Volume 2, No. 2, Art. 19 – Mai 2001

Rezension:

Andreas Witzel

Marianne Schmidt-Grunert (Hrsg.) (1999). Sozialarbeitsforschung konkret. Problemzentrierte Interviews als qualitative Erhebungsmethode. Freiburg: Lambertus, 222 Seiten, ISBN 3-7841-1152-1, DM 38.-

Inhaltsverzeichnis

1. Wissenschaftstheoretische und methodologische Überlegungen zur Sozialen Arbeit

2. Forschungsberichte aus Praxisbereichen der Sozialen Arbeit

3. Zusammenfassende Betrachtung

Literatur

Zum Autor

Zitation

 

1. Wissenschaftstheoretische und methodologische Überlegungen zur Sozialen Arbeit

Das Methodenbuch von Marianne SCHMIDT-GRUNERT ist das erste in einer geplanten Reihe über "Sozialarbeitsforschung konkret". Es hat den Anspruch, einem Mangel an sozialpädagogischer Forschungskultur entgegen zu wirken, um die Sozialpädagogik und Sozialarbeit als eine eigenständige Wissenschaft fester zu verankern. Soziale Arbeit versteht sich zunehmend als alltags- und lebensweltlich ausgerichtete Disziplin, die sich theoretisch und empirisch mit dem Lebensumfeld, den Ressourcen und der subjektiven Situationssicht von AdressatInnen in unterschiedlichen sozialen Praxisfeldern befasst. SozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnen sollten damit ihre Klientel nicht nur kompetenztheoretisch begreifen, sondern auch als GestalterInnen ihrer Lebensumstände, die wiederum als gesellschaftlich vermittelte Wirklichkeit eine individuelle Auseinandersetzung mit ihnen einfordert. Das Ernstnehmen der Handlungskontexte, aber auch der Verarbeitungsweisen sozialer Lagen, in denen sich die Individuen befinden, macht es für WissenschaftlerInnen wie PraktikerInnen notwendig, ihre Klientel als ExpertInnen ihrer Lebensgestaltung zu betrachten und deren subjektive Sichtweise insbesondere mit qualitativen Methoden zu erforschen. [1]

Daher ist es folgerichtig, dass der erste Teil des Buches, der sich mit wissenschaftstheoretischen und methodologischen Überlegungen befasst, insbesondere auf die Konstruktion gesellschaftlicher Wirklichkeit aus der Sicht der Betroffenen zielt. Hierzu gibt es eine Einführung in die Phänomenologie, Ethnomethodologie, Grounded Theory, den Symbolischen Interaktionismus und in hermeneutisch-rekonstruktive Interpretationsverfahren. Der summarische Überblick schließt auch Überlegungen zur praktischen Relevanz der bei der Anwendung der Methoden entstehenden empirischen Befunde für die Soziale Arbeit mit ein. Die Darstellung qualitativer Interviews konzentriert sich auf das "problemzentrierte Interview", weil es sich nach Einschätzung von Marianne SCHMIDT-GRUNERT ganz besonders für das sozialpädagogische/sozialarbeiterische Forschungsanliegen eignet: Es betont sowohl den Bezug auf das Subjekt als auch auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, in denen die Akteure handeln; es kann auf soziale Probleme fokussiert werden und es kombiniert theoriegeleitete und induktive Befragungstechniken (vgl. dazu WITZEL 2000). Andere Interviewverfahren werden nur am Rande erwähnt. [2]

2. Forschungsberichte aus Praxisbereichen der Sozialen Arbeit

Entspräche das Buch dem hierzulande verbreiteten Konzept von eher handbuchartigen Veröffentlichungen, wäre es mit dem Ausblickkapitel, in dem zuletzt auf das zurecht als bedeutsam anzusehende "forschende Lernen" im Studium verwiesen wird, normalerweise am Ende angelangt. Aber: Ganz in der Tradition vieler englischsprachiger Lehrbücher wird – insbesondere Studierende werden es aus meinen Erfahrungen heraus begrüßen – in einem zweiten Teil vorgeführt, wie die Interviewmethode für unterschiedliche Forschungsanliegen der beiden Fachdisziplinen fruchtbar gemacht werden kann. Um die methodischen Vorgehensweisen zu exemplifizieren, werden drei Diplomarbeiten aus unterschiedlichen Praxisfeldern vorgestellt. Der Untertitel des Buches, der auf das "problemzentrierte Interview" als Erhebungsmethode verweist, ist allerdings etwas großzügig formuliert, wenn in zwei Arbeiten neben dieser Methode die – allerdings verwandten – Verfahren des "fokussierten" und "offenen Interviews" eingesetzt werden. Dieses kleine Manko schmälert den Verdienst des Buches allerdings nicht, neben einer guten Einführung in die Grundlagen qualitativer Forschung für die Soziale Arbeit konkrete methodische Umsetzungsprobleme anhand von studentischen Forschungsbemühungen vorzuführen und zu reflektieren. [3]

