

E-Mail: sofia.kohler@gew-lsa.de
URL: https://www.gew-sachsenanhalt.net/kontakt/hauptamtliche

 

Anna Maria KAMENIK studiert in Tübingen allgemeine Erziehungswissenschaft und ist als Pädagogin, Referentin und Autorin sowie auf Instagram (@demokratie_paedagogin) in der Demokratie- und Wertebildung tätig. Sie arbeitet außerdem bei der Landesakademie für Jugendbildung in Weil der Stadt.

Kontakt:

Anna Maria Kamenik

Adresse ist der Redaktion bekannt

E-Mail: post@annamariakamenik.de

Zitation

Offenberger, Ursula; Stange, Leah; Kohler, Sofia & Kamenik, Anna Maria (2023). Sozialwissenschaftsgeschichte performativ erzählt. Hintergrund und Entstehung des Webcomics "Pragmatism Reloaded. Die Siedlerinnen von Chicago" [43 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 24(1), Art. 8, http://dx.doi.org/10.17169/fqs-24.1.3946.

Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research (FQS)

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