header image

Volume 26, No. 2, Art. 24 – Mai 2025

Selbstreflexivität als Erkenntnischance – am Beispiel der Forschung zu DDR-Leistungssportler*innen als Dopingopfern

Annemarie Bierstedt

Zusammenfassung: Selbstreflexion der Forschenden ermöglicht es, Subjektivität und Forschungsinteraktion als produktive Erkenntnischance zu nutzen. In diesem Beitrag veranschauliche ich meinen selbstreflexiven Erkenntnisprozess, durch den vor dem Hintergrund des vorherrschenden einseitigen Diskurses zur DDR-Leistungssport- und Dopingvergangenheit eine Erweiterung meiner Interpretationsperspektive möglich wurde. In der Studie führte ich 15 biografisch-narrative Interviews (SCHÜTZE 1983) mit DDR-Leistungssportler*innen, von denen einige staatlich anerkannte Dopingopfer waren, und wertete diese nach der reflexiven Grounded-Theory-Methodologie (BREUER, MUCKEL & DIERIS 2019) aus. Schwerpunkt dieses Artikels ist der Wandel meiner Sichtweise auf den Untersuchungsgegenstand, den ich anhand der Arbeitsschritte des Feldzugangs, der Interviewerhebung sowie ausgewählter Ergebnisse nachzeichne. Bereits meine Bemühungen zur Rekrutierung von Gesprächspartner*innen, die zu den im wissenschaftlichen Kontext üblichen Opfernarrationen kontrastierende Sichtweisen äußerten, deuten auf die problematische gesellschaftliche Aushandlung der DDR-Vergangenheit im Feld hin. Eine weitere Erkenntnis war, die hervorgebrachten psychologisierten Opfernarrationen sowohl als Interaktionseffekt als auch als Konstruktionsprodukt zwischen mir als Forscherin mit meinen Präkonzepten und den Darstellungen der Erzählenden in der Interviewsituation zu verstehen. Mit den rekonstruierten Erfolgs- und Entwicklungs- sowie den leidbedingten Wachstumsnarrationen konnte ich das Spektrum an Selbstdeutungs- und Verarbeitungsweisen von DDR-Athlet*innen erweitern und differenzieren. Für die Forschungspraxis zur DDR lässt sich die Bedeutung einer selbstreflexiven methodischen Vorgehensweise sowie einer sozialkonstruktivistischen Perspektive auf biografische Selbstkonstruktionen ableiten.

Keywords: Selbstreflexivität; reflexive Grounded-Theory-Methodologie; DDR-Leistungssport; Doping; DDR-Forschung; Aufarbeitung; narratives Interview; narrative Identität

Inhaltsverzeichnis

1. Methodisches und diskursives Desiderat als Ausgangspunkt

2. Selbstreflexion der subjektseitigen Vorprägungen

3. Forschungsinteresse und theoretische Fundierung: Sozialkonstruktivismus

3.1 Soziale Konstruiertheit von Biografie und Identität

3.2 Das Konzept der narrativen Identität

4. Methodisches Vorgehen und methodologische Aspekte

5. Selbstreflexionen im Forschungsprozess

5.1 Herausforderungen des Feldzugangs

5.2 Vorprägungen der Interviewinteraktion

5.3 Selbstdeutungs- und Verarbeitungsweisen von DDR-Leistungssportler*innen

6. Diskussion und Fazit

Anmerkungen

Literatur

Zur Autorin

Zitation

 

1. Methodisches und diskursives Desiderat als Ausgangspunkt

Am wissenschaftlichen und öffentlichen Diskurs über die DDR wurde von einigen Autor*innen die einseitige, unterkomplexe Darstellung der DDR als Unrechtsstaat und Diktatur kritisiert (z.B. HEẞ 2016; KOWALCZUK 2019a; MATTHÄUS & KUBIAK 2016). Während "der Westen" als (richtige) Norm gelte, werde "der Osten" als (falsche) Abweichung konstruiert (AHBE 2004). Dies sei problematisch, weil ostdeutsche Biografien dadurch diskursiv-symbolisch abgewertet würden (HAAG 2020) und sich viele ostdeutsche Bürger*innen nicht damit identifizieren könnten und unverstanden fühlten, was einer demokratie- und einheitsfördernden Wirkung der Aufarbeitung zuwiderlaufe (HEẞ 2016; KOWALCZUK 2019a). So sei zwischen dem Großteil ostdeutscher Erfahrungen und der westdeutsch dominierten öffentlichen Aufarbeitung (HAAG 2020) eine "Diskurs-Lücke" (AHBE 2005, S.43) produziert worden, durch die DDR-Leben jenseits von Leid, Repressionserfahrungen und Widerstand nicht hinreichend berücksichtigt würden. Das Zustandekommen des einseitigen Diskurses wurde auch mit der Dominanz quantitativ-standardisierter Studien und der Übertragung westlicher Theorienansätze auf die DDR begründet (MATTHÄUS & KUBIAK 2016; MIETHE 2024). Stattdessen schlug MIETHE (2024) vor, einen biografischen, an der Grounded-Theory-Methodologie (GTM; GLASER & STRAUSS 1967) orientierten und durch Selbstreflexivität ergänzten Ansatz zu verwenden. Die Reflexion der Einflüsse des Forschungssubjekts und der Interaktion auf die Datenerhebung und -auswertung sei notwendig, um "spezifische dominanzkulturelle Machtverhältnisse zwischen Ost und West" (MIETHE 2024, S.120) berücksichtigen zu können. Angesichts dieser Kritik am Diskurs über die DDR habe ich mich gefragt, welche Erkenntnischancen die reflexive Grounded-Theory-Methodologie (RGTM; BREUER, MUCKEL & DIERIS 2019) für meine Studie "Biografische Verläufe und Selbstkonstruktionen von DDR-Leistungssportler*innen" erbringen kann. Durch die RGTM wird die klassische GTM erweitert, indem Subjektivität und Selbstreflexivität genutzt werden, um neue Befunde zu generieren. [1]

Ausgangspunkt war meine wissenschaftliche Tätigkeit im mittlerweile abgeschlossenen Verbundprojekt Gesundheitliche Langzeitfolgen von SED-Unrecht. Ziel dort war die Untersuchung der körperlichen, psychischen, psychosomatischen und biografischen Folgen für verschiedene "SED-Opfergruppen" sowie die Verbesserung der Behandlung und Therapie der Betroffenen. Mir wurde das Teilprojekt zu den Folgeschäden von DDR-Dopingopfern anvertraut. GEIPEL (2017, S.11) ging von "flächendeckende[m] Zwangsdoping von 15.000 Kaderathleten [...] und zwar großteils von Kindern und Jugendlichen" aus, von denen vermutlich etwa 1.000 Betroffene schwer geschädigt worden sind (SPITZER 2007, S.29f.). Die medial (z.B. GERSTENBERGER 2024) und durch Opferinstitutionen (z.B. DOPING-OPFER-HILFE e.V. 2024) reklamierte Anerkennung und Entschädigung der Betroffenen für ihr anhaltendes Leiden sowie der unzureichende Wissensstand über diese Problematik repräsentierten die Hintergrundfolie meines Projekts. [2]

Der Untersuchungsstand ist bisher gekennzeichnet durch die Dominanz quantitativer Studien und die Perspektive des SED-Unrechts. Den Ergebnissen der Studien (z.B. FREYBERGER et al. 2018; SPITZER 2007) zufolge wurden die Folgeschäden für Dopingopfer als komplex und schwerwiegend beurteilt. Sie beinhalteten nicht nur die Beeinträchtigung der psychischen und körperlichen Gesundheit, sondern auch persönliche, berufliche und soziale Einschränkungen als Begleiteffekte. Dabei wurde eine inhaltliche Forschungslücke hinsichtlich der systematischen Untersuchung der ausgeprägten, psychischen Folgeschäden "der verabreichten Substanzen sowie [...] [der] Lebens- und Trainingsbedingungen" (BUHRMANN, RICHTER, BUHRMANN & KLAUER 2021, S.342) identifiziert. Hier schloss ich als Projektmitarbeiterin thematisch an, unter besonderer Berücksichtigung eines zusätzlich potenziell schädigenden Einflusses des Elternhauses der Athlet*innen und der Gesamtheit dieser Auswirkungen auf deren Identitätsentwicklung. Das methodische Desiderat und meine persönlichen Präferenzen bezüglich qualitativ-interpretativer Forschung veranlassten mich, einen solchen Ansatz zu wählen. Damit zielte ich – auch durch die Auseinandersetzung mit der Kritik am Diskurs über die DDR – auf die Rekonstruktion der subjektiven Erfahrungen und Relevanzsetzungen der Leistungssportler*innen ab, wobei meine Aufmerksamkeit einer multiperspektivischen Erfassung der DDR-Vergangenheit galt. [3]

In diesem Beitrag zeige ich, wie sich mittels des Arbeitens mit der RGTM (BREUER et al. 2019) meine Perspektive auf den Analysegegenstand erweitert hat und ich zu einem diversifizierten Wissen über die DDR-Leistungssport- und Dopingvergangenheit und deren biografische Folgen gelangt bin. Wesentlich dafür war, die Charakteristika des Forschungssubjekts (also meiner Person und die meiner Forschungsgruppe) und der Interaktion mit den Interviewpartner*innen in diesem Zusammenhang reflexiv in die Theoriebildung einzubeziehen. Im Zentrum des Artikels steht die Darstellung meiner methodischen Vorgehensweise, wobei ich mich am wissenschaftlichen Prinzip der Transparenz orientiere (FLICK 2014). In Abschnitt 2 lege ich zunächst die Subjektcharakteristika sowie Denk- und Deutungsmuster offen, die von Anfang an prägend waren. In Abschnitt 3 erläutere ich die Konzepte "Biografie" und "narrative Identität" aus sozialkonstruktivistischer Perspektive, die die Arbeit theoretisch und methodologisch gerahmt haben. Daran anschließend lege ich in Abschnitt 4 mein selbstreflexives Vorgehen nach der RGTM (BREUER et al. 2019) dar und die Art und Weise, wie ich die Erhebung mittels narrativer Interviews (SCHÜTZE 1983) sowie deren Auswertung anhand der GTM (STRAUSS & CORBIN 1990) vollzogen habe. In Abschnitt 5 zeichne ich die einzelnen Schritte des Erkenntniskonstruktionsprozesses nach, durch welchen ich zu dem Wandel meiner Betrachtungsweise gekommen bin. Ich gehe zuerst auf meine Bemühungen bei Feldzugang und Rekrutierung von Gesprächspartner*innen ein, angesichts der institutionellen Rahmungen möglichst vielfältige Perspektiven auf die DDR-Leistungssportvergangenheit zu erfassen. Es folgt eine Reflexion der Erhebungssituation, welche durch vielfach erzählte Opfergeschichten vorgeprägt war. Zusätzlich wurde ein Teil der Interviews in der Interaktion durch meinen "'Appeal'" (BREUER et al. 2019, S.84) für die Untersuchungspartner*innen und meine Reaktionen als klinische Psychologin psychologisiert. Außerdem möchte ich teils erwartete, teils mich überraschende (Selbst-) Deutungs- und Verarbeitungsvarianten von DDR-Athlet*innen vorstellen, die ich bei meiner Interpretation der Daten erarbeitet habe und durch die ich zu meiner Perspektivenerweiterung gelangt bin. Abschließend werde ich in Abschnitt 6 meine Erfahrungen und Befunde diskutieren, in wissenschaftliche Diskurse einordnen sowie daraus methodologische und methodische Implikationen ableiten. [4]

2. Selbstreflexion der subjektseitigen Vorprägungen

Gemäß der RGTM eröffnet eine selbstreflexive Vorgehensweise "produktive[] Erkenntnischancen" (S.85). Den epistemologischen Hintergrund bildet der Konstruktivismus (z.B. KNORR-CETINA 1989), bei dem davon ausgegangen wird, dass Wissen und Wirklichkeit sozial hergestellt sind und multiple Wirklichkeitsperspektiven existieren. Das Ideal eines objektiven, von den Eigenschaften der Forschenden unbeeinflussten Wissens wird infrage gestellt. Stattdessen gelten Erkenntnisse als sowohl durch den Standpunkt und die Sichtweise des erkennenden Subjekts als auch durch dessen Interaktion mit dem Untersuchungsgegenstand und -feld (vor)geprägt: "Es handelt sich um Konstruktionen aus einer spezifischen (Beteiligten- oder Beobachter-) Perspektive, in einem bestimmten Diskursrahmen, für spezielle Zwecke, zu einem gegebenen Zeitpunkt" (BREUER et al. 2019, S.54, siehe auch MRUCK, ROTH & BREUER 2002; ROTH, BREUER & MRUCK 2003). Im Folgenden beschäftige ich mich mit den Präkonzepten, durch die meine Forschungstätigkeit beeinflusst wurde. [5]