Bei den Forschungsberichten spielen eigene Erfahrungen der Autorinnen und das Interesse an einer empirischen Grundlegung ihrer beruflichen Praxis eine wichtige Rolle bei der Themenauswahl und der Gestaltung der jeweils auch dokumentierten Interviewleitfäden. So entstand die Arbeit von Margret MUNDORF aufgrund von eigenen Beobachtungen während der Teilnahme am christlichen Freiwilligendienst in mehreren Ländern. Sie untersucht Motivation, Erfahrungen und deren Verarbeitung von solchen TeilnehmerInnen, die nach einem Jahr Dienst aus dem Ausland zurückkehrten. Sie gewinnt daraus Anregungen für eine pädagogische Begleitung von Lernprozessen im Dienst in einer fremden Lebenswelt. [4]

Karin KIENLE befasst sich aufgrund persönlicher Kontakte zu einschlägigen Organisationen mit behinderten Menschen, die selbstbestimmt mit fremder Hilfe leben können. Am Beispiel von Urlaubserfahrungen mit Reisebegleitung werden Ansätze für eine Fortbildung von ReiseassistentInnen erarbeitet. Zuletzt führte bei Gabi HASPEL ein Studienaufenthalt in Mexiko zu der Idee einer lebensweltbezogenen Studie über alleinerziehende Mütter in Mexiko-Stadt, deren Ergebnisse auf eine notwendige präventive und kompensatorische Soziale Arbeit in dem dortigen Lande verweisen. [5]

3. Zusammenfassende Betrachtung

Die drei Beiträge sind gekürzte Fassungen von empirischen Diplomarbeiten und keine Arbeiten, die speziell zur Exemplifizierung methodischer Probleme geschrieben worden sind. Dennoch wird der Forschungsprozess sehr ausführlich und differenziert dokumentiert. Z.B. begründet Margret MUNDORF das Forschungsanliegen, die Wahl der Forschungsmethode, die Stichprobe, den Interviewleitfaden, sowie auch eher vernachlässigte methodische Aspekte wie Kontaktaufnahme mit den Befragten, Interviewertraining oder Probeinterviews; sie beschreibt die Durchführung der Interviews, die Transkription der Gesprächsaufzeichnungen, die einzelnen Schritte der Interpretation; zuletzt ist die Ergebnisdarstellung sehr übersichtlich und veranschaulicht eine fallübergreifende qualitative Textinterpretation. [6]

Man kann abschließend der Herausgeberin darin zustimmen, wenn sie das vorliegende Buch als Lehrbuch für Dozierende und Studierende bezeichnet, "das möglichst viele Studierende motivieren möchte, Teilausschnitte des Alltags Sozialer Arbeit eigenständig zu erforschen und darüber das wissenschaftliche Profil einer professionellen Sozialen Arbeit zu gestalten und zu festigen" (S.9). [7]

Literatur

Witzel, Andreas (2000, Januar). Das problemzentrierte Interview [26 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research [On-line Journal], 1(1), Art. 22. Verfügbar über: http://www.qualitative-research.net/fqs-texte/1-00/1-00witzel-d.htm [Zugriff: 17.5.2001].

Zum Autor

Andreas WITZEL; geboren 1945; Studium der Psychologie in Regensburg und Darmstadt; wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bremen; seit 1990 im Sonderforschungsbereich 186 "Statuspassagen und Risikolagen im Lebensverlauf". Interessen: Berufliche und vorberufliche Sozialisationsforschung, insbesondere Umgangsweisen Jugendlicher und junger Erwachsener mit ihrer Berufsbiographie, Verarbeitungsweisen gesellschaftlicher Realität und Verknüpfung von Beruf und Familie; Methoden der interpretativen Sozialforschung, insbesondere qualitative Interview- und Auswertungsverfahren und Kombination qualitativer und quantitativer Methoden.

Kontakt:

Dr. Andreas Witzel

Sonderforschungsbereich 186
Wiener Straße, Postfach 330440
D-28334 Bremen

Tel.: +49 / (0)421 / 218 4141
Fax: +49 / (0)421 / 218 4153

E-Mail: awitzel@sfb186.uni-bremen.de

Zitation

Witzel, Andreas (2001). Rezension zu: Marianne Schmidt-Grunert (Hrsg.) (1999). Sozialarbeitsforschung konkret. Problemzentrierte Interviews als qualitative Erhebungsmethode [7 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 2(2), Art. 19, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs0102192.

Revised 7/2008

Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research (FQS)

ISSN 1438-5627

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