Zu Beginn war mein Blick auf die Dopingopfer und das Unrecht im DDR-Leistungssport fokussiert. Dies wurde sowohl durch den institutionellen Kontext meiner wissenschaftlichen Tätigkeit als auch durch den 35 Jahre nach dem Mauerfall weiterhin einseitig auf die Anklage der Täter*innen und die Aufarbeitung für die Opfer konzentrierten gesellschaftlichen Diskurs über die DDR (KOWALCZUK 2019a) beeinflusst. Jene Perspektive spiegelte sich im Forschungsthema, in der Fachliteratur und im Diskursrahmen wider. Aus medizinischer (BUHRMANN et al. 2021; FREYBERGER et al. 2018) und sporthistorischer Sicht (SPITZER 2007) wurde in quantitativen Studien das Ausmaß gesundheitlicher, persönlicher und sozialer Folgeschäden bei DDR-Leistungssportler*innen mithilfe halbstandardisierter und standardisierter Instrumente untersucht. Mitunter waren diese Arbeiten im Rahmen der medizinischen Begutachtung von Betroffenen nach dem Dopingopfer-Hilfegesetz (DOHG)1) entstanden. Dabei wurde von der Hypothese ausgegangen, dass DDR-Leistungssportler*innen zwangsweise gedopt und geschädigt worden waren. Eine ausgeprägte psychische Beeinträchtigung der zwangsgedopten DDR-Leistungssportler*innen wurde v.a. jüngst hervorgehoben (BUHRMANN et al. 2021; KROGMANN, FLEMMING & SPITZER 2024). Neben dem Doping wurden körperliche, psychische und sexuelle Gewalt- und Missbrauchserfahrungen durch Sportsystemvertreter*innen, politische Unterdrückung durch den Staatssicherheitsdienst (Stasi), Sanktionierungsmaßnahmen, Trainingsüberlastung und Leistungsdruck als schädigend betont (BUHRMANN et al. 2021; FREYBERGER et al. 2018; KROGMANN et al. 2024). Zum Beispiel kam SPITZER (2007, S.44) zu dem Schluss, dass alle befragten DDR-Leistungssportler*innen zwangsgedopt worden seien; die Mehrheit habe zudem "insgesamt negative Ereignisse 'als typisch für den Leistungssport in der ehemaligen DDR'" wie Straftraining und Stasi-Kontakterfahrungen angesehen. Ein weiteres zentrales Ergebnis waren die "bis heute dramatischen Folgen für das tägliche Leben der Betroffenen und ihrer Familien" (S.14), wozu neben den häufig schweren psychischen und körperlichen Schädigungen auch beruflich-finanzielle Benachteiligungen sowie familiär-partnerschaftliche Belastungen und geschädigte Kinder der Opfer gezählt wurden. [6]

Vor diesem Hintergrund entwickelte ich eine anfängliche Wahrnehmungsperspektive der DDR-Leistungssportvergangenheit, die primär auf Zwangsdoping, Gewalt, Leid und Opferstatus begrenzt war. Erst durch die Lektüre von Erfahrungsberichten zweier erfolgreicher DDR-Leistungssportler*innen und heutiger Dopingopfer, die sowohl von sportlichen Erfolgen, sozialer Anerkennung und Selbstwertstützung als auch von Doping und gesundheitlichen Schäden erzählten (HUNGER, MAENNIG & GROTHE 2021), begann sich meine Sichtweise zu verändern. [7]

Zudem waren auch disziplinäre und persönlich-biografische Subjektcharakteristika von Bedeutung. Meine Interaktionsweise mit den Interviewten und die "Brille" (BREUER et al. 2019, S.222), mit der ich das Forschungsfeld und das mir Erzählte betrachtete, waren durch meine wissenschaftliche Sozialisation in die Psychologie und klinisch-psychotherapeutische Berufserfahrungen beeinflusst worden. Durch meine Sportaffinität begegnete ich auch Erzählungen von Sinnstiftung und Vergnügen im Sporthandeln mit besonderer Aufmerksamkeit. Außerdem wurde mein wissenschaftliches Interesse an einer methodischen und diskursiven Perspektivenerweiterung auf die DDR-Vergangenheit maßgeblich durch meine zusätzliche kulturwissenschaftliche Ausbildung und meine ostdeutsche Biografie modelliert: Meine Herkunftsfamilie lebte in und mit der DDR, ohne sich als Opfer, Oppositionelle oder Verfolgte zu verstehen. Ich selbst wurde 1990 in den gesellschaftspolitischen Umbruch hineingeboren. Dadurch teilte ich die "spezifisch ostdeutsche Erfahrung [...] der 'Übernahme' durch die Bundesrepublik" (KOWALCZUK 2019b, S.19) sowie die damit verbundenen sozialen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Enttäuschungen und Frustrationen der Folgejahre. Ebenso lernte ich, meine ostdeutsche Herkunft in westdeutsch geprägten Kontexten besser zu verschweigen. [8]

3. Forschungsinteresse und theoretische Fundierung: Sozialkonstruktivismus

3.1 Soziale Konstruiertheit von Biografie und Identität

Im Folgenden skizziere ich die Konzepte "Biografie" und "narrative Identität" aus Perspektive des Sozialkonstruktivismus, durch welche ich die Arbeit theoretisch begründete. Mein von den erläuterten Präkonzepten geprägtes Forschungsinteresse richtete sich auf die Leistungssport- und Lebensgeschichten sowie identitätsrelevanten Aspekte von DDR-Athlet*innen. Leitend war die offene Forschungsfrage, welche biografischen Verläufe und Selbstdeutungen vor dem Hintergrund der DDR-Leistungssportvergangenheit von den Erzählenden konstruiert würden. Den erkenntnistheoretischen und methodologischen Bezugsrahmen der Studie bildeten der Sozialkonstruktivismus (BERGER & LUCKMANN 1980 [1966]; KNORR-CETINA 1989) sowie die Identitätskonzeption des symbolischen Interaktionismus (BLUMER 1969; MEAD 1968 [1934]). Demnach werden Entitäten wie "Selbst" und "Identität" in der sozialen Interaktion mittels diskursiver Praktiken hervorgebracht und aufrechterhalten. Sie sind somit nicht unabhängig oder außerhalb davon – in einem objektiven oder positivistischen Sinne – zugänglich. Die sozial hervorgebrachte Identität ist durch Selbstreflexions-, soziale Spiegelungs- und Aushandlungsprozesse geformt (MEAD 1968 [1934]). Zudem ist sie in soziale Diskurse eingebettet. Damit kommt der Sprache als Medium der Identitätsarbeit besondere Bedeutung zu: In der interpersonalen Verständigung werden Selbstkonstruktionen entworfen, dargestellt, ausgehandelt oder zurückgewiesen, was die Vorstellung von Identität als aktiver Herstellungsleistung des Subjekts unterstreicht (SHOTTER & GERGEN 1989). Die Individuen nutzen gesellschaftlich vermittelte Narrative, Deutungs- und Geschichtenmuster als Ressourcen ihrer Identitätskonstruktionen, welche sie sich von spezifischen Sinnstiftungsagenturen, etwa den Medien, angeeignet haben (LUCIUS-HOENE & DEPPERMANN 2004; ROESLER 2001). [9]

Dieser Identitätsbegriff ist eng mit dem Konzept der "Biografie" verbunden. Biografische Selbstthematisierungen werden grundsätzlich als Konstrukte verstanden (MIETHE 2024). Die Individuen selegieren, integrieren und interpretieren vergangene Erfahrungen, um eine sinnhafte, kohärente Lebensgeschichte zu erzählen (POLKINGHORNE 1998). Biografien werden dabei aus der Gegenwartsperspektive konstruiert (FISCHER-ROSENTHAL 1995) und stellen ein Produkt aus "der wechselseitigen Beziehung zwischen dem damals Erlebten und seiner heutigen Darbietung im Akt der Zuwendung" (ROSENTHAL 1995, S.189) dar. Darüber hinaus sind sie auch soziale Konstruktionen (BERGER & LUCKMANN 1980 [1966]; VÖLTER, DAUSIEN, LUTZ & ROSENTHAL 2005), die in soziale und zeithistorische Kontexte eingeflochten sind. So können in biografischen Erzählungen "Muster der individuellen Strukturierung und Verarbeitung von Erlebnissen in sozialen Kontexten" rekonstruiert werden, die "dabei immer auf gesellschaftliche Regeln, Diskurse und soziale Bedingungen" (VÖLTER et al. 2005, S.7) hindeuten. Für das Forschungsziel meiner Studie bedeutete dies, dass durch die Analyse biografischer Selbstkonstruktionen von DDR-Leistungssportler*innen die Erfassung der Vielfalt geschlechts-, alters-, generations- und gesinnungsabhängiger Facetten von DDR-Wirklichkeit und -Vergangenheitsdeutung möglich wurde (MIETHE 2024). [10]

3.2 Das Konzept der narrativen Identität

Zur identitätstheoretischen Fundierung meiner Herangehensweise eignete sich das Konzept der "narrativen Identität" (z.B. KEUPP et al. 1999; POLKINGHORNE 1998; ROSENTHAL 1995). Demnach interpretieren Individuen ihre Lebenserfahrungen in der autobiografischen Erzählung, verleihen ihnen Sinn und konstruieren dabei ein kohärentes Selbstbild. LUCIUS-HOENE und DEPPERMANN (2004, S.55) verstanden unter narrativer Identität "die Art und Weise, wie ein Mensch in konkreten Interaktionen Identitätsarbeit als narrative Darstellung und Herstellung von jeweils situativ relevanten Aspekten seiner Identität leistet". Sie hat mehrere Dimensionen: Im Erzählen werden Identitätsaspekte der eigenen Person dargestellt, wird Kontinuität der Selbsterfahrung über die zeitlich-biografischen Veränderungen hinweg sinnhaft hergestellt sowie Identität sozial ausgehandelt und moralisch verortet. Als eine an die konkrete Erzählsituation und den Erzählkontext gebundene Konstruktion ist die narrative Identität auf die zuhörende Person ausgerichtet, welche in die erzählerische Darstellung einbezogen wird (a.a.O.). Zum einen ermöglichen kognitive Figuren wie Biografieträger*in, Ort, Zeit, situative Umstände, Erfahrungs- und Ereignisketten (SCHÜTZE 1984) und die Zugzwänge des Erzählens (vgl. zu Kondensierung, Detaillierung und Gestaltschließung KALLMEYER & SCHÜTZE 1977, S.187ff.), dass die Erzählung für die Zuhörenden nachvollziehbar wird. Zum anderen müssen die Wirkung des Erzählten auf die Hörer*innen und deren (antizipierte) Reaktionen in die Darstellungsweise einbezogen werden (LUCIUS-HOENE & DEPPERMANN 2004). So kann die eigene Leidensgeschichte je nachdem, ob sie Freund*innen oder Vertreter*innen einer öffentlichen Institution erzählt wird, ganz unterschiedlich gestaltet sein. Mit dieser Überlegung wird der Fokus auf die soziale Dimension biografischer Selbstkonstruktionen und deren Funktionen gelenkt. Lebensgeschichten dienen dazu, "ein bestimmtes Selbstbild zu vermitteln, sie haben eine Funktion für die Person im Hier-und-Jetzt, im sozialen Diskurs" (ROESLER 2001, S.10). Sie fungieren als Ressourcen, die zum Zwecke des Identitätsmanagements in konkreten Interaktionssituationen eingebracht werden (GOFFMAN 1975 [1963]). [11]

Ausgehend von der Idee der sozialen Konstruktion von Wirklichkeit schlugen DAUSIEN und KELLE (2005) eine Verknüpfung von Ethnografie und Biografieforschung vor, um bei der Analyse von Lebensgeschichten die sozial-interaktiven Kontexte ihrer Hervorbringung wie kollektive kulturelle Muster, "längerfristige Prozesse der sozialen 'Ko-Konstruktion'" (S.206) und den Forschungsprozess einzubeziehen. Dies impliziert, die methodischen, praktischen und interaktiven Rahmungen der Interviewsituation für die Interpretation systematisch zu berücksichtigen. [12]

4. Methodisches Vorgehen und methodologische Aspekte

Bei der Beschreibung, wie ich methodisch selbstreflexiv vorgegangen bin, orientiere ich mich chronologisch an den Arbeitsschritten des Feldzugangs und der Rekrutierung von Untersuchungspartner*innen, der Datenerhebung sowie der Interpretation. In der Praxis stellte sich die Dynamik der Erkenntnisgewinnung jedoch eher als sprunghaft, inkonsistent und rekursiv dar. [13]

Die Studie lässt sich im ethnografisch-interpretativen Paradigma verorten. Die Interview- und Auswertungsmethoden wählte ich nach den Prinzipien "Offenheit" und "Forschung als Kommunikation" der qualitativen Sozialforschung (LAMNEK 2005, S.20). Der Feldzugang erfolgte anfangs über Betroffeneninstitutionen, was durch den institutionellen Rahmen meiner Studie begründet und gebahnt war. Dadurch war meine Rolle als wissenschaftliche Mitarbeiterin eines Projektes zur Aufarbeitung von SED-Unrecht klar erkennbar. [14]

Beim Erschließen des Feldes der DDR-Athlet*innen, die mit einschlägigen Opferinstitutionen vernetzt waren, ging ich teilweise offen ethnografisch vor (DAUSIEN & THOMA 2023): Ich führte informelle Gespräche mit den Feldmitgliedern und nahm an Veranstaltungen teil, um mich mit den Herausforderungen der Betroffenen und dem Untersuchungsgegenstand vertraut zu machen. Außerdem dokumentierte ich meine Beobachtungen und Erfahrungen in Feld- und Gesprächsnotizen sowie in einem Forschungstagebuch, um diese in die Erkenntniskonstruktion einbeziehen zu können (BREUER et al. 2019). [15]

Vor der Erhebung hatte ich das Einverständnis der Ethikkommission der Medizinischen Fakultät der Universität Rostock im übergeordneten Projektkontext eingeholt. Die Teilnehmenden erhielten vor der Interviewdurchführung neben Studien- und Datenschutzinformationen ein persönliches Anschreiben. Darin erläuterte ich detailliert das Erkenntnisinteresse, die Anonymitätswahrung der erhobenen Daten, meinen professionellen Hintergrund als Psychologin und meine persönlichen Beweggründe für die Studie, um Vertrauen aufzubauen (ROSENTHAL 1995). Unmittelbar vor den Interviews unterzeichneten die Gesprächspartner*innen eine Einverständniserklärung zu den Vorgaben einschließlich der Transkription. Dadurch waren Freiwilligkeit und informierte Zustimmung zur Teilnahme sichergestellt (VON UNGER 2014). [16]

Um einen verstehenden Zugang zu den subjektiven Relevanzsetzungen und Deutungsperspektiven der Erzählenden herzustellen, wählte ich das biografisch-narrative Interview (SCHÜTZE 1983). Diese Methode ist in der deutschsprachigen Biografieforschung weit verbreitet (HAAG 2020) und ermöglicht die Rekonstruktion narrativer Identität (LUCIUS-HOENE & DEPPERMANN 2004). Bei diesem Vorgehen wird darauf abgezielt, eine biografische Erzählung hervorzurufen und aufrechtzuerhalten, ohne dass einem Frage-Antwort-Schema gefolgt wird. Stattdessen erhalten die interviewten Personen als "Experten ihres Lebens und ihres Alltags" (ROSENTHAL 1995, S.190) größtmöglichen Freiraum in der Interpretation und Darstellung ihrer Lebensgeschichte, während die Interviewenden eine zurückhaltende Rolle einnehmen. Dadurch werden explizite Vorstrukturierungen oder Relevanzsetzungen ex ante vermieden. Ich gab lediglich den groben thematischen Rahmen vor, derweil ein Gesprächsleitfaden der Sicherung des Erzählflusses und der thematischen Fokussierung diente. In den Interviews bat ich die Teilnehmenden mit einer offenen Anfangsfrage um die Erzählung ihrer DDR-Leistungssportgeschichte, einschließlich der Umstände ihres Ein- und Ausstiegs, ihrer Sporterfahrungen und ihres Karriereverlaufs. Dabei ermutigte ich sie, alles zu erzählen, was aus ihrer Sicht relevant erschien. Während der Haupterzählung verzichtete ich auf Detailfragen und thematisches Gegensteuern, sondern unterstützte den Erzählfluss durch aufmerksames Zuhören (a.a.O.). Dies sollte sowohl das Vertrauen fördern als auch die Thematisierung belastender Erlebnisse und sensibler Angelegenheiten erleichtern. Im Nachfrageteil regte ich mit weiteren erzählgenerierenden Fragen die Erzählung über das Leben nach der Sportkarriere oder dem gesellschaftspolitischen Umbruch 1989/90 sowie über Dopingerfahrungen an, falls darauf noch nicht eingegangen worden war. Die exmanente Nachfrage zum Doping war im übergeordneten Projektrahmen begründet. Zusätzlich stellte ich immanente Fragen zu angedeuteten, aber nicht weiter ausgeführten Erfahrungen. [17]

Ich dokumentierte subjektive Eindrücke und körperlich-emotionale Resonanzen zur Interviewinteraktion in Protokollen und einem Forschungstagebuch, um dies selbstreflexiv in die Theoriebildung einbeziehen zu können (BREUER et al. 2019). Zwischen Februar 2022 und August 2023 führte ich insgesamt 15 narrative Interviews mit DDR-Leistungssportler*innen, von denen einige staatlich anerkannte Dopingopfer waren. Die Gespräche dauerten eine bis drei Stunden und wurden mit einem Diktiergerät aufgezeichnet. Die Transkription erfolgte entweder durch mich selbst mithilfe der QDA-Software MAXQDA oder aus Zeitgründen durch eine professionelle Firma. Auch bei der Datenanalyse verwendete ich MAXQDA. Alle Transkripte wurden sorgfältig anonymisiert, sodass die in Abschnitt 5 genannten Athlet*innen unter Pseudonymen erscheinen (SAUNDERS, KITZINGER & KITZINGER 2015). [18]

Für die Interpretation verwendete ich die Kodierregeln aus der GTM (STRAUSS & CORBIN 1990), mit welchen auf die Entwicklung neuer theoretischer Konzepte und Theorien aus den Daten abgezielt wird und welche sich durch Offenheit in der Begriffsbildung auszeichnen. Als gegenstandsbegründete und kontextsensitive Methodologie eignet sich die GTM auch zur Analyse narrativer Identität (LUCIUS-HOENE & DEPPERMANN 2004). Die Theorieentwicklung erfolgt durch die Kodierung empirischer Phänomene, wobei diesen datennahe Begriffe sowie Ideen höherer Abstraktionsebene zugeordnet werden. Im weiteren Verlauf werden diese dann zu theoretisch relevanten Konzepten und höherwertigen Kategorien verdichtet. [19]

Nach der RGTM (BREUER et al. 2019) und der konstruktivistischen GTM (CHARMAZ 2006) sind neue Konzepte das Produkt gedanklicher Konstruktionsleistungen der Forschenden. Das Analyseergebnis hängt nach dem Ansatz der RGTM vom Vorwissen und Standpunkt der Forschenden ab, da die Bedeutung eines empirischen Phänomens auf Basis von deren (zu reflektierenden) Präkonzepten hermeneutisch erschlossen wird (siehe auch MRUCK et al. 2002; ROTH et al. 2003). Theoretische Sensibilität ist notwendig, da dadurch heuristische Konzepte zur Identifikation theoretisch relevanter Konzepte und Hypothesen zur Verfügung stehen (KELLE 1997). Durch die Interpretationsarbeit verändert sich das Vorwissen der Forschenden; es wird "befestigt, verunsichert, modifiziert, bereichert" (BREUER et al. 2019, S.55). Die Forschungslogik ist dabei als Wechselspiel zwischen Abduktion, Deduktion und Induktion zu verstehen (REICHERTZ 2011), wobei durch eine kreative, abduktive Haltung aus den Daten neue Konzeptideen und innovative Interpretationen entwickelt werden können. Dafür müssen die Interpretierenden zwischen einer gegenstandsbezogenen theoretischen Sensibilität und Offenheit balancieren (BREUER et al. 2019). Zu diesem Zweck bezog ich im heuristischen Sinne neben der oben erwähnten Fachliteratur aus dem Aufarbeitungskontext auch interdisziplinäre, sozial- und geschichtswissenschaftliche Literatur zum DDR-Leistungssport (z.B. DELOW 2003; TEICHLER 2003) sowie journalistische Texte, Betroffenenliteratur und Filme ein. [20]

Der Arbeitsprozess gestaltete sich rekursiv-iterativ (BREUER et al. 2019). Im Zuge der offenen und detaillierten Auswertung der ersten Interviews entstand eine Vielzahl vorläufiger Kodes. Um einen Überblick zu gewinnen, orientierte ich mich bei der Analyse der DDR-Sport- und Lebensgeschichten an erzähltheoretischen Aspekten wie der thematisch-sequenziellen Strukturierung, der Themenauswahl und -gestaltung und den verwendeteten Textsorten (LUCIUS-HOENE & DEPPERMANN 2004, S.109ff.). In den ersten erhobenen Daten erweckten zahlreiche für psychologische Diskurse charakteristische Begriffe und Deutungsmuster zur eigenen Leidensentwicklung meine Aufmerksamkeit. Ich folgte meiner sozialisatorisch geprägten Neigung, Kodes aus der Begriffswelt der Psychologie zu entwickeln. Zudem entsprachen meine offenen und axialen Kodierungen zunächst weitgehend meinem theoretischen Vorwissen aus dem institutionellen Projektkontext: Die Erzählenden konstruierten sich als Geschädigte und Opfer von Unrechtserfahrungen im DDR-Leistungssport. Ferner entwickelte ich In-Vivo-Kodes wie "institutionelles Kümmern", "Besonderheitsgefühl" und "Ausgeliefertheitsgefühl". Dabei wurde mein Vorverständnis durch neuartige Konzeptideen irritiert, etwa das "sportsystem-verschärfende Elternhaus" oder das "Überwinden der Leidenskurve". [21]

Das Kodieren wurde durch die GTM-Prinzipien des ständigen Vergleichens und des Memo-Schreibens realisiert. Indem ich die Daten nach Ähnlichkeiten und Unterschieden verglich, suchte ich gezielt nach kontrastierenden Erzählungen im Sinne des Theoretical Sampling (GLASER & STRAUSS 1967). Dies diente dazu, Konzepte durch den Einbezug ähnlicher Fälle zu überprüfen und die Varianz der Kategorien durch die Suche nach kontrastiven Fällen herauszuarbeiten. Zusätzlich hatte ich mich zu Erhebungsbeginn an vorab definierten Kriterien zur Fallauswahl orientiert (PRZYBORSKI & WOHLRAB-SAHR 2021), da sich nach erster Literatursichtung und Felderschließung bereits Merkmale wie Geschlecht, Alter, Sportdisziplin, sportlicher Erfolg und Opferstatus als vermutlich theoretisch relevant herausgestellt hatten.2) Mit der bewussten Einbindung von DDR-Leistungssportler*innen, die sich nicht als Betroffene mit Opferstatus erlebten, folgte ich dem empfohlenen Sampling-Vorgehen in der qualitativen Sozialforschung, die Variationsbreite aller relevanten Fallausprägungen zu beachten (SCHREIER 2020). [22]

Besonders aufschlussreich waren Vergleiche, die sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede zu den Opfererzählungen aufzeigten. Zum Beispiel betrachteten zwei Erzählende ihre DDR-Leistungssportvergangenheit überwiegend als Entwicklungs- und Karrierevorteil, obwohl sie gesundheitliche Schäden erlitten hatten und offiziell als Dopingopfer anerkannt waren. Diese neuen Perspektiven ermöglichten eine Differenzierung bekannter Konzepte und erweiterten das mir bis dahin bekannte (Selbst-) Deutungsspektrum des Feldes. Sie führten zudem zu einer gezielten Suche nach weiteren Fällen, um die Bedingungen, Strategien und Konsequenzen der Deutungs- und Verarbeitungsweisen im Sinne des von STRAUSS und CORBIN (1990) vorgeschlagenen Kodierparadigmas zu erfassen. [23]

Meine Auswertung wurde durch eine projektinterne sowie eine projektexterne Interpretationsgruppe unterstützt, um unterschiedliche Lesarten zu generieren und Deutungen zu hinterfragen. Im weiteren Verlauf setzte ich Konzepte und Kategorien mittels des axialen und selektiven Kodierens zueinander in Beziehung und verdichtete sie theoretisch. Dabei fungierten "temporal-prozessuale Modelle" (BREUER et al. 2019, S.295) wie etwa die "Verlaufskurven des Erleidens" (SCHÜTZE 2006, S.205) als Heuristiken. Die Aufnahme weiterer Fälle beendete ich aus pragmatischen Gründen, nachdem ich ausreichend neue bzw. kontrastierende Konzepte zur Differenzierung der Sichtweisen von DDR-Athlet*innen erarbeitet hatte (SCHREIER 2020). Aufgrund der eingeschränkten Verwendbarkeit als spontane, selbst erlebte DDR-Sportgeschichte schloss ich schließlich nur 13 Interviews in die Analyse ein, worauf ich im nun folgenden Abschnitt näher eingehen werde. [24]

5. Selbstreflexionen im Forschungsprozess

In diesem Abschnitt stelle ich zentrale Felderfahrungen sowie Selbstreflexionen zur Rekrutierung von Gesprächspartner*innen und der Interviewinteraktion vor. Zusätzlich nutze ich ausgewählte Ergebnisse, um den Weg meiner Perspektivenerweiterung nachzuzeichnen. [25]

5.1 Herausforderungen des Feldzugangs

5.1.1 Offener Zugang, verschlossener Zugang

Gatekeeper*innen sind Schlüsselpersonen innerhalb des Forschungsfeldes, die Forscher*innen den Zugang zu zukünftigen Teilnehmenden und relevantem Wissen verschaffen, aber diesen Wissenserwerb durch ihre Selektionen bahnen (REINDERS 2005). Die Variante der Rekrutierung von Interviewpartner*innen über Vertreter*innen von Opfer- und Aufarbeitungsinstitutionen bot den Vorteil, dass sie die Kontaktaufnahme leicht machte und einen ersten Einblick in das Feld ermöglichte. Diese Organisationen unterstützten das Projekt aktiv, indem sie online und face-to-face über die von mir erstellten Flyer meine Studie bewarben. Aufgrund datenschutzrechtlicher Überlegungen nahmen die Gatekeeper*innen zunächst selbst Kontakt zu denkbaren Untersuchungspartner*innen auf, bevor diese sich bei Interesse und Bereitschaft direkt an mich wenden konnten. Um eine gezielte Fallauswahl sicherzustellen, informierte ich sie vorab über die Auswahlkriterien für meine Arbeit. So konnte ich rasch drei Interviews zur Felderschließung führen und erhielt zahlreiche Teilnahmeanfragen. Dabei fiel mir auf, dass einige Interessierte eng mit den Organisationen vernetzt waren oder sich dort engagierten. Es ist denkbar, dass die Betroffeneninstitutionen gezielt Interviewpartner*innen vorschlugen, deren Selbstpräsentation eine Leidensgeschichte durch SED-Unrecht bzw. Zwangsdoping im Leistungssport besonders plausibilisierte, um möglicherweise auch eigene Interessen bezüglich medialer Darstellungen ihrer Anliegen zu verfolgen. Zur Wahrung von Eigenkontrolle traf ich die finale Auswahl im Sinne des Theoretical Sampling selbst. Ich führte telefonische Vorgespräche, damit ich erste Eindrücke in die Sportbiografien und Teilnahmemotivationen der Interessierten erhielt. [26]

Um kontrastive Perspektiven zu den Opfer- und Leidensnarrationen zu finden, suchte ich nach alternativen Feldzugängen, was sich als sehr aufwendig und herausfordernd erwies. Das zum Ermitteln von Kontrastfällen empfohlene Schneeballverfahren (PRZYBORSKI & WOHLRAB-SAHR 2021) ermöglichte es mir, über eine in der DDR-Leistungssportszene gut vernetzte Interviewpartnerin eine weitere potenziell geeignete Teilnehmende zu gewinnen. Zusätzlich nutzte ich die Methode der "Selbstaktivierung" (REINDERS 2005, S.119), indem ich Flyer in Sportgeschäften und Kliniken verteilte sowie öffentlich erreichbare DDR-Leistungssportler*innen per E-Mail kontaktierte. Diese Bemühungen waren zunächst nicht erfolgreich. Auch mein Rekrutierungsversuch über Sportstätten in den neuen Bundesländern missglückte. Dort wurde sogar das Verteilen von Informationsblättern mit der Begründung abgelehnt, dass "schlechte Erfahrungen mit den Medien" gemacht worden seien, die "nur von Doping und Stasi" berichteten. Dieses Bild vom DDR-Leistungssport widerspreche den Sichtweisen und Erinnerungen der angesprochenen Personen. Es wurde mir also bezüglich meiner Haltung und Absichten von ostdeutschen Bürger*innen, die ich über diese Zugangswege zu erreichen versuchte, kein Vertrauen entgegengebracht. Schließlich fand ich geeignete Gesprächspartner*innen, nachdem ich privat ein Sportgeschäft besucht und meine Studie auf einer externen Veranstaltung präsentiert hatte. [27]

5.1.2 Kommunikative Strategien und Vertrauensarbeit

Die ersten Felderfahrungen verdeutlichten, dass die Rekrutierung von Untersuchungspartner*innen mit wahrscheinlich kontrastierenden Erzählungen – anders als über die Opfer- und Aufarbeitungsinstitutionen – die Anpassung meiner kommunikativen Strategien erforderte. Dies betraf sowohl die Gestaltung von Flyern als auch die Präsentation des Projekts und meiner Person als Forscherin in den Anschreiben und in Vorgesprächen: Neben dem Prospekt mit dem Logo unseres universitären Verbundprojekts, den ich bei meinen ersten Kontakterfolgen verwendet hatte, entwickelte ich eine alternative Selbstpräsentationsversion ohne Logo und unter Erwähnung einer offeneren Fragestellung zu persönlichen Erfahrungen im DDR-Leistungssport und der späteren Lebensgeschichte. Ich verzichtete bewusst auf Begriffe wie Unrecht, Aufarbeitung oder Doping, um mögliche Vorbehalte zu vermeiden. Ebenso formulierte ich Anschreiben und E-Mails an Leistungssportler*innen achtsam, indem ich meine Wertschätzung für ihre sportlichen Erfolge und die Anonymität der Daten betonte. Auch meine Selbstdarstellung passte ich an: Ich präsentierte mich als Wissenschaftlerin und Psychologin, ohne meine institutionelle Einbindung in den Forschungsverbund zu erwähnen. Eine wesentlich begünstigende Bedingung für den Zugang zu differierenden Erzählungen war zudem, dass ich meine ostdeutsche Herkunft sowie meine (Breiten-) Sporterfahrungen offenlegte. Diese geteilten oder ähnlichen Erlebnisse könnten das Vertrauen begünstigt und dazu beigetragen haben, dass sich Gesprächspartner*innen mit einer Nicht-Opfer-Perspektive mir gegenüber öffneten. Dies entspricht der Beobachtung von MIETHE (2024), dass Interviews zwischen ostdeutschen Interviewpersonen und westdeutschen Forschenden häufig an der Angst vor biografischer Abwertung scheiterten. In den telefonischen Vorgesprächen leistete ich zudem verstärkt Vertrauens- und Motivationsarbeit, um das Zustandekommen und Gelingen der Interviewkontakte zu fördern (PRZYBORSKI & WOHLRAB-SAHR 2021). Dabei reagierte ich besonders interessiert auf mir bis dahin unbekannte oder ambivalente Interpretationen der jeweiligen DDR-Leistungssportvergangenheit und praktizierte aktives Zuhören (ROSENTHAL 1995): Ich zielte bei den potenziellen Teilnehmenden darauf ab, "eine eigene Sinngebung für das Interview aufzubauen" (SCHÜTZE 1987, S.238). [28]

5.2 Vorprägungen der Interviewinteraktion

5.2.1 Vielfach erzählte Opfernarrationen

Im Verlauf der ersten Interviews wurde ich auf ein Problem im Zusammenhang mit der bevorzugten Rekrutierung über die genannten Gatekeeper*innen aufmerksam: Ein erheblicher Anteil der Gesprächspartner*innen hatte die eigene DDR-Leistungssportgeschichte bereits mehrfach als Leidensgeschichte erzählt und reflektiert, z.B. im Rahmen der Aufarbeitung des DDR-Dopings in den Medien und der Öffentlichkeit oder im Zusammenhang mit der individuellen Verarbeitung in Selbsthilfegruppen, Psychotherapien und den Aufarbeitungsinstitutionen. Dieser Sachverhalt wurde entweder explizit von den Interviewpersonen benannt oder hat sich aus der Dateninterpretation erschlossen. Dies deutet auf Besonderheiten in der Verwendbarkeit narrativer Interviews mit "professionellen Erzähler*innen" hin: PRZYBORSKI und WOHLRAB-SAHR (2021) verstanden darunter Personen, die ihre Lebensgeschichte bereits mehrfach in bestimmten Kontexten wie "Psychotherapien, Selbsthilfegruppen, religiösen Gruppen" erzählt haben, wobei diese "systematisch generiert" und "theoretisch überformt" (S.113) worden seien. Dies war für mein Forschungsinteresse problematisch, da dieses auf die subjektiven Sinnkonstruktionen aus der "Erzählung selbst erlebter Ereignisse" (HERMANNS 1992, S.119) ausgerichtet war. [29]

Zum Beispiel fiel mir in mehreren Opfer- und Leidensnarrationen auf, dass auch Berichte anderer Betroffener eingebunden wurden, die zuvor gehört worden waren. Zudem wurde die Erzählung der Lebensphase im Leistungssport häufig durch die ausführliche Beschreibung allgemeiner DDR-Sportsystem-Merkmale sowie durch Leid- und aversive Erfahrungen dominiert. Dies vermittelte den Eindruck einer routinisierten Erzählpraxis und Aufzählung, ohne dass eine selbst erlebte Geschichte erkennbar war. Teilweise erregten rhetorische Stilmittel wie Hyperbeln meine Aufmerksamkeit, mit der Trainer*innen als "Diktatoren" oder Trainingslager als "Konzentrationslager" bezeichnet wurden, um die Unrechts- und Diktaturqualität zu betonen. Ich versuchte dann, durch gezielte, erzählgenerierende Nachfragen den Fokus stärker auf die Erzählung persönlicher Erfahrungen zu lenken. Aber es kam vor, dass nur sehr knapp geantwortet oder mit dem Hinweis reagiert wurde, dass bereits "alles gesagt" (M. Precht, Z.66) sei. [30]

Überdies brachten einige Gesprächspartner*innen schriftliche Dokumente wie ärztliche Gutachten oder Selbstprotokolle mit. Dies verweist darauf, dass aus den vorgängigen Verarbeitungskontexten auch "schriftliche biographische Zeugnisse, die explizite biographische Theorien (z.B. über den Zusammenhang von Biographie und Krankheit) enthalten" (PRZYBORSKI & WOHLRAB-SAHR 2021, S.113), resultiert sein können. Als eine Teilnehmende während des Interviews ihre für die medizinische Begutachtung verfasste DDR-Sportbiografie vorlesen wollte, erläuterte ich erneut, dass mein Erkenntnisinteresse auf eine spontane Erzählung gerichtet sei. Im Anschluss an die Gespräche reflektierte ich meine Emotionen und die "Resonanzen am eigenen Körper" (BREUER et al. 2019, S.10), etwa Ermüdung und das Gefühl von Monotonie, mithilfe von Einträgen in meinem Forschungstagebuch. Zwei Interviews schloss ich aufgrund der erheblichen Einschränkung der narrativen Darstellung von der weiteren Auswertung aus. [31]

5.2.2 Forschungsinteraktion als Wechsel in die therapeutische Rolle

In den Interviews habe ich häufig eine psychologisch-psychotherapeutische Rolle eingenommen. Dies war mir erst im Laufe der Zeit bewusst geworden, indem ich in Gesprächsprotokollen meine Interaktionsweisen reflektiert hatte. Einerseits stets dies in Zusammenhang mit meiner institutionell-fachlichen Prägung: Im Vorfeld der Erhebung war ich im Projektrahmen darauf hingewiesen worden, dass die Untersuchungspartner*innen psychisch stark belastet sein könnten und ein psychotherapeutisch sensibles Vorgehen seitens der Forschenden erwartet werde. Andererseits wurde diese Beziehungsdynamik durch die emotional und psychologisch gestaltete Erzählweise einiger Gesprächspartner*innen in der Erhebungssituation mitinitiiert: Häufig wurden aversive Emotionen wie Angst, Hilfslosigkeit oder Schuldgefühle im Zusammenhang mit erlebtem Unrecht und belastenden DDR-Sporterfahrungen oder der biografischen Leidensgeschichte nach der Sportkarriere thematisiert. Auf diese Weise betonten einige Interviewpartner*innen auch die anhaltende psychische Beeinträchtigung. Teilweise kam es bei der Schilderung traumatischer Erlebnisse auch zu einer Reaktualisierung emotionaler Empfindungen, etwa Weinen oder Zittern infolge von Wut. In solchen Situationen fühlte ich mich zu einem hohen Maß an Zuwendung sowie sensiblem, empathischem Eingehen aufgerufen, um den Erzählenden das Gefühl zu vermitteln, sie mit ihren Erlebnissen anzunehmen und deren Verbalisierung zuzulassen (ROSENTHAL 1995). [32]

Ich habe als Interviewerin also zur Aktualisierung und zur Darstellungsweise der Leidensgeschichten mit beigetragen, denn die Untersuchungspartner*innen haben sie entsprechend der antizipierten Erwartungshaltung gegenüber mir als Mitarbeiterin eines Projektes zur Aufarbeitung von SED-Unrecht gestaltet (LUCIUS-HOENE & DEPPERMANN 2004). Sie reagierten auf mein Verhalten, denn "Forschende und Beforschte stehen in einem symmetrisch-komplementären Beziehungsverhältnis, sie beobachten und beeinflussen sich wechselseitig" (BREUER et al. 2019, S.96): Insbesondere bei Erzählungen über psychisch belastende Erfahrungen im familiären Kontext und im DDR-Leistungssport hatte ich – basierend auf den übergeordneten Projektzielen – eine aufmerksame, bestärkende Haltung eingenommen und entsprechende Themen im Nachfrageteil des Interviews aufgegriffen. [33]

5.3 Selbstdeutungs- und Verarbeitungsweisen von DDR-Leistungssportler*innen

Im Folgenden veranschauliche ich anhand ausgewählter Ergebnisse meiner Dateninterpretation, wie sich ausgehend von den Opfer- und Leidensnarrationen schrittweise meine Sicht auf den Untersuchungsgegenstand verändert und erweitert hat. Neben den im Rahmen meiner Präkonzepte erwartbaren Opfernarrationen konnte ich auch ein Spektrum neuer Konzepte der Selbstdeutungs- und Verarbeitungsweisen der Erfahrungen und Vergangenheit als DDR-Leistungssportler*in erarbeiten. Die Konzepte und kategorialen Deutungsmuster mit ihren Merkmalsausprägungen haben den Status theoretischer Konzepte und wurden im Sinne einer Typenbildung systematisiert (KELLE & KLUGE 2010), auf die ich an dieser Stelle jedoch nicht näher eingehen werde. [34]

5.3.1 Bekannte Opfernarrationen und neue Konzeptideen

In ihren narrativen Selbstkonstruktionen präsentieren einige Athlet*innen ihre DDR-Leistungssportvergangenheit als Entwicklungshemmnis, das zu einem biografischen Abwärtsverlauf beigetragen habe. Sie beschrieben verschiedene aversive Erfahrungen im Leistungssportkontext, darunter das unwissende staatliche Doping als Minderjährige, als Ursache für eine umfassende biografische Leidensentwicklung. Neben der körperlichen und psychischen Beeinträchtigung wurden auch beruflich-finanzielle sowie teilweise familiär-partnerschaftliche Einschränkungen als Folgen beklagt. Die Opfernarrationen kennzeichnete das Verharren in der Leidensentwicklung, was mit einer verminderten Lebenszufriedenheit verbunden war. Im Zentrum der Lebensgeschichte standen ein oder mehrere als gravierend gedeutete gesundheitliche Belastungs- und Zusammenbruchsereignisse. Ich konnte verschiedene Konzepte zu den Umgehensweisen der Leidensverarbeitung wie professionelle, alternative oder mediale Hilfesuche, etwa psychotherapeutische Behandlung oder Beratung durch Opferinstitutionen, rekonstruieren, jedoch auch professionelle Hilfe-Frustration. Damit verbunden war auch die von den Erzählenden geleistete Rekonstruktions- und Neudeutungsarbeit, was die Umdeutung der DDR-Leistungssportvergangenheit als schädigend sowie des Selbstbildes zum Dopingopfer bzw. Betroffenen zur Konsequenz hatte. In diesem Kontext konnte ein soziales Neudeutungsangebot zum Dopingopfer bzw. zum*zur Geschädigten des DDR-Sportsystems ausgemacht werden, welches als bedeutsames und benennbares "Erweckungs"- und Schlüsselereignis dargestellt wurde: "In der Tagesklinik, [...] da ist mir beigebracht worden, dass ich es erstmal realisiere: 'Du bist als Kind und Jugendliche missbraucht worden. Also missbraucht durch die DDR, durch das System und misshandelt worden durch deine Eltern'" (H. Günter, Z.483-485). [35]

Sportsystem-verschärfendes Elternhaus

Außerdem entwickelte ich neue, irritierende Konzepte und Selbstdeutungsweisen, die die herkömmlichen Leidensnarrationen erweiterten. So wurde in den Opfernarrationen häufig auch die Beziehung zu den eigenen Eltern als aversiv und diffizil gedeutet. Die Darstellung des Elternhauses als leistungsorientiert, wenig anerkennend, abwertend oder vernachlässigend sowie von dessen Einfluss auf die Entwicklung des Leidens nahmen in meinen Interviews mitunter viel Raum ein. Oft erzählten die Gesprächspartner*innen von belastenden Erfahrungen in DDR-Sportsystem und Herkunftsfamilie parallel und miteinander verwoben. Zum Beispiel wurde das zum Sport zwingende oder sportaffine Elternhaus als treibende Kraft für den Einstieg in den Leistungssport beschrieben. Die Deutung der elterlichen Beziehung als belastend resultierte aus der in Anspruch genommenen psychotherapeutischen Behandlung als Umgangsweise zur Leidensverarbeitung. Das Konzept erstaunte mich, da meine Vorannahmen auf den DDR-Sport als schädigend fokussiert waren und ich die Bedeutung des Elternhauses zunächst nicht bedacht hatte. [36]

Persönlich-psychische Leidensentwicklung

In den meisten Selbstkonstruktionen war im Hinblick auf die biografische Leidensentwicklung das geschilderte unwissende Doping nicht am bedeutsamsten – wie es jedoch von mir auf Basis meines Vorwissens erwartet worden war. Stattdessen interpretierten die Erzählenden psychisch belastende DDR-Sporterfahrungen als gleichwertig oder sogar gravierender. Besonders betont wurden dabei ein Gefühl des Ausgeliefertseins an das autoritäre Verhalten der Trainer*innen, die psychische Gewalt und Vernachlässigung durch Sportsystemvertreter*innen, Leistungsdruck und Trainingsüberlastung sowie die körperliche Zugriffsmacht des Leistungssportsystems wie Essensrestriktionen und tägliche Gewichtskontrollen. Entsprechend konzentrierten sie sich in der Haupterzählung vor allem auf die seelische Dimension des Leidens und auf dessen biografische Folgen. Überraschend war, dass die Erzählenden auf eine Vielzahl von Deutungsmustern und Begriffen aus dem Kontext von Psychologie, Psychotherapie und Coaching wie "Körperbild", "narzisstischer Vater" oder "fehlende elterliche Anerkennung" zurückgriffen, um die Entwicklung der persönlichen Beeinträchtigung zu deuten. Zwar galt in einigen Opfernarrationen zusätzlich das Auftreten einer schwerwiegenden körperlichen Erkrankung, die auf das Doping zurückgeführt wurde, als bedeutsamer lebensgeschichtlicher Einschnitt, aber insgesamt erschienen dopingbedingte körperliche Schäden weniger bedeutsam oder wurden erst auf Nachfrage thematisiert. [37]

Leidbedingte Wachstumsnarrationen

Diese Selbstdeutungs- und Verarbeitungsweise stellt einen Kontrast zum Verharren in der Leidensentwicklung der herkömmlichen Opfernarrationen dar. Das Konzept bezieht sich darauf, dass die Erzählenden den aversiven DDR-Sporterfahrungen nicht nur eine psychische Beeinträchtigung als Folge zuschrieben, sondern auch einen persönlichen Entwicklungsprozess. Sie präsentierten sich in der Weise, dass sie gestärkt, mutiger, widerstandsfähiger oder selbstbestimmter aus der belastenden DDR-Leistungssportkarriere hervorgegangen seien. Diese Selbstkonstruktion war mit der Konsequenz der Überwindung der Leidensentwicklung verbunden, wozu die erarbeiteten Handlungsstrategien der professionellen und alternativen Hilfesuche sowie insbesondere der Selbsthilfe wie Selbstarbeit und Selbstermächtigung beitrugen. Außerdem wurde dem Selbstentwicklungsprozess auch die Ermöglichung der produktiven Gestaltung des eigenen Lebens zugeschrieben, z.B. aufgrund des DDR-Sportleids mehr persönliche und familiäre Stärke zu besitzen oder ein Leben in Selbstbestimmtheit und Selbstverwirklichung führen zu können: "Ich wäre heute nicht das und ich könnte die Menschen nicht so berühren und nicht das erzählen, wenn ich dieses nicht durchgemacht hätte. Im Endeffekt [...] hat es [mich] stärker gemacht, weil ich nicht dran zerbrochen bin" (T. Hermann, Z.985-987). Diese Variante der Selbstdeutung von DDR-Leistungssportler*innen kann auch als Möglichkeit verstanden werden, dem erlebten Leid etwas Sinnvolles und Wertvolles abzugewinnen. [38]

5.3.2 Erfolgs- und Entwicklungsnarrationen

Erfolgs- und Entwicklungsnarrationen, die sich von den bekannten Opfernarrationen unterschieden, waren zentral für meine Perspektivenveränderung. In diesen Selbstkonstruktionen präsentierten sich die Erzählenden als durch das DDR-Leistungssportsystem geförderte Gewinner*innen und autonome Gestalter*innen ihres Erfolgs. Damit war die Selbstbeschreibung als leistungs- und karriereorientiert, sportlich erfolgreich, selbstbestimmt und -bewusst verbunden. Die DDR-Leistungssportvergangenheit wurde – ausschließlich oder teilweise – als Entwicklungs- und Karrierevorteil vor dem Hintergrund eines biografischen Aufwärtsverlaufs gedeutet. Dies bezog sich neben einer leistungssportlichen Karriere auch auf eine erwerbsbiografische, persönliche oder familiäre bzw. partnerschaftliche Gewinnentwicklung. Zum Beispiel gelang eine vorteilhafte Selbstentwicklung innerhalb der DDR-Leistungssportlaufbahn, indem durch die damit verbundenen Erfahrungen und Ereignisse persönliche Ressourcen wie Leistungsfähigkeit und Ehrgeiz entwickelt oder auf die Eltern zurückgeführte Entwicklungsdefizite kompensiert werden konnten. [39]

Gleichzeitig waren diese Selbstnarrationen durch Ambivalenz ausgezeichnet: Den Vorteilen und sportlichen Erfolgen standen Nachteile wie Trainingshärte, eine verlorene Jugend oder politische Heteronomie gegenüber. Dennoch konnten die Erzählenden vom DDR-Sportsystem profitieren, was durch persönliche Ressourcen sowie vielschichtige und eigensinnige Handlungsweisen gelang. Dabei diente mir das Konzept des "Eigen-Sinns" (LINDENBERGER 1999) als sensibilisierendes Konzept (BLUMER 1954), um die ambivalenten individuellen Handlungs- und Deutungsmuster jenseits der SED-Herrschaftsstrukturen zu erfassen. Auf diese Weise konnten neben dem Sich-Arrangieren und dem aktiven oder passiven Widerstand auch das persönliche Nutzen oder Umgehen der Strukturen des Leistungssportsystems als Teilaspekte bzw. Dimensionen des Konzepts erarbeitet werden. [40]

Sportliche Erfolge und Gefühle von Aufgehobenheit

Im Unterschied zu den Opfernarrationen standen in den Erfolgs- und Entwicklungsnarrationen angenehme Erfahrungen im DDR-Sportkontext im Fokus. Dazu zählten die mit den sportlichen Erfolgen verbundene Anerkennung und Selbstwertstützung, Sinnstiftung durch das Sporthandeln sowie Gefühle von Aufgehobenheit und Privilegiertheit. Als angenehm erlebte Beziehungen zu Trainer*innen oder im Sportkollektiv wurden mit persönlichem und sozialem Gewinn verknüpft. Zusätzlich wurden die Trainer*innen als Elternersatz oder wichtige Erfolgsförder*innen gedeutet. Darüber hinaus waren Privilegien, Chancen und das institutionelle Kümmern wie die bevorzugte Versorgung mit Nahrungsmitteln und Wohnraum, die staatliche sportliche und berufliche Förderung, Reisen in "den Westen" und begehrte Konsumgüter bedeutsam. [41]

Mitwissendes Doping und höhere Selbstbestimmtheit

Einige Gesprächspartner*innen berichteten, bereits während ihrer Leistungssportkarriere zumindest Teilwissen über das Doping im DDR-Sport besessen zu haben. So schilderte eine Interviewperson die mitwissende Einnahme des Anabolikums Oral-Turinabol, auch wenn sie über die Risiken nicht aufgeklärt worden sei. Die Selbstkonstruktionen verwiesen auf ein höheres Maß an individuellem Handlungspotenzial und Entscheidungsfreiheit: Das mitwissende Doping wurde als damals legitimierte Leistungssteigerung mit einer unreflektierten Haltung oder als alternativlos aufgrund von Karriere- und Leistungsmotiven gerechtfertigt, wie folgendes Zitat illustriert: "Ja, also Sie wurden, wenn Sie Leistungssportler waren, um erfolgreich zu sein [...] 'Schau mal hier, das kannst du ja nehmen, dann kannst du das letzte Ding powern und dann bekommst du das raus'" (W. Konrad, Z.690-692). Einige Erzählende berichteten auch, Doping verweigert zu haben, nachdem sie an sich selbst gesundheitliche Veränderungen bemerkt hätten. Andere wiederum präsentierten sich als nicht gedopt, weil Doping in ihrer Sportart keine Rolle gespielt habe oder sie es – in Kenntnis und konsequenzlos – verweigert hätten. [42]

Ambivalenz von DDR-Vergangenheit und Meistern der Leidensentwicklung

Die Erfolgsnarrationen zeichnen sich zudem durch ein mehr oder weniger hohes Maß an Ambivalenz in Bezug auf die der Leistungssportvergangenheit zugeschriebenen biografischen Folgen aus: Einige Erzählende schrieben ihm neben Karriere- und Entwicklungsvorteilen auch gesundheitliches oder politisches Leid zu, etwa politische Verfolgung oder die Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit der Stasi als inoffizielle Mitarbeiter*innen. Anders als in den Opfernarrationen wurden spezifische DDR-Sporterfahrungen jedoch nicht als psychisch, sondern ausschließlich als körperlich beeinträchtigend gedeutet. Überraschend war, dass das politische Leid und dessen Konsequenzen subjektiv von höherer biografischer Relevanz waren als die körperliche Schädigung durch Trainingsüberlastung und Doping. Dennoch inszenierten sich die Erzählenden als Gewinner*innen, weil sie die Leidensentwicklung gemeistert hatten oder sich damit arrangieren konnten. Als Umgehensweisen ließen sich sowohl passive und aktive Formen politischer Selbstermächtigung als auch die Inanspruchnahme professioneller Hilfe sowie Selbsthilfestrategien wie sportliche Aktivität herausarbeiten. Dabei wurden im DDR-Sportkontext entwickelte persönliche Ressourcen wie Ehrgeiz und Kampfesfähigkeit als Vorteil bei der Bewältigung der körperlichen Schäden interpretiert. [43]

Die Unversehrten

Einen maximalen Kontrast zu den Opfernarrationen bildeten die Selbstkonstruktionen derer, die sich als gesund oder nur leicht beeinträchtigt durch ihre DDR-Sportvergangenheit präsentierten. Die Erzählenden vermuteten nicht, damals gedopt worden zu sein und davon nichts gemerkt zu haben. Stattdessen wurde eine bereits während der DDR-Sportkarriere aufgetretene körperliche Beeinträchtigung auf die Trainingsüberlastung zurückgeführt; dies wurde im Interview erst auf Nachfrage thematisiert. Zudem lehnten die betreffenden Gesprächspartner*innen die ihnen zugeschriebene Rolle als Dopingopfer oder Gedopte explizit ab. [44]

Bewahren von DDR-Sporterinnerungen

Mir begegnete in meinem Material auch eine Selbstkonstruktionsvariante, bei der die identitäts- und sinnstiftende Bedeutung der erfolgreichen DDR-Leistungssportkarriere in den Mittelpunkt gestellt wurde: "Die zehn Jahre oder elf Jahre Leistungssport, die ich damals gemacht habe, war eines der schönsten Jahrzehnte meines Lebens" (R. Sprinter, Z.11f.). Dabei wurde auch die leistungssportliche Überlegenheit der DDR gegenüber der BRD hervorgehoben, die wesentlich zur sozialen Identität als DDR-Athlet*in beigetragen habe. Einige betonten ausdrücklich, dass es ihnen darum gehe, ihre "schönen" Erinnerungen und ihr eigenes Selbstverständnis zu bewahren. Sie verteidigten ihre Sichtweise auch im Wissen um den dominierenden Aufarbeitungsdiskurs. Besonders irritierten mich die Selbstkonstruktionen jener, die körperlich geschädigt und als Dopingopfer staatlich anerkannt worden waren, zugleich aber an ihrem Bild von den Vorteilen und Chancen der DDR-Leistungssportvergangenheit festhielten. Durch die Reflexion meiner Irritation und Überraschung begann ich, meine Vorannahmen aus dem Aufarbeitungsdiskurs kritisch zu hinterfragen. Ich gelangte zu einer neuen Erkenntnis über das Feld: Ich öffnete mich gedanklich ambivalenteren Selbstdeutungsweisen von Athlet*innen, die dem DDR-Leistungssport trotz körperlicher Beeinträchtigung auch eine biografische Gewinnentwicklung zuschrieben. Um diese Perspektiven besser zu verstehen, untersuchte ich entsprechende Textpassagen erzählanalytisch (LUCIUS-HOENE & DEPPERMANN 2004; siehe auch MÜLLER 2023). Dabei zeigte sich, dass die Erzählenden kulturelle Deutungsmuster des Aufarbeitungsdiskurses zum Zwangsdoping und dessen Folgeschäden anzweifelten oder ihre Sichtweise durch Loyalität zur DDR und die Anerkennung der Erfolge der Sportler*innen rechtfertigten. Basierend darauf präzisierte ich die im Rahmen der GTM gebildete Kategorie Bewahren von DDR-Sporterinnerungen und die erarbeiteten Erfolgs- und Entwicklungsnarrationen. [45]

6. Diskussion und Fazit

Subjektivität und Selbstreflexion haben sich in der Studie als produktive method(olog)ische Zugänge für eine differenzierte Perspektive auf die (Selbst-) Darstellungen der DDR-Leistungssport- und Dopingvergangenheit erwiesen. Anhand der Erfahrungen und Erkenntnisse aus meiner Projektpraxis wurde in diesem Beitrag nachvollziehbar gemacht, wie durch das "Schrauben an der Betrachtungsoptik der Forschenden" (BREUER et al. 2019, S.9) neue, vom Tenor des hegemonialen Aufarbeitungsdiskurses abweichende Selbstdeutungs- und Verarbeitungsweisen von DDR-Athlet*innen entwickelt werden konnten. Vor dem Hintergrund des als einseitig kritisierten Diskurses über die DDR (HEẞ 2016; KOWALCZUK 2019a; MATTHÄUS & KUBIAK 2016) war es dadurch möglich, der problembezogenen Perspektivenvielfalt gerechter zu werden, da es nicht nur eine DDR-Erinnerung gibt (HAAG 2018). Auf inhaltlicher Ebene haben die Konzepte der Erfolgs- und Entwicklungsnarrationen sowie der leidbedingten Wachstumsnarrationen wesentlich zu dieser Blickerweiterung beigetragen: Die DDR-Leistungssportvergangenheit wurde nicht in allen Fällen als Entwicklungshemmnis und Ausgangspunkt der Selbstdeutung als Opfer verstanden. Ich konnte deren Perspektivierung als Entwicklungs- und Karrierevorteil finden, der zur Selbstdeutung als geförderte*r Gewinner*in und selbstbestimmte*r Gestalter*in des eigenen Lebenserfolgs beigetragen hat. Diese Variante der Vergangenheitsverarbeitung war mit einer durch persönliche Ressourcen und eigensinnige Handlungsmuster charakterisierten Selbstdeutung verbunden, wodurch den Athlet*innen ein günstiger Umgang mit der eingeschränkten Handlungsautonomie des SED-Staates (MIETHE 2024) ermöglicht wurde. Die Selbstkonstruktionen waren häufig ambivalent: Einerseits wurde an den identitätsstiftenden Vorteilen und Erinnerungen des DDR-Leistungssports festgehalten, andererseits bestand ein Bewusstsein über dessen Nachteile und Folgeschäden. Auch die Wachstumsnarrationen kontrastierten mit den Opfernarrationen, da dem erlebten Sportleid auch ein biografischer Reifungsprozess zugeschrieben wurde. Die Umgangsweisen der Selbstarbeit und Selbstermächtigung verwiesen wiederum auf persönliche Ressourcen der Sportler*innen. Dies ist anschlussfähig an die Befunde DELOWs (2003), wonach es abhängig von den individuellen Dispositionen der Athlet*innen trotz des durch Heteronomie geprägten DDR-Leistungssportsystems Autonomie geben konnte. [46]

Doping hatte bei den von mir rekonstruierten leidbedingten Wachstumsnarrationen, den Erfolgs- und Entwicklungsnarrationen sowie bei einem Teil der Opfernarrationen eine untergeordnete Relevanz: Meine Gesprächspartner*innen erzählten, entweder nicht betroffen gewesen zu sein, dass sie die körperlichen Folgen bewältigen konnten, oder sie maßen psychischen Beeinträchtigungen eine höhere Bedeutsamkeit bei. Dadurch wurde eine Perspektivendifferenzierung und -erweiterung gegenüber den gängigen Opfernarrationen ermöglicht, in denen Zwangsdoping im Minderjährigenalter und belastenden Trainingsbedingungen eine umfassende biografische Leidensentwicklung zugeschrieben wurde. [47]

Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus meinen Feldforschungserfahrungen und Reflexionen ziehen und welche methodischen und methodologischen Implikationen ergeben sich daraus für zukünftige Forschungen über die DDR? Was die Herausforderungen beim Feldzugang und der Gewinnung von Untersuchungspartner*innen angeht, wurde durch das institutionell konfigurierte Aufarbeitungsprojekt, das den Rahmen für meine eigene Studie setzte, die Fokussierung der Opferperspektive begünstigt. Das zeigte sich u.a. in dem über die Gatekeeper*innen geförderten Zugang zu Betroffenen. Für eine an Vielschichtigkeit orientierte Forschung zur DDR sollte daher die Rekrutierung über derartige Gatekeeper*innen begrenzt und alternativ eine persönliche, achtsame Kontaktaufnahme erfolgen. Zum Beispiel können potenzielle Gesprächspartner*innen bei dem Besuch einschlägiger Sportstätten oder anderer relevanter Orte angesprochen werden. Auch ist für das Erreichen von Perspektiven jenseits des hegemonialen Aufarbeitungsdiskurses über die DDR ein besonderes Maß an Vertrauensarbeit erforderlich. In Anlehnung an MIETHE (2024) empfiehlt es sich, dass ostdeutsche Forschende ostdeutsche Gesprächspartner*innen befragen, wobei zusätzlich die Erhebung durch westdeutsche Interviewende wertvolle kontrastive Einsichten liefern könnte. [48]

Die gewählte narrative Interviewmethode (SCHÜTZE 1983) hat sich als besonders relevant für das Projekt erwiesen. Erst durch die offene Erhebungsform konnten eigene Geschichten, subjektive Relevanzsetzungen und Erfahrungen von DDR-Leistungssportler*innen erfasst werden, um somit zur Schließung der "Diskurs-Lücke" (AHBE 2005, S.43) beizutragen. Allerdings lässt sich aus den vielfach erzählten Opfernarrationen ableiten: Diese herausfordernden Gesprächssituationen erforderten besondere Fragestrategien, um spontane Erzählungen zu fördern (PRZYBORSKI & WOHLRAB-SAHR 2021). Erzählgenerierende Nachfragen zu persönlichen Erfahrungen oder zu dem Erleben bestimmter Situationen erwiesen sich als hilfreich, da das zuvor dem DDR-Leistungssport zugeschriebene Leid teils auch im Kontext weiterer belastender Erfahrungen wie dem politischen Systemwechsel 1989/90 verortet wurde. [49]

Dennoch gelang es nicht in allen Fällen, statt Beschreibungen oder kurzen Antworten unvorbereitete, zusammenhängende Erzählungen hervorzurufen. Eine alternative Nachfragestrategie in meinen Interviews wäre gewesen, explizit um Einblicke in die eigene DDR-Sportgeschichte und persönliche Erlebnisse abseits des später Gehörten, Gelesenen oder Reflektierten zu bitten. Auch hätte ich mutiger nach der Konkretisierung und Detaillierung spezifischer, schwieriger Situationen fragen können, was ich teils unterließ, um das Risiko einer Retraumatisierung zu vermeiden. LOCH (2008) betonte jedoch, dass auch bei traumatisierten Gesprächspartner*innen Nachfragen und Detaillierungsaufforderungen möglich seien, sofern die Gegenwartsverortung in der Interviewsituation unterstützt werde. Meine Erfahrungen unterstreichen zudem, wie wichtig es ist, den Erzählenden während der Erhebung die volle Aufmerksamkeit zu schenken – nicht nur, um gezielte Detaillierungsfragen zu ermöglichen, sondern auch, um Betroffenen mit Zugewandtheit einen offenen Umgang mit schwierigen Themen zu erleichtern. Zusätzlich wären in unserem Projekt neben kollegialem Austausch qualifizierte Forschungssupervisionen (HAUBL 2003) unterstützend gewesen. [50]

Darüber hinaus weisen meine Beobachtungen auf die zentrale Bedeutung der Selbstreflexion der Forschenden hin (BREUER et al. 2019; MRUCK et al. 2002; ROTH et al. 2003). Eine selbstreflexive Haltung ermöglichte es mir, die eigene Einflussnahme auf Gesprächssituation und Erzählverlauf bewusst wahrzunehmen und meine Nachfragetechnik entsprechend anzupassen. Entscheidend war dabei die Reflexion meiner Emotionen und Wahrnehmungen zur Interviewdynamik. Denn "ein Interview ist [...] als Produkt der Gegenwart [...] immer auch Ausdruck einer einmaligen Interviewbeziehung" (WILLMS 2022, §32). Dadurch konnte ich erkennen, dass die psychologisch geprägten Selbst- und Opfernarrationen auch als Produkt der Forschungsinteraktion zu verstehen sind. Dies manifestierte sich in meinem Wechsel in die therapeutische Rolle gegenüber sich als betroffen erlebenden Gesprächspartner*innen. Zentral ist dabei die interaktionistisch-diskursanalytische Begründung des narrativen Interviews: Die Erzählenden erfahren sich über andere (MEAD 1968 [1934]) und rekonstruieren ihre Erfahrungen fortlaufend entlang der Anforderungen der jeweiligen Interviewsituation (SCHÜTZE 1984). Inhalt und Darstellung werden auf die wahrgenommenen Hörer*innenwünsche ausgerichtet (LUCIUS-HOENE & DEPPERMANN 2004): So beeinflusste mein "spezifische[r] Reiz-Wert" (DEVEREUX 1984 [1967], S.49) als Psychologin und Vertreterin des Aufarbeitungsprojektes die Erzählweise der psychologisch geprägten Leidensgeschichten. [51]

Insoweit sind diese Selbstnarrationen auch als Ko-Konstruktionsprodukt meiner psychologisch-klinisch vorgeprägten Wahrnehmungsweise zu begreifen (BREUER et al. 2019). Zugleich spiegeln sie den institutionellen Forschungskontext und dessen Ziel wider, die psychischen Langzeitfolgen des DDR-Leistungssports und des Elternhauses zu untersuchen. Die Reflexion personaler und institutioneller Einflussfaktoren ermöglichte es, nach alternativen Selbstkonstruktions- und Verarbeitungsweisen zu suchen und den Deutungsrahmen in unserem Projektansatz zu hinterfragen. Für die Forschungspraxis zur DDR lässt sich aus meinen Erfahrungen die Relevanz interdisziplinärer, sowohl west- als auch ostdeutsch verankerter Interpretationsgruppen ableiten, um die Engführung von Lesarten aufzulockern und die Reproduktion hegemonialer Diskurse zu vermeiden. Auch MIETHE (2024) verwies darauf, dass Selbstreflexivität für die Zusammensetzung der Analysegruppe innerhalb der Forschung über die DDR gelten sollte. [52]

Im Hinblick auf die erhobenen DDR-Sportgeschichten mit "professionellen Erzählern" (PRZYBORSKI & WOHLRAB-SAHR 2021, S.113) ist anzumerken, dass einige Erzählende zur narrativen Identitätskonstruktion Deutungsmuster und -konzepte verwendeten, die sie sich in psychotherapeutischen und alternativen Hilfekontexten (z.B. Coaching, Betroffenenberatung) angeeignet hatten (siehe auch ROESLER 2001). Daraus leite ich die These ab, die psychologisierten Selbst- bzw. Opfernarrationen als doppelseitiges Konstruktionsprodukt durch mich als Forschende mit meinen professionellen Präkonzepten einerseits und die Interviewten andererseits zu betrachten, die psychologische und wissenschaftliche Deutungsmuster nutzten. Auch WELZER (1999) wies auf diese Ko-Konstruktion in biografischen Erzählungen von NS-Zeitzeug*innen hin: Aus seiner Perspektive sagen deren Berichte in Forschungssituationen weniger darüber aus, wie Vergangenheit gedeutet wird. Dagegen demonstrieren sie eher, wie wissenschaftliche Konzepte aus Psychologie und Aufarbeitungsdiskurs in die Alltagssprache eingegangen sind und zur Konstruktion von Selbstnarrationen verwendet werden. [53]

Auf dieser Grundlage empfehle ich in Anlehnung an PRZYBORSKI und WOHLRAB-SAHR (2021) den ergänzenden Einsatz der konstruktivistisch-diskursanalytischen Narrationsanalyse (LUCIUS-HOENE & DEPPERMANN 2004) für den Umgang mit vielfach erzählten Opfergeschichten. Dieser Ansatz ermöglicht es, über den manifesten Inhalt hinaus interaktive und kontextuelle Interviewaspekte, Deutungsmuster sowie Selbst- und Fremdpositionierungen im sozialen Diskurs zu erfassen. Insgesamt scheint mir für die durch diskursive Machtungleichgewichte gekennzeichnete DDR-Forschungspraxis (MIETHE 2024) eine sozialkonstruktivistische, Ethnografie und Biografieforschung verknüpfende Perspektive (DAUSIEN & KELLE 2005) sinnvoll, um bei der Analyse "interaktive Kontexte ebenso einzubeziehen wie längerfristige Prozesse der sozialen 'Ko-Konstruktion' und Vernetzung von Lebensgeschichten" (S.206) durch z.B. psychotherapeutische und Beratungsinstitutionen. [54]

In diesem Beitrag habe ich illustriert, dass narrative Interviews ohne die Reflexion des Forschungskontextes und der spezifischen Interviewbeziehung – hier eines Projektes zur Aufarbeitung der "gesundheitlichen Langzeitfolgen von SED-Unrecht" – nur unzulänglich interpretiert werden können. Eine selbstreflexive methodische Vorgehensweise und Haltung (BREUER et al. 2019; siehe auch MRUCK et al. 2002; ROTH et al. 2003) sind deshalb zentral. Aufbauend auf WILLMS (2022) plädiere ich für Triangulationsverfahren, z.B. Methoden- und Theorientriangulation, um über die Rekonstruktion von Erzählendenperspektiven hinaus "die eigene Rolle im Feld zu reflektieren und die Interviewpraxis selbst als eine in bestehende Machtkonstellationen eingebettete Praktik zu erkennen und in allen Details auszuleuchten" (§37). Dies ist unerlässlich für eine kritisch-reflexive Forschungspraxis, die neue Erkenntnisse ermöglicht, gesellschaftliche Diskurse problematisiert und nicht zur Reproduktion hegemonialer Machtverhältnisse beiträgt. Abschließend sei darauf hingewiesen, dass die Aufarbeitung der DDR-Dopingvergangenheit Ähnliches für den BRD-Leistungssport inspirierte, in dem ebenfalls ab den 1960er Jahren Anabolika eingesetzt wurden (SINGLER & TREUTLEIN 2012). MEIER, REINOLD und ROSE (2012) betonten, dass auch in der alten Bundesrepublik politisch gefördertes und vertuschtes Doping zahlreiche bekannte Opfer forderte, auch wenn die Athlet*innen vergleichsweise größere Entscheidungsfreiheit hatten. [55]

Anmerkungen

1) Bis Ende 2020 waren DDR-Leistungssportler*innen nach dem ersten und zweiten DOHG anspruchsberechtigt für eine einmalige, finanzielle Entschädigung durch das Bundesverwaltungsamt, die erhebliche Gesundheitsschäden erlitten hatten, weil ihnen oder ihrer Mutter während der Schwangerschaft ohne Wissen oder gegen deren Willen Dopingsubstanzen verabreicht worden waren. Für die Anerkennung war ein fachärztliches Gutachten Voraussetzung, mit dem die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs bescheinigt wurde (DEUTSCHER BUNDESTAG 2016, §2). <zurück>

2) Die Teilnehmenden wurden zwischen 1940 und 1979 geboren und waren in verschiedenen Disziplinen (Segeln, Turnen, Leichtathletik, Kugelstoßen, Kanu, Eisschnelllauf, Boxen, Schwimmen) aktiv gewesen. Von ihnen waren sieben in der DDR-Nationalmannschaft, fünf identifizierten sich als männlich und sieben waren staatlich anerkannte Dopingopfer. <zurück>

Literatur

Ahbe, Thomas (2004). Die Konstruktion der Ostdeutschen. Diskursive Spannungen, Stereotype und Identitäten seit 1989. Aus Politik und Zeitgeschichte, 41-42, 12-22, https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/28054/die-konstruktion-der-ostdeutschen/ [Datum des Zugriffs: 31. Januar 2025].

Ahbe, Thomas (2005). Ostalgie. Zum Umgang mit der DDR-Vergangenheit in den 1990er Jahren. Erfurt: Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, https://www.db-thueringen.de/servlets/MCRFileNodeServlet/dbt_derivate_00023351/ostalgie_internet.pdf [Datum des Zugriffs: 24. November 2024].

Berger, Peter L. & Luckmann, Thomas (1980 [1966]). Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie. Frankfurt/M.: Fischer.

Blumer, Herbert (1954). What is wrong with social theory. American Sociological Review, 18, 3-10.

Blumer, Herbert (1969). Symbolic interactionism. Perspective and method. Berkeley, CA: University of California Press.

Breuer, Franz; Muckel, Petra & Dieris, Barbara (2019). Reflexive Grounded Theory. Eine Einführung für die Forschungspraxis (4. Aufl.). Wiesbaden: Springer VS.

Buhrmann, Jochen; Richter, Daniela; Buhrmann, Simon & Klauer, Thomas (2021). Häufigkeit seelischer und körperlicher Erkrankungen bei begutachteten Leistungssportlern der DDR. Ein quantifizierender Befundüberblick. Trauma & Gewalt, 15(4), 334-345.

Charmaz, Kathy (2006). Constructing grounded theory. A practical guide through qualitative analysis. London: Sage.

Dausien, Bettina & Kelle, Helga (2005). Biographie und kulturelle Praxis. Methodologische Überlegungen zur Verknüpfung von Ethnographie und Biographieforschung. In Bettina Völter, Bettina Dausien, Helma Lutz & Gabriele Rosenthal (Hrsg.), Biographieforschung im Diskurs (S.189-212). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Dausien, Bettina & Thoma, Nadja (2023). "Kleine Geschichten" als Forschungszugang. Reflexionen zum biografischen Erzählen aus einem ethnografischen Projekt mit geflüchteten Schüler*innen. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 24(1), Art. 3, http://dx.doi.org/10.17169/fqs-24.1.3784 [Datum des Zugriffs: 10. Januar 2025].

Delow, Anke (2003). Herrschaft und Eigensinn – Karriereabbrüche im DDR-Leistungssport. In Hans Joachim Teichler (Hrsg.), Sport in der DDR. Eigensinn, Konflikte, Trends (S.358-422). Köln: Sport & Buch Strauss.

Deutscher Bundestag (2016). Zweites Gesetz über eine finanzielle Hilfe für Dopingopfer der DDR (Zweites Dopingopfer-Hilfegesetz). Bundesgesetzblatt, Teil I, Nr. 32, http://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&jumpTo=bgbl116s1546.pdf [Datum des Zugriffs: 25. April 2024].

Devereux, Georges (1984 [1967]). Angst und Methode in den Verhaltenswissenschaften. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Doping-Opfer-Hilfe e.V. (2024). Presseerklärung des Doping-Opfer-Hilfe e.V. zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.03.2024, https://no-doping.org/presserklaerung-des-doping-opfer-hilfe-e-v-zur-entscheidung-des-bundesverwaltungsgerichts-vom-27-3-2024/ [Datum des Zugriffs: 28. Oktober 2024].

Fischer-Rosenthal, Wolfram (1995). Schweigen – Rechtfertigen – Umschreiben. Biographische Arbeit im Umgang mit deutschen Vergangenheiten. In Wolfram Fischer-Rosenthal & Peter Alheit (Hrsg.), Biographien in Deutschland. Soziologische Rekonstruktionen gelebter Gesellschaftsgeschichte (S.43-86). Opladen: Westdeutscher Verlag.

Flick, Uwe (2014). Gütekriterien qualitativer Sozialforschung. In Nina Baur & Jörg Blasius (Hrsg.), Handbuch Methoden der empirischen Sozialforschung (S.411-423). Wiesbaden: Springer VS.

Freyberger, Harald J.; Netzker, Jens; Buhrmann, Simon; Drescher, Anne; Geipel, Ines; Gallistl, Adrian & Buhrmann, Jochen (2018). Traumatische Folgen des DDR-Staatsdopings. Erste Ergebnisse aus einem multimodalen Untersuchungsansatz. Trauma & Gewalt, 12(2), 116-123.

Geipel, Ines (2017). Einleitung. In Landesbeauftragte für Mecklenburg-Vorpommern für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (Hrsg.), Staatsdoping in der DDR. Eine Einführung (S.11-13). Rostock: Druckerei Weidner GmbH.

Gerstenberger, Olivia (2024). DDR-Sportsystem. Dopingopfer: Kampf um Anerkennung und Entschädigung. Deutschlandfunk, 31. Oktober, https://www.deutschlandfunk.de/ddr-dopingopfer-rehabilitation-entschaedigung-100.html [Datum des Zugriffs: 13. Dezember 2024].

Glaser, Barney G. & Strauss, Anselm L. (1967). The discovery of grounded theory: Strategies for qualitative research. New Brunswick: Aldine.

Goffman, Erving (1975 [1963]). Stigma. Über die Techniken der Bewältigung beschädigter Identität. Berlin: Suhrkamp.

Haag, Hanna (2018). Im Dialog über die Vergangenheit. Tradierung DDR-spezifischer Orientierungen in ostdeutschen Familien. Wiesbaden: Springer VS.

Haag, Hanna (2020). Biographische Entwertung – wertvolle Biographien: Ostdeutsche Narrative symbolischer und sozialer Abwertung nach 1989. BIOS – Zeitschrift für Biographieforschung, Oral History und Lebensverlaufsanalysen, 33(1), 46-69, https://doi.org/10.3224/bios.v33i1.03 [Datum des Zugriffs: 23. April 2024].

Haubl, Rolf (2003). Riskante Worte. Forschungsinterviews mit Traumatisierten. Psychosozial, 26(91), 63-77.

Hermanns, Harry (1992). Die Auswertung narrativer Interviews: Ein Beispiel für qualitative Verfahren. In Jürgen H.P. Hoffmeyer-Zlotnik (Hrsg.), Analyse verbaler Daten: Über den Umgang mit qualitativen Daten (S.110-141). Opladen: Westdeutscher Verlag, https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-25681 [Datum des Zugriffs: 16. November 2024].

Heß, Pamela (2016). Gleichförmig statt vielfältig: Die DDR im öffentlichen Erinnern. In Sandra Matthäus & Daniel Kubiak (Hrsg.), Der Osten. Neue sozialwissenschaftliche Perspektiven auf einen komplexen Gegenstand jenseits von Verurteilung und Verklärung (S.99-123). Wiesbaden: Springer VS.

Hunger, Ina; Maennig, Wolfgang & Grothe, Helmut (Hrsg.) (2021). Doping im Spitzen- und Alltagssport. Interdisziplinäre Perspektiven. Münster: LIT-Verlag.

Kallmeyer, Werner & Schütze, Fritz (1977). Zur Konstitution von Kommunikationsschemata der Sachverhaltsdarstellung. In Dirk Wegner (Hrsg.), Gesprächsanalysen. Vorträge, gehalten anläßlich des 5. Kolloquiums des Instituts für Kommunikationsforschung und Phonetik, Bonn, 14.-16. Oktober 1976 (S.159-274). Hamburg: Buske.

Kelle, Udo (1997). Empirisch begründete Theoriebildung. Zur Logik und Methodologie interpretativer Sozialforschung (2. Aufl.). Weinheim: Deutscher Studienverlag.

Kelle, Udo & Kluge, Susann (2010). Vom Einzelfall zum Typus. Fallvergleich und Fallkontrastierung in der qualitativen Sozialforschung (2. Aufl.). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Keupp, Heiner; Ahbe, Thomas; Gmür, Wolfgang; Höfer, Renate; Mitzscherlich, Beate; Kraus, Wolfgang & Straus, Florian (1999). Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne. Reinbek: Rowohlt.

Knorr-Cetina, Karin (1989). Spielarten des Konstruktivismus. Soziale Welt40(1/2), 86-96.

Kowalczuk, Ilko-Sascha (2019a). Die Aufarbeitung der Aufarbeitung – Welche Zukunft hat die DDR-Geschichte?. INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, 8(1), 107-115.

Kowalczuk, Ilko-Sascha (2019b). Die Übernahme. Wie Ostdeutschland Teil der Bundesrepublik wurde (6. Aufl.). München: C.H. Beck Verlag.

Krogmann, Diana; Flemming, Eva & Spitzer, Carsten (2024). Die langen Schatten komplexer Sportschädigungen. Psychische Beeinträchtigung von minderjährig zwangsgedopten, ehemaligen DDR-Leistungssportler*innen. Die Psychotherapie, 69, 325-332.

Lamnek, Siegfried (2005). Qualitative Sozialforschung (4. Aufl.). Weinheim: Beltz.

Lindenberger, Thomas (Hrsg.) (1999). Herrschaft und Eigen-Sinn in der Diktatur. Studien zur Gesellschaftsgeschichte der DDR. Köln: Böhlau Verlag.

Loch, Ulrike (2008). Spuren von Traumatisierungen in narrativen Interviews. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 9(1), Art. 54, https://doi.org/10.17169/fqs-9.1.320 [Datum des Zugriffs: 25. April 2025].

Lucius-Hoene, Gabriele & Deppermann, Arnulf (2004). Rekonstruktion narrativer Identität. Ein Arbeitsbuch zur Analyse narrativer Interviews (2. Aufl.). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Matthäus, Sandra & Kubiak, Daniel (2016). Neue Perspektiven auf "den Osten" jenseits von Verurteilung und Verklärung – Eine Einleitung. In Sandra Matthäus & Daniel Kubiak (Hrsg.), Der Osten. Neue sozialwissenschaftliche Perspektiven auf einen komplexen Gegenstand jenseits von Verurteilung und Verklärung (S.1-16). Wiesbaden: Springer VS.

Mead, George Herbert (1968 [1934]). Geist, Identität und Gesellschaft aus der Sicht des Sozialbehaviorismus. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Meier, Henk Erik; Reinold, Marcel & Rose, Anica (2012). Dopingskandale in der alten Bundesrepublik. Öffentlicher Diskurs und sportpolitische Reaktionen. Deutschland Archiv, 45(2), 209-239, https://www.bpb.de/themen/deutschlandarchiv/137402/dopingskandale-in-der-alten-bundesrepublik/ [Datum des Zugriffs: 23. Januar 2025].

Miethe, Ingrid (2024). Biographieforschung über Ostdeutschland – eine Forschung wie jede andere?. In Laura Behrmann, Markus Gamper & Hanna Haag (Hrsg.), Vergessene Ungleichheiten. Biographische Erzählungen ostdeutscher Professor*innen (S.101-126). Bielefeld: transcript.

Mruck, Katja; Roth, Wolff-Michael & Breuer, Franz (Hrsg.) (2002). Subjektivität und Selbstreflexivität im qualitativen Forschungsprozess I. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 3(3), https://www.qualitative-research.net/index.php/fqs/issue/view/21 [Datum des Zugriffs: 24. April 2025].

Müller, Lisa Maria (2023). Muße in Krankheitszeiten – eine qualitative Analyse narrativer Interviews. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research24(3), Art. 8, https://doi.org/10.17169/fqs-24.3.4024 [Datum des Zugriffs: 24. April 2025].

Polkinghorne, Donald (1998). Narrative Psychologie und Geschichtsbewusstsein. Beziehungen und Perspektiven. In Jürgen Straub (Hrsg.), Erzählung, Identität und historisches Bewußtsein. Die psychologische Konstruktion von Zeit und Geschichte. Erinnerung, Geschichte, Identität 1 (S.12-45). Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Przyborski, Aglaja & Wohlrab-Sahr, Monika (2021). Qualitative Sozialforschung. Ein Arbeitsbuch. Berlin: De Gruyter Oldenbourg.

Reichertz, Jo (2011). Abduktion: Die Logik der Entdeckung der Grounded Theory. In Günter Mey & Katja Mruck (Hrsg.), Grounded Theory Reader (2. Aufl., S.279-297). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Reinders, Heinz (2005). Qualitative Interviews mit Jugendlichen führen. Ein Leitfaden. München: Oldenbourg.

Roesler, Christian (2001). Individuelle Identitätskonstitution und kollektive Sinnstiftungsmuster. Narrative Identitätskonstruktionen in den Lebensgeschichten chronisch Kranker und Behinderter und die Bedeutung kultureller Sinngebungsangebote. Dissertation, Psychologie, Universität Freiburg, https://freidok.uni-freiburg.de/data/527 [Datum des Zugriffs: 23. Februar 2023].

Rosenthal, Gabriele (1995). Erlebte und erzählte Lebensgeschichte: Gestalt und Struktur biographischer Selbstbeschreibungen. Frankfurt/M.: Campus.

Roth, Wolff-Michael; Breuer, Franz & Mruck, Katja (Hrsg.) (2003). Subjektivität und Selbstreflexivität im qualitativen Forschungsprozess II. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 4(2), https://www.qualitative-research.net/index.php/fqs/issue/view/18 [Datum des Zugriffs: 24. April 2025].

Saunders, Benjamin; Kitzinger, Jenny & Kitzinger, Celia (2015). Anonymising interview data: Challenges and compromise in practice. Qualitative Research, 15(5), 616-632.

Schreier, Margit (2020). Fallauswahl. In Günter Mey & Katja Mruck (Hrsg.), Handbuch Qualitative Forschung in der Psychologie. Band 2: Designs und Verfahren (2. Aufl., S.19-39). Wiesbaden: Springer VS.

Schütze, Fritz (1983). Biographieforschung und narratives Interview. Neue Praxis, 13(3), 283-293, https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-53147 [Datum des Zugriffs: 12. Juli 2024].

Schütze, Fritz (1984). Kognitive Figuren des autobiographischen Stegreiferzählens. In Martin Kohli & Günther Robert (Hrsg.), Biographie und soziale Wirklichkeit. Neue Beiträge und Forschungsperspektiven (S.78-117). Stuttgart: Metzler, https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-53097 [Datum des Zugriffs: 12. Juli 2024].

Schütze, Fritz (1987). Das narrative Interview in Interaktionsfeldstudien: Erzähltheoretische Grundlagen. Teil I. Merkmale von Alltagserzählungen und was wir mit ihrer Hilfe erkennen können. Studienbrief der Fernuniversität/Gesamthochschule Hagen.

Schütze, Fritz (2006). Verlaufskurven des Erleidens als Forschungsgegenstand der interpretativen Soziologie. In Heinz-Hermann Krüger & Winfried Marotzki (Hrsg.), Handbuch erziehungswissenschaftliche Biographieforschung (2. Aufl., S.205-237). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Shotter, John & Gergen, Kenneth (Hrsg.) (1989). Texts of identity. London: Sage.

Singler, Andreas & Treutlein, Gerhard (2012). Doping im Spitzensport. Sportwissenschaftliche Analysen zur nationalen und internationalen Leistungsentwicklung (6. Aufl.). Aachen: Meyer & Meyer Verlag.

Spitzer, Giselher (2007). Wunden und Verwundungen. Sportler als Opfer des DDR-Dopingsystems. Eine Dokumentation. Köln: Sportverlag Strauß.

Strauss, Anselm L. & Corbin, Juliet M. (1990). Basics of qualitative research: Grounded theory procedures and techniques. Newbury Park, CA: Sage.

Teichler, Hans Joachim (Hrsg.) (2003). Sport in der DDR. Eigensinn, Konflikte, Trends. Köln: Sport & Buch Strauss.

von Unger, Hella (2014). Forschungsethik in der qualitativen Forschung: Grundsätze, Debatten und offene Fragen. In Hella von Unger, Petra Narimani & Rosaline M´Bayo (Hrsg.), Forschungsethik in der qualitativen Forschung (S.15-39). Wiesbaden: Springer VS.

Völter, Bettina; Dausien, Bettina; Lutz, Helma & Rosenthal, Gabriele (Hrsg.) (2005). Biographieforschung im Diskurs. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Welzer, Harald (1999). Verdrängen, abspalten, aufarbeiten. Zur Psychologisierung biographischer Erzählungen von NS-Zeitzeugen. Journal für Psychologie, 7(3), 44-54, https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-28655 [Datum des Zugriffs: 12. August 2024].

Willms, Claudia (2022). Irritation, Erkenntnis und Verwandlung infolge eines Interviews mit einer muslimischen Umweltschutzaktivistin. (Narrative) Positionierung und Selbstreflexivität in der Interviewanalyse. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 23(1), Art. 6, https://doi.org/10.17169/fqs-23.1.3746 [Datum des Zugriffs: 24. Januar 2025].

Zur Autorin

Annemarie BIERSTEDT ist Psychologin und Kulturwissenschaftlerin und war von 2021 bis 2024 wissenschaftliche Mitarbeiterin im länderübergreifenden Verbundprojekt "Gesundheitliche Langzeitfolgen von SED-Unrecht" an der Universität Rostock. Ihre Forschungsinteressen umfassen die qualitative Sozialforschung in der Psychologie, die Emotions- und Kulturpsychologie sowie die DDR und ihren Leistungssport. Sie promoviert an der Georg-August-Universität Göttingen an der Sozialwissenschaftlichen Fakultät im Arbeitsbereich Sportpädagogik und -didaktik.

Kontakt:

Annemarie Bierstedt

Georg-August-Universität Göttingen
Institut für Sportwissenschaften
Sprangerweg 2, 37075 Göttingen

E-Mail: a.bierstedt@stud.uni-goettingen.de
URL: https://www.uni-goettingen.de/de/676878.html

Zitation

Bierstedt, Annemarie (2025). Selbstreflexivität als Erkenntnischance – am Beispiel der Forschung zu DDR-Leistungssportler*innen als Dopingopfern [55 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 26(2), Art. 24, https://doi.org/10.17169/fqs-26.2.4282.

Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research (FQS)

ISSN 1438-5627

Funded by the KOALA project

Creative Common License

Creative Commons Attribution 4.0 International License